MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - EIN MEDIZINISCHER LEITFADEN VON AO UNIV. PROF. DR. FRITZ LEUTMEZER
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Mehr verstehen. Mehr leben. Multiple Sklerose 25 Fragen und Antworten Ein medizinischer Leitfaden von ao Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer, Präsident der MS-Gesellschaft Wien
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser! Wien, Mai 2015 Die Broschüre „Multiple Sklerose 25 Fragen und Antworten“ soll über die Erkrankung, ihre Mechanismen und ihre Auswirkungen informieren sowie über die Behandlungs- möglichkeiten, die es zum jetzigen Zeitpunkt gibt. Die Fragen und Antworten, die Sie in der Broschüre finden, wurden nicht willkürlich erstellt, vielmehr sind sie das Ergebnis jahrzehntelanger Erfahrung, die der Autor und die Mitarbeiterinnen der MS-Gesellschaft Wien in unzähligen Gesprächen mit Patientinnen gesammelt haben, Fragen, die auch nach sorgfältiger ärztlicher Aufklärung immer wieder auftauchen können. Wenn Sie die Broschüre das erste Mal in den Händen halten, sind Sie vielleicht vor nicht allzu langer Zeit mit der Diagnose konfrontiert worden, oder Sie stehen einem Menschen mit MS nahe, oder Sie zeigen einfach Interesse an der Erkrankung. In jedem Fall kann die Broschüre weiterhelfen, denn sie vermittelt Wissen – und Wissen hilft! Mein Dank gilt unserem Präsidenten und Autor der Broschüre, der mit seinem Wissen und seinem Einsatz die Herausgabe einer inhaltlich neutralen medizinischen Informations- broschüre der MS-Gesellschaft Wien ermöglicht hat. Ebenso danke ich meinen Mitarbeiterinnen, die ihre Erfahrung und viel Engagement in das Projekt eingebracht haben. Layout und Druck wurde durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Firma Biogen ermöglicht, mein aufrichtiger Dank gilt den zuständigen Mitarbeiterinnen. Karin Krainz-Kabas, Geschäftsführerin Multiple Sklerose Gesellschaft Wien Über den Autor: Über die Herausgeberin: Fritz Leutmezer ist Präsident der MS-Gesell- Die Multiple Sklerose Gesellschaft Wien ist schaft Wien, Neurologe und arbeitet an der eine gemeinnützige Non-Profit-Organisation, Universitätsklinik für Neurologie am Allge- deren Aufgabe es ist, Menschen mit MS und meinen Krankenhaus in Wien sowie in eigener deren Angehörige durch Information, Bera- Praxis in Wien. tung und Betreuung zu unterstützen. Kontaktadresse: Kontaktadresse: ao. Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer Multiple Sklerose Gesellschaft Wien Herbagasse 5/35, 1090 Wien Hernalser Hauptstraße 15–17, 1170 Wien Homepage: www.neuro-logisch.at Tel. 01/409 26 69 | Email: office@msges.at Homepage: www.msges.at
INhaltsverzeichnis Was ist MS? Seite 4 1. Was ist die Ursache von MS? Seite 5 2. Wie häufig ist MS? Seite 5 3. Wie stellt man MS fest? Seite 6 4. Was sind die McDonalds Kriterien? Seite 10 5. Ist es wirklich MS oder kann es nicht auch etwas anderes sein? Seite 12 6. Welche Beschwerden treten bei MS auf? Seite 13 7. Wie wird MS bei mir verlaufen? Seite 13 8. Was ist ein Schub? Seite 15 9. Wie behandelt man einen Schub? Seite 16 10. Muss ich bei einem Schub Kortison nehmen? Was passiert, wenn ich darauf verzichte? Seite 16 11. Was sind immunmodulatorische Therapien? Seite 17 12. Was passiert wenn ich nicht sofort mit einer Immuntherapie beginne? Seite 20 13. Symptomatische Therapie Seite 21 14. Was kann die Komplementärmedizin für mich tun? Seite 22 15. Soll ich meine Ernährung umstellen? Seite 23 16. Brauche ich mehr Vitamine? Seite 23 17. Muss ich Sonne und Wärme meiden? Seite 24 18. Darf ich mich impfen lassen? Seite 25 19. Wie beeinflusst Stress die Erkrankung? Seite 26 20. Wirkt sich MS auf die Psyche aus? Seite 27 21. Ist MS vererbbar? Seite 28 22. Kann ich trotz MS schwanger werden? Seite 28 24. Wie finde ich die passende Ärztin? Seite 29 25. Wer hilft mir sonst noch weiter? Seite 29 Adressen Seite 30 Impressum Seite 32 Der Text dieser Broschüre ist aufgrund besserer Lesbarkeit in weiblicher Form geschrieben, es sind stets beide Geschlechter gemeint. 25 Fragen und Antworten
4 Was ist MS ? Multiple Sklerose gehört aus heutiger Sicht zu greifen über verschiedene Mechanismen direkt den Autoimmunerkrankungen. Das ist eine und indirekt die Nervenzellen an. Warum es Gruppe von Erkrankungen, in der das Immun- diesen Zellen gelingt, die Blut-Hirn-Schranke zu system in einer Art Überreaktion körpereige- überwinden ist nicht klar, möglicherweise könn- nes Gewebe in der irrigen Annahme angreift, te auch eine Störung dieser Blut-Hirn-Schranke dass es sich dabei um körperfremde Eindring- einen der für MS verantwortlichen Faktoren linge handeln könnte. Wenn das Immunsystem darstellen. Primäres Angriffsziel der Immunzel- in diesem Zusammenhang die Haut attackiert, len im Gehirn ist immer die Nervenhülle (das so- kann eine Schuppenflechte entstehen, bei genannte Myelin, daher ist auch oft von einer einem Angriff auf Gelenke kommt es zu Rheu- demyelinisierenden Erkrankung die Rede), ma und stellen Nervenzellen das Zielorgan dar, später wird dann auch das Innenleben der kann eine Multiple Sklerose entstehen. Nervenzelle (das Axon) beschädigt. Warum das Immunsystem körpereigene Zellen Immer, wenn eine solche Angriffswelle von Ent- irrtümlich angreift, ist nicht ganz klar. Nor- zündungszellen auf das Gehirn erfolgt, kommt malerweise werden weiße Blutkörperchen es zu einem Schub (das sind Beschwerden, die (T-Lymphozyten) im Blut und in den Lymph- Sie selbst und manchmal auch andere Personen knoten dann aktiviert, wenn Bakterien, Viren bemerken) oder zumindest zum Auftreten von oder andere Erreger in den Körper eindringen. Entzündungsflecken (Narben) im Gehirn, die Durch diese Aktivierungsvorgänge wird ein man nur mittels MRT-Bildern darstellen kann. rascher Angriff auf die Eindringlinge gestartet Man nennt dieses Stadium der Erkrankung auch und diese werden im Idealfall vernichtet. Bei „schubförmige MS“. Bei jedem dieser Entzün- MS kommt es möglicherweise zu einer Aktivie- dungsschübe entstehen aber wahrscheinlich rung von selbstzerstörerischen T-Lymphozyten, auch schädliche Substanzen, die sich im Laufe weil die Oberfläche von Nervenzellen eine täu- der Zeit im Gehirn ansammeln und im späteren schende Ähnlichkeit mit Erregern hat und quasi Verlauf der Erkrankung zu einem langsamen, fälschlich als fremd erkannt wird. Eine andere aber stetigen Absterben von Nervenzellen füh- Erklärung wäre, dass immer auch wenige auto- ren. Dieses Stadium, in dem die Entzündung aggressive T-Zellen im Körper unterwegs sind, nur mehr eine untergeordnete Rolle spielt, diese aber durch entsprechende Unterdrück- wird auch als sekundär chronisch progredien- erzellen unschädlich gemacht werden. Bei MS te MS bezeichnet, weil die Beschwerden nicht könnte die Funktion dieser Unterdrückerzellen mehr abrupt – in Schüben – auftreten, sondern gestört sein, sodass vermehrt T-Zellen gebildet es aufgrund des langsamen Absterbens der werden. Sobald diese T-Zellen aktiviert sind, Nervenzellen zu einer langsam-schleichenden durchdringen sie die normalerweise relativ Verschlechterung der Beschwerden kommt. dichte Schranke zwischen Blut und Gehirn und
5 1. Was ist die Ursache von MS? Es wird vermutet, dass MS durch eine Mi- schung aus genetischer Prädisposition und dem Einwirken bestimmter Umweltfaktoren in der Kindheit verursacht wird. Multiple Sklerose ist dabei keine klassische Erbkrankheit, bei der es ein einzelnes Gen gibt, das für das Entstehen der Erkrankung verant- wortlich ist und bei der man die Wahrschein- lichkeit ihres Auftretens bei den Kindern mit einer definierten Wahrscheinlichkeit vorher- sagen kann. Vielmehr gibt es eine lange Liste engen Zeitfenster vor der Pubertät einwirken, von Genen, die mit der Erkrankung irgendwie wie man aus Migrationsstudien weiß. Wandert zusammenhängen und oft individuell unter- ein Mensch aus einer Region, in der MS häufig schiedlich zusammenspielen müssen, um die ist, in eine solche aus, wo MS nicht vorkommt, genetische Veranlagung zu prägen. Dass die dann reduziert sich sein Erkrankungsrisiko Gene eine Rolle spielen, kann aber aus Beob- deutlich, wenn er vor der Pubertät auswandert achtungsstudien abgeleitet werden, die gezeigt und bleibt dagegen gleich, wenn er erst später haben, dass das Risiko für die Erkrankung bei emigriert. eineiigen Zwillingen etwa 30 % beträgt und für Kinder betroffener Eltern zwischen 2 und 4 % Nur wenn beides – genetische Disposition und liegt, während das Risiko in der Gesamtbevöl- Umweltfaktoren in einem engen Zeitfenster – kerung nur 0,1 % beträgt. vorhanden sind, dürften immunologische Me- chanismen in Gang gesetzt werden, die dann Ob dann bei einem genetisch veranlagten viele Jahre später zur Erkrankung führen. Menschen tatsächlich MS entsteht, hängt wahrscheinlich von Umweltfaktoren ab, die 2. Wie häufig ist MS? bis heute noch nicht zweifelsfrei identifiziert werden konnten. Vermutet werden Virusin- Generell tritt die Erkrankung in Ländern, die fektionen (wie beispielsweise die Erreger der nahe am Äquator liegen, fast gar nicht auf, klassischen Kinderkrankheiten), Ernährungs- während sie in Nordamerika und Europa am gewohnheiten, Vitamin D, aber auch die zu- weitesten verbreitet ist. In Österreich gibt es nehmend besseren hygienischen Verhältnis- geschätzte 10.000–12.000 Menschen mit MS. se, die dazu führen, dass das Immunsystem Frauen sind 3x häufiger betroffen und das typi- immer später mit Erregern konfrontiert wird. sche Erkrankungsalter liegt zwischen dem 20. Diese Umweltfaktoren müssen in einem relativ und 40. Lebensjahr, wobei die Erkrankung in 25 Fragen und Antworten
6 Einzelfällen auch bei Kindern und Menschen schon erste wichtige Hinweise: Handelt es über 60 Jahren erstmals auftreten kann. sich um einen ersten Schub oder gab es in der Vergangenheit schon welche, die unter Um- Warum die Erkrankung bei Frauen häufiger ständen von selbst wieder verschwunden sind auftritt und die Anzahl der Betroffenen vor und denen aus diesem Grund keine weitere allem unter den Frauen im Laufe der letzten Beachtung geschenkt wurde. Jahrzehnte weiter angestiegen ist, weiß man nicht sicher. Hormonelle Faktoren werden Im zweiten Schritt folgt nun die eigentliche ebenso diskutiert wie bestimmte Umwelt- neurologische Untersuchung, im Rahmen faktoren, wobei das bei Frauen in den letz- derer die verschiedenen von Gehirn und Rü- ten Jahrzehnten überproportional angestie- ckenmark gesteuerten Funktionen überprüft gene Rauchverhalten als eine der möglichen werden: Die Sinnesorgane inklusive der Haut, Ursachen diskutiert wird. die motorischen Funktionen (inklusive Kraft, Muskelspannung und Sehnenreflexe), die 3. Wie stellt man MS fest? Koordination und das Gleichgewicht sowie eine grobe Prüfung der höheren Hirnleis- Oft hört man, Multiple Sklerose sei eine tungen (Sprache, Gedächtnis, Aufmerksam- schwierig zu diagnostizierende Erkrankung. keit und andere), aber auch der psychischen Dies trifft aber nur für einen relativ kleinen Verfassung. Teil aller Patientinnen zu. Bei den meisten wird die Neurologin nach genauer Schilderung der Ziel dieser Untersuchung ist es einerseits, aktuellen und eventuell früher aufgetretenen den Ort der Entzündung im Gehirn und im Beschwerden, einer sorgfältigen neurologi- Rückenmark zu lokalisieren, wodurch der schen Untersuchung und unter Zuhilfenahme weitere Einsatz apparativer Untersuchungs- der Liquor- und MRT-Befunde die Diagnose methoden gezielt erfolgen kann. Andererseits stellen können. In manchen Fällen wird dies geht es darum, Hinweise auf früher stattgefun- nicht sofort möglich sein. Vor allem, wenn die dene Entzündungen zu finden, die möglicher- Beschwerden zum ersten Mal auftreten oder weise so gering waren, dass sie der Patientin die weiteren Untersuchungen keine typischen gar nicht aufgefallen sind. Um den neurologi- Befunde ergeben, kann zunächst eine Un- schen Status bei MS-Patientinnen zwischen sicherheit bezüglich der Diagnose bestehen verschiedenen Untersuchungen und unter- bleiben. schiedlichen Untersucherinnen vergleichbar machen zu können, wurde eine standardisierte Am Beginn jeder neurologischen Untersu- Bewertungsskala, die EDSS-Skala (Expanded chung steht zunächst das Gespräch mit der Disability Status Scale) etabliert. In Abhän- Patientin, in dem diese über ihre jetzigen gigkeit von den festgestellten Beeinträchti- (und eventuell früheren) Beschwerden berich- gungen wird ein Punktewert, der EDSS-Wert, tet. Aus diesem Gespräch ergeben sich meist vergeben.
7 EDSS-Skala Wert Beschreibung 0,0 normaler neurologischer Untersuchungsbefund 1,0 keine Behinderung, geringfügige Störung in einem funktionellen System 1,5 keine Behinderung, geringfügige Störung in mehr als einem funktionellen System 2,0 leichte Behinderung in einem funktionellen System 2,5 leichte Behinderung in mehr als einem funktionellen System 3.0 mäßiggradige Behinderung in einem funktionellen System oder leichte Behinderung in drei oder vier funktionellen Systemen, aber vollständig gehfähig 3,5 mäßiggradige Behinderung in zwei funktionellen Systemen oder mäßiggradige Behinderung in einem funktionellen System und leichte Behinderung in einem oder zwei funktionellen Systemen oder leichte Behinderung in fünf funktionellen Systemen, aber voll gehfähig 4,0 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause mind. 500 m am Tag; während 12 Stunden aktiv trotz relativ schwerer Behinderung 4,5 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause mind. 300 m; ganztägig arbeitsfähig, aber mit gewissen Einschränkungen wegen relativ schwerer Behinderung 5,0 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause für etwa 200 m; Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivitäten zu beeinträchtigen 5,5 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause für etwa 100 m; Behinderung schwer genug, um normale tägliche Aktivität zu verhindern 6,0 mit einseitiger oder zeitweiliger Unterstützung (Gehhilfe) ohne Ruhepause gehfähig für etwa 100 m 6,5 mit dauernder, beidseitiger Unterstützung (Gehhilfe) ohne Ruhepause gehfähig für etwa 20 m 7,0 nicht fähig, selbst mit Hilfe, mehr als 5 m zu gehen; weitgehend rollstuhlbedürftig, der aber ohne Hilfe benutzt werden kann, Transfer selbständig möglich 7,5 unfähig, mehr als ein paar Schritte zu gehen; kann Rollstuhl selbst bewegen und den Transfer ohne Hilfe durchführen 8,0 weitgehend auf das Bett beschränkt, kann aber auch noch im Rollstuhl sitzen; pflegt sich weitgehend selbständig mit meist gutem Gebrauch der Arme 8,5 auch während des Tages weitgehend bettlägerig; teilweise selbständige Pflege mit teilweisem Gebrauch der Arme 9,0 Patientin mit Ausnahme der Nahrungsaufnahme und der Kommunikation vollständig auf fremde Hilfe angewiesen 9,5 Patientin kann nicht selbständig essen und kommunizieren 10,0 Tod durch MS Nach der neurologischen Untersuchung er- Auflösung. Die Messung selbst ist, sieht man folgt in der Regel eine Magnetresonanztomo- von der eventuell notwendigen Punktion ei- graphie (MRT). Diese erzeugt mithilfe eines ner Armvene ab, schmerzlos. Von manchen sehr starken Magnetfeldes Bilder von Ge- Patientinnen wird das lange Liegen in ruhiger hirn und Rückenmark mit einer sehr guten Position (Bewegungen können die Bildqualität 25 Fragen und Antworten
8 drastisch verschlechtern) oder der relativ hohe werden, wodurch schon frühzeitig ein diffuser Geräuschpegel, den das Gerät verursacht, als Nervenzelluntergang (Atrophie) nachgewie- unangenehm empfunden. sen werden kann. Die Atrophie und ihre Mes- sung mittels MRT könnten vor allem für die Im Rahmen einer Untersuchung werden späteren (progredienten) Stadien der Erkran- verschiedene Messungen durchgeführt, die kung von Bedeutung sein, da in dieser Phase unterschiedliche Informationen über die Er- neue Entzündungen und die damit verbunde- krankung liefern können. In den sogenannten ne Entstehung neuer Narben nur mehr eine T2-gewichteten Bildern zeigen sich Entzün- untergeordnete Rolle spielen, während der dungsnarben heller. Injiziert man zusätzlich langsam chronische Nervenzelluntergang und noch ‚Kontrastmittel’ werden auf den T1- die dadurch bedingte Atrophie im Mittelpunkt gewichteten Bildern jene Stellen hell markiert, stehen dürften. an denen momentan gerade eine Entzündung abläuft. Alte Narben dagegen, bei denen die Die MRT kommt zunächst am Beginn der abgestorbenen Nervenzellen durch Binde- Erkrankung zum Einsatz und kann hier einer- gewebe ersetzt wurden, erscheinen auf T1- seits andere Erkrankungen wie Hirntumore, gewichteten Bildern dunkel, was ihnen auch Schlaganfälle und anderes ausschließen helfen den Namen ‚schwarze Löcher’ eingebracht und andererseits Aufschluss über bereits frü- hat. Darüber hinaus kann heute mit speziellen her abgelaufene Entzündungen geben, die von Techniken auch das Hirnvolumen vermessen Patientinnen gar nicht bemerkt wurden. Au- ßerdem eignet sich die MRT auch für Verlaufs- beobachtungen von Patientinnen, die selbst keinen Schub bemerkt haben. Nachdem zahl- reiche Entzündungsherde an Stellen im Gehirn auftreten, die keine essentielle Funktion besit- zen, können sie von Patientinnen auch nicht bemerkt werden. In diesem Fall bietet sich die MRT als objektive Methode, die praktisch alle Narben im Gehirn dokumentieren kann, besonders an. Aber auch zur Überprüfung des Therapieeffektes bei Patientinnen unter laufender Therapie ist die Methode geeignet. Nachdem die Untersuchung ungefährlich und nicht schmerzhaft ist, kann man sie im Laufe der Jahre wiederholen und so eventuelle Ver- änderungen im zeitlichen Verlauf beurteilen. MRT
9 Eine weitere wichtige Untersuchung zur Siche- Die Untersuchung des Liquors verfolgt drei rung der Diagnose ist die Lumbalpunktion mit Zwecke: (1) können damit erregerbedingte nachfolgender Untersuchung des Liquors. Der Entzündungen des Gehirns, die manchmal zur Liquor ist im Gegensatz zum Blut eine zell- Verwechslung mit Multipler Sklerose führen, und eiweißarme, klare Flüssigkeit, die das Ge- ausgeschlossen werden. (2) kann die Untersu- hirn und Rückenmark umspült. Sie dient dem chung des Liquors in Einzelfällen Aufschlüsse Schutz vor Verletzungen, der Ernährung und über den weiteren Verlauf bzw. über optimale dem Abtransport von Schadstoffen. Im Fall Therapiemöglichkeiten ergeben. (3) können einer Entzündung im Gehirn oder Rücken- für MS typische Liquorbefunde die diagnos- mark lassen sich im Liquor bestimmte Zellen tische Sicherheit insbesondere dann erhöhen, und Eiweißbestandteile nachweisen, die je wenn sich die Erkrankung in einem noch sehr nach Ursache der Entzündung mehr oder we- frühen Stadium befindet oder wenn die Er- niger charakteristisch sind. Da Blut und Ge- gebnisse anderer Untersuchungen unklar oder hirn durch die sogenannte Blut-Hirn-Schran- zweifelhaft sind. Bis auf ganz wenige Ausnah- ke relativ dicht voneinander abgeschottet men wird die Liquoruntersuchung nur einmal sind, können diese Substanzen im Blut nicht im Verlauf der Erkrankung durchgeführt. nachgewiesen werden. Die Entnahme des Liquors erfolgt im Rah- Lumbalpunktion men einer Lumbalpunktion. Dabei wird bei der sitzenden Patientin eine innen hohle Na- del zwischen zwei Dornfortsätzen der Wir- belköper im Bereich der Lendenwirbelsäule Rückenmark so weit eingestochen, dass sie im Liquorraum Nervenwasser zu liegen kommt. Sobald ausreichend Liquor herausgetropft ist (etwa ein halbes Schnaps- Punktionskanüle glas), wird die Nadel wieder herausgezogen. Unangenehm sind neben den Schmerzen an der Einstichstelle die manchmal auftretenden und in ein Bein ausstrahlenden elektrisieren- den Schmerzen, die durch das Berühren einer Nervenwurzel entstehen können. An relevan- ten Nebenwirkungen sind vor allem Kopf- schmerzen zu nennen, die manchmal Stunden bis Tage nach der Punktion auftreten können und dadurch charakterisiert sind, dass sie im Liegen verschwinden, beim Aufstehen aber rasch wieder auftreten. 25 Fragen und Antworten
10 Zuletzt werden häufig noch visuell evozierte eine andere Art von Schädigung hervorgeru- Potentiale (VEP) abgeleitet. Die Untersuchung fen wurde, kann so nicht eruiert werden. selbst ist schmerzlos, die Patientinnen blicken auf einen Schirm, auf dem rasch wechselnde 4. Was sind die McDonalds Kontraste erscheinen. Mittels Elektroden, die Kriterien? über der Sehrinde am Hinterhaupt aufgeklebt werden, wird die Zeit gemessen, die der opti- Bis vor einigen Jahren wurde die Diagnose MS sche Reiz braucht, bis er an der Sehrinde an- fast immer erst nach mehreren Schüben ge- gelangt ist und dort ein elektrisches Signal er- stellt. Nach einem ersten Schub durfte man zeugt. Durch Vergleich mit den Normalwerten definitionsgemäß noch nicht von Multipler gesunder Kontrollpersonen kann so eine Schä- Sklerose sprechen, da das Auftreten mehre- digung der Sehbahn objektiviert werden. Auf rer (multipler) Schübe eine Voraussetzung für diese Weise können auch diskrete Entzündun- die Diagnose war. Viele Ärztinnen begnügten gen, die von den Patientinnen unter Umstän- sich daher am Beginn der Erkrankung mit eher den gar nicht bemerkt wurden und schon län- vagen Angaben („Vielleicht etwas Entzündli- gere Zeit zurückliegen, nachgewiesen werden. ches“, „Mal schauen, ob es überhaupt wieder 70-90 % aller MS Patientinnen entwickeln im kommt“) und bestellten die Patientinnen im Verlauf der Erkrankung pathologische Befun- besten Fall zu mehr oder minder regelmäßigen de der VEP. Allerdings kann mittels der VEP, Kontrollen. Diese für Patientinnen oft unbe- so wie auch mittels anderer evozierter Poten- friedigende Situation mag auch aus dem Um- tiale, nur nachgewiesen werden, dass in der stand heraus erklärbar gewesen sein, dass man betreffenden Nervenbahn ein Defekt besteht. den Patientinnen ohnedies keine langfristige Ob dieser Defekt durch eine Entzündung oder Therapie anbieten konnte. Visuell evozierte Potentiale (VEP) Monitor Verstärker Visuell evoziertes Potential
11 McDonalds Kriterien Anzahl der Anzahl der klinischen Weitere Anforderungen zur Diagnose MS Schübe Läsionen 2 und mehr 2 und mehr keine 2 und mehr 1 fehlend: räumliche Dissemination, MR-tomographisch erfüllt wenn: 1 oder mehr T2-Läsionen in mindestens zwei der MS-typischen Regionen (periventrikulär, juxtakortikal, infratentoriell, spinal) ODER abwarten auf neuen Schub mit neuer Läsionslokalisation 1 2 und mehr fehlend: zeitliche Dissemination; MR-tomographisch erfüllt bei: gleichzeitigem Nachweis von asymptomatischen Gadolinium-aufnehmenden und nicht-aufnehmenden Läsionen, ODER Nachweis einer neuen T2- oder Gadolinium-aufnehmenden Läsion im Kontroll-MRT zeitunabhängig, ODER abwarten auf neuen Schub 1 1 fehlend: räumliche und zeitliche Dissemination, MR-tomographische Anforderungen siehe oben Neurologische mindestens 1 Jahr Progression plus 2 der folgenden 3 Kriterien: Progression 1. 1 oder mehrere T2-Läsionen in den MS-typischen mit Verdacht auf Regionen periventrikulär, juxtakortikal, infratentoriell primär-chronisch 2. 2 oder mehrere spinale Läsionen progrediente MS 3. Nachweis einer intrathekalen IgG-Synthese Mit zunehmender Verfügbarkeit immunmo- dulatorischer Therapien wurde immer klarer, dass diese Therapien umso besser wirken, je früher sie im Verlauf der Erkrankung einge- setzt werden. Somit bestand Bedarf, die Er- krankung frühzeitig zu diagnostizieren, um sie in weiterer Folge auch umgehend behandeln zu können. Durch den Druck der raschen Di- agnosestellung wurde der Zeitraum der Ver- laufsbeobachtung erheblich gekürzt und auch die Gefahr, eine Diagnose falsch zu stellen, stieg unter diesen Umständen an. Es wurde daher versucht, Kriterien zu erarbei- ten, welche zur Beschleunigung der Diagnose 25 Fragen und Antworten
12 beitragen sollten, ohne dabei aber die Sicher- Naturgemäß wird ein solcher Versuch nie per- heit dieser Diagnose zu beeinträchtigen bzw. fekt gelingen, dies kommt auch in mehreren das Risiko von Fehldiagnosen zu erhöhen. Überarbeitungen dieser Kriterien zum Aus- druck. Trotzdem kommen sie heute nicht nur im Rahmen von Medikamentenstudien zum Einsatz, sondern haben auch in der Routine- andere Erkankungen behandlung Einzug gefunden. Zentraler Punkt der Diagnose ist und bleibt der Autoimmunerkrankungen Nachweis der räumlichen und zeitlichen Ver- SLE, Sjörgen-Syndrom, M. Behcet, Sakoidose, Antiphospholipid- teilung von Beschwerden und Erkrankungszei- Antikörpersyndrom, CIDP chen, die in der neurologischen Untersuchung dokumentiert werden. Sind diese Zeichen Vaskuläre Erkrankungen (ganz am Beginn der Erkrankung) sehr ge- Vaskulitis, spinale durale AV-Fistel, Kavernöse Hämangiome, CADASIL ring ausgeprägt, können Zusatzuntersuchun- gen wie eine MRT oder eine Lumbalpunktion Metabolische Erkrankungen zur Sicherung der Diagnose erforderlich sein. Vitamin B12-Mangel, Leukodystrophien Gleichzeitig müssen auch immer andere Er- krankungen, welche ähnliche Beschwerden Infektionen oder Befunde verursachen können, mit hinrei- Borreliose, HIV-Myleopathie, HTLV-1 spastische Paraparese, PML, Lues, chender Sicherheit ausgeschlossen werden. ZNS-Parasitosen 5. Ist es wirklich MS oder Genetische Syndrome kann es nicht auch etwas hereditäre Ataxien, spastische Spinalparalyse, LHON, anderes sein? Mitochondriale Erkrankungen So wie bei vielen anderen Erkrankungen auch Neoplasien gibt es für die meisten Beschwerden fast im- mer unterschiedliche Ursachen. Nachdem die Psychogene, toxische, Beschwerden bei MS besonders vielfältig sein Malformationen können, müssen auch entsprechend viele an- MS-Varianten dere Erkrankungen in Betracht gezogen wer- Isolierte NNO, transverse Myelitis, NMO, den. Wenn diese auch insgesamt im Vergleich ADEM, Marburg-Variante, Diffuse zur MS sehr selten sind, sollte doch eine große (Schilder) und konzentrische (Balo) Sklerose Sorgfalt darauf verwendet werden, um solche Erkrankungen frühzeitig auszuschließen.
13 Beschwerden bei MS 6. Welche Beschwerden treten bei MS auf? Symptom Häufigkeit Parese 80 % Die Erkrankung verläuft bei etwa 85% der Be- sensible Symptome 73 % troffenen zunächst in Schüben. Das bedeutet, Ataxie 72 % auf Episoden mit verschiedenen Beschwerden, Blasenstörung 62 % die meist Wochen oder wenige Monate andau- Fatigue 48 % ern können, folgen möglicherweise jahrelan- Krämpfe 44 % ge beschwerdefreie Intervalle. Die häufigsten Mastdarmstörungen 37 % Beschwerden in dieser Phase der Erkrankung Visusstörungen 33 % sind Gefühls- und Sehstörungen, Lähmungen und Koordinationsstörungen. Gedächtnisstörungen 27 % Doppelbilder 26 % Nach durchschnittlich 15–20 Jahren ändert die Dysarthrie 25 % Erkrankung langsam ihr Gesicht: Die Schübe Schwindel 19 % werden weniger, bilden sich oft nicht mehr ganz Kopfschmerz 17 % zurück, und es kommt zu einer fast unmerklich psychische Probleme 16 % langsam-schleichenden Verschlechterung von Gesichtsschmerz 14 % Beschwerden. Diese Phase bezeichnet man Taubheit 13 % auch als sekundär chronisch progrediente MS. andere 8% Dysphagie 7% In dieser Phase kommt es zu einer zunehmenden Gesichtslähmung 5% Gangstörung, erhöhter Muskelsteifigkeit (soge- nannter Spastik), chronischer Müdigkeit, aber Black out 4% auch zu Blasenstörungen und verminderter Geschmackstörung 2% Konzentration und Merkfähigkeit. Bei etwa 15 % aller Patientinnen verläuft die Erkrankung von Beginn weg schleichend, man 7. Wie wird MS bei mir verlaufen? spricht auch von einer primär chronisch pro- gredienten Form. Diese beginnt meist mit einer Aufgrund von Beobachtungsstudien an gro- langsam zunehmenden Gang- und Koordinati- ßen Patientinnengruppen weiß man heute onsstörung, die vorerst oft als Ungeschicklich- relativ gut, wie sich der Verlauf der Erkran- keit fehlinterpretiert wird. Im Gegensatz zur kung durchschnittlich gestaltet, wie hoch das schubförmigen MS, die über wiegend junge statistische Risiko einer Behinderung nach ei- Frauen betrifft, sind von der primär chroni- ner bestimmten Erkrankungsdauer ist und auch schen MS mehr Männer im mittleren Lebens- wie viele Schübe durch eine immunmodula- alter betroffen. torische Therapie verhindert werden können. 25 Fragen und Antworten
14 Diese Information ist allerdings für die ein- 10 Jahren, während andererseits 20 % der Pati- zelne Patientin nur von begrenztem Wert, entinnen auch nach 40 Jahren noch ohne Hilfe da der individuelle Verlauf der Erkrankung gehen konnten. Nachdem die Erkrankung in- von diesem statistischen Mittelwert mitunter dividuell also höchst unterschiedlich verlaufen gewaltig abweichen kann. So lag in einer gro- kann, ist es für die meisten Patientinnen eine ßen französischen Untersuchung die mittlere der wichtigsten Fragen, wo auf diesem Kon- Krankheitsdauer, bis zu der die Patientinnen tinuum zwischen gutartiger, mäßiger oder nur noch mit Hilfe eines Stockes gehen konn- aggressiver Verlaufsform sie ihre eigene ten, bei 20 Jahren. Allerdings erreichten die- Erkrankung einordnen können. sen Behinderungsgrad etwa 30 % schon nach Verlaufsformen Grad der Behinderung A schubförmiger Verlauf mit vollständiger Rückbildung der Beschwerden B schubförmiger Verlauf mit unvollständiger Rückbildung der Beschwerden C zunächst schubförmiger Verlauf mit vollständiger Rückbildung der Beschwerden, später sekundär chronisch progredienter Verlauf ohne weitere Schübe D wie c, jedoch zusätzlich einzelne Schübe während der sekundär chronisch progredienten Phase E primär chronisch progredienter Verlauf mit zusätzlichen Schüben F primär chronisch progredienter Verlauf ohne Schübe Dauer der Erkrankung
15 Auch wenn bis heute keine einzelne Unter- suchung und kein einzelnes Detail aus der Krankengeschichte eine individuelle Prognose über den Verlauf der Erkrankung erlaubt, kann doch durch das Zusammentragen möglichst vieler Daten eine grobe Einschätzung versucht werden. Als prognostisch günstige Faktoren zählen kei- ne oder nur ganz wenige Narben in der MRT des Gehirns beim ersten Schub, ein junges Alter zu Krankheitsbeginn, eine Sehnerven- entzündung oder eine Sensibilitätsstörung als erste Beschwerden, eine lange Dauer zwischen dem ersten und dem zweiten Schub, eine ra- sche und vollständige Rückbildung des ersten Schubes sowie fehlende oligoklonale Banden unter Therapie weitere Schübe auf oder finden (Antikörper, die Hinweis auf eine Entzündung sich neue (vorwiegend kontrastmittelaufneh- geben) im Liquor. mende) Läsionen in der Kontroll-MRT, dann sollte ein Therapiewechsel zu einer potenteren Wie der Verlauf unter den derzeit verwende- Substanz überlegt werden, da die Langzeit- ten Immuntherapien sein wird, kann heute prognose bei Verbleib auf der ursprünglichen noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, da Therapie wahrscheinlich ungünstig sein wird. diese Therapien noch nicht lange genug breit angewendet werden, um Aussagen über einen 8. Was ist ein Schub? Zeitraum von 20 Jahren und mehr tätigen zu können. Es scheint aber die weitere Prognose Wenn Beschwerden erstmals auftreten oder unter laufender immunmodulatorischer The- früher bestandene Beschwerden wieder akut rapie primär vom Verlauf in den ersten 1–2 werden bzw. an Intensität zunehmen, spricht Jahren abhängig zu sein. man von einem Schub. Um einen Schub von kurzfristigen Befindlichkeitsstörungen abzu- Tritt in dieser Anfangsperiode unter Therapie grenzen wird gefordert, dass die Beschwerden kein Schub auf und bleibt auch die MRT-Kon- länger als 24 Stunden andauern. Im Idealfall trolle nach dieser Zeit ohne neue (vor allem sollen andere mögliche Ursachen für die Be- kontrastmittelaufnehmende) Läsionen, dann schwerden (beispielsweise Infekte) mittels kann auch mittelfristig von einem guten An- Laboruntersuchungen ausgeschlossen und im sprechen auf die Therapie ausgegangen wer- Rahmen einer neurologischen Untersuchung den. Treten dagegen in den ersten 1–2 Jahren objektiviert werden. 25 Fragen und Antworten
16 9. Wie behandelt man einen Schub? Standardmäßig behandelt man einen Schub mit einer Kortisoninfusionstherapie (jeweils 1 g Methylprednisolon an 5 aufeinander fol- genden Tagen). Zeigen die Beschwerden 3–4 Wochen nach Therapiebeginn noch keine Bes- serungstendenz, kann ein erneuter Zyklus mit intravenösem Methylprednisolon (eventuell in höherer Dosierung mit 2 Gramm über 5 Tage) erfolgen. Bleibt das ohne Erfolg, sollte eine Blutwäsche (sogenannte Plasmapherese) in Betracht gezogen werden. Die Nebenwir- kungen einer kurzzeitigen Therapie mit hoch dosiertem Methylprednisolon sind moderat. Neben einer schlechten Magenverträglichkeit, welcher durch gleichzeitige Gabe von Medi- kamenten vorgebeugt wird, treten manchmal Stimmungsschwankungen und Schlafstörun- gen sowie ein metallischer Geschmack auf. Die allerorts gefürchteten Kortison-Neben- wirkungen wie Gewichtszunahme, Abnahme der Knochendichte und Hautveränderungen treten dagegen nur im Rahmen einer Langzeit- therapie auf. 10. Muss ich bei einem Schub Kor- tison nehmen? Was passiert, wenn ich darauf verzichte? Obwohl die Verträglichkeit einer nur weni- ge Tage dauernden hochdosierten Kortison- therapie in den meisten Fällen gut ist, gibt es doch einige Patientinnen, die unter ei- ner solchen Therapie leiden. Andererseits gibt es auch Menschen, die eine generelle
17 Abneigung haben, sich „Chemikalien“ in den Daneben gibt es Therapien, die zwar wirksa- Körper schütten zu lassen und daher bezüg- mer sind, die aber auch ein höheres Sicher- lich einer solchen Therapie eher ablehnend heitsrisiko bergen, sodass sie nur bei nicht aus- gegenüber stehen. Generell kann man sagen, reichender Wirksamkeit von Basistherapien dass vor allem Schübe, die nur geringe Be- verwendet werden oder aufgrund bestimmter schwerden in einem sehr umschriebenen Teil Faktoren schon von Anfang an klar ist, dass die des Körpers (zum Beispiel Kribbeln an einem Erkrankung aufgrund ihrer hohen Aktivität Finger) verursachen, auch oft wieder von selbst einer (zumindest vorübergehend) aggressive- verschwinden. Es ist also durchaus zulässig, ren Therapie bedarf. Diese Therapien wurden in solchen Fällen einige Tage oder auch 1–2 früher auch als Eskalationstherapien bezeich- Wochen abzuwarten, ob es nicht zu einem net, weil sie bei der Mehrheit der Patientinnen spontanen Abklingen der Beschwerden nicht oder erst in einem späteren Stadium der kommt. Andererseits sollte aber bei Schüben, Erkrankung eingesetzt wurden. Damit wollte bei denen ein Auge betroffen ist, oder auch man in erster Linie vermeiden, dass man Pa- bei Lähmungen oder Koordinationsstörungen tientinnen einem unnötig hohen Risiko von doch relativ rasch eine Kortisontherapie ge- Nebenwirkungen aussetzt ohne zu wissen, ob startet werden, da die Beschwerden damit ra- die Erkrankung im Einzelfall überhaupt einer scher und auch vollständiger abheilen als ohne wirksameren und damit auch riskanteren eine solche Therapie. Therapie bedarf. 11. Was sind immunmodula- >> Therapien für den milden bis torische Therapien? moderaten Krankheitsverlauf Sie können aufgrund geringer Sicherheitsrisi- Diese Therapien werden dauerhaft verabreicht, ken bereits in der Frühphase der Erkrankung um das bei MS überschießende Immunsystem sowie bei geringer bis moderater Krankheits- in seiner Funktion zu dämpfen beziehungs- aktivität verabreicht werden, wobei es keine weise auf ein normales Ausmaß zurückzufüh- allgemein gültige Definition des Begriffes mild ren. Dadurch sollen Schübe in der Zukunft – oder moderat gibt. Dies muss also im Einzel- im Idealfall langfristig – aber auch bleibende fall unter Abwägung der Beschwerden der Behinderungen vermieden werden. Patientin, ihrer MRT-Bilder und eventuell an- derer Zusatzuntersuchungen diskutiert und Generell unterscheidet man Therapien für ei- entschieden werden. nen normalen (durchschnittlichen) Verlauf bei MS, die aufgrund ihrer guten Langzeitsi- Unterschieden werden ganz generell Injek- cherheit bereits früh im Verlauf der Erkran- tionstherapien, die schon seit fast 20 Jahren kung verordnet werden und daher früher auch in Verwendung sind und von denen ausrei- gerne als Basistherapien bezeichnet wurden. chende Daten auch zur Langzeitsicherheit 25 Fragen und Antworten
18 vorliegen, von den beiden erst kürzlich verfüg- Pegyliertes Interferon-beta 1a (Plegridy®) baren Tabletten, von denen es keine vergleich- Verabreichung: 2 ×/Monat, subkutan baren Daten zur Langzeitsicherheit gibt. Indikation: schubförmige MS Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 30 % Interferon-beta 1b (Betaferon®) Nebenwirkungen: häufig: Lokalreaktionen an Verabreichung: jeden 2. Tag der Einstichstelle, grippeartige Beschwerden subkutane Injektion selten: Schilddrüsenfunktions- Indikation: Erster Schub, schubförmige störungen, Depression MS, sekundär chronisch progrediente MS Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 30 % Glatirameracetat (Copaxone®) Nebenwirkungen: Verabreichung: 1 x täglich, subkutan (ab häufig: Lokalreaktionen an der 2015 auch als 3 ×/Woche Formulierung) Einstichstelle, grippeartige Indikation: erster Schub, schubförmige MS Beschwerden Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 30 % selten: Schilddrüsenfunktions- Nebenwirkungen: störungen, Depression häufig: Lokalreaktionen an der Einstichstelle Interferon-beta 1a (Avonex®) Teriflunomid (Aubagio®) Verabreichung: 1 ×/Woche, intramuskulär Verabreichung: 1 × täglich, Tablette Indikation: Erster Schub, schubförmige MS Indikation: schubförmige MS Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 30 % Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 30 % Nebenwirkungen: Nebenwirkungen: häufig: grippeartige Beschwerden häufig: Magen-Darm-Beschwer- selten: Schilddrüsenfunktions- den, Haarverdünnung störungen, Depression selten: Blutdruckerhöhung, Hautrötung Interferon-beta 1a (Rebif®) Dimethylfumarsäureester (Tecfidera®) Verabreichung: 3 ×/Woche, subkutan Verabreichung: 2 × täglich, Kapsel Indikation: Erster Schub, schubförmige MS Indikation: schubförmige MS Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 30 % Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 50 % Nebenwirkungen: Nebenwirkungen: häufig: Lokalreaktionen an der Einstich- häufig: Magen-Darm-Beschwer- stelle, grippeartige Beschwerden den, Hitzewallungen selten: Schilddrüsenfunktions- störungen, Depression Generell gilt für alle Immuntherapien, dass ihre Verordnung und Anwendung einer gewis- sen regelmäßigen Kontrolle unterliegen sollte. Dazu gehören regelmäßige neurologische
19 Untersuchungen ebenso wie gegebenenfalls MRT-Kontrollen, um die Wirksamkeit der Substanzen kritisch prüfen zu können. Darü- ber hinaus sind regelmäßige Blut- und Harn- untersuchungen notwendig, um eventuelle Nebenwirkungen, die von den Patientinnen oft gar nicht oder viel zu spät bemerkt wer- den würden, rechtzeitig erkennen und gege- benenfalls behandeln zu können. Keinesfalls darf eine solche Therapie über Jahre ohne ent- sprechende Kontrollen eingenommen werden, auch wenn sich die Patientin wohl fühlt und selbst keinen Bedarf sieht, immer wieder zum Arzt zu laufen. Versagen einer Basistherapie Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 68 % Nebenwirkungen: >> Therapien für den hoch selten: allergische Reaktion, Virus- aktiven Krankheitsverlauf infektion des Gehirns (PML) mit Diese Therapien finden Anwendung, wenn mit zeitweise tödlichem Verlauf der herkömmlichen Medikation die Krankheit nicht ausreichend zu stoppen war oder wenn Fingolimod (Gilenya®) aufgrund bestimmter Parameter der Verdacht Verabreichung: 1 × täglich, Kapsel nahe liegt, dass die herkömmlichen Therapien Indikation: schubförmige MS bei nicht ausreichend wirksam sein werden, um sehr hoher Krankheitsaktivität oder eine sehr aggressive Erkrankung in den Griff Versagen einer Basistherapie bekommen zu können. Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 55 % Nebenwirkungen: Natalizumab (Tysabri®) selten: Herpesinfektionen, Änderungen Verabreichung: 1 ×/Monat, Infusion von Blutdruck und Puls, Augenerkrankung Indikation: schubförmige MS bei (Maculaödem), Virusinfektion des Gehirns sehr hoher Krankheitsaktivität oder (PML) mit zeitweise tödlichem Verlauf 25 Fragen und Antworten
20 Alemtuzumab (Lemtrada®) 12. Was passiert wenn ich Verabreichung: 2 Infusionsserien nicht sofort mit einer im Jahresabstand, danach oft mehre- Immuntherapie beginne? re Jahre keine Therapie erforderlich Indikation: schubförmige MS bei In den letzten Jahren wurde in zahlreichen sehr hoher Krankheitsaktivität oder Studien gezeigt, dass ein früher Beginn einer Versagen einer Basistherapie immunmodulatorischen Therapie das Risi- Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 70 % ko des Auftretens weiterer Schübe reduziert, im Vergleich zu einer Interferontherapie aber auch den weiteren Krankheitsverlauf po- Nebenwirkungen: sitiv beeinflussen kann. Es scheint so zu sein, häufig: Infusionsreaktionen (Kopfschmerz, dass die Wirksamkeit einer Immuntherapie Fieber, ...), Schilddrüsenerkrankungen, umso besser ist, je früher man in das Immun- Infektionen system korrigierend eingreift oder umgekehrt selten: Blutungen, Nierenerkrankungen, betrachtet: je länger die Erkrankung schon be- andere Autoimmunerkrankungen steht, desto weniger Wirksamkeit kann man sich von einer Immuntherapie erwarten. Für alle hoch wirksamen Therapien sind prin- zipiell die gleichen Sicherheitsvorkehrungen Dieses Wissen darf aber nicht dazu führen, notwendig wie für die herkömmlichen Im- der Patientin eine rasche Entscheidung aufzu- muntherapien, das heißt, regelmäßige Kon- drängen, in der irrigen Annahme es würde je- trollen bei der Neurologin, gegebenenfalls der Tag zählen, der ohne Therapie verstreicht. MRT-Kontrollen sowie Laborkontrollen müs- Vielmehr sollte sich jede Patientin vor jeder sen in regelmäßigen Abständen erfolgen. Da- Entscheidung umfassend über die Vor- und rüber hinaus sind bei den hoch wirksamen Nachteile einer Therapie, aber auch über mög- Therapien auch ganz spezifische zusätzliche liche Alternativen informieren. Ganz wichtig Untersuchungen notwendig, da das Risikoprofil ist auch, keine Entscheidung zu treffen, bei dieser Substanzen zum Teil ganz spezifische der ein (aus welchem Grund auch immer) un- Sicherheitsvorkehrungen erfordert. angenehmes Gefühl zurück bleibt, nicht das Richtige getan zu haben. Oft hilft es in dieser Phase, auch andere Ärztinnen zu konsultieren und eine 2. Meinung einzuholen. Medizinisch betrachtet stellt es überhaupt kein Problem dar, wenn man sich für diese Entscheidung auch einige Monate Zeit nimmt, dies hat sicher keine negativen Auswirkungen auf den lang- fristigen Verlauf der Erkrankung
21 Umgekehrt kann es aber auch sein, dass die Zu diesen Therapien zählen: Ärztin am Beginn der Erkrankung empfiehlt, 1. Physio- und Ergotherapie zur Verbesserung die Krankheit noch einige Monate zu beobach- von Lähmungen, Koordinationsstörungen ten und noch eine weitere MRT-Kontrolle se- und Einschränkungen der Gehfähigkeit hen will, bevor sie einen Therapievorschlag ab- 2. Medikamente zur Behandlung von geben will. Manche Patientinnen werten dies Gangstörungen, Blasenfunktionsstörungen, als Unsicherheit, Schwäche oder gar Unwissen Spastik, Depression, Schmerzen und der behandelnden Ärztin. Ganz im Gegenteil chronischer Müdigkeit kann dies Ausdruck einer besonders sorgsa- 3. Nicht medikamentöse Therapien wie men Auseinandersetzung mit der Erkrankung Psychotherapie, Fatigue-Management, und einer besonderen Bemühung um das Entspannungstechniken und vieles mehr Wohlergehen von Ihnen als Patientin sein. Für den Fall, dass Ihnen eine Therapie empfoh- len wurde, Sie diese aber (aus welchem Grund auch immer) nicht beginnen wollen, ist es trotzdem wichtig, in neurologischer Behand- lung zu bleiben und eventuell auch eine MRT- Kontrolle nach einem halben Jahr durchführen zu lassen. So kann man die Krankheitsaktivität besser einschätzen und weitere Argumente für oder auch gegen eine Behandlung sammeln. 13. Symptomatische Therapie Während die Therapie mit Kortikosteroiden während eines akuten Schubes und die Be- handlung mit immunmodulierenden oder immunsuppressiven Substanzen im Intervall zumindest bis zu einem gewissen Grad in den Verlauf der Erkrankung eingreifen, han- delt es sich bei symptomatischen Therapien ausschließlich um Methoden, die aktuelle Be- schwerden lindern sollen, ohne dass der Verlauf der Erkrankung dadurch beeinflusst wird. Vor- rangiges Ziel der symptomatischen Therapie ist es, die Lebensqualität von MS-Patientinnen unmittelbar zu verbessern. 25 Fragen und Antworten
22 14. Was kann die Komplementär- Grund, warum diese Zahl gerade unter MS- medizin für mich tun? Patientinnen so hoch ist, dürfte sein, dass auch die Schulmedizin derzeit nicht in der Lage Einer amerikanischen Untersuchung zufolge ist, die Erkrankung zu heilen oder zumindest unterziehen sich fast 60 % aller MS-Patientin- ihren Verlauf zu stoppen. Als persönliche Be- nen alternativmedizinischen Behandlungen, weggründe gaben die befragten Patientinnen zum Teil ergänzend zu konventionellen The- an: (1) den Wunsch, nichts unversucht zu las- rapien, teilweise aber auch ausschließlich. Ein sen, (2) den Wunsch nach einer ganzheitlichen Therapie, welche die Beziehung zwischen Kör- per und Geist ausreichend berücksichtigt und (3) den Wunsch nach Eigeninitiative. Miss- trauen gegenüber der Schulmedizin war da- gegen nur bei einem geringen Prozentsatz der Befragten ein relevantes Motiv. Es gibt hunderte komplementärmedizinische Ansätze, die sich mit der Behandlung von MS befassen. Den meisten gemeinsam ist, dass sie keine anerkannten wissenschaftlichen Un- tersuchungen zu deren Wirksamkeit bei MS nachweisen können. Dennoch gibt es zahlrei- che Verfahren, die geeignet sind, um bestimm- te Beschwerden im Rahmen der MS zu verrin- gern oder die Lebensqualität im Allgemeinen verbessern. Es gilt in diesem Bereich für jede Einzelne heraus zu finden, was ihr gut tut, aber auch zu bedenken, ob der Aufwand (an Zeit und Geld) den erzielten Benefit rechtfertigt oder nicht. Generell sollten komplementär- medizinische Ansätze, bei denen Heilpflanzen, Medikamente oder invasive Verfahren im Spiel sind, vorab mit der behandelnden Neurologin besprochen werden, um im Einzelfall abzuklä- ren, ob ein gesundheitliches Risiko durch eine solche Behandlung besteht, aber auch, ob eine eventuell laufende schulmedizinische The- rapie zu einer komplementärmedizinischen Behandlung dazu passt.
23 15. Soll ich meine Ernährung umstellen? Empfehlungen zum Speiseplan Man kann durch eine Umstellung der Ernäh- Fleisch oder Wurstwaren sollten maximal rung MS wahrscheinlich positiv beeinflus- 3 ×/Woche auf dem Speiseplan stehen, Fisch min- sen, wenn man die Zufuhr von Fleisch und destens 2 mal. Fettarme Milch und Milchprodukte tierischen Fetten zugunsten von Fisch und wie Käse und Joghurt sind wichtig, um den Körper pflanzlichen Ölen reduziert. Dadurch erhöht mit ausreichend Eiweiß, aber auch Mineralstoffen man die Zufuhr ungesättigter Fettsäuren, die zu versorgen, welche auch wichtig zur Vermeidung entzündungshemmende Eigenschaften des von Osteoporose sind. Obst, Gemüse und Vollkorn- Immunsystems ankurbeln. produkte sollten die Basis der Ernährung bilden. Tierische Fette, wie Schmalz und Butter sollten Besonders empfehlenswert sind fette Meeres- nach Möglichkeit gegen pflanzliche Öle und Fette fische wie Thunfisch, Hering und Lachs, we- ausgetauscht werden. Rapsöl zum Erhitzen und niger dagegen Seelachs, Forelle und Karpfen. Leinöl, Walnussöl und Weizenkeimöl für kalte Wer Fisch nicht mag, kann als Alternative auch Speisen sind hier besonders zu empfehlen. Fischölkapseln verwenden. Pflanzliche Öle (allen voran Leinöl, Walnussöl und Rapsöl) Insgesamt ist es wichtig, den Kalorienbedarf können helfen, den Anteil wichtiger ungesät- an den Verbrauch anzupassen, vor allem wenn tigter Fettsäuren zu erhöhen. die Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist. 16. Brauche ich mehr Vitamine? Vitamine sind Substanzen, die für verschiedene Entstehung und den Verlauf von MS zu haben, Stoffwechselprozesse im Körper benötigt wer- sodass es sinnvoll sein kann, den Gehalt von den und die der Körper nicht selbst herstellen Vitamin D im Blut zu bestimmen und gegebe- kann, daher müssen sie mit der Nahrung zuge- nenfalls Vitamin D zusätzlich einzunehmen. führt werden. Man unterscheidet wasserlösli- Noch effektiver als die Einnahme von Vitamin che (8 verschiedene B-Vitamine und Vitamin D über Milchprodukte oder Vitaminpräparate C) von fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K). ist regelmäßige Bewegung in der Sonne, weil dadurch Vitamin D im Körper erst aktiviert Häufig werden Vitamin-B Präparate emp- wird. fohlen, obwohl es keinerlei Beweis gibt, dass diese Maßnahme einen positiven Einfluss auf Vitamin C und E werden manchmal als Radi- die Erkrankung hat. kalfänger zur Entgiftung empfohlen und kön- nen unbedenklich eingenommen werden. Ob Im Gegensatz dazu scheint Vitamin D sie aber tatsächlich einen positiven Effekt auf möglicherweise einen positiven Effekt auf die die Erkrankung haben, ist unklar. 25 Fragen und Antworten
24 bei Gesunden allenfalls in Form einer leichte- ren Ermüdbarkeit manifestiert, kann es durch bereits bestehende Leitungsprobleme auf- grund von Vernarbungen bei MS-Patientinnen beispielsweise zu Sehstörungen oder Miss- empfindungen der Haut kommen. Diese Be- schwerden können denen eines früher durch- gemachten Schubes entsprechen. Trotzdem handelt es sich um keinen Schub, denn sobald die Körpertemperatur absinkt, verschwinden die Beschwerden rasch wieder. Patientinnen, die eine solche Erfahrung gemacht haben, werden in der Folge allzu große Hitze meist intuitiv meiden. Auf der anderen Seite fühlt sich eine nicht kleine Zahl von Patientinnen gerade bei ho- hen Temperaturen am Meer oder in der Sauna ausgesprochen wohl und verspürt in diesem Zusammenhang auch keinerlei Beschwerden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass es bis heute keinen wissenschaftlichen Beweis gibt, dass sich Hit- Generell kann gesagt werden, dass eine ausge- ze oder hohe Luftfeuchtigkeit negativ auf den wogene Ernährung mit ausreichend frischem Krankheitsverlauf auswirken würden. In einer Obst und Gemüse sowie pflanzlichen Ölen groß angelegten Studie während einer ext- und Nüssen allemal ausreichen sollte, um den remen Hitzeperiode in Frankreich 2003 fand Vitaminbedarf einer MS-Patientin zu decken sich demzufolge beispielsweise kein Hinweis, (ausgenommen vielleicht Vitamin D). dass – verglichen mit kühleren Jahreszeiten – die Anzahl der Schübe oder der MS-beding- 17. Muss ich Sonne und ten Spitalsaufenthalte signifikant angestiegen Wärme meiden? wäre. Hitze wird von vielen MS Patientinnen als un- Zusammenfassend gibt es also kein überzeu- angenehm empfunden. Aus experimentellen gendes Argument, MS-Patientinnen pauschal Untersuchungen weiß man, dass Nervenfa- von Sonne und Hitze abzuraten, vielmehr gilt sern bei hohen Temperaturen Informationen es für jede Einzelne herauszufinden, was ihr langsamer weiterleiten. Während sich dies (und ihrer Krankheit) gut tut.
25 18. Darf ich mich impfen lassen? Immer wieder berichten Patientinnen, dass nach einer Impfung ein Schub aufgetreten sei oder gar die Erkrankung begonnen hätte. Ob der Zusammenhang zwischen Impfung und Schub dabei nur ein zufälliger, zeitlicher oder aber ein ursächlicher war, kann durch solche Berichte nicht geklärt werden. Generell war lange Zeit die Meinung verbrei- tet (und ist sie immer noch), dass es notwendig wäre, hinsichtlich der Gefahr von Impfungen bei MS zwischen „Lebendimpfstoffen“ (bei- spielsweise Masern, Mumps, Röteln, Gelbfie- ber, Windpocken, Typhus-Schluckimpfung) und „Totimpfstoffen“ (Hepatitis, Polio, Menin- gokokken, Haemophilus, Typhus-Injektion, FSME, Influenza, Tetanus, Diphterie, Pneu- mokokken, Tollwut, Cholera, Japanencepha- litis) zu unterscheiden. Während man den Hinderungsgrund sein, insbesondere auch Totimpfstoffen eine hohe Sicherheit attestierte deshalb, weil ein Nichtimpfen ebenfalls mit hinsichtlich der Gefahr, die Erkrankung MS einem bestimmten Risiko verknüpft ist, Scha- oder deren Schübe auslösen zu können, galten den davon zu tragen und letzteres Risiko in die Lebendimpfstoffe als unsicher. den meisten Fällen wohl höher einzustufen ist. Möglicherweise auch aus diesem Grund gibt Bei Reisen in die Tropen mit der Notwendig- es heute für die meisten Totimpfstoffe hinrei- keit Mehrfachimpfungen durchzuführen, ist chend aussagekräftige Studien, dass statistisch es aber ratsam, diese Impfungen aufzuteilen betrachtet keinerlei Risiko hinsichtlich MS für und über einen größeren Zeitraum zu ver- sie besteht, während solche Untersuchungen abreichen, um das Immunsystem nicht zu für Lebendimpfstoffe weitgehend fehlen. „überfordern“. Prinzipiell sollte das Thema mit der behan- Weiters sollte auch beachtet werden, dass delnden Ärztin abgesprochen werden, bei bestimmte MS-Therapien die Zuverlässig- Notwendigkeit für die Verabreichung eines keit des Impfstoffes beeinträchtigen können. Lebendimpfstoffes sollte MS kein prinzipieller Daher sollte bei laufender Immuntherapie, 25 Fragen und Antworten
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