Orthopädie/Unfallchirurgie - highlighted - Bayerisches Ärzteblatt
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Orthopädie/Unfallchirurgie – highlighted Erkrankungen und Verletzungen der Bewe- Fall 1: Mobilitätseingeschränkte leitlinien/detail/ll/033-052.html) aufgeführten gungsorgane haben auch in der hausärzt- Handlungsalgorithmus ist in einem fortgeschrit- Patientin mit Gonarthrose – tenen Arthrosestadium die Versorgung mittels lichen Praxis hohe Prävalenz. Angesichts Fast-Track-Knieprothetik Knie-Totalendoprothese (KTEP) eine definitive des breit gefächerten Therapiespektrums Behandlungsoption mit guten Erfolgsaussichten. sind immer auch konservative Maßnah- Die fortgeschrittene Gonarthrose ist klinisch men zu berücksichtigen. Minimalinvasive charakterisiert durch Beweglichkeitseinschrän- Anamnese Behandlungsverfahren ermöglichen scho- kung des betroffenen Kniegelenkes, mit Belas- Bei einer 76-jährigen Patientin bestanden nende, operative Vorgehensweisen mit tungs- und Ruheschmerzen sowie Gehstrecken- am linken Kniegelenk Belastungs-, Ruhe- und schneller Rekonvaleszenz. Damit eröffnen limitation. Dies reduziert die Lebensqualität Nachtschmerzen die mit einer täglichen Einnah- sich für die gesamte Versorgungssituation erheblich, da gewohnte Belastungen im Alltag me von Ibuprofen dreimal 600 mg und Magen- neue Möglichkeiten der abgestimmten nur noch mit erheblichen Schmerzen und Ein- schutz zehn Monate behandelt wurden. Weiter- ambulant-stationären Behandlung mit schränkungen oder gar nicht mehr möglich hin bestand eine zunehmende Varusabweichung schneller Reintegration der Betroffenen in sind. Die klinische Diagnostik wird bei entspre- des linken Kniegelenkes. Die Gehstrecke war das Alltagsgeschehen. chenden Beschwerden üblicherweise um eine auf ca. 200 Meter limitiert. Konservative Be- konventionell radiologische Diagnostik in drei handlungsmöglichkeiten mit Physiotherapie, Ebenen ergänzt, in welcher der Schweregrad der inklusive Injektionsbehandlungen mit Hyalu- Arthrose bewertet wird. Es stehen konservative ronsäure, waren ausgeschöpft und erbrachten und operative Behandlungsmöglichkeiten in Ab- zuletzt keine wesentliche Beschwerdelinderung. hängigkeit vom Schweregrad der Arthrose zur Verfügung. Entsprechend dem in der Leitlinie Diagnose und Therapie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen In der konventionell-radiologischen Bildgebung Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) zeigte sich der mediale Gelenkspalt komplett „Indikation Knieendoprothese“ (www.awmf.org/ aufgebraucht, eine fortgeschrittene Patello- 64 Bayerisches Ärzteblatt 3/2021
Titelthema Professor Dr. Joachim Grifka Privatdozent Dr. Felix Greimel Dr. Daniel Boluki MUDr. Lukas Parik femoralarthrose sowie deutliche Osteophyten cain) sowie Fibrinolysehemmer (Tranexamsäure) An den Folgetagen wurde die physiotherapeu- und subchondrale Sklerose. Weiterhin bestätigte intraartikulär appliziert. Die Operation wurde tisch assistierte Nachbehandlung intensiviert sich eine Varus-Achsdeviation von zehn Grad. zudem unter Zuhilfenahme eines optischen Na- und um selbstständige Übungsmaßnahmen in Aufgrund einer ausgeprägten Beugeeinschrän- vigationssystems durchgeführt (Abbildung 1), einem eigens etablierten Fast-Track-Parcours kung mit Streckdefizit wurde die Indikation zur um eine gerade Beinachs-Ausrichtung sowie eine (vor allem Demonstration von Übungsmaßnah- KTEP gestellt. ausgeglichene Bandspannung zu erreichen. Auf men, Reflexion mittels Spiegelbild) erweitert. die Einlage von Wunddrainagen wurde komplett Treppensteigen ist routinemäßig am zweiten Wenige Tage vor der Operation erschien die Pa- verzichtet. Die Wunde wurde nach Naht mit ei- postoperativen Tag schmerzarm möglich. Die tientin prästationär. In diesem Rahmen erhielt nem Hautkleber versiegelt. Patientin konnte im weiteren Verlauf nach einer sie ein Unterarm-Gehstützen-Training, um die knappen Woche mit guter Funktion und ohne früh-postoperative Mobilisation als Teil des bei Postoperativ konnte die Patientin bereits zwei Schmerzen in die Rehabilitationsbehandlung uns etablierten Fast-Track-Konzeptes direkt Stunden nach der Operation das gestreckte Bein entlassen werden. umsetzen zu können. Weiterhin erfolgte eine anheben und auf 100 Grad beugen (Abbildung 2), umfangreiche Patientenschulung und gezielte sowie an Unterarmgehstützen unter physiothe- Fazit Einweisung, was nachweislich Ängste vor der rapeutischer Anleitung gut 50 Meter selbststän- Aufgrund einer fortgeschrittenen Gonarthrose Operation abbauen kann. dig unter Vollbelastung gehen – unter Anwen- links wurde die Indikation zur KTEP gestellt. Die dung eines standardisierten, opioidsparenden Patientin konnte im Rahmen eines so genann- Am Morgen des Operationstages erhielt die Pati- Analgetikakonzeptes (Metamizol 500, 4 x 1, ten „Fast-Track-Konzeptes“ behandelt wer- entin ein länger wirksames NSAR im Sinne einer Ibuprofen 600 3 x, Oxycodon/Naloxon 10/5 den, welches interdisziplinäre Zusammenarbeit präemptiven Analgesie (Etoricoxib 90 mg). Die 1-0-1, für drei Tage postoperativ) verspürte an vielen Stellschrauben der perioperativen Operation fand in einer schonenden, kurzwirk- die Patientin keine Schmerzen. Dieser rasche Behandlungsmethoden erfordert. Während samen Hemispinalnarkose (Prilocain, Sufentanil, Erfolg ist wichtig für die weitere Nachbehand- der Operation wurde ein Navigationssystem Dexamethason i. v.) statt. Während der Operation lung, da Patienten so Vertrauen in die sofortige verwendet, welches die Genauigkeit der Im- wurden lokale Infiltrationsanalgesie (LIA, Ropiva- Belastbarkeit des neuen Kniegelenks aufbauen. plantation verbessert sowie die Standzeit und Abbildung 1 a und b: Intraoperative Navigation in der Kniegelenkendoprothetik zur Verbesserung von Genauigkeit, Standzeit und Funktion. Bayerisches Ärzteblatt 3/2021 65
Titelthema Konzept der tagesstationären Knie- und Hüftgelenkendoprothetik Präoperative » Screening etwaiger Vorerkrankungen und ge- Maßnahmen gebenenfalls Anpassung Diagnostik/Therapie » Besuch einer Patienten-Informationsveranstal- tung sowie fünf Tage persönliche Schulung, um eine bestmögliche Vorbereitung des Patienten zu ermöglichen » Kontakt Sozialdienst bezüglich Reha-Maßnahme » Gangschule mit Unterarmgehstützen-Training – Hilfsmittelverordnung Maßnahmen am » Morgendliche Applikation eines langwirksamen Tag der Operation NSAR » Kurzwirksame und schonende Spinalnarkose » Minimalinvasive Operationstechnik unter Scho- nung von Weichgewebe und Muskulatur » Applikation von lokaler Infiltrationsanalgesie und Fibrinolysehemmer » Verzicht auf Wunddrainagen » Wundverschluss mit Hautkleber-Auflage und Wundverband mit transparentem Wabenpflaster » Früh-postoperative Mobilisation zwei Stunden nach der Operation unter Vollbelastung. Gehen 50 bis 100 Meter. » Weitere Übungen im Tagesverlauf: Übungen im Fast-Track-Parcours, Treppensteigen » Entlassung in die ambulante Weiterbehandlung Poststationäre » Nahtlose Anbindung an ein ambulantes Reha- Maßnahmen Zentrum » K ontrolle der Wunde sowie Laborparameter am ersten und siebten postoperativen Tag durch niedergelassenen Arzt oder über die ambulante Sprechstunde Abbildung 2 a und b: Passive (oben) und aktive (unten) Übungen zwei Stunden Tabelle 1: Konzept der tagesstationären Knie- und Hüftgelenkendoprothetik, Ortho- nach Knietotalendoprothesen-Implantation. pädische Klinik für die Universität Regensburg am Asklepios Klinikum Bad Abbach. Funktion langfristig optimiert. So konnte die Fall 2: Patientin mit therapieresis- einzelnen Spinalnerven. Häufig werden sie durch Patientin früh-postoperativ, selbstständig und Bandscheibenvorfälle (Prolaps) in den Spinalkanal schmerzarm mobilisiert werden, war für Hygie- tenter S1-Ischialgie – endoskopi- hervorgerufen. Die Nervenwurzelreizung (Radi- nemaßnahmen (zum Beispiel den Toilettengang) sche Bandscheibenoperation kulopathie) entsteht dabei sowohl entzündlich nicht auf fremde Hilfe angewiesen und konnte durch die Reaktion auf das Bandscheibengewebe rasch Vertrauen zu ihrem neuen Kunstgelenk Im Gegensatz zum nicht-spezifischen Rücken- als auch durch die direkte mechanische Bedrän- aufbauen. schmerz (vorwiegend lokale Rückenschmerzen gung durch den Prolaps. ohne erkennbaren Auslöser) können beim spezi- Die Anwendung von Fast-Track-Konzepten fischen Rückenschmerz anatomische Strukturen Die konservative Therapie ist die Methode der kommt neben der Knie- auch in der Hüftge- als Auslöser der Beschwerdesymptomatik identifi- ersten Wahl aufgrund langfristig gleichwertiger lenksendoprothetik zum Einsatz und konnte den ziert werden. Die konventionelle Röntgentechnik Ergebnisse nach konservativer und operativer Behandlungserfolg, vor allem die Rekonvales- gehört zur Basisdiagnostik, auch zur Abklärung Therapie (siehe S2k-Leitlinie zur Versorgung von zenz der Patienten, nochmals deutlich verbes- einer Instabilität. Als weitergehende bildgebende Bandscheibenvorfällen mit Radikulopathie – sern. An unserer Klinik konnte so erfolgreich Diagnostik bei radikulärer Symptomatik ist ein www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/033-048.html). ein Konzept zur tagesstationären Knie- und MRT indiziert. Neben klassischen konservativen Maßnahmen Hüftgelenkendoprothetik etabliert werden, mit (zum Beispiel orale Analgetika und Physiothe- Operation am Vormittag und Entlassung in die Radikuläre Lumbalsyndrome sind gekennzeichnet rapie) kommen interventionelle Schmerzthera- weitere ambulante Weiterbehandlung am spä- durch eine Schmerzausstrahlung ins Bein ent- pieverfahren mit epiduralen und periradikulä- ten Nachmittag (Tabelle 1). lang des Ausbreitungsgebietes (Dermatom) eines ren Injektionstechniken mit Lokalanästhetika 66 Bayerisches Ärzteblatt 3/2021
Titelthema Abbildung 3 a und b: Kompression des S1-Nerven rechts durch den Bandscheibenprolaps L5/S1 im MRT (S1-Nerv bds. rot markiert zur Verdeutlichung). und Kortikosteroiden zur Anwendung. Ziel ist Zehenspitzengang wurde daher als schmerzbe- sechs Tagen ein neues LWS-MRT angefertigt, die Reduktion der Irritation der Nervenwurzel. dingt gewertet. Ferner zeigte sich eine Hypäs- auch unter Berücksichtigung der beschriebenen Die Indikation zur Operation wird bei relevanter thesie im Dermatom S1 rechts. Das vorhandene Schmerzverschlechterung. Ausfallsymptomatik (zum Beispiel motorische MRT der LWS zeigte einen leicht nach kaudal Schwäche 3/5 nach Janda – Tabelle 2) oder bei dislozierten Bandscheibenprolaps mit Kontakt Dieses zeigte insbesondere einen neu aufgetre- konservativ unzureichender Schmerzlinderung zur rechten S1-Wurzel, passend zur klinischen tenen freien Bandscheibensequester, weit nach gestellt. Dabei wird die Nervenwurzel durch Ent- Symptomatik. kaudal disloziert und deutlich die Wurzel S1 rechts fernung des prolabierten Bandscheibengewebes komprimierend (Abbildung 3). entlastet. Die Operation erfolgt entweder mik- Eine Operation wurde von der Patientin zunächst rochirurgisch assistiert oder vollendoskopisch. ausdrücklich abgelehnt. Es erfolgte daher die sta- Daraufhin erfolgte die Operationsindikation. tionäre Aufnahme zur interventionellen Schmerz- Allgemein wird bei Bandscheibenoperationen die Anamnese therapie (in unserer Klinik als „Minimalinvasive mikrochirurgische Operationstechnik über einen Die 46-jährige Patientin gab bei Vorstellung Therapie“ = MIT bezeichnet). Die Injektionen (zum kleinen Schnitt mit begrenzter Traumatisierung drei Monate bestehende Rückenschmerzen mit Beispiel periradikulär) erfolgten zweimal täglich, der autochthonen Rückenmuskulatur als weltwei- Ausstrahlung in den rechten dorsalen Ober- und um die Irritation des Spinalnerven zu reduzieren. te Standardversorgung angesehen. In den letzten Unterschenkel bis in die Fußsohle an, entspre- Jahren hat sich als noch schonendere Alternative chend des Dermatoms des S1-Spinalnerven. Es Bei der Patientin verlief jedoch auch diese MIT die vollendoskopische Operationstechnik über bestand eine begleitende Hypästhesie, vor allem letztlich frustran, es waren lediglich jeweils kurz eine Hautstichinzision und stumpfes Aufbou- am Unterschenkel und Fuß rechts, jedoch lagen anhaltende Besserungen nach wiederholter kon- gieren der Muskulatur etabliert. Durch Einsatz keine motorischen Ausfälle oder Schließmuskel- trastmittel-kontrollierter Injektion um den S1- von endoskopischen Frästechniken am knöcher- insuffizienz vor. Es erfolgte eine fachneurologi- Nerv (Radikulographie) zu verzeichnen. Es be- nen Wirbelbogen lassen sich dabei auch Band- sche ambulante Behandlung mit Injektionen und standen weiterhin ausgeprägte Schmerzen und scheibensequester erreichen, die nicht ideal im Analgetika. Ein MRT der LWS vor neun Wochen gestörte Nachtruhe, wobei die Patientin nur in Zugangsbereich des Endoskops liegen. In unserer zeigte einen Bandscheibenvorfall. Schmerzver- Schonhaltung liegen konnte. Daher wurde nach Klinik sind beide Verfahren gleichberechtigt im stärkung vor einer Woche. Sie sei daher mit Not- arzt vor vier Tagen in ein anderes Krankenhaus eingeliefert worden. Dort erfolgten Schmerzin- fusionen über drei Tage ohne subjektiv ausrei- chende Schmerzlinderung. An Vorerkrankungen Kraftgrad Beschreibung wurden Migräne und eine medikamentös behan- delte Depression angegeben. 0 – Plegie Keine Muskelkontraktion spürbar 1 – Spur Spürbare Muskelkontraktion ohne daraus resultierende Gelenkbewegung Diagnostik und Therapie 2 – Sehr schwach Volle Bewegung im Gelenk nur bei aufgehobener Schwerkraft möglich Es zeigte sich eine stark schmerzbeeinträchtigte 3 – Schwach Volle Bewegung im Gelenk gegen Schwerkraft aber nicht gegen Wider- Patientin mit lumbaler Fehlhaltung, paraverte- stand möglich bralem Muskelhartspann, weitgehend aufge- hobener Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule, 4 – Gut Herabgesetzte Muskelkraft, volle Bewegung im Gelenk nur gegen leich- ten Widerstand möglich Einschränkungen im Zehenspitzengang rechts (Wegknicken des Beines) und ein früh positiver 5 – Normal Volle Muskelkraft, volle Bewegung im Gelenk auch gegen starken Wider- Lasègue-Test rechts. Im Liegen zeigten sich keine stand möglich motorischen Ausfälle, die Einschränkung beim Tabelle 2: Muskelkraft nach Janda Bayerisches Ärzteblatt 3/2021 67
Titelthema a b c Abbildung 4 a, b, c: Intraoperative Bilder – Bedrängung des Nerven S1 (blauer Pfeil) durch den Bandscheibenprolaps (a), Darstellung des Prolaps vor Resektion (b), OP-Situs nach Prolapsresektion, Nervenwurzel nicht mehr bedrängt (c). Einsatz, wobei die vollendoskopisch operierten Anders ist es bei den primär dislozierten und Prinzipiell kommen bei diesen Verletzungen drei Patienten eine schnellere Rekonvaleszenz zeigen komplexeren Frakturen des Humeruskopfes. Da- Versorgungstrategien in Frage: (Abbildung 4 a, b, c). bei verstehen wir unter komplexen Frakturen vor allem dislozierte mehrsegmentale bzw. mehr- » die für Patienten am wenigsten belastende Unmittelbar postoperativ zeigte sich eine maß- fragmentäre Frakturen und Luxationsfrakturen. konservative Therapie geblich gebesserte Schmerzsymptomatik. Zum Entlassungszeitpunkt bestand noch die vorbe- schriebene Hypästhesie im S1-Dermatom rechts. Erfahrungsgemäß bildet sich diese jedoch im Verlauf weniger Wochen zurück, teilweise auch erst über einen längeren Zeitraum von bis zu zwei Jahren. Fazit Der Verdacht auf einen spezifischen Rücken- schmerz wird aufgrund der Anamnese und der klinischen Untersuchung gestellt. Die Über- prüfung erfolgt dann mittels Bildgebung, üb- licherweise einer MRT der LWS. In den meisten Fällen ist die klassisch konservative oder inter- ventionelle Therapie erfolgreich. In therapiere- fraktären Fällen mit klar definierter Kausalität kann eine operative Entfernung eines Band- scheibenprolapses schnell zur Entlastung der betroffenen Nervenwurzel führen. Wegwei- Abbildung 5: Patientin A – Röntgenaufnahme des rechten Schultergelenkes am Unfalltag. Nicht wesentlich send im vorliegenden Fall war die Neuanferti- islozierte eingestauchte subkapitale Humerusfraktur mit Abriss des Tuberculum majus. d gung einer MRT der LWS angesichts geänderter Schmerzsymptomatik. Fall 3: Konservative Therapie der proximalen Humerusfraktur Die proximale Humerusfraktur gehört zu den häufigsten Verletzungen der oberen Extremi- tät. Insbesondere beim älteren Patienten wird die primäre Therapie sehr kontrovers diskutiert. Ziel der Primärbehandlung einer proximalen Humerusfraktur ist die rasche Wiedererlangung der Schulterfunktion und Schmerzfreiheit des Patienten. Es herrscht allgemeiner Konsens bei der Therapie der nicht oder wenig dislozierten Frakturen. Dabei führen konservative Behand- lungsmethoden in den meisten Fällen zu guten Abbildung 6: Patientin A – Röntgenkontrolle nach sechs Wochen. Diskrete sekundäre varische Abkippung des Ergebnissen. Kopffragmentes (die Richtung der Abkippung ist durch den roten Pfeil markiert). 68 Bayerisches Ärzteblatt 3/2021
Titelthema » operative gelenkerhaltende Verfahren (Osteosynthese) » gelenkersetzende Verfahren (Endoprothese). Diese Therapievarianten zeigen in der Literatur sehr heterogene funktionelle Ergebnisse. Bei der Therapieentscheidung spielt die Frakturmorpho- logie eine essenzielle Rolle. Für die konservative Therapie ist eine akzeptable Frakturstellung und gleichzeitig eine ausreichende Stabilität erfor- derlich. Zur Frakturstabilität und dem akzepta- blen Dislokationsgrad werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Im folgenden Abschnitt werden die Verläufe von zwei Patientinnen prä- sentiert, die zur gleichen Zeit in unserer Not- fallambulanz vorstellig wurden und bei denen eine primäre konservative Therapie eingeleitet Abbildung 7: Patientin B – Röntgenaufnahme des rechten Schultergelenkes am Unfalltag. Eingestauchte subka- wurde. Bei einem Fall ist es gelungen, die Fraktur pitale Humerusfraktur in Valgusstellung (ca. 30°), dorsaler Abkippung (ca. 35°) und mit Seitenversatz (ca. 9 mm). konservativ mit gutem funktionellen Ergebnis auszubehandeln. Im zweiten Fall musste sekun- där eine osteosynthetische Versorgung durch- geführt werden. Patientin A Eine 74-jährige Patientin mit bekannter Os- teoporose unter Bisphosphonattherapie stellte sich nach einem Sturzereignis in unserer Not- fallambulanz vor. Sie sei beim Bergaufgehen gestolpert und auf die rechte Schulter gefallen. Seitdem habe sie starke Schmerzen im Bereich der rechten Schulter und leichte Schmerzen in Ellbogen und Hand rechts. Klinisch zeigte sich eine massive Schwellung sowie ein Hämatom im Bereich der rechten Schulter zusammen mit einer aufgehobenen Schulterfunktion. Die durch- geführte nativradiologische Untersuchung des rechten Schultergelenkes in zwei Ebenen zeigte eine nicht wesentlich dislozierte, eingestauchte subkapitale Humerusfraktur mit Abriss des Tu- Abbildung 8: Patientin B – Verlaufskontrolle. Deutliche Zunahme der Valgusstellung (ca. 49°), dorsalen Abkip- berculum majus (Abbildung 5). pung (ca. 36°) sowie Seitenversatz. Das vorliegende Frakturmuster eignete sich op- timal zur konservativen Therapie. Es wurde eine Schulter-Arm-Adduktionsorthese angelegt. Am fünften Tag konnte nach radiologischer Kontrol- le ohne Nachweis einer sekundären Dislokation mit Pendelübungen und nach zwei Wochen mit passiver Physiotherapie begonnen werden. Nach sechs Wochen zeigte sich ein zufriedenstellendes funktionelles Ergebnis mit schmerzfreier Schul- terbeweglichkeit im Bewegungsausmaß bis 90° Anteversion und 90° Abduktion. Im Anschluss konnte mit intensiver aktiver Physiotherapie über 90° begonnen werden. Eine Röntgenkon- trolle zeigte eine diskrete sekundäre varische Abkippung des Kopffragmentes, in akzeptablem Ausmaß (Abbildung 6). Patientin B Eine 73-jährige Patientin kam in unsere Not- aufnahme nachdem sie im häuslichen Umfeld Abbildung 9: Patientin B – Postoperative Röntgenaufnahme nach osteosynthetischer Versorgung mittels win- zwei Treppenstufen hochgefallen und auf die kelstabiler Platte. Bayerisches Ärzteblatt 3/2021 69
Titelthema rechte Schulter gestürzt sei. Klinisch zeigte sich ein identischer Befund wie bei Patientin A. Na- Das Wichtigste in Kürze tivradiologisch zeigte sich eine abgekippte und mit Versatz eingestauchte subkapitale Hume- Unter Anwendung eines Fast-Track-Behandlungskonzeptes kann in der Endoprothetik des rusfraktur (Abbildung 7). Hüft- und Kniegelenkes eine wesentliche Verbesserung der operativen Behandlung einer fort- geschrittenen Arthrose erreicht werden, eine gute Funktion und frühpostoperative Nachbe- Dieses Frakturmuster stellte eine spezielle Situa- handlung mit Verkürzung der Rekonvaleszenz erfolgen sowie Schmerzen postoperativ redu- tion dar. In der Literatur werden unterschiedlich ziert werden. strenge Kriterien für den akzeptablen Disloka- tionsgrad empfohlen und diese Frakturstellung Bei Bandscheibenvorfällen und degenerativen Wirbelsäulenveränderungen ist zunächst die ist durchaus als grenzwertig und potenziell konservative Therapie auszureizen, einschließlich gezielter Injektionen im Bereich der Band- instabil zu werten. Die Patientin lehnte am scheibe, im Wirbelkanal und periradikulär sowie im Bereich der Facettengelenke. Bei Band- Unfalltag eine mögliche operative Therapie ab scheibenoperationen im Lumbalbereich hat die endoskopische Technik viele Vorteile. und wünschte einen konservativen Therapiever- such. Es wurde genauso wie bei Patientin A eine Bei komplexeren Frakturen des Humeruskopfes kann eine konservative Versorgung eine gute Schulter-Arm-Adduktionsorthese angelegt und Alternative zur operativen Vorgehensweise sein. Entscheidend für die Indikationsstellung ist initial eine konsequente Ruhigstellung empfoh- das geeignete Frakturmuster und die Stabilität der Frakturfragmente. len. Am vierten Tag wurde eine radiologische Verlaufskontrolle durchgeführt und es zeigte sich trotz guter Compliance der Patientin eine zunehmende Dislokation des Humeruskopfes (Abbildung 8). Bei subjektiver Beschwerdeprogredienz ent- Nach sechs Wochen zeigte sich das funktionelle scheidend für die Indikationsstellung ist das ge- schied sich die Patientin dann für eine opera- Ergebnis mit schmerzfreier 90° Abduktion und 90° eignete Frakturmuster mit akzeptabler Stellung tive Therapie. Am Folgetag wurde die Fraktur Anteversion, vergleichbar gut wie bei Patientin A. und ausreichender Stabilität. In Grenzfällen ist osteosynthetisch mittels winkelstabiler Platte die Entscheidung im Einzelfall intensiv mit dem versorgt (Abbildung 9). Fazit Patienten zu beraten, und zwar nach ausführli- Bei wenig dislozierten proximalen Humerus- cher Aufklärung über Vor- und Nachteile, inklu- Gleich postoperativ konnte mit intensiver passiver frakturen führt die konservative Behandlung sive eventuell notwendigem Wechsel des Thera- sowie aktiver Physiotherapie begonnen werden. zu sehr guten funktionellen Ergebnissen. Ent- pieverfahrens im weiteren Verlauf (Diagramm). Die Autoren erklären, dass sie keine finan- ziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Ma- nuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten. Komplexere Fraktur Nicht oder wenig Gelenkbeteiligung, Fraktur dislozierte proximale im Collum anatomicum, Humerusfraktur Luxationsfraktur etc. Akzeptable Stellung, Keine stabile Osteosyn- Offene Reposition not- ausreichende Fraktur- these möglich, hohes wendig, jüngerer Patient, stabilität, allgemeine Risiko einer Humerus- niedrigeres Risiko einer Kontraindikationen für kopfnekrose, Humeruskopfnekrose operative Therapie höheres Alter Anatomische Schulter Hemi-/Total- endoprothese Autoren nur bei intakter Rotatoren- manschette möglich, hohes Risiko einer Redis- Professor Dr. Joachim Grifka lokation der Tubercula- Privatdozent Dr. Felix Greimel Fragmente Dr. Daniel Boluki MUDr. Lukas Parik Operative Reposition Inverse Total- endoprothese Orthopädische Klinik für die Universität und Osteosynthese Konservative Therapie Konservative Therapie Winkelstabile Platte, Bei älteren Patienten mit Regensburg im Asklepios Klinikum defekter Rotatorenman- Nagel, K-Drähte schette Therapie der Wahl Bad Abbach, Kaiser-Karl-V.-Allee 3, 93077 Bad Abbach Diagramm 70 Bayerisches Ärzteblatt 3/2021
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