Radio, Musik und Podcasts im digitalen Transformationsprozess
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Media Perspektiven 53 2/2020 Audioversum-Studie 2020 Radio, Musik und Podcasts im digitalen Transformationsprozess Von Bernard Domenichini* Digitalisierung Die Digitalisierung wirbelt die Medienwelt durchei- Kurz und knapp des Audiosektors nander und macht auch vor Audio nicht halt. Doch in vollem Gange – während der Prozess der fortschreitenden Digitali- • In der Studie „Audioversum 2020“ wurde die Nutzung von Radio, mit ungewissen sierung als Tatsache betrachtet werden kann, sind Musik, Podcasts, Hörbüchern und Hörspielen untersucht. Konsequenzen die sich daraus ergebenden Konsequenzen weni- • Klassisches Radio dominiert weiterhin den Audiomarkt. ger gewiss. Digitalisierung kann besonders schnell • Neue Formate, Plattformen und Endgeräte fördern die Audionutzung oder langsam vonstattengehen – und sie kann insgesamt. unterschiedlichste Richtungen einschlagen. Daher • Die größten Verschiebungen hin zu On-Demand-Inhalten gibt es bei stellt sich die Frage, was dies für die Mediengat- der Musiknutzung. tung Audio und ihre Teilbereiche Radio, Musik, Pod casts und Hörbücher bedeutet. Im Bereich Musik- streaming und Podcasts wird insbesondere das Zur Visualisierung lassen sich die Angebote in einem Das „Audioversum“ zukünftige Verhältnis von Live- und On-Demand- zweidimensionalen Raum als Planeten in einem „Au- vor der Digitalisie- Angeboten sowie eine mögliche Konvergenz der dioversum“ darstellen (vgl. Abbildung 1). Der große rung: drei Teilmärkte Audioangebote diskutiert. Dabei spielen Fragen um Planet auf der On-Demand-Seite, welcher zugleich die Finanzierungsmodelle der Angebote und die Be- hauptsächlich im Bereich der Musik liegt, repräsen- deutung für den Werbemarkt eine entscheidende tiert den klassischen Musikmarkt. Der primäre Ver- Rolle. Vor diesem Hintergrund hat die AS&S Radio breitungsweg im Musikmarkt war vor der Digitalisie- im Jahr 2019 eine Studie mit dem Titel „Audiover- rung der physische Tonträger – also ursprünglich die sum 2020“ zur aktuellen Audionutzung in Deutsch- Schallplatte, dann die Kassette und später die CD. Der land durchführen lassen. Diese Studie liefert ein Direktverkauf von Tonträgern war das dominierende umfassendes Bild der Audionutzung und ergänzt Geschäftsmodell auf dem Musikmarkt. Der zweite somit die Daten der ma Audio um noch nicht er- große Planet auf der linken, der „Live“-Seite, welcher fasste Audioformen, wie zum Beispiel Podcasts. zugleich mittig zwischen Musik und Wort auf der In- Auf Basis der so gewonnenen Erkenntnisse lassen haltsformen-Achse platziert ist, repräsentiert den sich Aussagen bezüglich der zukünftigen Entwick- Radiomarkt. Kuratierte Radio-Liveprogramme stellen lung der Audionutzung treffen. zumeist einen Mix aus Wort und Musik dar. Im Radio- markt dominierte die Ultrakurzwelle als Übertragungs Dimensionen In der Audioversum-Studie wurde ein besonderer technik – so sehr, dass Radio und UKW beinahe Syno- der Audiowelt: Fokus auf die fundamentalen Veränderungen der nyme geworden sind. Die Radiolandschaft war im 20. Inhaltsform und Audiowelt gelegt, die durch den Prozess der Digita- Jahrhundert primär durch den Rundfunkbeitrag bzw. Ausspielweg lisierung verursacht werden. Dazu war der medial dessen Vorgänger sowie durch Werbung finanziert. etwas überstrapazierte Begriff der Digitalisierung Der Planet auf der oberen Wort- sowie On-Demand- zunächst etwas einzugrenzen und auf die Spezifika Seite war vor der Digitalisierung eher ein Nischen- der Mediengattung Audio zu übertragen. Ein konsti- markt. Dieser umfasst die schon seit Jahrzehnten tuierendes Element der Mediengattung Audio ist die existierenden Hörbücher und -spiele ebenso wie die Unterscheidung zwischen den Inhaltsformen Musik seit der Jahrtausendwende aufgekommenen Pod- und Wort. Auf der anderen Seite ist zu differenzieren casts. Die hier beschriebenen Planeten haben ur- zwischen der Ausspielung von Audioinhalten als sprünglich nebeneinander existiert und somit unter- „Live“-Programm (z.B. im klassischen Radio) sowie schiedliche Audio-Teilmärkte konstituiert. Die Digitali- der Möglichkeit des individuellen, zeitunabhängigen sierung als umfassender Transformationsprozess hat Zugriffs auf Audioinhalte, welcher heute als „On- das Potenzial, diese Planetenkonstellation zu verän- Demand“ bezeichnet wird. Diese beiden Dimensio- dern. Die folgende Analyse zeigt jedoch deutlich, dass nen – Inhaltsform und Ausspielweg – eignen sich die bisherigen Teilmärkte nach wie vor Bestand haben zur Typologisierung der Angebote auf dem Audio- und die Digitalisierung vor allem zu Binnenverände- marktvor Beginn der Digitalisierung zum Ende des rungen auf den Teilmärkten geführt hat. 20. Jahrhunderts. Dimensionen der Audio-Digitalisierung Digitalisierung bedeutete zunächst, dass neue Ver- Neue * ARD-Werbung SALES&SERVICES, Werbe-/Marktforschung, breitungswege für Audioinhalte entstanden – näm- Verbreitungswege Frankfurt/Main. lich in Form des Internets und des Digitalradiostan- und Endgeräte
Bernard Domenichini Media 54 Perspektiven Gesamtüberblick 2/2020 Abbildung 1 Das Audioversum im Überblick Wort Podcasts/ Hörbuch Radio Musikmarkt Musik Live On-Demand Quelle: Eigene Darstellung. dards DAB/DAB+. Diese Entwicklung ging einher mit galen Tauschbörsen wie Napster und später die le- dem Aufkommen neuer, digitaler Dateiformate wie galen Streamingdienste wie Spotify die größten MP3, welche zur Speicherung und Vervielfältigung Meilensteine dar. von Audioinhalten genutzt werden können. Dabei kamen immer neue Endgeräte zur Nutzung von Audio Für die Studie Audioversum 2020 galt es, die Nut- Methodik der Studie inhalten ins Spiel. Angefangen vom PC über MP3- zungstrends adäquat zu erfassen. Dabei orientierte Audioversum 2020 Player, Smartphone, WLAN-Radio, Smart Speaker sich die Studie am methodischen Aufbau der ma oder Connected Car ist das Angebot an audiofähigen Audio, sodass die Daten aus beiden Studien als Endgeräten sukzessive angewachsen. kompatibel betrachtet werden können. Während die ma Audio Radionutzung sowie werberelevante Mu- Plattformen als Eine Konsequenz der Digitalisierung ist, dass Platt- sik-Streamingnutzung erhebt, lag der Anspruch der Vermittler formen als Vermittler zwischen Publisher und Hörer Audioversum-Studie darin, die gesamte Audionutzung auftauchen, wo vorher keine Vermittler nötig waren. einschließlich Podcast-, Hörbuch- und auch werblich Der Begriff „Plattform“ ist hier sehr breit zu verste- nicht relevanter Musiknutzung zu erfassen, um ein hen. Dazu lassen sich unter anderem die Webseiten Gesamtbild der Audionutzung aufzeigen zu können. von Radiosendern mit Livestream-Angeboten, Radio- Aggregatoren wie TuneIn, Musik-Streamingdienste Zu diesem Zweck wurde in Zusammenarbeit mit CATI-Befragung mit wie Spotify oder Podcast-Apps, zum Beispiel von dem Institut Kantar eine computergestützte telefoni- 2 000 Befragten im Apple, zählen. sche Befragung (CATI) im September 2019 durchge- September 2019 führt. Die gezogene Zufallsstichprobe mit 2 000 Be- Digitalisierung als Die Digitalisierung trat nicht plötzlich auf, sondern fragten und einem Dual-Frame-Anteil von 40 Prozent langfristiger Trans- beschreibt einen langfristigen Transformationspro- ist repräsentativ für die deutschsprachige Wohnbe- formationsprozess zess, wie Abbildung 2 verdeutlicht. Das Internet gibt völkerung ab 14 Jahren. Die Interviewlänge lag im es in seiner Vorläuferversion bereits seit 1969. Das Durchschnitt bei 20 Minuten. Es erfolgte eine nach- World Wide Web als massentaugliches Internet be- trägliche Gewichtung anhand der Strukturvorgaben steht seit 1993. Stationäres und mobiles Internet der aktuellen ma 2019 Audio II. sowie Digitalradio haben vor allem seit der Jahrtau- sendwende in Deutschland einen technischen Schub In der Befragung wurden der Besitz von Audiogeräten Kernstück der Studie: erlebt. Um diese Zeit datieren auch die Erfindung in den Haushalten, die persönliche Nutzung der unter- Tagesablauf des MP3-Dateiformats, erstes Audiostreaming und schiedlichen Audiogeräte sowie die Nutzungsfrequenz die Etablierung von Podcasts. Bei den Endgeräten der Audioformen Radio, Podcast, Musik und Hörbuch sind vor allem MP3-Player, später dann Smart erfasst. Kernstück der Studie stellte eine detaillierte phones und neuerdings Smart Speaker sowie digitale Tagesablaufabfrage zum Vortag analog zur ma Audio In-Car-Entertainment-Systeme nennenswerte Ein- dar. Dazu wurde der Zeitraum 5:00 bis 24:00 Uhr in schnitte. Bei den Plattformen stellen die anfangs ille- 15-Minuten-Intervalle unterteilt. Zu jedem Intervall
Radio, Musik und Podcasts im digitalen Transformationsprozess Media Perspektiven 55 2/2020 Abbildung 2 Meilensteine der Audio-Digitalisierung in Deutschland Plattformen Napster Spotify MP3 Endgeräte Player Smart iPhone Speaker Contentformate Audio- MP3 Streaming Podcast Digital Audio Broadcasting (DAB) DAB+ World Wide Web Verbreitungswege mobiles Internet UMTS/3G LTE/4G ISDN DSL DSL Glasfaser 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 Quelle: Eigene Darstellung. konnten die Befragten eine von 13 Tätigkeiten ange- (61 %), Tablet (49 %), moderne Soundsysteme wie ben. Zusätzlich wurde die Mediennutzung samt Gerä- beispielsweise WLAN-basierte Systeme von Sonos tenutzung detailliert abgefragt. Zu den einzelnen Nut- oder Bose (31 %), klassische MP3-Player oder zungsvorgängen erfolgten im Anschluss Nachfragen, tragbare CD-Player (25 %) sowie Smart Speaker sodass insbesondere zu Musikstreaming, Hörbüchern (9 %). Damit haben insgesamt 99 Prozent der Be- und Podcasts Zusatzinformationen wie Plattformbe- völkerung Zugang zu mindestens einem radiofähi- treiber, Werberelevanz oder vorhandenes Abonnement gen Endgerät, 96 Prozent zu einem Endgerät zur identifiziert werden konnten. individuellen Musiknutzung sowie 93 Prozent zu einem podcastfähigen Endgerät. Abbildung 3 zeigt Daten aus der In der Auswertung wurden Daten aus der ma Audio dies für die Gesamtbevölkerung sowie für einzelne ma Audio ergänzt herangezogen und durch die eigene Erhebung um Altersgruppen. jene Audio-Nutzungsvorgänge ergänzt, die durch die Media-Analyse nicht erhoben werden. In Kohärenz Bei diesen günstigen Voraussetzungen ist eine ent- Hohe Tages zur ma Audio wurden entsprechende Tagesreich- sprechend hohe Nutzung nachvollziehbar. Die durch- reichweite von weiten und Hördauern auf Basis der erhobenen Da- schnittliche Tagesreichweite der Gattung Audio von Audio gesamt ten berechnet und somit das angestrebte Gesamt- Montag bis Sonntag – einschließlich sämtlicher Ra- bild der Audionutzung gezeichnet. dio-, Musik-, Podcast- und Hörbuchnutzung – liegt bei 86 Prozent. 74 Prozent der Bevölkerung sind Gerätevielfalt fördert Audionutzung täglich über Radio erreichbar, 46 Prozent hören indi- Vielfältige Zugangs- Bei Audioinhalten sind heute die Nutzungsvoraus- viduelle Musik. Die Tagesreichweiten von Podcast möglichkeiten zu setzungen ausgesprochen gut. Neue audiofähige und Hörbuch liegen bei 7 Prozent bzw. 8 Prozent. Audioinhalten Endgeräte haben über Jahre sukzessive Einzug in Dies entspricht einer durchschnittlichen täglichen die Haushalte gehalten. Zugleich sind alte, analoge Audionutzung von 249 Minuten. Auf Radio entfällt Geräte nach wie vor vorhanden und werden sogar dabei eine Hördauer von 181 Minuten, auf Musik erneuert. Das führt dazu, dass heute 84 Prozent entfallen 58 Minuten, auf Podcasts 4 und auf Hör- der Bevölkerung ab 14 Jahren Zugang zu einem bücher 3 Minuten. Smartphone haben. Darauf folgen PC oder Note- book (81 %), Autoradio (79 %), klassische Radio Ein zentraler Gradmesser für die Digitalisierung der Digitalisierungsgrad bzw. Radiowecker (75 %), klassische Stereoanlage Audionutzung sind die genutzten Verbreitungswege der Audionutzung
Bernard Domenichini Media 56 Perspektiven 2/2020 Abbildung 3 Zugang zu Endgeräten für den Audiokonsum Anteile in % 99 100 100 100 100 99 99 98 96 95 96 93 93 84 72 Radiofähiges Gerät Musikfähiges Gerät Podcastfähiges Gerät ab 14 J. 14-29 J. 30-49 J. 50-69 J. ab 70 J. Basis: Deutschspr. Bevölkerung ab 14 Jahren. Quelle: Audioversum 2020. und Endgeräte. Von den 249 Minuten täglicher Hör- Digitalisierung revolutioniert den Musikmarkt dauer werden 84 Minuten über den Verbreitungs- Die Auswirkungen der Digitalisierung sind auf dem weg Internet realisiert, wie Abbildung 4 verdeutlicht. Musikmarkt am sichtbarsten. Die Tagesreichweite Dies entspricht 34 Prozent der Nutzungszeit für der Musiknutzung von 46 Prozent lässt sich je Audioinhalte. Hierbei ist sämtliche Audionutzung über nach Verbreitungsweg weiter aufteilen: 25 Prozent Streaming und Downloads berücksichtigt, sprich der Bevölkerung hören täglich Musik über klassi- Radio-Livestreams, Musikstreaming, Podcastnutzung sche Tonträger oder als Download, 21 Prozent sowie Hörbücher. 165 Minuten bzw. 66 Prozent der greifen täglich auf Musik-Streamingdienste wie Audionutzung geschieht nach wie vor über soge- Spotify, Amazon Music oder Deezer zurück. 18 nannte analoge Verbreitungswege. Dies umfasst Prozent nutzen täglich YouTube zum Musikhören, physische Tonträger wie CD oder Radioempfang obwohl YouTube kein primärer Musik-Streaming über UKW. Hierbei lässt sich erkennen, dass die Di- anbieter ist. Ein entsprechendes Abonnementan- gitalisierungsgeschwindigkeit in der Audiowelt eher gebot existiert jedoch mittlerweile. mäßig ausgeprägt ist. Die aus der Studie ermittelten Tagesreichweiten ver- Verdrängung 46 Prozent der Die Audionutzung über das Internet bzw. über ana- deutlichen die bereits länger anhaltende Verdrän- der klassischen Audionutzung über loge Verbreitungswege hängt stark mit den ver- gung klassischer Tonträger zugunsten von Streaming Tonträger zugunsten Radiogeräte, wendeten Endgeräten zusammen. 46 Prozent der als Verbreitungsweg. Diese Entwicklung hat sich von Streaming vornehmlich UKW gesamten Nutzungszeit für Audio werden über bereits seit der Jahrtausendwende angebahnt. Mit Radiogeräte realisiert. Dies umfasst zwar auch dem Aufkommen von Tauschbörsen und Raubkopien WLAN-Radios, dennoch dominieren bis heute klas- brachen laut Bundesverband Musikindustrie (BVMI) sische UKW-Geräte. 19 Prozent der gesamten Nut- die Umsätze von klassischen Tonträgern ab dem zungszeit entfallen auf Autoradios bzw. auf In-Car- Jahr 2000 ein.(1) Erst Mitte der 2010er Jahre ge- Entertainment. Doch auch hier dominiert nach wie wann das legale Musikstreaming als Erlösquelle vor der UKW-Empfang. In 14 Prozent der Audionut- für die Musikindustrie an Bedeutung, unter ande- zungszeit verwenden die Menschen ein Smartphone. rem aufgrund der Verbreitung von Smartphones Eine Ausnahme stellen die 14- bis 29- Jährigen und entsprechender Tarife mit Zugriff auf mobile dar, bei denen 36 Prozent der Audionutzungszeit Daten sowie der nachziehenden Verfügbarkeit von auf das Smartphone entfallen. legalen Streamingangeboten. So trat beispielsweise
Radio, Musik und Podcasts im digitalen Transformationsprozess Media 57 eil des Verbreitungsweges Internet (Download/Stream) an ge Perspektiven 2/2020 Abbildung 4 Anteil des Verbreitungswegs Internet (Download/Stream) an gesamter Audionutzung 249 Min. Audionutzung gesamt Digitale Audionutzung 84 Min. 34 % Analoge Audionutzung 165 Min. 66 % Basis: Deutschspr. Bevölkerung ab 14 Jahren, Mo-So. Quelle: Audioversum 2020 & ma 2019 Audio II. Spotify 2012 in den deutschen Markt ein. Im Jahr täglich Web-only-Radios. Aufgrund dieses Hörer- 2018 waren die erzielten Umsätze im Bereich Musik- verhaltens ist auch der Radio-Werbemarkt ent- streaming erstmals höher als jene aus dem Verkauf sprechend stabil. Zudem bleibt die Audiowelt bis von Tonträgern. Streaming verdrängt somit die physi- heute in die beiden Märkte Radio und Musik unter- schen Tonträger, und abonnementbasierte Geschäfts- teilt. modelle verdrängen zunehmend den Direktverkauf. Zudem finanziert sich Musikstreaming zu einem Mit dem Ziel, eine Einschätzung bezüglich der zu- Jüngere nutzen kleinen Teil auch über Werbung. künftigen Audionutzung zu erlangen, wird üblicher- insgesamt mehr weise ein besonderes Augenmerk auf die Nutzung Audio, Ältere mehr Digitalisierung Auch der Radiomarkt hat mit der Jahrtausendwen- jüngerer Altersgruppen gelegt. Die 14- bis 29-Jähri- Radio beschert de Ansätze einer Transformation erlebt – zumin- gen hören mit 306 Minuten am Tag am meisten klassischem dest anbieterseitig. Bestehende Radiosender so- Audioinhalte. Davon entfallen 57 Prozent auf Musik Radio neue wie neue Akteure haben angefangen, Radiopro- und 40 Prozent auf Radio, was einer Radionutzung Verbreitungswege gramme über den Verbreitungsweg Livestream von zwei Stunden täglich entspricht. Im Vergleich: anzubieten. Während UKW- und DAB+-Frequenzen Die über 70-Jährigen hören mit 202 Minuten am Tag begrenzt sind, was die Anzahl der Akteure auf dem weniger Audioinhalte, 95 Prozent dieser Zeit entfällt Markt limitiert, sind Livestreaming-Angebote theo- jedoch auf Radio. Dies entsprich einer Radionutzung retisch unbegrenzt. Und tatsächlich gab es in der von über drei Stunden täglich. Jüngere hören dem- Spitze bereits über 3 000 Webradioangebote. (2) nach insgesamt mehr Audioinhalte als Ältere, auf Allerdings konsolidiert sich das Angebot seit eini- Radio entfällt jedoch ein geringerer Anteil. gen Jahren spürbar, da viele Web-only-Radios kaum Hörer gewinnen konnten. Vielmehr profitie- Der direkte Vergleich von Altersgruppen ist jedoch ren die klassischen Radiosender von dem zusätzli- nur bedingt aussagekräftig, da Alters- und Gene chen Verbreitungsweg, der ihnen durch Livestrea- rationeneffekte sich hierbei überlagern können. Bei ming geboten wird. Alterseffekten handelt es sich um Nutzungsmuster, die mit dem aktuellen Alter der Kohorte in Verbin- Klassisches Radio Die im Vergleich zum Musikmarkt große Stabilität dung stehen, und die sich im Lebensverlauf ändern noch deutlich vor des Radiomarktes wird bereits anhand der Nut- können. Bei Generationeneffekten handelt es sich Livestreaming und zungsdaten der ma 2019 Audio II sichtbar. Klassi- dagegen um Eigenheiten einer Kohorte, welche das Web-only-Sendern sches Radio erreicht der Studie zufolge über alle Nutzungsverhalten im gesamten Lebensverlauf Verbreitungswege täglich 54 Millionen Personen. prägen. Alters- und Generationeneffekte prägen Livestreaming ist dabei ein noch recht kleiner Ver- beide die Audionutzung. Insbesondere anhand der breitungsweg, welcher täglich von 3,5 Millionen Radionutzung, für die historische Zeitreihen existie- Menschen zum Hören klassischer Radioprogram- ren, lässt sich das Zusammenspiel beider Effekte me genutzt wird. 0,5 Millionen Personen hören nachzeichnen.
Bernard Domenichini Media 58 Perspektiven 2/2020 Abbildung 5 Tägliche Radio-Hördauer im Lebensverlauf in Min., Mo-Fr Min. 250 Generationenübergreifende Radio-Nutzungskurve im Lebensverlauf 200 Geburtsjahrgänge 1980-89 Aktuelles Durchschnittsalter: 35 J. 150 Geburtsjahrgänge 1990-99 Aktuelles Durchschnittsalter: 25 J. 100 Geburtsjahrgänge 2000-2006 Aktuelles Durchschnittsalter: 17 J. 50 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Alter Basis: Deutschspr. Bevölkerung ab 14 Jahren. Quellen: ma Radio/Audio 1990-2019; eigene Berechnungen. Generationenbedingte Das Verhältnis von Musik und Radio bei den Jüngs- anderen Kohorten. Dieses Phänomen mag paradox Verschiebung hin zu ten drückt einerseits eine generationenbedingte Ver- erscheinen, lässt sich aber als gewöhnlicher Alters On-Demand-Inhalten schiebungAudioversum 5.02.2020 von Live-Content2020zu On-Demand aus, effekt erklären. andererseits aber auch einen vergänglichen Alters effekt. Jüngere Menschen haben auch vor der me- Den Einfluss der Digitalisierung kann man in Abbil- dialen Digitalisierung bereits mehr individuelle Mu- dung 5 daran erkennen, dass das Ausgangsniveau der sik und weniger Radio gehört. Mit zunehmendem Hördauer bei jeder Generation etwas tiefer liegt. Hier Alter – insbesondere mit dem Eintritt in das Berufs- scheint ein tatsächlicher Generationeneffekt zu grei- leben – verschiebt sich das Verhältnis zugunsten fen. Die jüngeren Kohorten wachsen in eine digitale von Radio. Audiowelt hinein und machen sich die Vielfältigen Möglichkeiten der On-Demand-Nutzung nachhaltig zu Radio-Paradoxon: In Abbildung 5 ist eine typische Radionutzungskurve eigen. Für die Zukunft der Radionutzung lässt sich da- Radionutzung steigt im Lebensverlauf zu sehen. Die abgebildete tägliche her vermuten, dass die jüngeren Kohorten mehr Radio bei den Jüngsten am Hördauer in Minuten ist über sämtliche Generationen hören werden als sie dies aktuell und altersbedingt stärksten hinweg in Jugendjahren niedriger ausgefallen als in tun, dass sie jedoch nicht mehr die Nutzungsniveaus der Lebensmitte. Mit dem Ausscheiden aus dem Be- ihrer Eltern erreichen werden. rufsleben sank die durchschnittliche Radio-Hördauer ebenfalls in allen Generationen. Dieser Alterseffekt Verschiedene Audioangebote basieren auch auf un- Digitalisierung ist hier explizit für die Geburtsjahrgänge der 80er, terschiedlichen Geschäftsmodellen; Werbefinanzie- und werberelevante 90er und 2000er dargestellt. Es zeigt sich, dass in rung ist nur eines davon. Audionutzung kann also Audionutzung allen Kohorten das gleiche Grundmuster greift. Bei werbefreie Angebote betreffen, wie dies üblicher- den Jüngsten – also bei den ab dem Jahr 2000 ge- weise bei den Abonnements der Musik-Streaming borenen Personen – liegt die Radionutzung heute anbieter der Fall ist. Audionutzung kann ebenso bei durchschnittlich 90 Minuten pro Tag. In dieser werblich belegbare Angebote betreffen. Von der ge- Kohorte steigt die Radionutzung stärker als in allen samten Audionutzung – täglich 249 Minuten – ent-
Radio, Musik und Podcasts im digitalen Transformationsprozess Media Perspektiven 59 2/2020 Abbildung 6 Audioformen und Werberelevanz 84 Min. werbefreie Audionutzung 165 Min. werberelevante Audionutzung 42 Min. 38 Min. 146 Min. 16 Min. Musik- Streaming mit Werbung Musikstreaming Radio werbefrei Radio mit Werbung Abo werbefrei und Musik auf Tonträgern 3 Min. Podcasts mit Werbung 3 Min. 1 Min. Hörbücher Podcasts werbefrei Basis: Deutschspr. Bevölkerung ab 14 Jahren. Quelle: Audioversum 2020 & ma 2019 Audio II. Abbildung 7 Werblich belegbare Audionutzung 14-29 Jahre 30-49 Jahre 50-69 Jahre ab 70 Jahren PODCASTS HÖRBÜCHER 306 Min. 242 Min. WERBEFREI 244 Min. 202 Min. 3 Min 1 Min Audionutzung Audionutzung Audionutzung Audionutzung werberelevant werberelevant werberelevant werberelevant 53 % 74 % 73 % 61 % 161 Min. 179 Min. 177 Min. 123 Min. mit Werbung mit Werbung mit Werbung mit Werbung Basis: Deutschspr. Bevölkerung ab 14 Jahren, Mo-So. Quelle: Audioversum 2020 & ma 2019 Audio II. fallen zwei Drittel auf werberelevante Angebote und Minuten auf klassisches Radio, 16 Minuten kommen ein Drittel auf werbefreie Angebote, wie Abbildung 6 als neue Online-Audio-Touchpoints in den Free- verdeutlicht. Werbefreie Audionutzung macht damit Accounts der Streamingdienste bzw. durch YouTube insgesamt 84 Minuten der täglichen Audionutzung hinzu. Weitere drei Minuten kommen durch Pod- aus. Davon entfällt der größere Teil von 42 Minuten casts hinzu. auf persönliche Musiknutzung über Tonträger oder im Rahmen von Abonnements bei Streamingdiens- Bei den über 70-Jährigen sind 61 Prozent der 200 ten. 165 Minuten der täglichen Audionutzung sind Minuten täglicher Audionutzung werberelevant, wie grundsätzlich werblich belegbar. Davon entfallen 146 in Abbildung 7 zu sehen ist. In den mittleren Alters-
Bernard Domenichini Media 60 Perspektiven 2/2020 Abbildung 8 Begrenzte Werbemöglichkeiten bei individueller Musiknutzung 14-29 Jahre 14 Min. Musik auf Tonträgern, Downloads 34 Min. YouTube Werberelevant 51 Min. Musik 173 Min. 125 Min. Musikstreaming Basis: Deutschspr. Bevölkerung, 14-29 Jahre, Mo-So. Quelle: Audioversum 2020 & ma 2019 Audio II. Abbildung 9 Werberelevante Audionutzung nach Audioformen und Altersklassen 14-29 Jahre 30-49 Jahre 50-69 Jahre ab 70 Jahren 161 Min. 179 Min. 177 Min. 123 Min. Werberelevante Werberelevante Werberelevante Werberelevante Audionutzung Audionutzung Audionutzung Audionutzung Musik 31 % 5.02.2020 Audioversum Radio 2020 Radio 64 % Radio Radio 89 % 97 % 99 % Basis: Deutschspr. Bevölkerung ab 14 Jahren, Mo-So. Quelle: Audioversum 2020 & ma 2019 Audio II. gruppen ist der werberelevante Anteil mit rund drei dienste. Werblich belegbar ist der größte Teil der Vierteln am höchsten. Die 14- bis 29-Jährigen hören YouTube-Nutzung und ein kleiner Teil der Streaming- zwar insgesamt am meisten Audioinhalte, sie haben nutzung – in Summe 51 Minuten. Die restliche aber mit 53 Prozent zugleich den geringsten Anteil Musiknutzung ist nicht werberelevant. an werberelevanter Audionutzung. Das erklärt sich bei den Jüngeren vor allem durch die intensive Mu- Mit Blick auf die werberelevante Audionutzung er- Radio dominiert siknutzung, welche 57 Prozent (dies entspricht 173 gibt sich folgendes Bild in den Altersgruppen: Die werberelevante Min.) der gesamten Audionutzung der 14- bis 29-Jäh- Ältesten hören am Tag 123 Minuten werberelevante Audionutzung in rigen ausmacht (vgl. Abbildung 8). Diese 173 Minu- Audioinhalte, wobei es sich fast ausschließlich um allen Altersgruppen ten unterteilen sich in 14 Minuten Musiknutzung Radio handelt (vgl. Abbildung 9). Bei den mittleren über CD oder Download, 34 Minuten Musiknutzung Altersgruppen sieht dies ähnlich aus, wobei die Hör- auf YouTube und 125 Minuten über Streaming- dauern deutlich höher sind. Die Jüngsten hören 161 7.02.2020 Audioversum 2020
Radio, Musik und Podcasts im digitalen Transformationsprozess Media Perspektiven 61 2/2020 Minuten am Tag – 31 Prozent davon entfallen auf einer streamingbasierten Nutzung und dem damit Musik und 64 Prozent auf klassisches Radio. In allen einhergehenden Wandel der Finanzierungsmodelle. Altersgruppen bleibt Radio das Fundament der wer- berelevanten Audionutzung. Radio dominiert weiterhin und mit großem Abstand Radio dominiert die werberelevante Audionutzung, gefolgt von Musik- werberelevante Fazit streaming und Podcasts. Dieser Befund gilt für alle Audionutzung Audio profitiert von Die günstigen Nutzungsvoraussetzungen für Audio Altersgruppen. Bisher scheint Radio von der Vielfäl- Digitalisierung inhalte aufgrund einer breiten Diffusion vielfältiger tigkeit der technischen Infrastruktur zu profitieren. audiofähiger Endgeräte, der Vervielfältigung der Es lässt sich zwar anhand der ma Audio ein leicht Verbreitungswege, dem wachsenden Angebot von rückläufiger Trend in der Radionutzung seit der sehr Inhalten und von vermittelnden Plattformen schla- radioaffinen Zeit vor der Jahrtausendwende ausma- gen sich in einer entsprechend hohen Nutzung chen, aus Sicht der Hörer bleiben kuratierte Radio- nieder. programme aber ein nachgefragter Tagesbegleiter mit ausgesprochen hoher Reichweite. Marktstrukturen Dabei zeigt sich auch, dass die historisch gewach- stabil, Verschiebung sene Marktstruktur nach wie vor Bestand hat. Radio, Anmerkungen: hin zu streaming Musik, Podcasts und Hörbücher bilden separate Teil- basierter Nutzung märkte auf dem Audiomarkt. Die größten Verwerfun- 1) Vgl. BVMI Jahrbuch: Musikindustrie in Zahlen 2018. gen durch die fortschreitende Digitalisierung lassen 2) Vgl. Goldmedia: Webradiomonitor 2017. Quelle: https:// www.goldmedia.com/fileadmin/goldmedia/2015/ sich dabei auf dem Musikmarkt ausmachen – primär Studien/2017/Webradiomonitor_2017/Webradiomonitor_ als Binnenverschiebung einer tonträgerbasierten zu 2017_Vollversion.pdf (abgerufen am 29.1.2020).
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