Rainer Maria Rilkes Gedicht "Der Panther" in Deutscher Gebärdensprache
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dolm e t s c h e n Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Panther“ in Deutscher Gebärdensprache Einblick in die Entstehung zweier Translate Von renate fischer, caren dietrich und melanie rossow Im zweijährigen EU-Projekt „Sign- l Österreichische Gebärdensprache: bärdensprachen online ‚lesbar‘ sind. Library“ wurde Literatur in vier ver- – Mira Lobe, mit Illustrationen von Die zwölf im Rahmen des Projektes schiedene Gebärdensprachen über- Susi Weigel, Das kleine Ich bin ich. realisierten Werkübertragungen sol- tragen; die „SignLibrary“ ist die ers- – Franz Kafka, Die Verwandlung. len nicht die einzigen bleiben – der te europäische online-‚Bibliothek‘ – Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte. Community-Bereich der Website gibt mit Literatur, die in Gebärdenspra- – Verein Kinderhände, Die Wunder- GebärdensprachbenutzerInnen die chen übersetzt wurde. Die Univer- lampe. Möglichkeit, eigene Erzählungen und sität Hamburg war mit dem Projekt l Slowenische Gebärdensprache: weitere Werkübertragungen einzu- von Prof. Dr. Renate Fischer daran – Fran Levstik, Martin Krpan. stellen (zugänglich über http://www. beteiligt, in dem das Gedicht „Der – Smiljan Rozman, Cudezni pisalni signlibrary.eu/signlibrary-access-to- Panther“ von Rainer Maria Rilke be- strojcek. worlds-literature-in-sign-language). arbeitet wurde. Es war das einzige l Ungarische Gebärdensprache: Selbstverständlich eignet sich „Sign- 162 DZ 87 11 Teilprojekt, das ein Gedicht in den – Antoine de Saint-Exupéry, A kis Library“ auch für eine kreative Nut- Fokus stellte und damit die sprach- herceg [Der kleine Prinz]. zung durch hörende Interessierte; die lichen Aspekte der Übertragung – Molnár Ferenc, A Pál utcai fiúk Übertragung des Gedichts „Der Pan- betonte. Außerdem wurde in die- [Die Jungen von der Paulstraße]. ther“ wird z. B. integriert in ein dem- sem Teilprojekt der Zugang gehör- nächst erscheinendes Handbuch (mit loser Menschen zu den Varianten Das mit Unterstützung der Europä- DVD) für Hörendenschulen. des geschriebenen Deutsch reflek- ischen Kommission finanzierte Pro- Für Erweiterungen bietet das Pro- tiert und Materialien für die Bear- jekt hatte sieben beteiligte Partner- jekt nachhaltige Unterstützung an. In beitung im Rahmen des „DaZiel“- einrichtungen: einem Handbuch für die Filmproduk- Kurses erstellt, sodass das Teilpro- l Deutschland: tion („SignLibrary Guidelines“, zugäng- jekt das Charakteristikum der Nach- – Gebärdenfabrik, Berlin lich über http://www.signlibrary.eu/ haltigkeit aufweist. – Universität Hamburg signlibrary-access-to-worlds-literature- l Österreich: in-sign-language) werden zu verschie- – equalizent Schulungs- und Bera- denen Themen Erfahrungen und Das EU-Projekt „SignLibrary“ tungsGmbH, Wien Tipps mitgeteilt, u. a. zur Literatur- (2008–2010) – queraum Kultur- und Sozialfor- auswahl und zu Übersetzungsstrate- schung, Wien gien (Kapitel 3, „Pre-Production: Lite- Das europäische Projekt „SignLibra- l Slowenien: rature and translation“). ry“ startete 2008; es ist seit Kurzem – AURIS Association for the Deaf Hinsichtlich der Literaturauswahl erfolgreich abgeschlossen. Seine Er- and Hard of Hearing, Kranj sollten im Projekt „SignLibrary“ ur- gebnisse sind frei zugänglich und he- – Racio Human Capital Develop- sprünglich Texte der Weltliteratur runterladbar über die Adresse http:// ment Company, Celje übertragen werden. Es stellte sich je- www.signlibrary.eu. Die im Rahmen l Ungarn: doch heraus, dass je nach Land, Schul- dieses Projektes in verschiedene Ge- – SINOSZ Association for the Deaf situation, Lehrplänen etc. eine Aus- bärdensprachen übersetzte Literatur and Hard of Hearing, Budapest wahl angemessener sein kann, die die beinhaltet folgende Werke: Situation jedes Landes spiegelt. Schließ- l Deutsche Gebärdensprache: „SignLibrary“ ist die bisher einzige eu- lich sollte es das Ziel des Projektes sein, – anon., 1001 Nacht. ropäische ‚Bibliothek‘, die nicht mit GebärdensprachbenutzerInnen mit – Brüder Grimm. Büchern oder sogenannten Hörbü- der sie umgebenden Situation ‚der‘ – Barbara Kindermann, Johann chern, sondern mit ‚Sehbüchern‘ bar- Hörenden vertrauter zu machen und Wolfgang von Goethe. rierefrei ausgestattet ist, da die Wer- ihnen den Zugang zu diesen kulturel- – Rainer Maria Rilke, Der Panther. ke, die sie enthält, in nationalen Ge- len Wissenswelten zu erleichtern. Da- Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen her finden sich unter den nun fertig- Das Ergebnis, gebärdet von Stefan den Übertragenden Stefan Gold- gestellten Übertragungen neben Tex- Goldschmidt, ist zugänglich über die schmidt und Simon Kollien einen Fach- ten der Weltliteratur auch eher regio- Sites von „SignLibrary“ (Der Panther, austausch darüber, welchen Prinzipien nal relevante Beiträge. http://www.signlibrary.eu) und „Da- sie bei der Erstellung ihrer jeweiligen Es bleibt zu hoffen, dass die Exis- Ziel“ (Film 40, http://www.sign-lang. Version des Rilke-Gedichtes (Film 40 tenz (und Nutzung) der Online-„Sign uni-hamburg.de/daziel/filme/film_ und Film 41) gefolgt sind. Library“ dazu beiträgt, das Bewusst- 40/film_40htm). Der Film 43 (http://www.sign- sein für die minderheitensprachliche Zweitens sollte auch der deutsche lang.uni-hamburg.de/daziel/filme/ Situation der Gehörlosengemeinschaf- Ursprungstext den Gebärdensprach film_43/film_43htm) zeigt die Mu- ten zu stärken. Dass dies nicht selbst- benutzerInnen nahegebracht wer- seumsführerin Martina Bergmann verständlich ist, zeigte der Kommen- den. Dafür wurde eine zweite gebär- vor zwei Gemälden der Hamburger tar zur Projekt-Präsentation auf der dete Fassung erstellt, die nun aller- Kunsthalle aus dem 19. Jahrhundert, Frankfurter Buchmesse im Herbst dings nicht poetologisch motiviert die sie einem gehörlosen Publikum 2010, demzufolge „SignLibrary“ „Klas- ist, sondern als Verstehenshilfe für erläutert. Beide Gemälde greifen die siker der Weltliteratur auch für lese- den Originaltext in einer Kombina- Problematik Freiheit und Gefangen- faule Gehörlose zugänglich“ mache tion aus LBG und DGS durch Simon schaft von Tieren auf; sprachlich han- DZ 87 11 163 (http://www.news.de/print/ Kollien angefertigt wurde und als delt es sich um eine weitere Varietät 855075161/buecher-in-gebaerden- Film 41 über die „DaZiel“-Site einseh- der DGS. sprache/ (11. 10. 2010)). bar ist (http://www.sign-lang.uni- Waren alle bislang angeführten hamburg.de/daziel/filme/film_41/ DGS-Texte (mit Ausnahme des me- Das Teilprojekt zu Rilkes film_41htm). tasprachlichen Films 42) als mono- Gedicht „Der Panther“ Drittens geschieht die Einbettung logisch zu bezeichnen, so zeigt der des Rilke-Gedichtes in die „DaZiel“- letzte Film 44 (http://www.sign- Das Hamburger Teilprojekt unterschei- Kursmaterialien mit dem didakti- lang.uni-hamburg.de/daziel/filme/ det sich in mehreren Hinsichten von schen Ziel, eine Lektionsreihe zu er- film_44/film_44htm) Kommunika- den übrigen Teilprojekten der „Sign stellen, in der der soziokulturelle Kon- tionsverhalten in DGS. Beitragende Library“. Der wesentliche Faktor ist die text von Lese- und Schreibfähigkeit sind Martina Bergmann und die Teil- Verbindung dieses Beitrags mit dem berücksichtigt und Probleme spezi- nehmerInnen der von ihr veranstal- Bildungsprojekt „DaZiel“ (Deutsch als fisch schreibsprachlicher Kompeten- teten Museumsführung, die zugleich Zielsprache für gehörlose Arbeitneh- zen behandelt werden (Lektion 7C Mitglieder einer „DaZiel“-LernerIn- merInnen, http://www.sign-lang.uni- und folgende). Es geht hier also auch nengruppe sind. hamburg.de/daziel). um Thematiken wie Stil, gespro- Viertens und abschließend sei die Erstens war es das erklärte Ziel, chenes vs. geschriebenes Deutsch, Thematik des in einem Zookäfig see- auf die sprachliche Realisierung der Sprachvariation (Nähe- und Distanz- lisch sterbenden Panthers hervorgeho- Übertragung besonderes Augenmerk sprache) in DGS bzw. Deutsch und ben. Ob sie von den „DaZiel“-Verwen- zu legen; die Kürze eines Gedichtes, kulturelle Aspekte von Oralität und derInnen als Einladung zur Reflexion zugleich sein Spezifikum der Sinn- Literalität. Die für die „SignLibrary“ eines der Freiheit beraubten Lebens und Erfahrungsdichte, erschien hier erstellte poetisch-gebärdensprachli- von Tieren und Menschen wahrge- als materielle Voraussetzung einer che Übertragung (Film 40) erhält im nommen wird, muss die Erprobungs- solchen anspruchsvollen Umsetzung. Rahmen des „DaZiel“-Projektes somit phase der Lektionen erweisen. Rilkes Gedicht „Der Panther“ ist Welt- eine besondere Nachhaltigkeit, da die Für die poetische Übertragung in literatur und in vielen Sprachen viel- Rezeption um verschiedene Dimen- DGS bietet das Gedicht bemerkens- fach anthologisiert, sein Verfasser ei- sionen der Reflexion erweitert wird, werte Herausforderungen: Der Käfig, ner der berühmtesten Lyriker der unterstützt durch die Filme 41–44. in dem der Panther stirbt, ist eine spe- deutschen Sprache. Ziel war es, eine So führen in Film 42 (http://www. zielle Topografie und zugleich eine Übertragung in poetische Deutsche sign-lang.uni-hamburg.de/daziel/ Raummetapher für das zurichtende Gebärdensprache (DGS) zu erstellen. filme/film_42/film_42htm) die bei- Verhalten von Menschen gegenüber Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolm e t s c h e n Tieren (vgl. Bujok 2010). Das einzige finitorisch zu fassen sei. Auf jeden Faktoren bestimmt. Der Übersetzer Lebewesen des Textes ist zudem der Fall zeichnen sich Gedichte, als eine trifft seine Wahl zwischen verschie- Panther selbst, womit das Gedicht ge- besondere Form der Distanzsprache, denen möglichen Interpretationen radezu dazu einlädt, es ausschließ- durch Sinnverdichtung aus, die ein des Ausgangstextes sowie verschie- lich mittels einer Art experimenteller großes Interpretationspotenzial be- denen denkbaren Realisierungen in Constructed Action (CA) zu realisie- inhaltet. Besonderheiten des Gedich- der Zielsprache. Einen weiteren Ein- ren.1 Das seelische Sterben des Pan- tes gegenüber gesprochener Sprache fluss auf die Übersetzungsstrategie thers ist dafür eine spezielle Heraus- sind bspw. Rhythmus, Reim und poe- haben Vorentscheidungen wie z. B. forderung, denn seelischer Tod äu- tische Sinnbilder. Die Bedeutung ei- über den Verwendungszweck des ßert sich nicht über ‚Action‘. nes Gedichtes setzt sich nicht nur aus Translats (vgl. Film 40 im Unterschied der Bedeutung der sprachlichen Ein- zu Film 41). Jede Übersetzung bleibt Konzeptionelle Grundlagen zelzeichen, sondern auch aus ihrer wie das Original ein Unikat. Eben- des Übersetzens künstlerischen Kombination zusam- so wie das Verfassen des Ausgangs- men, die völlig neue Assoziationen textes ist auch die literarische Über- Literarische Übersetzungen können und Vorstellungen schaffen kann. setzung ein künstlerischer Schaf- 164 DZ 87 11 die Basis für interkulturellen Aus- Bei der (literarischen) Überset fensprozess, der durch Reflexion und tausch und für kulturelle Sprachmitt- zung besteht für ÜbersetzerInnen wiederholte Überarbeitung des Tex- lung bilden. Das Projekt „SignLibrary“ der Konflikt zwischen der Bindung tes geprägt ist. Nach der Erstellung legt den Schwerpunkt insbesondere an den ausgangssprachlichen Text eines Übersetzungsentwurfs dient darauf, gehörlose Menschen durch und derjenigen an die kulturellen die Überarbeitung der schrittweisen die Bereitstellung von Translaten und sprachlichen Erwartungen der Annäherung an das selbstgesetzte über die Kultur der umgebenden hö- zielsprachlichen RezipientInnen. sprachliche und poetische Ziel. Das in renden Mehrheitsgesellschaft zu in- Generell gibt es die translationswis- Film 42 festgehaltene Gespräch zwi- formieren. Translationswissenschaft- senschaftliche Diskussion, ob eine schen Simon Kollien und Stefan Gold- lich gesehen, haben die unterschied- Translation retrospektiv, d. h. am Aus- schmidt gibt Einblick in diesen Schaf- lichen Teilprojekte dabei verschiede- gangstext orientiert, oder prospek- fensprozess. ne Herangehensweisen verfolgt. Das tiv, d. h. an Zielsprache und -kultur, Die Möglichkeiten der ‚spieleri- Hamburger Teilprojekt verfolgte das also auf den Zieltext fokussiert, zu schen‘ poetischen Verwendung von doppelte Ziel, zu Rilkes Gedicht ein erfolgen habe. Die beiden Transla- Gebärden- und Lautsprache unter- gebärdetes Translat zu erstellen, das te des Rilke-Gedichtes veranschau- scheiden sich. Eventuelle Äquivalen- den deutschen Originaltext zugäng- lichen diese Übersetzungsstrategien zen sind bisher kaum bekannt, zumal lich macht, und ein weiteres Trans- und -funktionen: Die poetische Adap- diese Mittel und die Textsortenkon- lat, das ein poetisches Äquivalent in tation (Film 40) ist prospektiv, die di- ventionen der Zielsprache DGS wenig DGS bilden sollte, das also Form und daktisch motivierte (Film 41) ist ret- untersucht und systematisiert sind. Inhalt des Gedichtes stimmig vereint. rospektiv. Diskutiert werden bspw. der Einsatz Da es sich bei Gedichten weder Es gibt keine allgemeingültigen gleicher Handformen und die beid- um Gebrauchstexte noch um sponta- Regeln, wie ein Gedicht zu übersetzen händige Gebärdenausführung. Als ne Rede handelt, sondern um ‚Kunst- sei; der Übersetzungsprozess wird weiteres poetisches Mittel gilt die sprache‘, die sich von den üblichen von unterschiedlichen subjektiven sogenannte V-V2, die experimentel- syntaktischen, strukturellen und se- mantischen Merkmalen befreit, stellt 1 Bei einer früheren Gelegenheit haben Renate Fischer, Stefan Goldschmidt und Simon die Translation eines Gedichtes eine Kollien bereits gebärdensprachliche Spezifik auf einen poetischen Text übertragen. Eine besondere Herausforderung dar – ASL- und eine DGS-Fassung des Shakespeare-Sonetts 130, die dieses Team erstellte, brach- te gebärdensprachliche Ausführungsaspekte im Sinne der Alltagsmetaphorik von Lakoff ohne dass, bei der Existenz einer Viel- & Johnson (1998) zum Einsatz; das Sonett wurde ‚sichtbar‘ als ein Text über ‚Lady‘ Gebär- zahl unterschiedlicher Theorien und densprache (vgl. Fischer, Goldschmidt & Kollien 2009). Ausdrucksformen, abschließend ge- 2 Die Gebärde V-V besteht aus der räumlich versetzt wiederholten V-HF und steht für va- klärt werden könnte, wie Poesie de- riierende englische Wörter: Visual Virtuality, Vernacual-Visual oder auch Virtual Visual. Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen Rainer Maria Rilke ler CA ähnelt oder mit ihr identisch Der Panther ist (Forschungen hierzu stehen aus). Im Jardin des Plantes, Paris Der Künstler schlüpft ähnlich wie in CA in eine Rolle. Experimentelle Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe CA haben wir zum zentralen poeti- so müd geworden, daß er nichts mehr hält. schen Element unserer Adaptation Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe bestimmt, auf die wir nun im Einzel- und hinter tausend Stäben keine Welt. nen eingehen. Zur besseren Nachvollziehbar- Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, keit der Ausführungen sei zunächst der sich im allerkleinsten Kreise dreht, das Werk Rilkes im Original bereit- ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, gestellt (vgl. Extrarahmen; im Inter- in der betäubt ein großer Wille steht. net zugänglich z. B. über http://rainer- maria-rilke.de/080027panther.html). Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein, „Der Panther“: Adaptation in geht durch der Glieder angespannte Stille – DZ 87 11 165 poetischer DGS und hört im Herzen auf zu sein. Nach der Auswahl des zu übersetzen- den literarischen Textes bestand für das Team die Aufgabe in der Erarbei- gen mit Klassifikatorkonstruktionen und dennoch variiert der Gesichts- tung grundlegender Übersetzungs- und ggf. Mundgestik zu beobachten ausdruck, insbesondere im Augen- strategien. Das, was in der Schlussfas- sind. Die translatorische Herausfor- bereich. Die Verzweiflung findet so- sung der poetischen Adaptation des derung bestand in der gezielten Über- mit auch auf anderen Wegen ihren Gedichtes so ‚natürlich‘ oder selbst- arbeitung hin zu einem vollständi- Ausdruck. Auch die Handlungen des verständlich wirkt, ist das Ergebnis gen Verzicht auf Lexeme und zu ei- Panthers sollten nicht wie mensch- eines langen Prozesses, in dem nicht ner weitgehenden Reduktion von liche Handlungen (z. B. im Gebrauch weniger als elf verschiedene Trans- Klassifikatorkonstruktionen inner- der vorderen Extremitäten) aussehen. latentwürfe und zahlreiche Varian- halb der gesamten Adaptation. Da- Die Abbildung 1 zeigt Stefan Gold- ten einzelner Abschnitte entstanden. durch bekommt das Produkt einen schmidts eindrucksvolle Nachah- ganz eigenen Charakter, der sich von mung katzenhafter Bewegung. Grundlegende Übersetzungs alltagssprachlicher DGS unterschei- strategien det; wir wollen es als poetische ‚ex- perimentelle CA‘ bezeichnen. Das spezielle Forschungsinteresse ‚CA Die durch die experimentelle CA in DGS‘ (vgl. Fischer & Kollien 2006a verkörperte Referenzentität ist im ge- und b; 2009; 2010) bestimmte die samten Gedicht gleichbleibend der Entscheidung, eine CA-basierte poe- Panther, dessen ausweglose Lebenssi- tische Fassung zu erstellen. tuation Thema des Gedichtes ist. Eine Die ersten Translatentwürfe wa- wichtige Zielsetzung war, die Rolle ren noch stark von der alltagssprach- des Panthers nicht anthropomorph lichen Verwendung dieses sprach- zu gestalten. Daher zeigt der Panther lichen Mittels geprägt, bei der sich in der Adaptation z. B. keine mensch- eine CA als prädikatives Element mit liche Mimik der Traurigkeit. Vielmehr lexikalischen Mitteln der Referenz steht der Mund leicht offen wie bei ei- und Prädikation sequenziell verbin- ner Großkatze, Stefan Goldschmidts det und simultane Parallelisierun- Gesichtsbewegungen sind minimal, Abb. 1 – Endfassung Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolm e t s c h e n Somit weisen das Gedicht und seine Adaptation Stilmittel auf, die sich wesentlich voneinander unter- scheiden. Für den in der Adaptation vorherrschenden Modus des Zeigens mittels experimenteller CA sind dies: l die Verkörperung einer Großkatze, bei der die Grenzen des Gebärden- raums gewahrt werden; l der Parameter der Bewegung; deren Richtung verläuft grundsätz- lich quer zur Kommunikationsach- Abb. 2 und 3 – Endfassung se, wie auch im Refrain zu sehen; dramatische Höhepunkte sind da- ten, Gefühle, Zustände und Vorgän- Die erste Strophe gilt dem Thema gegen auf der Kommunikations- ge werden dadurch nicht bezeich- ‚Gefangenschaft‘, die zweite dem The- 166 DZ 87 11 achse angesiedelt; net; die Inhalte des Gedichtes müs- ma ‚Kampf‘ und die dritte dem Thema die Geschwindigkeit der Bewegung sen in eine Form der Zeigbarkeit ge- ‚Seelentod‘. Jedes Thema erhält in die- ist im Refrain gleichbleibend und bracht werden. Es ist aber auch nur ser poetischen Adaptation – das sei als im Vergleich mit den dramatischen das ausdrückbar, was zeigbar ist. letztes grundlegendes Strukturprinzip Höhepunkten beschleunigt; Daher kann auf klassifikatorähnli- angeführt – sein sprachliches Form deren Art lässt sich wie folgt unter- che Formen nicht gänzlich verzich- element durch eine spezifische, bedeu- scheiden: tet werden; ohne sie könnte der Re- tungshaltige, ‚zeigende‘ Handform. – Laufbewegungen des Panthers ferent nicht in einer Umgebung ge- Ausgewählte Übersetzungsbei- (Refrain); zeigt werden. Diese Spezifik der poeti- spiele sollen im Folgenden einen Ein- – gerade Bewegungen (horizon- schen experimentellen CA bildet den blick in den Entstehungsprozess der tal oder vertikal), die für die be- wesentlichen Unterschied zur nicht- Adaptation geben. schränkenden Aspekte der Situa- poetischen DGS, in der sich die Modi tion stehen; des Sagens und Zeigens sequenziell Gefangenschaft – schwingende Bewegungen (des und simultan verbinden. Oberkörpers und als Eigenbewe- Neben dem gleichbleibenden Sur- Das Translat (Film 40) zeigt die ers- gung der Finger), die für den As- rogat-Charakter der Referenzentität te Strophe mit zwei spezifischen pekt des lebendig Totseins ste- bilden die sich wiederholenden Lauf- Handformen (HF). Dabei handelt es sich hen; sequenzen ein weiteres Strukturele- zum einen um die S-HF und zum ande- l der Parameter der Handform; ment der Übertragung in poetische ren um die 4-HF (vgl. Abb. 2 und 3), die sie ist für jede der drei Strophen DGS. Sie fungieren sowohl als verbin- ein Gefängnis aus „tausend Stäben“, spezifisch und bedeutungstragend. dendes als auch als trennendes Ele- ohne Aussicht auf ein Entkommen mit ment und können als ein im Unter- Überkreuzung der 4-HF, charakterisie- Die Sequenzen aus experimenteller schied zum Original gebildeter Ref- ren. Der nicht-fixierende Blick und die CA (einschließlich der dazugehöri- rain interpretiert werden. Sie geben wiederholt vor dem Gesicht vorbeizie- gen Mimik) stellen die zentrale Re- der Adaptation zum einen einen fes- henden Hände vermitteln den Sinn von ferenzentität des Panthers als „sur- ten Gesamtrahmen, indem sie das „hinter tausend Stäben keine Welt“. rogate“ (vgl. Liddell 2003, 141 ff.) in Translat eröffnen und schließen. Zum Der Wechsel der Handformen in- den Interaktionsraum und erzeugen anderen erzeugen sie als wiederkeh- nerhalb dieser Strophe ist semantisch eine starke emotionale Qualität. CA rende Sequenzen eine gewisse Stro- begründet. Die zunächst gewählte al- zu benutzen bedeutet, dass die Dar- phenhaftigkeit und grenzen die drei leinige 4-HF zeigt das dem laufenden stellung ausschließlich im Modus ‚inneren Themen‘ der Strophen struk- Panther unendlich scheinende Git- des Zeigens erfolgt. Referenzentitä- turell voneinander ab. tergefängnis, stellte sich aber ohne Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen lexikalische Einführung als missver- talen Ausrichtung des Darstellen- ständlich heraus. Daher wurde die den auf der Kommunikationsachse klassifikatorähnliche S-HF zusätzlich ein, auf der er sich dem Betrachter in einbezogen, die hier in Verbindung einer großkatzenhaften Bewegung mit der vertikalen Abwärtsbewegung nähert („der weiche Gang geschmei- auf Stäbe zu verweisen vermag. dig starker Schritte“), bevor die Vor- In den ersten Versionen hatte der wärtsbewegung „betäubt“ abgebro- Übertragende noch auf die lexikali- chen wird. Das zentrale Gestaltungs- sche Bezeichnung der Einzelstäbe (Le- mittel dieser zweiten Strophe ist die Abb. 4 – Entwurf 2 xem mit beidseitiger F-HF, vgl. Abb. 4) S-HF. Sie steht für den kraftvollen zurückgegriffen. und dennoch vergeblichen Kampf Als nicht-lexikalische Alternative gegen die Begrenzung und weiter- dazu wurde der Klassifikator mit 1-HF hin für die Stäbe des Gefängnisses ausprobiert und mit dem semanti- (vgl. Abb. 5). schen Einwand verworfen, dass die- Diese S-HF eignet sich durch ihre se Handform bei einem unüberwind- formale Nähe zum Lexem KRAFT be- DZ 87 11 167 baren Gefängnis als zu „fein“ und zu sonders gut, um assoziativ den kraft- „schwach“ wirke. vollen Kampf zu vermitteln. Kombi- Die schließlich ausgewählte S-HF niert mit dem typischen gebärden- (vgl. Abb. 2) stellt einen Kompro- sprachlichen Mittel, die (ankämp- miss dar: Einem Klassifikator ähn- fende) Bewegung dreimal auszufüh- lich vermag sie Einzelstäbe anzudeu- ren, entsteht ein Spannungsbogen ten, ohne Lexem zu sein, und sie ist mit sich steigernder Intensität, bis ein Vorbote auf die in der zweiten der Panther von einer äußeren Macht Strophe zentrale Handform, die den (vgl. linkshändig in Anlehnung an Kampf des Panthers symbolisiert. Abb. 5 – Endfassung das Lexem MACHT) in seine Gefan- Die ausweglose Situation des genschaft (vgl. die gekreuzten Hän- im Käfig gefangenen Panthers wird de mit S-HF) und in seine ausweglo- durch weitere sprachliche Mittel vi- Panther bäumt sich mit seiner leben- se Situation (vgl. das Absinken in die sualisiert. Dazu gehört die in der ers- digen Kraft auf und unterliegt doch Refrainbewegung) zurückgeschlagen ten Strophe quer zur Kommunika- den lähmenden Umständen. Die wird (vgl. Abb. 6–8 für die Phasen des tionsachse verlaufende Bewegungs- Dramatisierung setzt mit der fron- Kampfes). richtung; sie thematisiert das Ein- geschlossensein des Panthers als Grundmotiv, das im Refrain ständig reaktualisiert wird. Die Körperaus- richtung wechselt nicht in eine fron- tale Position; Ausnahme ist die leich- te Kopfwendung während der Pro- duktion der S-HF – ebenso wie diese ein Vorbote auf die zweite Strophe. Kampf In der zweiten Strophe stellt die Ad- aptation dramatisierend das The- ma ‚Kampf‘ in den Mittelpunkt – der Abb. 6 bis 8 – Endfassung Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolm e t s c h e n Seelentod Die dritte und letzte Strophe trägt das Thema ‚Seelentod‘ („und hört im Her- zen auf zu sein“) – „ein großer Wille“ ist gebrochen. Die Übertragung die- ser Strophe erwies sich als äußerst schwierig und zeitintensiv; die Dis- kussion der vier Zeilen innerhalb des Teams beanspruchte mit Abstand die meiste Vorbereitungszeit. Zahl- Abb. 9 – Entwurf 3 Abb. 10 – Entwurf 3 reiche Ideen, die anfänglich Gefal- len fanden, wurden anschließend Schwierigkeit darin, deutlich zu ma- das im Widerspruch zum Zustand des wieder verworfen. Die Frage laute- chen, wie dieses Bild „durch der Glie- Seelentods steht. Diese Überlegungen te, wie man das Konzept ‚Seelentod‘ der angespannte Stille“ zu gehen ver- führten die Beteiligten schließlich zu 168 DZ 87 11 gebärdensprachlich umsetzen kann. mag. Das „Bild“ erhält im Original- einem weiteren Übertragungsvor- Die Strophe beginnt in der Ad- gedicht eine (pseudo-)aktive Rolle schlag. Hier trifft das ankommende aptation wie die zweite Strophe mit („geht durch ...“, „hört im Herzen auf Bild (L-HF rechtshändig) auf das einer Frontalausrichtung des Pan- zu sein“), für die sich keine anspre- durch die S-HF (linkshändig) ver- thers auf der Kommunikationsach- chende gebärdensprachliche Umset- sprachlichte Herz und prallt tau- se. Die großkatzenhafte Bewegung zung fand. So wurde bspw. erwogen, melnd daran ab (vgl. Abb. 10). ist nun allerdings einem Gleiten wie die rechte L-HF sich über den linken Da es aber im Ausgangstext heißt: in Trance gewichen, das durch einen Arm bewegen zu lassen, jedoch stell- „Dann geht ein Bild hinein, geht starren reflexartigen Blick komplet- te sich dabei nicht der Effekt eines durch der Glieder angespannte Stil- tiert wird. Sinnbilds ein. le“, schien auch dieser Versuch kei- Das Originalgedicht spricht dann Dem Gedichtsinn widersprechend, ne wirkliche Entsprechung darzustel- von einem „Bild“, das „durch der Glie- jedoch gebärdensprachlich gut reali- len und wurde wieder verworfen. Die der angespannte Stille (geht)“ und sierbar wäre die aktive Rolle des Pan- Endfassung (vgl. Abb. 11 und 12) zeigt „im Herzen auf(hört) zu sein“. thers, der ein „Bild“ aufnimmt. Ein nun ein luftig entgegenkommen- Die Abbildung 9 zeigt eine län- aktives Wahrnehmen oder Aufneh- des, nicht spezifiziertes Etwas (5-HF ger diskutierte Realisierungsvarian- men des Bildes beinhaltet ein kogni- beidhändig mit Fingerspiel), das in te. Orientiert an der gebärdensprach- tives und auch seelisches Erfassen, schwingender Bewegung (s. oben) in lichen Möglichkeit, eine Erinnerung oder kognitive Vorstellung mittels eines ‚Bildes‘ auszudrücken (beide Hände in L-HF formen ein Rechteck, das ein Bild symbolisiert, normaler- weise als entstehendes Bild seitlich in Kopfhöhe platziert), zeigt der Ent- wurf 3 (vgl. Abb. 9), wie der Panther das „Bild“ erblickt, das nach räumli- cher Annäherung schließlich in ihn hineingeht. Gegen diese gebärdensprachliche Variante war zunächst nichts einzu- wenden, jedoch bestand im weite- ren Verlauf die gebärdensprachliche Abb. 11 und 12 – Endfassung Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen den Panther hineingeht und in der er- „Der Panther“: Übertragung in starrten Haltung der Großkatze endet LBG/DGS zu didaktischen (5-HF beidhändig ohne Fingerspiel). Zwecken und Vergleich der Zu den verworfenen Überlegun- Fassungen gen zählte für diesen Gedichtab- schnitt auch die Idee eines sich auf- Das zweite Translat (realisiert durch schiebenden Gitters (als Wiederauf- Simon Kollien in Film 41) verfolgt nahme der Stäbe aus der ersten Stro- gänzlich andere Ziele als das erste. phe, in 5-HF beidseitig; vgl. Abb. 13). Hier soll den gehörlosen Teilnehme- Die linke 5-HF wird dann zur Tat- Abb. 13 – Entwurf 7 rInnen des „DaZiel“-Kurses und an- ze des Panthers in Kombination mit derweitig Interessierten das deutsche einem zunächst schneller und an- Originalgedicht nachvollziehbar ge- schließend immer langsamer schla- macht und, wie durch eine Verste- genden Herzen (Faust rechtshändig, henshilfe, nahegebracht werden. vgl. Abb. 14). Man könnte vermuten, dass sich Abgeschlossen wird dieses ge- eine LBG-Fassung des Rilke-Gedich- DZ 87 11 169 bärdensprachliche Bild von sich wie- tes für dieses Ziel am besten eigne. der zusammenschiebenden Gitter- Mit der Umsetzung in LBG sollen stäben, die für das Gefängnis stehen den RezipientInnen Charakteristika (vgl. Abb. 15). Diese Deutung orien- und Inhalte aus der Ausgangsspra- tiert sich jedoch zu konkret am Sinn- che nahegebracht werden. Hierbei bild des (äußeren) Gefängnisses. entsteht ein vom üblichen Sprachge- Alle Überlegungen zur Darstel- Abb. 14 – Entwurf 7 brauch (in Deutsch wie auch in DGS) lung eines ‚Bildes, das bis ins Herz abweichender Text. Simon Kollien geht und dort zu sein aufhört‘, er- war sich sofort der Problematik be- gaben zunächst keine zufrieden- wusst: Eine Art Interlinear-Überset- stellende Adaptationsvariante. Das zung in LBG vermag es nicht, sinn- gänzliche Aufhören einer rhythmi- vermittelnd zu wirken. Er setzte da- schen Herzschlagbewegung (klop- her das Gedicht so um, dass er die Ge- fende 5-HF) wurde bspw. nicht als dichtzeilen zunächst in ‚textgetreuer‘ annehmbare gebärdensprachliche LBG-Visualisierung realisierte und Übertragung empfunden, da dies dann eine ‚textnahe‘ DGS-Überset- eindeutig einen Herzstillstand und zung anschloss: In Film 41 wird die damit den physischen Tod des Pro- Interlinear-Übersetzung in LBG nach tagonisten bedeutet hätte. In dieser jedem Sinnabschnitt durch eine Fas- letzten Strophe sollte dagegen die sung in sinnvermittelnder DGS ab- Abb. 15 – Entwurf 7 grauenhafte Doppelung von noch gelöst. Nach Auffassung des Teams bestehender körperlicher/äußerer ist dies eine sehr gute Form, um das Stärke des Tieres („der Glieder an- stand ist, der Seelentod. Das ist wie Originalgedicht, d. h. das Gedicht in gespannte Stille“) und innerer Lee- das Zeigen von etwas nicht Zeigba- seiner deutschen Form, einer DGS- re und Hoffnungslosigkeit („hört im rem; die reine Bewegungslosigkeit Sprachgemeinschaft nahezubringen Herzen auf zu sein“) zum Ausdruck ist dafür nicht ausreichend. (s. oben: retrospektive Übersetzung). gebracht werden. Von der gebär- Unsere Lösung bestand in der Es wäre jedoch ein Irrtum zu densprachlichen Realisation her lag Übernahme der typischen Bewegung denken, dass die LBG-DGS-Fassung die große Herausforderung darin, bei Hospitalismus. Es ist ein monoto- ohne Interpretation auskomme. Si- ein ‚Lebendig-tot-Sein‘ darzustellen nes, zielloses Schwingen zwischen Le- mon Kollien betont im Expertenge- – eine Bewegung also, die ein Still- ben und Tod. spräch (Film 42) mehrfach, dass auch Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolm e t s c h e n seine ‚wörtliche‘ Übersetzung selbst- verständlich von Interpretation, also Übersetzerentscheidungen, geprägt sei. Er thematisiert bspw. den „müd geworden[en]“ Blick des Panthers: Ist der Panther als müde zu zeigen oder vielmehr sein Blick, und was heißt das dann für die sprachliche Form? Soll das Lexem MÜDE benutzt wer- den oder eine Klassifikatorkonstruk- tion für den müde fallenden Blick? Simon Kollien thematisiert im Ex- Abb. 16a und b – Endfassung Abb. 17 – Endfassung pertengespräch ebenfalls, dass eine wörtliche Übersetzung „wie im Kin- dergarten“ wirken könne; die sprach- DGS-orientiert realisiert. Eine weite- Produkt kontaktlinguistischer Ein- 170 DZ 87 11 lich erzeugten Bilderwelten in LBG/ re Anpassung, die stark durch die re- flussgrößen. In der DGS-Version er- DGS und Deutsch sind unterschied- trospektive Funktion des Textes be- folgt daher eine weitergehende ziel- lich: Während im deutschen Original stimmt ist, stellt z. B. die Gebärde VO- sprachliche Anpassung, die in einer „der Vorhang der Pupille sich lautlos RÜBER („Sein Blick ist vom Vorüber- vor dem Auge ausgeführten zweihän- auf(schiebt)“, ohne dass dies albern gehn der Stäbe ...“) dar, die als ausge- digen, Öffnung symbolisierenden Ge- wirke, müsse der Übersetzer auch bei streckter Zeigefinger vor dem Gesicht bärde mit Handformänderung (Faust einer ‚wörtlichen‘ Übersetzung das ausgeführt wird und den Klassifikator > C-HF) besteht (vgl. Abb. 17). gebärdensprachliche Äquivalent erst für die Gitterstäbe des Käfigs bildet. In Mit den Filmen 40 und 41, unter- erarbeiten. „Nur manchmal schiebt der Vorhang stützt durch das Gespräch in Film 42, Die Übersetzerentscheidungen der Pupille sich lautlos auf“ wird die bietet sich somit eine wunderbare zeigen sich deutlich in der Nutzung Gebärde SCHIEB- nicht im neutralen Möglichkeit des Vergleichs von poeti- des Raums und der Umsetzung von Gebärdenraum, sondern den syntak- schem und nicht-poetischem Sprach- Richtungsangaben: Mit dem Ziel der tischen Regeln der DGS entsprechend gebrauch in DGS (Letzterer kontrastiert Verstehenshilfe werden die Gebärden vor dem Gesicht in Höhe des Auges durch eine zusätzliche LBG-Variante) für „hinein“ („Dann geht ein Bild hi- produziert (vgl. Abb. 16 a und b). gegenüber einem deutschen Original, nein“) und „hinter“ („hinter tausend Diese Übertragung bleibt dennoch hier dem Gedicht „Der Panther“. Wir Stäben keine Welt“) auch in LBG in ih- relativ abstrakt, es entsteht nicht möchten unseren Beitrag beschließen rer Ausführungsrichtung bereits an wirklich ein gebärdensprachliches mit einigen sprach- oder eher varie- den Sinn angepasst, d. h. eigentlich Bild – zu sehr ist die LBG-Fassung ein tätsvergleichenden Hinweisen. Abb. 18 (DGS) und 19 (DGS-poetisch) – Endfassung: Abb. 20 (DGS) und 21 (DGS-poetisch) Abb. 22 (DGS) und 23 (DGS-poetisch) – Endfassung: „der sich im allerkleinsten Kreise dreht“ – Endfassung: „Dann geht ein Bild hinein“ „und hört im Herzen auf zu sein“ Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen Bei der Produktion einer ‚wörtli- chen‘ DGS-Übersetzung erfolgt ein Balanceakt zwischen zwei Zielen: Es soll eine Verstehenshilfe geliefert, je- doch keine weitreichende Interpre- tation geboten werden, die die Rezi- pientInnen in ihren Deutungsmög- lichkeiten einschränkt. Die zur in- haltlichen Klärung verwendete er- gänzende DGS-Varietät (Abb. 18, 20, 22) unterscheidet sich deutlich von der in der poetischen Fassung (Abb. 19, 21, 23) präsentierten. Abb. 24 und 25 (DGS) – Endfassung Klassifikatorkonstruktionen bil- den einen wesentlichen Bestand- teil von Gebärdensprachen und fin- DZ 87 11 171 den sowohl in der poetischen Adap- tation als auch in der didaktischen Übertragung Verwendung. In Letz- terer werden sie jedoch durch Le- xeme eingeführt, die von Mundbil- dern begleitet werden, so wie die Klassifikatorkonstruktionen von Mundgestiken. Die Darstellung des gleichen Referenzobjekts (Stäbe) un- terscheidet sich somit in beiden Pro- duktionen (vgl. Abb. 24 und 25 gegen- über 26 und 27). Der deutsche Ausgangstext bein- Abb. 26 und 27 (DGS-poetisch) – Endfassung haltet eine Mischung von Perspekti- ven: die eines Beobachters und die des Panthers (ohne explizite Verbalisie- rung mittels „ich“). Dennoch entschei- den sich beide Übersetzer für die Über- nahme der Rolle des Panthers. Hiermit verdeutlichen sie, dass es sich bei CA um ein originäres gebärdensprachli- ches Mittel handelt, das auch poetisch genutzt werden kann. In der didakti- schen Fassung geschieht die Verwen- dung von CA in den üblichen Variatio- nen und zumeist in der parallelisier- ten Form (u. U. mehrfach parallelisiert, vgl. Abb. 28 und 29 für den schauen- den bzw. im Kreis laufenden Panther). In der poetischen Fassung dominiert die Rollenübernahme des Panthers, Abb. 28 und 29 (DGS) – Endfassung Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolm e t s c h e n Abb. 30 – Simon Kollien in LBG: „Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille / sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,“ 172 DZ 87 11 die maximal durch eine Klassifikator- Fazit Das im Rahmen des Projektes konstruktion begleitet wird. Insbeson- entstandene Filmmaterial beinhal- dere bei der Darstellung des laufen- Die hier vorgestellten Translate veran- tet über die Translate (Filme 40 und den Panthers ergeben sich hieraus an- schaulichen neben der inhaltlichen An- 41) hinaus ein im Anschluss an die dere perspektivische Eindrücke und näherung und zielsprachlichen Anpas- Übertragungen geführtes Experten- vermittelte Größendimensionen. sung verschiedene Problembereiche gespräch zwischen den gehörlosen Die Abbildungen 30, 31 und 32 des literarischen Übersetzens. Dazu ge- Übersetzern (Film 42), in dem ein zeigen abschließend eine etwas län- hört, das Translat als Ergebnis subjektiv Austausch über die unterschiedli- gere Textpassage aus der letzten Stro- getroffener Einzelentscheidungen im chen Entstehungsbedingungen, Vor- phe in ihren drei Realisierungen Übersetzungsprozess zu sehen. gehensweisen und sprachlichen Um- 3 Die zweite Abbildung zeigt das Gehen des Panthers und nicht das ‚Hinein- gehen‘ des Bildes. Abb. 31 – Simon Kollien in DGS3: „Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille / sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,“ Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen Jürg en Gutsch (Hg.): Will ia m Shakespeare’s sonnets for the first time globally reprinted. A quater centenary anthology (with a DVD). Dozwil: Edition SIGNAThUR, 597– 601 + zwei Filme auf DVD. Fis cher, Ren at e & Simon Koll ien (2010): „Gibt es Constructed Action in Deutscher Gebärdensprache und in Deutsch (in der Textsorte Bedeu tungserklärung)?“. In: Das Zeichen 86, 502–510. Lakoff, George & Mark Johnson (1998): Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Heidelberg. DZ 87 11 173 Liddell, Scott K. (2003): Grammar, ges- ture and meaning in American Sign Language. Cambridge u. a. Abb. 32 – Stefan Goldschmidt in poetischer DGS: „Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille / sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,“ i setzungen erfolgt. Dieses Gespräch – Zur Problematik des gesellschaft- kann, z. B. im Unterricht, für eine lichen Mensch-Tier-Verhältnisses“. metasprachliche Auseinanderset- Universität Hamburg. zung mit Variation in DGS genutzt Fis cher, Ren at e & Simon Koll ien Prof. Dr. Renate Fischer, werden. (2006a): „Constructed action in Institut für Deutsche Gebärden- Beide Translate sind konsequent DGS: Roses Aktions=Fragmente sprache, Universität Hamburg ihrer jeweiligen Textfunktion, d. h. (Teil I)“. In: Das Zeichen 72, 96–106. dem gesetzten Ziel, unterworfen. Fischer, Renate & Simon Kollien E-Mail: Renate.Fischer@sign- Trotz ihrer Unterschiede sind sie somit (2006b): „Constructed action in DGS: lang.uni-hamburg.de beide als adäquat einzustufen. Wel- Roses Aktions=Fragmente (Teil II)“. che emotionale Wirkung sie entfalten, In: Das Zeichen 74, 448–463. Caren Dietrich, Projektmitar- hängt von den RezipientInnen ab. Fischer, Renate & Simon Kollien (2009): beiterin „Constructed Action und Mundges tik in DGS: Lautmalerei und synäs E-Mail: carendietrich@gmx.de Literatur thetische Symbolisierungsverfah ren“. In: Das Zeichen 83, 464–478. Melanie Rossow, M. A., Projekt- Bujok, Melanie (2010): Der Käfig der Fischer, Renate; Stefan Goldschmidt mitarbeiterin Gesellschaft. Vortrag gehalten am & Simon Kollien (2009): „Shake 19. 10. 2010 im Rahmen der Ring- speare’s sonnet 130 in two sign E-Mail: melanie.rossow@ vorlesung „Es sind doch nur Tiere!? languages“. In: Manfred Pfister & googlemail.com Beitrag aus: DAS ZEICHEN 87/2011 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
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