"Weiter so" ist keine Option - Gen-ethisches Netzwerk
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Nr. 207 - August 2011 6,50 Euro Informationen und Kritik zu Fortpflanzungs- und Gentechnologie Gen-ethischer Informationsdienst Agrarreform „Weiter so” ist keine Option Grüne Fleisch Epigenetik: Ende Wüsten „Ohne GenTechnik“ des Gen-Determinismus? Esther Leiva, Kleinbäuerin und Akti- Ein Metzger lässt Oder ist jetzt jeder vistin aus Paraguay, berichtet seine Produkte zertifizieren selber schuld?
EDITORIAL Es muss was passieren, sonst passiert nichts! 25 Jahre Gen-ethisches Netzwerk e.V. Angenommen, ich würde hier jetzt schon seit 1986 sitzen. Ist das Engagement von GeN und GID im Rückblick ein Erfolg oder nicht? 1986 hatten wir keinen Anbau gen- technisch veränderter Pflanzen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (und auch sonst nirgendwo), weder kommerziell, noch in Versuchen. Jetzt haben wir ein klitze- kleines Fleckchen Amflora-Kartoffeln und ein paar Versuchsfreisetzungen, aber auch einen illegalen Versuch in einem botanischen Garten, permante Kontaminationen mit gentechnisch veränderten Organismen auf Feldern, in Lebensmitteln und so weiter und ein erneutes Urteil gegen die FeldbefreierInnen von Gatersleben (siehe Seiten 24 und 40) - Erfolg oder Misserfolg? Die Abstimmung im Bundestag zur Präimplantationsdiagnostik: Ist der Kompromiss ein Erfolg oder ein Misserfolg? Wie messen wir eigentlich Erfolge der sozialen Bewe- gungen? Das war (unter anderem) Thema einer Tagung unlängst in Frankfurt, die von der Bewegungsstiftung veranstaltet worden war. Wir haben mit Interesse und Freude teilgenommen. Um es kurz zu machen: Wir haben nicht DIE Antwort gefunden. Es gibt Erfolge und die sollen und müssen gefeiert werden. In jedem Fall: Es muss was passie- ren, sonst passiert nichts! Oder, mit dem Titel des aktuellen Schwerpunktes: „Weiter so” ist keine Option! Eine letzte Sache liegt mir dann aber doch noch am Herzen: Die GID-Redaktion gra- tuliert dem GeN zu seinem Jubiläum, dankt allen GeNies für die Unterstüt- zung - egal ob als Vorstand, Kollege oder Kollegin im Büro, als SpenderIn oder Mit- glied, als KassenprüferIn oder als jemand der/die vor Ort GIDs unter die Leute bringt - und wünscht ihm noch viele engagierte (erfolgreiche) Jahre! Die GID-Redaktion Das wird 25! Und zwar fast auf den Monat genau zu dem Zeitpunkt, wo Sie das neue Heft in Händen halten. Ende September 1986, so vermerkt der GID Nr. 19 vom Dezember des- selben Jahres, formulierte das „internationale Gen-ethische Netzwerk e.V.“ seine Gründungserklärung, in der es „zu einer kritischen, weltanschaulich unabhängigen und grenzüberschreitenden Auseinandersetzung über die Ziele der Gentechnik“ auf- rief. Schon die Gründungsmitglieder, die unter anderem aus der internationalen Orga- nisation gegen Bevölkerungspolitik und für weltweite Frauenrechte FINRRAGE, der Re- daktion des GID oder der Partei DIE GRÜNEN kamen, hielten es für notwendig, Ent- scheidungen über den „Umgang mit der Gentechnik“ nicht ExpertInnen und Politike- rInnen oder gar den „Mechanismen des freien Marktes“ zu überlassen. Stattdessen forderten sie einen offenen und demokratischen Dialog. Hindernisse für solche Dialo- ge wie etwa mächtige Industrieinteressen existieren zwar nach wie vor. Aber wie stark wären sie ohne organisierten Widerstand? Schon allein deshalb bleibt das GeN wohl auch in den kommenden 25 Jahren unverzichtbar. Stößchen! 2 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011
INHALT 25 Jahre GeN Rückblick und Ausblick GID-Redaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 Titelthema • Landwirtschaft und Lebensmittel Agrarreform EU prüft SmartStax zu lasch Gentechnisch veränderter Mais löst neue Kontroverse aus „Weiter so” ist keine Option Von Christoph Then . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28 Einführung GID-Redaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6 Stationen einer Sternfahrt • Mensch und Medizin Bauernsternfahrt „Meine Landwirtschaft - unsere Wahl“ Von Teilnehmern der Sternfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .7 Epigenetik: Ende des Gen-Determinismus? Oder ist jetzt jeder selber schuld? Grüne Wüsten Interview mit Joachim Bauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 Esther Leiva, Kleinbäuerin und Aktivistin aus Paraguay, berichtet Von Christof Potthof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10 Fleisch „Ohne GenTechnik“ • Politik und Wirtschaft Ein Metzger lässt seine Produkte zertifizieren Von Christof Potthof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 Aufgeklärte Vernunft gegen christlichen Fundamentalismus? Mitgliedstaaten mit mehr Macht Die Achillesferse der bioethischen Skeptiker in der PID-Diskussion Gentechnik-kritische Bewegung in Europa feiert großen Erfolg Von Ulrike Baureithel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41 Von Christof Potthof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .14 Feldbefreiung in Belgien Sozioökonomische Auswirkungen von GVO Ein Rauswurf sorgt für Diskussion über GVO Marktzulassung von GVO unter veränderten Vorzeichen Interview mit Barbara van Dyck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43 Von Armin Spök . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .15 „Solidarische Landwirtschaft“ Ein Netzwerk für Verbraucher und Produzenten Von Birgit Peuker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 Forschungsförderung muss der Gesellschaft dienen Offener Brief zum Forschungsrahmenprogramm der EU Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22 • Kurz notiert • Magazin Kurznachrichten aus den Bereichen Rezensionen, Materialien Landwirtschaft und Lebensmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 und Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Mensch und Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Politik und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011 3
25 Jahre GeN Danke! In dieser Ausgabe kann man immer wieder über die Kampagne „Meine Landwirtschaft - Unsere Wahl“ lesen. In ihr sind Vereine und Verbände zusammengeschlossen, die in Deutschland im Bereich Landwirtschaft enga- giert sind. Die Schlussfolgerung des Welta- grarberichts „Weiter so ist keine Option!“ tra- gen sie als ein Leitmotiv in die Diskussionen und Auseinandersetzungen um die zukünftige EU-Agrarpolitik. Das GeN gehört zum Träger- kreis dieser Kampagne. Denn Agrarpolitik und Gentechnik sind nicht zu trennen. Wie zum Beispiel dem Text über den Besuch der Bäue- rin und Aktivistin Esther Leiva aus Paraguay zu entnehmen ist, wirkt sich unsere Landwirt- schaft global aus. Koalitionen und Netzwerke Die Crew grüßt Mitglieder, Abonnentinnen und Freunde! sind für das GeN Programm. „Meine Land- wirtschaft“ ist nur das jüngste Beispiel in ei- Die taz hat zum 25-jährigen Jubiläum eu- eine Bewegungs-Timeline aufzustellen. Alle ner langen Reihe von Kooperationen. Anläss- phorisch über das GeN berichtet. Kein Wun- Highlights, Daten und Anekdoten aus 25 lich des Jubiläums geht deshalb unser Dank der, Gentechnik-Kritik geht in die dritte Ge- Jahren Gentechnik-Kritik haben wir aber eben auch an Euch, liebe FreundInnen, Mit- neration. Wir wollen das 25-jährige Beste- nicht mehr auf dem Schirm. Deshalb brau- streiterInnen und KollegInnen! hen des GeN zusammen mit Euch, den Weg- chen wir Eure Hilfe! Schickt uns Eure Ge- begleitern und Freundinnen, feiern. Alle Ter- schichte: mine dazu in der Terminspalte. Geschichts- www.gen-ethisches-netzwerk.de/25Jahre Come to Tarrytown! bewusst, wie wir sind, haben wir begonnen, gen@gen-ethisches-netzwerk.de Das GeN beim gen-kritischen Vernet- zungstreffen in den USA Produktiv „Ich erinnere mich, wie wir Ein globaler Markt für Leihmutterschaft, die 1986 unter dem Aprikosenbaum in Beatrix Tap- Wiederkehr von Rassekonzepten in der Gen- 25 Jahre pesers Garten in Bonn saßen und über die Grün- forschung, gerichtliche Auseinandersetzun- dung des GeN sprachen. Wir kannten uns aus gen um Patente, kommerzielle Gentests - all der Bundesarbeitsgemeinschaft Gentechnik der dies sind Themen, die viele Nichtregierungs- Grünen. Es war die Zeit der großen Frauenkon- Fördermitglied werden! Organisationen und engagierte Individuen in gresse mit Kritik an Gen- und Reproduktions- den USA umtreiben. Das „Center for Gene- technologien. Eine höchst produktive Öffentlich- Sie wollen uns etwas schenken, tics and Society“, eine kalifornische Organi- keitsarbeit war im Gang. Und es gab damals sind aber bereits AbonnentIn sation, die ähnlich wie das GeN arbeitet, or- schon den GID, der von zwei Menschen in Heim- oder Mitglied? ganisierte deswegen Ende Juli in Tarrytown arbeit zusammengebastelt wurde. Es fehlte uns Macht nix! nahe New York ein Meeting und lud Susan- aber die institutionelle Absicherung: Also gründe- Erhöhen Sie einfach Ihren Beitrag ne Schultz vom GeN ein, aus Deutschland zu ten wir einen Verein.” Helga Satzinger ist mit einer freiwilligen berichten. Manche der US-Themen sind für Gründungsmitglied des GeN. Heute lebt und ar- Fördermitgliedschaft. uns zum Glück noch Zukunftsmusik, andere beitet sie in London. ein Grund, international über gemeinsamen 25 Jahre GeN ist dafür ein wirklich Protest nachzudenken. So überlegten wir, Einmalig „Als ich für meine Soziologie- guter Anlass! wie das GeN-Projekt zu polizeilichen DNA- Diplomarbeit im GeN-Archiv recherchiert habe, Datenbanken mit ähnlichen Kampagnen in war das Büro des Vereins in der Schöneweider den USA und Großbritannien zusammenar- Straße in Berlin-Neukölln - nach all‘ den Wochen und beiten kann. Tarrytown soll dafür stehen, in der Uni-Bibliothek - für mich ein einmaliger dass es auch aus linker, menschenrechtlich Ort. Das hat mich nicht mehr losgelassen.“ Uta sagen Danke! motivierter und antirassistischer Perspektive Wagenmann, Erstkontakt mit dem GeN im eine Kritik an neuen Biotechnologien gibt, Sommer 1995, heute Mitarbeiterin des Vereins GeN: Tel.: 030/6857073; Fax. 030/6841183 die anders ist als die von Konservativen und im Bereich Gen- und Reproduktionstechnologien gen@gen-ethisches-netzwerk.de Lebensschützern - ein Signal, das uns global in der Medizin. miteinander verbindet. 4 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011
25 Jahre GeN Termine Es wird ein heißer Herbst, das steht fest. den Anbau von gv-Pflanzen? Patente - wie Alle (bisher feststehenden) Termine rund um steht’s um den Brokkoli? Foto: Lutz Wallroth die 25 Jahre-GeN-Feierlichkeiten: Wo: Berlin, GeN-Büro, Brunnenstr. 4 (U-Bhf Rosenthalter Platz, Tram M1, M8, Bus: 240) 24. August, 19:30 Uhr, Berlin: Jäger und Sammler. DNA-Sammelwut und 10. September, 17 Uhr, Berlin: internationale Vernetzung polizeilicher Da- Wir feiern 25 Jahre GeN! - Dampferfahrt tenbanken. - Vortrags- und Diskussi- und Feier: Mit dem Dampfer „Alexander“ onsabend mit: Constanze Kurz (Chaos stechen wir auf den Gewässern Berlins in Kampagne Computer Club), Eric Töpfer (CI- See. Anschließend gemütliches Beisammen- wider die Sammelwut LIP/Bürgerrechte und Polizei), Sönke Hil- sein in einer Berliner Lokalität. brans (Republikanischer Anwaltsverein), Uta Treffpunkt in Berlin: Spreetours am Plänter- Hier seht Ihr AktivistInnen des GeN dabei, Wagenmann (Gen-ethisches Netzwerk) wald, Bulgarische Straße/Wasserstr. (S-Bhf wie sie tausende von Wattestäbchen in Wo: Familiengarten, Oranienstr. 34 / Hofge- Plänterwald, Bus: 277, N79 (8 Min. Fußweg). großen Lettern vor das Justizministerium bäude (U-Bhf. Kottbusser Tor, Bus M 29) Um Anmeldung wird gebeten: GeN, Brun- kleistern. Sie schreiben: DNA-Sammelwut nenstraße 4, 10119 Berlin, gen@gen-ethi- stoppen! Die Aktion begleitete die Über- 26. August, Berlin und europaweit: sches-netzwerk.de, Tel: 030/ 685 70 73. Un- gabe eines Offenen Briefes an die Bundes- DNA-Sammelwut-Stoppen! - Europawei- kostenbeitrag erwünscht (Richtwert 15 Eu- justizministerin. Diesen Brief veröffentlich- ter Aktionstag gegen die Prüm-Ver- ro, ermäßigt 8 Euro), niemand soll sich aus te das GeN zusammen mit etlichen Daten- träge und die internationale Vernetzung finanziellen Gründen ausgeschlossen fühlen. schutz- und Bürgerrechtsorganisationen, polizeilicher DNA-Datenbanken. In EU-Euro- unter anderen dem Chaos Computer Club, pa sollen an diesem Tag die polizeilichen Da- 13.-22. September, Berlin: dem Ak Vorratsdatenspeicherung und der tenbanken mit Millionen DNA-Profilen zu- GeN-Jubiläums-Filmabende: Humanistischen Union. Gemeinsam mit sammengeschaltet sein. Gegen diese neue „Der Pannwitzblick“ (Dokumentarfilm diesen Organisationen rufen wir zum Pro- biologische Dimension staatlicher Überwa- von 1990, Regie: Didi Danquart) am 13.9., test gegen die stetige Ausweitung über- chung protestieren das GeN und überwa- 19 Uhr im Kino Regenbogenfabrik und am wachungsstaatlicher Arsenale auf - und chungskritische Gruppen in ganz Europa mit 22.9., 18 Uhr in der Brotfabrik. fordern konkrete Einschränkungen der einem Aktionstag. Alle Infos auf: „Michael Clayton“ (Thriller von 2007, Re- behördlichen Sammelwut. Unterstützt die www.fingerwegvonmeinerdna.de gie Tony Gilroy) am 15.9., 18 Uhr in der Brot- Kampagne mit einer Online-Unterschrift fabrik und am 20.9., 19 Uhr im Kino Regen- unter den Offenen Brief!: 9. September, 19 Uhr, GeN-Büro: Das bogenfabrik. www.fingerwegvonmeinerDNA.de GeN lädt ein. - Gesprächsabend mit MitarbeiterInnen und Vorstand des 18. Oktober, 19:30 Uhr, Bonn: GeN bei Brezeln und Wein. Wir berichten Zu einem Infoabend zur Pflanzenbiotechno- Biotechnologische und sprechen über die laufende Arbeit, ins- logie-Strategie der BASF lädt das GeN ge- Agrar Science Fiction besondere über die Kampagne „DNA-Sam- meinsam mit dem Arbeitskreis Gentechno- melwut stoppen!“. Weitere Themen: BASF logie Bonn, attac Bonn und der BUND Kreis- Die BASF hat sich in den letzten Jahren zu als Intel der Pflanzenbiotechnologie? Ent- gruppe Bonn ein. Referent ist Christof Pot- dem wahrscheinlich wichtigsten Agro- scheiden bald die EU-Mitgliedsländer über thof, Mitarbeiter des GeN. Gentechkonzern in Deutschland ent- Wo: Migrapolis, Brüdergasse 16-18, 53111 wickelt. GeN und GID sind seit Jahren am Bonn. Ball. Bestellen Sie das Faltblatt des GeN 25 Probeabos zu BASFs Biotechnologischer Agrar 27. Oktober, 19:30 Uhr Kirchseeon Science Fiction (GeN, Brunnenstraße 4, 25 Jahre GeN ergibt 25 Probeabos des (bei München): 10119 Berlin, Fax: 030/6841183, eMail: GID. Wir suchen neue Abonnenten und Zu einem Infoabend zur Pflanzenbiotechno- gen@gen-ethisches-netzwerk.de) oder Abonnentinnen. Verschenken Sie für je- logie-Strategie der BASF lädt das GeN ge- besuchen Sie www.gen-ethisches-netz- manden aus Ihrem Umfeld ein Probea- meinsam mit dem Arbeitskreis Gentechnik werk.de/basf. bo. Telefon Geschenk-Hotline: 030/685 des Bund Naturschutz im Landkreis Ebers- Unterstützen Sie die Arbeit des GeN mit 70 73. Nicht vergessen: Wir benötigen berg und der Initiative Kein Patent auf Le- Hinweisen oder auch finanziell! Ihre Telefonnummer für Rückruf, ggf. Ih- ben! ein. Referent ist Christof Potthof, Mit- re Adresse (für ein Dankeschön) und die arbeiter des GeN. Konto: Gen-ethisches Netzwerk e.V., Adresse von dem oder der Beschenk- Wo: Landgasthof Brückenwirt, An der Brücke Stichwort: Biotechnologische Agrar Science Fiction, ten. (gen@gen-ethisches-netzwerk.de) 4, 85614 Kirchseeon. Postbank Berlin, Kto.Nr. 144 99-102, BLZ 100 100 10 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011 5
„Weiter so” ist keine Option Die Landwirtschaft steht vor enormen Aufga- Pfaffenberger in Partenstein verarbeitet werden. Holger ben. Von allen Seiten werden ihre Akteure mit Pfaffenberger hat - mit Unterstützung seiner Frau Katja - die Umstellung auf gentechnikfreie Produktion zu „seinem Forderungen und Wünschen konfrontiert. Ding” gemacht. Jetzt dürfen sie als erste handwerkliche Gleichzeitig wurde in den vergangenen Jahren Metzgerei in Deutschland das Label „Ohne GenTechnik“ nutzen. Aus Unterfranken berichtet GID-Redakteur Chri- immer deutlicher, dass sie selbst große Proble- stof Potthof. me verursacht. Um den zukünftigen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa und nicht den aktuellen in Südameri- GID-Redaktion ka geht es in Potthofs zweitem Artikel: Das EU-Parlament stimmte ab über die Re-Regionalisierung der Entschei- dung, ob ein gentechnisch veränderter Organismus in ei- nem EU-Mitgliedstaat angebaut werden soll oder nicht - D ie Internetplattform www.weltagrarbericht.de eine der zentralen aktuellen Gentechnik-Debatten in schreibt „Unser Ernährungs-System ist eine der Brüssel und so manchem Mitgliedsland. wichtigsten Ursachen für den Klimawandel, für Ein anderes hochbrisantes Thema ist derzeit, inwie- das Artensterben, für Umweltvergiftung, Wasserknapp- weit sozioökonomische Faktoren in die Bewertung von heit, vermeidbare Krankheiten, Kinderarbeit, Armut und gentechnisch veränderten Organismen eingehen kön- Ungerechtigkeit. Dieses System ist nen. GVO werden in der EU in ei- krank.“ Es ist also kein Wunder, wenn Unsere Gesellschaft ist mit nem gemeinschaftlichen Verfahren die 400 WissenschaftlerInnen des großen ökologischen, sozialen zentral zugelassen. Einer Zulassung Weltagrarberichtes, die über einen und ökonomischen Herausfor- geht die Risikoabschätzung voraus. Zeitraum von vier Jahren nach trag- derungen konfrontiert. Bisher werden - mehr schlecht als fähigen Konzepten für die Zukunft recht - Umwelt und Gesundheit be- der globalen Landwirtschaft gesucht haben, 2008 zu dem treffende Argumente untersucht. Nach Meinung von Ar- Schluss kommen: „Weiter so” ist keine Option. min Spök vom Interuniversitären Forschungszentrum für Um auf die zukünftige Agrarpolitik der Europäischen Technik, Arbeit und Kultur im österreichischen Graz steht Union geschlossen Einfluss zu nehmen, haben sich Ver- die EU noch relativ am Anfang bei der Klärung der Rolle bände in der Kampagne „Meine Landwirtschaft - unsere der sozioökonomischen Aspekte im Zulassungsverfah- Wahl“ zusammengeschlossen. Die Schlussfolgerung des ren. Weltagrarberichtes ist eines der Leitmotive der Kampagne. Eine ganz eigene Sicht auf die Ökonomie landwirt- Im Mai und Juni machten sich Bäuerinnen und Bauern - schaftlicher Produktion hat das neu gegründete Netzwerk insbesondere der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche solidarische Landwirtschaft. Zwischen den Bauern, Bäu- Landwirtschaft und des Bundesverbandes Deutscher erinnen und den AbnehmerInnen knüpfen die Mitglieder Milchviehhalter - im Rahmen der Kampagne mit einer des Netzwerks besonders enge Bande. Birgit Peuker be- Bauernsternfahrt auf den Weg nach Berlin. Das Motto: leuchtet die Gründung und zeigt, dass gerade weil sich „Angela, wir müssen reden“. Unterwegs machten sie im- hier Menschen mit unterschiedlichen politischen Hinter- mer wieder Halt, um die regionalen Aspekte kennen zu gründen wiederfinden können, Potential für eine breite lernen und in mehr als 50 Veranstaltungen ihre Vorstel- Bewegung besteht. lungen von Landwirtschaft zu diskutieren. Eindrücke von Den Abschluss bildet die Dokumentation eines Offenen vier Sternfahrern im ersten Beitrag des Schwerpunkts. Briefes zur Forschungspolitik der EU. Mehr als einhundert Thematisch eng mit der Kampagne „Meine Landwirt- Nichtregierungsorganisationen haben den an EU-Kom- schaft“ verknüpft, zeigt der Beitrag über Esther Leiva wel- missionspräsident Manuel Barroso und weitere EU-Offi- che Folgen unsere, die europäische Landwirtschaft, am zielle gerichteten Brief unterstützt. Sie sind der Meinung, anderen Ende der Welt hat. Die Kleinbäuerin und Aktivi- dass die Forschungsförderung in der Union der Gesell- stin aus Paraguay besuchte Deutschland für eine Vor- schaft und nicht der Großindustrie dienen müsse. Da sich tragsreise. Sie beschrieb ihre Kämpfe für den Zugang zu unsere Gesellschaften „mit großen ökologischen, sozialen Land für KleinbäuerInnen und Landlose und gegen die und ökonomischen Herausforderungen konfrontiert“ se- permanent wachsende Anbaufläche von gentechnisch hen, sei im Moment „nicht der richtige Zeitpunkt für ein veränderter Soja. Soja, die gerade auch nach Europa ex- ‚weiter so‘“. Vielmehr fordern sie einen „radikalen“ Wan- portiert wird und hier in den Futtertrögen von allzuoft del in der Gesellschaft, „um diesen Herausforderungen zu überdimensionierten Mastanlagen landet. begegnen. Forschung und Entwicklung spielen dabei eine Nicht jedoch im Futter der Tiere, die in der Metzgerei entscheidende Rolle“. 6 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011
Stationen einer Sternfahrt Aktuell wird die zukünftige Agrarpolitik der Eu- on. Warum ist es aber so schwierig, Forschungsgelder für ropäischen Union verhandelt. Der zuständige diese komplexen Fragestellungen zu bekommen? Die Bundesregierung darf nicht weiter einseitig Risiko- EU-Kommissar Dacian Ciolos hat dazu einen er- technologien fördern. Sie muss diejenigen Forschungs- sten Vorschlag vorgelegt, der nun in den Gremi- richtungen, die sich an den Bedürfnissen der Landwirte und Steuerzahler und den ökologischen Herausforderun- en der EU, im Rat und im Parlament verhandelt gen ausrichten, stärken. wird. In Deutschland haben sich Organisationen der Zivilgesellschaft zur Kampagne „Meine Landwirtschaft - unsere Wahl“ zusammenge- schlossen. Die Sternfahrt der Kampagne führte auf vier Strecken zum Kanzleramt nach Berlin: „Angela, wir müssen reden!“ Teilnehmer der Sternfahrt 4./5. und 9. Juni Stig Tanzmann, Evangelischer Entwicklungsdienst Für mich begann die Sternfahrt der Kampagne „Meine Landwirtschaft“ mit dem Weg zum evangelischen Kir- chentag in Dresden. Das ZDF hatte die Ausstellung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) „Fleisch in Massen, Fleisch in Maßen“ für seinen Auftaktsbeitrag zum Kirchentag aufgenommen. So wurde ich bereits bei mei- nen Vorbereitungen, beim Einpacken der Ausstellung, für Dresden gefilmt und zur Kampagne interviewt. 2./4. Juni Dann ging es los nach Dresden. Besonders beein- Henrik Maaß, junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft druckend war für mich, wie intensiv sich viele Teilnehmer des Kirchentags mit der Ausstellung auseinandersetzten. Auf der Hessenroute der Bauernsternfahrt gab es einige Sehr positiv wurde aufgenommen, dass die Ausweitung Erlebnisse, die mich noch nachdenklicher gestimmt ha- der Massentierhaltung in Deutschland und Europa vor- ben, als ich es schon zuvor war. In Gießen hielten wir an nehmlich mit den Auswirkungen auf Afrika und Südame- der Universität. Dort werden seit vielen Jahren Freiland- rika verknüpft wurde. Dabei war es offensichtlich wichtig versuche mit gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen zu sehen, wie die Soja für die Tierhaltung in Europa ange- durchgeführt. Das ist möglich durch die verwobenen Be- baut wird. Über die negativen Konsequenzen des mono- ziehungen zweier Professoren mit gentechnikfreundlichen kulturellen Anbaus gentechnisch veränderter Soja auf die Instituten. Hier werden für eine minimalistische Techno- Landbevölkerung und gerade auf die Kleinbauern waren logie in der Pflanzenzüchtung große Summen an For- viele Besucher schockiert. schungsgeldern aus Bundesmitteln eingesetzt. Das hat ei- Klarer Höhepunkt des Kirchentags war die Ankunft der nen einfachen Grund: Das Bundesforschungsministerium Sternfahrer in Dresden am Freitag, den 3. Juni. Endlich will Projekte fördern, aus denen letztendlich Produkte ent- konnten die Teilnehmer des Kirchentags mit Bäuerinnen stehen. Die glaubt es hier zu bekommen. und Bauern aus Deutschland diskutieren. Zu der Diskus- Einen ganz anderen Ansatz haben wir in Witzenhausen sion über die Ausstellung kamen weit über 1.000 Zuhörer. erlebt. An dem Agrarstandort der Uni Kassel wird ökologi- Hier griffen die Sternfahrer mit einer kurzen, aber kraftvol- sche Landwirtschaft gelehrt und erforscht. Dabei wird len Demonstration ein, um ihrem Anliegen Gehör zu ver- nicht die eine Lösung gesucht. Durch einen ganzheitlichen schaffen. Für mich besonders ergreifend war die Solidari- Ansatz wird von den Wissenschaftlerinnen und Wissen- sierung von Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft schaftler ein Verständnis für die Zusammenhänge der viel- bäuerliche Landwirtschaft mit unserem EED-Projektpart- fältigen Ökosysteme angestrebt. Das wird gemeinsam mit ner und Kirchentags-Gast King-David Amoah, einem Ver- Bäuerinnen und Bauern erarbeitet und zur Optimierung treter des ghanaischen Bauernverbandes. Die Bäuerinnen der Praktiken von diesen eingesetzt - eine echte Innovati- und Bauern in Ghana sind massiv von den mit Gen-Soja Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011 7
Titelthema Agrarreform EU-Agrarpolitik erzeugten europäischen Billig-Geflügelfleisch-Exporten betroffen und in ihrer Existenz bedroht. Für King-David war die Sternfahrt ein wichtiges Zeichen, dass die Bauern weltweit zusammenstehen. Einfach beeindruckend war die Abschlusskundgebung der Sternfahrer am 9. Juni vor dem Kanzleramt in Berlin. Es war eine wunderschöne Aufbruchstimmung. Jeder konnte die ganze Energie spüren, die die Sternfahrer auf ihrem weiten Weg gesammelt hatten. Ich hoffe, dass wir diesen 7. Juni Schwung in den heißen Herbst mitnehmen, wenn es bei Phillip Brändle, junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft der EU-Agrarreform in die entscheidende Phase geht. In der Tat - es war ein ungewöhnliches Szenario, mit dem die Sternfahrer in Üplingen empfangen wurden: me- terhohe Wachtürme, schwarz gekleidete Wachleute einer privaten Sicherheitsfirma und ein beachtliches Aufgebot von Polizisten, angerückt mit Räumpanzer. Doch auch wenn das gegenseitige „Kennenlernen“ nicht gerade opti- mal verlaufen war, wir machten uns neugierig auf den Weg durch den Gentechnik-Schaugarten. Wir wollten uns die neuen und alten Errungenschaften der Biotechnikindu- strie vorführen lassen! Was uns vor Ort dann gezeigt und erklärt wurde, war an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Es 7. Juni 2011 wurde behauptet, die genmanipulierten Zellen eines Bt- Jan Wendel, junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Mais würden sich nach der Nutzung in einer Biogasanla- ge nicht mehr im Biogas-Substrat nachweisen lassen. Nur Auch im Nachhinein lässt mich eine Veranstaltung nicht ein Beispiel für die Vielzahl haltloser Behauptungen, mit zur Ruhe kommen: „Massentierhaltung contra bäuerliche denen uns die Geschäftsführerin des Schaugartens, Ker- Landwirtschaft“ lautete der provozierende Titel der Dis- stin Schmidt, im Laufe der Führung konfrontierte. Doch kussionveranstaltung in Mühlberg/Elbe in Brandenburg. nicht nur die inhaltliche Auseinandersetzung war ein Anlass dafür bot eine kürzlich genehmigte Hähnchen- Trauerspiel - auch der Versuchsaufbau war mehr als frag- mastanlage in der Nähe. würdig. Das Feld mit den gentechnisch veränderten, her- Wir als SternfahrerInnen kamen mit unserem Treck erst bizidtoleranten Rüben der KWS Saat AG werden - selbst kurz vor der Veranstaltung in Mühlberg/Elbe an. Vor dem frisch gespritzt und ohne einen einzigen Halm Unkraut - Pfarramt auf dem Boden sitzend, aßen wir aus Wam Kats mit einer Nullparzelle verglichen - also einem Stück ohne vegetarischer Demoküche, während die Besucher an uns jede Unkrautregulierung. Ein anderes Beispiel: Ein insek- vorbei in den Saal strömten. Der hatte sich bis zu Beginn tengiftiger Bt-Mais wird mit einer konventionellen Sorte der Veranstaltung gut gefüllt. Von den umliegenden Groß- verglichen. Letztere wurde aber vier Wochen später gesät, betrieben waren einige Betriebsleiter gekommen, die sich der Bt-Mais ist aus diesem Grund deutlich größer. gegen eine pauschale Verurteilung durch den Begriff Mas- Fakt ist: Diese Eindrücke trugen nicht dazu bei, die Ak- sentierhaltung vehement zur Wehr setzten. Besonders hef- zeptanz des Schaugartens bei uns zu erhöhen - im Gegen- tig meldete sich die Leiterin einer Agrargenossenschaft zu teil, wir wurden in unserer bisherigen Meinung nach- Wort, in deren Betrieb nach eigenen Angaben fünfzig Per- drücklich bestätigt: Der Schaugarten in Üplingen dient sonen beschäftigt sind und die versucht, einen hohen An- einzig und allein der Propaganda für eine Technologie, die teil ihrer Eiweißfuttermittel aus betriebseigenen Körner- in der Forschung bereits Unmengen an Geld verschlungen leguminosen zu decken. hat, aber in der Praxis keinerlei Erfolge vorweisen kann. Aber genau das sind zwei Kernforderungen an die neue Verständlich wäre dieses Projekt, würde es sich um eine gemeinsame europäische Agrarpolitik: Ein verpflichten- Initiative handeln, die einzig durch die Industrie getragen der Körnerleguminosenanteil von 20 Prozent der Acker- wird. Aber bereits im Eingangsbereich des Schaugartens fruchtfolge und eine Berücksichtigung der Lohnkosten bei wird deutlich sichtbar: Die besondere Zierde des Geländes Großbetrieben, deren Gesamtbetriebsprämie die Ober- - die Flaggen Europas, Deutschlands und Sachsen-Anhalts grenze von 150.000 Euro überschreitet.(1) - wehen im Winde der Politik. Es sind nicht zuletzt staatli- Forderungen, die meiner Meinung nach allen Men- che Institutionen, die europaweit den Üplinger Gentech- Fotos: C. Potthof schen zu Gute kommen, die eine vernünftige Landwirt- nik-Schaugarten mit erheblichen Mitteln fördern und un- schaft betreiben wollen. Forderungen, die unabhängig terstützen. Und dies trotz der Tatsache, dass eine deutli- von Lagerdenken und Betriebsgrößen betrachtet werden che Mehrheit der Bevölkerung Produkte aus dem Gen-La- sollten. bor auf ihren Feldern und Tellern ablehnt - absurd! 8 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011
EU-Agrarpolitik Titelthema Agrarreform Kernforderungen der Kampagne „Meine Landwirtschaft - Unsere Wahl” Landwirtschaft soll sich lohnen Das Menschenrecht auf gesunde - für Bäuerinnen, Bauern und Nahrung weltweit durchsetzen VerbraucherInnen Eine Milliarde Menschen hungern, ebenso viele Nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft und sind fehlernährt und übergewichtig. Oberstes gute Qualität brauchen kostendeckende Preise. Ziel der EU-Agrarpolitik muss es sein, alle Bür- Dazu muss die Marktmacht der Landwirte und ger gut und gesund mit den Ressourcen zu Verbraucher gestärkt werden. Eine bedarfsori- ernähren, die jedem der sieben Milliarden Er- entierte, möglichst regionale Produktion und denbürger nachhaltig zur Verfügung stehen. Verarbeitung von Lebensmitteln ist zum Errei- Europa muss seinen Bedarf an landwirtschaftli- chen dieses Ziels von großer Bedeutung. Kein chen Produkten auf der eigenen Fläche decken. weiterer Hof soll mehr die Produktion aufge- Durch Import von Lebens- und Futtermitteln ben müssen. und anderen Produkten hat die EU heute ein Netto-Defizit von 35 Millionen Hektar. Subven- tionierte Exporte bedrohen in armen Länder die Selbstversorgung und Existenz von Kleinbauern. Gesunde Tiere für gesunde Ernährung Tierschutz, Klimawandel und Ressourcenknapp- heit zwingen zur Umkehr in der Tierhaltung Vielfalt statt Monokulturen und beim Fleischkonsum. Die Produktion muss sich an der verfügbaren Fläche und der Würde Die Vielfalt der Kulturlandschaften Europas, un- der Tiere orientieren. Davon profitiert auch ei- serer Kulturpflanzen und Nutztierrassen zu er- ne gesunde Ernährung. halten und das Artensterben zu stoppen ist eine Überlebensfrage in Zeiten des Klimawandels. Dafür ist die Verbesserung der Artenvielfalt vonnöten. Grünland sollte auf allen Betrieben Klimaschutz erhalten werden. Der Einsatz synthetischer Dünge- und Pflanzenschutzmittel muss systema- Klimagas-Emissionen (insbesondere Kohlendio- tisch reduziert, agrarökologische Lösungen und xid und Methan) müssen um 80 Prozent redu- ökologische Landwirtschaft gezielt gefördert ziert werden, wenn der globale Klimawandel werden. gestoppt werden soll. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Dazu muss vor allem die Ab- hängigkeit unserer Ernährung von Öl und Mi- neraldünger überwunden, die Fleischprodukti- Innovation statt on umgestellt und die Speicherung von Kohlen- Risiko- und Monopoltechnologien stoff durch Humusbildung im Acker- und Grün- land gesteigert werden. Großflächiger Ersatz Risikotechnologien wie die Agro-Gentechnik fossiler Energie durch Sprit- und Energiepflan- lehnen wir ab. Bäuerliche Kompetenz und zen vom Acker ist keine Alternative. Landwirt- ganzheitliche Forschung ist die Grundlage der schaft muss im Wesentlichen mit solarer Energie Innovation. Die Natur als „Bio“-Fabrik ist keine versorgt werden. Zukunftsstrategie. Die Kampagne „Meine Landwirtschaft - unsere Wahl” findet sich im Internet unter www.meine-landwirtschaft.de. Dort gibt es eine ausführliche Version der Forderungen und viele weitere Informationen. Fußnote: (1) Körnerleguminosen [Hülsenfrüchte] besitzen die Fähigkeit, mit den (www.oekolandbau.de). Bisher werden Prämien je Hektar gezahlt, was Knöllchenbakterien Stickstoff zu sammeln und im Boden anzurei- große Betriebe fördert. Wird zusätzlich auf die Arbeitskräfte Bezug ge- chern; zum anderen „bringen sie eine eiweißreiche Frucht hervor“ nommen, ergibt sich im Regelfall eine Stärkung kleinerer Höfe. Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011 9
Grüne Wüsten In Paraguay, im Herzen Südamerikas, spielt sich Frauen stehen am Rand das jüngste Kapitel der Ausweitung des Anbaus Neben dem Kampf um Land, dem Kampf um gerechte gentechnisch veränderter Soja ab. Esther Leiva, Bedingungen für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, dem Kleinbäuerin und Aktivistin, berichtete im Rah- Kampf um das Recht, nicht vergiftet zu werden, ist Leivas politische Arbeit in einer vom Machismo geprägten Ge- men einer Vortragsreise von Kämpfen um Land, sellschaft immer auch ein Kampf für die Emanzipation Gerechtigkeit und Emanzipation. von Frauen. Leiva versucht verstärkt, Frauen zu aktivieren, zu stärken und zu ermutigen. Dazu organisiert sie Treffen, Von Christof Potthof die sich zum Beispiel mit Bildungsangeboten speziell an die Frauen wenden. Zurück nach Deutschland: Um auch hier dieses Thema aufzugreifen, trifft sich Leiva am Nachmittag zum Kaffee- E sther Leiva ist für vier Wochen auf Vortragstour in klatsch mit Frauen, die in der Landwirtschaft beschäftigt Deutschland und ich habe die Gelegenheit, zwei Ta- sind: Eine hält eine Herde mit Mutterkühen, eine andere ge mit ihr zu verbringen. Sie ist 38 Jahre alt, hat vier ist Imkerin. Zwei Frauen arbeiten in der Gärtnerei und die Kinder, ist Kleinbäuerin und Aktivistin und erste weibli- fünfte ist Agrarsoziologin. Dazwischen Esther Leiva, die che Vorsitzende der „Organisazión Lucha por la tierra“, Bauernführerin aus Paraguay und Steffi Holz, ihre Beglei- welche 15.000 Mitglieder zählt. Seit mehr als 20 Jahren terin und Übersetzerin. Die Frauen sprechen über Land- engagiert sie sich bei der Besetzung von Feldern, in der wirtschaft, über dies und das. Zum Beispiel, dass es in landesweiten politischen Aufklärung und der Aktivierung Deutschland wie in Paraguay immer schwieriger wird, ihrer Kolleginnen und Kollegen, in ständigem Kampf für beim Erwerb von Land gegen Investmentgesellschaften zu die Rechte von Kleinbäuerinnen, Kleinbauern und Land- bieten. Sichtliche Freude bereitet es der Runde, als zwi- losen. Der Kampf um die Rechte der Landlosen ist von schenzeitlich ein Schwarm Bienen gefangen werden muss. immenser Bedeutung, denn in Paraguay steht der Kon- flikt um den Grund und Boden im Zentrum aller Kon- Nichts, nur Soja flikte in der Landwirtschaft. Daher auch der Name von Leivas Organisation: Organización Lucha por la tierra - Wenn Esther Leiva Bilder von den „Grünen Wüsten“, wie OLT, was soviel bedeutet wie „Organisation für den die Einheimischen die schier endlosen Soja-Felder nen- Kampf für Land“. nen, zeigt, dann ist auf diesen Bildern nichts anderes als Esther Leiva steckt voller Energie. Sie lacht gerne und Soja - bis zum Horizont: Kein Baum, kein Strauch, kein laut. Sie greift kräftig zu, hat einen Händedruck, der die- Haus. Nichts, nur Soja. Die Ausweitung der Soja-Anbau- sen Namen verdient: Druck. Ihre Antworten sprudeln nur flächen in Südamerika ist immens. Zunächst beschränkt so aus ihr heraus. Immer wieder muss man sie unterbre- auf Argentinien, haben sich die Felder wie eine Epidemie chen, weil sie vergessen hat, dass ihre Worte übersetzt wer- auch in den anderen Ländern ausgebreitet: Zum Beispiel den müssen. in Brasilien und eben auch in Paraguay. In der Liste der So- Die Menschen hören ihr fasziniert zu. Ungläubig schau- ja exportierenden Länder nimmt Paraguay mittlerweile en viele auf diese Frau und wundern sich, woher sie diese Platz vier ein, hinter den USA, Brasilien und Argentinien. Kraft nimmt. Politischer Kampf - Leiva spricht nicht von In Paraguay hat sich die Fläche, auf der Soja angebaut „Diskussionen“ oder „politischen Auseinandersetzungen“, wird, seit Anfang der 1990er Jahre etwa verfünffacht und Leiva spricht von Kampf - bedeutet in Paraguay, dass man lag 2008 bei etwa zweieinhalb Millionen Hektar. Neun von sterben kann, zum Beispiel, wenn Polizei oder parami- zehn Sojapflanzen in Paraguay sind gentechnisch verän- litärische Einheiten der Großgrundbesitzer es auf dich ab- dert (gv). Mit dem Anbau der gentechnisch veränderten gesehen haben. Es bedeutet, dass man zeitweise abtau- Sorten ist der obligatorische Einsatz von Unkrautvernich- chen muss. Esther Leiva ist bedroht worden und hat selbst tungsmitteln verbunden: Das gv-Soja ist tolerant gegen schon im Untergrund gelebt. diese Mittel. Wegen zunehmender Resistenzen bei den zu In ihrem politischen Kampf ist es Alltag, dass Frauen bei bekämpfenden Beikräutern muss immer mehr Gift einge- Versammlungen am Rand sitzen, wenn sie überhaupt Zu- setzt werden. Gleichzeitig haben sich die Felder ausgewei- tritt bekommen. Es kann bedeuten, dass sie nur durchs tet, das Gift wird zum Teil mit Flugzeugen ausgebracht, Fenster schauen können oder im Türrahmen stehen müs- nicht selten wird es über deren Grenzen hinausgetragen. sen, um zumindest das ein oder andere Wort aufschnap- Campesinos, die am Rand der Grünen Wüsten leben, pen zu können. leiden unter Vergiftungserscheinungen. Es besteht der be- gründete Verdacht, dass sie nicht nur zufällig und aus Ver- 10 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011
Paraguay Titelthema Agrarreform Foto: C. Potthof Esther Leiva (rechts) im Gespräch mit Steffi Holz. sehen in Kontakt mit den Unkrautvernichtungsmitteln ge- ren für lokale Posten. Aber bisher bleiben die Erfolge be- kommen sind. Gezielte Vergiftungen von Menschen, Tie- scheiden. Das erklärt sich nicht zuletzt auch an dem stetig ren, Feldern und Gärten sind in Paraguay (wie in den an- und weltweit steigenden Bedarf nach Soja, dieser öl- und deren südamerikanischen „Soja-Ländern”), an der Tages- proteinreichen Pflanze. ordnung. Die Bilder muten absurd an: Stellen Sie sich eine Sied- Export von Soja = Export von Land lung der Campesinos vor, die so groß ist wie ein Fußball- feld. Das entspricht etwa einem Hektar. Eine solche Sied- Zwei Drittel des Soja-Exports Paraguays findet seinen lung kann auch größer sein, zwei, drei oder vier Hektar. Weg in die Europäische Union. Der abschließende Teil der Die Sojafelder, die diese Siedlung umgeben, können dem- Vorträge ist konsequenterweise der Frage, was das alles gegenüber die hunderfache Größe haben. Da „kann es mit uns, den Bäuerinnen und Bauern, den Konsumentin- schon mal passieren”, dass ein Flugzeug, das die Gifte auf nen und Konsumenten in Deutschland und Europa zu tun die Grünen Wüsten ausbringt, nicht früh genug abdreht hat. Diesen Teil übernimmt Steffi Holz, die Organisatorin oder der Pilot „vergisst“, den Giftverteiler rechtzeitig zu und Übersetzerin der Reise. schließen. Die Folge: Es kommt in der Bevölkerung zu Anhand der Zahlen des Soja-Exports lässt sich eine Ana- Frühgeburten und Missbildungen, Menschen bekommen logie entwickeln: Der Export von landwirtschaftlichen Ausschläge und andere Krankheiten, Tiere sterben und die Flächen. Die Zahlen zeigen, dass jedeR EinwohnerIn Ernten in den Gärten und auf den kleinen Feldern werden Deutschlands in den Soja-produzierenden Ländern eine zerstört. So ist auch die Lebensgrundlage in Gefahr: Viele Fläche von etwa 350 Quadratmetern verbraucht, die der Familien haben sich dazu entschlossen, die Landwirt- dortigen lokalen Bevölkerung nicht zur Verfügung steht. schaft aufzugeben und in die Städte zu ziehen. Leiva be- Zu guter Letzt betont Leiva, wie wichtig es ist, das land- richtet davon, dass allein im Verlauf des letzten Jahrzehnts wirtschaftliche System in Europa, wie es in den letzten 90.000 Familien gezwungen waren, diesen Weg einzu- Jahren und Jahrzehnten entstanden ist, zu verändern. In schlagen. Sie konnten die Belastung durch die Pestizide diesem Sinne sei die Kampagne „Meine Landwirt- nicht mehr ertragen oder hatten keine Chance, mit den schaft“,(1) die sich in die Debatten um die EU-Agrarre- Sojafarmern zu konkurrieren. form einmischt, ein wichtiger Schritt, in dem auch Esther Der Landkonflikt in Paraguay lässt sich nur unbefriedi- Leiva ihre Interessen vertreten sieht. gend mit reinen Zahlen beschreiben: Vier Prozent der Be- völkerung verfügen über fast neunzig Prozent der Acker- flächen. Die OLT und andere versuchen, sich den Gift aus- Christof Potthof ist Mitarbeiter des Gen-ethischen Netzwerk und Re- bringenden Großgrundbesitzern mit Demonstrationen dakteur des GID. und Landbesetzungen als lebende Mauern entgegenzu- stellen. Leiva und ihre KollegInnen bemühen sich zusätz- Fußnote: (1) Siehe auch „Stationen einer Sternfahrt” auf Seite 7 in diesem Heft. lich auf politischem Wege Einfluss zu nehmen, kandidie- Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011 11
Foto: C. Potthof Fleisch „Ohne GenTechnik“ Seit 2008 gibt es die novellierte Verordnung für die Bullen und der dritte liefert die Kälber. Dazu kommt die Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“. Ein Metzger- regionale Presse, MitarbeiterInnen der Firma Intertek (mit der Urkunde im Gepäck) und noch ein paar andere. meister aus Unterfranken ist mit seinen Bauern den Weg durch die Zertifizierung gegangen. Die Pfaffenberger‘sche Nachhaltigkeit ... Von Christof Potthof Während der Feierstunde erklärt Pfaffenberger seine Motive. Nachhaltigkeit ist dabei eines von seinen Lieb- lingswörtern. Nachhaltig ist für ihn zum Beispiel, wenn wir etwas auch in zehn oder zwanzig Jahren noch so machen F amilie Pfaffenberger darf als erster handwerklich ar- können, wie wir es jetzt tun. Nicht nachhaltig ist dagegen, beitender Metzgereibetrieb in Deutschland ihre wenn in Südamerika Kleinbauernfamilien und Landar- Produkte mit dem „Ohne GenTechnik“-Label kenn- beiter mit Glyphosat vergiftet werden. Der Anbau des So- zeichnen. Am Ende eines fast zweijährigen Prozesses be- jafutters ist obligatorisch mit dem Einsatz des Unkraut- kam sie im Juli die Urkunde für die Zertifizierung durch vernichtungsmittels Roundup - oder eines anderen Mit- die Firma Intertek überreicht. Aus diesem Anlass hatten tels mit dem Wirkstoff Glyphosat - verbunden. Unzählige Holger und Katja Pfaffenberger zu einer kleinen Feier- Berichte sind in den letzten Jahren bekannt geworden, wo- stunde ins Rathaus von Partenstein in Unterfranken ein- nach dieser Anbau und dieser Pestizideinsatz die Lebens- geladen. Dort versammelte sich ein Großteil der Men- grundlagen vieler Campesinos und die Umwelt in Süda- schen, die in den beiden vergangenen Jahren an diesem merika zerstört.(1) „Das kann uns nicht egal sein“, sagt Prozess beteiligt waren. Ich selbst kam in den Genuss der Holger Pfaffenberger dazu. Einladung - und später auch in den Genuss der Produkte der Metzgerei -, weil wir, Holger Pfaffenberger und ich, vor ... umfasst auch Vertrauen etwa einem Jahr über sein Vorhaben telefonierten. Diese Zertifizierung ist derzeit „das Ding” von Holger Pfaffen- Seine Vorstellungen von Nachhaltigkeit machen aber an berger, seine Frau unterstützt das Ganze gerne. In einer für dieser Stelle nicht halt: In seinem Konzept ist zum Beispiel ihn typischen Art hatte er mich damals angerufen: „Herr auch Platz für die Bauern. Die Beziehung zu „seinen” Bau- Potthof, ich möchte die Produkte meines Betriebes „Ohne ern ist ihm wichtig, was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass GenTechnik“ kennzeichnen - was muss ich tun?“ Pfaffen- er mit ihnen beziehungsweise deren Familien schon seit berger redet nicht um den heißen Brei herum. Wenn er bis zu vierzig Jahren Geschäfte macht. Deshalb ist er mit Fragen hat, dann greift er zum Telefon. So kommt es, dass seiner Idee auch zuerst zu ihnen, den Bauern, gegangen. hier im Ratssitzungssaal von Partenstein eine illustre Run- Man hat sich zusammengesetzt und geschaut, was für ei- de zusammen gekommen ist: Ein Vertreter des Bund Na- ne gentechnikfreie Fütterung notwendig ist. Die Bauern, turschutz, eine Frau von der Metzgerei-Fachpresse, die In- Armin Bandella (Kälber), Gerhard Sachs (Bullen) und Mar- nung, die Handwerkskammer und natürlich die Bauern - tin Stamm (Schweine) begannen bereits 2009 die Fütte- drei an der Zahl. Einer mästet Schweine, der zweite mästet rung nach dem „Ohne Gentechnik“-Standard umzustellen. 12 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011
Lebensmittel-Kennzeichnung Titelthema Agrarreform Martin Stamm hatte tatsächlich in der Vergangenheit Fleisch- und Milchprodukte, ist nicht ersichtlich, ob gen- gentechnisch verändertes (gv) Sojaschrot an seine Schwei- technisch veränderte Bestandteile als Futtermittel in ihre ne verfüttert. Pfaffenberger bat ihn, auszurechnen, was es Produktion eingegangen sind oder nicht. Bei den Produkten kosten würde, auf gentechnikfreie Ware umzustellen. Die in der Metzgerei der Familie Pfaffenberg ist das jetzt anders. Ferkel werden mit 12 bis 13 Wochen beim ihm angeliefert, wo sie in mindestens 17 Wochen von etwa 25 auf über 100 Allergien waren der Startpunkt Kilogramm Schlachtgewicht wachsen. Herausgekommen sind zwei Cent Futtermehrkosten je Kilo Schweinefleisch. Spekuliert man über die Motive des Holger Pfaffenber- Ein halbes Jahr später wusste Pfaffenberger, was er an ger, dann liegt es scheinbar nahe, dass man in Kitzingen seinem Lieferanten hat. In einem Vortrag des Futtermit- landet. Ebenfalls in Unterfranken gelegen, war es in den telhändlers Josef Feilmeier nannte dieser exakt jene zwei Jahren 2006 bis 2008 praktisch der einzige Landkreis in Cent Aufpreis je Kilo Schweinefleisch, die die teuereren Bayern beziehungsweise Südwestdeutschland, in dem Futtermittel ausmachen würden. Pfaffenberger freut sich: gentechnisch veränderter Mais kommerziell angebaut „Es geht doch nichts über ein vertrauensvolles Miteinan- wurde. Kitzingen ist weniger als 100 Kilometer von Pfaf- der auch im Geschäftsleben. Der Martin hätte ja auch fenbergers Heimatort Partenstein entfernt, aber es liegt zwanzig oder fünfzig Cent Mehrkosten ‚ausrechnen’ kön- scheinbar am Rande des Wahrnehmungs-Radars der lo- nen - er weiß ja, dass ich ihn an dieser Stelle nicht kon- kalen Öffentlichkeit - oder knapp dahinter. In den regio- trolliere.“ Langfristige Lieferverträge und die Tatsache, nalen Diskussionen und auch für ihn selbst habe diese dass Stamm jetzt in einen neuen Stall investiert, sind für konkrete Anbausituation bei seiner Entscheidung, in die Pfaffenberger ein gutes Zeichen - nachhaltig eben. Leicht ‚non GMO‘-Zertifizierung für seine Produkte zu investie- zu erkennen, dass der gentechnikfreie Standard für die ren keine Rolle gespielt. Vielmehr kamen immer häufiger Kunden tragbar wäre - „wäre“, denn tatsächlich gibt Pfaf- KundInnen, die von irgendeiner Art von Lebensmittel-Al- fenberger diesen Aufpreis nicht an seine Kunden weiter. lergie beziehungsweise -Unverträglichkeit geplagt waren. Diesen Aufpreis und auch den für das teuerere Futter be- Das hat irgendwann dazu geführt, dass er ins Grübeln kam. zahlt der Metzger. Auch die Bauern sollten nicht ausbaden So wurde Nachhaltigkeit zu seinem Thema. müssen, was Pfaffenberger sich in den Kopf gesetzt hatte. ... „nicht nur Luft getestet“ „Mir geht es um die Ethik.“ Das Besondere an der Metzgerei wie an dem Zertifizie- „Ob ich dann am Ende mehr oder weniger Kunden ha- rungsprozess ist, dass Pfaffenberger vier verschiedene be, wissen Sie, um ehrlich zu sein, ist mir das gar nicht so Fleischsorten im Angebot hat, die alle mit dem „Ohne wichtig. - Ich will morgens in den Spiegel schauen kön- GenTechnik“-Label gekennzeichnet werden sollen: Vier- nen.“ Pfaffenberger vertritt nicht die Ansicht, dass seine zig Schweine, zwei Bullen und je ein Kalb und ein Rind Produkte unbedingt besser sind als die seiner Berufskolle- sind das im Monat. Wesentliche Teile der Zertifizierung gen. Nur sind sie eben nachhaltiger produziert, das steht werden über die Papiere erledigt: ausgehend von den Re- außer Frage. Strom vom Dach oder aus regionaler Wasser- zepturen der Produkte werden die Lieferscheine kontrol- kraft, regionale Lieferanten, Wasser aus dem eigenen liert. Bei den Bauern werden zusätzlich Proben genom- Brunnen und so weiter und so fort. Hier ist jedoch nicht men und an ein Labor geschickt. die Rede von einem Bio-Metzger. Da hört es mit der Pfaf- Der Prozess beim Lamm ist in den letzten Monaten ins fenbergerschen Logik von Nachhaltigkeit auf: Weil sich die Stocken geraten und konnte „leider“, wie Pfaffenberger meisten Kunden dies nicht leisten können, erreichen die versichert, nicht pünktlich bis zum Festakt im Rathaus ab- Bio-Fleisch-Produzenten keine großen KäuferInnen- geschlossen werden. In einer Futterprobe ist gentechnisch schichten - und genau aus diesem Grund öffnet sich hier verändertes Material gefunden worden. Aber: „Immerhin eine Tür für konventionelle Metzger, wie er selbst einer ist. zeigt das auch, dass hier nicht nur Luft getestet wurde“. Metzger Paffenberger hat jetzt einen neuen Lieferanten für Zwischen billig-konventionell und Bio das Lammfleisch. Dessen Zertifizierung ist noch nicht ab- geschlossen, aber auf gutem Weg. Als handwerklich arbeitender Betrieb mit regionaler Verortung und direktem Kontakt zu Lieferanten und KundInnen kann er sehr gute Qualität liefern. Und von der Ohne-GenTechnik-Zertifizierung profitiert ja insbesonde- Christof Potthof ist Mitarbeiter des Gen-ethischen Netzwerk und Re- re auch die Kundschaft. „Jetzt können die Kunden endlich dakteur des GID. wählen.“ Bis zu achtzig Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland wollen Umfragen zufolge keine Fußnote: (1) Siehe dazu auch den Beitrag „Grüne Wüsten“ auf Seite 10. Agro-Gentechnik, nicht auf dem Acker und nicht auf dem Teller. Aber bei dem Gros der tierischen Produkte, Eier, Internet: www.metzgerei-pfaffenberger.de; www.intertek.de Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011 13
Mitgliedstaaten mit mehr Macht Die Gentechnik-Regulierung in der Europäischen In diesem Zusammenhang betont das Parlament ergänzend Union steht vor einem radikalen Wandel: Geht den freien Zugang zu den GVO, um damit eigene Untersu- chungen durchführen zu können. Bisher ist dieses Material es nach Parlament und Kommission der EU, dann weder für die EU-Behörden noch für die Regierungen der haben die Mitgliedstaaten in Zukunft deutlich EU-Mitgliedstaaten uneingeschränkt verfügbar. Um den Anbau von GVO auf ihrem jeweiligen Hoheitsge- erweiterte Möglichkeiten zu entscheiden, ob biet einzuschränken beziehungsweise zu verbieten, dürfen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) auf die Mitgliedstaaten in Zukunft ökologische Argumente nut- zen, die über die in dem gemeinschaftlichen Zulassungs- ihrem Territorium angebaut werden oder nicht. verfahren genannten hinausgehen. Besteht zum Beispiel die Von Christof Potthof Gefahr, dass der Einsatz der GVO zu „einer Resistenzbildung bei schädlichen Pflanzen und Tieren gegenüber Pestiziden“ führt, dürften diese GVO verboten werden. Ein weiterer Aspekt könnte der Schutz der „lokalen biologischen Vielfalt, I n seiner Sitzung am 5. Juli hat das Europäische Parla- einschließlich bestimmter Lebensräume und Ökosysteme, ment (EP) einen Vorschlag der Kommission für die sowie bestimmter Natur- und Landschaftselemente“ oder Re-Regionalisierung der Anbau-Entscheidung für GVO „fehlende oder unzureichende Daten zu den potenziellen mit weitreichenden Änderungen angenommen. Das wurde schädlichen Auswirkungen auf die lokale oder regionale insbesondere von Verbänden, die sich für eine ökologische Umwelt (...) eines Mitgliedstaats“ sein. und nachhaltige Landwirtschaft einsetzen, einhellig be- Auch sozioökonomische Gründe sollen von den Mitglied- grüßt. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des staaten genutzt werden können.(4) Hier stehen erweiterte Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft: „Mit der Ent- Möglichkeiten zum Schutz vor Kontaminationen konven- scheidung hat das Parlament den lückenhaften Vorschlag tioneller und ökologischer Produkte mit GVO im Zentrum der EU-Kommission zu nationalen Anbauverboten von der Stellungnahme des Parlaments. Stellt sich für bestimm- Gentech-Pflanzen deutlich verbessert. Die Mitgliedstaaten te GVO zum Beispiel heraus, „dass Koexistenzmaßnahmen erhalten endlich Rechtssicherheit“. undurchführbar oder mit hohen Kosten verbunden sind“, Die Entscheidung gegen den Anbau wird - sollten sich die können diese verboten werden. Vorstellungen des Parlaments durchsetzen - auch in Zukunft In den Tagen vor der Abstimmung hatte sich ein gutes Dut- nicht völlig frei sein. Die Mitgliedstaaten werden ihre Ein- zend von Umweltorganisationen, landwirtschaftlichen Ver- schränkungen oder Verbote auch weiterhin gegenüber der bänden und anderen Gentechnik-kritischen Gruppen mit ei- Europäischen Kommission begründen müssen. Die Spiel- nem Offenen Brief an die Abgeordneten des EP gewandt, um räume dafür sollen sich jedoch deutlich erweitern. Bisher sie über Lepages Argumente und Vorstellungen zu informie- war den Mitgliedstaaten das Verbot eines in der EU für den ren.(5) Auch mobilisierten sie Bürgerinnen und Bürger, ihren Anbau zugelassenen GVO in den eigenen Grenzen nur über Abgeordneten zu schreiben. Allein aus Deutschland wurden den Umweg der so genannten Schutzklausel der Freiset- mehr als 60.000 eMails an Abgeordnete geschickt. zungsrichtlinie möglich.(1) Diesen Umweg hatte zum Bei- spiel Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) 2009 bei ihrem Verbot des gv-Mais MON810 gewählt.(2) Christof Potthof ist Mitarbeiter des GeN und Redakteur des GID. Quelle: Ökologische Argumente haben Gewicht Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen und die vom Parlament in erster Lesung angenommenen Texte finden sich im Netz unter: Die wichtigste vom Parlament vorgenomme Änderung an www.kurzlink.de/gid207_c dem Vorschlag der EU-Kommission besteht darin, dass mögliche Verbote und Einschränkungen in Zukunft auf die Fußnoten: Artikel 191 und 192 des Lissabon-Vertrages gestützt werden (1) Artikel 23 der Freisetzungsrichtline 2001/18/EG. sollen.(3) So sollen Umweltaspekte einen wesentlich höhe- (2) Siehe zum Beispiel „Der Teufel steckt im Detail”, GID 205, April 2011. ren Stellenwert bekommen. Bisher ist die Basis für die Frei- (3) In Artikel 191 heißt es zum Beispiel: „Die Umweltpolitik der Union (...) setzung von GVO der freie Warenaustausch zwischen ver- beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung“. Im Netz schiedenen Regionen oder Ländern der EU (Artikel 114). unter: www.dejure.org/gesetze/AEUV/191.html. (4) Die in dem Beitrag von Armin Spök in diesem Heft dargestellten Dis- Grundsätzlich soll das System der gemeinschaftlichen Zu- kussionen zu den sozioökonomischen Aspekten bezieht sich im Ge- lassung von GVO beibehalten bleiben. Es soll aber nach Mei- gensatz zu den hier genannten Plänen auf deren Berücksichtigung bei nung der EU-Kommission verbessert werden. Das hatte der der gemeinschaftlichen Zulassung von GVO. EU-Umweltministerrat bereits im Dezember 2008 gefordert. (5) Der Offene Brief im Netz unter: www.kurzlink.de/gid207_d. 14 Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 207 · August 2011
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