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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Monday, June 15, 2020
PRESS REVIEW Monday, June 15, 2020 Pforzheimer Zeitung (Print), 15.06.2020, PBS, DB Barenboims Boulez-Saal boomt 4 Osnabrücker Zeitung (Print), 15.06.2020, PBS Musikpreis für Florian Weber 5 Welt am Sonntag (Print), 15.06.2020, DB, DIVAN Triple Concerto 6 Süddeutsche Zeitung (Print), 15.06.2020 Salzburger Festspiele „nicht in Gefahr, aber Situation nicht ungefährlich“ 7 Frankfurter Allgemeine Zeitung (Print), 15.06.2020 Ouvertüre auf dem Parkhausdeck. Es gibt wieder Musiktheater in Berlin 8 Süddeutsche Zeitung (Print), 15.06.2020 Weißt du, wie das wird? Richard Wagner „Rheingold“ auf einer Berliner Parkdeck 11 Der Tagesspiegel (Print), 14.06.2020 Nur regnen darf es nicht. Endlich wieder live: Die Deutsche Oper zeigt „Rheingold“ 13 Berliner Morgenpost (Print), 14.06.2020 Göttertreffen auf dem Parkdeck. Deutsche Oper feiert kleine Premiere 18 Berliner Zeitung (Print), 15.06.2020 Wagalaweia auf dem Parkdeck. Deutsche Oper überzeugt bei erster Inszenierung 23 Der Tagesspiegel (Print), 15.06.2020 So echt, wie es nur geht. Avi Avital und andere spielen im Potsdamer Nikolaisaal 25 Frankfurter Allgemeine Zeitung (Print), 13.06.2020 Anna Netrebko singt in Dresden 28 Süddeutsche Zeitung (Print), 15.06.2020 Oase des Wahns. Endlich wieder Oper in München 29
Deutschlandfunk Kultur (Online), 13.06.2020 Dresdner Philharmonie spielt Trilogie. Von Haydn zu Hindemith 31 Deutschlandfunk Kultur (Online), 13.06.2020 Der Prager Frühling hat stattgefunden 33 Der Tagesspiegel (Print), 13.06.2020 Klassik und Klimaschutz. Mitglieder der Staatskapelle engagieren sich und andere 35 Süddeutsche Zeitung (Print), 13.06.2020 Kultur im Grundgesetz 40 Berliner Zeitung (Print), 13.06.2020 Staatsziel Kultur. Wiedervorlage der Linken 41 Berliner Zeitung (Print), 13.06.2020 Unterschätztes Weltkino wird sichtbar. Ein Online-Festival zeigt iranische Filme 43 Rbb Kultur (Online/Radio), 15.06.2020 „Berlin Postkolonial“ will streitbare Statuen umgestalten 44 Süddeutsche Zeitung (Print), 15.06.2020 Neues Debakel für Berliner Bauakademie 45 Frankfurter Allgemeine Zeitung (Print), 13.06.2020 Hilfsfonds des Goethe-Instituts 46 Frankfurter Allgemeine Zeitung (Print), 13.06.2020 Der Drive der punktierten Zweiunddreißigstel. Drei Bagatellen um B.: Brendel, Beatles, Boogie-Woogie 47 New York Times (Online), 14.06.2020 My favorite string quartet. Alban Berg Quartet with new CD-box 50 Die Welt (Print), 15.06.2020 Denkmal gegen Denkmal. Kulturkampf um Frankfurts Oper 53 Frankfurter Allgemeine Zeitung (Print), 15.06.2020 Wie ernst meint es der Dissident? Die Causa um Schriftsteller Jörg Bernig 54
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 F.A.Z. - Feuilleton Montag, 15.06.2020 Ouvertüre auf dem Parkhausdeck Es gibt wieder Musiktheater in Berlin. Die Deutsche Oper geht mit einem handlichen Open-Air-„Rheingold“ voran Wer sich in Zeiten von Corona neu oder überhaupt erst findet, agiert vielleicht anders als sonst: weniger leistungsoptimiert und attraktivitätsversessen, eher vorsichtig defensiv wägend, gewiss dankbar, dass da überhaupt erst einmal wieder eine Beziehung entsteht. Anfälliger sind solche Neubegegnungen und wegen dieser Verletzlichkeit kostbarer – auch in Konzertsälen und auf Musikbüh- nen, wo jetzt langsam wieder analoges Leben erwacht. Als Berlins Deutsche Oper jetzt mit einem Pocket-„Rheingold“ (Jonathan Dove hat Wagners Original für seine Kammerfassung um ein knappes Drittel gekürzt) ersten neuen Beziehungsmut zeigte, spielte diese Fragilität immer mit und zeitigte ungewohnte Formen der Kommunikation. Wo sich die Sänger sonst vor einem engge- packten, in anonymes Dunkel versenkten Publikum exponieren müssen, agierten die ungefähr vierzig Aktiven nun auf dem Park- hausdeck des Hauses in der gleichen Tagesend-Halbhelligkeit, in der auch ihre zweihundert Zuhörer saßen. Jeder konnte, auf Lücke plaziert, jeden sehen – eher Sportplatz- als Theaterverhältnisse. Und wenn dann Auf- und Abgänge durch die Gasse zwischen den Sitzreihen erfolgten, waren sich Künstler und Gucker so nahe, wie das „unter Dach“ kaum je möglich wäre. Spielleiter Neil Barry Moss hat die Innenhofsituation, indem er ein paar Fenster der umlaufenden Gebäudetrakte einbezog, geschickt für einige raumüberspannende, quasi quadrophone Arrangements genutzt. Die Jagd nach dem Gold lief dann, zwischen lustvoll-anar- chistisch zusammengeklaubten Requisiten und in faschingshaft durchgeknallter Kostümierung, mit viel Gewusel, manch komödian- tischer Übertreibung und freilich auch ziemlich viel Stegreif-Leer- 1 von 3 15.06.2020, 09:30
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 lauf ab. Gelegentlich blitzte erfrischende, antipathetische Ironie auf, die man vielleicht als optimistischen Vorschein auf Stefan Herheims Inszenierung nehmen konnte, die eigentlich am gleichen Abend Premiere haben sollte und nun irgendwann später zum Zuge kommen wird. Einer dieser kleinen, augenzwinkernden Momente war Frickas (mit gehalten-fraulicher Würde: Annika Schlicht) fassungslos ergebener Blick auf den gewölbten Leib Erdas, in dem wohl gerade das Rebellenkind Brünnhilde heranwächst. Judit Kutasi sang die Urmutter mit zunächst wallend orgelndem, im Fort- gang etwas zerfaserndem Timbre. Man muss dem eher auf punktuelle Pointen als auf geschlossene dramaturgische Bögen gerichteten Treiben zugutehalten, dass hier mit kürzester Probenzeit, unter wettersensiblen Open-Air-Bedin- gungen (launische Windstöße grüßten von einer angekündigten, aber dann doch einen anderen Weg nehmenden Gewitterfront) und in einer Konstellation, wo die Sänger fast durchweg mit dem Rücken zum Dirigenten agierten, gearbeitet wurde. Und wenn etwa Freias Entführung eher ein kleines Wettrennen als eine handgreifli- che Überwältigung wurde, durfte man auch an infektionsbedingte Abstandsgebote denken, die ansonsten gut kaschiert und höchstens im Fesselungsgerangel zwischen Alberich und Loge kurz ausgetestet wurden. Am Ende schien sich die glückliche Besucherschar (alle Karten für die geplanten sechs Vorstellungen waren binnen Minu- ten ausverkauft) mit großer Mehrheit der alten Weisheit zuzunei- gen, dass man vom Ochsen nicht mehr als Rindfleisch verlangen dürfe. Die Begeisterung, endlich überhaupt wieder analoges Musik- theater zu erleben, war fast mit Händen zu greifen. Und sie wurde von den Akteuren erwidert. Die Dove-Fassung mit ihren nur 22 Orchestermusikern – darunter lediglich sechs Strei- cher – konnte ihre möglichen Qualitäten nur partiell entfalten. Sie ist für kleinere Räume, nicht für das Spiel unter freiem Himmel gedacht. So mussten sich Donald Runnicles am Pult, Musiker, Sänger und Hörer im ersten Bild akustisch erst einmal vorsichtig zueinander hintasten. Im Weiteren gab es eine gut getaktete Koor- dination und schöne Einzelmomente, zum Beispiel im Aufscheinen der Holzbläser, aber naturgemäß nie jene Ohr und Hirn wohlig einnebelnde Vollklanglichkeit, die sonstige Wagner-Erlebnisse 2 von 3 15.06.2020, 09:30
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 prägt. Ermutigendwaren die Begegnungen mit der Sängerriege, die zu guten Teilen im Haus beheimatet ist und auch bei Herheim auf der Bühne gestanden hätte. Allen voran gab Thomas Blondelle einen umwerfend spielfreudigen Loge als intellektuell-sarkastischen Strippenzieher, auch stimmlich selbstbewusst und frei ausströ- mend, ohne die in dieser Rolle häufigen meckernden Manierismen. Nicht im etwas statuarischen Bewegungsvokabular, wohl aber im mächtig und souverän entfalteten, herrschaftlich strömenden Stimmfluss hielt sich Derek Weltons Wotan auf gleicher Höhe, während Philipp Jekals Alberich nach etwas flackernd-ungefestig- tem Beginn mit seinem durchdringenden, aggressiv-verzweifelten Fluch das große Finale einleitete – von dem man nun hoffen muss, dass es eigentlich eine Ouvertüre war. Gerald Felber 3 von 3 15.06.2020, 09:30
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Artikel auf Seite 18 der Zeitung Berliner Zeitung vom Di, 16.06.2020 https://epaper.berliner-zeitung.de/ Wagalaweia auf dem Parkdeck Die Deutsche Oper überzeugt open air bei erstaunlicher Akustik mit einem gekürzten „Rheingold“ Ausdrucksstarkes „Rheingold“ auf dem Parkdeck: Annika Schlicht als Fricka, im HIntergund Derek Welton als Wotan. Bernd Uhlig Peter Uehling Dass wir das in dieser Spielzeit noch erleben dürfen! Oper, wirkliche Oper, mit hier und jetzt singenden, hier und jetzt spielenden Menschen! Das Parkdeck der Deutschen Oper macht es möglich: Hier gibt es Platz für 200 mit Abstand gesetzte Zuschauer, hier gibt es eine erstaunliche Akustik; lediglich eine Spielfläche gibt es nicht so recht, aber das fällt bei dieser Aufführung des „Rheingolds“, gekürzt und für ein Orchester von 22 Spielern, bearbeitet vom englischen Komponisten Jonathan Dove, kaum auf. Denn man merkt den Sängern am Freitag an: Sie wollen wieder auf die Bühne – und die schaffen sie sich, wo immer ein Plätzchen ist. Genug Gewirbel, genug Schimmer Eigentlich sollte an diesem Abend im Haus ein neuer „Ring des Nibelungen“ beginnen, der vorgesehene Regisseur Stefan Herheim saß auch im Publikum. Es ist noch immer nicht klar, ob in der nächsten Saison mit dem zweiten Stück der Tetralogie, der „Walküre“, gestartet werden kann, die Premiere ist für den 27. September vorgesehen. Dieses Krisen-„Rheingold“ ist kurzfristig zustandegekommen. Dove hatte seine Fassung für die Birmingham Opera Company angefertigt, die eine Aufführung durch ein anderes Ensemble genehmigen muss; diese Genehmigung wurde zehn Tage vor der ersten Berliner Aufführung erteilt. Klanglich hat Dove die Aufgabe, Wagners orchestrale Hundertschaft auf weniger als ein Fünftel einzudampfen, beeindruckend gelöst – und Donald Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper haben das nach kleinen anfänglichen Koordinationsproblemen ebenso beeindruckend dargestellt: Nur zwei statt acht Hörner und keine Wagner-Tuben, nur sechs statt 64 Streicher – und dennoch entsteht der weiche, volle Walhall- Klang. Nur selten fehlt dem Hörer etwas, etwa beim Abstieg nach Nibelheim, in der die in Terzentürme gepresste Orchestermasse auch für die Unterdrückung eines ganzen Volks durch den Ausbeuter Alberich steht. Aber diese Passage kürzt Dove ohnehin drastisch, indem der ganze Auftritt Mimes wegfällt. Die Absicht der Kürzungen ist nicht immer klar, viele wirken pragmatisch und sinnlos zugleich. Wagner hatte angeblich eine Aufführungsdauer von zwei Stunden im Sinn und schalt seine Dirigenten der Temperamentsarmut, dass sie immer eine halbe Stunde mehr bräuchten. Doves Fassung dauert 110 Minuten – das ist zwar weniger, aber das Stück wird nicht wirklich schlanker. Mag sein, dass manche Textpassagen entbehrlich ist, aber sie enthält eventuell die Vorstellung eines wichtigen Motivs. So ist durch die Kürzung des Mime-Auftritts die Exposition des Tarnhelm-Motivs weggefallen; kehrt es wieder, fällt es nicht mehr auf, der musikalische Eindruck ist ein ganz anderer. Mancher Sprung bringt nur Sekunden, stört aber das periodische Gleichgewicht der Gesangsphrasen empfindlich: So merkt man immerhin, dass Wagners Musik keineswegs so formlos ist, wie es ihr oft vorgeworfen wurde, dass es Proportionen gibt, die man nicht durcheinanderbringen sollte. Der verkleinerte Klang gibt den Sängern die Möglichkeit zu klarster Artikulation. Thomas Blondelle als Loge übt sich mit überschäumender Spiellaune in dämonischer Überdeutlichkeit, der Wotan Derek Weltons bleibt darstellerisch etwas behäbig, überzeugt aber durch eine reiche dynamische Spannweite und großen Klang, wie auch Annika Schlicht als Fricka – beide bilden ein musikalisch glänzend dargestelltes Ehepaar im Streit. Philipp Jekals Alberich funktioniert vielleicht nur mit dieser Besetzung: Der junge Bariton singt mit schlankem Ton und viel Sprache, muss an Volumen noch gewinnen, vermittelt aber den Umschwung der Komödie in die Tragödie, die Verfluchung des Rings bereits mit großer Wucht. Dagegen wirkte Judit Kutasis Erda bei wuchtigem Klang eher konventionell, , auch in dem, was solch großen Altstimmen an Intonation oft misslingt. Zauberhaft harmoniert das Rheintöchter-Trio mit Elena Tsallgova, Irene Roberts und Karis Tucker. Riesen im Nadelstreifenanzug Die von Neil Barry Moss erarbeitete „Szenische Einrichtung“ spielt mit dem Charakter einer Not-Inszenierung: Weiß verhüllte Kostümpuppen 1 von 2 15.06.2020, 12:20
Artikel auf Seite 18 der Zeitung Berliner Zeitung vom Di, 16.06.2020 https://epaper.berliner-zeitung.de/ erinnern an den Anfang des Götz-Friedrich-Rings im Tunnel, Wotan nimmt in einem Drehstuhl mit der Aufschrift „Regie“ Platz, Alberich betritt die Bühne mit Rudolph-Moshammer-Perücke und mit zu vielen Blumen am Jeansanzug, das Rheingold selbst besteht aus goldenen Brustpanzern, die aus einem Haufen überflüssiger Requisiten ausgewählt werden. Zum Einzug aus Walhall fallen aus dem angrenzenden Gebäude die Banner verschiedener Produktionen – Walhall als das Opernhaus selbst, das sehnsüchtig des Einzugs der Gäste harrt. Die Riesen erscheinen als Bauunternehmer im Nadelstreifenanzug, und vielleicht wirkte kein Fafner je so gnadenlos und furchterregend wie der entsprechend nüchtern singende Tobias Kehrer, der mit dem Klemmbrett in der Hand und mit der kalten Leidenschaft der Pedanterie registriert, ob da auch genug Gold aufgehäuft wird – hier wird aus der szenischen Einrichtung eine Inszenierung mit Ausdruckskraft. Weitere Aufführungen am 16., 18., 19., 20. und 21. Juni. Deutsche Oper Berlin, Bismarckstr. 35, Telefon: 030 34 38 43 43 2 von 2 15.06.2020, 12:20
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Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464901/12 F.A.Z. - Feuilleton Samstag, 13.06.2020 Anna Netrebko singt in Dresden Es geht wieder los: Die Dresdner Semperoper nimmt nach gut drei- monatiger Pause am 19. Juni den Spielbetrieb wieder auf. Die russi- sche Sopranistin Anna Netrebko und ihr Mann, der Tenor Yusif Eyvazov, werden an vier aufeinanderfolgenden Abenden in einer konzertanten Aufführung von Giuseppe Verdis Oper „Don Carlo“ in gekürzter Fassung mit reduzierter Orchesterbesetzung zu erleben sein. Die anderthalbstündigen Vorstellungen sind der Auftakt für eine Programmreihe mit je eineinhalbstündigen Veranstaltungen ohne Pause. Der Spielbetrieb unterliegt der Einhaltung aktueller Hygienebestimmungen, wozu auch eine eingeschränkte Platzkapa- zität zählt.dpa 1 von 1 14.06.2020, 19:36
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KONZERT | Beitrag vom 13.06.2020 APP: DLF AUDIOTHEK Dresdner Philharmonie spielt Trilogie unter Marek Janowski Von Haydn zu Hindemith – Klangbrücken III Moderation: Stefan Lang Beitrag hören Iveta Apkalna, Orgel Francesco Piemontesi, Klavier Dresdner Philharmonie Leitung: Marek Janowski Marek Janwoski hat die Haydn-Hindemith-Trilogie konzipiert. (Dresdner Philharmonie / Oliver Killig) Wenn die klassische Sinfonie von Joseph Haydn auf die kammermusikalische von Paul Hindemith trifft, werden die großen klanglichen Unterschiede klar aufgezeigt. Aber auch, dass Hindemith jene Klassik immer im Hinterkopf hatte. Es war die Idee von Marek Janowski, sein großes Orchester, die Dresdner Philharmonie, für ein Programm mit Haydn und Hindemith zu begeistern. Dabei hat er drei Abende konzipiert – und sein Orchester gedrittelt. Jeden Abend spielt das Orchester also in einer neuen Zusammensetzung – so konnten alle Musikerinnen und Musiker sich in Haydn und Hindemith vertiefen. Marek Janowski hat jedem Musiker der Dresdner Philharmoniker ermöglicht, ein Radiokonzert zu spielen. (Dresdner Philharmonie / Oliver Killig) Auch am dritten Abend greift das Konzert auf folgendes Konzept zurück: Zwei Haydn- Sinfonien sind die Pole, zwischen denen zwei Kammermusiken des Bürgerschrecks Paul Hindemith erklingen. Haydn – Pariser Liebling Haydn kannte Paris nur von Zeichnungen, aber ganz Paris kannte Haydn. Er war für die Pariser Kulturschickeria und eben auch für die Kulturkenner gleichermaßen Genie. Haydn konnte groß besetzen und wusste um die technische Perfektion der Pariser Musikkollegen.
Als dann auch noch die aus Österreich stammende Marie Antoinette eine Lieblingssinfonie erkor, wurde dieses Werk kurzerhand mit dem Beinamen „La Reine“ betitelt. Die französische Königin war Protektorin der Konzertreihe „Concerts de la Loge Olympique“. Haydn hatte in dieser Sinfonie Nr. 85 unter anderem eine französische Romanze eingebaut, die Antoinette noch kurz vor ihrer Hinrichtung leise sang. Hindemith – der Bürgerschreck Er war ein Komponist, der gern provozierte. Mit grellen Dissonanzen, mit hastigen Rhythmen – vergleichbar bunt und kantig, wie die Expressionisten seiner Zeit malten. Er wollte ein Anti-Künstler sein. Und so schuf er mit seinem Klavierkonzert, der Kammermusik Nr. 2 für obligates Klavier, ein Werk, in dem der Solist athletisch sein Können zeigt – ein neobarockes Konzert mit aggressiv- lärmendem Humor. Francesco Piemontesi wird der Solist an diesem Abend sein. Francesco Piemontesi wird Hindemiths sogenanntes Klavierkonzert aus den 20-er Jahren spielen. (Francesco Piemontesi / Marco Borggreve) Zuvor spielt Iveta Apkalna die Kammermusik Nr. 7 für Orgel und Kammerorchester. 1927 bekam Hindemith einen Auftrag des Frankfurter Rundfunks – das Radio war das begeistert aufgenommene, schnell wachsende, neue Medium. Eine neue Orgel sollte eingeweiht werden. Der Schwager des Komponisten war damals Leiter des Senders. Und Hindemith komponiert hierfür die prächtigste der Kammermusiken. Von wegen feierlich Dieses Mal dreisätzig, also ganz konventionell, ja klassisch angelegt. Der Orgel werden Bläser, etliche Celli und Kontrabässe zur Seite gestellt. Fanfarenartig eröffnet der erste Satz. Und Hindemith vermag die Bläser- und Orgelregister derart zu verschmelzen, dass man manchmal nicht so recht weiß, wer gerade am Zug ist. Iveta Apkalna ist in diesem Fall Solistin – in einem Werk, das die Feierlichkeit des damaligen Momentes kräftig humorvoll und mit viel Spiellaune unterläuft. Die lettische Organistin Iveta Apkalna ist eine der führenden Organistinnen der Musikszene. (Iveta Apkalna / Maxim Schulz)
KONZERT | Beitrag vom APP: DLF AUDIOTHEK 14.06.2020 Tschechische Philharmonie, Collegium 1704 und Prager Symphonieorchester Der Prager Frühling hat stattgefunden Moderation: Volker Michael Beitrag hören Mit Inbrunst sang sie ein Gloria von Georg Friedrich Händel beim Prager Frühling – die Sopranistin Hana Blažíková. (Ivan Malý/Český Rozhlas/EBU) Hana Blažíková hatte das Glück, in einem der ersten Publikum-Konzerte singen zu können. Sie zog beim „Prager Frühling“ mit ihrem klaren und gleichzeitig weichen Sopran in Händels „Gloria“ die Besucher in ihren Bann. Eigentlich sollte es ein rauschender Jubiläumsjahrgang werden, der 75. Prager Frühling, ein internationales Musikfestival, eines der größten und ältesten Europas, das nicht zuletzt viel älter ist das politische Ereignis gleichen Namens von 1968. Doch dann kam der Lockdown wegen der Pandemie – das gesamte Festival hätten die Verantwortlichen absagen können. Doch sie verfügten über genügend finanzielle Mitteil und öffentliche Unterstützung, um die Konzerte dennoch zu organiseren. Und einiges fand nicht nur online und in Radio und Fernsehen statt, sondern auch mit leibhaftigem Publikum im Saal. Jakub Hrůša leitet die Tschechische Philharmonie (Český Rozhlas/EBU) Wir haben aus dem Angebot des Tschechischen Rundfunks/Radio Moldau drei Veranstaltungen ausgewählt, aus denen Sie jeweils Ausschnitte hören können. Am Ende einen Teil des Abschlusskonzerts vom 4. Juni mit der Tschechischen Philharmonie, dirigiert von Jakub Hrůša. Er hat eine eigene Orchesterfassung eines späten Streichquartetts von Ludwig van Beethoven vorgestellt. Und zwar des rätselhaft helltönigen F-Dur-Quartetts op. 135.
Liebling Josef Suk Außerdem gibt es zwei Stücke für Streichorchester von Josef Suk, die Meditation über den altböhmischen Choral „Sankt Wenzel“ und die E-Dur-Serenade. Tomáš Brauner leitet das Prager Symphonieorchester FOK, das städtische Orchester der Landeshauptstadt. Josef Suk, der Schwiegersohn Antonín Dvořáks, ist mit seiner Musik nicht nur der erklärte Liebling Kirill Petrenkos, des Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, sondern wird auch in seiner Heimatstadt Prag verehrt und regelmäßig gespielt. Der Dirigent Tomáš Brauner (Lukáš Poláček/Český Rozhlas/EBU) Am Beginn steht sakrale Barockmusik mit dem hochgelobten Collegium 1704. Das hat am 18. Mai ein Konzert in der Annenkirche des Kulturzentrums Prague-Crossroads gegeben. Solistin war die Sopranistin Hana Blažíková, sie sang das Gloria, eine frühe Solo-Kantate Georg Friedrich Händels, die erst vor einigen Jahren entdeckt wurde. Václav Luks dirigierte den Abend, der mit der bewegenden Motette „Jesu, meine Freude“ von Johann Sebastian Bach endete. Dieses Konzert fand noch unter erschwerten Bedingungen statt. Dirigent, Musikerinnen und Musiker und Vokalisten trugen sämtlich Gesichtsmasken, Publikum gab es auch noch nicht. Konzerte mit Publikum Das war bei den späteren Konzerten Anfang Juni schon anders. Da saßen Zuhörer im Saal und die Orchestermusiker konnten frei atmend auftreten. Inzwischen hat ja Tschechien als eines der ersten Länder Europas seine Grenzen wieder für die Anrainerstaaten geöffnet. Und anscheinend ging dort auch in der Kultur schon etwas, als in deutschen Städten noch alle Säle geschlossen waren und zumeist immer noch sind. 75. Prager Frühling Ludwig van Beethoven Aufzeichnungen vom 18. Mai, 1. und 4. Juni 2020 Streichquartett Nr. 16 F-Dur op. 135 (Orchestrierung: Jakub Hrůša) Georg Friedrich Händel „Gloria“, Geistliche Solo-Kantate Tschechische Philharmonie Leitung: Jakub Hrůša Johann Sebastian Bach „Jesu, meine Freude“, Motette BWV 227 Hana Blažíková, Sopran Collegium Vocale 1704 Collegium 1704 Leitung: Václav Luks Josef Suk Meditation über den Choral „St. Wenzel“ op. 35a Streicherserenade E-Dur op. 6 Prager Symphonieorchester Leitung: Tomáš Brauner
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Artikel auf Seite 16 der Zeitung Berliner Zeitung vom Sa, 13.06.2020 https://epaper.berliner-zeitung.de/ Staatsziel Kultur Wiedervorlage der Linken Das klingt schön, ist aber kein neuer Gedanke. Ein solches Staatsziel garantiere auch keine höhere Förderung. Und im Streitfall müssten Gerichte über kulturelle Belange entscheiden. Petra Kohse „Die Linke im Bundestag will die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern“, meldet dpa. Diese Idee ist nicht neu. Schon vor 15 Jahren hatte der damalige Bundestag eine Enquetekommission Kultur in Deutschland eingesetzt, die die Empfehlung formulierte, dem Grundgesetz einen Artikel 20 b anzufügen, der lauten sollte: „Der Staat schützt und fördert die Kultur“. In Artikel 20 a werden die „natürlichen Lebensgrundlagen“ und die Tiere geschützt. Daraufhin formulierte die FDP-Fraktion seinerzeit einen Gesetzesentwurf, der aber im Tagesgeschäft offenbar wieder versackte. Das Thema flackert seither immer wieder auf, und nachdem man am Beispiel der Rettungspolitik von Bund und Ländern für Kulturschaffende in den letzten Monaten erleben konnte, welche, sagen wir es mal diskret, Uneinheitlichkeit und Ungerechtigkeit sich aus der prinzipiell föderalen Zuständigkeit der Länder ergeben hat, liegt der Wunsch nach einem Sicherheitsnetz namens Bundesaufgabe tatsächlich gerade wieder sehr nahe. Damit daraus gleichzeitig keine Nachteile für die Länder entstehen, plädiert Simone Barrientos, die kulturpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, auch mit Blick auf ein sich daraus ergebendes Kooperationsgebot sicherheitshalber für eine Lösung, „die den Bund in die Pflicht nimmt, ohne den Ländern die Gestaltungsfreiheit zu nehmen“. Für die Wissenschaft gibt es eine solche Vereinbarung bereits (Artikel 91 b). Das klingt gut. Andererseits hat sich die aktuelle Bundesregierung Schutz und Förderung der Kultur ja schon jetzt zum Auftrag gemacht, wie ein Blick in die Koalitionsvereinbarung und natürlich auch die Kulturmilliarde zeigen. Über die Höhe der Förderung müsste man sich weiterhin streiten. Und dazu träte etwas ein, das auch einmal unerwünschte Ergebnisse produzieren könnte: Kulturelle Belange wären nicht mehr nur ein Thema der politischen Debatte, sondern auch der Gerichtsbarkeit. ;Petra Kohse, nickt, aber gibt etwas zu bedenken.;Die Linke im Bundestag will die Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern“, meldet dpa. Diese Idee ist nicht neu. Schon vor 15 Jahren hatte der damalige Bundestag eine Enquetekommission Kultur in Deutschland eingesetzt, die die Empfehlung formulierte, dem Grundgesetz einen Artikel 20b anzufügen, der lauten sollte: „Der Staat schützt und fördert die Kultur“. In Artikel 20a werden die „natürlichen Lebensgrundlagen“ und die Tiere geschützt. Daraufhin formulierte die FDP-Fraktion seinerzeit einen Gesetzesentwurf, der aber im Tagesgeschäft offenbar wieder versackte. Das Thema flackert seither immer wieder auf, und nachdem man am Beispiel der verschiedenen Kultur-Rettungsmaßnahmen von Bund und Ländern in den letzten Monaten erleben konnte, welche, sagen wir es mal diskret, Uneinheitlichkeit und welches Ungenügen sich aus der prinzipiell föderalen Zuständigkeit für die in den verschiedenen Regionen Deutschlands lebenden Künstler ergeben hat, liegt der Wunsch nach einem Sicherheitsnetz namens Bundesaufgabe tatsächlich gerade wieder einmal sehr nahe. Damit daraus gleichzeitig keine Nachteile für die Länder entstehen, plädiert Simone Barrientos, die kulturpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, auch mit Blick auf ein sich aus einem „Staatsziel Kultur“ ergebenden Kooperationsgebot (derzeit herrscht nachgerade das Gegenteil: ein Kooperationsverbot) sicherheitshalber für eine Lösung, „die den Bund in die Pflicht nimmt, ohne den Ländern die Gestaltungsfreiheit zu nehmen“. Für die Wissenschaft gibt es eine solche Vereinbarung bereits (Grundgesetz Artikel 91b). Das klingt zweifellos gut. Andererseits hat sich die aktuelle Bundesregierung Schutz und Förderung der Kultur ja schon jetzt zum Auftrag gemacht, wie ein Blick in die Koalitionsvereinbarung und natürlich auch die Kulturmilliarde zeigen. Über die Höhe der Förderung müsste man sich allerdings weiterhin streiten. 1 von 2 15.06.2020, 12:23
Artikel auf Seite 16 der Zeitung Berliner Zeitung vom Sa, 13.06.2020 https://epaper.berliner-zeitung.de/ Und noch dazu träte etwas ein, das auch einmal unerwünschte Ergebnisse produzieren könnte: Kulturelle Belange wären nämlich nicht mehr nur ein Thema der politischen Debatte, sondern auch der Gerichtsbarkeit. 2 von 2 15.06.2020, 12:23
Artikel auf Seite 17 der Zeitung Berliner Zeitung vom Sa, 13.06.2020 https://epaper.berliner-zeitung.de/ Unterschätztes Weltkino wird sichtbar Ein Online-Festival zeigt iranische Filme „Roozi ke zan shodam“ (Der Tag, an dem ich zur Frau wurde), Iran 2000 M Meshkiny Claus Löser Immer aufs Neue erreichen uns aus dem innen- wie außenpolitisch hart umkämpften Iran aufregende filmische Botschaften. Regulär in die deutschen Kinos gelangt davon leider nur wenig. Durch die coronabedingte Krise erweitern sich paradoxerweise gerade die Möglichkeiten. Auf der Webseite der Berliner Festspiele findet ein zehntägiges Online-Festival statt, bei dem sieben lange und vier kurze Beispiele aus den Jahren zwischen 1973 und 2018 sichtbar werden. Dieses Spektrum greift weit, macht aber unbedingt Sinn. Von der iranischen, seit 1989 in Deutschland lebenden Kuratorin und Produzentin Afsun Moshiry wird damit ein Aufriss angeboten, der gar nicht repräsentativ sein kann – der aber doch auf eine immense kinematografische Substanz verweist. Ideal waren die Arbeitsbedingungen weder vor noch nach der „Islamischen Revolution“ von 1979; tendenziell lastet gerade wieder die Zensur schwerer denn je. Dies muss beim Sehen der Filme stets mitgedacht werden: dass es sich um abgetrotzte Werke handelt, um Akte des Widerstands, stets auf der Klinge des Verbots balancierend, mit möglichen Konsequenzen von Verfolgung, Haft, Exil. Einigermaßen bekannt sind derzeit nur die Fälle von Mohammad Rasulof und Jafar Panahi. Beide Regisseure stehen offiziell unter Berufsverbot und sind von mehrjährigen Haftstrafen bedroht. Regelmäßig unterlaufen sie die strengen gerichtlichen Auflagen, gefährden sich selbst, setzen aber ermunternde Zeichen der Zivilcourage für jüngere Kolleginnen und Kollegen. Mit dem 1973 von Sohrab Shahid Saless gedrehten „A Simple Event“ liegt bei „10 Days of Iranian Cinema“ auch ein Film aus der Schah-Ära vor. Mit diesem wortkargen, streng inszenierten, dabei tief berührenden Kindheitsbild aus einer maroden Siedlung am Kaspischen Meer wird auch auf systemübergreifende Kontinuitäten verwiesen. Das iranische Kino fuhr immer dann zu Höchstform auf, wenn in seinem Zentrum Vergessene, Ausgestoßene, Gefährdete standen. Diese soziale Empathie ging stets mit ungewöhnlichen Erzählformen einher. Auch der jüngste Beitrag des Festivals steht in dieser Tradition. „Shouting at the Wind“ (2018) von Siavash Jamali und Ata Mehrad erzählt von den verzweifelten Befreiungsversuchen eines Jugendlichen aus familiärem und urbanem Sumpf. Obwohl zwischen beiden Filmen fast 50 Jahre liegen, verbindet sie eine gemeinsame Haltung. Dass Kino ein fragiler kultureller Raum inmitten tiefgreifender Umbrüche sein kann, zeigt Mohammadreza Farzad im nur 30-minütigen „Blames and Flames“ (2011). In dynamischer Montage verknüpft er Ausschnitte aus Spielfilmen von vor 1979 mit dokumentarischen Bildern aus der Zeit des Umsturzes. Das Online-Festival „10 Days of Iranian Cinema“ ist vom 12. bis 21. Juni unter www.berlinerfestspiele.de/de/berliner-festspiele/programm/on- demand/iran-filme.html freigeschaltet. 1 von 1 15.06.2020, 12:24
Mo 15.06.2020 - "Berlin Postkolonial" will streitbare Statuen umgestal... https://www.rbb-online.de/rbbkultur/kulturnachrichten/2020/06/Berlin... 1 von 1 15.06.2020, 12:26
Firefox https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/790347/16 1 von 1 15.06.2020, 10:03
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464901/12 F.A.Z. - Feuilleton Samstag, 13.06.2020 Hilfsfonds des Goethe-Instituts Das Goethe-Institut und das Auswärtige Amt haben einen Hilfs- fonds für kulturelle Einrichtungen im Ausland aufgelegt, die sich für künstlerische Freiheit und pluralistische Gesellschaften einset- zen. Der Fonds soll insbesondere langjährigen lokalen Partnern der Goethe-Institute helfen, die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Existenzkrise zu überstehen. Die Mittel des Fonds, dessen Budget in Höhe von drei Millionen Euro aus dem Haushalt des Außenministe- riums stammt, werden durch ein Konsortium vergeben, dem neben den Trägerinstitutionen auch Vertreter mehrerer deutscher Stiftun- gen und der deutschen Unesco-Kommission angehören. Die Beihil- fen können bis zum 30. Juni auf dem Bewerbungsportal der Goethe-Institute beantragt werden, die Höchstsumme beträgt fünf- undzwanzigtausend Euro. Die Laufzeit des Hilfsfonds, der auf drei Monate angelegt ist, beginnt Anfang September. Mit den Förder- mitteln sollten etwa Künstlerkollektive, Schreibwerkstätten, Kultur- zentren oder freie Theatergruppen unterstützt werden, deren Finanzierung gerade in autoritären Staaten infolge der Pandemie weggebrochen sei, sagte der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus- Dieter Lehmann, im Gespräch mit dieser Zeitung. „Diese mutigen Leute jetzt hängenzulassen können wir uns nicht leisten.“ kil. 1 von 1 14.06.2020, 19:35
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 F.A.Z. - Feuilleton Montag, 15.06.2020 Der Drive der punktierten Zweiunddreißigstel Drei Bagatellen um B.: Brendel, Beatles, Boogie- Woogie/Von Heiner Goebbels In der Berliner Philharmonie konnte ich 2003 eine überraschende Entdeckung machen – nicht im Konzert, sondern in der Umbau- pause einer Probe. Simon Rattle hatte zuvor an meinem Orchester- stück „Aus einem Tagebuch“ gearbeitet, danach stand Beethovens drittes Klavierkonzert auf dem Programm. Die Philharmoniker hatten die Bühne für eine Pause verlassen. Nur Simon Stockhausen saß noch am Keyboard und korrigierte die Lautstärke und das Tempo der Maschinensounds, die in meiner Komposition als Samp- les zugespielt werden, als Alfred Brendel auf die Bühne kam und sich mit einigen Takten von Beethovens Klavierkonzert einspielte – von den rabiaten, industriellen Geräuschen völlig unbeeindruckt. Dazu trat in die Mitte der Bühne ein Bühnenmeister und rief dem Maschinisten die Höhe der Podien zu, die für die neue Orchester- aufstellung verändert werden mussten: „Vierzig! Fünfundvierzig! Fünfzig!“ Das störte weder Brendel noch Stockhausen. Niemand spielte sich hier auf, alle drei gingen hochprofessionell und konzen- triert ihren jeweiligen Aufgaben nach, und die Maschinengeräu- sche, Beethoven-Fragmente, Zahlenreihen liefen unabhängig und gleichberechtigt nebeneinander ab. Geräusch, Musik und Stimme – alle hatten Platz in einer entspannten, selbstverständlichen, fast utopischen Koexistenz. In diesem Moment entstand eine ungewöhnliche Musik, die mir auch einen neuen Einblick in das allzu bekannte Repertoirestück ermöglicht hat. Und es entstand ein ungewöhnliches Bild: drei Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und ästhetischen Sphären, in verschiedene Richtungen schauend – und eine sich wie von Geisterhand bewegende Bühne. Ich war der einzige Zuschauer 1 von 3 15.06.2020, 09:32
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 in der leeren Philharmonie und dachte, so müsse Neues Musikthea- ter sein. Und auf diese Weise wäre es auch in Zeiten dieser Pande- mie aufführbar. Die Konzerterlebnisse, die ich als Jugendlicher in einer beschauli- chen pfälzischen Kleinstadt mit klassischer Musik machen konnte, wären heute undenkbar. Das Kulturprogramm war legendär. Von einem Stehplatz aus, für zwei Mark, sah und hörte ich die größten Interpreten der Nachkriegszeit: Wilhelm Kempff, Claudio Arrau, Wilhelm Backhaus und viele andere. Ob Mstislaw Rostropowitsch oder Kyrill Kondraschin, auch für die russischen Künstler stand diese Kleinstadt auf dem Plan, selbst wenn sie nur für vier Konzerte nach Deutschland kamen. Nahezu alle hatten Beethoven im Programm. Musik des zwanzigs- ten Jahrhunderts sah der Repertoirebetrieb nicht vor. Sogar die Berliner Philharmoniker und Karajan kamen 1968 und spielten Beethovens Fünfte. Das machte mir zwar großen Eindruck, aber war ich davon berührt? Eher nicht. Aufgerüttelt wurde ich vom Eigensinn der Solisten, der Fragilität der Bachkonzerte mit David und Igor Oistrach, dem tanzenden Sergiu Celibidache und amüsiert von der gefeierten Beethoven-Interpretin Elly Ney, die als Zugabe mit dem Publikum „Guten Abend, gut’ Nacht“ sang. Zu Hause spiel- te ich auf dem Klavier die üblichen Beethoven-Sonaten, aber viel wichtiger waren mir Bach und Boogie-Woogie; und ich brachte mir die neuen Songs der Beatles und Beach Boys bei. Aber eine Erfahrung hat damals mein Beethoven-Bild verändert: als Swjatoslaw Richter Beethovens letzte Sonate op. 111 im Programm hatte. Zu Beginn des zweiten Satzes spielte er die Passage der punk- tierten Zweiunddreißigstel mit einem derartigen Drive, als handele es sich um einen Boogie-Woogie. Ich erinnere mich noch an den Schock, den das bei mir auslöste. Die Energie, mit der er dabei das Klavier ansprang, fiel aus dem Rahmen all der anderen Konzerte, und plötzlich verflüchtigte sich auch der Graben, der bis dahin zwischen Bühne und Stehplatz, zwischen meinen klassischen und nicht-klassischen Musikwelten bestanden hatte. Das sollte immer noch Beethoven sein? Natürlich ist dieses Bild später komplexer geworden. Während meines Musikstudiums hat mir mein Klavierprofessor nicht nur 2 von 3 15.06.2020, 09:32
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 beigebracht, wie man sich an der Alban-Berg-Sonate versucht, für Stücke von John Cage das Klavier präpariert, für Earle Brown nach der Stoppuhr spielt oder die Intonarumori des Futuristen Luigi Russolo bedient; er hat mir auch die Überraschungen und Brüche in den späten Beethoven-Bagatellen nahegelegt. Nur die Sonate op. 111 hatte ich seit jener Teenagerzeit nie wieder gehört. Das sollte sich vor kurzem in einem Schöneberger Hinterhof in Berlin ändern, als in den Räumen eines Klavierbauers zur Eröff- nung des Beethoven-Gedenkjahres sechzig Pianisten an vier aufein- anderfolgenden Tagen diese letzte Sonate spielten. Nacheinander. Als ich davon erfuhr, waren die ersten beiden Tage schon vorbei. Die Namen der meisten Pianisten waren mir unbekannt, Igor Levit hatte ich verpasst; nach meinen ersten beiden Hörerfahrungen kam Pierre-Laurent Aimard, hatte allerdings die Sonate „nicht drauf“, sondern bot sich stattdessen an, einen jungen Mann zu unterrich- ten. Wie er dann die Sonate mit Humor und großer Freundlichkeit für den kleinen Kreis der Zuhörer und Zuhörerinnen aufschloss und durch seine Eingriffe und Kommentare analysierte, war eine erhel- lende, großartige Lehrstunde. Zum Beispiel unterbrach er den Pianisten und bat ihn zu singen. „Wie?“ – „Ja, singen Sie das Thema. Wenn Sie nur Klavier spielen wollen, müssen Sie sich einen anderen Komponisten suchen. Beet- hoven muss man singen.“ Und der Erfolg dieser kleinen Maßnahme für Atem, Phrasierung, Dynamik wurde für alle schlagartig nach- vollziehbar. Viele Male hörte ich die Sonate noch, immer anders: mal streng und voller Brüche, mal dramatisch, mal auf expressive Weise romantisierend, mal fast meditativ und entschleunigend. Aber immer Beethoven. Ein nachahmenswertes Format, das mir eine starke Erfahrung ermöglicht hat. Besser als Streaming. Und anderthalb Meter Abstand konnten auch hier zwanglos eingehalten werden. Heiner Goebbels ist Komponist und war von 2012 bis 2014 Inten- dant der Ruhrtriennale. 3 von 3 15.06.2020, 09:32
My Favorite String Quartet - The New York Times https://www.nytimes.com/2020/06/14/arts/music/alban-berg-string-quar... 1 von 3 15.06.2020, 12:39
My Favorite String Quartet - The New York Times https://www.nytimes.com/2020/06/14/arts/music/alban-berg-string-quar... 2 von 3 15.06.2020, 12:39
My Favorite String Quartet - The New York Times https://www.nytimes.com/2020/06/14/arts/music/alban-berg-string-quar... ◆◆◆ ◆◆◆ ◆◆◆ ◆◆◆ 3 von 3 15.06.2020, 12:39
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 F.A.Z. - Feuilleton Montag, 15.06.2020 Wie ernst meint es der Dissident? Der Schriftsteller Jörg Bernig wollte Leiter des Kulturamts in Radebeul werden. Für sein kritisches Milieu im Osten schlug die Stunde der Wahrheit. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer gaben Walter Schmitz und Jörg Bernig einen 750 Seiten dicken Band über „Schriftsteller aus der DDR in der Bundesrepublik“ heraus. Titel: „Deutsch-deutsches Literaturexil“. Bernig wurde 1964 in Wurzen geboren, studierte in Leipzig und wurde 1996 an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit über Stalingrad-Romane promoviert. Seit 1998 veröffentlicht er Lyrik und Ro- mane. Am Dresdner Lehrstuhl von Schmitz war er als Projektmitar- beiter beschäftigt. Zum Kompendium über die DDR-Schriftsteller in der Bundesrepublik hat Bernig zwei Aufsätze beigesteuert: über Siegmar Faust und Ulrich Schacht, die 1976 nach Westdeutschland kamen. Bernig zeigt sich hier als untadeliger Germanist: Er inter- pretiert sensibel, belegt gründlich und schreibt eine Prosa ohne Jargon. Von Schacht zitiert er einen Satz von 1982: „Ich kann in Deutschland kein Emigrant sein.“ Jörg Bernig, dessen literarische Produktion ebenfalls um den Komplex von Heimat, Flucht und Vertreibung kreist, würde seine eigene Haltung zu seinem Vaterland inzwischen wohl nicht mehr mit dem Satz Schachts bestimmen. Er hat sein jüngstes Buch in einer Taschenbuchreihe der Dresdner Buchhandlung von Susanne Dagen veröffentlicht, die den Titel „Exil“ trägt. Die anderen beiden Autoren der Reihe sind Monika Maron und Uwe Tellkamp. Vor drei Jahren sammelte Susanne Dagen Unterschriften für einen offenen Brief, der dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1 von 4 15.06.2020, 09:31
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 vorwarf, einer „Meinungsdiktatur“ Vorschub zu leisten. Der Titel des Aufrufs lautete „Charta 2017“. Dass die Unterzeichner sich in die Kontinuität der „Charta 77“ stellten, der Petition der Opposition der Tschechoslowakei, wurde weithin als Anmaßung verurteilt. Genauso meinen es aber die Intellektuellen, die sich im Zuge der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 zu einem mehr oder weniger losen Aktionsbündnis zusammenfanden, mit dem Buchhaus Loschwitz als Basisstation und dem örtlichen Großschriftsteller Tellkamp als Sprecher: Der systemkritischen Redensart, die Regierenden in Berlin seien auf die Errichtung einer neuen Diktatur aus, wollen sie durch Rückgriff auf die Erfahrung der Ostblock-Dissidenten Substanz verleihen. Wie ernst diese Behauptungen von Wiederkehr oder Kontinuität zu nehmen sind, das wurde jetzt eine politische Frage, als Jörg Bernig sich um das Amt des Kulturamtsleiters der Stadt Radebeul bewarb. Nachdem der Stadtrat ihn am 20. Mai gewählt hatte, gab es Protes- te aus der Stadt wie aus der sächsischen Kulturszene. Der parteilose Oberbürgermeister Bert Wendsche legte Widerspruch gegen die Wahl ein, um einen nochmaligen Wahlgang zu ermöglichen, der für den heutigen Montag angesetzt wurde. Am Donnerstag zog Bernig mit einer von Susanne Dagen verbreiteten Erklärung seine Kandi- datur zurück. In einem offenen Brief hatten Tellkamp und Dagen Ende Mai die Proteste gegen Bernigs Wahl als Anschlag auf die Demokratie bewertet: Kritische Positionen zur Einwanderungspolitik dürften kein Grund zum Ausschluss von öffentlichen Ämtern sein. Mit dem Publizisten Friedrich Dieckmann und Sebastian Kleinschmidt, dem ehemaligen Chefredakteur von „Sinn und Form“, unterschrieben zwei Repräsentanten bürgerlicher Erbepflege unter den ostdeut- schen Intellektuellen. Die Positionen zur Flüchtlingspolitik, die Bernig 2015 und 2016 in mehreren Texten ausgebreitet hat, gaben Grund zur Nachfrage, weil er sie im Duktus des Dissidenten vortrug, der im Sinne von Václav Havel in der Wahrheit leben will und dann aber im Zweifel auch erklären muss, welche Konsequen- zen er zieht. Wenn jemand den eigenen Zustand als moralische Ausbürgerung beschreibt, wie will und kann er dann seine bürgerli- chen Rechte und Pflichten ausüben? Mit der Radebeuler Affäre schlug die Stunde der Wahrheit für die Dissidenten-Imitatio des Tellkamp-Zirkels. 2 von 4 15.06.2020, 09:31
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 Bernig hat festgestellt, dass der deutsche Staat „seine Souveränität“ schon lange vor 2015 „aufgegeben“ habe. Unter Anspielung auf Brechts Gedicht über den 17. Juni 1953 beschrieb er eine „Lage, in der die Regierung und auch weite Teile der Medienwelt gegen das Volk regieren“, eine vorrevolutionäre Situation. Nur der Volkszorn, gab er zu verstehen, könne Abhilfe schaffen. Als er sich nun um eine Stelle als städtischer Beamter bewarb, handelte er da als Organ dieses Zorns, oder hat der Zorn sich inzwischen erübrigt? In den Essays des von Susanne Dagen verlegten Bandes „An der Allerweltsecke“ beschwört er das Reifen der Früchte des Zorns: „Lauter und lauter verschaffen sich diejeni- gen Gehör, die gegen den Verlust ihrer Angelegenheiten protestie- ren“, und sie „verschaffen sich Zugang zu den Parlamenten und Regierungen“. Der Oberbürgermeister von Radebeul gab zwischenzeitlich die versöhnliche Parole aus, dass es bei der Zuständigkeit für die Kultur auf die politischen Meinungen des Amtsleiters nicht ankomme. Aber Bernig hat seinen Angriff auf die herrschende Politik ausdrücklich damit begründet, dass sie keinen Begriff von Kultur habe, unter „Unkenntnis der Komplexität von Kultur“ leide. „Für nicht wenige der in Deutschland Regierenden scheint Kultur nichts weiter als ein Konzertabonnement zu sein. Kultur regelt aber grundlegend das Zusammenleben.“ Die meisten deutschen Kultur- politiker sehen ihre Aufgabe allerdings gerade nicht in der Ermögli- chung des Konzertbetriebs. Oder sie schreiben dieser Kulturförde- rung eine politische Funktion zu: So behauptet Kulturstaatsministe- rin Monika Grütters allen Ernstes, die Erhaltung der Grundversor- gung mit Kinos diene der Bekämpfung der AfD. Dieses politisierte Verständnis von Kultur begegnet in der Programmatik des Rade- beuler Beinahe-Amtsleiters Bernig seinem fratzenhaften Spiegel- bild. Das bedeutet aber auch, dass Bernigs Rollenverständnis gar nicht so dissident ist, wie er es sich einbildet. Die Karriere von Jörg Bernig eignet sich für eine Fallstudie einer Entwicklung in der ostdeutschen Intellektuellenwelt, für die sich das einfache, aber nicht falsche Stichwort der Radikalisierung eingebürgert hat. Neben der Verschiebung von Ansichten müsste man auch den Ton studieren. Die Doktorarbeit war noch eine Verteidigung der Aufarbeitung der Vergangenheit mit Adorno und 3 von 4 15.06.2020, 09:31
Firefox https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/464909/11 Mitscherlich. Der Schacht-Aufsatz verbirgt die politische Überein- stimmung nicht. Als Herausgeber des Bandes „Die selbstbewusste Nation“ machte Schacht in Bernigs Deutung das Verdrängte des vereinigten Deutschland öffentlich: Auch die Bundesrepublik sei 1990 untergegangen. Bernig merkte an, dass sich „ostdeutsche Intellektuelle kaum je“ an dieser Debatte beteiligt hätten. Das hat sich ein Vierteljahrhundert später komplett geändert. Kurz vor seinem Tod unterschrieb Ulrich Schacht noch wie Bernig die „Gemeinsame Erklärung 2018“, das neonationalistische Manifest der Merkel-Feinde. In einem Zitat aus der Besprechung eines Schacht-Gedichtbandes, die 1981 in dieser Zeitung erschien, setzte Bernig hinter die Wendung „bei uns“ zur Bezeichnung der Welt, von welcher der Rezensent Schacht abhob, ein Ausrufezeichen in Klammern. Hier markierte Bernig beiläufig einen Stachel, der ein mächtiges Motiv der heutigen Pseudo-Dissidenz bildet: das Gefühl der Zurückset- zung im ostdeutschen Bildungsmilieu. Die durch die Krise von 2015 angeblich aufgeworfene Schicksalsfrage hat Bernig auf die Formel gebracht: Bundesrepublik oder Deutschland? Auch der liberale Staat kann vormundschaftliche Züge ausbilden. Ein Ferment dissidenter Intelligenz könnte der Öffentlichkeit guttun, und Überempfindlichkeit ist allemal besser als Unempfind- lichkeit. Beim Blick in Bernigs jüngere Schriften ist das Eklatante die Vergröberung im Stil wie im Argument. Eine mit der Schablone produzierte politische Essayistik kann im literarischen Sinne nicht als dissident gelten. Den Horizont eines neuen mittel- europäischen Konservatismus umreißt Bernig in einem der Reise- berichte des „Exil“-Bändchens so: „Gustav Mahler sprach irgendwo vom ,Hüten der Glut, nicht vom Aufbewahren der Asche‘.“ Mahler spricht davon, wie Gerald Krieghofer nachgewiesen hat, nur im Internet. Die wahre Quelle dieser in der rechten Pamphletistik überall zitierten Definition von Tradition ist eine Rede des französi- schen Sozialisten Jean Jaurès. Bundesrepublik oder Deutschland? Jörg Bernigs Deutschland ist eine ziemlich ortlose Sache mit schi- märischen Grenzen. Patrick Bahners 4 von 4 15.06.2020, 09:31
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