Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD

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Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Starke ländliche Räume:
 Geografie
 der Möglichkeiten
            Schwerpunkte
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

     Starke ländliche Räume

B
     ei etwa 80 % der Fläche des OECD-Raums       denn je scheint sich der Abstand zwischen
     handelt es sich um ländliche Gebiete.        Gewinnern und Verlierern auszuweiten. In
     Etwa 30 % der Bevölkerung leben dort.        24 von 28 OECD-Ländern sind die regionalen
Diese Gebiete und ihre Einwohner*innen            Unterschiede beim Pro-Kopf-BIP seit der
sichern fast unsere gesamte Versorgung mit        Finanzkrise von 2008 gewachsen. Ländliche
Nahrung, Wasser, Energie, Holz, Metallen,         Gebiete sind zunehmend im Rückstand, vor
Mineralien und sonstigen Rohstoffen, die unser    allem solche, die weit von großen Städten ent-
Leben möglich machen. Diese Gebiete sind          fernt liegen. Um diese Herausforderungen zu
es auch, in denen wir noch unberührte Natur,      bewältigen und Chancen zu nutzen, bedarf es
Tiere in freier Wildbahn und indigene Kulturen    eines Umsteuerns in der Politik für die länd-
erleben können. All dies macht ländliche          liche Entwicklung.
Räume unverzichtbar für unser aller Wohlstand
und Wohlergehen.                                  Das vor über vierzig Jahren entwickelte
                                                  Rahmenkonzept der OECD für die ländliche
Und doch ist Wohlstand etwas, das für viele       Entwicklung half den Mitgliedsländern, den
Menschen, Unternehmen und Gemeinden im            Wohlstand und die Lebensqualität der länd-
ländlichen Raum schwer erreichbar ist. Globali-   lichen Bevölkerung zu steigern. Es wurde stetig
sierung, Digitalisierung, Bevölkerungs- und       weiterentwickelt, um veränderten Umständen
Klimawandel sowie die Auswirkungen der            Rechnung zu tragen und neue Erkenntnisse zu
weltweiten Finanzkrise und der aktuellen          berücksichtigen.
Corona-Krise verändern das Wirtschaftsgefüge
ländlicher Gemeinden tiefgreifend. Mehr

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Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Schwerpunkte

Mit dem Bericht Rural Well-being: Geography        Ein besseres Verständnis dieser drei Arten
of Opportunities wurde dieses Rahmenkonzept        ländlicher Räume ermöglicht gemeinsames
nochmals weiterentwickelt. Dazu wurden die         Handeln und wirkungsvollere zielgerichtete
früheren Arbeiten der OECD unter Nutzung           Maßnahmen. Die Analyse nach dem neuen
neuerer Analysen erweitert und vertieft, um        Rahmenkonzept beschränkt sich nicht mehr
der zunehmenden Diversität ländlicher Gebiete      auf wirtschaftliche Faktoren, sondern berück-
und der Notwendigkeit eines umfassenderen          sichtigt auch ökologische und soziale Aspekte.
Ansatzes gerecht zu werden. Das Rahmen-            Im Mittelpunkt des neuen Konzepts steht das
konzept für starke ländliche Räume ist entlang     Wohlergehen der Bürger*innen. Dank einer
eines Stadt-Land-Spektrums organisiert, das        eingehenderen Analyse der vielfältigen und
sich in drei Arten ländlicher Gebiete mit unter-   komplexen sozioökonomischen Systeme länd-
schiedlichen Merkmalen und Anforderungen           licher Räume wird zudem der Diversität dieser
unterteilt:                                        Gebiete Rechnung getragen.

                                                   Im Untertitel des neuen Rahmenkonzepts –
    Ländliche Gebiete innerhalb funktionaler       Geografie der Möglichkeiten – drückt sich
    Stadtgebiete (sog. functional urban            die zentrale Erkenntnis aus, dass ländliche
    areas – FUA) haben einen guten Dienst­         Räume zwar vor Herausforderungen stehen,
    leistungs­zugang. Sie müssen den Kom­          aber zweifelsohne auch Orte der Chancen
    pe­tenz­anfor­derungen des Arbeitsmarkts       sind, ganz besonders im Kontext der sich be-
    ins­ge­samt gerecht werden und mit ihrer       schleunigenden Digitalisierung. Das Rahmen-
    Flächennutzungspolitik auf den wach­           konzept für starke ländliche Räume zeigt, wie
    senden Druck der Kernstadt antworten.          die Politik für die ländliche Entwicklung für
                                                   mehr Wohlstand, Vernetzung, Teilhabe und
    In ländlichen Gebieten in Stadtnähe            Lebensqualität auf dem Land sorgen kann.
    gehen die Stadt-Land-Verbindungen              Voraussetzung dafür sind gut durchdachte
    in beide Richtungen. Diese Gebiete             Maßnahmen, die die Stärken der jeweiligen
    müssen kurze Liefer­ketten zwischen            Orte nutzen und deren Umsetzung zwischen
    städtischen und ländlichen Unter­nehmen        den verschiedenen staatlichen Ebenen ko-
    gewährleisten. Zudem müssen sie die            ordiniert und zwischen den drei Akteuren
    richtige Balance zwischen Be­völ­ke­rungs­     Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft
    wachstum zum einen und Lebensqualität          abgestimmt wird.
    und Grün­raum zum anderen finden und
    die Versorgung mit sekundären Gütern
    und Dienst­leistungen verbessern.

    Abgelegene ländliche Gebiete sind
    gro­ßen­teils von ihren Aktivi­täten im
    primären Sektor abhängig. Voraus­setzung
    für ihr Wachstum sind absolute und
    komparative Vor­teile. Sie müssen die
    An­bindung an die Exportmärkte ver-
    bessern, den Kompetenzanforderungen
    wettbewerbsstärkerer Gebiete gerecht
    werden und die Versorgung mit wesent-
    lichen Dienstleistungen sichern.

© OECD 2021                                                                                        3
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

                                   Mit dem mehrdimensionalen Konzept für
                                   starke ländliche Räume wird die Analyse in drei
                                   Richtungen ausgeweitet:

                                       Erstens werden neben den üblichen
                                       wirtschaftlichen Faktoren wie Produk­
                                       tivität und Einkommen auch öko­
                                       logische und soziale Aspekte der
                                       Lebensqualität berücksichtigt, um zu
                                       einem ganzheitlicheren, menschenzen­trier­
                                       ten Verständnis regionaler Ungleich­heit
                                       und ländlicher Entwicklung zu gelangen.
                                       Zweitens wird anerkannt, dass eine
                                       wirkungsvolle Politik für den länd­
                                       lichen Raum die Mitwirkung eines
                                       breiten Spektrums von Akteuren und
                                       staatlichen Ebenen voraussetzt. Das
                                       neue Rahmenkonzept enthält Instrumente
                                       für staatliche Stellen, um betroffene
                                       Akteure besser einzubeziehen, Stadt-
                                       Land-Partnerschaften zu fördern und eine
                                       Mehrebenen-Governance zu ermöglichen.
                                       Die Menschen und Unternehmen im länd-
                                       lichen Raum wissen selbst am besten,
                                       was für sie wichtig ist. Daher ist eine
                                       konstruktive Einbindung der betroffenen
                                       Akteure uner­lässlich. Neue Technologien
                                       können dies ­erleichtern. Das neue Konzept,
                                       das städtische Räume als wichtige
                                       Partner für die Stärkung des ländlichen
                                       Raums ­begreift, zeigt zudem Möglich-
                                       keiten für eine wirksame Partnerschaft
                                       und Zusammenarbeit zwischen den ver-
                                       schiedenen staatlichen Ebenen auf.
                                       Drittens wird die Bedeutung eines ortsbe­
                                       zogenen Ansatzes bei der Gestaltung
                                       der Politik für den ländlichen Raum
                                       betont. Die Maßnahmen sollten stets mit
                                       Blick auf bestim­mte Orte gestaltet werden,
                                       unter Berücksichtigung der Dinge, die sie
                                       einzigartig machen, d. h. ihrer besonderen
                                       Stärken, ihrer wichtigsten Branchen, ihrer
                                       Hürden für die Arbeitskräftemobilität
                                       sowie ihrer Verbindungen mit städtischen
                                       Gebieten.

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Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Schwerpunkte

       Das Konzept für starke ländliche Räume
       schwenkt damit von einer eindimensionalen               Rahmenkonzept für starke ländliche Räume
       auf eine dreidimensionale Sichtweise der
       Politik für ländliche Gebiete um:                          Mehr Lebensqualität für Land-
                                                                  bewohner*innen nach wirtschaftlichen,
             3 Zielsetzungen: Neben wirtschaftlichen              sozialen und ökologischen Kriterien
             werden auch soziale und ökologische
             Aspekte ins Visier genommen.                         Analyse der Wachstumsdynamik dünn
                                                                  besiedelter Wirtschaftsräume (Entfernung
             3 Arten ländlicher Räume: An die Stelle              von den Märkten, Rolle der Exportwirt-
             der Stadt-Land-Betrachtung tritt ein                 schaft und absolute Wettbewerbsvorteile)
             Spektrum, das der ländlichen Vielfalt
                                                                  Einsatz verschiedener Politikinstrumente
             Rechnung trägt.
                                                                  (Investitionen, Behebung von Markt-
             3 Arten von Akteuren: Nicht mehr nur                 versagen und Förderung sozialer
             Staat, sondern auch Privatsektor und                 Inno­vationen)
             Zivilgesellschaft sind beteiligt.
                                                                  Multisektorales Konzept unter Ein­
                                                                  be­ziehung öffentlicher Stellen,
                            Ziele                                 privater Akteure und Nichtregierungs-
       Akteure                                                    organisationen sowie unterschiedlicher
                                    Wirtschaft                    Bevölkerungsgruppen und Orte
                                    Soziales
         Staat                                                    Integrierte, auf den Bedarf und die
                                     Umwelt                       Gegebenheiten verschiedener länd-
Privatwirtschaft
                                    Abgelegen
                                                                  licher Wirtschaftsräume abgestimmte
Zivilgesellschaft
                                  In Stadtnähe
                                                                  Maßnahmen
                               In funktionalen Stadtgebieten
                                                                  Betrachtung des Spektrums verschiedener
        Ländliche Gebiete                                         ländlicher Räume – von solchen inner-
                                                                  halb von FUA bis zu abgelegenen
                                                                  Gegenden – sowie ihrer unter­
                                                                  schiedlichen Chancen und
                                                                  Herausforderungen

        © OECD 2021                                                                                    5
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

     Ländliche Räume im Wandel

S
     eit mehreren Jahrzehnten vollziehen sich    schnitt nur 8 % der Bevölkerung. In sieben
     in den OECD-Ländern und -Regionen           OECD-Ländern – Grie­chenland, Nor­wegen,
     strukturelle Veränderungen, die sich auf    Finn­land, Schweden, Kanada, Estland und
ihre Entwicklung auswirken. Metropolräume        Aus­tra­lien – entfällt jedoch nicht weniger
(d. h. Regionen mit einer Stadt mit mehr         als ein Fünftel der Bevölkerung auf diese ab-
als 250 000 Einwohnern) profitieren über-        gelegenen dünn besiedelten Regionen. Das
proportional stark von diesen Veränderungen.     jährliche Bevölkerungswachstum hat sich in
Globalisierung, Digitalisierung, Bevölkerungs-   Metropolregionen im Vergleich zu ländlichen
und Klimawandel sowie die Auswirkungen der       Regionen in den letzten zwanzig Jahren mehr
globalen Finanzkrise und der aktuellen Corona-   als verdoppelt. Unter den ländlichen Regionen
Krise verändern das Wirtschaftsgefüge vieler     verzeichneten abgelegene Gegenden einen
ländlicher Gemeinden derweil tiefgreifend.       stärkeren Einwohnerzuwachs als Gegenden, die
                                                 nahe einer Klein- oder Mittelstadt liegen. Dort
Ländliche Regionen sind stärkeren                verlangsamte sich das Bevölkerungswachstum
demografischen Belastungen ausgesetzt            nach der Finanzkrise von 2008. Dennoch sind
                                                 die demografischen Belastungen in Gegenden
Von den 29 % der OECD-Bevölkerung, die           größer, die weiter entfernt von Städten liegen.
2019 in ländlichen Gegenden lebten, verteilen    In der Hälfte der betrachteten OECD-Länder
sich drei Viertel auf Gebiete mit engen Ver-     (13 von 28) wurde in abgelegenen Gegenden
bindungen zu Städten. Dies lässt auf einen       ein Bevölkerungsrückgang verzeichnet; in 25 %
starken Austausch zwischen ländlichen und        der Länder war dies für Gegenden in der Nähe
städtischen Räumen schließen. In abgelegenen     von Klein- oder Mittelstädten festzustellen.
ländlichen Räumen leben im OECD-Durch-

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Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Schwerpunkte

   Abbildung 1. In abgelegenen Gegenden ist häufiger
   ein Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen
              Bevölkerungswachstum 2001-2019 in OECD-Mikroregionen

                                                   -2.0% -1.5% -1.0% -0.5%   0.0%   0.5%   1.0%   1.5%   2.0%
     Abgelegene Gegenden
                                           Australien
     Regionen mit/nahe einer Stadt
                                              Mexiko
     mit 250 000 Einw.                       Kanada
     Regionen mit einer Stadt              Norwegen
     mit >250 000 Einw.
                                                 Chile

                                           Schweden

                                             Schweiz

                                              Spanien
   Anmerkung: „Stadt“ bedeutet
                                           Österreich
   funktionales Stadtgebiet (FUA).
   Bevölkerungswachstum                  Ver. Staaten
   2001-2019 in Prozent auf der              Finnland
   Basis verfügbarer Daten für
                                              Belgien
   2 147 Mikro­regionen (T3).
   Quelle: (OECD, 2019)                Ver. Königreich
   OECD Regional Statistics                   Estland
   (Datenbank), http://dx.doi.           Niederlande
   org/10.1787/region-data-en.
                                           Dänemark

                                           Frankreich

                                           Slowenien

                                                Korea

                                               Italien

                                        Tschech. Rep.

                                         Slowak. Rep.

                                         Deutschland

                                             Portugal

                                                Japan

                                                Polen

                                              Ungarn

                                        Griechenland

                                              Litauen

                                             Lettland

                                                Island

© OECD 2021                                                                                                    7
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

Auch die Bevölkerungsalterung ist eine drän­       die Auswirkungen der globalen Finanzkrise von
gende Herausforderung für ländliche Regionen.      2008 deutlicher zu spüren, weshalb sie sich
Eine höhere Zahl älterer Menschen (ab              auch gegenüber den aktuellen und künftigen
65 Jahren) im Verhältnis zur Bevölkerung im Er-    wirtschaftlichen Effekten der Corona-Krise in
werbsalter (15-64 Jahre) belastet die Finanzen     einer schwächeren Position befinden. Vor der
der Gemeinden, weil sie mit einer größeren         globalen Finanzkrise expandierten abgelegene
Dienstleistungsnachfrage und geringeren Steu­er­   ländliche Regionen stärker als andere Regionen.
ein­nahmen einhergeht. In ländlichen Regionen      In der Zeit nach der Krise war dies nicht mehr
ist dieser sogenannte Altenquotient höher. Am      der Fall. Großstädte und deren Umland hielten
höchsten ist er in Regionen in Stadtnähe. Mit      den Auswirkungen der Krise von 2008 besser
33 % ist er dort etwa 2 Prozentpunkte höher        stand als andere Regionen. Auch bei der
als in anderen ländlichen Gebieten und 4 Pro-      Arbeitsproduktivität war in Regionen in Stadt-
zentpunkte höher als im Durchschnitt aller Re­     nähe ein Konvergenzprozess zu beobachten,
gio­nen. Ländliche Regionen und ganz besonders     während sich das Gefälle in abgelegenen
abgelegene ländliche Regionen verzeichneten in     Regionen vergrößerte.
den letzten zwanzig Jahren auch den stärksten
Anstieg des Altenquotienten.                       In Bezug auf die Wirtschaftsstruktur ist fest-
                                                   zustellen, dass der Dienstleistungssektor
Der „Entfernungsnachteil“ kann in ländlichen       in Metropolräumen ebenso wie ländlichen
Räumen erhebliche Auswirkungen auf die             Räumen an Bedeutung gewonnen hat. 2017
Wirtschaftsleistung haben. Das durchschnitt-       entfielen 71 % der Beschäftigung in länd-
liche Pro-Kopf-BIP ist in ländlichen Regionen      lichen Räumen auf den Dienstleistungssektor.
niedriger als in Metropolräumen. 2017 lag das      In Metropolräumen waren es 75 %. Ländliche
Pro-Kopf-Einkommen von Regionen in Groß-           Regionen mit besonders hohem BIP sind auf
stadtnähe etwa 18 Prozentpunkte unter dem          Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung
OECD-Durchschnitt. Für Regionen mit oder in        spezialisiert. Ländliche Regionen mit niedrigem
der Nähe von Klein- oder Mittelstädten war das     BIP schafften es hingegen nicht, sich zu diver­
Gefälle mit 28 % sogar noch größer. Das Pro-       sifizieren. Sie sind weiterhin vom primären
Kopf-Einkommen von abgelegenen Gegenden            Sektor und Dienstleistungen mit geringer Wert-
lag 21 Prozentpunkte unter dem OECD-Durch-         schöpfung abhängig.
schnitt. Ähnliche Unterschiede sind auch bei
Produktivität und Beschäftigung festzustellen.     Ländlichen Regionen fällt es auch schwer, neue
                                                   Arbeitsplätze zu schaffen. Das zeigte sich vor
Zudem ist das Gefälle seit der globalen Finanz­    allem im Anschluss an die globale Finanzkrise.
krise von 2008 gewachsen. Die regionale Un­        In der Zeit nach der Finanzkrise steuerten die
gleichheit, die an der Differenz zwischen den      ländlichen Regionen weniger als 10 % zum
20 % der Regionen mit dem höchsten und             Beschäftigungswachstum bei. Vor der Krise
den 20 % mit dem niedrigsten Pro-Kopf-BIP          waren es noch über 20 %. Die Beschäftigungs-
gemessen wird, ist in der Zeit nach der Krise      schaffung konzentrierte sich großenteils auf
in 24 der 28 Länder mit vorliegenden Daten         Metropolräume.
gestiegen. Die Zunahme des Gefälles war dabei
Einkommenszuwächsen in den führenden               Ländliche Regionen müssen ihre Stärken und
Regio­nen zuzuschreiben (außer in Griechenland     Ressourcen nutzen, um ihre Wirtschaftsleistung
und Italien).                                      und die Lebensqualität ihrer Bevölkerung
                                                   zu erhöhen. OECD-Studien haben gezeigt,
Die Krise zeigte auch, dass ländliche Regionen     wie wichtig Innovation, Kompetenzen und
– vor allem solche, die weiter von Städten ent-    Digitalisierung sind, um die Produktivität zu
fernt liegen – anfälliger gegenüber wirt­schaft­   steigern und Wirtschaftsräume zukunftsfähig
lichen Schocks sind. In diesen Regionen waren      zu machen. Technologische Fortschritte, vor

8
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Schwerpunkte

  Abbildung 2. Schlechterer Breitbandzugang für ländliche Haushalte
   Haushalte in Gegenden, in denen ein Breitbandfestnetz mit einer vertraglich zugesicherten Geschwindigkeit
   von mindestens 30 Mbit/s verfügbar ist, in Prozent aller Haushalte sowie aller ländlichen Haushalte

  %                                                                                           Ländlich           Insgesamt
  100

   80

   60

   40

   20

      0

      Anmerkung: Als ländliche Gegenden gelten Gebiete, in denen die Bevölkerungsdichte unter einem bestimmten Grenzwert
      liegt. Dieser Wert ist für EU-Länder bei 100 Einwohner/km2, für Kanada bei 400 Einwohner/km2 und für die Vereinigten
      Staaten bei 1 000 Einwohner je Quadratmeile (386 km2) angesetzt. Daten für 2019 oder letztes vorliegendes Jahr.
      Quelle: OECD (2020), OECD Regions and Cities at a Glance 2020, OECD Publishing, Paris.

allem im Bereich der Internetinfrastruktur, sind                 geschwin­digkeit von mindestens 30 Mbit/s,
für ländliche Regionen besonders wichtig. Gute                   deutlich weniger als in den Städten (85 %).
Internetverbindungen können dabei helfen,
einige der zentralen Herausforderungen länd-                     Die Patentierungsaktivität, ein wichtiger
licher Regionen zu bewältigen, namentlich                        Innovationsindikator, ist in ländlichen
Abgeschiedenheit, hohe Transportkosten, hohe                     Regionen niedriger als in Metropolräumen.
Dienstleistungskosten und Entfernung von den                     Diese Differenz ist z. T. auf Verzerrungen bei
Märkten.                                                         der Messung dieses Indikators in ländlichen
                                                                 Gegenden zurückzuführen. Daten aus Europa
Die Unterschiede beim Breitbandzugang zwi­                       zeigen aber auch, dass das Niveau an digitalen
schen ländlichen und städtischen ­Gebieten                       Kompetenzen – d. h. den Kompetenzen,
haben sich inzwischen in fast allen OECD-                        die für viele moderne Tätigkeiten mit hoher
Ländern halbiert. Im Durchschnitt haben 82 %                     Wertschöpfung entscheidend sind – in der
der ländlichen Haushalte einen Breit­band­an­                    ländlichen Bevölkerung deutlich niedriger
schluss, nur etwas weniger als in städtischen                    ist als unter Stadtbewohner*innen. Um die
Gebieten (89 %). Bei der Qualität der Breit­                     Innovationstätigkeit in ländlichen Regionen an-
band­anbindung bestehen jedoch immer noch                        zukurbeln, muss daher das Stadt-Land-Gefälle
erhebliche Unterschiede. Nur 56 % der länd-                      beim gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
lichen Haushalte verfügen über einen Festnetz-                   Wohlstand, beim Internetzugang sowie bei
Breitbandanschluss mit einer Über­tra­gungs­                     Bildung und Kompetenzen verringert werden.

© OECD 2021                                                                                                                 9
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten Schwerpunkte - OECD
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

      Lebensqualität in den Fokus rücken

M
         it dem Rahmenkonzept für starke länd-       Lebensqualität wird zur politischen
         liche Räume werden mehrere struktu­         Priorität. Ländliche Gemeinden fordern
         relle Transformationen untersucht,          zunehmend einen höheren Lebensstan­
da­runter die drei Megatrends Digitalisierung,       dard und weniger Ungleichheit. Die Politik
demo­grafischer Wandel und ökologischer Wan­         für den ländlichen Raum muss daher jen-
del. Es geht darum festzustellen, wie sich diese     seits der traditionellen Konzepte gezielter
Transformationen auf die verschiedenen Arten         Fragen wie die Digitalisierung angehen
ländlicher Räume mit ihren unterschiedlichen         sowie Talente fördern und anziehen.
Merkmalen auswirken und so eine Vielzahl
neuer Chancen und Herausforderungen ent-             Stadt-Land-Verbindungen haben
stehen lassen.                                       durch die Vertiefung der Globalisierung
                                                     und die Verbesserung der Infrastruktur
      Globale ­Produktionsverlagerungen              an Bedeutung gewonnen. Ländliche
      und die Expansion des Dienst­                  Gebie­te in Stadtnähe haben zunehmend
      leistungs­sektors verschärfen die              Zugang zum städtischen Arbeitsmarkt;
      Konkurrenz aus aufstrebenden Volks­            abgelegene Regionen werden über das
      wirtschaften. Für ländliche Regionen,          Internet angebunden. Um diese Ver-
      deren Wirtschaftsbasis in der Regel            änderungen optimal zu nutzen und
      weniger diversifiziert und stärker vom         sicherzustellen, dass der ländliche und
      Verarbeitenden Gewerbe und von Waren­          städtische Raum gleichermaßen davon
      exporten abhängig ist, stellt dies eine        profitieren, ist eine größere gebietsüber-
      besondere Herausforderung dar.                 greifende Koordination und Verzahnung
                                                     der Maßnahmen erforderlich.

10
Schwerpunkte

   Technologische und digitale                        Menschen die Teilhabe am Wirtschafts-
   Innovationen schreiten rasch voran                 leben ermöglichen. Soziale Innovationen,
   und erfordern dynamische politische                die der Einsamkeit älterer Menschen
   Reaktionen, die diesen Änderungen                  entgegenwirken und die Integration
   Rechnung tragen und sicherstellen,                 von Migrant*innen fördern, können ein
   dass Bevölkerung und Umwelt davon                  wichtiges Instrument sein, um Lösungen
   profitieren. Ländliche Regionen können             für gesellschaftliche Herausforderungen
   den Anschluss an diese Innovationen                zu finden und zugleich die Lebensqualität
   leicht verlieren, wenn sie nicht über die          zu verbessern.
   richtigen Infrastrukturen (d. h. Breitband),
   Fähigkeiten (d. h. digitale Kompetenzen)           Der Klimawandel und der Übergang
   und Ressourcen (d. h. Finanzmittel)                zu einer klimaneutralen Wirtschaft
   verfügen. Wenn die Voraussetzungen                 erfordern eine Politik, die Klimaziele
   stimmen, kann die Digitalisierung neue             berücksichtigt und die Stärken des
   Arbeitsplätze schaffen, die Bereitstellung         ländlichen Raums bewahrt (z. B. Boden
   von Dienstleistungen modernisieren                 und biologische Vielfalt). Durch den
   und neue Transportmöglichkeiten für                Ausbau erneuerbarer Energien und die
   Menschen und Güter schaffen. Dies                  Entwicklung einer Bio- und Kreislauf-
   stärkt die Wirtschaftskraft ländlicher             wirtschaft können ländliche Gemeinden
   Räume und erhöht ihre Attraktivität.               Wachstum und Lebensqualität steigern.

   Demografische Veränderungen erfor­             Der mehrdimensionale Ansatz des Konzepts
   dern neue Politikziele mit nachhaltigen        für starke ländliche Räume bietet staatlichen
   Lösungen, damit ländliche Regionen über        Stellen Orientierungshilfen, um die Vorteile
   ausreichend Fachkräfte und hochwertige         dieser strukturellen Veränderungen zu nutzen,
   Dienstleistungen verfügen und attraktiv        das Wachstumspotenzial ländlicher Regionen
   bleiben. Deshalb ist eine zukunfts-            freizusetzen und zugleich die Lebensqualität
   gerichtete Planung notwendig, die die          zu steigern.
   Alterung und den Bevölkerungsrückgang
   berücksichtigt und darauf ausgerichtet
   ist, junge Arbeitskräfte anzuziehen und
   in der Region zu halten. Angesichts des
   demografischen Wandels müssen länd-
   liche Regionen ein dynamisches Umfeld
   schaffen, in dem sich Menschen aller
   Altersgruppen wohl fühlen, und älteren

© OECD 2021                                                                                   11
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

       Megatrends
                                      Chancen                          Herausforderungen

      Demografie                 Umwelt                      Technologie                    Globalisierung

              Bevölkerungs­               Wirtschaftlicher           Weiter­quali­fi­zie­           Verstärkte
              alterung und                Wandel im                  rung angesichts                Konkurrenz aus
              Bevölkerungs­               ländlichen Raum            der Auto­ma­ti­sie­            aufstrebenden
              rückgang                                               rung                           Volkswirtschaften
                                          Valorisierung
              Teurere                     des natürlichen            Unzureichende                  Aufstieg
              öffentliche                 Reichtums                  Breit­band­                    innerhalb der
              Dienstleistungen            (Boden, Bio­               versorgung                     globalen Wert­
                                          diversität usw.)                                          schöpfungsketten

       Teilhabe älterer           Vorteile für                Neue                           Offenheit
       Menschen am                erneuerbare                 Arbeitsplätze                  gegenüber
       Wirtschaftsleben           Energien und                und neue Dienst­               Auslands­
                                  Kreislauf­                  leistungs- und                 investitionen
       Integration von            wirtschaft                  Verkehrsoptionen
       Migrant*innen,                                                                        Internationale
       um dem                     Die biologische             Die Attraktivität              Vernetzung von
       Bevölkerungs­              Vielfalt als Stärke         ländlicher                     KMU
       rückgang                   nutzen                      Gebiete erhöhen
       entgegen­zu­
       wirken

12
Schwerpunkte

Das Konzept enthält mehrere wirtschafts-,             Gezielte Mentoring-Programme für die
sozial- und umweltpolitische Empfehlungen             junge Landbevölkerung auflegen, z. B. zur
für die verschiedenen Arten ländlicher Gebiete.       Förderung von Führungskompetenzen.
Das Gesamtziel ist dabei, die Lebensqualität zu
                                                      Ältere Menschen bedarfsgerecht unter-
erhöhen.
                                                      stützen (z. B. medizinische Versorgung,
                                                      Mobilität usw.) und ihnen zugleich er-
1. Wirtschaftspolitische Empfehlungen –
                                                      möglichen, weiter zum Leben der Ge-
Steigerung von Produktivität und
                                                      meinde beizutragen.
Wettbewerbsfähigkeit:
                                                      Soziale Innovationen für gesellschaftliche
    Intelligente Spezialisierungsstrategien
                                                      Herausforderungen fördern (z. B. Einsam-
    vertiefen und Innovationen im Handels-
                                                      keit unter älteren Menschen).
    bereich fördern.
                                                      Gezielte Einwanderungsprogramme
    Das Wachstum und die Internatio­nali­
                                                      entwickeln und die Kommunikation ver-
    sierung von KMU durch Vernetzung mit
                                                      bessern, um junge Menschen, Fachkräfte
    städtischen sowie in- und ausländischen
                                                      und Neuankömmlinge für das Leben im
    Märkten sowie durch Weiterbildung und
                                                      ländlichen Raum zu gewinnen; dabei
    Beratung fördern.
                                                      könnten Vorteile wie die niedrigeren
    Den Zugang ländlicher Unternehmen                 Lebenshaltungskosten und die Nähe zur
    zu traditionellen und innovativen                 Natur hervorgehoben werden.
    Finanzierungsquellen erleichtern.
                                                  3. Umweltpolitische Empfehlungen –
    Die Wertschöpfung in ländlichen Ge-           Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft:
    meinden durch eine konkurrenzfähige
                                                      Erneuerbare Energien ausbauen, um
    Regulierung sowie – monetäre und
                                                      die Wirtschaft im ländlichen Raum
    nichtmonetäre – Gewinnbeteiligungs-
                                                      zu stärken, und mit CO2-intensiven
    mechanismen erhöhen.
                                                      Branchen zusammenarbeiten, um ihnen
    Die Zusammenarbeit zwischen Behör­                neue Chancen zu eröffnen und so ihren
    den, örtlichen Unternehmen und Zivil-             Umbau zu fördern.
    gesellschaft verbessern, um die Aus- und
                                                      Ökosystemleistungen wie Wasser- und
    Weiterbildungsprogramme auf den
                                                      Luftreinigung, Schädlingsbekämpfung
    aktu­ellen und künftigen Bedarf ländlicher
                                                      und CO2-Sequestrierung stärker berück-
    Unter­nehmen auszurichten.
                                                      sichtigen und zur Wertschöpfung nutzen.
2. Sozialpolitische Empfehlungen – Maß­nah­
                                                      Nachhaltige Landnutzung im Rahmen der
men für eine alternde und schrumpfende
                                                      Kreislauf- und Bioökonomie fördern.
Bevölkerung:
                                                      Verkehrsoptionen für Land-
    Die Qualität und Verfügbarkeit digitaler
                                                      bewohner*innen neu durchdenken und
    Tools und Kompetenzen verbessern,
                                                      bei der Emissionsreduzierung und Infra-
    insbesondere beim Ausbau digitaler
                                                      strukturentwicklung verstärkt auf alter-
    Dienstleistungen für Müttergesundheit,
                                                      native und technologische Innovationen
    Kinderbetreuung und die Integration
                                                      setzen.
    Zugewanderter.
    Resiliente Dienste entwickeln und
    Technologie nutzen, um Verbund- und
    Skalenerträge zu steigern.

© OECD 2021                                                                                     13
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

      Umsetzung des Rahmenkonzepts
      für starke ländliche Räume

U
      m den drei Zieldimensionen des              von externen Schocks wie der globalen Finanz-
      Rahmenkonzepts für starke ländliche         krise von 2008 oder der COVID-19-Krise von
      Räume – Wirtschaft, Soziales und            2020 erfordert die Mitwirkung eines breiten
Umwelt – gerecht zu werden, sind Mechanis-        Spektrums von Akteuren und staatlichen
men erforderlich, über die die verschiedenen      Ebenen.
staatlichen Ebenen, die Bevölkerung und die
Unternehmen wirksam einbezogen werden             Um den ländlichen Raum effektiv zu stärken,
können. Angesichts der sich vertiefenden          müssen die traditionell für die ländliche Ent­
Globalisierung und der wachsenden Stadt-          wicklung zuständigen Ministerien (z. B. das
Land-Kluft müssen die Bedürfnisse ländlicher      Landwirtschaftsministerium) ihre Arbeit
Gebiete stärker in der Politikgestaltung auf      horizontal mit anderen für relevante Bereiche
nationaler Ebene berücksichtigt werden.           wie Innovation und Dienstleistungen zu-
                                                  ständigen Ministerien koordinieren. Fragen der
Wenn Verwaltungsbereiche und Wirtschafts-         ländlichen Entwicklung müssen systematisch
zweige isoliert betrachtet werden, bleiben        in allen Politikbereichen berücksichtigt werden
­Synergien ungenutzt und können übergrei­         (sog. Rural Proofing). Damit ist es jedoch
 fen­de Politikziele für ländliche Regionen und   nicht getan. Die staatlichen Stellen müssen
 Länder nicht erreicht werden. Die Erholung       außerdem sicherstellen, dass die verschiedenen

14
Schwerpunkte

ressort- und branchenspezifischen Strategien      Veränderungen, ein sinkendes Vertrauen wie
komplementär auf das gleiche Ziel ausgerichtet    auch die COVID-19-Krise führen dazu, dass der
sind (Änderungen der Raumordnung erfordern        Staat Transparenz und Rechenschaftspflicht
beispielsweise eine Abstimmung mit der Ver-       stärken und seine Rolle neu überdenken muss:
kehrs- und Infrastrukturplanung).                 Er darf nicht mehr nur Bereitsteller von Dienst-
                                                  leistungen sein, sondern muss eine „partner-
Weitere wichtige Aspekte für eine erfolgreiche    schaftliche“ Beziehung zu den Bürger*innen
Koordinierung der Politik für ländliche Räume:    und dem Privatsektor aufbauen.

    Umfang und Governance der Maß-                Die Einbeziehung lokaler Akteure in die Politik-
    nahmen konkret auf die jeweiligen             gestaltung und -umsetzung setzt voraus,
    funktionalen Raumordnungskategorien           dass unterschiedliche Visionen der ländlichen
    abstimmen, die in den meisten OECD-           Regionen für ihre Entwicklung anerkannt und
    Ländern der Vielfalt ländlicher Regionen      dass die Strategien in Zusammenarbeit mit
    Rechnung tragen.                              den Menschen vor Ort angepasst werden.
    Die Verantwortlichkeiten für die Ko-          Dazu muss die Eigeninitiative der örtlichen
    ordinierung der Politik für den ländlichen    Bevölkerung unterstützt werden, um sie in die
    Raum klar festlegen, um die nationalen        Lage zu versetzen, sich effektiv als Partner in
    Maßnahmen besser abzustimmen,                 eine Mehrebenengovernance einzubringen.
    Synergien zu fördern und das Konzept
    der Entwicklung des ländlichen Raums
    national aufzuwerten.
                                                     Die Länder und Regionen verfolgen
    Stadt-Land-Partnerschaften fördern,              unterschiedliche Strategien für die
    um funktionale Verflechtungen zu                 Einbeziehung lokaler Akteure, von der
    stärken, insbesondere in Bezug auf               einfachen Kommunikation bis zur ge-
    wirtschaftliche, demografische und öko-          meinsamen Erarbeitung und Umsetzung
    logische Fragen sowie die Bereitstellung         der Maßnahmen.
    öffentlicher Dienstleistungen.
                                                          Bürgerbeteiligung: partizipative
    Die vertikale Koordinierung zwischen
                                                          Haushaltsaufstellung, gemein­
    höheren und niedrigeren staatlichen
                                                          same Bereitstellung sozialer
    Ebenen verbessern, einschließlich ihrer
                                                          Dienstleistungen, Foren oder
    institutionellen und finanziellen Aspekte.
                                                          Strategiegipfel
    In vielen OECD-Ländern besteht der erste
    Schritt der Koordinierung darin, nationale
                                                          Beteiligung des Privatsektors:
    Entwicklungspläne zu erstellen. Weitere
                                                          öffentlich-private Partnerschaften
    Instrumente sind nationale Plattformen
                                                          und Dialogplattformen
    oder regionale Foren auf nationaler
    Ebene, auf denen alle staatlichen Ebenen              Beteiligung des Bildungssektors:
    vertreten sind.                                       gemeinsame Erstellung regionaler
                                                          und lokaler Pläne, Weiter-
Um Nachhaltigkeit und Eigenverantwortung zu
                                                          bildung öffentlich Bediensteter
gewährleisten, ist die Mitwirkung eines breiten
                                                          und Unterstützung der lokalen
Spektrums von Akteuren und ein „Bottom-
                                                          Innovationsstrategie
up“-Ansatz erforderlich. Neue Technologien,
Haushaltskonsolidierung, soziopolitische

© OECD 2021                                                                                    15
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

         Wie verbessern die OECD-Länder die horizontale
         Koordinierung der Politik für ländliche Räume?
      Die OECD-Erhebung von 2018-2019 zur Politik für ländliche Räume zeigt, wie die OECD-Länder
      die Koordinierung verbessern und Zuständigkeiten festlegen:

            Um sektorale Ungleichgewichte und Inseldenken bei der Politikgestaltung zu über­
            winden, haben 85 % der befragten OECD-Länder interministerielle Organe wie etwa
            Sachverständigenräte, Plattformen, Netzwerke oder Präsidialausschüsse eingerichtet.

            In den OECD-Ländern ist zumeist mehr als ein Ministerium für die Entwicklung des
            ländlichen Raums zuständig. In den meisten Fällen (in 62 % der befragten Länder) hat
            das Landwirtschaftsministerium die Federführung. In mehreren Ländern (38 %) ist das
            federführende Ministerium oder Organ jedoch nicht unmittelbar für die Landwirtschaft
            zuständig, sondern befasst sich mit einem breiteren Spektrum von Bereichen wie
            Regionalentwicklung, Unternehmensförderung oder Innovation (Abb. 3).

            Einige OECD-Länder haben die interkommunale Zusammenarbeit im ländlichen Raum
            durch institutionalisierte Koordinierungsgremien oder freiwillige Kooperationsmechanis­
            men gestärkt. Andere Länder haben interkommunale Entwicklungsbehörden eingerichtet,
            um die Kommunalverwaltungen bei der Förderung des Geschäftsumfelds und der
            Lebensqualität vor Ort zu unterstützen (Finnland).

        Abbildung 3. Für ländliche Entwicklung zuständige Ministerien und Organe

            Zahl der OECD-Länder
       25

       20

       15

       10

        5

        0
               Hauptzuständigkeit Landwirtschaft   Andere Bezeichnungen ohne Nennung von      Ländliche/regionale Angelegenheiten
                                                   Landwirtschaft oder Regionalentwicklung und/oder regionale/territoriale Entwicklung

      Anmerkung: Andere Bezeichnungen sind z. B. Ministerium für Industrie, Unternehmen und Finanzangelegenheiten (Dänemark),
      Ministerium für lokale Gebietskörperschaften und Modernisierung (Norwegen), Staatssekretariat für Wirtschaft (Schweiz),
      Ministerium für Unternehmen und Innovation (Schweden), Ministerium für Verkehr und lokale Gebietskörperschaften
      (Island), Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (Österreich), Präsidium für Strategie und Budget (Türkei).
      Quelle: Institutionelle Erhebung der OECD 2018-2019. Antworten auf die Frage „Welche Ministerien oder sonstige
      Koordinierungsgremien sind federführend für die Entwicklung des ländlichen Raums zuständig – wichtigstes zuerst angeben“.

16
Schwerpunkte

    Ländliche Regionen der Zukunft

D
      as Konzept für starke ländliche Räume       den Dienstleistungszugang verbessern, die
      unterstreicht wie wichtig es ist, in die    politische Teilhabe fördern, lokale Arbeits-
      Zukunft zu blicken und Technologien         märkte stärken und Regionen beim Über-
gegenüber offen zu sein. Nur so können            gang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft
ländliche Regionen die Chancen des techno-        unterstützen.
logischen Wandels nutzen und zur Verwirk­
lichung globaler Ziele beitragen, wie der Ziele   Innovation und technologischer Wandel
für nachhaltige Entwicklung (SDG) und dem         können ländlichen Regionen helfen, Hinder-
Klimaschutz.                                      nisse wie die Marktentfernung, die hohen
                                                  Transportkosten und die fehlende kritische
Megatrends wie Digitalisierung, demo-             Masse zu überwinden, ihre Krisenfestigkeit zu
grafischer Wandel und Klimawandel bringen         stärken und den Übergang zu einer CO2-armen
neue Herausforderungen und Chancen für            Wirtschaft zu beschleunigen.
den ländlichen Raum mit sich. Durch die
Digitalisierung können Transportkosten ein-
gespart werden, was wiederum die Bedeutung
des Standorts für Arbeitskräfte und Unter-
nehmen verringert. Dadurch können ländliche
Räume international wettbewerbsfähiger und
attraktiver für Menschen und Unternehmen
werden. Der technologische Fortschritt kann
außerdem die Dienstleistungsqualität und

© OECD 2021                                                                                     17
Starke ländliche Räume: Geografie der Möglichkeiten

Ohne eine zukunftsgerichtete Strategie kann             Ein gutes Verständnis der Innovations-
der technologische Wandel sich jedoch negativ           tätigkeit im ländlichen Raum. In länd-
auf ländliche Regionen auswirken und die                lichen Regionen erfolgt Innovation häufig
Einkommensungleichheit zwischen Stadt und               über Anpassungsmaßnahmen zur Über-
Land vergrößern. Viele ländliche Regionen               windung von Markt- und Politikversagen.
leiden unter dem Wegfall von Arbeitsplätzen             Innovative Produkte und Verfahren
durch Automatisierung, einer unzureichenden             entstehen häufig durch eine Abfolge
Diversifizierung und der Abwanderung hoch-              kleinerer Veränderungen („Learning by
qualifizierter Arbeitskräfte. Damit ländliche           doing“).
Gemeinden und Unternehmen die Vorteile des
                                                    Eine zukunftsgerichtete Entwicklung des
digitalen Zeitalters voll nutzen können, bedarf
                                                    ländlichen Raums muss außerdem mit globalen
es folgender Elemente:
                                                    Zielen im Einklang stehen, wie z. B. Nach-
                                                    haltigkeit, Klimaschutz, Armutsbekämpfung
      Guter Breitbandzugang in allen Arten
                                                    und Gleichstellung der Geschlechter. Die Ver-
      ländlicher Räume. Höhere staatliche
                                                    wirklichung der SDG setzt die Mitwirkung
      Investitionen, ein solider politischer
                                                    der lokalen Ebene voraus, die hier direkt
      Rahmen für den Ausbau digitaler Netze
                                                    Verantwortung übernehmen muss. Länd-
      und die Förderung von Bottom-up-
                                                    liche Regionen sind entscheidend für diese
      Modellen für die Finanzierung und
                                                    globalen Ziele, da sie die biologische Vielfalt,
      Schaffung von Hochgeschwindigkeits-
                                                    den Naturreichtum sowie die Nahrungs- und
      netzen würden die Breitbandversorgung
                                                    Rohstoffversorgung der Welt sichern. Durch
      in ländlichen Räumen verbessern.
                                                    Innovation und Einbindung der lokalen Akteure
      Stärkung der Infrastruktur (z. B. Tele-       können die ländlichen Regionen zur welt-
      kommunikation und Straßen). Auch im           weiten Armutsreduzierung beitragen und den
      digitalen Zeitalter ist eine gute Infra-      Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft
      struktur als Rückgrat für hochwertige         beschleunigen.
      IKT-Dienstleistungen erforderlich.
      Weiterbildung der Arbeitskräfte und Ver-
      mittlung von Zukunftskompetenzen. Dies
      erfordert Investitionen in bessere digitale
      Kompetenzen, eine stärker kompetenz-
      und weniger arbeitsplatzorientierte Aus-
      richtung der Berufslaufbahnen und mehr
      Koordination zwischen Bildungsanbietern
      und Arbeitgebern.
      Eine zukunftsgerichtete Politik und
      Regulierung, die den ländlichen Raum auf
      künftige Veränderungen vorbereitet. Dies
      umfasst eine zukunftsorientierte Planung
      unter Beteiligung der Kommunen, ver-
      besserte Informationssysteme (über
      die Kompetenzen und demografischen
      Merkmale der Arbeitskräfte) und die
      Erprobung technischer Lösungen.

18
Schwerpunkte

Über die OECD
Die OECD ist ein in ihrer Art einzigartiges Forum, in dem Regierungen gemein­sam
an der Bewältigung der wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Heraus-
forderungen der Globalisierung arbeiten. Die OECD ist Vorreiterin bei den Bemühungen,
neue Entwicklungen und Aufgaben besser zu ver­stehen und die Regierungen dabei
zu unterstützen, Antworten auf diese Heraus­forderungen zu finden. Dazu gehören
Corporate Governance, die Infor­mations­ökonomie sowie die Bevölkerungsalterung.
Die Organisation bietet den Regierungen einen Rahmen, der es ihnen ermöglicht, Er-
fahrungen aus verschiedenen Politikbereichen auszutauschen, nach Lösungsansätzen
für gemeinsame Probleme zu suchen, gute Praktiken aufzuzeigen und auf eine Ko-
ordinierung nationaler und internationaler Politiken hinzuarbeiten.

Über das Zentrum für Unternehmertum,
KMU, Regionen und Städte
Das Zentrum hilft staatlichen Stellen auf lokaler, regionaler und nationaler
Ebene, das Potenzial von Unternehmer*innen und KMU auszuschöpfen, Teil­
habe und Nachhaltigkeit in Regionen und Städten zu fördern, Arbeitsplätze vor
Ort zu schaffen und eine solide Tourismuspolitik zu verfolgen.

Über diese Broschüre
Diese Broschüre beschreibt die Schwerpunkte des Berichts Rural Well-
being: Geography of Opportunities, der einen Aktionsplan zur Förderung
des ländlichen Raums aufzeigt. Weitere Informationen über die Arbeit
der OECD in den Bereichen Regionalpolitik und Politik für ländliche
Räume finden Sie unter www.oecd.org/cfe/.

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Kontakt
José Enrique Garcilazo
> joseenrique.garcilazo@oecd.org

Gesamtbericht und Länderprofile
> https://oe.cd/3fN

       @OECD_local
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