PRESSEGESPRÄCH EINE VORSCHAU AUF DAS PROGRAMM DER VIENNALE 2020
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Wien, 20. August 2020 Sehr geehrte Damen und Herren! Wir dürfen Sie heute über den aktuellen Stand der Vorbereitungen für die Viennale 2020 informieren. Das Festival findet in diesem Jahr von 22. Oktober bis 1. November statt. In den vorliegenden Unterlagen präsentieren wir Ihnen eine erste Vorschau sowie bereits feststehende Programm- punkte der 58. Ausgabe der Viennale. Darüber hinaus stellen wir Ihnen den Viennale-Trailer sowie die Plakatsujets des Festivals und der Retrospektive vor. Laufend aktualisierte Informationen finden Sie auf unserer Website viennale.at, Pressematerialien und Fotos zum Download unter viennale.at/de/presse/download. Die Programm-Pressekonferenz findet am 13. Oktober um 18 Uhr statt. Der Ticket-Vorverkauf startet am 17. Oktober um 10 Uhr. Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Mit besten Grüßen Das Viennale-Presseteam press@viennale.at Fredi Themel 01/526 59 47-30 Sadia Walizade 01/526 59 47-20 Akkreditierungen, ab 21. August: Sadia Walizade 01/526 59 47-20 akkreditierung@viennale.at (Annahme der Akkreditierungsanträge bis 2. Oktober 2020) viennale.at/de/presse/akkreditierung VIENNALE – Vienna International Film Festival Siebensterngasse 2, 1070 Wien • T +43/1/526 59 47 office@viennale.at • viennale.at printed by
VIENNALE 2020 22. OKTOBER BIS 1. NOVEMBER VIENNALE 2020 Fest der Synergien, der Kollaborationen, des Zusammenlebens Sujets Trailer Textur #2 MONOGRAFIE SAY GOODBYE TO THE STORY Passagen durch das filmische Werk von Christoph Schlingensief KINEMATOGRAFIEN ŽELIMIR ŽILNIK Der Geist des Zusammenhalts AUSTRIAN AUTEURS Die 70er – Eine Filmdekade im Aufbruch AUSTRIAN DAYS RETROSPEKTIVE RECYCLED CINEMA
VIENNALE 2020 Die 58. Ausgabe der Viennale findet in einem sehr außergewöhnlichen Jahr statt. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Viennale dank ihrer programmatischen, ästhetischen und politischen Grundsätze an Bedeutung gewonnen, sie ist auf internationalem Niveau zu einer verlässlichen Größe und für das Publikum der Stadt Wien zu einem festen Bestandteil des Kalenders geworden. Doch solange es nicht möglich ist, die Auswirkungen von Covid-19 in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht abzuschätzen, bleibt auch uns nichts anderes übrig, als flexibel zu sein, unser Augenmerk auf den jeweili- gen Moment zu richten und für allfällige Veränderungen offen zu sein. Die Pandemie zwingt uns zum Nachdenken über die Möglichkeiten eines Festivals unter besonderen Voraussetzungen. Also haben wir neu über die Viennale nachgedacht und haben dabei unseren Überlegungen zugrunde gelegt, was für das Kino gegenwärtig wesentlich und von Bedeutung ist. Die Ausgabe der Viennale des Jahres 2020 wird demnach eine ebenso essenzielle wie konsistente sein: mit Neuheiten und Veränderungen, doch Charakter und Struktur wahrend. Unter den gegebenen Umständen bietet es sich auch an, über Kino und Festival als Veranstaltungsformen zu reflektieren. Der Start der neuen, dynamischeren Website der Viennale erschließt nicht nur mehr Inhalte, sondern bietet auch mehr Raum für Austausch. Mit der Erforschung und Neuordnung unseres Archivs geht die Erinnerung an unsere Geschichte in Gestalt von Videos und Fotos Hand in Hand. Außerdem wird es vielfältige Gelegenheiten geben, sich mit Filmemacher*innen, Kritiker*innen und Zuschauer*innen über das auszutauschen, was im Kino der- zeit vor sich geht. Darüber hinaus hält die Viennale unbeirrt an ihrer Rolle als Förderin der Kinokultur fest und damit auch an der Erfahrung des Film-Sehens im Kinosaal. Wir feiern die Kunst der Kinematografie, ihre intellektuelle und sinnliche Kraft, die Komplexität ihrer Produktionsweise und ihre technische Raffinesse. Denn es ist der Ort Kino, an dem die Kunstform Kino zu neuem Leben erwacht. Und es ist der Saal, in dem sich die Energie konzentriert, die Eindrücke sich mitteilen und gemeinsam Erfahrungen gemacht werden. Die Berufung unseres Festivals wurzelt in der Gemeinsamkeit, in der Teilnahme an einer öffentlichen Veranstal- tung, bei der Film, Filmemacher*innen und Zuschauer*innen zusammenkommen. Und wir glauben daran, dass dies auch heuer möglich sein wird. Natürlich werden wir, um Sicherheit und Wohlergehen des Publikums im Saal zu garantieren, die geltenden Hygienevorschriften erfüllen und auf die Einhaltung der Abstandsregeln achten. Um aber einer größeren Gemein- schaft von Kinofreund*innen die Teilnahme am Festival zu ermöglichen, arbeiten wir mit weiteren Kolleg*innen zusammen, die unsere Interessen teilen und die sich, aktuell mehr denn je, für die gleichen Ziele engagieren. Wir haben also für die V’20 ein neues Netz geknüpft und weitere fünf Säle zu den offiziellen Festivalkinos der Viennale hinzufügt. Admiralkino, Blickle Kino, Filmcasino, LE STUDIO Film und Bühne c/o Studio Molière und Votiv Kino schlossen sich unserer Initiative an, die zusätzliche Wiederholungsvorstellungen ermöglichen und das Viennale- Erlebnis auf weitere Teile der Stadt ausdehnen wird. VIENNALE 2020 – Fest der Synergien, der Kollaborationen, des Zusammenlebens Um Ihnen einen Teil des diesjährigen Programms zu erschließen, beginnen wir mit einem der Interpretations- ansätze, den einige der ausgewählten Filme gemeinsam haben, und der uns in der aktuellen Phase besonders inte- ressant erscheint: Distanz versus Nähe. Dieses Begriffspaar hat gegenwärtig eine besondere Konnotation ange- nommen, umfasst aber noch weitaus komplexere Bedeutung, wenn man es in Bezug setzt zu unserer Lebensweise und unseren sozialen und politischen Beziehungen. Die Nähe oder der Abstand zu Dingen, Personen, Situationen – seien sie aus Zufall entstanden oder aus Gewohnheit, im Rahmen von Ereignisse eingenommen oder zum Gedan- kenaustausch – beeinflussen die Art und Weise, in der wir diese wahrnehmen und verstehen. In einer Welt, die auf unterschiedliche Weise kontrolliert wird und bestimmt ist von Konsum und Kommunikation; einer Welt, die die Analyse von Informationen, die die Kenntnis von Details und die Deutungshoheit in einer paradoxen Denkfigur mal erlaubt und mal nur verspricht; in einer solchen Welt kommt dem – nahen oder distanzierten – Blickwinkel eine komplexe symbolische Bedeutung zu.
Oleg Sentsov, der nach seiner unrechtmäßigen Inhaf- tierung endlich wieder auf freiem Fuß ist, präsentiert NOMERY (Nummern), eine politische Allegorie auf den Totalitarismus. INTIMATE DISTANCES von Phillip Warnell hinterfragt eine Distanzierung, die bereits zu unseren sozialen Gepflogenheiten gehört. AN UNUSUAL SUMMER von Kamal Aljafari richtet den Blick durch Überwachungskameras nach draußen und legt einen NOMERY menschlichen und persönlichen Kommentar an. Viera Čákanyová setzt die Kamera in FREM impulsartig ein, wie ein quasi mechanisches Auge. Wie immer befragt sich das Kino zur eigenen Geschichte und zur politischen Lage und wie immer tut es dies mit verschiedenen Akzenten und Ansätzen – erzählerisch, beschreibend oder beobachtend, mal sarkas- tisch, mal aus vornehmer Distanz. Aus zahlreichen Beispielen für diese reflexive Haltung seien die folgenden Filme im Programm herausgehoben: DIE LETZTE STADT von Heinz Emigholz, COLOZIO DAVOS von Artemio Narro, HER NAME WAS EUROPA von Anja Dornieden und Juan David González Monroy, HER SOCIALIST SMILE von John Gianvito und CITY HALL von Frederick Wiseman. Selbstverständlich zeigt die Viennale auch Werke großer Filmemacher*innen, die dieses Jahr bereits das Glück einer öffentlichen Premiere hatten. Um Ihre Vor- freude zu wecken, teilen wir einige Titel mit, die vielfach auch eine hochkarätige Besetzung vorweisen können. Als da wären unter anderem: FIRST COW von Kelly Reichardt, einer der wichtigen Filme des Jahres, dem EPICENTRO wir besondere Aufmerksamkeit widmen. EL GRAN FELLOVE von Matt Dillon, der erste Film des Schauspie- lers mit dem markanten Gesicht, der nicht nur Liebhaber der Musikgeschichte, sondern auch selbst Musiker ist. Und nicht zuletzt NEVER RARELY SOMETIMES ALWAYS, für den Eliza Hittman bei der diesjährigen Ber- linale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Auch fehlt es nicht an österreichischen Produktio- nen, von denen wir nur einige der ausgewählten verraten: EPICENTRO von Hubert Sauper, der beim Sundance- Festival prämiert wurde; die außerordentliche Arbeit AUFZEICHNUNGEN AUS DER UNTERWELT von Tizza Covi und Rainer Frimmel über die Geheimnisse des Wie- FIRST COW ner Lebens Ende der Sechziger Jahre, erzählt von seinen legendären Protagonisten; ZAHO ZAY von Georg Tiller und Maéva Ranaïvojaona, ein Film, den seine Reise zu den Ursprüngen durch die Realität der Gefängnisse Madagaskars führt und der dabei die Zeitzeugenschaft einer Dokumentation mit der Suspense der Fiktion ver- flicht. Ein Paradestück ist THE TRUFFLE HUNTERS von Michael Dweck und Gregory Kershaw nicht nur, weil FREM
unser diesjähriges Sujet in ihm widerhallt. Und auch nicht nur, weil er tatsächlich eine der großen Überraschungen dieses Jahres und einer der beeindruckendsten unter den in Sundance gezeigten Filmen war. Sondern vor allem, weil er ein einfallsreicher, unterhaltsamer, sorgfältiger und humorvoller Film ist, dem es gelingt, eine ganze Kultur zu beschreiben, indem er, deren Vertreter*innen respektierend, von einer einzelnen Tradition erzählt. SUJETS Biologisch gesehen zählen Pilze zur Domäne der Eukaryoten; sie bilden ein von Tieren und Pflanzen unterschiedenes Reich, das ihnen Mitte des ver- gangenen Jahrhunderts erst zugeteilt worden ist; zuvor wurden sie lange ebenso traditioneller- wie fälschlicherweise dem Pflanzenreich zugeschla- gen; heute hingegen weiß man, dass sie mehr Gemeinsamkeiten mit tieri- schen Organismen haben. Pilze leben in Symbiose mit anderen tierischen und pflanzlichen Wesen oder sie sind deren Parasiten, auch die des Menschen. Pilze spielen eine fundamentale Rolle im Kreislauf der Natur und für den Austausch von Nährstoffen in der Umwelt: Sie sind die Urheber von Verwesung und Ver- wandlung organischer Materie. Pilze leben in dunkler Umgebung, eine Eigenschaft, die sie mit dem Kino gemein haben. Der Mensch nutzt Pilze als Nahrung, sie kommen als Gärstoff oder Fer- ment bei der Zubereitung von Getränken und Lebensmitteln zum Einsatz, sie dienen der Desinfektion oder als biologisches Pestizid; antike medizi- nische Traditionen ebenso wie die moderne Naturheilkunde schätzen Pilze als Heilmittel, und ihrer berauschenden Wirkung wegen kommen sie in religiösen Ritualen ebenso zum Einsatz wie sie in sekularen Zusammenhängen als Mittel der Flucht aus dem Alltag gebraucht werden. Seit jeher auch werden Pilze aufgrund ihrer psychoaktiven und halluzinogenen Eigenschaften in der Literatur und in den visuellen Künsten als Schlüssel zu den Pforten der Wahrnehmung beschrieben. Das Sujet der Viennale 2020 stellt eine fröhliche Ansammlung stilisierter Fliegenpilze (Amanita Muscaria) dar, die ikonografisch seit jeher mit psychedelischen Erfahrungen assoziiert werden. So wie ja auch das Kino mit seinen überraschenden Perspektiven zu ungeahnten Erkenntnissen und Visionen anregt und den Blick in neue Welten öffnet. Diese Aspekte der Verwandlung, des Erstaunens und der Befreiung wollen wir mit unserem Sujet wachrufen: Der Pilz der Viennale, weder Tier noch Pflanze, erinnert doch an beide, obwohl er eigensinnig etwas anderes bleibt – das sich noch weiter transformieren kann. Zugleich bringt diese farbenfrohe, lebhafte Fläche – auf der sich aus der spielerischen Vermischung von Darstel- lung und Form vielfältige Möglichkeiten der Assoziation ergeben – viele Pilze zusammen, in gebotener Distanz zwar, aber doch versammelt wie zu einer Feier und einander begegnend. Das Leitmotiv der Verwandlung und der Wiederverwertung prägt auch die Retrospektive, die in diesem Jahr als Kollaboration von Viennale, Filmmu- seum und dem Verleih sixpackfilm entsteht, der sein dreißigjähriges Beste- hen feiert. Es spiegelt sich in einem Still aus der bahnbrechenden Trilogie FILM IST des im letzten Jahr verstorbenen Gustav Deutsch, der in dieser die Phänomenologie des Mediums Kino mittels in den Archiven der Welt gefundener Bilder aus anderen Filmen erforschte. Das Kino setzt sich zusammen aus filmischer Materie, die Filmkunst ist ein auf die Welt und die in ihr entstehenden Bilder gerichtetes Kaleido- skop. Auf unserem Plakat ist ein Einzelbild zu sehen, das ihr Feuer einfängt. TRAILER Den diesjährigen Viennale-Trailer verdanken wir einer der großen Filme- macherinnen der Gegenwart, Alice Rohrwacher. Auf 16mm-Filmmaterial gedreht, spielt er mit dem Geheimnis der Schöpfung und der Magie von Licht und Schatten, aus der das Kino geboren wird. Er ist eine Anrufung
der Rückkehr zur Unschuld, die die Voraussetzung einer jeden neuen Ent- deckung ist, die antreibende Kraft des ewigen Lebenskreislaufes. Ein Aus- zug aus Pablo Nerudas „Oda a la manzana“ (Ode an den Apfel), vom Autor selbst vorgetragen, preist zugleich den Film, den kostbaren Moment einer Wiederentdeckung und den einer Neuschöpfung: „Cuando mordemos / tu redonda inocencia / volvemos / por un instante / a ser / también recién creadas criaturas / aún tenemos algo de manzana.“ (Wenn wir deine runde Unschuld beißen, sind wir wieder für einen Moment auch eben erst geschaffene Kreaturen: auch wir haben etwas von einem Apfel.) TEXTUR #2 TEXTUR ist eine Verlagsreihe, die wir im vergangenen Jahr mit einer Veröffentlichung über Angela Schanelec begonnen haben. Das Konzept ist, jedes Buch aus unterschiedlichen Quellen zu speisen. Damit möchten wir den vielfältigen Arbeitsweisen der Filmemacher*innen, den Talenten verschiedener Autor*innen, der Bandbreite von je wirkenden Einflüssen gerecht werden und auch zu ungewöhnlichen Kollaborationen einladen. Kurz: Wir möchten dieselbe Beweglichkeit und Offenheit an den Tag legen, die auch die beschriebenen Filmschaffenden auszeichnet, und uns so von den Fesseln der Konvention befreien. Der Name TEXTUR ist nicht zufällig gewählt. Zwar ist es ein deutsches Wort, doch ist es auch in vielen anderen Sprachen verständlich; es trägt dem Umstand Rechnung, dass das Projekt in Wien geboren wurde, und signalisiert zugleich seinen internationalen Anspruch: der Inhalt ist in englischer Sprache. Und die Idee der Taktilität, die in TEXTUR steckt, wird in inhaltlicher wie formaler Hinsicht eingelöst: als Lob- preis des unendlichen Sinnenreichtums des Kinos ebenso wie in dem schlichten Vergnügen, einen kleinen Gegen- stand zu bewahren, in der Hand halten und gelegentlich durchblättern zu können. TEXTUR #2 ist Kelly Reichardt gewidmet, deren FIRST COW, einer der großen Filme diesen Jahres, im Rahmen der Viennale gezeigt wird. Der Band beinhaltet einen Essay des Kritikers Jonathan Rosenbaum, einen Text des Fil- memachers Jem Cohen über die Leidenschaft, die diesem Handwerk innewohnt, zwei speziell für die Publikation geschriebene Gedichte der Poetin Eileen Myles, eine Erzählung von Maile Meloy, und zahlreiche weitere schriftli- che wie visuelle Beiträge sowie Interviews. Auswahl aus dem Hauptprogramm AN UNUSUAL SUMMER Kamal Aljafari, DE/Palästina 2020 AUFZEICHNUNGEN AUS DER UNTERWELT Tizza Covi, Rainer Frimmel, AT 2020 BITTE WARTEN Pavel Cuzuioc, AT 2020 EL AÑO DEL DESCUBRIMIENTO Luis López Carrasco, ES/CH 2020 CITY HALL Frederick Wiseman, USA 2020 COLOZIO Artemio Narro, MX 2020 DAVOS Daniel Hoesl, Julia Niemann, AT 2020 EFFACER L’HISTORIQUE Benoît Delépine, Gustave Kervern, FR/BE 2019 EPICENTRO Hubert Sauper, AT/FR 2020 FIRST COW Kelly Reichardt, USA 2019 FREM Viera Čákanyová, CZ/SK 2019 EL GRAN FELLOVE Matt Dillon, Mexiko/Kuba/USA 2020 HER NAME WAS EUROPA Anja Dornieden, Juan David González Monroy, DE 2020 HER SOCIALIST SMILE John Gianvito, USA 2020 INTIMATE DISTANCES Phillip Warnell, GB/USA 2020 KAJILLIONAIRE Miranda July, USA 2019 DIE LETZTE STADT Heinz Emigholz, DE 2020 NEVER RARELY SOMETIMES ALWAYS Eliza Hittman, USA 2020 NOMERY Oleg Sentsov, UA/PL/CZ/FR 2020 LE SEL DES LARMES Philippe Garrel, FR/CH 2019 SCHLINGENSIEF – IN DAS SCHWEIGEN HINEINSCHREIEN Bettina Böhler, DE 2020 SHEYTAN VOJUD NADARAD Mohammad Rasoulof, DE/CZ/IR 2020 THE TRUFFLE HUNTERS Michael Dweck, Gregory Kershaw, IT/USA/GR 2020 ZAHO ZAY Georg Tiller, Maéva Ranaïvojaona, AT/FR/MG 2020
MONOGRAFIE SAY GOODBYE TO THE STORY Passagen durch das filmische Werk von Christoph Schlingensief „In erster Linie bin ich Filmemacher“ – so Christoph Schlingensief 2006 im Gespräch mit Alexander Kluge anläss- lich der Ausstellung Hodenpark im Salzburger Museum der Moderne. Es war eine zu diesem Zeitpunkt scheinbar anachronistische Anmerkung: Längst war der einstige Trash-Filmer (DAS DEUTSCHE KETTENSÄGENMASSA- KER, TERROR 2000) zu einer umstrittenen Kultfigur der Berliner Volksbühne avanciert, hatte Elfriede Jelineks Bambiland auf die Bühne des Burgtheaters gewuchtet und mit seiner Parsifal-Inszenierung in Bayreuth Furore gemacht. Sein „letzter Neuer Deutscher Film“, DIE 120 TAGE VON BOTTROP war auch schon wieder ein paar Jahre her, und in der zunehmend der konsumablen Ware zugewandten deutschen Filmförderungs-Landschaft stieß der „Selbstprovokateur“ Schlingensief, der sich eher an avantgardistischen Arbeiten von Kenneth Anger, Kurt Kren oder Werner Nekes orientierte und in der kleinbürgerlichen Familie mit Super-8 experimentiert hatte, auf Mauern der Ablehnung. Dennoch: Doppelbelichtung, Filmriss, der „Dreh- ort“ als Mikrobiotop in einer medialisierten Gesellschaft begleiteten nicht nur als Metaphern, sondern auch ganz manifest in irrlichternden Projektionen auch seine theatra- lische Arbeit – bis hin zum Animatographen, einer reisenden Drehbühne, auf der die Betrachter*innen „endlich ins eigene (Film-)Bild treten“ konnte. Mit dem monumentalen Dreh THE AFRICAN TWINTOWERS strapazierte Schlingensief 2005 in Namibia noch einmal das Medium und seine Produk- THE AFRICAN TWINTOWERS tionsressourcen bis an den Rand des Möglichen. Und als er 2008 die Diagnose einer Krebserkrankung verarbeiten musste, raste in seiner KIRCHE DER ANGST VOR DEM FREMDEN IN MIR alles auf eine apokalyptische Montage zu. Zehn Jahre nach dem Tod Christoph Schlingensiefs, rund um seinen 60. Geburtstag am 24. Oktober gibt die Viennale nun mit Unterstützung der Nachlassverwalter die Gelegenheit zu einer Neusichtung: Kindheitsfilme, romantische Z-Pictures mit Klassikerstatus und, last but not least: Bisher kaum jemals oder nie öffentlich gezeigte Skizzen und Kurzfilme, gipfelnd in Werken mit beredten Titeln wie FREMDVERSTÜMMELUNG oder dem melo- dramatischen Psycho-Loop SAY GOODBYE TO THE STORY – im Übrigen auch einer großartigen Verbeugung vor Irm Hermann. KINEMATOGRAFIE ŽELIMIR ŽILNIK Der Geist des Zusammenhalts Želimir Žilnik zählt zu den bedeutendsten, politisch engagierten Filmemachern Europas. Im Umfeld der Studen- ten*innenproteste in Belgrad 1968 radikalisiert, wurde der 1942 Geborene zu einem Vorreiter der „Schwarzen Welle“ Jugoslawiens, die Werke hervorbrachte, in denen die Missstände der sozialistischen Gesellschaft nicht ausgeklam- mert wurden. Žilniks lange Zeit in Obskurität verschollenes Spielfilmdebüt EARLY WORKS (Berlinale-Gewinner 1969) zählt zu den Schlüsselwerken des politischen Films und zeigt eindrücklich wie Ideologien an Realitäten scheitern. Seit- her hat das Schaffen des Regisseurs viele Phasen durchlaufen – seiner angriffslustigen und unabhängigen Praxis hat das keinen Abbruch getan. Ob er sich nun mit den Schattenseiten Jugosla- wiens, den Arbeitsbedingungen für Migranten*innen in Deutschland oder, wie in THE OLD SCHOOL OF CAPITA- LISM (2009), mit den Auswirkungen des globalen Kapitalismus in Serbien befasst – immer kümmert sich Žilnik um jene, die in den herrschenden Diskursen außen vor bleiben. In seiner Annä- herung an die Außenseiter*innen der Gesellschaft setzt er nicht RANI RADOVI auf ästhetische oder emotionale Gemeinplätze. Stattdessen
wagt er den ungeschönten Blick, der immer auch sein eigenes Denken hinterfragt. Žilnik geht es in seiner Arbeit nicht nur um die Darstellung repräsentativer Konstrukte eines besseren Zusammenlebens, er versteht bereits den Akt des Filmens an sich als Teil der Revolution. So schafft er ein undogmatisches Kino, das in mitreißender und dia- lektischer Manier daran glaubt, dass es die Welt verändern kann. KINEMATOGRAFIE AUSTRIAN AUTEURS Die 70er – Eine Filmdekade im Aufbruch Das Jahr 1980 markiert einen der wesentlichsten Umbrü- che in der österreichischen Filmgeschichte: Zehn Jahre nachdem es erstmals angekündigt wurde, tritt endlich ein Filmförderungsgesetz in Kraft, das bis heute die Grund- lagen schafft, unter denen das heimische Kino gedeiht. Ein Jubiläum, das Grund genug ist, einen Blick auf die Dekade zuvor zu werfen, in der sich die österreichische Filmlandschaft zu organisieren und zu professionalisie- ren beginnt. Die 70er zählen nicht umsonst zu den freisten, mutigs- ten und experimentierfreudigsten Jahre unserer Film- geschichte – zumindest am Papier: Denn die meisten Filme und Filmemacher*innen dieser Zeit sind längst in SCHWITZKASTEN Vergessenheit geraten. Es ist eine Dekade, in der das kom- merzielle Kino kaum mehr eine Rolle spielt, und eine junge Generation sich anschickt, einen echten Neustart zu wagen. Ihre Arbeiten entstehen häufig aus der Symbiose mit anderen Künsten – Literatur, Malerei, Theater, Musik. Die Budgets sind klein, und gedreht wird unter selbstausbeuterischen Bedingungen. Von Aufbrüchen und Umbrü- chen erzählen auch die Filme – in teils radikalen Weltentwürfen, die sich keinem gängigen Regelwerk unterwerfen. Das Filmarchiv Austria präsentiert im Rahmen der Viennale fünf aus der insgesamt 15 Programme umfassenden Schau. Zahlreiche Mitwirkende werden bei den Vorstellungen anwesend sein. AUSTRIAN DAYS Mit der Idee, uns wieder zusammen zu finden und den Kino-Herbst zu fei- ern, haben wir eine Initiative ins Leben gerufen, die der einheimischen Industrie gewidmet ist. Um Gelegenheit zum Austausch, zur Auseinandersetzung und zur Erkundung künftiger Projekte zu bieten, planen wir Veranstaltungen, die das Kino Made in Austria zum Inhalt haben werden; insbeondere eine Reihe von Meetings, die Filmschaffenden die Möglichkeit auch zu inter- nationaler Vernetzung bieten sollen. Viele Veranstaltungen sind wegen der Pandemie abgesagt worden oder sind verschoben, viele, bereits angekündigte österreichische Filme warten noch auf ihr Publikum. Darunter auch jene, die im Rahmen der DIAGONALE zur Aufführung hätten kommen sollen; wir haben daher THE TROUBLE WITH BEING BORN deren Leiter eingeladen, eine Auswahl zu präsentieren: „Im Frühling hätte die Diagonale in Graz Filme gezeigt, die auf der Leinwand betören. Wir freuen uns sehr, dass nach Covid-19-bedingter Absage des Festivals nun eine konzentrierte Filmauswahl im Rahmen der Viennale unter dem Titel ‚Kollektion Diagonale’20 – Die Unvollendete‘ den Weg ins Kino findet. Wir danken der Viennale für diesen ersten Schritt in Richtung verstärkte Zusammenarbeit! Für all jene, denen an einer erfolgreichen Zukunft des österreichischen Films gelegen ist, ist sie gegenwärtig wichtiger denn je.“ (Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber)
RETROSPEKTIVE RECYCLED CINEMA Der Name unserer Retrospektive – Recycled Cinema – ist mehr als eine poetische oder ökologische Zuschreibung. Found-Footage-Filmemacher*innen hauchen einem bereits existierenden Fundus an Bildmaterial neues Leben ein und bringen so kommerzielle Produkte und Undergroundkino, Populäres und Obskures, Industrie und Kunst, Fik- tion und Dokument zusammen. Die Found-Footage-Praxis transformiert ein industrielles Medium in ein Universum ästhetischer Möglichkeiten – aus Abfall wird Kunst. Die große Zahl von Künstler*innen, die ihre ganze Laufbahn dem Found-Footage-Film gewidmet haben, zeugt von der Vielfalt des Genres und seiner bleibenden Wirkung. Wir präsentieren Schlüsselpositionen dieses reichen Felds, die durch die Bearbeitung von gefundenem Material Diskurse umdeuten, Identitäten herausforden und Geschichte neu schreiben. Die Found-Footage-Vorgangsweise attackiert und zerlegt gewohnte Zusammenhänge und Plausibili- täten im Namen der künstlerischen Aneignung, sei es in Bezug auf konventionelles Erzählen, die Darstellung von Diskriminerung, die Brutalität der politischen Macht oder die Schönheit von ephemeren Filmen: Man könnte es auch angewandte Film- und Medienkritik nennen. Zudem enthält Found-Footage-Filmemachen das Versprechen einer allgemein zugänglichen und demokratischen Kunstform, die unabhängiges Arbeiten auch mit wenigen Mitteln ermöglicht. Auch die große Umwälzung vom ana- logen, fotochemischen zum digitalen Filmemachen hat die Kraft und Faszination von Found-Footage nicht beein- trächtigt, die kontinuierliche Weiterentwicklung mit digitalen Methoden wird durch die schiere Menge an Arbeiten aus den letzten beiden Dekaden belegt. Recycled Cinema feiert sowohl den globalen Charakter der Found-Footage-Tradition wie auch ihre starke lokale Verankerung in der Wiener Kunst- und Filmszene. Gefeiert wird damit auch die herausragende kuratorische und unternehmerische Leistung des heimischen Filmverleihs sixpackfilm, der vor dreißig Jahren aus einer Filmschau geboren wurde, die sich demselben Thema widmete: Found-Footage-Kino. EIN PROGRAMM VON VIENNALE UND ÖSTERREICHISCHEM FILMMUSEUM IN ZUSAMMENARBEIT MIT SIXPACKFILM Kuratiert von Brigitta Burger-Utzer, Michael Loebenstein, Jurij Meden 23. Oktober bis 26. November 2020 Österreichisches Filmmuseum, Augustinerstraße 1, 1010 Wien Tel. 01/533 70 54 • filmmuseum.at FILM IST 7–12 PASSAGEN
PROGRAMMSTRUKTUR DER RETROSPEKTIVE MONOGRAFIEN SANTIAGO ÁLVAREZ BRUCE CONNER CÉCILE FONTAINE ARTHUR LIPSETT ARTAVAZD PELESHYAN PHIL SOLOMON PETER TSCHERKASSKY FEATURES VELIKIY PUT (1927), Esfir Shub SWASTIKA (1974), Philippe Mora PAYS BARBARE (2013), Ricci Lucchi & Gianikian DEAD MEN DON’T WEAR PLAID (1982), Carl Reiner VIDEOGRAMME EINER REVOLUTION (1992), Harun Farocki & Andrei Ujica DE MAALSTROOM: EEN FAMILIEKRONIEK (1997), Peter Forgács DIAL H-I-S-T-O-R-Y (1997), Johan Grimonprez, preceded by IT FELT LIKE A KISS (2009), Adam Curtis DECASIA (2002), Bill Morrison, preceded by THE FILM OF HER (1996), Bill Morrison IMITATIONS OF LIFE (2003), Mike Hoolboom BITTER LAKE (2014), HYPERNORMALISATION (2016), Adam Curtis ASCENT (2016), Fiona Tan FILM IST (1–6 + 7–12) (1998–2002), Gustav Deutsch KURZFILMPROGRAMME FILM IM DIENST DER GESCHICHTE mit Filmen von: Harun Farocki, Germaine Dulac STEREOTYPIEN DES WESTENS Adrian Brunel, Jayce Salloum, Elia Suleiman, Alexander Markov POESIE DES ABFALLS Paolo Gioli, Daïchi Saïto, Wilhelm & Birgit Hein, Malcolm LeGrice, Eve Heller, Siegried A. Fruhauf, Matthias Müller GESCHICHTE ERINNERN Rea Tajiri, Elke Groen, Peter Mihálik, Gábor Bódy PORNOGRAPHIE DEKONSTRUIEREN Peggy Awesh, Naomi Uman, Ricci Lucchi & Gianikian, Dietmar Brehm, Abigail Child, Alexei Dmitriev, Luther Price, Takahiko Iimura, Ljubomir Šimunić DIE UNSCHULD DES FRÜHEN – SUBJECT: EARLY CINEMA Ernie Gehr, Hollis Frampton, Guido Seeber, Norbert Pfaffenbichler, Len Lye REFRAMING DREAM FACTORY Matthias Müller, Joseph Cornell, Nicolas Provost, Karl Lemieux, Martin Arnold, Ljubomir Šimuniić, Miodrag Miša Miloševiić, Peter Kubelka, Michaela Schwentner A PERFECT BODY IS AN EMBARRASSING BODY Sabine Marte, Kevin Jerome Everson, Nana Swiczinsky, Ja’Tovia Gary, Elisabeth Subrin, Jyotti Mistry “FEIND FOOTAGE”: IMAGES AS BOUNTY Charles Ridley, Deutsche Wochenschau, Alfred Kaiser, Frank Capra, Alexander Kluge, Kurt Kren, maschek SHRED, SCRATCH, SYNC Rainer Gamsjäger, Rebecca Baron, Doug Goodwin, Michaela Grill/Martin Siewert, Johann Lurf, Thomas Draschan, Peggy Awesh, Jennifer Proctor, Dara Birnbaum, Stefanie Weberhofer FOUND FOOTAGE IST INTERVENTION Ladislav Galeta, Lisl Ponger, Fiona Tan, Christine Noll Brinckmann, David Rimmer, Jean-Gabriel Périot
Anlässlich des Sommer-Pressegesprächs dankt die Viennale ihren Förderern und Sponsoren, ohne deren großzügige Unterstützung das Festival in dieser Form nicht realisierbar wäre. FÖRDERER UND SPONSOREN Am Gelingen des diesjährigen Festivals ist wieder eine große Anzahl von Sponsoren und Kooperationspartnern beteiligt. Zur Programm-Pressekonferenz am 13. Oktober werden alle Sponsoren der Viennale 2020 bekannt gegeben. Für die Unterstützung bei der Sommer-Pressekonferenz dankt die VIENNALE
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