01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

 
WEITER LESEN
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Gipfeltreffen der Rebellen
Robin Ticciati und Leif Ove Andsnes

Alte Musik ist kein Museum
Maxim Emelyanychev im Gespräch

Neujahrskonzert
mit dem Circus Roncalli

DSO-Nachrichten
01/02 2022
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
2   Inhalt                                                                                      Editorial    3

                                                 Liebe Leserin,
                                                 lieber Leser,
                                                 ein turbulentes Jahr liegt hinter uns – und hinter Ihnen. Ein
                                                 Jahr, in dem die Pandemie nicht nur das Kulturleben durch-
                                                 geschüttelt hat und der Alltag für alle noch lange keiner Nor-
3   Editorial                                    malität gehorcht. Umso schöner ist es, dass wir das neue
                                                 Jahr wieder mit dem zirzensisch-musikalischen Silvester-
4   Maxim Emelyanychev im Gespräch
                                                 cocktail begrüßen können, den wir gemeinsam mit dem
10 Otto Klemperer                                Circus Roncalli seit 2003 aufs Zauberhafteste anrühren.
12	Ihr Konzertbesuch im Januar und Februar
                                                 Auch darüber hinaus haben die Konzertmonate Januar und
14	Robin Ticciati und Leif Ove Andsnes          Februar einiges zu bieten. Chefdirigent Robin Ticciati und
                                                 der Pianist Leif Ove Andsnes widmen sich musikalischen
18 Ultraschall Berlin
                                                 Rebellen und gehen danach mit dem DSO auf Jubiläums-
20 Lionel Bringuier und Lise de la Salle         tournee. Lionel Bringuier und die großartige Pianistin Lise
                                                 de la Salle bringen französische Musik auf die Bühne.
24 Jubiläumstournee                              Francesco Piemontesi spielt Beethoven, Cornelius Meister
26 Konzertkalender                               und der Geiger Augustin Hadelich widmen sich Erstlingswer-
                                                 ken. Maxim Emelyanychev beweist sein an der historischen
31 Kammerkonzert                                 Aufführungspraxis geschultes Temperament auch im ro-
32 Maxim Emelyanychev und Francesco Piemontesi   mantischen Repertoire. Und beim Festival ›Ultraschall Ber-
                                                 lin‹ lässt sich allerhand ›Musik der Gegenwart‹ entdecken.
37 Notturno                                      Dies und vieles mehr finden Sie in der aktuellen Ausgabe.
38 Günter Wand
                                                 Wir schätzen uns glücklich, trotz nach wie vor bestehender
42 Cornelius Meister und Augustin Hadelich       Vorsichtsmaßnahmen auch weiterhin in unserer Jubiläums-
46 Casual Concert                                saison für Sie spielen zu dürfen. Feiern Sie mit uns und kom-
                                                 men Sie ins Konzert. Wir freuen uns auf Sie!
47 Impressum
                                                 Herzliche Grüße
48 Jessye Norman
                                                 Ihr Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
50 Neujahrskonzert
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Im Gespräch      5

Do 13.1.   Maxim Emelyanychev

Alte Musik ist
kein Museum
Der Dirigent und Multiinstrumentalist Maxim Emelyanychev
gehört zu den spannendsten Künstlern seiner Generation.
1988 in der Nähe von Nischni Nowgorod geboren, ist er
seit 2013 Chefdirigent des italienischen Barockensembles
Il pomo d’oro, des Nizhny Novgorod Soloists Chamber Or-
chestra und – als Nachfolger Robin Ticciatis – seit 2019 des
Scottish Chamber Orchestra in Edinburgh. Am 13. Januar
gibt er seinen Einstand am Pult des DSO.

Maxim Emelyanychev, ein Filmausschnitt zeigt Sie bei Ih-
rem Dirigierdebüt mit zwölf Jahren vor großem Publikum.
Sie haben ja früh angefangen!
Das stimmt. Ich komme aus einer Musikerfamilie, mein Va-
ter war Trompeter in einem Orchester, meine Mutter Chor-
sängerin. Schon mit drei Jahren war ich oft bei den Proben
dabei. Ich träumte ganz früh davon, Dirigent zu werden. Mit
zwölf Jahren kam ich zu meiner ersten Lehrerin in Nischni
Nowgorod. »Ganz schön spät«, sagte sie, »aber ich werde
es versuchen!« Heute verstehe ich, was sie meinte: Ich hatte
die Dirigiertechnik schon verinnerlicht. Ich habe nie darü-
ber nachgedacht, wie man einen Auftakt schlägt, piano oder
forte, einen Dreier- oder 12/8-Takt anzeigt. Das lag mir ge-
radezu reflexhaft im Blut. War ich mit zwölf wirklich schon
Dirigent? Wahrscheinlich nicht. Das war mehr Technik als
Musikalität. Aber je mehr ich dirigierte, desto öfter habe ich
mir die Frage gestellt, wann man als Dirigent wohl am bes-
ten ist – mit zwölf, mit zwanzig, mit vierzig, mit sechzig?
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
6                                                                                                         Im Gespräch    7

Da gibt es keine eindeutige Antwort. Mozart zum Beispiel        Unterricht sagte Rozhdestvensky selbst nicht viel. Aber die
war selbst sehr jung, wie auch bei Mendelssohn trägt seine      Vorbereitung auf Konzerte, wenn wir mit dem Orchester
Musik diese jugendliche Energie in sich. Meiner Meinung         probten, war außergewöhnlich gut. Wann immer er selbst
nach ist die Interpretation bei einem älteren Dirigenten eine   in Moskau dirigierte, durften wir allen Proben beiwohnen,
andere, nicht unbedingt eine bessere. Jedenfalls trifft das     dabei habe ich unglaublich viel gelernt hat. Er hat uns im-
für manche Werke zu. Musik ist etwas Großartiges, denn          mer dazu angehalten, unseren eigenen Stil zu finden. Er
man kann sie so unterschiedlich gestalten.                      hielt zwar nicht viel von historischer Aufführungspraxis,
                                                                aber als ich ihn zu einem meiner Konzerte einlud, bei dem
Was kann man beim Dirigieren lernen, was muss man               ich eine Mozart-Symphonie vom Cembalo aus dirigierte,
mitbringen?                                                     fand er das großartig.
Natürlich gibt es eine grundsätzliche Technik, die die meis-
ten Orchester verstehen, und die kann man lernen. Es geht
aber vor allem darum, sich gegenseitig zu verstehen. Es gibt                         »Die Kunst entsteht im Jetzt,
verschiedene Arten, seine Gedanken zu kommunizieren.                                 auf der Bühne, nicht im Studio,
                                                                                     das ist das Besondere.«
Wie machen Sie das?                                                                  Maxim Emelyanychev
Man muss einen guten Kompromiss finden: Seine Ideen in
den Proben erklären, um dann im Konzert das Emotionale
zu ergänzen. Die Orchester von heute sind so fantastisch,       Sie spielen Cembalo, Hammerklavier, Zink und Flöten,
die könnten auch ohne Dirigenten spielen. Aber für die          arbeiten als Chefdirigent und Musiker mit dem Barock-
Energie und die Inspiration braucht es uns dann doch. Im        ensemble Il pomo d’oro. Wann haben Sie die historische
Konzert geht es um die Livemusik, da muss man lebendig          Aufführungspraxis für sich entdeckt?
sein, aus dem Moment agieren. Wie, ist dabei egal. Eine         Ich erhielt mit 14 Jahren eine Einladung zum Jugend-
Bewegung kann schön sein, sie kann arrogant sein, aber          symphonieorchester der Wolga-Region nach Toljatti, das
wenn sie hilft, die eigenen Vorstellungen umzusetzen, dann      nicht nur mit Anatoly Levin, seinem Chefdirigenten vom
funktioniert sie.                                               Moskauer Konservatorium, sondern regelmäßig auch mit
                                                                jungen Dirigenten arbeitete. Levin ermunterte mich, eine
Sie haben bei dem großen Dirigenten Gennady Rozh-               Mozart-Symphonie vom Cembalo aus zu dirigieren. Er hat
destvensky studiert, der seit den 70er-Jahren mehrfach          mir die Aufnahmen von Trevor Pinnock, Frans Brüggen,
am Pult des DSO stand. Wie hat er Sie geprägt?                  John Eliot Gardiner und anderen nahegebracht. Das war
Das war eine großartige Erfahrung. Während meiner Zeit          für mich ein richtiger Schock, ich wusste nun, dass man
am Moskauer Konservatorium war ich nicht nur sein Stu-          auch so arbeiten kann. Die Aufnahmen dieser großen Meis-
dent, sondern auch einer von zwei Akkompagnisten in der         ter haben mein Leben vollkommen verändert. Aber auch
Dirigierklasse. Die Studenten haben im Unterricht ja meist      historische Instrumente in einem Museum, Kunstwerke,
nicht das Orchester dirigiert, sondern zwei Pianisten. Ich      ein Sonnenuntergang – all das kann einen enorm beein-
konnte dabei das gesamte Repertoire durcharbeiten. Im           flussen und einen lehren, wie man Musik machen kann.
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
8                                                                                                          Im Gespräch       9

Heute dirigiere ich Mozart vom Fortepiano, Barockmusik         Glück das Konzerterlebnis für uns als Musiker, Musiklieb-
vom Cembalo, Renaissancemusik als Flötist oder Pauker.         haber und Melomanen darstellt.

Arbeiten Sie mit historischen Ensembles anders als mit         Am 13. Januar dirigieren Sie Schuberts Große C-Dur-
einem Symphonieorchester?                                      Symphonie beim DSO. Was bedeutet sie Ihnen?
Jeder Klangkörper ist anders. Selbst bei einer Wiederbegeg-    Ein großartiges Werk! Ich bin aber eigentlich sehr zurück-
nung arbeitet man anders, spielt ein anderes Programm, hat     haltend damit, Musik zu beschreiben. Ich setze um, was der
ein anderes Publikum. Auch man selbst ist ein anderer. Die     Komponist geschrieben hat. Eine Aufführung kann natürlich
Mitglieder eines Symphonieorchesters sind heute gut in his-    ganz unterschiedlich ausfallen, mal ist sie intellektueller, mal
torischen Spielweisen ausgebildet. Beim Scottish Chamber       emotionaler. Das hängt vom Augenblick ab, vom Orchester,
Orchestra werden schon seit vielen Jahren moderne Streich-     manchmal sogar vom Publikum. Es kann passieren, dass
instrumente mit historischen Blas- und Schlaginstrumen-        man das eine probt und dann im Konzert spontan etwas
ten kombiniert. Und auch einem modernen Orchester tut          ganz anderes macht. Ich freue mich jedenfalls sehr darauf,
es gut, bei bestimmten Programmen mit Darmsaiten und           meine Gedanken und Gefühle mit dem DSO umzusetzen.
Barockbögen zu musizieren. Immer mehr Musiker machen
das inzwischen. Denn was ist »Alte Musik«? Sie ist kein        Sie eröffnen das Konzert mit der ›Ruy Blas‹-Ouvertüre,
Museum, sondern die Umsetzung unserer Vision. Was ist          die 1839 im selben Konzert wie Schuberts Symphonie
authentische Aufführungspraxis? Eine Mode. Im Konzert          uraufgeführt worden ist → S. 33.
müssen wir eine Balance zwischen der Mode und den              Das stimmt, aber das ist nicht der Grund dafür. Ich mag
Möglichkeiten finden. Als Beethoven oder Mozart eine           den Spirit von Mendelssohns Musik, ihre Leichtigkeit und
Symphonie uraufführten, mit ungewöhnlichen Harmonien,          Freiheit. Ein wenig wie Mozart, nur in der Romantik …
Dissonanzen oder einer langen Coda, da war das für das
Publikum manchmal ein Schock. Das müssen wir heute mit         In der Mitte steht das Erste Klavierkonzert von Beetho-
anderen Mitteln erreichen, aber wir müssen dabei modern        ven, das Francesco Piemontesi interpretiert. Haben Sie
klingen, denn das Publikum ist ein modernes. Ich habe das      schon einmal zusammengearbeitet?
Liveerlebnis immer geliebt, denn man kann mit dem Pub-         Bislang noch nicht, aber ich kenne viele seiner Aufnahmen.
likum spielen, man erfährt die Reaktion ganz unmittelbar.      Er ist ein großartiger Pianist, gerade im klassischen und ro-
Die Kunst entsteht im Jetzt, auf der Bühne, nicht im Studio,   mantischen Repertoire, und ich freue mich sehr auf unser
das ist das Besondere.                                         gemeinsames Konzert. Mit einem fantastischen Programm!

Das spürt man sicher besonders nach der langen Pause?          Das Gespräch führte MAXIMILIAN RAUSCHER.
Ich bin glücklich, wieder dirigieren zu können, das Publi-
kum ist glücklich, wieder im Konzertsaal zu sein. Die Or-
chester sind glücklich, wieder spielen zu dürfen, und das
merkt man ihnen an. So hätten wir schon immer konzer-
tieren sollen! Wir dürfen nie vergessen, was für ein großes                                            Konzertkalender S. 26
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Otto Klemperer       11

19.12.1950    Otto Klemperer beim DSO

            Wenige Tage vor Weih-
             nachten 1950 hatte
             sich das DSO, das
             damals noch RIAS-
            Symphonie-Orches-
          ter hieß, für Schallplat-
tenaufnahmen in der Dahlemer
Jesus-Christus-Kirche mit ihrer
phänomenalen Akustik eingerich-
tet. Auf den Pulten lag Mozart – die
›Don Giovanni‹-Ouvertüre, eine Serenade, drei Symphoni-
en –, vor dem Orchester stand erstmals Otto Klemperer.
Mit 65 Jahren konnte der Dirigent auf ein bewegtes Leben
zurückblicken: Geboren in Breslau, ausgebildet bei Pfitzner,
gefördert von Mahler, hatte er die klassische Kapellmeis-
terlaufbahn angetreten, war GMD in Köln und Wiesbaden,
schließlich Direktor und musikalischer Leiter der Krolloper
in Berlin, wo er zwischen 1927 und 1931 mit aufsehenerre-       stellte er Hindemiths Ballettsuite ›Noblissima Visione‹ von
genden Uraufführungen und Inszenierungen das Haus zum           1939 – und trug sich im Anschluss in die Autogrammbücher
Tempel der Avantgarde machte.                                   ein, die der Cellist Heinrich Köhler für das Orchester führte.
                                                                Im Februar 1956 kehrte Klemperer mit Haydns Symphonie
Als »Kulturbolschewist« und Jude von den Nationalsozia-         Nr. 101 ›Die Uhr‹ und Mahlers Vierter zum Orchester zurück,
listen vertrieben, ging er im Herbst 1933 als Music Director    im Januar 1957 folgten zwei Konzerte mit Mozarts Sympho-
zum Los Angeles Philharmonic. Nach Stationen in Buda-           nie Nr. 40 KV 550, Strauss’ ›Till Eulenspiegel‹ und der Zwei-
pest und Montréal ließ er sich 1954 in Zürich nieder, leitete   ten von Brahms. Sein letztes DSO-Gastspiel im März und
schließlich 1959 bis 1971, zwei Jahre vor seinem Tod, das       April 1958 war dem Symphoniker Beethoven gewidmet. Eine
Philharmonia Orchestra in London. In den Fünfzigerjahren        CD-Box, die 2013 bei audite erschienen ist, macht seine Stu-
fand er mehrmals den Weg zum DSO. Auf die Mozart-Auf-           dioaufnahmen und Konzertmitschnitte mit dem DSO wieder
nahmen folgte im Februar 1954 das erste gemeinsame Kon-         zugänglich und erlaubt die Wiederbegegnung mit einem der
zert im Titania-Palast. Vor Beethovens Drittes Klavierkon-      großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts.
zert (Solist: Hans Erich Riebensahm) und dessen ›Pastorale‹
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Corona     13

Information    Corona

Ihr Konzertbesuch
im Januar
und Februar
Wir freuen uns sehr, Sie, unser Publikum, auch in den Mo-
naten Januar und Februar wieder in der Philharmonie und
an unseren anderen Veranstaltungsorten begrüßen zu dür-
fen. Aufgrund der aktuellen Lage finden die Konzerte bis auf
Weiteres unter 2G-Plus-Bedingungen statt.

Der Zutritt ist deswegen nur noch mit einem digitalen Impf-
zertifikat der EU oder einem digitalen Genesungszertifikat
der EU möglich. Der Nachweis muss in Form einer App oder
als QR-Code auf Papier vorliegen, der gelbe Impfausweis ist
leider nicht ausreichend. Einen digital signierten Nachweis
erhalten Sie bei Bedarf unter anderem in Ihrer Apotheke.
Wegen der steigenden Infektionszahlen und der vermehr-
ten Impfdurchbrüche besteht bei allen unseren Konzerten
weiterhin die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske
während des gesamten Abends, also auch auf Ihrem Sitz-
platz. Aufgrund der Einlasskontrollen möchten wir Sie um
rechtzeitiges Erscheinen bitten.

Wir bitten um Nachsicht und Verständnis dafür, dass sich
viele dieser Bedingungen kurzfristig ändern können – in die
eine wie die andere Richtung. Stets aktuelle Informationen
rund um Ihren Konzertbesuch beim DSO finden Sie einfach
und bequem auf unserer Website → dso-berlin.de/update
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Ticciati / Andsnes   15

Sa 29.1. / So 30.1.   Robin Ticciati

Gipfeltreffen
der Rebellen
        Wie oft muss man Ludwig van Beethoven gegen sich
         selbst verteidigen, Unbekanntes gegen Bekanntes,
         vor allem die »kleinen«, lyrischeren Symphonien
        gegen ihre »großen« Schwestern mit den Nummern
    Drei, Fünf, Sieben und Neun! Doch mit ihrer Heroisie-
rung, der man heute skeptischer gegenübersteht, tut man
auch diesen Unrecht. Die Schublade des siegreichen Helden-
tums ist für Beethovens Dritte, genannt ›Eroica‹, zu klein.
Robin Ticciati stellt sie als Schlüsselwerk heraus, dessen
Kühnheit zu unterschiedlichsten Antworten herausfordert.
Einen völlig »neuen Weg« wollte der Komponist kurz nach
1800 einschlagen, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich nicht
nur sein künstlerisches Selbstbewusstsein festigte, sondern
auch seine Ertaubung bedrohlich voranschritt.

Zeugnis seiner Verzweiflung, aber auch seiner Entschlos-
senheit, nicht aufzugeben, ist das erschütternde ›Heiligen-
städter Testament‹ von 1802. Die gleichzeitig entstandene
›Eroica‹ transportiert seine Gedanken, wurde quasi zur
ersten »Ideensymphonie« – ihre Ausbrüche und plötzlichen
Schroffheiten, etwa die über 40 Fortissimo-Synkopen in der
Durchführung, spiegeln Beethovens Haltung, »dem Schick-
sal in den Rachen greifen« zu wollen und sind zugleich mit
den französischen Revolutionsmusiken verknüpft. Dass der
Komponist die Widmung an Napoleon nach dessen Kaiser-
krönung austilgte, die Symphonie aber unverändert ließ,
zeigt sein Festhalten an den Idealen von 1789. Die Befrei-
ungsidee manifestiert sich am klarsten im Finale, einem
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
16                                                                                                 Ticciati / Andsnes   17

                                                               a-Moll kann Andsnes vor allem in der Durchführung des
                                                               ersten Satzes und im zarten Intermezzo vielfältige Orches-
                                                               terdialoge führen. Das Konzert, als eines der schönsten der
                                                               Romantik gerühmt, ist damit kammermusikalisch durchge-
                                                               bildet und symphonisch strukturiert zugleich, auch dies eine
                                                               Neuerung, die von Beethoven vorbereitet wurde. Im Finale
                                                               allerdings gewinnt das konzertante Element die Oberhand,
                                                               ein pianistischer Parforce-Ritt, der in seinem unablässigen
                                                               Vorwärtsdrängen, im Wechsel des Charakters zwischen
                                                               Walzer und Marsch ein wenig an den ›Marsch der Davids-
                                                               bündler gegen die Philister‹ aus Schumanns Klavierzyklus
                                                               ›Carnaval‹ erinnert.

Leif Ove Andsnes                                               Poetische Extravaganz
                                                               Rebellion, die hier auf instrumentalem Gebiet stattfindet,
ausladenden Variationensatz auf ein Thema aus Beethovens       drückt Hector Berlioz in seiner Ouvertüre ›Les francs-juges‹
Ballett ›Die Geschöpfe des Prometheus‹. Mit Prometheus,        auch im Sujet aus. Das Vorspiel zur gleichnamigen unvollen-
dem Lichtbringer, der den Göttern das Feuer raubte und die     deten und teilweise vernichteten Oper aus dem Jahr 1828
Menschen damit autonom machte, wurde Beethoven nach            beschreibt in einer Mischung aus ›Freischütz‹ und ›Fidelio‹
dem Erfolg der ›Eroica‹ bald selbst identifiziert.             ein Schauerdrama, in dem ein Liebespaar sein Volk von Ty-
                                                               rannenherrschaft befreit. Den Zeitbezug stellt das Haupt-
Gegen die Philister                                            thema her, das entfernte Ähnlichkeit mit der ›Marseillaise‹
Das Erbe des »Titanen« war Ansporn und Hemmnis für die         aufweist, zunächst harmlos leichtfüßig, dann siegreich
Nachgeborenen. »Wer vermag nach Beethoven noch etwas           schmetternd. Motivfragmente, deren Entwicklungen in
zu machen?«, seufzte Franz Schubert. Robert Schumann           harten, collageartigen Schnitten jäh abgebrochen werden,
sah ihn als geistigen Ahnen und Verbündeten im Kampf           weisen Berlioz als legitimen Beethoven-Erben aus. In sei-
um Echtheit und Tiefe der Kunst, gegen die konventionelle      ner Besprechung der Ouvertüre für die ›Neue Zeitschrift für
Biederkeit oder seichte Effekthascherei der »Philister«. Wie   Musik‹ äußerte Robert Schumann die Überzeugung, »daß
Beethoven ging es auch ihm um musikalische Grenzüber-          gewisse Schulbank-Theoristen viel mehr geschadet als uns-
schreitungen, dabei allerdings eher um Ausdruck des eige-      re praktischen Himmelstürmer und daß Protection elender
nen Seelenlebens als um humanitäre Botschaften. Der Pia-       Mittelmäßigkeit viel mehr Unheil angerichtet, als Auszeich-
nist Leif Ove Andsnes verortet denn auch Schumanns Musik       nung solcher poetischer Extravaganz.«
im Bereich des Dialogs: »Ein Komponist wie Schumann hat
zu einer anderen Person gesprochen … Seine Musik ist intim.    ISABEL HERZFELD
Und damit ist er anders als Beethoven, der am liebsten zur
ganzen Welt sprechen will.« Als Solist des Klavierkonzerts                                          Konzertkalender S. 27
01/02 2022 DSO-Nachrichten mit dem Circus Roncalli - Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
18                                                                                                    Ultraschall Berlin   19

Mi 19.1. + So 23.1.   ›Ultraschall Berlin‹                      Akkordtürme
                                                                Das Abschlusskonzert unter
                                                                der Leitung von Eun Sun Kim
Das DSO zu Gast                                                 beginnt mit ›Burr‹ von Arne
                                                                Gieshoff. Seinen Titel hat es
beim Festival für                                               von ›burr puzzles‹, also von
                                                                Gratpuzzles abgeleitet, bei
neue Musik                                                      denen Holzstücke komple-
                                                                xe geometrische Formen
                                                                bilden. Das Orchesterwerk
Seit 1999 beginnt die jährliche Serie von Festivals für neue    ›oder Ekel kommt vor Es-
Musik in Deutschland mit ›Ultraschall Berlin‹, veranstaltet     senz‹ von Yiran Zhao basiert      Eun Sun Kim
von rbbKultur und von Deutschlandfunk Kultur. In gewohn-        auf dem deutsch-französi-
ter Weise präsentiert das Festival Uraufführungen, Deut-        schen Gedichtband ›Le fleuve dans le ventre‹ des Lyrik-, Pro-
sche Erstaufführungen und Werke der jüngsten Vergangen-         sa- und Theaterautors Fiston Mwanza Mujila, der im Kon-
heit ebenso wie Klassiker der Avantgarde. Traditionell und so   zert auch als Sprecher seiner eigenen Texte zu erleben ist.
auch in diesem Jahr ist das Deutsche Symphonie-Orchester        York Höller lässt in seinem Bratschenkonzert – Solist: Nils
Berlin ein wichtiger Partner von ›Ultraschall Berlin‹. 2022     Mönkemeyer – Bezüge zu zwei zentralen Komponisten des
bestreitet es erneut das Eröffnungs- und das Abschluss-         20. Jahrhunderts aufscheinen: Bernd Alois Zimmermann
konzert und führt in diesem Rahmen seine verdienstvolle         und Pierre Boulez. Mit ›Fett‹ erforscht Enno Poppe zuletzt
Reihe ›Musik der Gegenwart‹ fort, die seit den Fünfziger-       orchestrale Möglichkeiten von mikrotonalen Akkord- und
jahren besteht.                                                 Harmoniebildungen und somit »Akkordtürme«, die sich aus
                                                                bis zu 40 Stimmen zusammensetzen und, so der Komponist,
Quecksilbrig                                                    einen »harmonisch aus den Schuhen hauen«.
Im Auftaktkonzert, das Jonathan Stockhammer dirigiert,
steht das Werk ›glut‹ von Dieter Ammann am Beginn. Am-          ANDREAS GÖBEL
mann schildert darin »eine Welt, deren innere Glut, zu Klang
geformt, nach außen drängt«. Sein Konzert für zwei Klaviere     Andreas Göbel (rbbKultur) gestaltet    Eine Veranstaltung von
und Orchester ›Macchine in echo‹ wollte Luca Francesconi        seit 2013 zusammen mit Dr. Rainer
ursprünglich ›extreme motivations‹ nennen – als »Kampf          Pöllmann (Deutschlandfunk Kultur)
zwischen den dionysischen Energien und der Macht der            das Programm des Festivals
                                                                ›Ultraschall Berlin‹.
Strukturen«. Den Solopart übernimmt das GrauSchuma-
cher Piano Duo. Am Beginn der Arbeit an ›Quicksilver‹ stand
ein Video, das Milica Djordjević auf YouTube gefunden hatte
und in dem zu sehen ist, wie Gold mit Hilfe von Quecksilber
extrahiert wird.                                                                                       Konzertkalender S. 27
20                                                        Bringuier / de la Salle   21

Do 24.2.   Lionel Bringuier

Magnet Paris
Ravel bedeutet für sie immer ein Heimspiel. Beide
sind jung, waren früh schon erfolgreich, erfuhren
ihre entscheidenden Vorbereitungen auf das musi-
kalische Profileben am Pariser Conservatoire: die
Pianistin Lise de la Salle, die aus Cherbourg, aus
Frankreichs Norden, stammt, und Lionel Bringuier,
Cellist und Dirigent, der seine Ausbildung ganz im
Süden, in seiner Heimatstadt Nizza begann; ihr ist
er bis heute künstlerisch eng verbunden. Sie sind
die Rising Stars der in den späten 1980er-Jahren
geborenen Künstlergeneration. Nun stellen sich
beide mit Maurice Ravels Klavierkonzert dem Pu-
blikum vor, mit jenem Werk, in dem der Komponist
seine Erfahrungen mit dem Jazz besonders deutlich
und mit besonderem Esprit zur Geltung brachte.

Ein Knall entfesselt die Virtuosität des ersten Satzes;
der zweite ist dem Ideal von Lise de la Salle wie auf
den Leib geschneidert: Sie will das Klavier singen und
darüber seine perkussive Natur vergessen lassen. Für
dieses bezaubernde Nocturne, dessen Anfangsteil
mit seinem melodischen Fließen so selbstverständ-
lich klingt, brauchte Ravel lange, zum Verzweifeln
lange, wie er meinte. Doch so entstand Kanta-
bilität von einer Verführungskraft, die sonst
nur an Ravels Spiel mit den Farben des Or-
chesters gerühmt wird. Das stürmische
Finale steigert noch die Virtuosität
des ersten Satzes.
22                                                                                                 Bringuier / de la Salle   23

Musikalische Einwanderer
Paris dient Lionel Bringuier gleichsam als inneres Thema für
sein Programm mit dem DSO, Paris, die Weltstadt der Musik,
in der die unterschiedlichsten Kulturtraditionen ein Quartier
fanden und Wirkung entfalteten. Das Paris der 1920er-Jah-
re war die europäische Jazz-Metropole schlechthin. Ravel
brauchte nicht nach Amerika zu reisen, um diese Musikrich-
tung in ihren vielen Schattierungen kennenzulernen, obwohl
die Besuche in der Neuen Welt tiefe Eindrücke in ihm hinter-
ließen. Paris wurde aber auch zur Zentrale, dann zur Residenz
der Ballets Russes, der Pioniere eines neuen Tanztheaters.
Strawinskys ›Feuervogel‹ ist unlösbar mit dem Aufstieg der
Kompanie zum Weltruhm verbunden; und die Partitur, die                                                          Lise de la Salle
der Komponist später etwas lässig als traditionsverhafteten
Auftakt zu Kühnerem und Größerem abtat, sorgte über Jahre        Henri Dutilleux. Altersmäßig zwischen Olivier Messiaen und
hinweg auch für seinen Ruhm, nicht nur in Frankreich. Brin-      Pierre Boulez geraten, stand er meist in deren Schatten. Er
guier wählte für sein Programm mit dem DSO die Suite, die        verfolgte dennoch seinen eigenen Weg mit großer Konse-
der Komponist selbst 1919 aus der Ballettmusik zusammen-         quenz, Beharrlichkeit und Offenheit. Zum Repertoire gehö-
stellte, und die reicher, üppiger, farbenprächtiger instrumen-   ren inzwischen vor allem sein Cellokonzert ›Tout un monde
tiert ist als die spätere Version von 1947.                      lointain…‹ und sein Violinkonzert ›L’arbre des songes‹. Mit
                                                                 dem Orchesterstück ›Métaboles‹ suchte er neue Arten der
Dem ›Feuervogel‹ stellt Bringuier Zoltán Kodálys ›Tänze          Formbildung. Der Titelbegriff verweist in der Rhetorik auf die
aus Galánta‹ voran – wie einen Hinweis darauf, wie Motive        Wiederholung eines Gedankens in immer neuen Worten, in
aus der osteuropäischen Folklore nicht nur bei Strawins-         der Biologie auf eine langsame, aber starke Metamorphose.
ky, sondern auch bei anderen Komponisten als Motor ihrer         Beides benennt, woran Dutilleux lag – »eine oder mehrere
musikalischen Entwicklung wirkten. Das Werk, das seiner          Ideen in unterschiedlicher Ordnung und aus unterschied-
klanglichen Brillanz wegen auch als ein Konzert für Orches-      lichen Blickwinkeln zu betrachten, bis sie nach und nach
ter bezeichnet wurde, hat zwar keinen direkten Bezug zu          ihren Charakter vollständig verändern.« In diesem Prozess
Frankreich und Paris, doch erinnert seine Instrumentierung       der Verwandlung werden die mittleren Stadien jeweils von
daran, dass Kodály wie sein Freund Béla Bartók seine Or-         bestimmten Gruppen des Orchesters übernommen, bis sich
chestrierungskunst vor allem an französischen Vorbildern         alle im Finale wieder vereinen. Die ›Métaboles‹ sind auch ein
und an Strawinsky schulte.                                       Konzert für Orchester.

Übersehene Mitte                                                 HABAKUK TRABER
Paris war aber auch die Stadt der Künstler, die nicht par-
tout die spektakuläre Resonanz suchten. Zu ihnen gehörte                                               Konzertkalender S. 28
Jubiläumstournee   25

Sa 5.2. – Sa 12.2.   Robin Ticciati

Jubiläumstournee
›75 Jahre DSO‹
        Seit seiner ersten Tournee durch Westdeutschland
         1951 ist das DSO regelmäßig im nationalen und in-
         ternationalen Konzertleben präsent und hat in den
        vergangenen Jahrzehnten weite Teile der Welt be-
    reist. Zur Feier seines 75. Jubiläums unternimmt das
Orchester im Februar gemeinsam mit seinem Chefdirigen-
ten Robin Ticciati und dem großartigen Pianisten Leif Ove
Andsnes eine einwöchige Europatournee.

Im Gepäck hat das DSO mit Berlioz’ Ouvertüre zu ›Les francs-
juges‹, Schumanns Klavierkonzert und Mahlers Erster
Symphonie nicht nur das Ende Januar in der Philharmo-
nie gespielte Programm; auch Mozarts Ouvertüre zu ›La
Clemenza di Tito‹, sein Klavierkonzert Es-Dur KV 482 und
Beethovens ›Eroica‹ gehören zum Tourneerepertoire, das in
unterschiedlichen Kombinationen auf die Bühnen gelangt.
Die Reise beginnt am 5. Februar im Graf-Zeppelin-Haus in
Friedrichshafen, führt das Orchester dann ins Konzerthaus
nach Dortmund, in die Kölner Philharmonie, in den Palast
der Künste nach Budapest, den Muziekgebouw Eindhoven,
das Concertgebouw Amsterdam (Bild) und endet am 12. Fe-
bruar mit einem Konzert im Kulturzentrum La Seine Musi-
cale in der Nähe von Paris. Alle Programme finden Sie unter
→ dso-berlin.de/gastspiele

                                       Konzertkalender S. 28
26                                                                                     Konzertkalender   27

     Januar                                            ›Ultraschall Berlin‹ – Festival für neue Musik

                                                       Mi 19.1. / 20 Uhr / Haus des Rundfunks
     Sa 1.1. / 18 Uhr / Tempodrom
                                                       228. Konzert ›Musik der Gegenwart‹
     Neujahrskonzert
                                                       Ammann ›glut‹
     Werke von Bernstein, Chatschaturjan,
                                                       Francesconi ›Macchine in echo‹ –
     Schostakowitsch, Smetana u. a.
                                                       Konzert für zwei Klaviere und Orchester
     Das vollständige Programm wird noch
                                                       Djordjević ›Quicksilver‹
     bekannt gegeben.
                                                       JONATHAN STOCKHAMMER
     JAMES GAFFIGAN
                                                       GrauSchumacher Piano Duo – Klaviere
     Jess Gillam – Saxophon
     Artist*innen des Circus Roncalli
                                                       So 23.1. / 20 Uhr / Haus des Rundfunks
                                                       229. Konzert ›Musik der Gegenwart‹
     Fr 7.1. / 20 Uhr / Heimathafen Neukölln
                                                       Gieshoff ›Burr‹
     Kammerkonzert ›The March of Women‹
                                                       Zhao ›oder Ekel kommt vor Essenz‹
     Grandval, Manziarly, Pejačević, C. Schumann,
                                                       für Sprecher und Orchester
     Smyth, Žebeljan
                                                       Höller Violakonzert
     ENSEMBLE DES DSO
                                                       Poppe ›Fett‹
     Gergely Bodoky – Flöte
                                                       EUN SUN KIM
     Viola Wilmsen – Oboe
                                                       Fiston Mwanza Mujila – Sprecher
     Mischa Meyer – Violoncello
                                                       Nils Mönkemeyer – Viola
     Oliver Triendl – Klavier

     Do 13.1. / 20 Uhr / Philharmonie
     Mendelssohn Bartholdy Ouvertüre zu ›Ruy Blas‹   Sa 29.1., So 30.1. / 20 Uhr / Philharmonie
     Beethoven Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur            Berlioz Ouvertüre zur Oper ›Les francs-juges‹
     Schubert Symphonie Nr. 8 ›Große C-Dur‹          Schumann Klavierkonzert a-Moll
     MAXIM EMELYANYCHEV                              Beethoven Symphonie Nr. 3 Es-Dur ›Eroica‹
     Francesco Piemontesi – Klavier                  ROBIN TICCIATI
                                                     Leif Ove Andsnes – Klavier
28                                                                                                    Konzertkalender   29

     Februar
                                                              Fr 25.2. / 22 Uhr / Kunstgewerbemuseum
                                                              Kammerkonzert ›Notturno‹
                                                              Korngold, Zemlinsky
                                                              ENSEMBLE DES DSO
     Sa 5.2. – Sa 12.2.                                       Kamila Glass – Violine
     Jubiläumstournee ›75 Jahre DSO‹                          Leslie Riva-Ruppert – Violoncello
     mit Konzerten in Friedrichshafen, Dortmund, Köln,        Anna Kirichenko – Klavier
     Budapest, Eindhoven, Amsterdam und Paris
                                                              Einlass 20.45 Uhr, Kurzführung 21 Uhr
     ROBIN TICCIATI
     Leif Ove Andsnes – Klavier

                                                              März
     Mehr unter → dso-berlin.de/gastspiele

                                                                                  (Auswahl)
     Fr 18.2. / 20.30 Uhr / Philharmonie
     Casual Concert
     Mozart Symphonie Nr. 1 Es-Dur                            So 6.3. / 20 Uhr / Philharmonie
     Beethoven Symphonie Nr. 1 C-Dur                          Korngold Symphonie Fis-Dur
     CORNELIUS MEISTER                                        Korngold Thema aus der Filmmusik zu ›Kings Row‹
     Im Anschluss Casual Concert Lounge mit Live Act und DJ   Kaper Ouvertüre zu ›Mutiny on the Bounty‹
                                                              Rózsa ›The Love of the Princess‹ aus der Filmmusik
     Sa 19.2. / 20 Uhr / Philharmonie                         zu ›The Thief of Baghdad‹
     Haydn Symphonie Nr. 1 D-Dur                              Herrmann Suite aus der Filmmusik zu ›Psycho‹
     Mozart Symphonie Nr. 1 Es-Dur                            Steiner Suite aus der Filmmusik zu
     Bruch Violinkonzert Nr. 1 g-Moll                         ›Gone with the Wind‹
     Beethoven Symphonie Nr. 1 C-Dur                          JOHN WILSON
     CORNELIUS MEISTER
     Augustin Hadelich – Violine                              So 20.3. / 20 Uhr / Philharmonie
                                                              Zimmer Suite aus der Musik zu ›Batman‹-Filmen
     Do 24.2. / 20 Uhr / Philharmonie                         Eötvös ›The Gliding of the Eagle in the Skies‹
     Dutilleux ›Métaboles‹                                    Bartók ›Herzog Blaubarts Burg‹ –
     Ravel Klavierkonzert G-Dur                               Oper in einem Akt (konzertante Aufführung)
     Kodály ›Tänze aus Galánta‹                               ROBIN TICCIATI
     Strawinsky Suite ›Der Feuervogel‹ (Fassung 1919)         Karen Cargill – Mezzosopran
     LIONEL BRINGUIER                                         Matthias Goerne – Bariton
     Lise de la Salle – Klavier                               David Nathan – Sprecher
Kammerkonzert      31

                                                                  Fr 7.1.   Kammermusik vom Duo zum Quartett

                                                                  Im Heimathafen Neu-
                                                                  kölln, dessen bunte Ver-
                                                                  gangenheit als Ballsaal
                                                                  im Rixdorfer Vergnü-
                                                                  gungsviertel der Grün-
                                                                  derzeit sich bis heute in
                                                                  der Offenheit seiner Kul-
                                                                  turangebote spiegelt, ge-
                                                                  stalten die DSO-Stimm-
                                                                  führer*innen Gergely
                                                                  Bodoky (Flöte), Viola
                                                                  Wilmsen (Oboe), Mischa
                                                                  Meyer (Violoncello) ge-
                                                                                                               Viola Wilmsen
                                                                  meinsam mit dem Pianis-
                                                                  ten Oliver Triendl ein Kammerkonzert am 7. Januar. Es ist
                                                                  der Musik von Komponistinnen gewidmet, die trotz großer
                                                                  Erfolge zu Lebzeiten von der Nachwelt nahezu vergessen
                                                                  wurden. Von der Chopin-Schülerin Marie de Grandval, die
                                                                  vor allem mit Opern reüssierte, diese als Angehörige des
                                                                  Adels aber unter (weiblichen) Pseudonymen veröffentlichte.
                                                                  Von Clara Schumann, deren kompositorisches Schaffen lan-
                                                                  ge im Schatten ihrer pianistischen Weltkarriere stand. Von
                                                                  Dora Pejačević, deren wichtigste Werke während des Ers-
                                                                  ten Weltkriegs in Kroatien entstanden, und von Marcelle de
                                                                  Manziarly, deren Œuvre im Impressionismus wurzelt. Von
                                                                  Isidora Žebeljan, der wohl bedeutendsten, im vergangenen
         Der Perfekte Ein- oder Ausklang                          Jahr verstorbenen Gegenwartstonsetzerin Serbiens. Und
 ist 3 Minuten von der Philharmonie Entfernt.                     schließlich von Ethel Smyth, deren ›March of Women‹ 1911
                                                                  zur Hymne der englischen Frauenbewegung erkoren wurde
                                                                  und dem Konzert seinen Titel verleiht.

    QIU Lounge im the Mandala Hotel am Potsdamer Platz                                                Konzertkalender S. 26
Potsdamer Strasse 3 | Berlin | 030 / 59 00 5 00 00 | www.qiu.de
Emelyanychev / Piemontesi     33

Do 13.1.   Maxim Emelyanychev

Ewiger
Jugendkeim
»Die Symphonie hat denn unter uns gewirkt, wie nach
den Beethoven’schen keine noch. Künstler und Kunst-
freunde vereinigten sich zu ihrem Preise, und vom
Meister, der sie auf das Sorgfältigste einstudirt, daß
es prächtig zu vernehmen war, hörte ich einige Worte
sprechen, die ich Schubert’en hätte bringen mögen,
als vielleicht höchste Freudenbotschaft für ihn. Jahre
werden vielleicht hingehen, ehe sie sich in Deutschland
heimisch gemacht hat; daß sie vergessen, übersehen
werde, ist kein Bangen da; sie trägt den ewigen Ju-
gendkeim in sich.«

Freudeschauernd
Mit seinem Urteil über Schuberts Große C-Dur-Sym-
phonie, das Robert Schumann in seiner ›Neuen Zeit-
schrift für Musik‹ über die Aufnahme des Werks nach
der Leipziger Uraufführung durch Felix Mendelssohn
Bartholdy am 21. März 1839 fällte, sollte er recht be-
halten. Schumann selbst war auf die nachgelassene
»Große« bei einem Wien-Besuch von Schuberts Bru-
der Ferdinand aufmerksam gemacht worden. Dieser
»liess mich auch von den Schätzen sehen, die sich
noch von Franz Sch.’s Compositionen in seinen Hän-
den befinden. Der Reichthum, der hier aufgehäuft lag,
machte mich freudeschauernd; wo zuerst hingreifen,
wo aufhören! Unter andern wies er mir die Partituren
mehrerer Symphonien, von denen viele noch gar nicht
34                                                                                       Emelyanychev / Piemontesi      35

gehört worden sind, ja oft vorgenommen, als zu schwierig      auf die Bühne des DSO zurückkehrt. Mit Musik von Mozart,
und schwülstig zurückgelegt wurden.«                          Liszt und Strauss hat er bereits dreimal als äußerst vielsei-
                                                              tiger Solist das Publikum für sich eingenommen und wurde
Tatsächlich hatte der Liederkomponist Schubert nie eine       dabei für seine »gestalterische Intelligenz und kultivierte
Aufführung einer seiner Symphonien erleben dürfen. Auch       Klangschönheit« (Morgenpost) gepriesen.
die ›Große C-Dur‹ trat erst elf Jahre nach
seinem Tod von Leipzig aus ihren langsamen
Siegeszug durch die Musikwelt an – ob-                        »Hier ist, außer meisterlicher musikalischer Technik
gleich es, wie man heute weiß, bereits 1829                   der Composition, noch Leben in allen Fasern, Colorit
eine Wiener Uraufführung gegeben haben                        bis in die feinste Abstufung, Bedeutung überall
muss. Was dort ohne Folgen blieb, sorgte                      […], und über das Ganze endlich eine Romantik
1839 in Leipzig sofort für Begeisterung; al-                  ausgegossen, wie man sie schon anderswoher an
lein bis 1850 stand die Achte – wie man sie                   Franz Schubert kennt.«
inzwischen einsortiert – ein Dutzend Mal                      Robert Schumann
auf den Spielplänen des Gewandhausor-
chesters. Heute gehört sie, als eine der
ersten romantischen Symphonien, mit ihrer »himmlischen        In seinem selbstbewussten C-Dur-Konzert hat sich der
Länge« (Schumann) fest zum Konzertkanon.                      kraftstrotzende, brillante Klaviervirtuose manifestiert, als
                                                              der Beethoven in seinen ersten Wiener Jahren die Musikwelt
Großer Spaß                                                   an der Donau eroberte – aber auch schon der Komponist mit
Das besagte Leipziger Konzert konnte neben der Schu-          der eigenen Stimme, der mit einer umfangreicheren, sym-
bert’schen auch noch mit einer weiteren Erstaufführung        phonisch angelegten Orchesterbesetzung, thematischen
aufwarten – der Ouvertüre zu Victor Hugos Tragödie ›Ruy       Satzverknüpfungen und einer kontrastreichen Musikspra-
Blas‹, die Mendelssohn in nur drei Tagen für die Leipziger    che über die in Wien noch überaus präsenten Vorbilder aus
Premiere im März 1839 geschrieben hatte. Auch wenn der        Mozart’scher Feder hinauswies. Eine erste Fassung präsen-
Komponist das »infame [Theater]Stück« selbst verabscheu-      tierte er wohl bereits 1795, doch fünf weitere Jahre sollten
te, hatte er an seiner leichten und eleganten Musik einen     vergehen, bis er die finale Gestalt dieses effektvollen, ein-
»großen Spaß«, der sich bis in unsere Tage ganz unmittelbar   fallsreichen und zugleich hochmusikalischen Concertos als
auf das Publikum überträgt.                                   abgeschlossen betrachtete. Es hat sich gelohnt.

Mit Wumms und Brillanz                                        CHRISTOPH EVERSMEYER
Mit diesen beiden Werken setzt der russische Dirigent Maxim
Emelyanyachev → S. 4 den Rahmen des Konzerts am 13. Ja-
nuar. Im Zentrum des Programms steht mit Beethovens Ers-
tem Klavierkonzert ein weiteres Wiener Werk, mit dem der
Schweizer, in Berlin lebende Pianist Francesco Piemontesi                                           Konzertkalender S. 26
Notturno    37

Fr 25.2.   Kammermusik im Kunstgewerbemuseum

Das zweite Konzert der zwölften ›Notturno‹-Saison, die das
DSO partnerschaftlich mit der Stiftung Preußischer Kultur-
besitz veranstaltet, findet am 25. Februar im Kunstgewer-
bemuseum am Kulturforum statt und ist dem Komponisten
Erich Wolfgang Korngold gewidmet, dessen Geburtstag
sich wenige Wochen später zum 125. Mal jährt.

Das Padma Trio aus Kamila Glass (Violine), Leslie Riva-Rup-
pert (Violoncello) und Anna Kirichenko (Klavier) stellt in
einem Wiener Programm dem frühreifen, klangsüffigen
D-Dur-Klaviertrio des damals gerade einmal 13-jährigen
Wunderkindes das d-Moll-Trio seines Lehrers Alexander
Zemlinsky gegenüber. Noch mehr Korngold gibt es dann be-
reits eine gute Woche später zu hören: John Wilson dirigiert
am 6. März in der Philharmonie ein Hollywood-Programm,
u. a. mit Korngolds Filmmusik zu ›Kings Row‹ und der späten
Fis-Dur-Symphonie von 1947.

                                     Konzertkalender S. 29
Günter Wand      39

9.4.1996    Günter Wand

Der erste
Ehrendirigent
             Am 9. April 1996 stand Günter Wand, seit drei
              Jahren Erster Gastdirigent des DSO, am Pult des
              Orchesters in der Berliner Philharmonie. Aufs
              Programm hatte er Symphonien von Beethoven
            und Brahms gesetzt, zwei seiner Hausgötter. Es
        war der letzte von drei aufeinanderfolgenden Kon-
zertabenden, die zugleich das Ende einer triumphalen Zu-
sammenarbeit bedeuten sollten. Kurz darauf ernannte das
Orchester Günter Wand zu seinem ersten Ehrendirigenten –
ein Titel, der außer ihm bislang nur, zehn Jahre später, Kent
Nagano verliehen wurde.

Wand war bereits 71 Jahre alt, als er das DSO erstmals di-
rigierte – und hatte doch den Zenit seiner musikalischen
Karriere noch vor sich. Dem späten Ruhm als international
begehrte Künstlerpersönlichkeit ging eine klassische Ka-
pellmeisterlaufbahn voraus. 1912 in Elberfeld bei Wupper-
tal geboren, sammelte Wand erste Erfahrungen an kleinen
Bühnen in seiner Heimatstadt, in Allenstein und später in
Detmold mit der Leitung von Opern und Operetten. 1939
wurde er zum Ersten Kapellmeister an das Kölner Opern-
haus berufen, wo man ihn nach dem Krieg mit dem Wie-
deraufbau des Musikbetriebs beauftragte. Ein Jahr später
ernannte ihn die Stadt Köln zum Generalmusikdirektor, kurz
darauf zum Leiter des traditionsreichen Gürzenich-Orches-
ters. Dieses entwickelte sich in den fast 30 Jahren unter
Wands Ägide zu einem formidablen Klangkörper.
40                                                                                                       Günter Wand     41

Später Ruhm
Seit den Nachkriegsjahren erarbeitete sich Wand das gro-
ße klassisch-romantische Repertoire und etablierte sich zu-
gleich als ein emphatischer Fürsprecher neuer Musik, der
nicht nur die Klassiker der Moderne zurück ins Konzertleben
holte, sondern auch für eine Vielzahl an Ur- und Erstauf-
führungen unter anderem von Werken Bernd Alois Zimmer-
manns, Wolfgang Fortners oder Olivier Messiaens verant-
wortlich zeichnete. Wand weckte zunehmend Interesse und
erhielt Einladungen nach Berlin, München, Paris, Chicago
und Tokio, von der BBC und den deutschen Rundfunkor-
chestern. Bereits 1959 wurde er als erster westdeutscher
Dirigent zu Konzerten in die damalige Sowjetunion einge-
laden. Sein Sprung an die Weltspitze gelang ihm mit den
ab 1977 erschienenen Gesamtaufnahmen der Symphonien
Bruckners und Schuberts am Pult des Kölner Rundfunk-
Sinfonie-Orchesters (heute WDR Sinfonieorchester). Als
70-Jähriger übernahm er die Chef-Position beim NDR-Sin-
fonieorchester, dem er nach Ende seiner legendären Amts-
zeit bis zuletzt als Ehrendirigent verbunden blieb.                                                            Günter Wand

Berliner Triumphe                                               wurde vom RIAS und dem SFB aufgezeichnet. Sie liegen
Günter Wand leitete sein erstes Konzert beim DSO, das da-       heute gesammelt in zwei preisgekrönten Editionen vor, die
mals noch Radio-Symphonie-Orchester Berlin hieß, im April       von Profil Hänssler zwischen 2009 und 2012 herausgege-
1983. Gespielt wurde Bruckners Fünfte, Wands »Schick-           ben wurden. Die Aufnahmen dokumentieren die Arbeit eines
sals-Symphonie«, an die sich der Dirigent erst im hohen Alter   Dirigenten, der sich als Anwalt der Partitur verstand und
heranwagte und deren Aufnahme wenige Jahre zuvor seinen         mit großer Hingabe danach strebte, seinem Publikum die
Spätruhm mitbegründet hatte. Von da an hielt er regelmäßig      Idee eines Werkes zu vermitteln. Obwohl geistig durchdrun-
Verbindung nach Berlin. Mit fast 20 Programmen stand er         gen, waren seine Lesarten keineswegs prätentiös – akri-
bis 1996 am Pult des DSO, zu stets umjubelten Konzerten         bisch, aber stets beseelt. Seine Interpretationen haben neue
und vor allem mit den programmatischen Schwergewichten          Maßstäbe gesetzt, seine Konzerte dem Berliner Musikleben
Beethoven, Brahms, Bruckner und Schubert.                       Glanzstunden beschert. Günter Wand starb 2002 im Alter
                                                                von 90 Jahren in seinem Schweizer Wohnsitz in Ulmiz.
Die meisten der von ihm geleiteten Konzerte – aber auch
öffentliche Proben im Rahmen der ›Werkstatt‹-Reihe, die         DANIEL KNAACK
das DSO in Zusammenarbeit mit dem RIAS veranstaltete –
42                                                              Meister / Hadelich   43

Fr 18.2. / Sa 19.2.   Cornelius Meister

Erstlinge
allenthalben
»Papa Haydn« heißt es immer so schön. Das bedeutet also:
Joseph Haydn, der Vater der Symphonie? Ja und nein! Die
Symphonie gab es schon vor Haydn, zunächst als Sinfonia,
als Ouvertüre der italienischen Oper. Diese Vorspiele waren
derart beliebt, dass sie auch konzertant, unabhängig von der
jeweiligen Oper aufgeführt wurden. Aus dieser Praxis ent-
standen eigenständige Stücke. Haydn entwickelte aus den
vorgefundenen Modellen im Laufe seiner Karriere bestimm-
te formale und inhaltliche Standards, die das ausmachen,
was wir heute unter der klassischen Symphonie verstehen.
Und: Er wertete mit unerschöpflichem Einfallsreichtum die
Symphonie, die vorher neben Serenaden oder Divertimenti
bloß eine instrumentale Gattung unter vielen war, qualitativ
auf und machte sie so zu einem charakteristischen Schwer-
gewicht. Die Symphonie erhielt damit nahezu das Prestige
einer Oper.

Künstlerische Visitenkarte
Davon war Haydn allerdings noch weit entfernt, als er mit
25 Jahren 1857 seine erste Symphonie schrieb. Sie entstand
wahrscheinlich in Böhmen, auf Schloss Lukavec bei Pilsen,
der Sommerresidenz der Grafen Morzin. Haydn war in gräfli-
chen Diensten gerade mit seiner ersten Musikdirektoren-
position betraut worden. Sein relativ kurzer symphonischer
Erstling diente als künstlerische Visitenkarte: Der junge Mu-
sikdirektor stellt sein Können unter Beweis – mit einer Fülle
an Ideen, die kontrastreich inszeniert sind.
44                                                                                                 Meister / Hadelich   45

Der erste Versuch auf dem Gebiet der Symphonie von Wolf-
gang Amadeus Mozart entstand auf Reisen. Sein ehrgeizi-
ger Vater Leopold präsentierte das Wunderkind europaweit,
1763 ging es für eine dreijährige Tournee los, »Wolferl« war
damals gerade einmal sieben Jahre alt. In dieser Zeit hat
er seine Erste Symphonie geschrieben – spielerisches, un-
bekümmertes Ausprobieren. Die musikalischen Konventio-
nen, Traditionen und Klischees, die er auf den Reisen aufsog,
spiegeln sich darin wieder.

»Finden Sie nicht, dass es eigentlich sehr
verwegen ist, ein Violin-Concert zu schreiben?«
Max Bruch an seinen Lehrer Ferdinand Hiller 1865
                                                                                                          Augustin Hadelich

Als Ludwig van Beethoven im Jahr 1800 mit 30 Jahren sei-        genden Voraufführung 1866 in Koblenz, wo der 28-jährige
ne Erste Symphonie präsentierte, waren die Verhältnisse         Bruch Kapellmeister war, wandte er sich ratsuchend an den
völlig andere: Haydn und Mozart hatten inzwischen mus-          Geigenvirtuosen Joseph Joachim. Dessen Expertise verhalf
tergültige Beispiele für die Gattung vorgelegt. Das Modell      dem Komponisten, der bis dahin relativ unerfahren mit den
war praktisch ausgereift. Was konnte Beethoven hier noch        Spieltechniken und Klangwirkungen der Violine war, auf die
Nennenswertes hinzufügen? Die Lösung: Er gibt den jungen        Sprünge. Dass dieses Konzert einmal sein populärstes Werk
Wilden, spielt mit den Standards, verhält sich kritisch und     werden würde, konnte Bruch damals nicht ahnen.
dekonstruiert mitunter das, was seine Vorgänger hervorge-
bracht haben.                                                   Zu den kompositorischen Debüts in diesem Programm ge-
                                                                sellt sich ein weiteres: Endlich gastiert Augustin Hadelich
Verflucht schwere Sache                                         beim DSO. Der Stargeiger, der mit seinem erstaunlich
Max Bruch wiederum hatte mit ganz anderen Herausfor-            wandelbaren Ton auf kluge Dramaturgie setzt, dürfte auch
derungen bei einem Erstling zu kämpfen: »Eine verflucht         Bruchs berühmtem Werk eine unverwechselbare Note ver-
schwere Sache« sei die Komposition von Violinkonzerten,         leihen. Am Dirigentenpult steht mit Cornelius Meister ein
klagte Max Bruch, »ich habe von 1864–68 mein Concert            gern gesehener Gast des DSO, der hier zuletzt 2017 mit
gewiss ein halb Dutzendmal wieder umgeworfen u. mit x           Gustav Mahlers Dritter Symphonie überzeugte.
Geigern conferirt, bevor es endlich die Form gewonnen
hat, in der es nun allgemein bekannt ist«. Erschwerend          ECKHARD WEBER
kam hinzu, dass diese Komposition zugleich auch Bruchs
erstes großes Orchesterwerk war. Nach einer unbefriedi-                                              Konzertkalender S. 28
46   Casual Concert                                                                                                     Impressum             47

                                                                 Momente eines Livekonzerts

                                                                 Entdecke unseren neuen
                                                                 Instagram-Filter und teile
                                                                 deine ganz persönlichen
                                                                 Konzerteindrücke.

                                                                 Verlinke @dsoberlin, und
                                                                 wir teilen deinen Post in
                                                                 unserer Story.

Fr 18.2.   Casual Concert mit Cornelius Meister
                                                              Impressum
                                                              Deutsches Symphonie-Orchester Berlin                  Das Deutsche Symphonie-
Die Ersten Symphonien von Mozart und Beethoven sind
                                                              Interim-Management                                    Orchester Berlin ist ein
auch schon einen Tag vor dem Symphoniekonzert im Casual       Benjamin Dries (V. i. S. d. P.), Thomas Schmidt-Ott   Ensemble der Rundfunk
Concert zu erleben. Das offene, populäre und moderierte       Presse- und Öffentlichkeitsarbeit                     Orchester und Chöre
Konzertformat gehört seit 2007 zu den Markenzeichen des       Daniel Knaack                                         GmbH Berlin.
DSO. Alle Karten sind gleich günstig und der Dresscode ist    Redaktion Maximilian Rauscher, Benjamin Dries
                                                              Redaktionelle Mitarbeit Daniel Knaack                 Geschäftsführer
casual. Bereits zum vierten Mal steht dabei Cornelius Meis-                                                         Anselm Rose
                                                              Marketing Tim Bartholomäus
ter – nach Stationen in Heidelberg und Wien nunmehr Ge-       Art- und Fotodirektion Stan Hema                      Gesellschafter
neralmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart – am Pult. Der    Layout und Satz peick kommunikationsdesign            Deutschlandradio,
für seine Musikvermittlungsarbeit vielfach ausgezeichnete     Redaktionsschluss 30.11.2021,                         Bundesrepublik
                                                              Änderungen vorbehalten                                Deutschland,
Dirigent versteht sich als »Künstler mit Bildungsauftrag«
                                                                                                                    Land Berlin, Rundfunk
und wird dem Publikum mit dem Mikrofon in der Hand und        © Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 2021           Berlin-Brandenburg
unter Einsatz live gespielter Beispiele außergewöhnliche
Einblicke in die Werke eröffnen. Wenn sie dann schließlich
                                                              Abbildungen / Fotos
im Gesamtzusammenhang erklingen, kann man sie durch-
                                                              Jörg Brüggemann / Ostkreuz (S. 1), Elena Belova (S. 4), Archiv DSO
aus mit neuen Ohren hören.                                    (S. 10, 11, Autogramm S. 48), janis – stock.adobe.com (S. 12), Camille Blake
                                                              (S. 14), Gregor Hohenberg (S. 16), Marc Oliver LeBlanc (S. 19), Simon Pauly
                                                              (S. 20), Stéphane Gallois (S. 23), Hans Roggen (S. 24), Peter Adamik (S. 31),
                                                              Marco Borggreve (S. 32, 43, 46), Achim Kleuker (S. 37), Klaus Hennig / BMG
                                                              Classics (S. 38), Monkebild / BMG (S. 41), Rosalie O’Connor (S. 45), RIAS
Konzertkalender S. 28                                         Berlin, lizensiert durch Deutschlandradio (S. 48), Roncalli (S. 51)
Jessye Norman      49

30.1.1969    Jessye Norman beim DSO

           Dass bei ›RIAS stellt vor‹ nicht selten Weltkarrie-
             ren beginnen, hat die Reihe von Anfang an unter
             Beweis gestellt. So war es auch am 30. Januar
             1969, als sich die 23-jährige US-amerikanische
           Sängerin Jessye Norman, die vier Monate vor-
        her – gerade frisch von der Hochschule kommend –
in München den Ersten Preis beim ARD-Musikwettbewerb
gewonnen hatte, an der Seite des DSO dem Berliner Pu-
blikum vorstellte. »In zwei großen Lamento liebender und
verlassener Frauen aus Purcells ›Dido und Aeneas« und
Mascagnis ›Cavalleria‹ zeigte sie die Ausdrucksbreite ihres
Soprans«, urteilte der Tagesspiegel. »Die strömende Fülle
und tragische Eindringlichkeit besonders ihrer Santuzza
riss zu minutenlangen Beifallsstürmen hin.« Die Morgen-
post orakelte, »es sollte uns nicht wundern, wenn Jessye
Norman demnächst mit einer der großen Wagner-Partien
Furore machte«, und hatte recht: Schon im Dezember gab
sie mit der Elisabeth ihr ›Tannhäuser‹-Debüt, das in einen
Vierjahresvertrag an der Deutschen Oper mündete.

Im März 1970 war Jessye Norman als Solistin einer Rossini-
Messe ein weiteres Mal an der Seite des Orchesters zu
erleben, bevor sie die großen Opern- und Konzertbühnen
eroberte und zum Weltstar wurde. Am 4. Juli 1999, 30 Jah-
re nach ihrem Berliner Debüt, kehrte die »Zauberin« (Ta-
gesspiegel) unter der Leitung von Andrey Boreyko zum Or-
chester zurück, bei einem Konzert zum 50. Jahrestag der
Luftbrücke. Diesmal mit amerikanischem Repertoire, Songs
von Gershwin. »Die Hauptstädter«, berichtete der Tages-
spiegel, »verwandelten die ehrwürdige Philharmonie in ein
Tollhaus.« Im September 2019 ist mit Jessye Norman, die
sich intensiv auch für afroamerikanische, soziale und kul-
turelle Belange einsetzte, eine der größten Stimmen des
20. Jahrhunderts verstummt.
50                                                             Neujahrskonzert   51

Sa 1.1.   James Gaffigan

Erfolgscocktail
zu Neujahr
Man nehme: ein Spitzenorchester, die weltbesten Mane-
genkünstler, vermenge großartige Musik, atemberauben-
de Akrobatik, Hochspannung und atemloses Staunen mit-
einander, schüttle einmal kräftig durch – heraus kommt
das Erfolgsrezept für den Silvestercocktail, den das DSO
und der Circus Roncalli seit 2003 gemeinsam im Tempo-
drom servieren. Auch 2022 ist er am Neujahrstag um 18
Uhr ein weiteres Mal zu genießen. Am Pult steht James
Gaffigan, neuer Chefdirigent des Orquestra de la Commu-
nidad Valenciana, als Solistin bringt Jess Gillam – mit ih-
rem Saxophon in der Klassikwelt eine Ausnahmeerschei-
nung – mitreißendes Temperament und beeindruckendes
Talent in das Gesamtkunstwerk ein.

Unter den Leserinnen und Lesern der DSO-Nachrichten
verlosen wir 2 x 2 Freikarten für das Neujahrskonzert.
Beantworten Sie dazu einfach folgende Frage:

Seit wann verzichtet der Circus Roncalli
auf die Tierdressur?

Bitte schicken Sie Ihre Antwort bis zum 29. Dezember mit der
Betreffzeile »Neujahrsverlosung« und Ihrem Namen per E-Mail
an → verlosung @dso-berlin.de. Die Gewinner*innen werden per
Los gezogen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Konzertkalender S. 26
Tickets
Besucherservice des DSO
Charlottenstraße 56, 2. OG
10117 Berlin, am Gendarmenmarkt

Mo bis Fr 9–18 Uhr

T 030 20 29 87 11
→ tickets@dso-berlin.de

→ dso-berlin.de

Ein Ensemble der
Sie können auch lesen