RSO Konzertzyklus 2015/2016 Do 10./Fr 11. Dezember 2015 Abo 4 Gesangssolisten Cantus Juvenum Karlsruhe SWR Vokalensemble Stuttgart ...

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RSO Konzertzyklus 2015/2016 Do 10./Fr 11. Dezember 2015 Abo 4 Gesangssolisten Cantus Juvenum Karlsruhe SWR Vokalensemble Stuttgart ...
RSO Konzertzyklus 2015/2016
Do 10./Fr 11. Dezember 2015 Abo 4
Gesangssolisten
Cantus Juvenum Karlsruhe
SWR Vokalensemble Stuttgart
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Dirigent: Stéphane Denève

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RSO Konzertzyklus 2015/2016 Do 10./Fr 11. Dezember 2015 Abo 4 Gesangssolisten Cantus Juvenum Karlsruhe SWR Vokalensemble Stuttgart ...
Programm
  Jubi läumssaison 70 Jahre RSO Stuttgart

                                                                              Detlev Glanert   *1960

                                                                              »Megaris«

                                                                              Seestück mit Klage der toten Sirene für Orchester und wortlosen Chor (2014/2015)
                                                                              Uraufführung

                                                                              Auftragskomposition des SWR zum 70jährigen Jubiläum
                                                                              des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR

                                                                              PAUSE

                                                                              Maurice Ravel    1875–1937

                                                                              »L’Enfant et les sortilèges« – »Das Kind und der Zauberspuk«

                                                                              Lyrische Fantasie in zwei Teilen
                                                                              Libretto: Colette
                                                                              Konzertante Aufführung in französischer Sprache

                                                                              Kind                                             Camille Poul, Sopran
                                                                              Mutter, Chinesische Tasse, Libelle               Marie Karall, Mezzosopran
                                                                              Polstersessel, Katze, Eichhörnchen, Schäfer      Julie Pasturaud, Mezzosopran
                                                                              Feuer, Prinzessin, Nachtigall                    Annick Massis, Sopran
                                                                              Fledermaus, Eule, Schäferin                      Maïlys de Villoutreys, Sopran
                                                                              Lehnstuhl, Baum                                  Paul Gay, Bass
                                                                              Standuhr, Kater                                  Marc Barrard, Bariton
                                                                              Teekanne, kleiner alter Mann, Laubfrosch         François Piolino, Tenor
                                                                              Vier Tiere                                       Maïlys de Villoutreys, Julie Pasturaud,
Do 10.12. / Fr 11.12 2015                                                     		                                               François Piolino, Paul Gay
Liederhalle Stuttgart, Beethovensaal
                                                                              Cantus Juvenum Karlsruhe
Konzertbeginn 19.30 Uhr                                                       Einstudierung: Anette Schneider
Konzertpause ca. 20 Uhr                                                       SWR Vokalensemble Stuttgart
Konzertende ca. 21.15 Uhr                                                     Einstudierung: Florian Helgath
18.30 Uhr Konzerteinführung: Dorothea Bossert mit Detlev Glanert              Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Zeitversetzte Live-Übertragung am Freitag, 11.12.15 ab 20.03 Uhr in           Leitung: Stéphane Denève
                                                                      2   3
RSO Konzertzyklus 2015/2016 Do 10./Fr 11. Dezember 2015 Abo 4 Gesangssolisten Cantus Juvenum Karlsruhe SWR Vokalensemble Stuttgart ...
Odysseus kränkte die Sirenen

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Detlev Glanert: »Megaris« UA

»Musik ist bei mir nie abstrakt, sie ist immer mit Szenischem verbunden«, erklärt Detlev
Glanert, doch ist es nicht so, dass er sich erst bei einem Kompositionsauftrag auf die Suche
nach geeignetem dramatischen Stoff macht – die Themen beschäftigen ihn meistens
schon sehr lange, bevor sie in einem Werk Form annehmen. Der Mythos um Odysseus und
die Sirenen begleitet Glanert seit mehr als zehn Jahren. Dass er ihn nun zum Orchester­
jubiläum des RSO Stuttgart musikalisch umsetzte, lag auch am Wunsch des Chefdirigen-
ten Stéphane Denève, den Chor auf eine spezifische Weise – nämlich wortlos – zum Einsatz
zu bringen. Für Glanert stimmte diese Vorgabe zu der Vorstellung von einem Klagegesang
                                                                                                                                                                                                        Detlev Glanert
der Sirenen (und in diesem Fall der Sirene Parthenope) überein, die sich – nachdem Odys-
seus sie überlistet hat – ins Meer und damit in den Tod stürzen müssen.

                                                                                                                         Seit fast dreitausend Jahren sind die Sirenen Teil unserer Kulturgeschichte. Im Homer zu-
                                                                                     Kurzinfo für Einsteiger
                                                                                                                         geschriebenen Epos der Odyssee, die aus dem 7. oder 8. Jahrhundert v. Chr. stammt, erlei-
Detlev Glanert    deutscher Komponist      studierte bei Diether de la Motte, Hans Werner Henze und Oliver               den sie, bis dahin unbesiegbar geglaubt, eine erschütternde Niederlage: Odysseus muss
Knussen    lebte insgesamt zehn Jahre in Italien, wo er fünf Jahre das »Istituto di Musica« und drei Jahre das           auf seiner Irrfahrt die Insel der Sirenen passieren. Vor ihm hat das noch niemand geschafft,
»Cantiere Internazionale d’Arte« in Montepulciano als künstlerischer Direktor leitete     1992/93 Stipendiat             ohne, angelockt vom betörenden Gesang, an den Inselfelsen Schiffbruch zu erleiden und
der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom         2003 Composer in Residence am Nationaltheater Mann-                  unterzugehen. Doch Odysseus kann den verlockenden Gesang genießen und zugleich
heim sowie 2005 beim Pacific Music Festival in Sapporo     leitete Kompositionsklassen u.a. in Aspen, Genua,
                                                                                                                         sicher passieren, indem er seinen Gefährten die Ohren mit Wachs verstopft und sich selbst
Montepulciano, Melbourne, Djakarta und Sapporo         schuf bislang drei Sinfonien, Solokonzerte, zahlreiche
Orchesterstücke sowie viele kammermusikalische Werke        ist heute der meistgespielte lebende Opernkom-
                                                                                                                         an den Mast binden lässt. Die Sirenen haben dadurch auf doppelte Weise verloren: Ein
ponist in Deutschland    seine 10 Musiktheaterstücke erlebten zahlreiche Produktionen weltweit und erhiel-               ungeschriebenes Gesetz besagt, dass sie, wenn sie überlistet – und damit beleidigt – wer-
ten renommierte Preise    ist von 2011 bis 2021 Hauskomponist des Amsterdamer Concertgebouworkest                        den, den Freitod im Meer suchen müssen. Der leblose Körper der Sirene Parthenope wurde
                                                                                                                 4   5
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vor der damaligen antiken Insel Megaris, vor der heutigen Stadt Neapel, die ursprünglich                             »Magischer Kinderalbtraum«
Parthenope hieß, angeschwemmt.
                                                                                                                     Maurice Ravels Oper »L’enfant et les sortilèges«
Für Detlev Glanert stecken in diesem uralten Mythos vielerlei für uns heute aktuelle Bezü-
ge, wie sie sich auch in Interpretationen durch die Kulturwissenschaft wiederfinden.
Theodor W. Adorno verglich in seiner »Dialektik der Aufklärung« die gekränkten Sirenen
mit der »beleidigten« Natur, für ihn war Odysseus der erste Vertreter eines bürgerlichen
Bewusstseins, und damit ein Vorläufer und Vertreter des modernen Kommerz. Zugleich
steht er für die rationale Aufklärung, welche sein Gegenstück, den Mythos, verkörpert
durch die Sirenen, entzaubert und zerstört. Glanert fühlt sich durch die Vorstellung von
ertrinkenden Sirenen aber auch an die toten Körper im Mittelmeer unserer Zeit erinnert,
also an das Schicksal der Flüchtlinge, die im Versuch, nach Europa zu gelangen, ertrinken.

Mit »Megaris« besetzt er die Leerstelle zwischen Tod und Ankunft des Körpers der Par-
thenope, gefüllt mit den imaginären Gedanken ihrer Seele, ein Lamento der Gekränkten
und Toten. Der Chor wird dabei, in seiner Textlosigkeit, gleichsam instrumental eingesetzt
und in der Klangsprache dem Orchester so ähnlich gestaltet, dass sich beide größtenteils
vollkommen vermischen.

Gegliedert ist das Werk in fünf Gedankenbögen und drei Abschnitte, wobei jeder neue
Abschnitt mit einem Sologesang beginnt. Das Werk eröffnet ganz leise ein Sopran, der
eine motivische Urzelle vorstellt, die im weiteren Verlauf des Werkes immer stärker musi-
                                                                                                                     Ein Kind, allein in seinem Zimmer, denkt daran, was es nur alles tun könnte, wäre es
kalisch entwickelt und variiert wird und bald unter anderem in einer in Halbtonschritten
                                                                                                                     nicht gezwungen zu den verhassten Hausaufgaben. Der Mensch aber, von dem es sich
verlaufenden Wellenbewegung aufscheint. Ein gegensätzliches, aggressiveres Urmotiv ist
                                                                                                                     Hilfe, Liebe und Befreiung aus der misslichen Lage erhofft, die Mutter, erscheint als rie-
Odysseus zugeordnet, beziehungsweise der feindlichen, mörderischen Welt, die er verkör-
                                                                                                                     sige, gesichtslose Unperson, die Zwang und Fremdbestimmung noch verstärkt. Dass sich
pert; beide Motive vermischen, kommentieren und zerstören sich gegenseitig.
                                                                                                                     da seine ganze Wut hemmungslos an den Tieren, Pflanzen und Gegenständen seiner
Gegen Ende des Werkes entstehen immer mehr Konsonanten im Vokalgesang des Chores.                                    Umgebung entlädt, ist nur einleuchtend.
Wie in einer allmählichen Enwicklung von Sprache bilden sich durch Silbenverschiebung
                                                                                                                     Was sich liest wie eine psychologische Fallstudie, ist die Ausgangssituation von Maurice
langsam Fantasieworte, bis schließlich am Schluss des Werkes fast der Name der toten
                                                                                                                     Ravels Oper »L’enfant et les Sortilèges«, die am 21. März 1925 nach fast zehnjähriger Ent-
Sirene (»Pa – Te – No – Pe«) zu vernehmen ist. »Megaris« verklingt nach und nach, in einem
                                                                                                                     stehungszeit unter Victor de Sabata in Monte Carlo uraufgeführt wurde. Ravel war von
immer leiser werdenden und wiederum im Sopransolo endenden Abschied.
                                                                                                                     der Aufführung begeistert: er bedankte sich für das Dirigat als eine der vollkommensten
Die Komposition ist dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zu seinem 70jährigen                               Freuden in seinem ganzen Musikerleben. Der andere Künstler, der der Premiere zu ihrem
Bestehen gewidmet.                                                                                                   glanzvollen Erfolg verhalf, war der 21jährige Choreograph George Balanchine. Dessen
                                                                                                                     Chef, Serge Diaghilew, hatte sich mit Ravel wegen »La Valse« überworfen und wollte mit
                                                                                                                     der Zauber-Oper nichts zu tun haben: Für Balanchine wurde die »Fantaisie lyrique« – so
                                                                                                 Autorin             der Untertitel der Oper – zum Aufsehen erregenden Auftakt seiner Karriere.

                                                                                                                     Die Verfasserin der Oper, die französische Schriftstellerin Colette, hatte das Libretto
Julika Jahnke lebt in Augsburg. Dort produziert sie Beiträge und Texte über das aktuelle Musikleben für BR
                                                                                                                     1916 ursprünglich als Vorlage für ein Märchenballett geschrieben. Ravel sah aber das
Klassik, SWR2 und MDR Figaro. Außerdem betreut sie PR-Projekte für den Veranstalter »Parktheater Göggin-
gen«. Sie studierte Musikwissenschaft und Nord Amerikanistik in ihrer Heimatstadt Berlin und arbeitet seit           Potential einer Oper darin, Colette stimmte zu und schrieb es nach detaillierten Vor-
1997 als Autorin und Moderatorin für Kulturwellen der ARD.                                                           schlägen des Komponisten um.
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Ravel war von dem Sujet des Kindes, das in eine Parallelwelt seiner Imaginationen gerät,
fasziniert. Schon in »Ma mère l'oye«, einem musikalischen Märchenkaleidoskop aus dem
Jahr 1910, hatte er aufs Eindrucksvollste bewiesen, wie er mit seiner Musik die Dornen-
hecke durchbrechen kann, die den verzauberten Garten der Kindheit umschließt. Nur
dort, im Reich dieser ergreifenden Mixtur aus bewusster Lakonie und durch und durch
artifizieller Expressivität, erlaubt uns Ravel einen unverstellten Blick in seine eigene
Kindheitsseele. Stets war er bemüht, eine Aura von Distanziertheit und Künstlichkeit um
sich zu schaffen. Man kann das heute noch sehen in seinem Häuschen in Montfort
l'Amaury mit dem volltönenden Namen »La Belvédère«. Es ist selbst klein (wie es sein
Besitzer war), verwinkelt und schmal; vollgestellt mit künstlichen Nutzlosigkeiten: me-
chanischem Spielzeug, japanischen Miniaturgärten, unechten Bildern an den Wänden,
Gegenständen aus falschem chinesischem Porzellan. Ravel lebte inmitten einer gefälsch-
ten Kulisse, versteckte sich hinter Plagiaten, um ja nichts von sich selbst preiszugeben.
Selbst seine engsten Freunde bezeugten, dass ihnen ein Blick in Ravels inneres Fühlen
und Denken verschlossen blieb.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich in der Oper nach dem zerstörerischen Wut-
ausbruch des Kindes eine phantastische Zauberwelt auftut, magisch belebt und voller
poetischem Klangzauber.

Da beginnt plötzlich ein Lehnstuhl lebendig zu werden und mit dem graziösen Barock-
Sessel eine Sarabande zu tanzen. In einer Mischung von Ragtime und Arie in pentato-
nisch-chinesischem Kolorit klagen Teekanne und Teetasse über das ungebärdige Verhal-
ten des Kindes. Als das Feuer rachsüchtig in flammenden Koloraturen aus dem Kamin
züngelt, bekommt es das Kind mit der Angst zu tun. Doch das albtraumhafte Geschehen
ist noch nicht vorbei: Die Figuren auf der zerfetzten Tapete werden lebendig. Es sind
Hirtenfiguren, die in einer Pastorale im Stile von Rameau darüber klagen, dass sie
ausein­andergerissen wurden. Die schöne Prinzessin aus dem Märchenbuch erscheint                                                                                                                  Maurice Ravel
und klagt das Kind an, sie der glücklichen Verbindung mit dem Prinzen beraubt zu
haben. Schließlich bedrängen die Ziffern des Mathematikbuches in einem aggressiven
Rondeau das Kind, an ihrer Spitze eine alte, koboldhafte Lehrerfigur. Das Kind flieht in
den Garten, doch auch die Tiere und Bäume draußen sind ihm feindselig gesinnt – zu oft
                                                                                                                                                                                        Kurzinfo für Einsteiger
mussten sie unter seinen Grausamkeiten leiden. Ein Reigen aus verschiedensten Tänzen
und musikalischen Formen umspinnt das Kind, bis es ganz allein und isoliert der Welt                Maurice Ravel    französischer Komponist     wurde 1875 als Sohn eines französisch-schweizerischen Ingeni-
gegenüber steht. Verängstigt ruft es nach der Mutter. Das entfesselt ein rasendes Tribu-            eurs und einer spanischen Baskin in Ciboure geboren       starb 1937 in Paris   bekam ab seinem sechsten
                                                                                                    Lebensjahr Unterricht in Klavier- und Musiktheorie     studierte am Pariser Konservatorium      erhielt viele
nal der Tiere, eine danse macabre in grimmigem Fugato. Im Durcheinander werden das
                                                                                                    Inspirationen aus dem französischen Barock, der spanischen und baskischen Volksmusik, dem Jazz und der
Kind und ein kleines Eichhörnchen verletzt. Das Kind verbindet die Pfote des Eichhörn-
                                                                                                    orientalischen Musik    war privat ein sehr zurückhaltender Mensch      lebte in einer künstlichen Welt und
chens. Da sind die Tiere gerührt über das spontane Mitgefühl des Kindes. Gemeinsam                  sammelte mechanisches Blechspielzeug und Nippes          vielfach wurde ihm eine »kindliche Spontaneität«
rufen sie nach der Mama. Mit den fremdartigen Quinten und Quarten der Oboen, den                    nachgesagt      in der riesigen Spielzeugschachtel seines Hauses Belvédère liegt vielleicht der Schlüssel zu
fernen Klängen des »Es war einmal«-Beginns des Stücks, schließt es in der poetischen                Ravels Wesen verborgen      das hat auch seinen Niederschlag in mehreren Werken, so auch in seiner Oper
Atmosphäre der Versöhnung von Mensch und Natur.                                                     »L’Enfant et les sortilèges« gefunden
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Was auf den ersten Blick wie eine Revue unterschiedlichster musikalischer Nummern
anmutet, ist eine dramaturgisch durchgestaltete Komposition. Ravel verwebt die einzel-
nen ›spotlights‹ der belebten Dinge und vermenschlichten Tiere mit der Wandlung des
›bösen‹ Kindes und zieht uns als Hörer immer mehr in den Bann seiner betörenden und
gleichzeitig rätselhaften Musik.

»Es gibt eigentlich nur zwei Arten von Musik, die eine gefällt und die andere langweilt«,
meinte der in Bezug auf seine Kompositionskunst so wortkarge Ravel.

»L’enfant et les sortilèges« langweilt keinen einzigen Moment.

                                                                                                    Autorin

Irmelin Schwalb studierte Germanistik, Musik- und Theaterwissenschaft in München. Ihre Dissertation
absolvierte sie über »Das erzählerische Werk« von Eduard Graf Keyserling. Sie war Mitarbeiterin in der Drama-
turgie der Bayerischen Staatsoper und von 1985-1989 Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1990
arbeitet sie freiberuflich als Autorin, vor allem für Rundfunksendungen über musikalisch-literarische
Themen.
                                                                                                                10   11
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© Christine Ledroit Perrin

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Camilla Poul                                                    Marie Karall                                        Julie Pasturaud                                 Annick Massis
Sopran                                                          Mezzosopran                                         Mezzosopran                                     Sopran
Camille Poul studierte am Pariser Konservato- Die junge französische Mezzosopranistin, die                          Die französische Mezzosopranistin studierte Die französische Sopranistin arbeitete als
rium und wurde danach an die Akademie des auch ein Studium der Rechts- und Geisteswis-                              an der Guildhall School in London. Ihr Debüt Lehrerin, bevor sie am Konservatorium in Pa-
Festivals Aix-en-provence aufgenommen. Aus- senschaften abgeschlossen hat, absolvierte                              hatte sie an der Glyndebourne Festival Oper ris studierte. Ihre Bühnenkarriere begann in
gehend von der Barockzeit hat sie ihr Reper- ihre Ausbildung an den Konservatorien von                              in der Rolle der Dame (Macbeth)                 den frühen 1990ger Jahren mit Partien in
toire mittlerweile auf alle Musikepochen aus- Strassburg und Paris und am Opernstudio                               unter der Leitung von Vladimir Jurowski. Ihre Opern von Mozart und mit der Rolle der Leila
geweitet. Ihr Repertoire umfasst sowohl Rollen (Santa Cecilia) in Rom, wo sie bei Renata Scotto                     Karriere führte sie an bedeutende Opern­ in Bizets Perlenfischer. 1999 war sie in der
in Opern von Purcell, Monteverdi, Lully und studierte. Marie Karall gewann bei Gesangs-                             häuser unter Dirigenten wie Sir Charles Ma- Hauptpartie in Lucia di Lammermoor in
Telemann, als auch Partien von Mozart, Gretry, wettbewerben mehrere Auszeichnungen und                              ckerras, Sir Mark Elder, Jakub Hrůša, Esa Pekka Toulouse und im darauffolgenden Jahr in
Rossini, Donizetti oder Johann Strauß.                          erste Preise und hat eine Karriere begonnen,        Salonen oder Charles Dutois mit Rollen wie Barcelona besetzt. Bel Canto – Rollen nehmen
Camilla Poul gastierte an den Opernhäusern die sie vor allem auf die großen französischen                           Speranza (Orfeo), Lucretia (The Rape of Lucre- in ihrem Repertoire einen großen Platz ein.
von Dijon, Rennes, Lilles, Versailles und Paris, Bühnen und in die Schweiz führte.                                  tia) oder Alisa (Lucia di Lammermor). Julie Pas- 2004 spielte sie die Violetta (La Traviata) in
sowie bei Festivals in Aix-en-provence, Berke- Sie interpretiert Rollen wie Carmen (Carmen),                        turaud war an der Weltpremiere von »La Mé- Pittsburgh. 2009 sang Annick Massis alle vier
ley, Granada, Leipzig, Nantes und Lissabon. Flora (La Traviata), Azucena (Il Trovatore), Fene-                      tarmophose«, einer neuen Oper von Michaël Hauptsopranpartien in einer Produktion von
Sie ist ebenfalls in den großen Konzertsälen na (Nabucco), Maddalena (Rigoletto), oder die                          Levinas beteiligt, die im März 2011 an der Hoffmanns Erzählungen an der Opéra de
Europas wie dem Wiener Konzerthaus, dem Federica (Luisa Miller).                                                    Opéra de Lille ihre erste Aufführung hatte. In Nice. Ihr Repertoire umfasst mehr als 70
Concertgebouw Amsterdam oder in der neuen Im Konzertbereich trat sie gemeinsam mit                                  Ravels »L’Enfant et les sortileges« sang sie, Partien von Rameau bis Poulenc und Berlioz,
Cité de la Musique in Paris aufgetreten. An ih- dem Ensemble Matheus unter der Mitwirkung                           wie in diesem Konzert, die Partien: Polster- beinhaltet die großen Heldinnen der Mozart-
rer                          Seite   waren   Dirigenten   wie
                                     Hervè von Jean-Christophe Spinosi auf oder im Duett                            sessel, Katze, Eichhörnchen und Schäfer, in Opern wie die großen Bel Canto-Koloraturari-
Niquet, Jean-Claude Malgoire, Diego Fasolis, mit José Cura am Aspendos Old Theater in der                           einer Aufführung mit dem Orchestre Natio- en von Donizetti, Bellini, Rossini oder Meyer-
William Christie oder Jean-Christophe Spinosi. Türkei. Marie Karall nimmt ebenfalls an zahl-                        nal de Lyon in der Salle Pleyel Paris unter der beer. Annick Massis tritt ebenfalls regelmäßig

Auf Tonträger ist Camilla Poul besonders mit reichen Sendungen im Radio und Fernsehen                               Leitung von Leonard Slatkin und in Stockholm in Liederabenden und im Konzert auf.

Alter Musik vertreten, aber auch mit Arien des teil, dort in vielen Fällen in Live-Übertra­                         unter Esa Pekka Salonen.

französischer Komponisten Michel de la Barre. gungen.
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© Marianne Rosenstiehl

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Maïlys de Villoutreys                          Paul Gay                                                                 Marc Barrard                                  François Piolino
Sopran                                         Bass                                                                     Bariton                                       Tenor
Nach einer Ausbildung an der Universität in Der aus Frankreich stammende Bassbariton                                    Marc Barrard studierte am Konservatorium François Piolino wurde in Basel in der Schweiz
Italien und als Schülerin von Martine Surais Paul Gay studierte am Konservatorium in                                    von Nîmes und vervollkommnete seine Aus- geboren und absolvierte sein Gesangsstu­
am Konservatorium in Rennes, beendete die Paris bei Robert Dumé und ergänzte seine                                      bildung bei Gabriel Bacquer. Er gewann zahl- dium am Konservatorium in Lausanne und
französische Sopranistin 2011 erfolgreich ihr Ausbildung bei Kurt Moll an der Kölner                                    reiche Preise und Wettbewerbe und ist seit an der Londoner Guildhall School. Seine Kar­
Masterstudium am Pariser Konservatorium, Musikhochschule. Er hat sich in den letzten                                    1984 beim Chorégies d'Orange Festival, ei- riere startete der Tenor im Bereich der Ba-
wo sie bei Isabele Guillaud und Alain Buet Jahren als ein wichtiger Sänger seines Fachs                                 nem Sommer-Opernfestival in der Nähe von rockmusik mit William Christie und seinem
studierte. Schon in jungen Jahren entdeckte etabliert und ist weltweit gefragt auf großen                               Avignon zu Gast. Mittlerweile ist er auf den Ensemble »Les Arts Florissant«. Dies ermög-
Maïlys de Villoutreys die Bühne für sich und Bühnen und Konzertpodien mit namhaften                                     internationalen Bühnen in Italien, Buenos lichte ihm eine stabile Grundlage, auf wel-
trat in Kinderrollen auf. Neben ihrer Arbeit im Orchestern, darunter die Berliner Philharmo-                            Aires, Tel Aviv, Helsinki, Washington, Los An- cher er seinen musikalischen Werdegang
Opernbereich ist Maïlys de Villoutreys eine niker, das Orchestre National de France oder                                geles oder Monte Carlo zu Hause, ebenso wie auf­­bauen konnte, der ihn zur Oper führte.
passionierte Kammermu­si­kerin und tritt mit Rotterdam Philharmonic. Er sang unter der                                  im Concertgebouw Amsterdam unter Diri- Mit dem Hauptaugenmerk auf Charakter­
dem Pianisten Ivan Coieffé auf und bildet mit Leitung von bedeutenden Dirigenten wie                                    genten wie John Eliot Gardiner, Kent Nagano, rollen, trat Piolino auf den größten Bühnen
der Harfenistin Delphine Benhamou ein Duo. Ivan Fischer, Seiji Ozawa, Semyon Bychkov,                                   Christoph Eschenbach, Alain Lombard oder Europas auf, arbeitete mit vielen bedeuten-
Weiterhin arbeitet sie mit verschiedenen Yannick Nezet-Seguin oder Michael Schøn-                                       Michel Plasson. Unter seinen Partien sind den Regisseuren zusammen und arbeitete
Ensembles zusammen, darunter Pygmalion, wandt und arbeitete mit Regisseuren wie                                         u.a.: Goulaud (Pellèas et Mélisande), Don unter der Leitung von Dirigenten wie Michel
Le Banquet Céleste, Ama­r il­lis, Les Surprises Willy Decker, Peter Stein, Nicolas Joel oder                            Alsfonso (Cosi fan tutte) oder Sharpless (Ma- Plasson, Yvan Fischer, Pinchas Steinberg oder
oder das Ensemble Le Poème Harmonique. Zu Achim Freyer zusammen. Paul Gay gehört zu                                     dame Butterfly). Marc Barrard Können ist auf Kazushi Ono. Dank seiner perfekten Beherr-
ihren jüngsten CD-Veröffent­lichungen gehö- den wenigen Bassbaritonen, die die Rolle des                                mehreren CD-Einspielungen und vor allem schung der deutschen Sprache fühlt sich
ren Aufnahmen mit dem Trio Dauphine Saint François d'Assise in Messiaens gleich­                                        auf DVD dokumentiert.                         François Piolino in Rollen von Richard Strauss-
(Laborde’s songs) und mit dem Ensemble namiger Oper gesungen haben, u. a. an der                                                                                      Opern oder als Monostatos (Zauberflöte)
Amarilles (La Double Cocquette).               Bayerischen Staatsoper München unter der                                                                               wohl, letztere war eine seiner Lieblingsrollen,
                                               Leitung von Kent Nagano.                                                                                               die er über achtzig Mal in der ganzen Welt
                                                                                                                                                                      aufführte.

                                                                                               14                       15
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© SWR/Christian Mader
Cantus Juvenum Karlsruhe                                                                              SWR Vokalensemble Stuttgart
Der Cantus Juvenum Karlsruhe ist die Singschule im Herzen Karlsruhes. In diesem                       Das SWR Vokalensemble Stuttgart zählt zu den international führenden Ensembles für
Gemeinschaftsprojekt haben die Stadtkirche und die Christuskirche die Chorarbeit mit                  die Vokalmusik des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart.
Kindern und Jugendlichen zusammengeführt. Zahlreiche Auftritte und Preise zeugen                      Bereits 1947 erfolgte der erste Auftritt bei den Donaueschinger Musiktagen. 1951 kam
vom Erfolg der Singschule, in der heute etwa 150 Kinder und Jugendliche in einem der                  mit Hermann Joseph Dahmen ein Chefdirigent, der die Spezialisierung des Chores auf
sieben Chöre vom Kindergartenalter bis zu den jungen Erwachsenen mitwirken. Kinder                    zeitgenössische Vokalmusik entschieden vorantrieb. Zu internationaler Reputation als
ab dem Grundschulalter erhalten zusätzlich wöchentlichen Gesangsunterricht. In                        Ensemble für Neue Musik gelangte das SWR Vokalensemble dann mit den Chefdirigen-
Konzerten, musikalischen Gottesdiensten und selbst produzierten Musiktheater-                         ten Marinus Voorberg (1975–1981), Klaus-Martin Ziegler (1981–1987) und mit Rupert
Aufführungen kann der Cantus Juvenum regelmäßig seine Zuhörer begeistern. Cantus                      Huber (1990–2000).
Juvenum Karlsruhe stellt den Kinderchor am Badischen Staatstheater und bildet dafür
                                                                                                      Seit 2003 ist Marcus Creed Chefdirigent. Unter seiner Leitung gründete das Vokal­en­
auch Knabensolisten z.B. für die Partie der drei Knaben in der Zauberflöte aus. Seit 2015
                                                                                                      semble seine erste eigene Konzertreihe in Stuttgart. Die CD-Produktionen, die unter der
gibt es auch eine rege Zusammenarbeit mit dem Festspielhaus Baden-Baden. Zu den
                                                                                                      Leitung Marcus Creeds bisher entstanden sind, wurden mit renommierten Auszeich-
musikalischen Partnern gehören Orchester wie die Berliner Philharmoniker, das Radio-
                                                                                                      nungen bedacht, darunter Aufnahmen mit nahezu unbekannten Werken von Charles
Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, die Münchner Philharmoniker und die Badische
                                                                                                      Ives, Elliott Carter und Heitor Villa-Lobos. Für seine Produktion von Bruckners e-Moll-
Staatskapelle. Die Kinder und Jugendlichen des Cantus Juvenum singen dabei unter
                                                                                                      Messe und einer Motettenauswahl wurde das SWR Vokalensemble Stuttgart 2009 als
Dirigenten wie Sir Simon Rattle, Stefan Soltesz, Stéphane Deneve und Justin Brown.
                                                                                                      »Ensemble des Jahres« sowie 2011 und 2012 für die »Chorproduktion des Jahres« mit
                                                                                                      dem Echo Klassik prämiert (2011: Heitor Villa-Lobos, Chorwerke; 2012: György Ligeti, Re-
                                                                                                      quiem). Außerdem wurde es 2011 für seinen wegweisenden Einsatz für zeitgenössische
                                                                                                      Vokalmusik mit dem »Europäischen Chorpreis« der Kulturstiftung Pro Europa ausge-
                                                                                                      zeichnet und erhielt Ende 2014 für die Einspielung der Wölffli-Cantata von Georges
                                                                                                      Aperghis den Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik.
                                                                                            16   17
RSO Konzertzyklus 2015/2016 Do 10./Fr 11. Dezember 2015 Abo 4 Gesangssolisten Cantus Juvenum Karlsruhe SWR Vokalensemble Stuttgart ...
Stéphane Denève

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Stéphane Denève ist seit September 2011 Chefdirigent beim Radio-Sinfonieorchester                   Im Bereich der Oper hat Denève Produktionen am Royal Opera House Covent Garden,
Stuttgart des SWR, seit Beginn der Spielzeit 2014/15 ist er Principal Guest Conductor               beim Glyndebourne Festival, an der Mailänder Scala, beim Saito Kinen Festival, im Gran
des Philadelphia Orchestra, und seit September 2015 ist er Chefdirigent der Brüsseler               Teatro de Liceu, bei der Netherlands Opera, im Théâtre La Monnaie und an der Opéra
Philharmonie und Direktor des dortigen Centre for Future Orchestral Repertoire (CffOR).             National de Paris geleitet.
Von 2005 bis 2012 war Denève Music Director des Royal Scottish National Orchestra                   Als Absolvent des Pariser Konservatoriums begann seine Karriere als Assistent von Sir
(RSNO) in Glasgow.                                                                                  Georg Solti, Georges Prêtre und Seiji Ozawa. Ihm ist es ein großes Anliegen, die nächste
International wird Denève als Dirigent von höchstem Rang anerkannt und von Pub­-                    Generation der Musiker und Zuhörer zu inspirieren und für klassische Musik zu begeis-
likum und Kritik einhellig für seine Auftritte und seine Programme gefeiert. Er tritt               tern.
regelmäßig in international bedeutenden Konzertsälen mit weltweit führenden Orches-                 Seine CD-Einspielungen mit Werken von Debussy, Roussel, Franck, Poulenc und Connes­
tern auf, darunter das London Symphony Orchestra, das Royal Concertgebouw Orkest                    son sind von der Presse in höchsten Tönen gelobt und ausgezeichnet worden. Mit dem
Amsterdam oder die Orchester in Chicago, Los Angeles und Boston. Stépane Denève                     RSO Stuttgart spielt Stéphane Denève zurzeit alle Orchesterwerke von Maurice Ravel auf
pflegt enge Beziehungen zu vielen der weltbesten Solisten wie Jean-Yves Thibaudet, Leif             CD ein.
Ove Andsnes, Frank Peter Zimmermann, Gil Shaham, Hilary Hahn oder Joshua Bell. Seine
besondere Vorliebe gilt der Musik seiner französischen Heimat, zudem ist er ein leiden-
schaftlicher Fürsprecher für die Musik der Gegenwart.

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Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

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Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR – gegründet 1945 – ist einer der be­                 Hans Müller-Kray und Carl Schuricht prägten als erste Dirigenten das RSO. Sergiu Celibi-
deutendsten musikalischen Botschafter des Landes. Pro Saison spielt das RSO rund                   dache war von 1972 bis 1982 künstlerischer Leiter und entwickelte durch seine ebenso
80 Konzerte im Sendegebiet des SWR, es gastiert in nationalen und internationalen                  intensive wie suggestive Probenarbeit ein neues Klangideal, das die Spielkultur wegwei-
Musikzentren und bei Festspielen.                                                                  send für viele Jahre prägte und das RSO in die internationalen Spitzenorchester einreih-

Die Ausrichtung des RSO Stuttgart fokussiert sich zum einen auf das große klassisch-               te. Sir Neville Marriner und Gianluigi Gelmetti waren die RSO-Chefdirigenten in den

romantische Repertoire, das in exemplarischen Interpretationen gepflegt wird, zum                  1980er und 90er Jahren, Georges Prêtre übernahm 1996 die künstlerische Leitung.

anderen auf die zeitgenössische Musik und selten gespielte Werke und Komponisten.                  Große Solisten- und Dirigentenpersönlichkeiten waren bzw. sind beim RSO zu Gast,
Die Förderung junger Künstler gehört ebenso zum Selbstverständnis des RSO wie die                  u. a. Carlos Kleiber, Wilhelm Furtwängler, Maria Callas, Ferenc Fricsay, Yehudi Menuhin,
Erschließung anspruchsvoller Musik für ein junges Publikum.                                        Karl Böhm, Sir Georg Solti, Alfred Brendel, Kurt Sanderling, Mstislaw Rostropowitsch,

Seit September 2011 ist der Franzose Stéphane Denève Chefdirigent beim Radio-Sinfo-                Giuseppe Sinopoli, Anne-Sophie Mutter, Herbert Blomstedt, Hélène Grimaud, Elina

nieorchester Stuttgart des SWR. Denève, der sich ein großes Repertoire klassischer und             Garanča, Rolando Villazon, Hilary Hahn, Gustavo Dudamel, Sol Gabetta und Lang Lang.

zeitgenössischer Werke angeeignet hat, pflegt eine besondere Beziehung zur Musik
seiner französischen Heimat. Denève ist Nachfolger von Sir Roger Norrington, der von
1998 bis 2011 in gleicher Position das RSO Stuttgart leitete und nun Ehrendirigent des
RSO ist. Norrington ist es gelungen, dem RSO ein ganz unverwechselbares Profil durch
die Verbindung von historisch informierter Aufführungspraxis mit den Mitteln eines
modernen Sinfonieorchesters zu verleihen.

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Jubi läumssaison 70 Jahre RSO Stuttgart

Ein Orchesterleben – Teil 4
Der »Stuttgart Sound« – Sir Roger Norrington
und die Jahrhundertwende

                                                                                                    Sir Roger Norrington

1998 – unmittelbar nach der kurzen Zusammenarbeit mit Georges Prêtre gibt es mit Sir                Ein Pionier der Historischen Aufführungspraxis, Nikolaus Harnoncourt, hat seine »Lehr-
Roger Norrington einen neuen Chefdirigenten beim RSO Stuttgart, und der Schritt vom                 jahre« als Cellist übrigens bei den Wiener Symphonikern verbracht und dort auch viel
Einen zum Anderen könnte kaum größer sein: Er bedeutet schlicht eine Revolution für                 unter Karajan gespielt. Zur gleichen Zeit arbeiten Gleichgesinnte wie Gustav Leonhard,
das Gefüge dieses Orchesters. Er öffnet nämlich das Tor zu einer anderen Spiel- und                 John Eliot Gardiner oder – Roger Norrington auf ähnliche Weise. Allen gemeinsam ist die
Klangkultur, er bewirkt die Zusammenführung von zwei Auffassungen, die bis dato                     enge Verbindung von Musikpraxis und Musikforschung, also die Beseitigung der vorur-
eigentlich für unvereinbar gehalten worden sind: Zum einen die der großen klassisch-                teilsbelasteten Abgrenzung von Musikmachen und Musikwissenschaft. Die Grunder-
romantischen Orchestertradition, zum anderen die der so genannten Historischen Auf-                 kenntnis dieses Musizierens ist eigentlich eine negative: So wie die aufgeführte ältere
führungspraxis, die inzwischen gern auch als »historisch informierte« bezeichnet wird.              Musik in jenen Jahren erklingt, hat sie mit Sicherheit zu ihrer Entstehungszeit niemals
Und auch das Wörtchen »authentisch« fällt häufig in diesem Kontext.                                 geklungen. Also macht man sich daran, anhand der Quellen die historische Spielweise zu

Was aber ist das eigentlich – Historische Aufführungspraxis? Um das zu verstehen, be-               rekonstruieren. Und wie bei allen Revolutionen üblich, geschieht das zunächst apodik-

darf es eines kurzen Rückblicks. Das große »philharmonische« Orchesterrepertoire der                tisch und radikal. Für die Musikwelt jener Zeit ist das Ergebnis ein schockierender Bruch

Jahre vor und nach dem 2. Weltkrieg umfasste Musik vom Barockzeitalter bis zur gemä-                mit allem Gewohnten.

ßigten Moderne, also dem frühen 20. Jahrhundert. Aufgeführt wurde es in zumeist gro-                Heute, nach einem halben Jahrhundert »Historischer Aufführungspraxis«, hat sich die
ßer Streicherbesetzung, mit modernen oder auch »auf modern« umgerüsteten Instru-                    musikalische Welt grundlegend verändert. Der Dienstantritt von Sir Roger in Stuttgart
menten; so spielte man sowohl Bachs Brandenburgische Konzerte wie auch Mozart- und                  erscheint in diesem Zusammenhang geradezu wie eine Versöhnung zwischen zwei bis-
Bruckner-Sinfonien. Äußerliches Symbol dafür war das permanente, weit ausholende                    lang unversöhnlichen Herangehensweisen an Musik: Ein Pionier der »Alte-Musik-Szene«
Vibrato der Streicher. Perfektioniert und personifiziert wurde dieser Stil des betörend             verbindet sich mit einem klassisch-romantischen Sinfonieorchester, und das Experi-
rauschenden Orchesterklangs durch Dirigenten wie Herbert von Karajan oder Leonard                   ment, als das dieser Pakt zunächst erscheint, wird zu einem Erfolgsmodell. Die Erkennt-
Bernstein, aber auch durch einen der großen Vorgänger Norringtons in Stuttgart: Sergiu              nisse der Historischen Aufführungspraxis haben sich nun auf breiter Basis durchgesetzt;
Celibidache.                                                                                        sie beschränken sich nicht mehr auf Barockmusik, sondern reichen bis zu Brahms, Bruck-
                                                                                          22   23
ner und Mahler. Und vor allem: sie wirken in den philharmonischen Alltag hinein, sind                 chester, also mit neuen Instrumenten (mit Stahl- und Kunststoffsaiten und mit Klappen
also nicht mehr beschränkt auf Spezialensembles mit alten oder nachgebauten Instru-                   an Oboen und Klarinetten) und mit Musikern, die in moderner Spielweise geschult sind.
menten mit Darmsaiten und ohne Klappen.                                                               Es liegt nahe, dass diese Musiker dabei zunächst nicht alle glücklich sind, sondern dieser

Man kann diesen Fortschritt gut an einem Symptom festmachen: am Dauervibrato der                      Arbeitsweise mehr oder weniger skeptisch gegenüberstehen. Doch recht bald setzt im

Streicher. Noch heute vermag die Information Verwunderung auszulösen, dass bis zu                     Orchester ein Prozess des Umdenkens ein, angefeuert nicht zuletzt durch die rasch zu-

Mahlers Zeit in Wien die dortigen Philharmoniker eben nicht permanent vibriert haben.                 nehmende internationale Anerkennung. Gemeinsame Tourneen beflügeln den Erfolg

Dieses Dauervibrato erzeugt bekanntlich einen rauschenden, vollen »Sound«, hinter                     zusätzlich, darunter im Jahr 2001 zum ersten Mal ein Auftritt in der Royal Albert Hall bei

dem sich freilich manche Ungenauigkeit, vor allem bei der Intonation, verstecken lässt.               den BBC-Proms (dorthin wird man im Juli 2016 bereits zum sechsten Mal reisen!).

Man hat zu differenzieren gelernt: »Alte Musik« heißt gerade nicht »ohne Vibrato«, son-               Die vielleicht wichtigste Erkenntnis nach mehr als einem halben Jahrhundert »Histori-
dern meint seinen bewusst dosierten Einsatz, um bestimmte Effekte an bestimmten                       scher Aufführungspraxis« aber ist, dass wir die historischen Musiker, die seinerzeit Bach
Stellen zu erzielen. Es ist bezeichnend, dass Norrington sich in Interviews energisch da-             und Mozart gespielt haben, nicht rekonstruieren können. Wir machen heute »nach bes-
gegen gewehrt hat, auf das fehlende Vibrato reduziert zu werden.                                      tem Wissen und Gewissen« Musik, ohne zu behaupten, dass wir genau wissen, wie das

Der Ansatz von Sir Roger ist also ein umfassenderer, komplexerer, als er im Klischee von              einmal geklungen hat. Wir sind heute toleranter als um die Mitte des letzten Jahrhun-

der Historischen Aufführungspraxis transportiert wird. Und selbst das handliche                       derts. Und es ist unbezweifelbar, dass das RSO auf diese Weise seine stilistische Kompe-

Schlagwort vom »Stuttgart Sound« scheint sein Musizieren eher zu verengen. Was sind                   tenz und Flexibilität und auch seine Intonationssicherheit perfektioniert hat. Auch aus-

seine Ziele, seine Leitlinien? Man könnte es so zusammenfassen: Musik, die wir heute                  gewählte Werke englischer Komponisten des 20. Jahrhunderts, wie von Ralph Vaughan

spielen, sollte nach dem Erkenntnisstand erklingen, über den wir für ihre jeweilige Ent-              Williams, Edward Elgar, Benjamin Britten oder Gustav Holst, hat Norrington in diesem

stehungszeit verfügen. Dazu gehört auch der Einsatz des Vibratos, jedoch nur als ein                  Klangbild dirigiert.

Baustein unter vielen anderen. So ist etwa die Frage der Sitzordnung eines Orchesters                 Die so erfolgreichen Jahre mit Sir Roger Norrington sind zum Glück vielfältig und ein-
jetzt viel stärker ins Bewusstsein gerückt: Man weiß zum Beispiel, wie das Orchester in               drucksvoll dokumentiert. So liegt etwa eine Gesamteinspielung aller Sinfonien von
Wien bei einer Aufführung einer Mahler-Sinfonie unter Leitung des Komponisten geses-                  Beethoven vor, die durch eine Grammy-Nominierung geehrt worden ist. Zwölf ausge-
sen hat. Man weiß, wie viele Instrumente Bach für seine Brandenburgischen Konzerte                    wählte Haydn-Sinfonien haben den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhalten.
zur Verfügung hatte (nämlich sehr wenige!). Und man hat endlich zur Kenntnis genom-                   Hinzu kommen ausgewählte Sinfonien von Mozart und Bruckner und die Sinfonien von
men, wie sehr sich Mozart über große Streicherbesetzungen in Mannheim und in Paris                    Mendelssohn und Schumann. Auch ein individueller Programmschwerpunkt mit Wer-
gefreut hat (was man seinen Briefen schon seit langem hätte entnehmen können!).                       ken von Hector Berlioz gehört dazu (mit Aufnahmen der Oper »Benvenuto Cellini«, des

Pioniere wie Norrington haben also keineswegs »das Rad neu erfunden«, sondern sie                     Requiems sowie der »Symphonie fantastique«). Insgesamt hat Sir Roger ein gewaltiges

haben historische Erkenntnisse neu angewandt. Sie haben die Binsenweisheit wiederent-                 klingendes Erbe von über 50 CDs und DVDs mit seinem RSO Stuttgart hinterlassen!

deckt oder zumindest wiederbelebt, dass Musizieren nicht ausschließlich mit Gefühl, son-
dern sehr viel mit Denken und Hinterfragen zu tun hat. Wenn das RSO Stuttgart unter
Norrington nacheinander Bach, Haydn, Brahms und Mahler gespielt hat, dann hat jedes
der Werke individuell anders und charakteristisch geklungen. »Stuttgart Sound« meint
                                                                                                                                                                                                    Autor
also vor allem Flexibilität, Wandlungsfähigkeit und Werkbezogenheit. Und der Begriff
bedeutet auch, dass man zur Aufführung älterer Musik kein Spezialensemble benötigt,                   Arnold Werner-Jensen hat Schulmusik, Kapellmeister, Germanistik sowie Musikwissenschaft (Dr. phil.)
wie noch in der Anfangszeit dieser Bewegung, sondern dass man authentisch und über-                   studiert. Er lehrte als Professor an den Pädagogischen Hochschulen Heidelberg und Weingarten und

zeugend – »historisch orientiert« – auch auf modernen Instrumenten musizieren kann.                   ver¬fasste zahlreiche Sachbücher zur Musik: mehrere Konzertführer, auch für Jugendliche, das »Reclam-
                                                                                                      Buch der Musik«, zwei Monographien über Joseph Haydn und über Bachs »Goldberg-Variationen. Im Ok-
Nachdem Norrington seine Arbeitsweise zunächst mit den »London Classical Players«                     tober 2015 ist sein neues Buch »Die großen deutschen Orchester« erschienen. Arnold Werner-Jensen
gründlich erprobt hat, überträgt er nun seine Erkenntnisse auf ein modernes Sinfonieor-               konzertiert als Pianist und Cembalist.

                                                                                            24   25
Vorschau

SILVESTERKONZERT                            PODIUM RSO                                               RSO KONZERTZYKLUS 5
in Verbindung mit StuttgartKonzert
                                            So 10. Januar 2016, 16 Uhr                               Do 14. Januar 2016, 19:30 Uhr A
Do 31.Dezember 2015, 17 Uhr                 Stuttgart, Neues Schloss, Weißer Saal                    Fr 15. Januar 2016, 19:30 Uhr B
Stuttgart, Liederhalle, Beethoven-Saal                                                               Stuttgart, Liederhalle, Beethoven-Saal
                                            Maurice Ravel
Antonin Dvořak                             Introduction et Allegro                                  18:30 Uhr Konzerteinführung mit
Aus: Acht Slawische Tänze                   für Harfe, Flöte, Klarinette und                         Reinhard Ermen
für Orchester op. 46                        Streichquartett                                          Maurice Ravel
Nr. 8 g-Moll und Nr. 3 As-Dur               Bohuslav Martinů                                        »Le Tombeau de Couperin«,
Pablo de Sarasate                           Musique de chambre Nr. 1                                 Suite für Orchester
»Zigeunerweisen« für Violine                für Klarinette, Violine, Viola, Violoncello,             Wolfgang Amadeus Mozart
und Orchester op. 20                        Harfe und Klavier                                        Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll KV 491
Aram Chatschaturjan                         Felix Mendelssohn Bartholdy                              Detlev Glanert
Maskerade – Suite für Orchester             Oktett                                                   »Fluss ohne Ufer«
George Gershwin                             für 4 Violinen, 2 Violen und                             für großes Orchester (2008)
Kubanische Ouvertüre für Orchester          2 Violoncelli in Es-Dur op. 20                           Albert Roussel
Emmanuel Séjourné                                                                                    Sinfonie Nr. 3 g-Moll op. 42
                                            Mitglieder des Radio-Sinfonieorchester
aus: Doppelkonzert für Marimba
                                            Stuttgart des SWR                                        Piotr Anderszewski, Klavier
und Orchester
                                                                                                     Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
2. Satz: Rythmique, énergique
                                                                                                     Leitung: Stéphane Denève
Karl-Heinz Köper
                                                                                                     (Freitag, 15. Januar 2016 zeitversetzte Live-Übertragung
Samba classique für 2 Marimbaphone,
                                                                                                     ab 20.03 Uhr in SWR2 )
Streichorchester und Perkussion
Leonard Bernstein
Sinfonische Tänze aus dem Musical
»West Side Story«

Mila Georgieva, Violine
Franz Bach, Alexej Gerassimez, Schlagzeug
Radio Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Leitung: Ilyich Rivas
(Live-Übertragung in SWR2)
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Herausgeber
SÜDWESTRUNDFUNK
Marketing SWR2/SWR Orchester & Ensembles
Orchestermanagement/
Konzeption der Veranstaltungen
Felix Fischer
Redaktion
Kerstin Gebel
Chariklia Michel (Mitarbeit)
Quellen
Sämtliche Texte sind Originalbeiträge
für dieses Programmheft.
Gestaltung
SWR Design Stuttgart
Umschlagsfoto
SWR/Uwe Ditz

SWR.de/RSO
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