Gegen die zulassungs - beschränkte Stadt - Ein studentischer Blick auf Wohnungsnot - LandesAstenKonferenz Berlin

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Gegen die
zulassungs –
beschränkte
    Stadt
Ein studentischer Blick auf
       Wohnungsnot
Ein studentischer Blick auf
       Wohnungsnot

            2019
Einleitung                       Rendite – Wohnberechti-
 Studentische Wohnungs-      4    gungsschein – Wohngeld   37
not und Gentrifizierung          Wohnungslosigkeit

Kapitel I                    9   Kapitel IV
 Die politische Ökonomie          Diskriminierung auf      38
des Wohnungsmarkts               dem Wohnungsmarkt

Anlageobjekt – Bürgschaft   13   Kapitel V
 Gentrifizierung                  Wohnheim ist nicht       44
                                 gleich Wohnheim
Kapitel II                  16
 »Exzellent« studieren,          Kapitel VI
prekär leben                      Fazit und Forderungen    51

Mietbelastungsquote         24   Impressum
 Mietpreisbremse                                           56
Mietspiegel

Prekarisierung              25
 Reproduktionsarbeit

Kapitel III                 26
 Die Wohnungsnot in
Zahlen
Das Thema Wohnen ist seit einigen Jahren in aller
                Munde. Denn alle haben etwas zu berichten – sei es von
   Einleitung   der ewigen Wohnungssuche, der letzten Mieterhöhung

Studentische
                oder dem neuesten Ärger mit der Hausverwaltung. So
                viele sind mit diesen missliebigen Erfahrungen vertraut,
                dass längst allen klar ist, dass es sich dabei nicht um
                Einzelschicksale, sondern um ein gesamtgesellschaft-

Wohnungsnot     liches Problem handelt.
                    Als Bezeichnung für dieses Problem hat sich der
                Begriff der Gentrifizierung durchgesetzt. Er meint eine

     und
                profitorientierte Aufwertung von Stadtteilen, die eine
                Verdrängung einkommensschwächerer durch einkom-
                mensstärkere Haushalte zur Folge hat. Wir Studieren-

  Gentrifi –
                den haben in der bisherigen Entwicklung eine unglück-
                liche Doppelrolle gespielt. Besonders in ihren Anfän-
                gen erblickten die Immobilienunternehmen in uns ei-

   zierung
                ne Chance, die Mieten zu erhöhen. Denn z.B. eine fünf-
                köpfige Studi-WG, in der alle Beteiligten eigene, wenn
                auch kleine Einkommen vorweisen können, kann in vie-
                len Fällen eine höhere Miete aufbringen, als etwa eine
                fünfköpfige Familie, in der nur ein oder zwei Familienmit-
                glieder erwerbstätig sind. Und auch die Eröffnung von
                Bars und Cafés für das verhältnismäßig zahlungskräf-
                tige Studierendenmilieu konnte von den Eigentümer*-
                innen unter dem Stichwort der »Kiezlage« im »Szene-
                viertel« als Argument für noch weitere Mieterhöhungen
                instrumentalisiert werden.
                    Dieser Zusammenhang brachte viele Menschen dazu,
                zu glauben, wir Studierenden wären die letztendlichen
                Nutznießer der Gentrifizierung. Die geläufige Erzählung
                sah vor, dass wir erst in günstige Wohnungen einziehen,
                später mit unseren Hochschulabschlüssen einträgli-
                che Jobs annehmen und mit unserem vielen Geld das
                Preisniveau in unseren Gegenden hochtreiben würden.

        4                           5
Inzwischen aber zeigt sich, dass die Erhöhung der Mieten                             Seite 16

die Steigerung unserer Einkommen in den meisten Fäl-                    Im zweiten Kapitel setzen wir uns damit auseinander, wie
len überholt hat. Längst haben wir selbst mit für uns                   es dem Berliner Senat in der Wohnungspolitik misslingt,
untragbaren Mieten zu kämpfen, müssen zumTeil unsere                    für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, und wie er in der

                                                           Einleitung
Wohnungen verlassen, weil unsere Hausverwaltungen                       Wissenschaftspolitik seine Aufgabe vernachlässigt, stu-
Luxussanierungen vornehmen, die wir uns nicht leisten                   dentisches Wohnen zu fördern.
können, oder finden von vornherein keineWohnungen, die                               Seite 26

zugleich unseren Bedürfnissen und unseren finanziellen                  Im dritten Kapitel werten wir die Umfrage zur Zufrie-
Möglichkeiten entsprechen. Die Gentrifizierung frisst                   denheit der Berliner Studierenden mit ihren Wohnver-
ihre Kinder.                                                            hältnissen aus, die wir im Januar und Februar 2019
                                                                        durchgeführt haben.
                                                                                     Seite 38

                                                                        Im vierten Kapitel lassen wir Studierende zu Wort kom-
                                                                        men, die uns von ihren Erfahrungen mit verschiedenen
                                                                        Formen von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt
                                                                        berichtet haben.
Die Arbeitsgruppe Wohnen (AG Wohnen) der Landes-                                     Seite 44

AstenKonferenz Berlin hat sich 2017 in Reaktion auf die                 Im fünften Kapitel zeigen wir, wie Betreiber*innen von
um sich greifende studentischeWohnungsnot gegründet.                    Mikroapartments Extraprofite aus der studentischen
Wir haben Notunterkünfte zum Semesterstart gefordert;                   Wohnungsnot schlagen, und kontrastieren diese aus-
dem Berliner studierendenWERK auf den Zahn gefühlt;                     beuterischen Wohnformen mit Modellen, die der persön-
kommerzielle Wohnheime und ihr Geschäftsmodell un-                      lichen Selbstbestimmung Raum lassen und dem Trend
tersucht; Erfahrungsberichte über Diskriminierung auf                   zur Vereinzelung entgegenwirken.
dem Wohnungsmarkt eingeholt und die Berliner Studie-                                 Seite 51

renden nach ihren Wohnverhältnissen und ihrer Zufrie-                   Und im sechsten Kapitel formulieren wir schließlich
denheit damit befragt. Im Folgenden wollen wir unsere                   Forderungen, die mit der studentischen und allgemeinen
Erkenntnisse zusammentragen und uns damit ausein-                       Wohnungsnot aufräumen sollen.
andersetzen, wie Studierende als eine von vielen gesell-
schaftlichen Gruppen von Gentrifizierung betroffen sind.                Im Wissen darüber, dass sich das Agieren von uns Stu-
            Seite 9                                                     dierenden auf dem Wohnungsmarkt in der Vergangen-
Im ersten Kapitel betrachten wir dazu die ökonomische                   heit oft zu Ungunsten anderer einkommensschwacher
Verwertbarkeit von Wohnraum sowie die politischen Ent-                  Gruppen ausgewirkt hat, wollen wir sicherstellen, dass
scheidungen, die der explosiven Preisentwicklung auf                    wir uns in unserem Agieren in der Politik in keiner Weise
dem Wohnungsmarkt Tür und Tor geöffnet haben.                           gegen diese anderen Gruppen ausspielen lassen. Wenn

                                  6                                                             7
wir Wohnraum weiterhin als Gegenstand des Konkur-
renzkampfs behandeln, kommt das auf lange Sicht nur
den Immobilienunternehmen, nicht aber uns Bewoh-             Kapitel I

                                                         Die politische
ner*innen der Stadt zugute. Wenn wir uns hingegen ver-
bünden und selbstbestimmtes Wohnen für alle als das
Ziel unseres gemeinsamen, sozialen und politischen
Kampfes ins Auge fassen, können wir eine Stadt her-
vorbringen, die über Teilhabe funktioniert und keine
Ausschlüsse mehr produziert.
                                                          Ökonomie
                                                              des
                                                          Wohnungs–
                                                            markts

                                 8                             9
Von überteuerten Mieten und heruntergekommenen                           teuertes, von Privatunternehmen betriebenes Mikro-
Wohnungen über unseriöse Angebote und lange War-                         apartment als die einzige Lösung dar (siehe Kapitel V).
teschlangen bei Besichtigungen bis hin zu befristeten                    Wie hat es zu dieser massiven Verschlechterung der
Untermietverträgen – alles weist darauf hin, dass sich                   Wohnungssituation kommen können?

                                                             Kapitel I
die Wohnungskrise zu einem unhaltbaren Zustand zu-
spitzt. Betroffen sind wir alle – sowohl Alt-Berliner*in-                    Politische Entscheidungen und Marktmechanismen
nen, die die Wohnungen und Wohnviertel verlassen müs-
sen, in denen sie zum Teil jahrzehntelang gelebt haben,                  Zum einen lässt sich die gescheiterte staatliche Woh-
als auch Neu-Berliner*innen, die sich mit unzumutba-                     nungspolitik benennen. So war der rot-rote Berliner Senat
rer Konkurrenz und dreisten Hausverwaltungen her-                        von 2002 bis 2010 verantwortlich für die Privatisierung
umschlagen müssen. Inzwischen sind neuvermietete                         von 140.000 landeseigenenWohnungen. Zusätzlich wurde
Wohnungen in innerstädtischen Bezirken nur noch für                      das Baurecht liberalisiert und der soziale Wohnungsbau
einkommensstarke Haushalte bezahlbar.                                    eingeschränkt. Anstelle einer sozialen Wohnungspolitik
    Allgemein gilt: je höher das Einkommen, desto sich-                  wurde also eine Bauförderung praktiziert, die nicht den
erer die Wohnverhältnisse. Für einen Großteil der Mie-                   Mieter*innen, sondern den Gewinnen von Privatunter-
ter*innen, deren Löhne und Sozialleistungen stagnieren,                  nehmen zugute kam. Um die gegenwärtige Situation auf
bedeutet jedoch die Preisexplosion auf dem Wohnungs-                     dem Wohnungsmarkt zu verstehen, ist es jedoch unab-
markt eine zunehmende Gefahr, verdrängt zu werden:                       dingbar, auch die marktwirtschaftlichen Mechanismen
Weil sie die stetig steigenden Mieten nicht mehr aufbrin-                zu betrachten, die für diese Politik den Rahmen setzen.
gen können, sind Menschen mit geringeren Einkommen                           Unter Wissenschaftler*innen gibt es zwei Erklä-
gezwungen, an den Stadtrand zu ziehen. Kein Wunder,                      rungsmodelle für die Entwicklungen auf dem Wohnungs-
dass der Anspruch auf bezahlbaren, innerstädtischen                      markt. Dem ersten, klassischen Modell zufolge ist es die
Wohnraum als die soziale Frage der Gegenwart verhan-                     Nachfrage, die den Marktpreis der Angebote reguliert:
delt wird.                                                               wenn die Nachfrage steigt, erhöht das automatisch die
    Auch wir Studierenden bekommen diese Entwick-                        Preise. Bezogen auf den Wohnungsmarkt würde das be-
lung vermehrt zu spüren: So sind die unzähligen WG-                      deuten, dass durch die verstärkte Wohnungsnachfra-
Castings hoffnungslos überlaufen und die Studiwohn-                      ge von Neu-Berliner*innen das Wohnungsangebot ge-
heime restlos überfüllt. Zum Teil warten wir mehrere                     schrumpft und die Mieten gestiegen seien. Die erhöhte
Semester auf die geförderten Zimmer des studieren-                       Nachfrage wird dabei mit der Attraktivität urbaner Le-
denWERKs – und nicht selten vergeblich. Zu Beginn je-                    bensentwürfe und der Konzentration von Anstellungs-
des Wintersemesters müssen diejenigen unter uns, die                     möglichkeiten in den Städten begründet, die allerdings
keine Wohnung finden konnten und über keine Kontakte                     wiederum durch gezielte politische Imagekampagnen à
in der Stadt verfügen, in Turnhallen, Notunterkünften                    la »be Berlin« vorangetrieben wurde. So wird die Haupt-
oder Hostels übernachten. Für einige stellt sich ein über-               stadt mit den folgenden Worten beworben: »Die Vielfalt,

                                   10                                                        11
die Gegensätze, das Miteinander, das Kunterbunte, das
Kreative, das Verrückte und auch das Normale – […] Ob                                                  Anlageobjekt
Künstler oder Geschäftsfrau, waschechter Berliner oder
Neuankömmling, Kiezpflanze oder Hipster.Weil es geht in      Als Anlageobjekte werden Immobilien bezeichnet, die
Berlin.« Die wirtschaftliche Aufwertung, der diese schö-     nicht für die eigene private Nutzung gekauft werden.
nen Worte dienen sollen, untergräbt jedoch zugleich die      Immobilien als Kapitalanlage zu erwerben dient dazu,
Freiheit, Vielfalt und Offenheit, die sie bewerben.          sie zu vermieten und somit Gewinne durch Mieteinnah-
     Eine Erklärung, die alles von der Nachfrage ableitet,   men zu erwirtschaften. Hierzu zählen sowohl gewerbli-
lässt jedoch die entscheidende Rolle außer Acht, die         che Immobilien als auch private Immobilien wie Eigen-
Immobilieninvestitionen und Renditeerwartungen bei der       tumswohnungen oder Mietshäuser.
Preisentwicklung spielen. Das zweite, alternative Erklä-
rungsmodell hingegen versucht, diese Aspekte in die                                                      Bürgschaft
Analyse miteinzubeziehen. Dabei zeigt sich, dass die
angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht            Eine Bürgschaft ist ein einseitiger Vertrag, durch den
einfach auf das Verhalten seitens der Wohnungssuchen-        sich eine bürgende Person gegenüber der Vermieter*in
den (Nachfrage), sondern ganz wesentlich auf das pro-        verpflichtet, im Falle einer Zahlungsunfähigkeit für die
fitorientierte Handeln privater Immobilienunternehmen        Schulden der Person, die den Mietvertrag schließt, ein-
(Angebot) zurückzuführen ist. Denn eine erhöhte Nach-        zustehen.
frage allein erzeugt keineswegs einen Zwang für die Im-
mobilienbesitzer*innen, die Preise zu erhöhen – sie gibt                                             Gentrifizierung
ihnen lediglich die Möglichkeit, dies zu tun. Was sie dazu
zwingt, ist das herrschende Profitmotiv.                     Gentrifizierung ist ein in der Stadtforschung angewand-
     So hat es in den letzten Jahren einen Zuwachs an        ter Begriff, der einen sozialen Umstrukturierungsprozess
Investitionen und Spekulation im Immobiliensektor ge-        eines Stadtteils beschreibt. Dabei handelt es sich um
geben. Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2007 kam      eine Veränderung eines Wohnumfelds sowohl durch die
es nämlich zu einem Verlust des Vertrauens in die Kapi-      Verdrängung einkommensschwächerer durch einkom-
talmärkte. Gleichzeitig war das profitträchtige Geschäft     mensstärkere Bevölkerungsschichten (in aller Regel ein-
mit der Produktion von Waren des Konsums bereits             hergehend mit Restaurierungs- und Umbautätigkeiten)
hochgradig mit Investitionen gesättigt, während der          als auch die Verdrängung von weniger kapitalträchtigen
Immobilienmarkt noch relativ offen war. Die obendrein        Betrieben durch stärker kapitalträchtige Unternehmen.
politisch geförderte Investition in Immobilien erschien
den Akteur*innen auf den Finanzmärkten nun als ver-
hältnismäßig sichere und langfristige, wenn auch im
ersten Moment weniger profitable Anlagemöglichkeit.

                                   12                                         Glossar
Doch auch das Problem mangelnder Profitabilität ließ                   preisbremse umgangen werden. Energetische Moder-
sich beheben – und zwar durch die Steigerung der Miet-                 nisierungen werden als ein weiterer Vorwand für Miet-
einnahmen.                                                             erhöhungen genutzt. Der Versuch, vor Gericht gegen den
                                                                       Berliner Mietspiegel zu klagen und diesen aufzuheben,

                                                           Kapitel I
Methoden der Profitmaximierung                                         gehört ebenfalls zum alltäglichen Geschäft der Deut-
                                                                       sche Wohnen. Zudem verfolgt sie das Ziel, ein neues, ver-
Um den Renditeerwartungen des investierten Kapitals                    mögendes Mieter*innenklientel anzuwerben und macht
zu entsprechen, entwickeln die einzelnen Immobilienun-                 keinen Halt vor Kündigungen bei auslaufenden Miet-
ternehmen verschiedene Strategien, die jedoch mit ne-                  verträgen. Auch bei verzögerten Mietzahlungen, für die
gativen Folgen für die Mieter*innen verbunden sind. Zum                in einigen Fällen z.B. das Jobcenter verantwortlich ist,
Beispiel werden Modernisierungsmaßnahmen auf den                       schreckt die Deutsche Wohnen nicht vor Zwangsräu-
Mietpreis aufgeschlagen, Miet- in Eigentumswohnungen                   mungen als der brutalsten Form der Verdrängung zurück.
umgewandelt oder Gebäude gleich komplett abgeris-                          Am Beispiel der Deutsche Wohnen wird deutlich,
sen und durch besser vermarktbare Neubauten ersetzt.                   wie sehr private Investor*innen das Geschehen auf dem
     Ein Paradebeispiel für die kapitalistische Verwer-                Wohnungsmarkt bestimmen und dabei verschiedene For-
tung von Wohnraum ist die marktführende börsenno-                      men der Verdrängung befördern, durch die Menschen
tierte Immobiliengesellschaft Deutsche Wohnen, wel-                    ihrer Lebensgrundlage beraubt werden.
che 1998 als Tochterunternehmen der Deutschen Bank
gegründet wurde. Die Deutsche Wohnen besitzt 160.700
Wohneinheiten, davon 110.000 Wohnungen in Berlin, und
ist eine der größten privaten Vermieter*innen Deutsch-
lands. Sie ist somit eine wirkungsmächtige mietenpoliti-
sche Akteurin in der Frage um den (Berliner) Mietspie-
gel und betätigt sich in der Normalisierung enorm hoher
Mietpreise.
     Zu den Methoden der Profitmaximierung, welche
die Deutsche Wohnen anwendet, gehört z.B., günstige
Wohnungen zu kaufen und diese, ohne sie instandge-
setzt zu haben, auf dem Niveau des aktuellen Mietspie-
gels zu vermieten. Auch werden Instandsetzungen (bei
Heizungsausfällen, kaputten Fahrstühlen etc.) so lange
zurückgehalten, bis die Wohnungen verkommen sind und
umfassender Modernisierung bedürfen. Auf diese Wei-
se können die Mieten massiv erhöht und dabei die Miet-

                                  14                                                       15
Für die allgemeine Wohnungspolitik ist in Berlin der Se-
                  nat für Stadtentwicklung und Wohnen (SenSW) zustän-
     Kapitel II   dig. Damit läge es in seiner Verantwortung, dafür zu sor-
                  gen, dass bezahlbarer Wohnraum für alle bereit steht –

  »Exzellent«     auch für Studis, die größtenteils nur über geringe Ein-
                  kommen verfügen. Da die besonderen Anforderungen
                  studentischen Wohnens auch durch die Gegebenheiten

studieren,pre –
                  des Studiums bestimmt sind, ist es zusätzlich dem Senat
                  für Wissenschaft und Forschung (SenWissForsch) an-
                  vertraut. In diesem Sinne ist das studentische Wohnen

   kär leben
                  neben dem Zugang zu Beratungsstellen, gesundheit-
                  licher Versorgung und dem öffentlichen Nahverkehr als
                  Teil der sozialen Grundlagen des Wissenschaftsbetriebs
                  zu verstehen. Wissenschaftspolitik müsste demnach zu-
                  sehen, dass mit dem Ausbau der Hochschulen stets
                  auch ein Ausbau von Wohnheimplätzen einhergeht.
                       So wie der SenSW Einfluss auf den allgemeinen
                  Wohnungsmarkt ausüben kann, so hat der SenWiss-
                  Forsch verschiedene Möglichkeiten, auf den studenti-
                  schen Wohnungsmarkt einzuwirken. Während der Sen-
                  SW Sozialwohnungen bauen kann, kann der SenWiss-
                  Forsch Studiwohnheime bauen. Beides wurde jedoch lan-
                  ge Zeit vernachlässigt, sodass in Berlin sowohl die Zahl
                  der Sozialwohnungen als auch die Zahl der Wohnheim-
                  plätze trotz wachsender Einwohner*innenzahl gesunken
                  ist. So wie der SenSW einkommensschwachen Haushal-
                  ten die Miete bezuschussen kann, können Studierende,
                  die aus solchen Haushalten kommen, BAföG erhalten.
                  Im Folgenden wollen wir uns ansehen, was der Berliner
                  Senat für studentisches Wohnen tut, was er nicht tut und
                  was das für Konsequenzen hat.

          16                          17
Wohn- und Wissenschaftspolitik in Berlin                                 das Deutsche Studentenwerk (DSW) bereits 2007. Doch
                                                                         die Kritik wurde ignoriert und so nahm die Wohnungskri-
In Berlin ist das Berliner studierendenWERK (stud-                       se in Berlin – wie auch in vielen anderen Großstädten –
WERK) für die sozialen Belange von Studierenden ver-                     ihren Lauf.

                                                            Kapitel II
antwortlich – und damit auch für die Verwaltung von                           Der Mangel an Wohnheimplätzen ist zunächst dar-
Wohnheimen. Studierendenwerke wurden ursprünglich                        auf zurückzuführen, dass das studWERK keine neuen
als Selbsthilfeeinrichtungen von Studis gegründet, um                    Wohnheime mehr baut. Nach Aussagen des studWERKs
sich kollektiv und unabhängig um ihre sozialen Belange                   ist Neubau derzeit aus Kostengründen ausgeschlossen.
zu kümmern. Mittlerweile gibt es sie in allen Bundeslän-                 Seine Mietpreise orientieren sich nämlich an der BAföG-
dern, wo sie durch die jeweiligen Hochschulgesetze ge-                   Wohnpauschale, die bis vor Kurzem bei 250€Euro lag.
regelt sind.                                                             Jedoch wären die Kosten für Neukauf und Neubau nach
    Das Berliner studWERK verwaltet derzeit 9.443                        eigenen Angaben schon 2009 so hoch gewesen, dass die
Wohnheimplätze. Zum Wintersemester 2018/19 gab es                        Neumieten bei weit über 300€Euro im Monat gelegen hät-
in Berlin 192.129 Studierende – die Wohnheime deckten                    ten. Durch hohe Immobilienpreise und fehlende zusätz-
damit 4,9% des Bedarfs an Wohnraum für Studis ab. Mit                    liche Finanzierung von Seiten der Politik ist es dem stud-
diesem Wert bildete Berlin im bundesweiten Vergleich                     WERK also schon seit längerem unmöglich, neu zu kau-
das Schlusslicht – die durchschnittliche Versorgungs-                    fen und zu bauen.
quote lag bei 9,6%. Die niedrige und stetig sinkende Ver-                     Mag es also für die mangelnde Auslastung mit Wohn-
sorgungsquote lässt sich dadurch erklären, dass dem                      heimplätzen in erster Linie ökonomische Gründe geben,
Wachstum der Hochschulen nicht mit einem Ausbau der                      so ist dafür doch auch die politische Entscheidung der
Wohnheimplätze entsprochen wurde, sondern – im Ge-                       Landesregierung mitverantwortlich, studentisches Woh-
genteil – Plätze abgebaut wurden. So konnte das Ber-                     nen nicht finanziell zu fördern. Würde die Politik Wohnen
liner studWERK im Jahr 2006 noch 10.479 Plätze bereit                    als Sozialgut verstehen – also als ein Gut, welches unab-
stellen, während die Zahl an Studierenden zum Winter-                    hängig von seinem Preis der Bevölkerung zur Verfügung
semester 2006/07 bei nur 132.822 lag, was eine Versor-                   stehen muss (wie z.B. Bildung oder gesundheitliche Ver-
gungsquote von immerhin 7,9% bedeutete.                                  sorgung) – dann könnte die Berliner Landesregierung
    Dabei war der Anstieg der Studierendenzahlen kei-                    selbst die steigenden Kosten übernehmen, um weiterhin
neswegs unvorhergesehen, sondern geplant. Schließlich                    preiswerten studentischen Wohnraum zu sichern. Dies
hatten Bund und Länder 2006 den ersten „Hochschul-                       ist jedoch nicht der Fall.
pakt“ abgeschlossen, der den Ausbau von Studienplätzen                        Nicht nur hätte das Land Berlin prinzipiell die Mög-
vorsah. Dass dieser Pakt keinen entsprechenden Ausbau                    lichkeit, selbst Grundstücke zu kaufen – auch läge es in
der sozialen Infrastruktur (Wohnraum, gesundheitliche                    der Macht der Landesregierung, den Anstieg der Boden-
Versorgung, kostengünstiges Essen, Beratungsstellen,                     preise zu verhindern. Eine solche Preiskontrolle käme
Kinderbetreuung) für Studierende enthielt, kritisierte                   dem Land dabei in zweierlei Hinsicht finanziell zugute:

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Erstens würde der Erwerb von Immobilien und Grund-                      Zweck hat, Überschüsse zu erwirtschaften. Konkret be-
stücken damit auch für es selbst günstiger. Und zwei-                   deutet das, dass Berlinovo ebenso vorgehen kann wie
tens hätte es auch dort geringere Ausgaben, wo es sich                  eine private Eigentümer*in: mehr Miete verlangen, als die
selbst (etwa im Fall von Sozialhilfe- oder BAföG-Em-                    Kosten für die Bereitstellung des Wohnraums betragen,

                                                           Kapitel II
pfänger*innen) an den Mietkosten beteiligt. Die Berliner                um Gewinn zu machen. Gebaut wird hier also nicht, um
Landesregierung geht das Problem jedoch nicht in die-                   Studierenden Wohnraum zu bieten, sondern um Über-
ser Weise an und schafft es so bis heute nicht, nachhal-                schüsse für den öffentlichen Haushalt zu generieren.
tige Lösungen umzusetzen.                                                    Nur in einem Fall hat sich die Berliner Landesregie-
     Auf Druck der LandesAstenKonferenz (LAK) Berlin                    rung dafür eingesetzt, dass mehr Geld für studentisches
beschloss der SenWissForsch im Jahr 2014 den Bau von                    Wohnen ausgegeben wird – beim BAföG. So stellte sie
5.000 neuen Wohnheimplätzen bis 2020. Gebaut wurden                     2018 im Bundesrat einen Antrag, die aus Bundesmitteln
davon bis 2019 jedoch nur 185 Plätze. Während das stud-                 finanzierte BAföG-Wohnpauschale von 250€Euro auf 325
WERK lange Zeit die einzige staatliche Behörde war, die                 Euro zu erhöhen. Sinnvoll ist diese Forderung aber nur
mit der Verwaltung von Studiwohnheimen betraut war,                     bedingt: auch wenn dies eine kurzfristige Erleichterung
soll der Bau der 5.000 neuen Wohnheimplätze nun durch                   für Studis bedeuten kann, so fließen auf diese Weise
die Berlinovo GmbH sowie landeseigene Wohnungsbau-                      doch nur wieder öffentliche Gelder in die privaten Kas-
gesellschaften realisiert werden, was für uns Studis                    sen der Vermieter*innen. Es handelt sich also dabei um
gleich mehrere Nachteile birgt. Zum einen wird den Stu-                 keine nachhaltige Lösung, sondern im schlimmsten Fall
dierenden damit die Mitwirkung an der Verwaltung ihres                  um eine, die den Mietspiegel weiter steigen lässt.
Wohnraums entzogen. Das studWERK unterliegt näm-                             Dass der SenWissForsch (bzw. der Berliner Senat
lich seinem Verwaltungsrat, der zu 50% mit Studierenden                 im Allgemeinen) Wohnen als Wirtschaftsgut und nicht
besetzt ist. Auch wird in Wohnheimen des studWERKs                      als Sozialgut sieht, zeigt sich auch daran, dass er dem
den Bewohner*innen ermöglicht, die Heime zum Teil                       studWERK im letzten Jahrzehnt nicht eine einzige dem
selbst zu verwalten. Dafür werden unter anderem Ge-                     Land oder den Bezirken gehörende Immobilie überließ
meinschafts-, Sport- und Clubräume kostenlos zur Ver-                   – wohingegen der FU Berlin 2017 kostenfrei ein leerste-
fügung gestellt. Berlinovo und Co. unterliegen diesen                   hendes Krankenhaus zur Verfügung gestellt wurde, um
Auflagen hingegen nicht. So müssen die 5.000 Wohn-                      einen Start-Up-Campus (FUBIC) einzurichten. Während
heimplätze nicht einmal verbindlich an Studierende ver-                 bei Projekten wie FUBIC etwa durch Start-Up-Finanzie-
mietet werden.                                                          rungshilfen wiederum Steuergelder in private Firmen
     Darüber hinaus darf das studWERK als Anstalt                       fließen, wird der Ausbau der sozialen Infrastruktur wei-
öffentlichen Rechts keine profitorientierten Geschäfte                  terhin vernachlässigt, worunter am meisten Studierende
betreiben. Berlinovo dagegen wurde gegründet, um Ber-                   mit niedrigen Einkommen zu leiden haben.
lins Schulden abzubezahlen – ist also ein öffentliches
Immobilienunternehmen, das aber nichtsdestotrotz den

                                  20                                                        21
Es ist also nicht nur fraglich, wie der SenWissForsch
mit der studentischen Wohnungskrise umzugehen ge-
denkt, sondern ob er die Gewährleistung von bezahl-
barem Wohnraum für Studierende überhaupt als einen
Bestandteil von Wissenschaftspolitik ansieht. Dabei
wäre allein diese Betrachtungsweise der Sache ange-
messen – schließlich bedeuten steigende Mieten und
Wohnraumknappheit nicht einfach nur eine persönli-
che Belastung für Studis, sondern stellen darüber hi-
naus auch eine Gefahr für den gleichberechtigten Zu-
gang zum Bildungssystem dar.

                                22                      23
Mietbelastungsquote                                                                                 Prekarisierung

Die Mietbelastungsquote berechnet sich aus dem Ver-       Prekarisierung ist ein Begriff aus der Arbeitssoziolo-
hältnis von Bruttokaltmiete zu Nettoeinkommen. 30% wer-   gie und beschreibt die stetige Zunahme der Zahl von
den als Höchstgrenze für eine angemessene Mietbelas-      Arbeitsplätzen mit so geringer Einkommenssicherheit,
tung angesehen.                                           dass Betroffene ihre Existenz nicht mehr bestreiten kön-
                                                          nen. Neben mangelnder Arbeitsplatzsicherheit, niedri-
                                                          gen Löhnen, Teilzeitbeschäftigung, befristeten Verträ-
                                                          gen sowie mangelndem Kündigungsschutz gehört auch
                                                          fehlende Interessenvertretung (keine gewerkschaftliche
Mietpreisbremse                                           Bindung bzw. fehlender Betriebsrat) zu den strukturellen
                                                          Ursachen der Prekarisierung.
Der Quadratmetermietpreis einer Wohnung darf in der
Regel nicht mehr als 10% über der im aktuellen Miet-
spiegel angegebenen Vergleichsmiete liegen – außer bei
Neubau, Modernisierungen und bereits über dem Miet-
spiegel liegenden Bestandsmieten.

Mietspiegel                                                                                   Reproduktionsarbeit

Der Mietspiegel informiert über das Mietpreisniveau in    Reproduktion bedeutet das Wiederherstellen oder Auf-
einer Stadt. Kernstück ist die Mietpreistabelle, in der   rechterhalten von uns selbst, anderen Menschen und
für Wohnungen ähnlicher Beschaffenheit und Größe die      der Gesellschaft. Reproduktionsarbeit ist dann solche,
ortsüblichen Mieten als Preise pro Quadratmeter Wohn-     die es uns möglich macht, jeden Morgen wieder arbei-
fläche aufgelistet sind. Dazu werden sowohl die durch-    ten (oder zur Uni) zu gehen und auf gesellschaftlicher
schnittlichen Mieten als auch Mietpreisspannen ausge-     Ebene dafür sorgt, dass es immer neue Menschen gibt,
wiesen.                                                   die arbeiten gehen. In der Regel sind Reproduktions-
                                                          arbeiten schlecht oder gar unbezahlt. Aufgrund der his-
                                                          torischen Zuteilung der Reproduktionsarbeit zum weibli-
                                                          chen Geschlecht sind es noch heute überwiegend Frau-
                                                          en, die für sie verantwortlich sind. So geht mit der finan-
                                                          ziellen Abwertung von Reproduktionsarbeit auch eine
                                                          gesellschaftliche Diskriminierung von Reproduktions-
                                                          arbeiter*innen einher.

                              Glossar                                       Glossar
Im Zeitraum vom 15. Januar bis zum 21. Februar 2019 ha-
                 ben wir eine Umfrage unter den Berliner Studierenden
   Kapitel III   bezüglich ihrer Wohnverhältnisse durchgeführt. Es nah-

    Die
                 men 8.905 Personen Teil, wobei die höchsten Teilnah-
                 mezahlen an jenen Hochschulen zustande kamen, an
                 denen die Studierenden direkt von ihren ASten über die

Wohnungsnot
                 Umfrage informiert werden konnten. Das sind die Ergeb-
                 nisse:

                                               Wohnen oder Nichtwohnen

 in Zahlen       Mit 77,6% wohnt die überwältigende Mehrheit der befrag-
                 ten Studierenden in gewöhnlichen Mietshäusern. 6,6%
                 der Befragten leben in Wohnheimen des studWERKs,
                 3,7% in Studiwohnheimen privater Träger. Ein kleiner, je-
                 doch besorgniserregender Prozentsatz von 0,1% gab an,
                 in einem Hostel oder Hotel unterzukommen. Dabei han-
                 delt es sich zwar um nur 13 unserer 8.905 Befragten – hoch-
                 gerechnet auf die Gesamtzahl der Studierenden in Berlin
                 wären das jedoch rund 280 Personen. Neben dem dau-
                 erhaften Übernachten auf einem Sofa bei Freund*innen
                 ist das Unterkommen in einem Hostel eine von vielen Er-
                 scheinungsformen studentischerWohnungslosigkeit, die
                  nicht so sehr von unmittelbarer Obdachlosigkeit geprägt
                 ist als vielmehr davon, sich längerfristig mit Notlösun-
                 gen behelfen zu müssen.

                                                     Das nötige Kleingeld

                 Selbstverständlich gibt es auch unter Studierenden Un-
                 terschiede hinsichtlich der finanziellen Mittel, die ihnen
                 zur Verfügung stehen. Dabei überwiegen mittlere und
                 niedrige Einkommen insgesamt deutlich gegenüber hö-
                 heren Einkommen. Mit 50,1% bilden die mittleren Einkom-

         26                          27
men von 700–1.200 Euro die größte Gruppe. Ganze 39,9%                     bar, dass letztere für die allermeisten Studierenden
gaben an, ihren Lebensunterhalt von einem Einkommen                       einen unverhältnismäßig großen Anteil ihrer gesamten
von weniger als 700 Euro im Monat bestreiten zu müs-                      Lebenshaltungskosten ausmachen: So geben 89,6% der
sen. Dagegen sind es mit 9,9% verhältnismäßig wenige,                     Befragten mehr als 30% ihres Einkommens für Miete

                                                            Kapitel III
die über ein monatliches Einkommen von über 1.200€Euro                    aus, was als kritische Belastungsobergrenze gilt – wer
verfügen (Abb. 1). Wie die Ergebnisse unserer Umfrage                     mehr zahlt, dem bleibt zu wenig Geld für andere Lebenshal-
zeigen, geht mit den unterschiedlichen Einkommen au-                      tungskosten (Verpflegung, Krankenversicherung, Handy-
ßerdem eine ungleiche Verteilung der verschiedenen Är-                    vertrag, Semestergebühren etc.). An einem anderen Ver-
gernisse einher, die der Wohnungsmarkt für uns bereit-                    gleichswert zeigt sich, dass die Preisentwicklung auf
hält.                                                                     dem Wohnungsmarkt auch die Wirksamkeit staatlicher
                                                                          Förderung beeinträchtigt: So würde der erst kürzlich
Die Mieten durch die Decke                                                auf 325€Euro angehobene Betrag der BAföG-Wohn-pau-
                                                                          schale in 77,4% der Fälle nicht dafür ausreichen, die
Diejenigen, die in regulären Mietwohnungen leben, zah-                    Mietkosten zu decken.
len im Durchschnitt 455€Euro Miete im Monat. Im Kont-
rast dazu ist die Zimmermiete in Wohnheimen des stud-                                                                Auf der Suche
WERKs mit durchschnittlich 283€Euro deutlich günstiger.
An dieser Differenz von beinahe 40% lässt sich ablesen,                   Unsere Umfrage hat ergeben, dass Studierende mit nie-
wie sehr die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt                       drigeren Einkommen längere Zeit für die Wohnungssu-
außer Kontrolle geraten ist. Ferner hat die Mietenexplo-                  che benötigen, als Studis, die einen größeren finanziel-
sion die absurde Situation zur Folge, dass es sogar bil-                  len Spielraum haben (Abb.2). 19,9% jener, die Angaben
liger sein kann, in einem Hostel oder Hotel zu übernach-                  zur Suchzeit gemacht haben, haben sechs oder mehr
ten: hier beträgt der Durchschnittswert 343 Euro im                       Monate – also ein Semester oder länger – nach ihrer aktu-
Monat, was rund 11€Euro pro Nacht entspricht. Dass es                     ellen Unterkunft suchen müssen. Dabei sind wiederum
eine Kostenersparnis bedeuten kann, in einer touristi-                    Studierende, denen weniger als 700 Euro im Monat zur
schen Kurzzeitunterkunft zu wohnen, ist nicht nur ein Ar-                 Verfügung stehen, mit 25,1% überdurchschnittlich häufig
mutszeugnis für den Berliner Wohnungsmarkt – vor allem                    von diesem Problem betroffen. Da anderenfalls die Auf-
ist es eine Zumutung für diejenigen, die sich zu diesem                   nahme des Studiums vereitelt würde, macht es eine der-
Schritt gezwungen sehen und in der Folge erhebliche                       art langanhaltende Wohnungssuche notwendig, sich mit
Einbußen in Sachen Privatsphäre hinnehmen müssen.                         einer Notlösung wie einem Hostel oder auch einem Sofa
                                                                          bei Freund*innen zu behelfen. Mag diese prekäre Art
Über die Verhältnisse mieten                                              und Weise des Unterkommens als dauerhafte Wohnform
                                                                          auch sehr selten sein, so ist sie als mehr oder weniger
Im Vergleich von Einkommen und Mietkosten wird sicht-                     lange Episode nur allzu vielen Studierenden bekannt:

                                  28                                                          29
immerhin 14,2% der Befragten gaben an, während der
   60 %                                                              Zeit ihres Studiums in Berlin eine solche Erfahrung von
                                                                     Wohnungslosigkeit gemacht zu haben.
   50 %
                           50.1

                                                       Kapitel III
                                                                     Auch mal allein sein
   40 %
            39.9
   30 %                                                              Im Gesamtdurchschnitt gaben 4,3% an, gegenwärtig kein
                                                                     Zimmer für sich allein zu haben und sich diesen Raum
   20 %                                                              aus Kostengründen mit anderen Personen zu teilen. Wie
                                                                     zu erwarten, trifft dies jedoch in erhöhtem Maße auf
   10 %
                                          9.9                        Personen mit geringeren Einkommen zu. Unter Studie-
                                                                     renden, denen weniger als 700€Euro im Monat zur Verfü-
            1.200                       gung stehen, sind es ganze 6,7%, die sich ihr Zimmer aus
                                                                     Kostengründen teilen – sie sind also überdurchschnitt-
Abb 1 Einkommensklassen (in Euro) unter Studierenden                 lich oft von diesem Problem betroffen. Studierende mit
                                                                     einem monatlichen Einkommen von 700–1.200€Euro lie-
                                                                     gen mit 3,9% knapp unterhalb des Durchschnitts. Bei
   4.0
                                                                     Studis, die ein Einkommen von mehr als 1.200€Euro im
   3.5                                                               Monat beziehen, ist dieses Problem hingegen praktisch
            3.5                                                      nicht vorhanden – der Anteil beläuft sich auf weitaus
   3.0                                                               weniger als 0,1%.
                           3.1

   2.5                                    2.7
                                                                     Im Ring oder außerhalb?
   2.0
                                                                     In Hinblick auf die geographische Verteilung niedriger,
   1.5                                                               mittlerer und höherer Einkommen zeigt sich eine Ten-
                                                                     denz, wonach sich Studierende mit größerem finanziel-
   1.0                                                               len Spielraum eher noch eine innenstädtische Wohnlage
                                                                     leisten können, wohingegen jene von uns, die knapper bei
   0.5
                                                                     Kasse sind, häufiger in Randbezirke ziehen müssen. So
                                                                     wohnt der Großteil der Studierenden mit einem Einkom-
Abb 3 Tarifbereich vs. Einkommensklasse    Abb 4 Tarifbereich vs. Einkommensklasse

                  48 %                                     54 %

                                      2%                                        7%

                  50 %                                     39 %

    Einkommen mehr als 700 Euro                Einkommen weniger als 700 Euro

        A                                          A
     		 B                                       		 B
     		 C                                       		 C

                         32                           33
700 Euro innerhalb des Rings (im Tarifbereich A) wohnt        Abb 5 Fahrtzeit und Zufriedenheit von Studie-
(Abb. 3). Besonders deutlich werden die Auswirkun-                   renden mit Wohnung in Berlin

gen des Einkommens bei den Anteilen derjenigen, die
im Tarifbereich C wohnen: Während nur 2,3% der Studie-
renden mit mittleren und höheren Einkommen am Stadt-                  92 %
rand wohnen, sind es bei den Studierenden mit geringe-
ren Einkommen 6,6% (Abb. 4).

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                                                                                             7%
49% der Befragten gaben an, dass ihr Fahrtweg zur Uni                                        1%
weniger als 30 Minuten in Anspruch nimmt und zeigten
sich mit einer überwältigenden Mehrheit mit dieser Si-                                                  40.2 %
tuation »zufrieden« bis »sehr zufrieden«. Eine knappe
Mehrheit von 51% der Studierenden benötigt hingegen
länger als eine halbe Stunde und bewertet diesen Um-
stand in verschiedenen Abstufungen mehr und mehr
negativ: Schon bei Fahrtwegen zwischen einer halben
und einer Stunde überwiegen die unzufriedenen gegen-                                 31.1%
über den zufrieden Stimmen. Studierende, die noch mehr   Fahrtzeiten bis zu 30 min
Zeit für ihren Fahrtweg einplanen müssen, zeigten sich
mit wiederum unmissverständlichen Mehrheiten »un-
zufrieden« bis »sehr unzufrieden« (Abb. 5).                  eher zufrieden
                                                             neutral
Nein, auch das noch!                                         eher unzufrieden
                                                                                                         27.7%
Abgesehen von dieserart Problemen, die mit der Wohn-
lage zusammenhängen, halten auch die Ausstattung der                                              Fahrtzeit 30-60 min
Wohnungen, die Konditionen der Mietverträge und das
Verhalten der Hausverwaltungen und Vermieter*innen                                88 %
eine große Bandbreite an möglichen Ärgernissen bereit:   Fahrtzeit mehr als 60 min
28,7% der Befragten gaben an, dass der Zustand ihrer
Wohnungen als »befriedigend« oder schlechter einzu-
schätzen sei, weil sie größere Mängel aufweisen, die

                                                                                                                 1.7%

                                                                                                    10.3 %
                                34                                           35
Sanierungsarbeiten erforderten. Zugleich berichteten
17,9% davon, dass sich ihre Hausverwaltungen davor                                                       Rendite
drücken würden, solche Mängel zu beheben. 16,4% ha-
ben nur befristete Mietverträge. 16,2% haben eine Miet-     Die Rendite bezeichnet den jährlichen Gesamtertrag
staffelung im Vertrag, was ebenfalls potentiell limitie-    einer Geldanlage als Prozentsatz des investierten Ka-
rend auf ihre Möglichkeiten wirkt, in ihren Wohnungen       pitals.
zu bleiben, so lange sie wollen. 6,2% waren bereits von
unzulässigen Mieterhöhungen betroffen. 14,7% leben in                                 Wohnberechtigungsschein
teilmöblierten Wohnungen, was ihre Mieter*innenrechte
sowie ihre Freiheit einschränkt, ihre Wohnverhältnisse      Der WBS ist ein amtlicher Nachweis über die Berech-
nach ihren Vorstellungen einzurichten und zu gestalten.     tigung, in einer Sozialwohnung wohnen zu dürfen und
7,5% haben die Erfahrung gemacht, dass eine Unterver-       muss beim Einzug in eine Sozialwohnung nachgewie-
mietung nicht von der Hausverwaltung genehmigt wur-         sen werden.
de. Bei 4,9% wurde der Hauptmieter*innenwechsel ab-
gelehnt. Es zeichnet sich also ab, dass Vermieter*innen                                               Wohngeld
und Hausverwaltungen in vielen Fällen Kosten meiden,
jedoch keine Mühen scheuen, wenn sie Gelegenheit            Wohngeld ist eine staatliche Unterstützung für Bür-
sehen, die Mieten zu erhöhen.                               ger*innen, die aufgrund geringen Einkommens einen
                                                            Zuschuss zur Miete benötigen. Die Höhe des Wohn-
Alles in allem zeigt sich: Ein Großteil der Berliner Stu-   gelds errechnet sich aus der Anzahl der Familienmit-
dierenden gibt einen unverhältnismäßig hohen Anteil         glieder, die zum Haushalt gehören, dem Familienein-
ihrer Einkommen für Mieten aus und verbringt zugleich       kommen und der zu berücksichtigenden Miete.
unverhältnismäßig lange Zeit auf der Wohnungssuche.
Viele haben schließlich dennoch mit Mängeln in ihren                                         Wohnungslosigkeit
Wohnungen zu kämpfen. Wer sich eine innenstädtische
Lage nicht mehr leisten kann, muss sich außerdem häu-       Als wohnungslos gelten Menschen, die in Einrichtun-
figer mit missliebigen, langen Fahrtwegen abfinden. Und     gen wohnen, in denen die Aufenthaltsdauer begrenzt
sind es auch derzeit noch verhältnismäßig wenige, die       ist und keine dauerhaften Wohnplätze zur Verfügung
sich aus Kostengründen dauerhaft mit Notlösungen            stehen (z.B. Übergangswohnheime, Notunterkünfte
behelfen müssen – sofern sich die derzeitige Preis-         und Herbergen).
entwicklung auf dem Wohnungsmarkt weiter fortsetzt,
dürfte das bald auf mehr und mehr von uns zutreffen.

                                  36                                        Glossar
                                                                              37
Zum Wintersemester 2017/18 haben wir persönliche Er-
                fahrungsberichte akuter studentischer Wohnungsnot
                angefragt. Daraufhin erreichte uns eine Reihe von Be-
                richten, in denen insbesondere Diskriminierungserfah-
                rungen geschildert wurden. Im Folgenden wollen wir an-
                hand dieser Schilderungen die Zusammenhänge prekärer
                (Nicht-)Wohnsituationen und gesellschaftlicher Diskri-
                minierungsstrukturen beleuchten. Dabei wurden sämt-
                liche Namen von uns abgewandelt.

                »Ich kam mir vor, wie in einer schlechten Castingshow!«
                (Letta)

                Für Wohnungssuchende in Berlin ist die »schlechte Cas-
   Kapitel IV   tingshow«, von der die FU-Studentin Letta berichtet, lei-
                der allzu oft bittere Realität. Beim bereits unwahrschein-

Diskriminie–
                lichen Fall einer Einladung zur Besichtigung beginnt das
                Pluspunktesammeln bei der Hausverwaltung, um auf die
                Favorit*innenliste zu kommen – für den ersehnten Einzug

  rung auf
                ins Finale. Dabei bleiben viele von uns auf der Strecke.
                Denn mit dem Anstieg der Mietpreise nehmen auch sozi-
                ale Ausschlüsse zu. Kein »deutsch« klingender Nach-

    dem
                name? Kein (miteinziehender) Partner zum Kind? Kein
                »gesichertes« Einkommen? Keine Bürgschaft? Kein ge-
                schniegeltes Auftreten bei der Besichtigung? Kein deut-
                scher Pass? Zu queer, zu jung, zu dunkle Haut, zu reli-

Wohnungs–       giös? Die Wohnung ist leider schon vergeben!

                Der Wohnberechtigungsschein oder:

   markt
                die deutsche Kleinfamilie

                Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt bedeutet die
                Benachteiligung bei der Suche nach Wohnraum aufgrund
                der Zuordnung zu gesellschaftlich wirksamen Gruppen-

        38                          39
konstruktionen. Dabei unterscheidet das Allgemeine                       also keine Wohn- und Lebensgemeinschaften, die der
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zwischen unmittelba-                       Staat unterstützen möchte.
rer Diskriminierung mit einem direkten Bezug zu Diskri-                      Die monogame Kleinfamilie ist damit weiterhin
minierungsmerkmalen (wie Geschlecht, Hautfarbe, se-                      Norm und Basis der nationalstaatlichen Bevölkerungs-

                                                            Kapitel IV
xueller Orientierung, Religion, Klasse etc.) und mittel-                 politik. Dass sie das in den vergangenen Jahrhunderten
barer bzw. indirekter Diskriminierung, bei der auf das                   gewesen ist, hat sich auch in architektonischen Formen
Einhalten scheinbar neutraler Vorschriften und Regelun-                  niedergeschlagen, unter denen unkonventionelle Wohn-
gen bestanden wird, die jedoch diskriminierend wirken                    formen und größere WG-Konstellationen heute leiden:
können. Zum Beispiel können einige für die Anmietung                     Als geringverdienende Studis wohnen wir zum Teil in
einer Wohnung benötigte Unterlagen für Angehörige                        Durchgangszimmern oder in als Kinderzimmer konzi-
bestimmter Gruppen schwerer zu bekommen sein als                         pierten 8m²-Räumen.
für andere. Auf diese Weise werden bestimmte Personen
strukturell bei der Wohnungssuche benachteiligt.                         Wen sucht WG-Gesucht?
     Ein Beispiel: Die FU-Studentin Amber ist in der 17.
Schwangerschaftswoche und wohnt in einem 9m² gro-                        So ist es nicht verwunderlich, dass viele von uns gar
ßen WG-Zimmer. Gemeinsam mit ihrem Freund sucht                          nicht mehr nach eigenen Wohnungen suchen, sondern
sie eine bezahlbare Wohnung. Doch den dringend benö-                     nach Zimmern in bestehenden WGs. Denn dabei, so die
tigten Wohnberechtigungsschein (WBS) bekommen die                        Hoffnung, müsste es ja weniger geschäftsmäßig und bü-
beiden wohl nicht. Ambers Freund muss dafür nämlich                      rokratisch zugehen. Doch auch auf Portalen wie WG-Ge-
eine »unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung« vorweisen                      sucht herrschen diskriminierende Auswahlmechanis-
– doch diese hat er nicht. Dafür benötigt er wiederum                    men vor und die Casting-Situationen lassen nicht selten
ein »gesichertes« Einkommen. Bis die beiden wissen, ob                   an berufsvorbereitende Selbstpräsentationsworkshops
sein Azubi-BAföG unter diese Kategorie fällt, wird es für                denken. Wer gesucht wird, ist vielen Anzeigen klar zu
diese Wohnung bereits zu spät sein.                                      entnehmen: jung, aber nicht zu jung, sondern erwachsen,
     Bei genauem Hinsehen wird kenntlich, dass der                       wenn auch nicht zu alt, hip, alternativ – Weltenbumm-
WBS nicht nur eine rassistische Praxis darstellt, son-                   ler*innen mit vielen interessanten Hobbys neben dem
dern auch darüber hinaus der Regulierung von Wohnver-                    Studium. Auch wenn die Anzeigen oft auf Deutsch und
hältnissen dient. Zum gemeinsamen Wohnen berechtigt                      Englisch aufgegeben sind, kann sich beim Casting her-
sind nämlich entweder verwandte Personen oder Paare,                     ausstellen, dass geringe Deutschkenntnisse doch ein
die in einer »auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft«                   Problem darstellen.
leben, »die keine weiteren Bindungen gleicher Art zu-                        Unzählige Anfragen bei WG-Gesucht und kaum eine
lässt« und »über eine reine Wohn- und Wirtschaftsge-                     Rückmeldung – diese Erfahrung hat auch Ari gemacht:
meinschaft hinausgeht«. WGs, queere Familien mit mehr                    »Die einzigen, die mir dort geschrieben haben, waren
als zwei Elternteilen und polyamore Beziehungen sind                     alte, komische Männer, die eher auf der Suche nach einer

                                  40                                                        41
Partnerin waren als nach einem WG-Mitbewohner.« Und                       nativen? Couchsurfen bei Freund*innen; das Gästebett
auch Letta berichtet von »dubiosen Angeboten, deren                       bei Verwandten. Und ohne Connections? Ein Hostelbett
Intention sich eindeutig auf den zweitenTeil eines Wohn-                  in Berlin ist nicht nur teuer – es ist auch kein Zuhause.
verhältnisses bezieht«. Auch die Übernahme von Repro-                     Die zunehmend entsicherten Wohnverhältnisse schaf-

                                                             Kapitel IV
duktionsarbeit im Haushalt als zusätzliche Leistung ne-                   fen prekäre Zustände bis hin zur Obdachlosigkeit: Juan,
ben der Miete ist eine Angebotsform.                                      der seit einem Jahr erfolglos auf der Warteliste für einen
     In der Wohnungsnot spiegeln sich strukturelle Pro-                   Wohnheimplatz steht, musste bereits zwei Nächte auf
bleme einer Gesellschaft wider, die auf Ausbeutung, Ab-                   der Straße schlafen, weil er nicht anders untergekom-
wertung und Ausschluss errichtet ist. Wer dabei profi-                    men ist. Die ASH-Studentin Jessa muss ihre WG räu-
tiert und wer davon einen Nachteil hat, entscheidet sich                  men, weil die Vermieter Eigenbedarf angemeldet und
immer noch entlang von Ungleichheitsverhältnissen, die                    rechtlich durchgesetzt haben: »Der Kampf um die Woh-
sich anhand verschränkter und wechselwirkender Kate-                      nung war psychisch extrem belastend und oftmals der
gorien wie Klasse, Geschlecht, Nationalität, Sexualität,                  Grund, weshalb ich den Seminaren fernblieb.« Für Jessa
Alter etc. bestimmen.                                                     ist ihre persönliche Situation eine politische Angele-
     Diejenigen, denen der Zugang zum Wohnungsmarkt                       genheit und Teil der sozialen Wohnungsfrage: »Die Tat-
verwehrt bleibt, finden sich in einem prekarisierenden                    sache, dass studentische Notunterkünfte gefordert wer-
Strudel wieder: So hat Semi auf seiner Wohnungssuche                      den müssen, finde ich wirklich erschreckend. Wohnraum
nur Absagen erhalten. Seine einzige Möglichkeit, zu Se-                   ist eines der wichtigsten Grundbedürfnisse eines jeden
mesterbeginn ein Dach über dem Kopf zu haben, war ein                     Menschen und sollte keine Ware sein!«
»illegales« Mietverhältnis. Als »Nicht-Deutscher« wer-
de ihn keine Hausverwaltung nehmen, sagte ihm sein
Vermieter. Semis Wohnung ist in einem schrecklichen
Zustand – was aber seinen Vermieter nicht davon abge-
halten hat, die Miete zu erhöhen. Eine Meldebescheini-
gung kann er unter diesen Umständen nicht erhalten –
damit auch kein Bankkonto eröffnen, keine Schufa und
keine inländische Telefonnummer beziehen. So hat der
Ausschluss aus dem formellen Wohnungsmarkt eine
ganze Reihe weiterer Ausschlüsse zur Folge.

Ein Hostelbett ist kein Zuhause!

Wer keineWohnung und keinWG-Zimmer bekommen hat,
ist schon durch zwei Raster gefallen. Was bleibt an Alter-

                                   42                                                         43
Insbesondere für internationale Studierende, die nur für
    Kapitel V   ein oder zwei Auslandssemester nach Berlin kommen
                und auf dem regulären Wohnungsmarkt diversen Dis-

 Wohnheim       kriminierungsmechanismen ausgesetzt sind, aber auch
                allgemein für Studis, die noch keine oder wenige Kon-
                takte in der Stadt haben, stellen Wohnheime eine nahe-

   ist nicht
                liegende Alternative dar. Unter dem Label des Studi-
                wohnheims sind jedoch ganz verschiedene Wohnformen
                versammelt, die in Sachen Gemeinschaftlichkeit und

gleich Wohn–
                Selbstbestimmung zum Teil erheblich variieren. Im Fol-
                genden wollen wir zwei solche Wohnformen gegenüber-
                stellen, die in diesen Hinsichten unterschiedlicher kaum
                sein könnten: profitorientierte Renditewohnheime einer-

     heim
                seits – selbstverwaltete Studiwohnheime andererseits.

                Der einen Not ist der anderen Profit

                Neon Wood,The Fizz, Campus Viva – solch klangvolle Na-
                men bereichern neuerdings den Berliner Wohnungs-
                markt. Dahinter stecken sogenannte Mikroapartments,
                die aus einem oder zwei möblierten Zimmern mit Bad
                bestehen, sodass sie ohne größeren Aufwand bezogen
                und auch wieder verlassen werden können. Diese befin-
                den sich in Wohnheimkomplexen, die je nach Anbieter*in
                z.B. über Aufenthaltsräume mit Unterhaltungsmöglich-
                keiten, Gemeinschafts- und Waschküchen oder Fitness-
                räume sowie Co-Working Spaces und manchmal sogar
                über einen Concierge (d.h. eine Empfangsperson im Ein-
                gangsbereich) verfügen. Fernsehen und Internet sind
                entweder inklusive oder zubuchbar, genauso wie Wasch-
                dienst und Zimmerreinigung.
                    Solche Wohnheime bieten also ein fixes Rundum-
                Sorglos-Paket – für diejenigen, die es sich leisten kön-
                nen. Denn die Quadratmeterpreise inkl. Nebenkosten

         44                        45
und Mobiliar bewegen sich zwischen 15,65 (Niederschö-                   Erstsemesterzahlen als auch auf die Marktlücke, die
neweide) und 49,12€Euro (Wedding) – das ergibt Mieten                   der Rückbau bzw. unzureichende Ausbau von öffent-
von 450 bis 900€Euro für ein Zimmer mit Bad; bei zwei                   lich geförderten Wohnheimkapazitäten geschaffen hat
Zimmern reichen die Kosten sogar bis in den vierstelli-                 (siehe Kapitel II).

                                                            Kapitel V
gen Bereich. Um die empfohlene Höchstgrenze der Miet-                       Ausschlaggebend für den Erfolg des Investitions-
belastung von 30% des Nettoeinkommens nicht zu über-                    konzepts Renditewohnheim ist jedoch dieTatsache, dass
schreiten, müsste eine Person, die sich bspw. das güns-                 der Markt für möbliertes Wohnen ein weitgehend dere-
tigste Zimmer im Neon Wood am Frankfurter Tor für 599                   gulierter Rechtsraum ist, in dem die meisten Mechanis-
Euro leisten will, knapp 2.000€Euro im Monat verdienen.                 men des Mieter*innenschutzes nicht greifen. So sind mö-
    Aufgrund der herrschenden Wohnungsnot müssen                        blierte Wohnungen sowohl von der Mietpreisbremse als
jedoch auch Studierende mit geringeren Einkommen auf                    auch vomVerbot der Befristung von Mietverträgen ausge-
die überteuerten Mikroapartments zurückgreifen, wenn                    nommen, was die Vermieter*innen zu regelmäßigen und
ihreWohnungssuche nicht rechtzeitig zum Semesterstart                   ungehinderten Mieterhöhungen befähigt. Und auch die
erfolgreich gewesen ist. Das hat dann zur Folge, dass sie               gesetzliche Bindung an die ortsübliche Vergleichsmiete
einen unverhältnismäßig großen Anteil ihres Einkom-                     nach dem Berliner Mietspiegel kann über die völlig in-
mens für die Miete ausgeben und/oder sich einen Neben-                  transparenten Möblierungszuschläge umgangen werden,
job suchen müssen.                                                      was die hohen Mietpreise in Wohnheimen wie dem Neon
    Den Anbieter*innen solcher Mikroapartments geht                     Wood erklärt.
es aber auch gar nicht in erster Linie um die Bedürfnisse                   Außerdem unterliegen diese Wohnheime auch weni-
ihrer Mieter*innen – geschweige denn darum, Wohnraum                    ger strengen Auflagen als jene des studWERKs. So be-
zu sozialverträglichen Preisen zur Verfügung zu stellen                 kommen Investor*innen Genehmigungen für den Bau von
– sondern um größtmögliche Renditen bei kleinstmög-                     Studierendenapartments, ohne aber dazu verpflichtet zu
lichen Risiken für ihre Anleger*innen. So versprechen                   werden, die Wohneinheiten dann auch wirklich an Stu-
Immobilieninvestor*innen im Geschäft mit dem sog. Stu-                  dierende zu vermieten. So sind Renditewohnheime letzt-
dent Housing eine »attraktive Kapitalanlage mit nach-                   endlich rein profitgeleitete Bauprojekte, die zur Verdrän-
haltiger Rendite« (i Live Holding II GmbH) oder, in an-                 gung beitragen, indem sie die Entrechtung von Mieter*-
deren Worten: »maximale Wertschöpfung« (Homepoint                       innen voran treiben und gleichzeitig Bauland einnehmen,
Vermögensverwaltung). Die Wohnungsnot unter Studie-                     auf dem Wohnraum zu Preisen entstehen könnte, die sich
renden stellt aus ihrer Sicht kein zu lösendes Problem                  Studierende und andere einkommensschwache Perso-
dar, sondern einen willkommenen Anlass zur Profitma-                    nengruppen auch wirklich leisten könnten. Damit sind
ximierung. Daraus machen die Investor*innen auch über-                  sie auch ein Paradebeispiel dafür, dass Bauen auch zur
haupt kein Geheimnis: In ihrer Eigenwerbung und ihren                   Verdrängung beisteuern kann anstatt die Wohnungs-
Marktanalysen verweisen sie sowohl auf den vom »Me-                     krise zu lindern.
gatrend Wissensgesellschaft« getriebenen Anstieg der

                                  46                                                        47
Gemeinschaft und Selbstbestimmung                                      Ein solches Hausprojekt ist auch das alternative studen-
                                                                       tische Wohnprojekt Bettenhaus Marburg, das seit 1984
Jedoch sind Renditewohnheime nicht allein aufgrund                     besteht. Das Bettenhaus Marburg umfasst 56 Bewoh-
hoher Mieten und befristeter Verträge kritikwürdig. Au-                ner*innen in 11 Wohngemeinschaften und verfügt über

                                                           Kapitel V
ßerdem nutzen sie den Wunsch nach Gemeinschaft und                     seine eigene Kita. Ihren Anspruch an das Zusammen-
sozialem Anschluss für ihr Geschäftsmodell aus, indem                  leben charakterisieren die Bewohner*innen selbst als
sie mit dem Schlagwort der »Community« und Konzepten                   emanzipatorisch, antisexistisch, antirassistisch und ba-
des »Co-Livings« für sich werben, diese sozialen Bedürf-               sisdemokratisch. Ihr Selbstverständnis von 2012 zeugt
nisse in Wirklichkeit jedoch überhaupt nicht befriedigen               von den Problemen und Möglichkeiten kollektiven Woh-
können. So täuschen standardisierte, von Angestellten                  nens, den Voraussetzungen der Selbstverwaltung sowie
organisierte »Community-Events« wie »Fußball schau-                    der Herausforderung, die es bedeutet, einen künstleri-
en« oder »Playstation spielen« nur leidlich darüber hin-               schen und politischen Freiraum auch für Nicht-Bewoh-
weg, dass diese Wohnheime weder die Möglichkeit bie-                   ner*innen darzustellen. Explizit studentische Hauspro-
ten, sich seine Mitbewohner*innen selbst auszusuchen,                  jekte dieser Art gibt es nur wenige in Deutschland: etwa
noch, das eigene Lebensumfeld gemeinschaftlich zu                      die Rote Straße in Göttingen oder das studWERK-Wohn-
gestalten.                                                             heim in der Reichenberger Straße in Berlin.
     Dagegen gibt es durchaus Wohnmodelle, die ein                         Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass eine
größeres Maß an gemeinschaftlicher Selbstbestimmung                    umfangreichere Selbstorganisierung in einem Hauspro-
und Selbstverwaltung vorsehen. Selbstverwaltung be-                    jekt wie dem Bettenhaus Marburg auch größeren Auf-
deutet, dass sämtliche Entscheidungen bzgl. des Hauses                 wand für die Bewohner*innen und höhere Anforderun-
von den Bewohner*innen selbst getroffen und die an-                    gen an alle Beteiligten bedeutet. So erachten die Bewoh-
fallenden Aufgaben gemeinsam bewältigt werden: von                     ner*innen des Bettenhauses »ein gewisses Maß an sozi-
der Treppenhausreinigung über die Nutzung gemein-                      aler Kompetenz und Eigenverantwortlichkeit« als Vor-
schaftlicher Räume bis hin zur Bewerkstelligung klei-                  aussetzung für das Zusammenleben, denn: »Das Betten-
nerer Reparaturen und Umbauten am Haus. Meistens                       haus ist selbstorganisiert, aber es organisiert sich nicht
organisieren sich Hauskollektive über basisdemokrati-                  von selbst!« Mit dem zusätzlichen Aufwand und den er-
sche Strukturen: so gibt es regelmäßige Vollversamm-                   höhten Anforderungen ist dann allerdings auch ein grö-
lungen, auf denen die Bewohner*innen über ihr Zusam-                   ßeres Maß an Freiheit in der Gestaltung der eigenen
menleben beraten, Entscheidungen für die Zukunft tref-                 Wohnverhältnisse verbunden, das etwa möblierte Ren-
fen und Aufgaben verteilen, die dann zumeist von kleine-               ditewohnheime mit vorgefertigten Bespaßungsprogram-
ren Arbeitsgruppen (AGs) erledigt werden. Viele Haus-                  men völlig vermissen lassen.
projekte betreiben außerdem Räumlichkeiten wie z.B.                        Letztendlich ist es diese Möglichkeit, die eigene
Kiezläden oderTresen, die auch externen Personen offen                 Wohnsituation nach den eigenen Vorstellungen und Be-
stehen, und schaffen damit einen öffentlichen sozialen                 dürfnissen einrichten zu können, auf die es bei der Frage
Raum für den Kiez.

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