PRESS REVIEW Monday, July 19, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

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PRESS REVIEW Monday, July 19, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
PRESS REVIEW

         Daniel Barenboim Stiftung
Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

          Monday, July 19, 2021
PRESS REVIEW Monday, July 19, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
PRESS REVIEW                                                           Monday, July 19, 2021

Augsburger Allgemeine, DIVAN, DB
Schürzenjäger, Holländer, Nero & Co.: Die großen Festspiele gehen an den Start

Süddeutsche Zeitung
Im neuen Salzburger „Jedermann“ haben die Frauen die Hosen und Lars Eidinger die Unterhosen an

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Das Musikfest in Aix-en-Provence präsentiert Monteverdi und Wagners „Tristan und Isolde“

Die Welt
Die Ukrainerin Oksana Lyniv steht als erste Frau in Bayreuth im Graben. Dort dirigiert sie nächste
Woche den „Fliegenden Holländer“

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die Kissinger Liederwerkstatt huldigt mit Uraufführungen noch einmal auf witzig-kluge Weise
Beethoven

Die Welt
In Berlin öffnet das sagenhaft teure Humboldt Forum. Ist es auch sagenhaft gut?

Berliner Zeitung
Paul Spies und sein Team haben Berlin als zeitgenössische Welt-Stadt inszeniert

Der Tagesspiegel
Der Geiger Emmanuel Tjeknavorian gibt sein Debüt als Dirigent mit einem russischen Album

Der Tagesspiegel
Frank Castorf zum 70. Geburtstag

Der Tagesspiegel
Brandenburg startet Förderung für kleine Museen
PRESS REVIEW Monday, July 19, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
augsburger-allgemeine.de vom 17.07.2021 18:13

Mediengattung: Online News                                                 Visits (VpD):    0,392 (in Mio.) ¹
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Weblink:               https://www.augsburger-allgemeine.de/kultur/Klassik-Schuerzenjaeger-Hollaender-Nero-Co-Die-grossen-Festspiele-gehen-
                       an-den-Start-id60112086.html
¹ von PMG gewichtet 12-2019
² AGOF ddf Ø-Tag 2019-12 vom 02.01.2020, Gesamtbevölkerung 16+

Schürzenjäger, Holländer, Nero & Co.: Die
großen Festspiele gehen an den Start
PlusOb in Salzburg, Bayreuth oder Bregenz: Der Kultursommer hat wieder berühmte
Dirigenten, große Orchester, Star-Solisten - und eine Neuerung im Zentrum des Wagner-Kults.
Ein Überblick.
Wer hätte im Festspielsommer 2021                            werk zu Falun“ (Regie: Jossi Wieler, ab     theater noch zu erwähnen: Händels Ora-
nicht etwas nachzuholen? Die Opern-,                         7. August im Landestheater) sowie           torium „Il trionfo del tempo“ als Über-
Schauspiel- und Konzertbühnen aller-                         Schillers „Maria Stuart“, bei der sich in   nahme der Pfingstfestspiele (Haus für
hand ausgefallene Produktionen von                           der Regie von Martin Kusej zwei Köni-       Mozart, ab 4. August) sowie Puccinis
2020; das Publikum allerhand Vorstel-                        ginnen bis aufs Blut bekriegen: Bibiana     „Tosca“ als Übernahme der Osterfest-
lungen, die nur schütter mit Zuhörern                        Beglau und Birgit Minichmayr (Perner-       spiele (Großes Festspielhaus ab 21.
besetzt werden durften – beziehungs-                         Insel Hallein, ab 14. August). Übrigens:    August). Konzertant erklingen dazu
weise Erwartungen weckend angekün-                           Hofmannsthals „Bergwerk zu Falun“,          Morton Feldmans Oper „Neither“ (Kol-
digt wurden und dann abgesagt werden                         dieses posthum veröffentlichte und          legienkirche, 13. August) und Berlioz’
mussten. Betraf und betrifft Bayreuth                        uraufgeführte Stück mit Märchen- und        dramatische Legende „La damnation de
wie Bregenz und viele andere Festivals                       „Faust“-Motivik, basiert auf E.T.A.         Faust“ (Großes Festspielhaus, 22.
auch.                                                        Hoffmanns Erzählung „Die Bergwerke          August).
Aber in Salzburg fiel 2020 praktisch                         von Falun“ – und die dokumentierte          Auch in der Konzert-Sparte folgen
noch etwas aus, das man gerne weltu-                         Begebenheit, dass eine alte Frau ihren      große Dirigenten, große Solisten,
marmend, menschheitsverbrüdernd,                             vor 50 Jahren im Bergwerk tödlich ver-      berühmte Orchester Schlag auf Schlag –
lachend und lauthals bis in den Morgen                       unglückten und unverwesten Bräutigam        obwohl das Chicago Symphony Orche-
gefeiert hätte: 100 Jahre Salzburger                         wiedererkennt.                              stra und das City of Birmingham Sym-
Festspiele. Gewiss: In viel beachteten                       Traditionell schwergewichtiger in Salz-     phony Orchestra abgesagt haben. Blei-
und kritisch beäugten „Test“- statt Fest-                    burg ist freilich das Musiktheater- und     ben vor den Wiener Philharmonikern als
spielen gab es ein stark reduziertes                         Konzertprogramm: Sechs szenische Pro-       Dirigenten immer noch: Franz Welser-
Ersatzprogramm unter strengen Vorga-                         duktionen stehen im Jahr 1 nach             Möst mit einem Strauss-Programm,
ben, aber überschäumender Jubiläums-                         Corona-Ausbruch zur Debatte: Neben          Christian Thielemann mit
jubel konnte und durfte sich natürlich                       den Wiederaufnahmen von Straussens          Strauss/Bruckner, Andris Nelsons mit
nicht einstellen. Es wurden Festspiele                       „Elektra“ und Mozarts „Così fan tutte“      Mahlers dritter Sinfonie, Riccardo Muti
mit angezogener Handbremse.                                  wird sich Augen- und Ohrenmerk              mit Beethovens Missa solemnis und
Und so entstand besagter Nachholbe-                          zunächst vor allem auf den neuen „Don       Herbert Blomstedt mit unter anderem
darf, gerade in Salzburg mit singulär                        Giovanni“ richten, der ab 26. Juli im       Brahms’ vierter Sinfonie. Daneben sind
breit gefächertem Angebot auf ange-                          Großen Festspielhaus in der Regie von       auch zu hören: die Berliner Philharmo-
strebtem künstlerischem Spitzenniveau.                       Romeo Castellucci gegeben wird. Zahl-       niker in zwei verschiedenen Program-
In diesem Sommer nun soll etliches                           reiche Frauen wurden im Vorfeld als         men unter Kirill Petrenko sowie das
davon aufgearbeitet werden, auch der                         Statistinnen für diese Inszenierung rund    West-Eastern Divan Orchestra mit zwei
„Jedermann“, mit dem die Festspiele an                       um den berühmten Schürzenjäger              Programmen unter Daniel Barenboim.
diesem Samstag in einer überholten                           gesucht, auch eine schwangere. Am Pult      Einige große Künstler über die Opernso-
Inszenierung von Michael Sturminger                          vor Aeterna Orchestra und Choir: Teo-       listen Netrebko, Garanca, Bartoli, Mari-
mit neuer Besetzung starten – nämlich                        dor Currentzis. Und „Don Giovanni“          anne Crebassa, Ausrine Stundyte,
u.a. mit Lars Eidinger in der Titelrolle                     folgt dann eine Neuproduktion von           Davide Luciano hinaus: Sonya Yon-
und Verena Altenberger als Buhlschaft.                       Luigi Nonos szenischer Aktion „Intol-       cheva, Joyce DiDonato, Juan Diego Flo-
Der Teufel ist erstmals eine Teufelin:                       leranza 1960“, diesem humanitären und       rez, Christian Gerhaher geben Lieder-
Mavie Hörbiger.                                              (sozial-)politischen Musiktheater-          abende. Andras Schiff, Daniil Trifonov,
Hinzu kommen weitere Schauspiele:                            Appell. Jan Lauwers inszeniert und stat-    Igor Levit, Grigory Sokolov, Arcadi
„Richard The Kid & The King“ nach                            tet aus; Ingo Metzmacher dirigiert – und    Volodos, Evgeny Kissin, Maurizio Pol-
Shakespeares Königsdrama in der Regie                        zwar die Wiener Philharmoniker (ab 15.      lini, Mitsuko Uchida sind für Klavier-
von Karin Henkel (Perner-Insel Hallein                       August in der Felsenreitschule).            Recitals angekündigt. Anne-Sophie
ab 25. Juli), Hofmannsthals „Das Berg-                       Bleiben im Bereich szenisches Musik-        Mutter, Thomas Zehetmair werden Vio-
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lin-Kammermusik bringen.                     hochhängen bei dieser 1978 geborenen            überlangen Winterpause ist die hoch-
Fürs Publikum in Salzburg gilt: 3-G-         Ukrainerin, die den „Fliegenden Hollän-         komplexe Bühnentechnik jetzt ebenso
Regel, Maskenempfehlung, Vollbeset-          der“ bereits schon einmal (in Barcelona)        wieder in Bewegung wie der bunte Fes-
zung.                                        dirigierte. Asmik Grigorian singt die           selballon, der an 28 Aufführungsaben-
Letztes Jahr auf dem Grünen Hügel            Senta, John Lundgren die Titelrolle und         den vor bis zu 7000 Zuschauern in den
komplett ausgefallen, finden die Bay-        Georg Zeppenfeld den Daland.                    nächtlichen Himmel steigen soll.
reuther Festspiele heuer wieder statt –      Ansonsten stehen auf dem Programm               Seit viereinhalb Wochen proben Soli-
vor gut 900 Zuhörern, platziert im           2021: ab 26. Juli Barrie Koskys sehens-         sten und Stuntleute auf der Clowns-
Schachbrettmuster. 2020 hätte eigent-        werte „Meistersinger“-Inszenierung              Bühne. Die Bedingungen waren zuletzt
lich ein neuer „Ring des Nibelungen“         (Dirigent: Philippe Jordan) und ab 27.          miserabel, doch vom strömenden Regen
herauskommen sollen; er ist nun in der       Juli der spektakulär-gewagte, szenisch          lassen sich die Künstler nicht von den
Regie von Valentin Schwarz und mit           überbordende, tragikomische „Tannhäu-           Proben abhalten. „Sie sind auf diese
Pietari Inkinen am Pult auf 2022 ver-        ser“ aus der Regiehand Tobias Kratzers          Bedingungen eingestellt“, sagt Michael
schoben.                                     (Dirigent: Axel Kober). In ihm spielt als       Czar, Direktor des künstlerischen
Dennoch warten die Festspiele 2021 mit       Teil einer Künstlergemeinschaft die             Betriebsbüros. Nach monatelangem,
einer Art neuem „Ring“ auf – wenn            Dragqueen „Le gateau chocolat“ eine             erzwungenem Nichtstun herrsche jetzt
auch im Festspielhaus selbst ab 29. Juli     auf der Bühne stumme, in der Pause im           große Euphorie bei Chören, Orchester
nur mit einer „Walküre“-Neugestaltung        Park vernehmliche Rolle – was bei der           und Solisten. „Unser strenges Präventi-
durch den Aktionskünstler Hermann            Premiere 2019 helles Entzücken hier,            onskonzept tragen sie gern mit.“ Alle 48
Nitsch, bekannt durch sein blutiges          helles Entsetzen dort hervorrief. Wegen         Stunden werden die Festspielbeschäftig-
Orgien-Mysterien-Theater, und dirigiert      Quarantäne-Vorschriften wird „Le                ten getestet, für sie gilt – im Gegensatz
vom besagten „Ring“-Dirigenten Pietari       gateau chocolat“ heuer nicht dabei sein;        zum Publikum – Maskenpflicht. Als
Inkinen 2022.                                seine schräge Rolle übernimmt Kyle              „größten Hebel“ der Prävention bezeich-
Gerahmt wird diese „Walküre“ durch           Patrick.                                        net Czar die Impfung. „Unsere Impf-
Auftragswerke, die sich mit den drei         Bleiben noch ein konzertanter Parsifal          quote ist hoch, in manchen Ensembles
anderen Teilen des „Rings“ auseinan-         unter Christian Thielemann und zwei             über 80 Prozent.“
dersetzen: Die einstündige Komposition       (unterschiedliche) Wagner-Konzertpro-           Regisseur Stölzl hat seinen Rigoletto
„Das Rheingold – Immer noch Loge“            gramme unter Andris Nelsons zu erwäh-           nicht nachgebessert. „Wir waren 2019
von Gordon Kampe wird dreimal im             nen.                                            so glücklich mit der Aufführung“, sagt
Festspielpark mit Puppen gegeben, und        Für das Publikum in Bayreuth gilt: 3-G-         er. „Zu meinen, man müsste etwas ver-
ebenfalls im Festspielpark ist die Instal-   Regel, reduziertes Platzangebot, Maske          ändern, könnte ein großer Fehler sein.“
lation „Götterdämmerung – The Thread         auf dem Weg zum Sitzplatz.                      Zwei Drittel des Solistenensembles ken-
of Fate“ der japanischen Künstlerin Chi-     Ein Staatsoberhaupt, ein Kaiser und ein         nen die Inszenierung vom ersten Jahr.
haru Shiota zu sehen. „Sei Siegfried“        Clown: Sie eröffnen in der kommenden            Am Pult der Wiener Symphoniker steht
wiederum ist eine VR-Brillen-Produk-         Woche die Bregenzer Festspiele. Und             indes eine Neue: die britische Dirigen-
tion des britischen Regisseurs Jay           zwar auf großer Bühne und vor vollen            tin Julia Jones, die eigentlich für
Scheib, bei der die Zuschauer virtuell       Rängen. Österreich setzt auf die Drei-G-        Madame Butterfly engagiert war.
das Festspielhaus betreten, wo sie ein       Regel und erlaubt kulturelle Veranstal-         Die Oper „Nero“, an der Arrigo Boito
herausfordernder Kampf mit dem Dra-          tungen drinnen wie draußen in gewohn-           fast sein ganzes Leben lang gearbeitet
chen erwartet… Alle drei Auftrags-           tem Umfang. Nach eineinhalb Jahren              hat, dirigiert Dirk Kaftan, der von 2009
werke sind ebenfalls ab 29. Juli zu erle-    weitgehender Stille am Bregenzer                bis 2014 in Augsburg als Generalmusik-
ben.                                         Bodenseeufer ist bei Künstlerensembles          direktor wirkte. Regie führt Olivier
Besonders große Spannung indessen            und Publikum die Freude riesengroß auf          Tambosi. Die beiden arbeiteten in Bre-
liegt auf dem Eröffnungsabend der Fest-      den Startschuss fürs Festival, den Bun-         genz bereits 2014 bei der Oper „Ham-
spiele am 25. Juli, wenn Richard Wag-        despräsident Alexander van der Bellen           let“ von Franco Faccio zusammen. Als
ners „Der fliegende Holländer“ Pre-          gibt, und auf die folgenden Opernpre-           Nero ist der mexikanische Tenor Rafael
miere feiert. Weniger vielleicht wegen       mieren: „Nero“ von Arrigo Boito am              Rojas zu erleben.
der Inszenierung von Dmitri Tchernia-        Mittwoch im Festspielhaus und „Rigo-            Gut 60 Veranstaltungen umfasst das
kov, mehr vielleicht, weil erstmals in       letto“ von Giuseppe Verdi am Donners-           Festspielprogramm bis 22. August, dar-
Bayreuth eine Dirigentin eine kom-           tag auf der zum Clownskopf umgebau-             unter Musiktheater (auch Uraufführun-
plette Produktion übernimmt. Im Fach         ten Seebühne.                                   gen), Schauspiel, Konzerte. Für alle
Regie war Hausherrin Katharina Wag-          Eigentlich stünde 2021 „Madame But-             Seeopernabende gibt es noch Karten.
ner selbst vorausgegangen; nun also          terfly“ als Seeoper auf dem Programm.           Besucher müssen den Nachweis erbrin-
erhält erstmals eine Frau die Gelegen-       Sie wurde verschoben, um die 2020               gen, dass sie genesen, getestet oder
heit, das Festspielorchester zu einem        wegen Corona ausgefallene Wiederauf-            geimpft sind. Es empfiehlt sich, die
musikalisch hoffentlich starken Abend        nahme von Rigoletto zu ermöglichen.             aktuellen Vorgaben nachzulesen.
zu führen. Oksana Lyniv heißt sie, und       Die Inszenierung von Philipp Stölzl
als ehemalige Münchner Assistentin von       löste vor zwei Jahren bei Gästen wie
Kirill Petrenko darf man schon die Latte     Kritikern Begeisterung aus. Nach einer

Abbildung:                      Blick auf den neu überarbeiteten „Jedermann“ der Salzburger Festspiele 2021: Lars Eidinger in der Titelrolle
                                sowie Verena Altenberger als Buhlschaft (vorne mittig) kommen sich außerordentlich nahe, ja verhaken sich
                                geradezu. Foto: Matthias Horn, SF.
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19.7.2021                                          https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/810837/11

       Je­der Tusch ein Tref­fer

       Im neu­e n Salz­b ur­g er „Je­d er­m ann“ ha­b en die Frau­e n die Ho­s en und Lars Ei­d in­g er die Un­t er­h o­-
       sen an

       Salz­b urg im Fest­s piel­s om­m er ist im­m er auch ein Wet­t er­wahn­s inn, das be­d eu­t et ent­we­d er drü­c ken­d e Hit­z e
       oder ei­n e über dem Mönchs­b erg hän­g en­d e Re­g en­f ront. Am Sams­t ag­a bend aber schwillt der Nie­d er­s chlag
       zu ei­n em un­e r­b itt­l i­c hen Ex­t rem­s chau­e r an. Man wird kom­p lett durch­n ässt, kehrt zu­r ück, föhnt die Schu­h e
       im Ho­t el und schafft es doch noch zur Vor­s tel­l ung, die vom Dom­p latz ins Fest­s piel­h aus ver­l egt wor­d en ist.
       Geht schon mal gut los, das Dra­m a.

       Je­d e neue In­s ze­n ie­r ung des „Je­d er­m ann“ wird seit je­h er gie­r ig er­war­t et, ge­ra­d e weil Hof­m annst­h als Spiel
       vom Ster­b en des rei­c hen Man­n es so er­wart­b ar ist, das im­m er­g lei­c he Er­s chre­c ken vor dem Tod, der hier
       mit­t en in die aus­g e­l as­s e­n e Fest­s piel­p ar­t y hin­e in­g rätscht und sich holt, was ihm zu­s teht. Völ­l ig zu Recht er­-
       war­t et sich das Pu­b li­k um ein Star-En­s em­b le, nur die bes­t en Thea­t er­s chau­s pie­l er sol­l en sich mit den höl­-
       zer­n en Ver­s en her­u m­q uä­l en.

       In die­s em Jahr aber ist die Span­n ung be­s on­d ers, denn mit Lars Ei­d in­g er steht ein Ex­t remdar­s tel­l er be­reit,
       um im 101. Jahr nach der Salz­b ur­g er Erst­a uf­f üh­r ung von 1920 mal so rich­t ig auf­z u­räu­m en mit dem Mys­t e­-
       ri­e n­m ief. Wer Ei­d in­g er als Ham­l et, Ri­c hard III. oder Peer Gy­n t kennt, freut sich auf die­s es sehr be­weg­l i­c he
       Rie­s en­k ind, das jetzt mit 45 so lang­s am er­wach­s en wer­d en könn­t e.

       Re­g is­s eur Mi­c ha­e l Stur­m in­g er hat­t e seit 2017 ei­n e eher kon­s er­va­t i­ve In­s ze­n ie­r ung ge­b o­t en, zu­l etzt mit To­-
       bi­a s Mo­ret­t i als Je­d er­m ann in der Mid­l ife-Cri­s is und Ca­ro­l i­n e Pe­t ers als di­s tan­z ier­t e Buhl­s chaft in ei­n em
       Am­b i­e n­t e, das fast ein Spie­g el der Salz­b ur­g er Fest­g e­s ell­s chaft war, et­was zu dis­t in­g u­iert und für man­c he,
       die den Kra­wall mehr lie­b en als das Kam­m er­s piel, ster­b ens­l ang­wei­l ig. Mit der Neu­i n­s ze­n ie­r ung, die jetzt
       eher zu­f äl­l ig im Lau­fe der Pro­b en ent­s tan­d en ist, will Stur­m in­g er das Ru­d er her­u m­rei­ß en. Al­l er­d ings ge­rät
       schon der An­f ang et­was zu lär­m ig, ei­n i­g e Schau­s pie­l er sind kaum zu ver­s te­h en vor lau­t er Ge­t ram­p el und
       Mu­s ik.

       Ei­d in­g ers Je­d er­m ann trägt dann sei­n e Ge­l ieb­t e auf den Schul­t ern, sie ist ganz oben­a uf, er un­t er ih­rem ro­-
       ten Sa­t in-Ge­wand gar nicht zu er­ken­n en. Mit ver­b lüf­fen­d er Selbst­s i­c her­h eit tritt die neue Buhl­s chaft Ve­re­-
       na Al­t en­b er­g er ins Bild, und ei­g ent­l ich ist sie es auch, die sich hier als Her­r in der Geld­s ä­c ke und Im­m o­b i­l i­-
       en prä­s en­t iert, zu Je­d er­m anns Mo­n o­l og über das schö­n e Lu­x us­l e­b en be­wegt sie syn­c hron die Lip­p en. Klar,
       wer hier die Ho­s en an­h at und ein In­t er­e s­s e dar­a n, dass die Ar­m en bloß nicht über­m ü­t ig wer­d en; die von Je­-
       der­m ann ein­g e­for­d er­t e Mild­t ä­t ig­keit muss auf ein Mi­n i­m um be­g renzt wer­d en, da­m it das ka­p i­t a­l is­t i­s che
       Oben-Un­t en-Sche­m a nicht aus den Fu­g en ge­rät.

       So weib­l ich war der „Je­d er­m ann“ noch nie, mit Ma­v ie Hör­b i­g er in der Dop­p el­rol­l e als Gott und Teu­fel, An­-
       ge­l a Wink­l er als Je­d er­m anns Mut­t er, Edith Cle­ver als Tod und Kath­l e­e n Mor­g e­n ey­e r als Glau­b e do­m i­n ie­ren
       die Frau­e n das Ge­s che­h en. Und dann darf mit Ve­re­n a Al­t en­b er­g er die ers­t e Salz­b ur­g e­r in in der Fest­s piel­g e­-
       schich­t e über­h aupt die Buhl­s chaft spie­l en. „Männ­l ich do­m i­n an­t e Denk­m us­t er“ will Stur­m in­g er auf­b re­-
       chen, des­h alb sind ei­n i­g e Fi­g u­ren fast schon pe­n e­t rant gen­d er­f ­l u­i d, die Män­n er stö­c keln mit ho­h en Ab­s ät­-
       zen lust­voll her­u m, wäh­rend die Frau­e n über Le­b en und Tod ent­s chei­d en.

       Lars Ei­d in­g er ist klug ge­n ug, sich nicht völ­l ig dem Spek­t a­kel hin­z u­g e­b en und ge­l e­g ent­l ich auf die Brem­s e
       zu stei­g en. Al­l er­d ings ist sein Je­d er­m ann an­f angs be­d roh­l ich na­h e an der Far­c e: Wie ein nicht mehr ganz
       jun­g er Glam-Ro­c ker jagt er in ei­n er senf­g el­b en Schlag­h o­s e über die Büh­n e, im­m er auf der Su­c he nach dem
       nächs­t en Kick, dem nächs­t en Op­fer.

       Gran­d i­o s ist tat­s äch­l ich der Schau­k ampf, den er sich mit dem Schuld­k necht (Mir­c o Krei­b ich) in ei­n em has­-
       tig hin­g e­s tell­t en Box­r ing lie­fert. Je­d er Tusch ein Tref­fer, und das al­l es mit Mör­d er­a b­s ät­z en – das Du­e ll Ei­-
       din­g er vs. Krei­b ich ist von hin­rei­ß en­d er, hals­b re­c he­r i­s cher Ko­m ik.
https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/810837/11                                                                                     1/2
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       Vor­g e­p län­kel ist das al­l es nur, ein ir­res An­ren­n en ge­g en die Zeit. Ganz lei­s e und poe­t isch da­g e­g en der Auf­-
       tritt von An­g e­l a Wink­l er als Je­d er­m anns Mut­t er. Die­s e will ih­ren miss­ra­t e­n en Sohn wie­d er auf den rech­t en
       Weg brin­g en – und für ei­n en Mo­m ent sieht es wirk­l ich so aus, als könn­t e das ge­l in­g en. Ei­d in­g er wird da
       ganz weich, das Gro­ß ­m aul zum Klein­k ind, das im­m er sei­n en Wil­l en be­kom­m en hat, seit er aus dem Mut­-
       ter­s choß ge­k ro­c hen ist, wo er jetzt wie­d er liegt.

       Im zwei­t en Teil ver­l iert die In­s ze­n ie­r ung deut­l ich an Tem­p o und Kraft, aber es gibt ja den Tod: die un­ver­-
       gleich­l i­c he Edith Cle­ver. Cle­ver schaut, mit ih­ren nach oben dra­p ier­t en Haar­h ör­n ern, ein we­n ig aus wie ei­-
       ne be­d roh­l i­c he Fee aus ei­n er Dis­n ey-Ver­f il­m ung. Aber deut­l ich und ma­j es­t ä­t isch ru­h ig klin­g en ih­re Wor­t e
       bis in die letz­t en Rei­h en im rie­s i­g en Schau­s piel­h aus. Der Tod drängt, ein bis­s erl was geht ja doch im­m er
       noch, nicht gleich zum Auf­b ruch, er lässt dem Je­d er­m ann sein letz­t es Stünd­c hen, da­m it er ein paar Din­g e
       in Ord­n ung brin­g en kann.

       Es fol­g en Jam­m ern und Zäh­n e­k lap­p ern, das gro­ß e Er­s chre­c ken über das bal­d i­g e En­d e, das ist der Wen­d e­-
       punkt in je­d er In­s ze­n ie­r ung. Ja, der Mann ver­s teht so­wohl was von krän­ken­d en wie von ge­k ränk­t en Män­-
       nern, er be­h errscht das Ma­n i­s che wie das De­p res­s i­ve.

       Von nun an über­n eh­m en die Dä­m o­n en, die Pla­g e­g eis­t er der Ver­g an­g en­h eit. Im­m er­h in ge­währt die Buhl­-
       schaft ih­rem Lieb­h a­b er noch ei­n e letz­t e Run­d e Nar­z iss­t en-Sex, und al­l ein da­f ür hat sich die Ver­p flich­t ung
       der bei­d en Haupt­d ar­s tel­l er ge­l ohnt: Wie Ve­re­n a Al­t en­b er­g er ih­ren tod­g e­weih­t en Lo­ver in den Schwitz­k as­-
       ten nimmt, wie sie ihn noch ein­m al in bes­t er Tan­t ra-Ma­n ier zu Höchst­l eis­t un­g en treibt, und wie sie ihn
       schlie­ß ­l ich sit­z en lässt in sei­n er ro­t en Un­t er­h o­s e, die er fort­a n tra­g en wird – all das ist gar nicht mehr ko­-
       misch, son­d ern er­g rei­fend.

       Am Schluss wird’s dann noch mal sehr ka­t ho­l isch, und die In­s ze­n ie­r ung fällt end­g ül­t ig aus­e in­a n­d er. Die
       gu­t en Wer­ke sind be­l ang­l o­s e Geis­t er in wei­ß en Ge­wän­d ern, der Teu­fel (Ma­v ie Hör­b i­g er) wirkt wie aus ei­-
       nem Bul­ly-Her­b ig-Film ent­l ie­h en. Treu­l o­s ig­keit, Ver­rat und dann plötz­l ich wie­d er Hoff­n ung, Läu­t e­r ung:
       An die­s er Klip­p e sind schon vie­l e Thea­t er­m a­c her ge­s chei­t ert. Ei­d in­g er scheint jetzt fast ab­we­s end, er tau­-
       melt et­was zu mär­t y­rer­h aft dem En­d e ent­g e­g en, die Un­t er­h o­s e hängt schwer durch. Den „Je­d er­m ann“ zu
       ei­n em wür­d e­vol­l en En­d e zu ge­l ei­t en, das wä­re mal ei­n e Meis­t er­l eis­t ung.

       Gro­ß er Ju­b el am Schluss, ver­e in­z el­t e Buhs. Ei­n e Salz­b ur­g e­r in regt sich fürch­t er­l ich auf, „so viel Kitsch an
       ei­n em Abend, wie kann man den Je­d er­m ann so ver­h un­z en“. Ach Gott, so schlimm war’s nicht.Chris­t i­a n
       May­e r

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        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Montag, 19.07.2021

                                        Mild und leise aus der Métro
        Zweierlei Nachtstücke: Das Musikfest in Aix-en-Provence präsentiert Monteverdi
        und Wagners „Tristan und Isolde“ Von Anja-Rosa Thöming, Aix-en-Provence

        Nun, da Himmel und Erde und Wind schwei­gen / Und Schlaf die wilden Tiere und Vögel beru­-
        higt, / führt die Nacht ihren bestirn­ten Wagen auf die Bahn ...“ Die Verse von Fran­ces­co Petrar­ca
        hat Clau­dio Monte­ver­di im sechs­stim­mi­gen Madri­gal mit Instru­men­ten zu einem Gesang tiefer
        Sehn­sucht geformt. Er bildet den Auftakt für ein Nacht­stück, das dem dies­jäh­ri­gen Musik­fest von
        Aix-en-Provence eine aparte Facet­te hinzu­füg­te; von einem ande­ren Nacht­stück, Richard
        Wagners „Tris­tan und Isolde“, soll später die Rede sein.

        Vor dem reizen­den Thea­ter­chen Jeu de Paume aus dem acht­zehn­ten Jahr­hun­dert sammeln sich
        Connais­seu­re (männ­lich, weib­lich, divers) der Alten Musik, um Werke von Monte­ver­di, Caval­li,
        Rossi, Merula aus einer wahr­haft blühen­den Phase musi­ka­li­scher Lyrik und Drama­tik zu hören.
        Die Thema­tik „Nacht, Tod und Trauer“ bedeu­tet keine Eintö­nig­keit der Affek­te, ganz im Gegen­-
        teil. Der musi­ka­li­sche Leiter der Monta­ge, Sébas­ti­en Daucé, hat aus reich­hal­ti­ger baro­cker Lite­ra­-
        tur viel­fäl­ti­ge Kost­bar­kei­ten zusam­men­ge­stellt.

        Da ist die große Szene „Il Combat­ti­men­to di Tancredi e Clor­in­da“ nach Torqua­to Tassos „Das
        befrei­te Jeru­sa­lem“, ein Parforce­ritt großer Emotio­nen in der Musik Monte­ver­dis (1624, gedruckt
        1638). Der Kampf des Kreuz­rit­ters Tank­red mit der in männ­li­cher Rüstung verbor­ge­nen Heidin –
        und Gelieb­ten – Clor­in­da rührte einst das huma­nis­tisch gebil­de­te Publi­kum zu Tränen. Dem
        Bericht­erstat­ter (Testo) kommt die heraus­ra­gen­de Rolle zu, den Instru­men­ten aber die herz­er­-
        grei­fen­de Gestal­tung des Zorns, des Kamp­fes, des Erschre­ckens, des endlich gefun­de­nen Frie­-
        dens.

        Mit lebhaf­ter Dikti­on und klang­voll dunk­ler Stimme erobert sich der Tenor Vale­rio Contal­do die
        Rolle des Testo. Zuerst die feind­se­li­ge Gegen­über­stel­lung der Kontra­hen­ten, dann ein magi­sches
        Inne­hal­ten beim Beschwö­ren der Nacht: „O Nacht, die du im tief dunk­len Innern die Helden­tat
        mit Verges­sen zudeck­test“, einem verzier­ten Gesang, der in seiner Inten­si­tät an Orfeos Singen im
        Ange­sicht der Unter­welt erin­nert. Ihm folgt die gesti­sche Schil­de­rung wüten­der Schwert­hie­be, in
        harten Schlä­gen und schnells­ten Tonre­pe­ti­tio­nen. Erst­mals in der Musik­ge­schich­te setzt Monte­-
        ver­di zur Stei­ge­rung der Drama­tik hefti­ge Pizzi­ca­ti und Tremo­li ein. In der wunder­ba­ren Akus­tik
        des klei­nen Thea­ters ist einem das Ensem­ble Corre­spond­an­ces körper­haft nahe.

        Dem uner­bitt­li­chen Kampf folgt die über­ra­schen­de Wendung: Clor­in­da erbit­tet ster­bend von
        Tancredi das Sakra­ment der Taufe, worauf­hin sie vor Freude lacht und Frie­den findet. Für eine
        säku­la­re Welt­sicht mag dies ein Skan­da­lon sein, daher bietet die Regis­seu­rin Silvia Costa einen
        moder­nen Über­bau an: Black Swan Theory. So bezeich­net die Wirt­schafts­wis­sen­schaft das
        Vorkom­men extrem unwahr­schein­li­cher, auch kata­stro­pha­ler Ereig­nis­se, die zu zeit­wei­sen Para­-
        ly­sen führen. Doch lässt sich solch eine Meta­ebe­ne auf der Thea­ter­büh­ne kaum einlö­sen. Jeden­-
        falls nicht beglei­tet von Requi­si­ten wie Urnen, Kinders­är­gen, Laser­schwer­tern. Die kommen
        gegen die extre­me innere Span­nung nicht an, die so viele Werke des sieb­zehn­ten Jahr­hun­derts
        kenn­zeich­net. Viel besser funk­tio­niert szenisch ein schlich­tes Tableau, in dem die Madri­ga­lis­ten
        in schwar­zem Habit mit alter­tüm­li­chen weißen Kragen singen.

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467327/14                                                                              1/2
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        Die Span­nung zwischen Tod auf der einen und Hoff­nung auf Erlö­sung auf der ande­ren Seite ist
        nicht „histo­risch“, sondern den Werken imma­nent. Tarqui­nio Meru­las geist­li­ches Wiegen­lied
        „Hor ch’è tempo di dormi­re“ ist äußer­lich ein Schlaf­lied über einem wiegen­den Bass aus den zwei
        Tönen einer klei­nen Sekun­de. Doch trägt es den ganzen Schmerz Marias über das Schick­sal ihres
        Kindes, des Erlö­sers, in sich. Wie die Sopra­nis­tin Caro­li­ne Weynants das singt, ist hoch musi­ka­-
        lisch und zugleich ergrei­fend schlicht.

        Als Pierre Audi vor zwei Jahren die Inten­danz in Aix über­nahm, sprach er: „Das Publi­kum sollte
        sich darauf einstel­len, dass das Festi­val ein Ereig­nis ist und nicht die Verlän­ge­rung eines Abend­-
        essens auf einer Land­haus-Terras­se.“ Stehen­de Ovatio­nen und rhyth­mi­sches Klat­schen nach der
        Auffüh­rung von „Tris­tan und Isolde“ im Grand Théât­re de Provence bekräf­ti­gen, dass das Publi­-
        kum sogar bereit war, Richard Wagners Ereig­nis anstel­le des Abend­essens zu schlu­cken. Und das
        lag nicht zuletzt an einer intel­li­gen­ten, zuwei­len ironi­schen Regie, die mit allem Mythen­haf­ten,
        allem Pathos brach.

        Dafür bot die Insze­nie­rung des austra­li­schen Teams – Simon Stone (Regie), Ralph Myers
        (Bühne), Mel Page (Kostü­me) – ein Konzept filmi­scher Bewe­gung, das frap­pie­rend gut zu
        Wagners durch­kom­po­nier­tem Sehnen und Wähnen passte (Film­künst­ler Luke Halls). Schon
        während des Vorspiels läuft auf der Bühne eine Rahmen­hand­lung; Schau­platz ist eine Pent­house-
        Wohnung mit riesi­gen Fens­tern und Blick auf die nächt­li­che Groß­stadt. Nach einer ausge­las­se­nen
        Party bemerkt Isolde, dass Tris­tan sich für eine andere Frau inter­es­siert. Mit Beginn der Hand­-
        lung sugge­rie­ren aufge­wühl­te graue Nord­see­wel­len einen Orts­wech­sel auf ein Schiff und zugleich
        den Blick in Isol­des erreg­tes Inne­res. Das Meer ist fantas­tisch foto­gra­fiert. Später flie­gen Seevö­gel
        durchs Bild, der verhass­te Hafen mit König Marke kommt näher und nach dem Trin­ken des
        Liebes­tranks die blas­sen Lich­ter der Mole.

        Auch im zwei­ten, dem Liebes-Akt, große Atelier-Fens­ter mit stür­mi­schen Wolken, glühen­dem
        Abend­licht, dann flie­gen­de nächt­li­che Wolken im Mond­licht, später die Morgen­däm­me­rung. „O
        sink hernie­der, Nacht der Liebe“ – die von Wagner vorge­ge­be­ne zeit­li­che Bewe­gung findet ihre
        Entspre­chung im filmi­schen Verge­hen von Zeit. Die Bewe­gung fürs Auge tut wohl, sie stellt sich
        den sänge­ri­schen und orches­tra­len Aufschwün­gen zur Seite. Der Clou kommt im drit­ten Akt mit
        dem Wech­sel ins Innere eines Pari­ser Métro-Waggons. Dunkel­heit rast vorbei, dann eine Halte­-
        stel­le „Porte des Lilas“. Ein Stra­ßen­mu­si­ker kommt herein, spielt die trau­ri­ge Weise auf dem
        Englisch­horn. Die ande­ren Passa­gie­re kümmern sich nicht um den deli­rie­ren­den Tris­tan.

        Bei der Stati­on „Hôpi­tal St. Louis“ steigt Isolde ein, etwas Neues bahnt sich an: Mit dem Abge­-
        sang „Mild und leise, wie er lächelt“ entlässt sie Tris­tan aus der Bezie­hung und verlässt bei
        „Châte­let“ gelöst die Métro. Das groß­ar­ti­ge London Sympho­ny Orches­tra spiel­te unter der
        Leitung von Simon Rattle etwas zu laut; Isol­des Liebes­tod geriet ein wenig zu breit, so dass die
        herr­li­che Nina Stemme mehr stem­men musste, weni­ger „schlür­fen“ konnte als gewünscht. Stuart
        Skel­ton schlug sich als Tris­tan bravou­rös.

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467327/14                                                              2/2
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48 KULTUR

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BRIEF AUS DEM FEUILLETON

                                                                                                                                  Aus dem
                                                                                                 eep calm and play Wag-                                                                                                                                                                                                                                                                                                     – theoretisch – diesen Beruf ausüben

DER HOLLYWOODSTAR
                                                                                                 ner Tuba.“ Wer ein T-                                                                                                                                                                                                                                                                                                      können, legte sie los. Ehrgeiz hat sie,
                                                                                                 Shirt mit dieser Auf-                                                                                                                                                                                                                                                                                                      auch wenn man hier ohne Sicherheits-
LÄDT ZUM MITTAGESSEN

                                                                                                                                                                                          Handgelenk
                                                                                                 schrift trägt, hat die                                                                                                                                                                                                                                                                                                     bügel Klangachterbahn fahren muss.
                                                                                                 Ruhe noch lange nicht                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Und dabei auch noch Fernsehkameras
                                                                                                 verloren. So wie Oksa-                                                                                                                                                                                                                                                                                                     zuschauenzuschauen. Der Druck ist rie-
                                                                                                 na Lyniv. Die 43-jährige                                                                                                                                                                                                                                                                                                   sengroß. Sie kann das aushalten. So, wie

Lieber
                                                                               Ukrainerin wird dieses Jahr am traditio-                                                                                                                                                                                                                                                                                                     sie sich bisher in die Belle Etage des
                                                                               nellen Premierentag, dem 25. Juli, als                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Musikbetriebs dirigiert hat. Obwohl sie

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            O
                                                                               Debütantin bei den Bayreuther Fest-                                                                                                                                                                                                                                                                                                          in der postsowjetischen, bankrotten,

George
                                                                               spielen im bis zu 40 Grad heißen Gra-                                                                                                                                                                                                                                                                                                        depressiven Ukraine nicht die besten

                                                                                                                                  Die Ukrainerin Oksana Lyniv steht als erste Frau in Bayreuth
                                                                               ben antreten und zweieinhalb Stunden                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Startchancen hatte.
                                                                               den „Fliegenden Holländer“ dirigieren,

Clooney,                                                                                                                          im Graben. Dort dirigiert sie nächste Woche den „Fliegenden
                                                                               vor ihr die Streicher mit FFP2-Masken.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                ksana Lyniv wurde 1978 als Mu-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     sikerkind in der Kleinstadt Bro-

                                                                                                                                  Holländer“. Ein Porträt
                                                                                           VON MANUEL BRUG                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           dy geboren, übte sich in Ge-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            sang, Flöte, Klavier und Geige, wurde
                                                                                  Coronabedingt ist diesen Sommer                                                                                                                                                                                                                                                                                                           ausgebildet in Lemberg, heute Lviv, wo
                                                                               auch bei den Wagner-Festspielen, die                                                                                                                                                                                                                                                                                                         sie jetzt mit einem dem hier gestorbe-
                                                                               letztes Jahr komplett abgesagt wurden,                                                                                                                                                                                                                                                                                                       nen Mozart-Sohn Franz Xaver gewid-
                                                                               einiges anders. „Es gibt dieses Jahr zwei                                                                                                                                                                                                                                                                                                    meten Festival samt Nachwuchsorches-
                                                                               Orchester, die jeweils separat einen Teil                                                                                                                                                                                                                                                                                                    ter alljährlich etwas zurückgeben will.
                                                                               der Werke spielen“, erklärt Lyniv. „Und                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Sie hat ihre Chancen genutzt – und sich
                                    PICTURE ALLIANCE/DPA/PA WIRE/IAN WEST

                                                                               ich muss in dieser besonderen Akustik                                                                                                                                                                                                                                                                                                        gen Westen orientiert. Was trotzdem
                                                                               mit ihrem ganz eigenen Nachhall nicht                                                                                                                                                                                                                                                                                                        dauerte, doch hat sie im Osten alles mit-
                                                                               nur meine tollen Musiker aus 40 ver-                                                                                                                                                                                                                                                                                                         genommen, was wichtig war, besonders
                                                                               schiedenen Orchestern, die alle ihren                                                                                                                                                                                                                                                                                                        die Jahre als Ballettdirigentin an der
                                                                               Wagner wie im Schlaf draufhaben, mit                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Oper in Odessa.
                                                                               den Sängern koordinieren, sondern                                                                                                                                                                                                                                                                                                               2004 gewann sie den dritten Preis
                                                                               auch mit dem Chor, der diesmal aus                                                                                                                                                                                                                                                                                                           beim ersten Bamberger Mahler-Diri-
                                                                               dem Probenraum zugespielt wird.“ Auf                                                                                                                                                                                                                                                                                                         gierwettbewerb. Von dem Preisgeld hat
                                                                               der Bühne seien zwar auch Choristen,                                                                                                                                                                                                                                                                                                         sie sich nicht Partituren, sondern einen
                                                                               aber die agierten nur stumm. Die ande-                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Computer gekauft. Im Westen hat Ok-
                                                                               re Hälfte sitze im surreal anmutenden,                                                                                                                                                                                                                                                                                                       sana Lyniv nach einer Assistenzzeit in
man weiß einiges von Ihnen: Sie                                                mit Plexiglaswänden käfigartig unter-                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Bamberg in Dresden mit einem DAAD-
wollten mal Baseball-Profi werden,                                             teilten Übungsraum: „Das funktioniert                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Stipendium weiterstudiert. Und zu
über Ihren Cousin fünften Grades                                               erstaunlich gut.“                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Hause dirigiert. Später hat sie sich be-
sind Sie mit Abraham Lincoln ver-                                                 Sie hatte „Schlimmstes befürchtet“.                                                                                                                                                                                                                                                                                                       wusst und klug, obwohl längst Profi,
wandt, und Sie haben als Journalist                                            Und fühlt sich nun ausgesprochen ge-                                                                                                                                                                                                                                                                                                         nochmals zurückgenommen, und ergat-
angefangen. Ihr Lieblingsessen aber                                            löst. „Ich habe so viele bekannte Ge-                                                                                                                                                                                                                                                                                                        terte ab 2013 den Assistenzposten bei
ist ein Rätsel. Das könnte sich bald                                           sichter aus verschiedenen Klangkör-                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Kirill Petrenko an der Bayerischen
ändern.                                                                        pern getroffen. Meine drei Assistenten                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Staatsoper.
   Denn zurzeit gehen Sie bei Face-                                            und Studienleiter sind super, deren Er-                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Hier konnte sie sich an einem ersten
book und Instagram mit dem Ange-                                               fahrung vertraue ich.“ So seltsam es                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Haus bewähren, wo sie später auch für
bot hausieren, den Gewinner einer                                              klinge, es habe sich ausgezahlt, in den                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Premieren wieder eingeladen wurde.
Online-Tombola in Ihre Villa am Co-                                            letzten zwei Jahren als freie Dirigentin                                                                                                                                                                                                                                                                                                     2017 wurde sie Generalmusikdirektorin
mer See einzuladen und mit ihm ihre                                            verstärkt sinfonische Werke gespielt zu                                                                                                                                                                                                                                                                                                      in Graz, aber nur für drei Jahre, längst
„liebsten lokalen Spezialitäten“ zu                                            haben. Bei Gastkonzerten müsse man                                                                                                                                                                                                                                                                                                           rief die große Opern- und Orchester-

                                                                               I
kosten. Abends muss der Gast aber                                              sich schnell finden, sagt Lyniv, man ha-                                                                                                                                                                                                                                                                                                     welt nach ihr. Petrenko hat Lyniv auch
schon wieder gehen, in sein eigenes                                            be viel weniger Verständigungszeit als                                                                                                                                                                                                                                                                                                       in dessen Bayreuther „Ring“-Jahren be-
Viersternehotel, in dem es, nebst                                              in der Oper.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 sucht. Sie durfte damals auch im Or-
Flug, eine Übernachtung zu gewin-                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           chestergraben mithören. So, wie sie
nen gibt. Das wirkt, ehrlich gesagt,                                              n Bayreuth ist die Probenzeit für eine                                                                                                                                                                                                                                                                                                    jetzt in den „Walküre“-Proben bei Pie-
wie ein kleiner Makel in Ihrer Gast-                                              Premiere knapp bemessen. Einmal                                                                                                                                                                                                                                                                                                           tari Inkinen lauscht, dem anderen, letz-
freundschaft. Denn Ihre Villa Olean-                                              hat Oksana Lyniv bisher Richard                                                                                                                                                                                                                                                                                                           tes Jahr pandemisch ausgebremsten Di-
dra in Laglio am Westufer des Sees                                             Wagners erste, von ihm selbst in den                                                                                                                                                                                                                                                                                                         rigierdebütanten.
hat 25 Zimmer. Da sollte doch neben                                            Werkkanon aufgenommene Oper diri-                                                                                                                                                                                                                                                                                                               „Ich musiziere in größeren Abschnit-
Ihrer Frau Amal und den Zwillingen                                             giert, an der spanischen Wagner-Hoch-                                                                                                                                                                                                                                                                                                        ten durch“, sagt sie, „auch wenn ich
(gerade vier geworden) noch irgend-                                            burg, dem Teatro de Liceu in Barcelona:                                                                                                                                                                                                                                                                                                      manchmal selbst noch das Tempo ver-
ein Heini Platz finden, der in der On-                                         „Da hatte ich Angst, die Sänger zuzude-                                                                                                                                                                                                                                                                                                      fehle, um diese Partitur mit ihren Um-
line-Lotterie das große Los gezogen                                            cken, hier muss ich aufpassen, dass ich                                                                                                                                                                                                                                                                                                      schwüngen und Tempowechseln in den
hat. Aber gut, Ihr Spiel, Ihre Regeln.                                         nicht schleppe, dass alle zusammen                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Griff zu bekommen. Als Frühwerk ist
   Auf den Kampagnenfotos halten                                               sind, obwohl ich es selbst da unten, am                                                                                                                                                                                                                                                                                                      der ,Holländer‘ ja besonders schwer
Sie zwei selbstgemalte Schilder in                                             Zentralpunkt des musikalischen Ge-                                                                                                                                                                                                                                                                                                           hier.“ Sie lese gerade die Heine-Vorlage,
der Hand: „Lasst uns feiern!“, steht                                           tümmels, gar nicht richtig hören kann.“                                                                                                                                                                                                                                                                                                      die sei sehr humorvoll. Auch Wagner
drauf, und: „Besucht uns in Italien!“                                             Da unten, im mystischen, weil nicht                                                                                                                                                                                                                                                                                                       habe einiges von diesem Humor dem

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      VIKTOR ANDRIICHENKO
Dabei tragen Sie Lederjacke und bli-                                           einsichtigen Abgrund, wo es stickig und                                                                                                                                                                                                                                                                                                      düsteren Stück beigemischt. „Es geht
cken etwas ratlos drein – noch nicht                                           schwitzig ist. Das war bisher eine abso-                                                                                                                                                                                                                                                                                                     wie Wasser, aber es braucht Feuer, um
gerade Dolce Vita, wenn Sie mich                                               lute Männerdomäne. Nur wenige Frau-                                                                                                                                                                                                                                                                                                          pointierte Akzente setzen zu können.
fragen. Aber das kann ja noch kom-                                             en spielen im Orchester, obwohl das                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Es gibt keine Götter, keinen mystischen
men. Die Erlöse der Tombola mit Ih-                                            ausdrücklich erwünscht ist. Bayreuth,                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Klang. Es geht um Menschen, in allen
nen und Amal als Hauptpreis gehen                                              in der Leitung durchaus ein Hort der                                                                                                                                                                                                                                                                                                         möglichen Facetten, bis hin zum Volks-
an Ihre eigene Stiftung für Men-                                               willensstarken Damen und Walküren-                                                                                                                                                              Gute Nerven und feines                                                                                                                       tümlichen. Ich will das nahe ans Leben
schenrechte.                                                                   felsen, von Meisterwitwe Cosima über                                                                                                                                                            Gespür: Oksana Lyniv                                                                                                                         hinführen.“
   Gewinnen kann im Prinzip jeder,                                             Hitler-Freundin Winifred bis zu den          will. Und die jetzt in Bayreuth zeigen                                                                                                                                                                                             ter, in jeweils eigenen Blasen mit je spe-                      Oksana Lyniv hat gute Nerven und
nur Kanadier müssen eine knifflige                                             beiden halb schwesterlichen Urenkelin-       will, dass sie es im Handgelenk hat.                                                                                                                                                                                               ziellen Garderoben, Auftrittswegen                           ein feines musikalisches Gespür, über-
Matheaufgabe lösen, weil ihre Regie-                                           nen Eva und Katharina, von denen seit        Egal, ob das weiblich oder männlich ist.                                                                                fanden keinen Draht zum Orchester,                                                                         und Aufenthaltsräumen vonstattenge-                          zeugt mit Charme, kann sich notfalls
rung reine Glücksspiele verbietet.                                             2015 nur noch Katharina über den Hügel       Denn auf diesem Ticket wollte sie noch                                                                                  das durchaus mit sicherer Hand geführt                                                                     hen muss: „Uns vereint vor allem die                         aber auch mit anderen Mitteln durch-
Merke: Auch der Weg zu einem Vitel-                                            herrscht, hat nun – das auch noch und        nie reisen.                                                                                                             werden will. Ihr Repertoire kennen die-                                                                    Musik“, sagt Lyniv.                                          setzen. Sie ist eine zupackende, dabei
lo tonnato (mein Tipp!) kann zuwei-                                            endlich – nach 145 Festspieljahren erst-       Selbst Größen wie Georg Solti,                                                                                        se Musiker, sie wollen gefordert werden                                                                       Bayreuth ist der Ritterschlag im                          stets gekonnt gliedernde Dirigentin, die
len steinig sein.                                                              mals eine Dirigentin am Pult.                Christoph Eschenbach, Thomas Hen-                                                                                       und gleichzeitig eine gute Ferienzeit                                                                      Opernbetrieb. Oksana Lyniv will Ritte-                       dabei immer auch die Sänger atmend
                                                                                  Und auch das ist eben nun diese zier-     gelbrock oder Valery Gergiev sind an                                                                                    haben. Das muss man ausbalancieren                                                                         rin werden. Früher dachte sie: Dirigie-                      unterstützt. So bewahrt sie die Ruhe,
Schönen Sommer,                                                                liche, aber sehr zähe, durchsetzungsfä-      diesen extrem speziellen Klangmi-                                                                                       können. Besonders diesen Sommer, wo                                                                        ren, das ist wie Armeedienst, nur für                        trotz Wagner-Wahn. Und natürlich
Ihr Jan Küveler                                                                hige Ukrainerin, die genau weiß, was sie     schungsverhältnissen gescheitert. Oder                                                                                  hier alles viel weniger familiär, isolier-                                                                 Männer. Als sie hörte, dass auch Frauen                      auch ohne Tuba.

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                                                                                                                      EINE KLASSIK FÜR SICH
                                                           KRYSTIAN ZIMERMAN                                                  BOMSORI                                                                                                                                                                                                                           ALBRECHT MAYER
                                                                            SIMON RATTLE · LONDON SYMPHONY ORCHESTRA
                                                                                                                              VIOLIN ON STAGE                                                                                                                                                                                                                   MOZART
                                   BEETHOVEN: COMPLETE
                                                                                                                              ORIGINALWERKE UND ARRANGEMENTS                                                                                                                                                                                                    »WAS
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                »W
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 WAS MAY   A E ER
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                R AN TO
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      T NS
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         NSCH
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            CHÖN
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            CH ÖNNHE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   H ITT,
                                       PIANO CONCERTOS                                                                        FÜR VIOLINE UND ORCHESTER                                                                                                                                                                                                         MUUSI
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    S IK
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       KAALLIISC
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              SCHE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               CHE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 H R GE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      G ST
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         STAL
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           ALLTU
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           A  T NG
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 NGSKSK
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      KRA AFT
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            FT
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                U D TE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                UN     TECH
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          C NI
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          CH   N SC
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 SCHE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    HE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    H ER PE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         P RF
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           RFEK K TI
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  T ON
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     O HÖR Ö ENE
                                                                                          »HISTORY IN THE MAKING«             VON TCHAIKOWSKY, GLUCK, MASSENET,                                                                                                                                                                                                 L ÄSS
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                LÄ SST,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   SST,T, IS
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           STT EIN
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 NFA
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   FACH
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      CH UMW
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      CH   M ER  RFE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  F NDND.«
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         .«
                                                                                                             THE TIMES        SAINT-SAËNS, WIENIAWSKI                                                                                                                                                                                                           STE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  EREO
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    R O
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    RE

                                                                                             WWW.KRYSTIAN-ZIMERMAN.DE         WWW.BOMSORI.DE                                                                                                                                                                                                                    WWW
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 W W.AL
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           CHT-MA
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           CH
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               MA YER
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  YER.DE
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                                                                                                                     JETZT ÜBERALL IM HANDEL — ALS CD / DOWNLOAD / STREAM

                                                                                                                                       © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
PRESS REVIEW Monday, July 19, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
19.7.2021                                             https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467317/12

        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Samstag, 17.07.2021

                                  Rebhühner kommen auch drin vor
            Die Kissinger Liederwerkstatt huldigt mit Uraufführungen noch einmal auf witzig-kluge Weise
                                                      Beethoven

        Es sei „ein freund­li­ches, sehr arti­ges Lied­chen, äußerst leicht und gefäl­lig für zwei Sing­stim­men
        und das Piano­for­te gesetzt“, heißt es 1817 in einer Anzei­ge in der Allge­mei­nen Musik­zei­tung über
        Ludwig van Beet­ho­vens „Merken­stein“ op. 100. Dass dieses Lied­chen heute kaum mehr bekannt
        ist, verwun­dert nicht – schlie­ß­lich haben Beet­ho­vens Lieder, von Ausnah­men wie dem Zyklus „An
        die ferne Gelieb­te“ oder „Adelai­de“ einmal abge­se­hen, ohne­hin einen schwe­ren Stand. Wer es
        nicht besser weiß, könnte auf die etwas verwe­ge­ne Idee kommen, es wäre für die Lieder­werk­statt
        des Kissin­ger Sommers ergie­bi­ger gewe­sen, wenn 2020 ein Schu­bert- oder immer­hin ein Schu­-
        mann-Jahr gewe­sen wäre. Dann hätte man problem­los aus dem Vollen schöp­fen können.

        Doch auch Bad Kissin­gen möchte Beet­ho­ven noch gratu­lie­ren, nach­dem im vergan­ge­nen Jahr die
        Pande­mie alle Feier­lich­kei­ten verhin­dert hatte. Im Gegen­satz zu vielen ande­ren Klas­sik­fes­ti­vals
        setzt man im unter­frän­ki­schen Kurort ganz aufs analo­ge Kunst-Erle­ben, das in diesem Jahr
        wieder vor Publi­kum möglich war, und verzich­te­te auf digi­ta­len Ersatz. Auch wenn die Lieder­-
        werk­statt 2021 klei­ner ausfiel als in den Jahren zuvor, brach­te sie doch fünf stilis­tisch viel­fäl­ti­ge
        Urauf­füh­run­gen von zeit­ge­nös­si­schen Kompo­nis­ten: Manfred Trojahn, Alex­an­dra Filo­nen­ko,
        José María Sánchez-Verdú, Ann Cleare und Stef­fen Schlei­er­ma­cher.

        Wie schon 2019 geht es um das Verhält­nis von Kunst und Natur. „In der wahren Kunst ist auch
        immer die Natur hervor­ste­chend“, schrieb Beet­ho­ven im Jahr 1825 dem Fürs­ten Niko­laus Galit­-
        zin, was man in „Adelai­de“ oder dem „Wach­tel­schlag“ auch zu hören bekommt. In „Merken­stein“
        wird die namens­ge­ben­de Ruine einer nieder­ös­ter­rei­chi­schen Burg in der Nähe von Bad Vöslau
        besun­gen, der Beet­ho­ven zwei Lieder zudach­te. Die betei­lig­ten Sänger der Lieder­werk­statt flöten
        das Eingangs­mo­tiv, wie es im Text heißt, „wie hell im Busch die Amsel“. Allein für sich ist das
        Lied kaum mehr als eine etwas schrul­li­ge Rari­tät, man sollte die Rech­nung aber nicht ohne Stef­-
        fen Schlei­er­ma­cher machen. In „Besich­ti­gung nur von außen möglich“, das Lied als Vorla­ge
        nutzend, bröckelt das Idyll wie eine Ruine, und mysti­sche Schwa­den legen sich über das in neuem
        Kontext doch nicht mehr so fried­vol­le Lied­chen. Histo­ri­sche Texte werden dabei kunst- wie
        humor­voll in das neue Ganze hinein­ge­webt. Was man aus „Merken­stein“ alles heraus­ho­len kann!

        Während Schlei­er­ma­cher Beet­ho­ven weiter­kom­po­nier­te, suchte sich Alex­an­dra Filo­nen­ko für den
        Zyklus „Zu Ferne Hermi­ne/Zeit der Gezei­ten“ ihre Texte selbst zusam­men. Im rhyth­misch getrie­-
        be­nen Sprech­ge­sang gibt es keine Unter­schei­dung mehr zwischen Spre­chen und Singen. Einzel­ne
        Momen­te werden zu drama­ti­schen Höhe­punk­ten, das Klavier spricht schroff dazu. Den Beet­ho­-
        ven-Bezug stellt ein Zitat aus dem lang­sa­men Satz einer Klavier­so­na­te her, was irri­tie­ren­der­wei­se
        mit einem schlag­ar­ti­gen Wech­sel der Klang­spra­che ins Tonale einher­geht.

        Im Gegen­satz zu Schlei­er­ma­cher und Filo­nen­ko lässt sich in José María Sánchez-Verdús „Y
        siemp­re después el viento“ (Und immer nach dem Wind) nach Texten von Hugo Mujica kaum ein
        Beet­ho­ven-Bezug ausma­chen. Die fünf dich­ten Minia­tu­ren geben ein gutes Beispiel dafür, wie
        man mit wenig Mate­ri­al viel zum Ausdruck brin­gen kann. Axel Bauni, künst­le­ri­scher Leiter der
        Lieder­werk­statt und gemein­sam mit Jan Philip Schul­ze für die Klavier­be­glei­tung zustän­dig, hat
        sicht­lich Freude daran, die komple­xen Varia­ti­ons­struk­tu­ren hörbar zu machen.

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467317/12                                                                               1/2
19.7.2021                                             https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467317/12

        Wie schon in den vergan­ge­nen Jahren zeig­ten sich mit Sarah Aris­ti­dou, Ekate­ri­na Chayka-Rubin­-
        stein und Julian Frei­bott junge Stim­men, die die von Bauni kunst­voll geschnei­der­ten, mit inter­-
        tex­tu­el­len Bezü­gen und Leit­mo­ti­ven gespick­ten Program­me bei sehr wenig Vorlauf­zeit und in
        gemein­sa­mer Arbeit mit den Kompo­nis­ten einstu­dier­ten. Frei­bott schlüpft mit seinem beweg­li­-
        chen, schlan­ken Tenor als wandel­ba­rer Geschich­ten­er­zäh­ler viel­fäl­tig in Rollen, erweckt etwa
        Beet­ho­vens Lied „Der Kuss“ aus zwei Blick­win­keln spie­le­risch zum Leben. Aris­ti­dou singt Beet­ho­-
        vens „Wach­tel­schlag“ wie eine kleine Opern­sze­ne, rezi­ta­ti­visch vom Klavier beglei­tet. Und
        Chayka-Rubin­stein bringt Ann Clea­res skur­ril in irischer Mytho­lo­gie zwischen Rebhüh­nern und
        Moor­me­di­zin mäan­dern­des „Tintrí“ mit star­ken Klang­bil­dern zur Urauf­füh­rung. Trojahn, neben
        Schlei­er­ma­cher der zweite Stamm­gast auf Kompo­nis­ten­sei­te, präsen­tier­te sich mit „Rufe von
        Amseln im Schnee“ – beschleu­ni­gend, dann in Pausen zurück­fal­lend – als klang­stil­si­che­rer
        Atmo­sphä­ren­schöp­fer. In „Vorabend“ trop­fen die Töne nur so aus dem Klavier.

        Seit nunmehr fünf­zehn Jahren ist die Lieder­werk­statt eine erfreu­li­che Konstan­te im Kissin­ger
        Festi­val­pro­gramm, weil hier, in aller Beschau­lich­keit und geför­dert von der Anton und Katha­ri­na
        Schick Stif­tung, dem zeit­ge­nös­si­schen Kunst­lied eine kleine, aber exzel­len­te Bühne berei­tet wird
        – etwas über­ra­schend zwischen den vielen Stars der Klas­sik­welt, die im benach­bar­ten Max-Litt­-
        mann-Saal gastie­ren. Jahr für Jahr liefert man so Vorbil­der und Inspi­ra­tio­nen für einen moder­-
        nen Lieder­abend, bei dem neue Erzähl­zu­sam­men­hän­ge geschaf­fen werden. Nach dem letz­ten
        Festi­val­jahr unter der Inten­danz von Tilman Schlömp, dessen Vertrag nicht verlän­gert wurde und
        dem Alex­an­der Stein­beis folgt, wird sich künf­tig zeigen, wie sehr in Bad Kissin­gen dem massen­-
        taug­li­che­ren Schö­nen und Gefäl­li­gen weiter­hin das Beson­de­re entge­gen­ge­hal­ten wird. Das findet
        man verläss­lich bei der Lieder­werk­statt. Jesper Klein

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467317/12                                                           2/2
46 KULTUR                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 WELT AM SONNTAG              NR. 29                         18. JULI 2021

Trumm mit Tapetentür                                                                                                                                                                             BILDBETRACHTUNG
In Berlin öffnet das sagenhaft teure Humboldt

N
Forum. Ist es auch sagenhaft gut?

        ach gut acht Jahren Bauzeit                                                 Beinahe alles in „Berlin Global“ ist ir-
        und immer neuen Verzöge-                                                    gendwie interaktiv, es gibt viele Bild-
        rungen ist Berlin vom 20. Juli                                              schirmsäulen und kleine, schlaue Arm-
an um eine Kulturinstitution reicher.                                               bänder, die die eigenen Entscheidun-
Das Humboldt Forum öffnet seine Tü-                                                 gen für oder gegen bestimmte Phrasen
ren für Besucher. Sechs Ausstellungen                                               innerhalb der Ausstellung archivieren
auf zwei von drei Etagen, die übrigen                                               und auswerten (ohne jeden Erkennt-
folgen im September. Soll man sich                                                  nisgewinn). Man erfährt viel, manches
freuen? Klares Jein.                                                                ist gelungen, aber vor lauter Gimmicks
                                                                                    weiß man am Ende nicht, worüber man
          VON BORIS POFALLA                                                         nun eigentlich nachdenken soll.
                                                                                       Das ist ein Grundproblem des
   Abgesehen von den penibel rekon-                                                 Humboldt Forums. Der Kaiser musste
struierten Barockfassaden Andreas                                                   in seinem Schloss ja bloß wohnen, wir
Schlüters, besitzt das Trumm an der                                                 sollen in dessen Nachbau ständig die
Spree den Charme eines verkehrs-                                                    Welt hinterfragen. Den europäischen
günstig gelegenen Kettenhotels. Seine                                               Kolonialismus etwa, dessen Beute hier
Errichtung hat 680 Millionen Euro ge-                                               versammelt wird. Die ethnologischen
kostet – mit dieser Summe hätte man                                                 Sammlungen mit ihren Südseebooten
70 Jahre lang den Ausstellungsetat der                                              und Benin-Bronzen öffnen wie gesagt
Staatlichen Museen zu Berlin verdop-                                                erst im Herbst, debattiert wird aber
peln können. Der Eintritt wird die ers-                                             längst, die Akteure hinken dem Dis-
ten 100 Tage lang frei sein – dieses                                                kurs seit Jahren hinterher. Mit
spendable Angebot wird andere Berli-                                                „Schrecklich schön“, einer Schau über
ner Häuser noch viele Besucher kos-                                                 Elfenbein, soll jetzt der Paukenschlag
ten, und das in Krisenzeiten. Da hilft                                              gelingen. Wie dieser Paukenschlag
es auch nicht, dass sie einen Sonntag                                               aussieht, darüber darf man am Sonn-
im Monat ebenfalls freien Eintritt an-                                              tag vorher nichts schreiben. Eine so-
bieten.                                                                             genannte Sperrfrist gilt, obwohl der
                                                                                    zugehörige Katalog mit allen Informa-
                                                                                    tionen seit Wochen im Buchhandel
                                                                                    liegt. Es ist ein Sinnbild für den Kampf
                                                                                    des Forums um seine eigene Deutung.
                                      HUMBOLDT UNIVERSITÄT ZU BERLIN/PHILIPP PLUM

                                                                                    Das Problem ist: Bisher hat sich das
                                                                                    Warten nicht gelohnt. Im Inneren
                                                                                    wurde es ja auch nicht besser, als Fran-
                                                                                    co Stellas zeitgenössische Fassade
                                                                                    zum Alexanderplatz hin versprach.
                                                                                       Der Barock strahlt, doch alles Zeit-
                                                                                    genössische erscheint kantig und seri-
                                                                                    ell, „leblose Schematik“ attestiert ein
                                                                                    am Projekt Beteiligter. Aber es hilft
                                                                                    nichts, man muss den Kasten mit Le-
                                                                                    ben füllen. Am besten gelingt das bis-
Die Humboldts hätten das Humboldt                                                   lang der Humboldt-Universität, die
Labor geliebt                                                                       gerade mal zweieinhalb Prozent der
                                                                                    Flächen nutzt. Das sogenannte „Hum-
   Nein, das Humboldt Forum löst                                                    boldt Labor“ aktiviert die enormen
kein einziges Problem in der deut-                                                  Sammlungen der Universität, um zu
schen Hauptstadt. In Berlin wird gern                                               vermitteln, worum es bei den namens-
mit Welterbe und Neubauten ge-                                                      gebenden Humboldt-Brüdern Wil-
protzt, aber die operativen Museums-                                                helm und Alexander denn eigentlich
etats sind lächerlich, Ausstellungen                                                ging und in der Wissenschaft heute                                                                                                  Der Regisseur Wes Anderson ist dafür                                                                                                                                Meme, dem mit ironischen Bildunterschrif-                     Benveniste verglich sie mit „Williamsburg,
von Weltrang finden kaum mehr statt,                                                auch immer noch geht: um Erkennt-                                                                                                   berühmt, dass in seinen Filmen fast jede                                                                                                                            ten jeweils neue Bedeutungen unterlegt                        Upper West Side, Upper East Side, New
wie es der Wissenschaftsrat erst kürz-                                              nis, nicht um Repräsentation. Die                                                                                                   Einstellung aussieht wie ein Wimmelbild,                                                                                                                            wurden. Am naheliegendsten war noch, die                      Jersey.“ Journalisten dürfte besonders
lich bestätigte. Die hoch qualifizierten                                            Ideenwerkstatt mit ihren völlig unter-                                                                                              ein Gemälde oder eine surrealistische Fo-                                                                                                                           Kleidung verschiedenen Stilen sozialer                        deprimiert haben, was dem amerikanischen
Kuratoren, die in Berlins Museen die                                                schiedlichen Exponaten aus Kunst,                                                                                                   tografie. Beim Filmfestival in Cannes ha-                                                                                                                           Netzwerke zuzuordnen: „TikTok, LinkedIn,                      Tech-Reporter Jon Chrstian dazu einfiel:
inhaltliche Arbeit tun, vergeuden ihre                                              Natur und Wissenschaft hat etwas von                                                                                                ben er und seine Darsteller jetzt bewiesen,                                                                                                                         Instagram, Facebook.“ Ein Fan der legendä-                    „Fünf Jahre im Journalismus, zehn Jahre
Zeit mit sechsfachen Angebotseinho-                                                 der feudalen Kunstkammer, die einst                                                                                                 dass sie spielend solche ikonischen Effekte                                                                                                                         ren Westernserie „Bonanza“ schrieb:                           im Journalismus, 15 Jahre im Journalismus,
lungen für jede Vitrine und anderem                                                 im alten Schloss existierte, und ist                                                                                                auch abseits der Kinoleinwand erzielen                                                                                                                              „Adam Cartwright, Joe Cartwrigth, Ben                         20 Jahre im Journalismus.“ Das Beste an
Papierkram, für den es anderswo pro-                                                doch ganz zeitgenössisch und flexibel.                                                                                              können – einfach, indem sie sich neben-                                                                                                                             Cartwright, Hoss Cartwright.“ Manche                          Twitter & Co ist dann aber doch immer der
fessionelles Personal gibt. Wie man                                                 Bei Bedarf verschwinden die Acryl-                                                                                                  einanderstellen. Das Foto, auf dem Timot-                                                                                                                           setzte die vier Abgebildeten mit evangeli-                    nerdige Spezialistenhumor. Beispielhaft
hört, wird es nicht besser, sondern im-                                             glas-Vitrinen motorisiert an der De-                                                                                                hee Chalamet, Anderson, Tilda Swinton                                                                                                                               schen Theologen gleich, andere mit ver-                       dafür der Experte für seltene Bücher, der
mer schlimmer.                                                                      cke, um Veranstaltungen Platz zu ma-                                                                                                und Bill Murray in recht unterschiedlichen                                                                                                                          schiedenen Fraktionen der britischen To-                      den Twitter-Account „Incunabula“ betreibt
   Aber das sind die Mühen der Ebene.                                               chen. Studenten sind an der sich ver-                                                                                               Outfits (auf Englisch war von „mismat-                                                                                                                              ries. Ein Geschichtskenner ordnete sie den                    und der die vier mit Schriften des Mittel-
Das Humboldt Forum ist von Anfang                                                   ändernden Schau ebenso beteiligt wie                                                                                                ched“ die Rede) nebeneinanderstehen, ist                                                                                                                            Alliierten im Zweiten Weltkrieg zu: „De                       alters verglich: „Humanistische Schrift,
an Chefsache gewesen, ein Prestige-                                                 internationale Forscher, die auf einer                                                                                              in dieser Woche im Internet geradezu ex-                                                                                                                            Gaulle, Roosevelt, Stalin, Churchill“. Die                    langobardische Schrift, karolingische Mi-
projekt des deutschen Staates und das                                               Videowand von ihrer Arbeit berichten.                                                                                               plodiert. Es wurde ganz schnell zu einem                                                                                                                            New Yorker Wirtschaftsjournalistin Alexis                     nuskel, merowingische Schrift“.           mh
Lieblingskind seiner Kulturstaatsmi-                                                Die Öffnungszeiten des Gesamtfo-
                                                                                                                                           STEPHANE CARDINALE - CORBIS/CORBIS VIA GETTY IMAGES

nisterin Monika Grütters. Erst kam                                                  rums, erklärt der verantwortliche Ku-
die Hülle, dann der Zweck, ein fataler                                              rator Gorch Pieken, flexibilisiert man
Fehler bei jedem Neubau. Vier Nutzer                                                durch einen separaten Nebeneingang.
arbeiten nun nebeneinander her: die                                                 Anstatt durch das pompöse Eosander-
Stiftung Humboldt Forum als Haus-                                                   Portal unter der Kuppel zu schreiten,
herrin, Berlins Stadtmuseum, die                                                    wird man als Humboldt-Labor-Besu-
Humboldt-Universität und die Staatli-                                               cher auch spätabends noch durch ei-
chen zu Museen zu Berlin mit ihren                                                  nen bescheideneren Eingang schlüp-
ethnologischen Sammlungen.                                                          fen können, um etwa live einen Satelli-
   „Berlin Global“ nennt sich der Bei-                                              tenstart zu verfolgen oder eine Dis-
trag des Stadtmuseums. Er beginnt                                                   kussion unter Molekularbiologen. Ale-
mit einem bunten, hässlichen Wandge-                                                xander und Wilhelm, so viel ist sicher,
mälde voller postkolonialem Kitsch.                                                 hätten die Tapetentür gewählt.

KURZKRITIKEN

„FAST AND FURIOUS 9“                                                                 „ALLAHS KARAWANE“                                                                               „LIEDER“                                                                                                                     „MORDCLUB“                                                                                                      „FOR FREE“                                „VOM GEHEN IM KARST“
FILM                                                                                 SACHBUCH                                                                                        KLASSIK                                                                                                                      KRIMI                                                                                                           FOLKROCK                                  LANDSCHAFTSKUNDE
Je mehr PS, desto länger der Brems-                                                  Dass bei Islam viele nur an Salafis-                                                            Brände haben ja in Thüringen apoka-                                                                                          Wie Krimiautoren ihr Spitzenperso-                                                                              Im August wird David Crosby 80. Es        Endlich gibt es bei Matthes & Seitz
weg. Diese Faustregel von der Straße                                                 mus, Kopftuch und Scharia denken,                                                               lyptische Tradition. Manchmal ver-                                                                                           nal aussuchen, grenzt ja schon an Al-                                                                           werden zurzeit viele Musiker seiner       auch ein ultimatives Buch über porö-
gilt auch in Hollywood. Nach dem Tod                                                 liegt an der Macht eines rigiden Is-                                                            wischten sie die Spur von einem Gro-                                                                                         tersdiskriminierung. Wer Verbrecher                                                                             Generation so alt, wie sie es, als sie    ses Gestein. Essayistisch verträumt
von Paul Walker ging der Franchise                                                   lam, der sich weltweit immer weiter                                                             ßen war, der heute noch ein Großer                                                                                           jagt, muss restmobil sein. Das sind                                                                             jung waren, nie werden wollten.           durchstreift Jan Röhnert Kalkland-
„Fast & Furious“ mit Highspeed wei-                                                  verbreitet. Susanne Schröter, Eth-                                                              sein könnte. Philipp Heinrich Erle-                                                                                          Joyce, Ibrahim, Ron und Elizabeth in                                                                            Crosby hat selbst nicht wenig dafür       schaften in Europa. Von den Stein-
ter. Kritiker raufen sich die Haare,                                                 nologin an der Uni Frankfurt, lenkt                                                             bach ist einer von ihnen. Könnte                                                                                             Cooper Chase, „Englands erstem Lu-                                                                              getan. Aber der ganze Sündenstolz,        brüchen seiner Thüringer Kindheit
doch der sensationelle Erfolg gibt den                                               in ihrer 200-seitigen Reise durch das                                                           heute sein, was Telemann ist. Mehr                                                                                           xus-Resort für Senioren“ gerade                                                                                 der Drogenheroismus und die Rebel-        führt die Reise über die Südharzklip-
Asphaltjunkies recht. Insgesamt spiel-                                               islamische Multiversum (C.H. Beck)                                                              als tausend Werke hat der gebürtige                                                                                          noch so. Sie treffen sich donnerstags                                                                           lionen des vergangenen Jahrhun-           pen und das französische Zentral-
te die Reihe knapp vier Millarden Dol-                                               den Blick auf eine Vielfalt, die es zu                                                          Ostfriese hinterlassen, nach 56 Le-                                                                                          bei Cracker und Gin Tonic und lösen                                                                             derts sind längst Folklore. Und so        massiv bis zum Küstenkarst bei
lar ein. Jetzt läuft in den Kinos der                                                kennen und zu würdigen gilt. Fazit                                                              bens- und 33 Arbeitsjahren am Hof                                                                                            im Puzzle-Zimmer Cold Cases. Bis                                                                                singt er auch, als hätte es die Byrds     Triest. Unterwegs treten auf: Petrar-
neunte Teil – langsam lohnt sich das                                                 ihres Buches: Es gibt nicht den einen,                                                          von Rudolstadt. Dann brannte 1735                                                                                            ihnen eine fast noch warme Leiche                                                                               und seine Supergruppen nie gege-          ca, Dante, Rilke – und immer wieder
Mitzählen nicht mehr. Es geht um                                                     wahren Islam,                                                                                   das Schloss. Was noch da ist, sieben                                                                                         vor die Rollato-                                                                                                ben: David Crosby klingt noch im-         Handke. „Wie
Daddy- und Brother-Issues. Regie                                                     sondern musli-                                                                                  Prozent, macht einen ganz wehmü-                                                                                             ren gelegt wird.                                                                                                mer wie der Junge aus dem Knaben-         steingeworde-
führt Justin Lin, ein Taiwanese, der                                                 mische Tradi-                                                                                   tig. Damien Guillon nahm sich jetzt                                                                                          Ein     großartig                                                                                               chor. „For Free“, der Titel seines        ner Schweizer
das erste Mal bei der Ausgabe in Tokio                                               tionen von Bos-                                                                                 der Lieder an, für die Erlebach hoch-                                                                                        klassischer Kri-                                                                                                neuen Albums, ist nicht nur ein schö-     Käse wirken die
hinters Steuer durfte. Vin Diesel sieht                                              nien bis Indone-                                                                                berühmt war. Der vielleicht franzö-                                                                                          mi von Richard                                                                                                  nes Wortspiel, sondern auch ein Lied      bizarren       Lö-
immer noch so                                                                        sien, vom Matri-                                                                                sischste    aller                                                                                                            Osman. Dame                                                                                                     von Joni Mit-                             cher, Furchen,
aus, als habe er                                                                     archat in Malay-                                                                                deutschen Ba-                                                                                                                Agatha hätte er                                                                                                 chell. Sie haben                          Rillen“,
gerade        eine                                                                   sia bis zur Re-                                                                                 rockgranden                                                                                                                  gefallen. Wurde                                                                                                 die Sechziger-                            schwärmt Röh-
                                                 2021 UNIVERSAL STUDIOS

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             MATTHES & SEITZ BERLIN

Zapfsäule leer                                                                       formtheologie                                                                                   steht plötzlich                                                                                                              zum Bestseller,                                                                                                 und Siebziger-                            nert über den
getrunken. Und                                                                       in Los Angeles.                                                                                 vor einem. Ein                                                                                                               als die Senioren                                                                                                jahre überlebt.                           Karst.        Und
Bremsen ist im-                                                                      Ein wichtiges,                                                                                  melancholi-                                                                                                                  vor       Corona                                                                                                Jetzt fühlen sie                          macht Appetit
                                                                                                                               C.H. BECK

mer noch was                                                                         aufklärerisches                                                                                 scher Feingeist.                                                                                                             weggesperrt                                                                                                     sich wieder jung                          auf eigene Expe-
                                                                                                                                                                                                                                                                                              ALPHA

für Verlierer. küv                                                                   Buch. rei                                                                                       elk                                                                                                                          wurden. elk                                                                                                     und weise. mp                             ditionen. rei
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           LIST

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       PR

                                                                                                                                                                                                   © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten (einschl. Text und Data Mining gem. § 44 b UrhG) - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
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