Pugnani: Werther Giovanni Antonini Sabin Tambrea - Sprecher Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
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DSO DSO Pugnani: ›Werther‹ Giovanni Antonini Sabin Tambrea – Sprecher Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Do 1.12.22, 20 Uhr Deu Sym Philharmonie Orc Ber
Pugnani: ›Werther‹ Gaetano Pugnani 1731–1798 Giovanni Antonini ›Werther‹ Melodram in zwei Teilen nach Goethe (1790) Sabin Tambrea – Sprecher Erster Teil Deutsches Symphonie-Orchester Berlin I. Sinfonia Do 1.12.22, 20 Uhr II. Am 4. Mai 1771 / Andante III. Am 12. Mai / Largo – Andante Philharmonie IV. Am 26. Mai / Allegretto V. Am 16. Juni / Allegro moderato VI. Am 16. Juni / Allegro – Inglese (Allegro) / Am 16. Juni VII. Tempesta (Sturm, Gewitter). Allegro assai – Piu lento / Am 16. Juni VIII. Andantino / Am 16. Juli IX. Largo / Am 16. Juli – Andantino / Am 19. Juli X. Allegretto XI. Am 30. August / Allegro Pause Zweiter Teil XII. Am 20. Oktober 1771 / Andante XIII. Am 20. Januar / Andantino XIV. Am 29. Juli / Andante sostenuto – Allegro XV. Am 3. November / Andantino XVI. Am 24. November / Lento – Un poco andante – Adagio – Allegro – Allegretto XVII. Am 4. Dezember / Adagio – Andante – Allegro assai / Am 4. Dezember XVIII. Am 21. Dezember / Largo – Presto / Am 21. Dezember XIX. Aus: »Der Herausgeber an den Leser« / Adagio sostenuto – Allegretto – Allegro – Adagio – Andantino – Andante – Adagio – Allegro – Adagio – Piu presto – Andante – Allegro – Adagio – Allegro – Adagio XX. Presto XXI. Aus: »Der Herausgeber an den Leser« / Allegro assai – Largo assai – Allegro assai XXII. Aus: »Der Herausgeber an den Leser« / Adagio sostenuto – Largo assai – Recitativo – Allegro assai Übertragung am 2. Dezember ab 20.03 Uhr: UKW 89,6 / DAB+ / online / App. Anschließend zum Nachhören im DSO PLAYER -> dso-player.de Dauer des Werks: beide Teile jeweils ca. 50 min
»Die Wirkung dieses Büchleins “The effect of this little book was war groß, ja ungeheuer, […],weil great, indeed tremendous, [...] es genau in die rechte Zeit traf«, because it came at exactly the bemerkte Goethe 1814 über ›Die right time,” Goethe remarked Porträt des jungen Goethe von unbekannter Hand Leiden des jungen Werther‹. Die about ‘The Sorrows of Young Niederschrift seines Briefromans Werther’ in 1814. It had been 40 lag damals bereits 40 Jahre years since he wrote his episto zurück. Aber dieses Werk hatte lary novel. Yet it was this work ihn in ganz Europa berühmt that had made him famous gemacht. Kaum erschienen, throughout Europe. As soon as verbreitete es sich wie ein it was published, it spread like Lauffeuer. In Deutschland stand wildfire. It could be found in the es im Bücherschrank fast jeder bookcase of almost every family lesefreudigen Familie. Rasch fond of reading in Germany. It wurde es übersetzt, ins Franzö was quickly translated into sische, Englische, Italienische. Es French, English and Italian. It was wurde gepriesen und verflucht, praised and cursed, defended, verteidigt, verboten und viel banned, and much debated. One debattiert. Eine bemerkenswerte notable discussion, hosted by the Diskussion fand am 29. April 1790 Società dei Filopatridi, took place in Turin statt, veranstaltet von in Turin on 29 April 1790. The der Società dei Filopatridi. Der theologian Giovanni Battista Theologe Giovanni Battista Concone gave a lecture, and Gaetano Pugnani, Radierung von Frédéric Hillemacher, 1842 Concone referierte, unter den among the guests was Gaetano Gästen befand sich Gaetano Pugnani, who was much praised Pugnani, als Violinvirtuose viel as a violin virtuoso and also well gerühmt und auch als Komponist respected as a composer. He wohl angesehen. Er hatte es nicht didn’t have far to go, since he weit: Er wohnte im selben Haus, lived in the same house where in dem sich die Gesellschaft traf. the society met. He was past the Über das Sturm-und-Drang- Sturm und Drang age at which Alter, in dem sich die meisten für most people became enthusiastic ›Werther‹ begeisterten, war er about ‘Werther’ – he was fast hinaus; er ging stramm auf die approaching 60 years of age –, 60 zu. Aber er fing Feuer. Noch but he caught fire. That the same im gleichen Jahr nahm er sich year, he took on Goethe’s poetry der Goethe’schen Dichtung mit using his own means of expres seinen Mitteln an. Er wählte die sion, choosing the form of melo-
Form des Melodrams. In ihr drama. In it, text was spoken wurde Text zwischen, manch- between, sometimes also along mal auch zu Musikstücken und with pieces and passages of -passagen gesprochen. Sie war music. It was a fashionable damals modern. In Frankreich musical form then and very und Deutschland erfreute sie popular in France and Germany. sich großer Beliebtheit, in In Italy, the land of opera, how- Italien, dem Land der Oper, ever, it was met with reserve. begegnete man ihr reserviert. Pugnani set high standards for Aus Opernhäusern, Pugnani stellte an seine Musik his music. According to a Philharmonien hohe Ansprüche. Einem Kolle- colleague, he wanted to make it und Konzertsälen. gen zufolge wollte er sie so so characteristic that from it charakteristisch gestalten, dass alone, without the help of words, allein aus ihr, ohne die Hilfe von the main parts of Goethe’s novel Worten, die Hauptstationen von would become clear. This led to Goethes Roman klar würden. the later conclusion that Daraus wurde später gefolgert, Pugnani’s composition was a dass es sich bei Pugnanis Kom- programmatic orchestral suite, position um eine programm- as no score of the work has musikalische Orchestersuite survived. It was possible to handle. Denn von dem Werk war reconstruct it from the parts keine Partitur erhalten. Man material in the archives of the konnte sie aus dem Stimmen- Society of Friends of Music in Konzerte, material rekonstruieren, das im Vienna. This material contains Archiv der Wiener Gesellschaft no information on text recita- der Musikfreunde liegt. Es tions, but the short musical jeden Abend. enthält keine Angaben zu Text- sequences towards the end rezitationen, doch die kurzen clearly indicate the form of the musikalischen Sequenzen gegen melodrama, and corresponding Jederzeit. Schluss weisen eindeutig auf passages in Goethe’s poetry can die Form des Melodrams hin, be found with a high degree of und zu allen Stücken lassen sich accuracy for all of the pieces. mit hoher Genauigkeit entspre- chende Passagen in Goethes Dichtung finden. In der Dlf Audiothek App, im Radio über DAB+ und UKW deutschlandfunkkultur.de/ konzerte
Inhaltsübersicht als das Grab«, heißt es am Schluss des Briefs vom 30. August. Ohne sich von Lotte zu verabschieden, verlässt er die Stadt und begibt sich in die Dienste ›Die Leiden des jungen Werther‹ ist ein Roman in Briefen. Goethe gibt sich eines adeligen Gesandten. eingangs als deren Sammler und Herausgeber aus: »Was ich von der Ge- Bei Pugnani beziehen sich die Nummern IX bis XI auf diese Briefgruppe. schichte des armen Werthers nur habe auffinden können, habe ich mit Fleiß gesammelt und lege es euch hier vor und weiß, dass ihr mir’s danken werdet. Zweiter Teil Ihr könnt seinem Geiste und seinem Charakter eure Bewunderung und Liebe, seinem Schicksale eure Tränen nicht versagen.« Das Buch enthält nur (fiktive) Briefe vom 20. Oktober 1771 bis 19. April 1772 Briefe aus Werthers Hand, aber keine, die an ihn gerichtet sind. Es umschließt Die Arbeit als Gehilfe des Gesandten bedrückt ihn. Er leidet unter der Pedan- einen Zeitraum von gut eineinhalb Jahren – vom ersten Brief, den Goethe auf terie seines Dienstherrn. Man lässt ihn spüren, dass er nicht von Rang und den 4. Mai 1771 datiert, bis zu Werthers Tod am 23. Dezember 1772. ›Werther‹ Stand ist. Am 20. Januar schreibt er an Charlotte und gibt seiner Sehnsucht besteht aus zwei Teilen. In der letzten Hälfte des Schlussteils verlässt Goethe nach ihr Ausdruck. Nachdem er bei einem Empfang erniedrigend behandelt das Genre einer monologischen Briefdokumentation und geht in die Erzähl- wird, quittiert er seinen Dienst. Er zieht in seinen Heimatort. form mit Briefzitaten über (»Der Herausgeber an den Leser«). Auf diese Briefgruppe beziehen sich Pugnanis Nummern XII und XIII. Erster Teil Briefe vom 5. Mai bis 18. Juni 1772 Werther gibt sich seinen Erinnerungen hin und vergleicht seine Jugendträume Briefe vom 4. Mai bis 27. Mai 1771 mit der Erwachsenenrealität. Ein ihm wohlgesonnener Fürst lädt ihn zu sich Werther zieht in eine nicht genannte Stadt, um einen Erbzwist zwischen Mut- ein. Anders als Werther stellt er Verstand und Begabung über die Gefühle. ter und Tante zu schlichten. Der Aufenthalt ermöglicht ihm die Trennung von Werther will Lotte wieder näher sein. Leonore, deren Gefühle er zwar genährt hat, aber nicht teilt. Die Stadt selbst Diese Briefgruppe sparte Pugnani in seinem Melodram aus. missfällt ihm, die Umgebung empfindet er als »paradiesisch«, besonders »in dieser Jahreszeit der Jugend«. Er unternimmt ausgedehnte Spaziergänge, vor Briefe vom 29. Juli bis 17. Dezember 1772 allem nach Wahlheim, wo er sich rasch heimisch fühlt. Lotte und Albert sind verheiratet. »Es geht mir ein Schauder durch den Kör- In Pugnanis Musik beziehen sich die Nummern I bis IV auf diese Briefgruppe. per, wenn Albert sie um den schlanken Leib fasst.« Werther nimmt wieder Kontakt zu ihr auf. Er fühlt sich ihr ausgeliefert, sein Verlangen steigt stetig Briefe vom 16. Juni bis 26. Juli 1771 und mit ihm die Verzweiflung. Er wähnt sich von bösen Geistern genarrt, alles Werther fährt zu einem Ball. Seine Kutschgesellschaft macht Halt bei dem um ihn erscheint ihm feindselig. Er sehnt sich nach dem Tod. verwitweten Amtmann S., um dessen Tochter Lotte mitzunehmen. Sie teilt Dieser Briefgruppe entsprechen bei Pugnani die Nummer XIV bis XVII. gerade Brot an ihre jüngeren Geschwister aus. Werther ist von ihrer Natür- lichkeit berührt. Beim Tanzen beeindrucken ihn ihre Unbefangenheit und 20. bis 23. Dezember 1772 (Text in Erzählform) Anmut. Er weiß, dass sie einem anderen, Albert, »versprochen« ist. In den Bei Lotte und Albert ist der Ehealltag eingekehrt; Albert stellt den Beruf an folgenden Wochen – Albert ist unterwegs – besucht er sie häufig, schließlich die erste Stelle. Werther dagegen behandelt Lotte mit großer Aufmerksam- jeden Tag. Er macht sich Hoffnungen. keit. Er und Albert gehen sich aus dem Weg. Werther besucht Lotte nur noch, Bei Pugnani beziehen sich die Nummern V bis VIII auf diese Briefgruppe. wenn sie allein ist. Am 20. Dezember bittet Lotte den aufgewühlten Werther um Zurückhaltung. Vor Weihnachten solle er nicht mehr kommen. Er tut es Briefe vom 30. Juli bis 3. September 1771 trotzdem. Er liest ihr aus den ›Gesängen des Ossian‹ vor, wird von seinen Ge- Albert ist zurück. Werther pflegt freundschaftlichen Umgang mit ihm. Er fühlen überwältigt und küsst sie. Sie weist ihn ab. Er glaubt, dass sie ihn liebe. besucht Lotte weiterhin. Die Sehnsucht nach ihr wächst. Die kleinste Berüh- Im Jenseits will er auf sie warten. Über einen Bediensteten leiht er sich von rung durch sie macht ihn selig. Er erkennt die Aussichtslosigkeit seiner Liebe; Albert Pistolen und schießt sich in den Kopf. was ihn sonst erfreute wird ihm zur Qual. »Ich seh all dieses Elends kein Ende Auf diesen Abschnitt beziehen sich bei Pugnani die Nummer XVIII bis XXII.
›Werther‹ – Auch als Komponist wurde der Turiner hoch geschätzt. Sechs Opern schrieb er, die erste für das Londoner King’s Theatre, an dem er zwei Jahre als Musikdirektor wirkte; der zweiten, die das Teatro San Carlo aus Neapel bei ihm in Auftrag gab, folgten vier weitere für die Bühne seiner Heimatstadt. Alle fanden ungeteilten ›Werther‹, Stahlstich von Lazarus G. Sichling Beifall. Auch in den anderen wichtigen säkularen Gattungen – der Kammermusik, der Symphonie und dem Solokonzert – tat er sich hervor. In den beiden letztgenannten Genres stehen seine nach Friedrich Pecht, 1864 Werke gleichrangig neben denjenigen der Mannheimer Schule, der Pioniere des musikalischen Klassizismus. Sie wurden gedruckt – großenteils in Paris, einem der wichtigen Orte des Musikver- lagswesens. Er galt also etwas. Aber er machte vergleichsweise wenig Aufhebens um sich, inszenierte sich nicht wie später ein Paganini. 1754 trat der 22-Jährige in Paris als Solist in einem eigenen Violinkonzert auf. Der ›Mercure de France‹ urteilte darüber: »Kenner betonen, dass sie nie einen besseren Geiger als ein Fundstück diesen gehört haben.« Gleichwohl blieb er weiterhin Mitglied der Zweiten Violinen im Königlichen Orchester von Turin, bis er 1767 als 35-Jähriger nach London ging. Er kam viel in Europa herum, studierte als 18-Jähriger in Rom Komposition, trat außer in Paris auch in Wien auf, war nordöstlich bis nach St. Petersburg unter- wegs, kehrte aber immer wieder in seine Heimatstadt Turin zurück. Dort erlebte er eine Zeit kultureller Blüte, aber auch den Der Komponist Niedergang während der sogenannten Koalitionskriege nach der Wer war Gaetano Pugnani? Warum kennt man ihn nicht mehr? Französischen Revolution. Als einen der unzähligen Kleinmeister des 18. Jahrhunderts kann Besetzung man ihn nicht abtun, denn er hat auf verschiedenen Gebieten Sprecher Seine letzte Auslandsreise führte ihn Außerordentliches geleistet. In ganz Europa schätzte man ihn als Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, Fagott, 1796 nach Wien, wo er 40 Jahre zuvor 2 Hörner, Streicher, Glocken brillanten Geiger; er bildet den »missing link« zwischen der alten erstmals aufgetreten war und einen italienischen Violinkunst, für die Arcangelo Corelli stand, und den nachhaltigen Eindruck hinterlassen Erste Aufführung modernen Virtuosen des 19. Jahrhunderts wie Niccolò Paganini. Erste Aufführung 1790 oder 1791 in Turin in hatte. Am 22. März 1796 dirigierte er Sein Lehrer war noch von Corelli ausgebildet worden; sein privatem Rahmen vor geladenen Gästen im Burgtheater eine Aufführung seines Schüler Giovanni Battista Viotti galt als Vater der zukunftswei- ›Werther‹. Der Abend wurde von der senden französischen Schule, die auch entscheidende technische Tonkünstler-Societät als Benefizkonzert für Witwen und Waisen Neuerungen im Instrumentenbau förderte; Pugnani selbst hatte verstorbener Mitglieder veranstaltet; er wurde angekündigt als an der Entwicklung des modernen Geigenbogens erheblichen ›Werther. Ein Roman in Musik gesetzt von PUGNANI, Musikauf- Anteil. Viotti, mit dem er 1780 bis 1782 ausgedehnte Tourneen seher des Königs von Sardinien‹. Zum Königreich Sardinien durch Europas Norden unternahm, stellte sich in den Druckaus- gehörte damals auch Savoyen-Piemont, Turin war Hauptstadt gaben seiner Musik als »Schüler des berühmten Pugnani« vor. und royale Residenz. Die königliche Musik einschließlich der
Militärkapellen unterstand Pugnani, der zugleich die musikali- sche Leitung des Königlichen Theaters und seines Orchesters innehatte. Zwischen diesem und dem Burgtheater bestanden seit Längerem gute Beziehungen. Als Pugnani letztmals in Wien zu Gast war, litt das Kulturleben seiner ›Die Sünde, vom Tod verfolgt‹, Gemälde von Johann Heinrich Füssli, 1794–96 Es handelt sich [bei Heimatstadt schon deutlich unter den Folgen des Krieges. Goethes ›Werther‹] um einen Roman über die Pugnani müssen die politischen und Macht literarischer militärischen Konfrontationen nicht nur Moden, der dann selbst wegen der kulturellen Einschränkungen zur Mode wurde und ins belastet haben, die sie nach sich zogen. Leben von Zeitgenos- Sein Schaffen nährte sich aus den sen eingriff, die ihr Den- italienischen Traditionen, aber auch ken und Empfinden an aus der anregenden Verbindung nach Frankreich. Er hing an seiner Heimat- ›Werther‹ auszurichten stadt Turin, weil sie sich in beide Rich- begannen. Dass es da- tungen offen hielt. Für seinen ›Werther‹ bei zu nachahmenden wählte er eine Form, die in Frankreich Selbstmorden gekom- seit Rousseaus ›Pygmalion‹ recht men sein soll, ist aller- beliebt war. In Italien stieß sie auf sehr dings nur ein Gerücht. begrenztes Interesse; Turin machte eine Ausnahme. Pugnani gab der Spezies Rüdiger Safranski auch ein neues Gesicht. Ursprünglich rahmte in Melodramen die Musik den Text und verschaffte ihm an gewünschten Stellen Nachdruck; sie war den Worten untergeordnet. Pugnani macht die beiden Künste zu Partnern eines Dialogs. Dass er historisch in einer Übergangs- zeit wirkte und sich nicht einer Richtung verschrieb, erleichterte die Rezeption seiner Werke sicher nicht. der Titel französisch angegeben war, deutet darauf hin, dass Pugnani, Werther, Turin und Wien dem Abend mit dem Theologen Giovanni Battista Concone eine Pugnani lernte Goethes ›Werther‹ wohl zuerst in französischer französische Übersetzung zugrunde lag. Mehrere davon existier- Sprache kennen. Dafür spricht einiges: In dem Turiner Haus, in ten inzwischen. Die erste stammte von dem polyglotten Baron dem der Musiker seit 1780 wohnte, hatte auch die Società del Karl Siegmund von Seckendorff (1744–1785), einem Freund Filopatridi (Gesellschaft der Vaterlandsliebenden) ihren Sitz, die Goethes. Er hatte seine Übersetzung kurz nach Erscheinen der 1782 als Patria Società letteraria (Literarische Vaterlandsgesell- deutschen Erstausgabe abgeschlossen; sie kam 1776 in Paris schaft) gegründet worden war. Sie lud am 29. April 1790 zu einer heraus und war in Turin bekannt. Seckendorff hatte elf Jahre in Veranstaltung über ›Werther et Charlotte‹ von Goethe ein. Dass der piemontesischen Stadt gelebt: 1764 bis 1775 führte er als
junger Offizier ein Auslandsregiment, das im Sold des Königs von jeweils in ihrer Form. Der erste Teil ist bei Goethe als reiner Brief- Sardinien und Savoyen-Piemont stand. In jener Zeit nahm er roman geschrieben. Der zweite Teil geht dem Ende zu in eine Unterricht bei Pugnani. Beide gehörten (wie Goethe) einer Erzählung mit integrierten Briefpassagen über: Anders ließ sich Freimaurerloge an. Die Maurer-Connection könnte auch für die Werthers Selbsttötung kaum darstellen. In Pugnanis Komposition Wiener Aufführung eine Rolle gespielt wird man von der Mitte des zweiten Teils an »bemerken, dass sich Als Pugnani seine Kom- haben. Im Habsburgerreich waren die das Werk durch fortlaufende Veränderungen in der Dynamik und position vollendet hatte, Logen zwar so gut wie verboten, aber im Ausdruck scheinbar zersetzt. Hier nimmt es unverkennbar den lud er alle Turiner Hono- ihre Mitglieder waren kulturell aktiv, Charakter eines Melodrams mit zum Teil extrem kurzen Episoden auch zugunsten von Kunstformen, die (ein oder zwei Takte) an; die dramatische Erregung, die hier ratioren und das diplo- damals als modern galten. In Wien herrscht, kann nur das Resultat eines Dialogs sein, einer rezitier- matische Corps ein, um könnte im Übrigen auch die französi- ten Szene, die den Text von Goethe in den wesentlichen Punkten sie vorzustellen. Er war sche Textfassung gegeben worden sein: nachvollzieht« (Alberto Basso). Eine rein musikalische Darstel- so erregt, so erhitzt In den Violinstimmen findet sich kurz lung solch heftiger Affekte würde sich anderer Verlaufsformen beim Dirigieren, dass er vor Schluss der Eintrag: »Charlotte! bedienen. Hinzu kommt, dass Pugnani bereits vorher etliche seine Kleidung ablegte Charlotte! Adieu! Adieu!« Bei Goethe Pausen und Fermaten vorsieht, die aus dem Verlauf der Musik allein nicht motiviert sind. Im Melodram wird an solchen Stellen und im Hemd dastand. heißt es: »Lotte! Lotte leb wohl! Leb Text gesprochen, danach geht die Musik weiter. Jedem Gast wurde ein wohl!« Dann fällt der tödliche Schuss, mit dem sich Werther, der unglücklich Programm überreicht, Liebende, das Leben nimmt. Dialog der Künste in dem die Situationen Mit seiner Komposition verwirklicht Pugnani etwas, das in genannt waren, die der Die Instrumentalstimmen, die 1796 Goethes Dichtung imaginär bleibt: Dialog. ›Werther‹ ist kein Komponist darstellen in Wien verwendet wurden, sind voll- normaler Briefroman wie vor ihm Rousseaus ›Héloïse‹ oder später wollte. Das Stück ständig erhalten; aus ihnen konnte die Hölderlins ›Hyperion‹. Es handelt sich um einen Monolog in machte einen starken Partitur rekonstruiert werden. Sie Briefen. Alle stammen aus der (fiktiven) Feder Werthers, die enthalten jedoch mit Ausnahme der meisten sind an einen Freund Wilhelm gerichtet, der als Person Effekt. Aber er ging zu einen Bemerkung gegen Schluss keine ungreifbar bleibt; einige wenige auch an Charlotte, die Geliebte, weit. In dem Augen- Hinweise auf Rezitationen aus Goethes die sich einem anderen versprochen hat. Kein einziger wird beant- blick, in dem Werther Dichtung. Woher weiß man dann, dass wortet. Wilhelm bleibt ein Phantom. »Die Werther-Briefe sind an sich umbringen will, ließ es sich bei Pugnanis Werk um ein Melo- einen imaginären Partner gerichtet«, folgert Rüdiger Safranski, er eine Pistole abfeuern. dram und nicht um eine ›Werther‹- »und ans allgemeine Publikum.« Pugnanis Musik aber schafft den Felice Blangini inspirierte Orchestersuite handelt, wie Worten ein Gegenüber – ein Echo, vor allem aber eine Verwand- zeitweilig angenommen wurde? Indizien lung. Die Gefühle, die der Text erregt – werden sie auch von der zeichnen ein zwingendes Bild. Pugnanis Musik dauert allein über Musik aufgewühlt? Oder besänftigt, gesteigert, transzendiert? eine Stunde. Sie umfasst 22 Sätze, ist also recht kleinteilig ange- Die Korrespondenz der Künste wird aus historischer Distanz legt. Suiten von dieser Länge, dieser Diversität und Puzzleartig- spannend zu erleben sein. keit existieren sonst nicht; sie ergäben als pure Instrumentalfor- men wenig Sinn. Dann: Pugnani folgt mit seiner Komposition der Selbstverständlich können nur Auszüge aus Goethes Text Goethe’schen Struktur. Wie dessen Dichtung besteht seine Musik Eingang in das Melodram finden. Gesetzt sind Anfang und Ende aus zwei etwa gleich langen Teilen. Diese unterscheiden sich der beiden Buchteile. Für die Auswahl dazwischen bietet die
Man darf annehmen, dass Unterstützt von Beethoven an der Wiener Aufführung von Pugnanis ›Werther‹ mitwirkte. Alberto Basso Musik Anhaltspunkte. Als hilfreich erweisen sich auch Pro- grammzettel, die bei der Wiener Aufführung und bei einer Privat- vorstellung 1790 oder 1791 in Turin an das Publikum verteilt wurden. Sie enthalten summarische Angaben wie »Szene am Brunnen« (Nr. III), »Ballszene« (Nr. VI), »Gewitter und Sturm« (Nr. VII) oder »Ländliche Szene« (Nr. XIII). Kennern des Romans dienten sie als Gedächtnisstütze. Sie weisen jedoch zugleich auf bestimmte Textpassagen hin. Im ersten Teil spielt der lange Brief mit dem Datum »16. Juni« eine zentrale Rolle. Er schildert die Entstehung der leidenschaftlichen Liebe. Mit immer enthusiasti- scheren Worten erzählt Werther, wie er und zwei Gefährtinnen Lieber Charlotte zum Ball mitnehmen, wie er sie zum Tanz auffordert, wie sie sich näherkommen, wie ein Gewitter in die Szene fährt und wie ein Stichwort – »Klopstock«, Poet-Prophet der Empfind- Filmgeschmack, samkeit – ihre Gefühle hochkochen lässt. Auf diesen Text be- ziehen sich die Nummern V bis VIII von Pugnanis Musik, das Zentrum des ersten Teils. Um ihn ist der Rest gruppiert. willkommen Der zweite ›Werther‹-Teil ist anders strukturiert. Seine Drama- turgie organisiert das allmähliche Crescendo der Leidenschaften auf die finale Katastrophe hin. Pugnani gestaltete sie erschre- zu Hause. ckend realistisch: Es fällt wirklich ein Schuss. In Turin wurde der Komponist von einigen deswegen für verrückt erklärt – trotz des orchestralen Nachspiels, das dem ganzen Werk jene Würde ver- leiht, welche die Kirchen damals allen verweigerten, die ihrem Leben aus eigenem Entschluss ein Ende setzten. Dein Lieblingskino kommt nach Hause : Erlebe handverlesene Filme aus dem Yorck Programm, Habakuk Traber natürlich im Original . Und das Beste : du zahlst nur, was du auch sehen willst . Jetzt auf yorck.de /ondemand
Giovanni Antonini Deutsches wurde in Mailand geboren. 1989 gründet er das Ensemble Il Giardino Armonico, das Symphonie-Orchester Berlin er seitdem leitet, und mit dem er richtungs- Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) wurde weisende Einspielungen italienischer von der Süddeutschen Zeitung als »orchestraler Think Tank« Barockmusik vorlegte. Er ist Künstlerischer unter den hauptstädtischen Klangkörpern hervorgehoben. Leiter des Festivals Wratislavia Cantans, Es zeichnet sich durch die beziehungsreiche Dramatur- außerdem Erster Gastdirigent des Mozar- gie seiner Konzertprogramme, den Einsatz für Musik der teumorchesters und des Kammerorchesters Gegenwart und Repertoireentdeckungen ebenso aus wie Basel. Er wurde zum Künstlerischen Leiter durch den Mut zu ungewöhnlichen und innovativen Musik- des Projekts ›Haydn 2032‹ berufen, das in vermittlungsformaten. Gegründet wurde das DSO 1946 als Zusammenarbeit mit Il Giardino Armonico RIAS-Symphonie-Orchester und 1956 in Radio-Symphonie- und dem Kammerorchester Basel alle Symphonien des Kom- Orchester Berlin umbenannt. Seinen heutigen Namen trägt ponisten bis zu dessen 300. Geburtstag aufführen und ein- es seit 1993. Ferenc Fricsay, Lorin Maazel, Riccardo Chailly, spielen wird. Regelmäßig arbeitet Antonini mit angesehenen Vladimir Ashkenazy, Kent Nagano, Ingo Metzmacher und Künstler:innen wie Isabelle Faust, Cecilia Bartoli, Giovanni Tugan Sokhiev waren die Chefdirigenten der ersten sieben Solima und Kristian Bezuidenhout sowie mit führenden Dekaden. Seit 2017 führt der Brite Robin Ticciati das DSO Symphonieorchestern Europas und der USA zusammen. als Künstlerischer Leiter in die Zukunft. Durch zahlreiche Gastspiele ist das Orchester als Kulturbotschafter Berlins Sabin Tambrea und Deutschlands national wie international gefragt und auch mit vielfach ausgezeichneten CD-Einspielungen welt- stammt aus einer Musikerfamilie. Er wurde weit präsent. Das DSO ist ein Ensemble der Rundfunk 1984 im rumänischen Târgu Mureș geboren Orchester und Chöre gGmbH (ROC). und wuchs in Hagen auf, wo er Unterricht in Violine, Viola, Klavier und Dirigieren erhielt. 18-jährig entschloss er sich zur Laufbahn als Schauspieler. Er studierte an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule und wurde noch während seiner Ausbildung ins Berliner En- semble aufgenommen. Als Filmschauspieler war er seither in erfolgreichen Produktionen wie ›Narziss und Goldmund‹ oder aktuell ›In einem Land, das es nicht mehr gibt‹ zu erleben. Für seine Dar- stellung als bayerischer König in ›Ludwig II.‹ wurde er 2012 mit dem Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsschau- spieler ausgezeichnet. Dem Fernsehpublikum ist Tambrea u. a. aus der Neuverfilmung des Dramas ›Nackt unter Wölfen‹, der ›Ku’damm‹-Reihe und ›Babylon Berlin‹ bekannt. 2021 erschien sein Debütroman ›Nachtleben‹.
Deutsches Symphonie - Orchester Berlin Chefdirigent und 1. Violinen Bertram Hartling Adele Bitter Martin Kögel Trompeten Künstlerischer Leiter Wei Lu Kamila Glass Mathias Donderer stellv. Solo Falk Maertens Robin Ticciati 1. Konzertmeister Isabel Maertens Solo Marija Mücke Thomas Rößeler Marina Grauman Max Werner Bernhard Plagg Management Elena Rindler Catherine Blaise Solo 1. Konzertmeisterin Englischhorn Orchesterdirektor Alice Garnier Claudia Benker- N.N. Byol Kang Thomas Schmidt-Ott Jakob Encke Schreiber Klarinetten stellv. Solo Konzertmeisterin Rahel Rilling* Leslie Riva-Ruppert Stephan Mörth Raphael Mentzen Finanzen / Personal Daniel Vlashi Lukaçi Alexandra Uhlig stellv. Konzertmeister Hildegard Niebuhr* Sara Minemoto Solo Matthias Kühnle Künstlerische Planung Olga Polonsky Thomas Holzmann Max Asselborn* Bratschen Kontrabässe Solo Marlene Brüggen Isabel Grünkorn Igor Budinstein N.N. Richard Obermayer Posaunen Künstlerisches Ioana-Silvia Musat Solo 1. Solo stellv. Solo Betriebsbüro Mika Bamba András Fejér Annemarie Moorcroft Ander Perrino Cabello Bernhard Nusser Solo Eva Kroll Dagmar Schwalke Solo 1. Solo N. N. Andreas Klein Elsa Thiemar Ilja Sekler Guy Ben-Ziony* Christine Felsch Bassklarinette Solo Orchesterdisposition stellv. Solo stellv. Solo Pauliina Quandt- Susann Ziegler Laura Eisen Marttila Matthias Hendel Verena Wehling Fagotte Rainer Vogt Orchesterbüro Nari Hong Ulrich Schneider Karoline Zurl Leo Klepper Tomer Maschkowski Marion Herrscher Rolf Jansen Solo Nikolaus Kneser Andreas Reincke Bassposaune Tim Groschek Jörg Petersen Michael Mücke Lorna Marie Hartling Emre Erşahin Kommunikation Solo Tuba Elsa Brown Henry Pieper Oskari Hänninen Benjamin Dries Douglas Bull Johannes Lipp Ksenija Zečević Birgit Mulch-Gahl stellv. Solo Marketing Flöten Henriette Kupke Lauriane Vernhes Anna Bortolin Hendrik Schütt Harfe Kornelia Brandkamp Anton Hangschlitt Eve Wickert Solo Markus Kneisel Elsie Bedleem 2. Violinen Kontrafagott Stephanie Benze Thaïs Coelho Gergely Bodoky Solo N.N. Presse- und Viktor Bátki Solo Stimmführer:in Hörner Pauken Öffentlichkeitsarbeit Eva-Christina Kim-Esther Roloff* Upama Muckensturm Daniel Knaack Paolo Mendes Erich Trog stellv. Solo Schönweiß Franzesca Zappa* Solo Rebecca Kisch Solo Stimmführerin Frauke Leopold Bora Demir Jens Hilse Musikvermittlung Johannes Watzel Frauke Ross Violoncelli Solo Solo Eva Kroll stellv. Stimmführer Piccolo Mischa Meyer Ozan Çakar Notenbibliothek Clemens Linder 1. Solo stellv. Solo Schlagzeug Renate Hellwig-Unruh Oboen Tarla Grau Valentin Radutiu Lionel Speciale* Roman Lepper 1. Solo Thomas Hecker stellv. Solo Orchesterinspektor Jan van Schaik 1. Schlagzeuger Solo Kai Wellenbrock Uta Fiedler-Reetz Dávid Adorján Barnabas Kubina Henrik Magnus Schmidt Solo Viola Wilmsen Orchesterwart Solo Georg Pohle stellv. 1. Schlagzeuger Gregor Diekmann Jésus Pinillos Rivera* Joseph Miron Thomas Lutz Julius Wegener Solo Antonio Adriani Moisés Santos Bueno* * Zeitvertrag
Orchesteralltag 15 Jahre Casual Concerts – Saisonauftakt mit Robin Ticciati am Mo 19.12. Die Casual Concerts in der Philharmonie sind seit langem ein Markenzeichen des DSO und fester Bestandteil des hauptstädtischen Kulturlebens. Rituale sprengen, Musik vermitteln und ein breites Publikum zum günstigen Preis für klassische Konzerte begeistern – mit diesem Ansinnen wurde das Format 2007 ins Leben gerufen. In dieser Saison feiern die Casual Concerts ihren 15. Geburts- tag! Am Montag, den 19. Dezember stellt DSO-Chefdirigent Robin Ticciati zum Auftakt Richard Strauss’ großartige Ton- dichtung ›Ein Heldenleben‹ im Detail und aus persönlicher Sicht als Moderator vor und lädt im zweiten Teil des Abends zur Casual Concert Lounge ins Foyer der Philharmonie. Neben der DJane Tereza ist als Live Act das bekannte Ber- liner Trio Brandt Brauer Frick zu Gast, das tanzbare Musik ohne Banalitäten, Elektronik mit Einflüssen der Minimal Music und Techno mit echten Instrumenten präsentiert. Im zweiten Casual Concert am 24. April 2023 widmet sich Ingo Metzmacher der opulenten ›Harmonielehre‹ von John Adams, in der er Minimal Music mit dem Romantizismus des Fin de Siècle verbunden hat. Die ganze Palette prächtiger Orchesterfarben verspricht auch das dritte Konzert am 15. Mai, wenn Manfred Honeck die elektrisierende Strauss- Der Perfekte Ein- oder Ausklang Oper ›Elektra‹ vorstellt. ist 3 Minuten von der Philharmonie entfernt. Mehr Infos und Karten unter → dso-berlin.de/casualconcerts QIU Bar & Restaurant im the Mandala Hotel am Potsdamer Platz Potsdamer Strasse 3 | Berlin | 030 / 590 05 12 30 www.qiu.de
Gespräch mit Wenn man es heutig formulieren möchte, so lebt Werther innerhalb seiner »Bubble«. Er selektiert und nimmt nur die Eindrücke an, die zu seinem egozentrischen Weltbild passen, stellt das Gefühl über den Verstand und stürzt sich selbst und andere dadurch ins Unglück. Insofern ist der Werther, mit all seinen negativen Seiten, eine höchst aktuelle Figur. Am Abend selbst will ich allerdings nicht werten, sondern dazu beitragen, dass die Zuschauer:innen offen beurteilen können, wovon da eigentlich die Rede ist und wie der Werther in unserer Fassung auf sie wirkt. In unserer Aufführung steht Goethes Text nicht autonom da, sondern eingebettet in die musikalische Interpretation Pugnanis. Wir führen ein Melodram, ein Hybrid-Werk auf, in dem Text und Musik zusammenwirken, sich gegensei- tig unterstützen, und sich gemeinsam zu einem neuartigen künstlerischen Ergebnis erweitern. Sabin Tambrea Sie stammen aus einer Musikerfamilie. Ihre Eltern spielten in Berufsorchestern. Sie selbst haben mehrere Instrumente und Dirigieren studiert, haben konzertiert, ehe Sie sich für den Schauspielberuf entschieden. Sie können eine Partitur lesen und spielen. Wie haben Sie Ihren Text studiert, mit der Partitur neben sich? Ich habe tatsächlich in meiner musikalischen Ausbildung gelernt, eine Sabin Tambrea, vor gut einem Monat kam der Film ›In einem Partitur zu lesen. Das kam mir bei der Vorbereitung sehr zugute. Dennoch Land, das es nicht mehr gibt‹ in die Kinos. Sie spielen darin war es ein komplizierter Prozess. Man muss sich dazu vielleicht vergegen- eine Hauptrolle. Mit dem Land ist die DDR gemeint – nicht wärtigen: Wir haben zwar die Partitur von Pugnanis Musik, wir haben nur der Staat, nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Goethes Roman. Aber wir haben keine genaue Textfassung mit der Auswahl Mentalität und die Außenseiter, die sie hervorbrachte. Heute des Komponisten und auch keine Eintragungen im überlieferten Material, erzählen Sie von einem Land, das es schon viel länger nicht aus denen hervorgeht, welche Auszüge wann vorgetragen und wie sie mit mehr gibt, und das es vielleicht nie gegeben hat. Goethe schrieb der Musik verbunden und platziert wurden. Man kann zwar die Entspre- seinen ›Werther‹ vor fast 250 Jahren. Damals verdrehte er chungen von Textinhalten und Musikstücken im Grundsätzlichen ganz Generationen von jungen Leuten den Kopf. Dringt diese Macht gut bestimmen. Aber welche Passage man genau wählt, welchen Satz der Leidenschaft bei heutiger Lektüre noch durch? man nimmt und welchen man weglässt, wie man die Zeitproportionen In meinen Augen ist der Roman auch für unsere Zeit höchst relevant, und Temporelationen zwischen Musik und Text gestaltet, sodass sich jedoch aus anderen Gründen als in der Epoche des »Sturm und Drang«. keine der beiden Künste auf Kosten der anderen nach vorne drängt: Durch die Briefform und die direkte Anrede Werthers ist man als Leser Das sind künstlerische Entscheidungen, die die Ausführenden treffen geneigt, zu versuchen, diese Figur positiv zu lesen oder zumindest genauso müssen. Die Texteinträge in der neu gedruckten Partiturfassung bieten wertungsfrei anzunehmen, wie Goethe sie uns vorlegt. Dies wollte mir dafür nur Vorschläge. Giovanni Antonini und ich, wir haben uns nun in der Vorarbeit allerdings nicht gelingen, da ich dem Werther sehr kritisch zusammengesetzt, um zu entscheiden, welche Texte wohin kommen, gegenüberstehe. Ich war irritiert davon, dass diese Figur solche Begeiste- wo sie platziert werden, wo zur Musik, wo und wie lange zwischen den rungsstürme ausgelöst hat, bis hin zur absoluten Identifikation, die angeb- Musikstücken gesprochen wird, wie wir die Anschlüsse gestalten etc. lich sogar in einer Selbstmordwelle gipfelte. Auch gibt es mehrere Passagen, die kompliziert übereinander laufen,
wo man sehr sensibel das Tempo gegenseitig anpassen muss. Das war ein langer Prozess, dessen Fortschritte in den Proben immer wieder kritisch Konzertempfehlungen hinterfragt wurden. Wie haben Sie sich selbst auf Ihren Part vorbereitet? Die Art der Vorbereitung hängt vom Ziel ab, auf das man hinarbeitet. Ich fragte mich: Wie werde ich es am Konzertabend machen? Ich kann So 11.12. Tschaikowsky 4 mich nicht mit der Orchesterpartitur hinstellen, 250 Mal umblättern Schon zweimal schlug Elim Chan mit ihren »furiosen« (Tagesspiegel) und dazu noch fokussiert die Texte sprechen, auch weil Pugnani viel mit Auftritten das DSO-Publikum in den Bann. Am Sonntag, den Wiederholungen arbeitet, was zur Folge gehabt hätte, dass ich dazu noch 11. Dezember kehrt sie mit Tschaikowskys Vierter Symphonie vor- und zurückblättern muss – ein Risiko, das ich nicht eingehen wollte. zurück, dem wohl persönlichsten Werk des großen Romantikers, Also musste ich die musikalischen Passagen auswendig lernen, auf die die voller Seelendrama und orchestraler Höhenflüge. Zuvor erklingt Texte gesprochen werden. Das erfordert eine komplexere Vorbereitung Bartóks energiegeladenes Zweites Klavierkonzert. Dessen Solopart als bei einer musikalischen Lesung, bei der sich Musik und Text klar übernimmt kein geringerer als der französische Meisterpianist und abgetrennt abwechseln. erfahrene Bartók-Interpret Pierre-Laurent Aimard. Genau gesagt, habe ich mit vier verschiedenen Dokumenten und Vorlagen gearbeitet: mit dem Originaltext von Goethes ›Werther‹, dann mit der Partitur, dazu habe ich eine Textfassung zusammengestellt, mit Regie- So 18.12. Spätromantisch-opulent anweisungen und genauen Eintragungen, welcher Text wann, wo und Robin Ticciati und das DSO führen das Publikum am Sonntag, wie erklingen muss, und zuletzt habe ich aus einer externen Aufnahme den 18. Dezember durch zwei klangmächtige Kompositionen die Textpassagen ausgeschnitten, selber meine Texte aufgenommen und spätromantischer Orchesterliteratur: Richard Strauss’ monumental- sie in die Aufnahme einkopiert und so zusammengeschnitten, wie wir satirische Tondichtung ›Ein Heldenleben‹ und Edward Elgars es nach über zehn Arbeitsfassungen entschieden haben. So hatte ich Violinkonzert – ein so elegantes wie dramatisch auftrumpfendes eine Aufnahme unserer Version zur Hand, mit der ich gut lernen konnte, Werk von gehörigem Ausmaß, das bei Vilde Frang in den Händen wie unser Konstrukt im Konzert zu erklingen hat, wie schnell die Texte einer der angesehensten Geigerinnen unserer Zeit liegt. genommen werden müssen, von welcher Dynamik sie ausgehen und zu welcher sie hinführen müssen. Ein ziemlicher Aufwand! Mo 9.1. Virtuoser Farbenrausch … den ich gerne betrieben habe, denn ich möchte der Sache bestmöglich Im ersten Symphoniekonzert des neuen Jahres am Montag, den gerecht werden. Als ehemaliger Musiker ist es für mich eine große Ehre, 9. Januar taucht das DSO die Philharmonie in ein Meer aus orchest- in der Berliner Philharmonie aufzutreten und meinen heutigen Beruf als ralen Farben. Mit Stéphane Denève, der wie kaum ein zweiter das Schauspieler mit dem ehemaligen Berufswunsch zu verbinden, für den Repertoire seiner französischen Heimat zu interpretieren weiß, mich meine Eltern in meiner Jugend ausgebildet haben. Und natürlich habe stellt es Debussys Klanggemälde ›La mer‹ die überwältigende ich auch die Hoffnung, dass es ein schöner Abend wird; bereichernd war Tondichtung ›La valse‹ von Ravel gegenüber, nachdem Stargeigerin dieses Unterfangen für mich schon jetzt allemal. Nicola Benedetti der schillernden Folklore Polens in Szymanowskis Zweitem Violinkonzert nachspürt. Die Fragen stellte Habakuk Traber.
Impressum Tickets Deutsches Symphonie-Orchester Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin Besucherservice des DSO Berlin im rbb-Fernsehzentrum ist ein Ensemble der Rundfunk Orchester und Chöre gGmbH Berlin. Charlottenstraße 56, 2. OG Masurenallee 16 – 20 / 14057 Berlin Geschäftsführer 10117 Berlin, am Gendarmenmarkt T 030 20 29 87 530 Anselm Rose F 030 20 29 87 539 Gesellschafter → info@dso-berlin.de / → dso-berlin.de Deutschlandradio, Bundesrepublik Mo bis Fr 9–18 Uhr Deutschland, Land Berlin, Rundfunk Programmhefte und Einführungen Berlin-Brandenburg Habakuk Traber Redaktion Daniel Knaack T 030 20 29 87 11 Redaktionelle Mitarbeit → tickets@dso-berlin.de Rebecca Kisch Artdirektion Hannah Göppel Satz → dso-berlin.de Susanne Nöllgen Fotos Paolo Morello (Antonini), Marcus Hoehn (Tambrea), Peter Adamik (DSO), Archiv (sonstige) © Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 2022 Ein Ensemble der
Silvesterkonzert Neujahrskonzert Artist:innen des Circus Roncalli Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Sa 31.12.22, 15 Uhr / 19 Uhr So 1.1.23, 18 Uhr Tempodrom
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