Gegen die zulassungs - beschränkte Stadt - Ein studentischer Blick auf Wohnungsnot - LandesAstenKonferenz Berlin
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Gegen die zulassungs – beschränkte Stadt Ein studentischer Blick auf Wohnungsnot
Ein studentischer Blick auf Wohnungsnot 2019
Einleitung Rendite – Wohnberechti- Studentische Wohnungs- 4 gungsschein – Wohngeld 37 not und Gentrifizierung Wohnungslosigkeit Kapitel I 9 Kapitel IV Die politische Ökonomie Diskriminierung auf 38 des Wohnungsmarkts dem Wohnungsmarkt Anlageobjekt – Bürgschaft 13 Kapitel V Gentrifizierung Wohnheim ist nicht 44 gleich Wohnheim Kapitel II 16 »Exzellent« studieren, Kapitel VI prekär leben Fazit und Forderungen 51 Mietbelastungsquote 24 Impressum Mietpreisbremse 56 Mietspiegel Prekarisierung 25 Reproduktionsarbeit Kapitel III 26 Die Wohnungsnot in Zahlen
Das Thema Wohnen ist seit einigen Jahren in aller Munde. Denn alle haben etwas zu berichten – sei es von Einleitung der ewigen Wohnungssuche, der letzten Mieterhöhung Studentische oder dem neuesten Ärger mit der Hausverwaltung. So viele sind mit diesen missliebigen Erfahrungen vertraut, dass längst allen klar ist, dass es sich dabei nicht um Einzelschicksale, sondern um ein gesamtgesellschaft- Wohnungsnot liches Problem handelt. Als Bezeichnung für dieses Problem hat sich der Begriff der Gentrifizierung durchgesetzt. Er meint eine und profitorientierte Aufwertung von Stadtteilen, die eine Verdrängung einkommensschwächerer durch einkom- mensstärkere Haushalte zur Folge hat. Wir Studieren- Gentrifi – den haben in der bisherigen Entwicklung eine unglück- liche Doppelrolle gespielt. Besonders in ihren Anfän- gen erblickten die Immobilienunternehmen in uns ei- zierung ne Chance, die Mieten zu erhöhen. Denn z.B. eine fünf- köpfige Studi-WG, in der alle Beteiligten eigene, wenn auch kleine Einkommen vorweisen können, kann in vie- len Fällen eine höhere Miete aufbringen, als etwa eine fünfköpfige Familie, in der nur ein oder zwei Familienmit- glieder erwerbstätig sind. Und auch die Eröffnung von Bars und Cafés für das verhältnismäßig zahlungskräf- tige Studierendenmilieu konnte von den Eigentümer*- innen unter dem Stichwort der »Kiezlage« im »Szene- viertel« als Argument für noch weitere Mieterhöhungen instrumentalisiert werden. Dieser Zusammenhang brachte viele Menschen dazu, zu glauben, wir Studierenden wären die letztendlichen Nutznießer der Gentrifizierung. Die geläufige Erzählung sah vor, dass wir erst in günstige Wohnungen einziehen, später mit unseren Hochschulabschlüssen einträgli- che Jobs annehmen und mit unserem vielen Geld das Preisniveau in unseren Gegenden hochtreiben würden. 4 5
Inzwischen aber zeigt sich, dass die Erhöhung der Mieten Seite 16 die Steigerung unserer Einkommen in den meisten Fäl- Im zweiten Kapitel setzen wir uns damit auseinander, wie len überholt hat. Längst haben wir selbst mit für uns es dem Berliner Senat in der Wohnungspolitik misslingt, untragbaren Mieten zu kämpfen, müssen zumTeil unsere für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, und wie er in der Einleitung Wohnungen verlassen, weil unsere Hausverwaltungen Wissenschaftspolitik seine Aufgabe vernachlässigt, stu- Luxussanierungen vornehmen, die wir uns nicht leisten dentisches Wohnen zu fördern. können, oder finden von vornherein keineWohnungen, die Seite 26 zugleich unseren Bedürfnissen und unseren finanziellen Im dritten Kapitel werten wir die Umfrage zur Zufrie- Möglichkeiten entsprechen. Die Gentrifizierung frisst denheit der Berliner Studierenden mit ihren Wohnver- ihre Kinder. hältnissen aus, die wir im Januar und Februar 2019 durchgeführt haben. Seite 38 Im vierten Kapitel lassen wir Studierende zu Wort kom- men, die uns von ihren Erfahrungen mit verschiedenen Formen von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt berichtet haben. Die Arbeitsgruppe Wohnen (AG Wohnen) der Landes- Seite 44 AstenKonferenz Berlin hat sich 2017 in Reaktion auf die Im fünften Kapitel zeigen wir, wie Betreiber*innen von um sich greifende studentischeWohnungsnot gegründet. Mikroapartments Extraprofite aus der studentischen Wir haben Notunterkünfte zum Semesterstart gefordert; Wohnungsnot schlagen, und kontrastieren diese aus- dem Berliner studierendenWERK auf den Zahn gefühlt; beuterischen Wohnformen mit Modellen, die der persön- kommerzielle Wohnheime und ihr Geschäftsmodell un- lichen Selbstbestimmung Raum lassen und dem Trend tersucht; Erfahrungsberichte über Diskriminierung auf zur Vereinzelung entgegenwirken. dem Wohnungsmarkt eingeholt und die Berliner Studie- Seite 51 renden nach ihren Wohnverhältnissen und ihrer Zufrie- Und im sechsten Kapitel formulieren wir schließlich denheit damit befragt. Im Folgenden wollen wir unsere Forderungen, die mit der studentischen und allgemeinen Erkenntnisse zusammentragen und uns damit ausein- Wohnungsnot aufräumen sollen. andersetzen, wie Studierende als eine von vielen gesell- schaftlichen Gruppen von Gentrifizierung betroffen sind. Im Wissen darüber, dass sich das Agieren von uns Stu- Seite 9 dierenden auf dem Wohnungsmarkt in der Vergangen- Im ersten Kapitel betrachten wir dazu die ökonomische heit oft zu Ungunsten anderer einkommensschwacher Verwertbarkeit von Wohnraum sowie die politischen Ent- Gruppen ausgewirkt hat, wollen wir sicherstellen, dass scheidungen, die der explosiven Preisentwicklung auf wir uns in unserem Agieren in der Politik in keiner Weise dem Wohnungsmarkt Tür und Tor geöffnet haben. gegen diese anderen Gruppen ausspielen lassen. Wenn 6 7
wir Wohnraum weiterhin als Gegenstand des Konkur- renzkampfs behandeln, kommt das auf lange Sicht nur den Immobilienunternehmen, nicht aber uns Bewoh- Kapitel I Die politische ner*innen der Stadt zugute. Wenn wir uns hingegen ver- bünden und selbstbestimmtes Wohnen für alle als das Ziel unseres gemeinsamen, sozialen und politischen Kampfes ins Auge fassen, können wir eine Stadt her- vorbringen, die über Teilhabe funktioniert und keine Ausschlüsse mehr produziert. Ökonomie des Wohnungs– markts 8 9
Von überteuerten Mieten und heruntergekommenen teuertes, von Privatunternehmen betriebenes Mikro- Wohnungen über unseriöse Angebote und lange War- apartment als die einzige Lösung dar (siehe Kapitel V). teschlangen bei Besichtigungen bis hin zu befristeten Wie hat es zu dieser massiven Verschlechterung der Untermietverträgen – alles weist darauf hin, dass sich Wohnungssituation kommen können? Kapitel I die Wohnungskrise zu einem unhaltbaren Zustand zu- spitzt. Betroffen sind wir alle – sowohl Alt-Berliner*in- Politische Entscheidungen und Marktmechanismen nen, die die Wohnungen und Wohnviertel verlassen müs- sen, in denen sie zum Teil jahrzehntelang gelebt haben, Zum einen lässt sich die gescheiterte staatliche Woh- als auch Neu-Berliner*innen, die sich mit unzumutba- nungspolitik benennen. So war der rot-rote Berliner Senat rer Konkurrenz und dreisten Hausverwaltungen her- von 2002 bis 2010 verantwortlich für die Privatisierung umschlagen müssen. Inzwischen sind neuvermietete von 140.000 landeseigenenWohnungen. Zusätzlich wurde Wohnungen in innerstädtischen Bezirken nur noch für das Baurecht liberalisiert und der soziale Wohnungsbau einkommensstarke Haushalte bezahlbar. eingeschränkt. Anstelle einer sozialen Wohnungspolitik Allgemein gilt: je höher das Einkommen, desto sich- wurde also eine Bauförderung praktiziert, die nicht den erer die Wohnverhältnisse. Für einen Großteil der Mie- Mieter*innen, sondern den Gewinnen von Privatunter- ter*innen, deren Löhne und Sozialleistungen stagnieren, nehmen zugute kam. Um die gegenwärtige Situation auf bedeutet jedoch die Preisexplosion auf dem Wohnungs- dem Wohnungsmarkt zu verstehen, ist es jedoch unab- markt eine zunehmende Gefahr, verdrängt zu werden: dingbar, auch die marktwirtschaftlichen Mechanismen Weil sie die stetig steigenden Mieten nicht mehr aufbrin- zu betrachten, die für diese Politik den Rahmen setzen. gen können, sind Menschen mit geringeren Einkommen Unter Wissenschaftler*innen gibt es zwei Erklä- gezwungen, an den Stadtrand zu ziehen. Kein Wunder, rungsmodelle für die Entwicklungen auf dem Wohnungs- dass der Anspruch auf bezahlbaren, innerstädtischen markt. Dem ersten, klassischen Modell zufolge ist es die Wohnraum als die soziale Frage der Gegenwart verhan- Nachfrage, die den Marktpreis der Angebote reguliert: delt wird. wenn die Nachfrage steigt, erhöht das automatisch die Auch wir Studierenden bekommen diese Entwick- Preise. Bezogen auf den Wohnungsmarkt würde das be- lung vermehrt zu spüren: So sind die unzähligen WG- deuten, dass durch die verstärkte Wohnungsnachfra- Castings hoffnungslos überlaufen und die Studiwohn- ge von Neu-Berliner*innen das Wohnungsangebot ge- heime restlos überfüllt. Zum Teil warten wir mehrere schrumpft und die Mieten gestiegen seien. Die erhöhte Semester auf die geförderten Zimmer des studieren- Nachfrage wird dabei mit der Attraktivität urbaner Le- denWERKs – und nicht selten vergeblich. Zu Beginn je- bensentwürfe und der Konzentration von Anstellungs- des Wintersemesters müssen diejenigen unter uns, die möglichkeiten in den Städten begründet, die allerdings keine Wohnung finden konnten und über keine Kontakte wiederum durch gezielte politische Imagekampagnen à in der Stadt verfügen, in Turnhallen, Notunterkünften la »be Berlin« vorangetrieben wurde. So wird die Haupt- oder Hostels übernachten. Für einige stellt sich ein über- stadt mit den folgenden Worten beworben: »Die Vielfalt, 10 11
die Gegensätze, das Miteinander, das Kunterbunte, das Kreative, das Verrückte und auch das Normale – […] Ob Anlageobjekt Künstler oder Geschäftsfrau, waschechter Berliner oder Neuankömmling, Kiezpflanze oder Hipster.Weil es geht in Als Anlageobjekte werden Immobilien bezeichnet, die Berlin.« Die wirtschaftliche Aufwertung, der diese schö- nicht für die eigene private Nutzung gekauft werden. nen Worte dienen sollen, untergräbt jedoch zugleich die Immobilien als Kapitalanlage zu erwerben dient dazu, Freiheit, Vielfalt und Offenheit, die sie bewerben. sie zu vermieten und somit Gewinne durch Mieteinnah- Eine Erklärung, die alles von der Nachfrage ableitet, men zu erwirtschaften. Hierzu zählen sowohl gewerbli- lässt jedoch die entscheidende Rolle außer Acht, die che Immobilien als auch private Immobilien wie Eigen- Immobilieninvestitionen und Renditeerwartungen bei der tumswohnungen oder Mietshäuser. Preisentwicklung spielen. Das zweite, alternative Erklä- rungsmodell hingegen versucht, diese Aspekte in die Bürgschaft Analyse miteinzubeziehen. Dabei zeigt sich, dass die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht Eine Bürgschaft ist ein einseitiger Vertrag, durch den einfach auf das Verhalten seitens der Wohnungssuchen- sich eine bürgende Person gegenüber der Vermieter*in den (Nachfrage), sondern ganz wesentlich auf das pro- verpflichtet, im Falle einer Zahlungsunfähigkeit für die fitorientierte Handeln privater Immobilienunternehmen Schulden der Person, die den Mietvertrag schließt, ein- (Angebot) zurückzuführen ist. Denn eine erhöhte Nach- zustehen. frage allein erzeugt keineswegs einen Zwang für die Im- mobilienbesitzer*innen, die Preise zu erhöhen – sie gibt Gentrifizierung ihnen lediglich die Möglichkeit, dies zu tun. Was sie dazu zwingt, ist das herrschende Profitmotiv. Gentrifizierung ist ein in der Stadtforschung angewand- So hat es in den letzten Jahren einen Zuwachs an ter Begriff, der einen sozialen Umstrukturierungsprozess Investitionen und Spekulation im Immobiliensektor ge- eines Stadtteils beschreibt. Dabei handelt es sich um geben. Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2007 kam eine Veränderung eines Wohnumfelds sowohl durch die es nämlich zu einem Verlust des Vertrauens in die Kapi- Verdrängung einkommensschwächerer durch einkom- talmärkte. Gleichzeitig war das profitträchtige Geschäft mensstärkere Bevölkerungsschichten (in aller Regel ein- mit der Produktion von Waren des Konsums bereits hergehend mit Restaurierungs- und Umbautätigkeiten) hochgradig mit Investitionen gesättigt, während der als auch die Verdrängung von weniger kapitalträchtigen Immobilienmarkt noch relativ offen war. Die obendrein Betrieben durch stärker kapitalträchtige Unternehmen. politisch geförderte Investition in Immobilien erschien den Akteur*innen auf den Finanzmärkten nun als ver- hältnismäßig sichere und langfristige, wenn auch im ersten Moment weniger profitable Anlagemöglichkeit. 12 Glossar
Doch auch das Problem mangelnder Profitabilität ließ preisbremse umgangen werden. Energetische Moder- sich beheben – und zwar durch die Steigerung der Miet- nisierungen werden als ein weiterer Vorwand für Miet- einnahmen. erhöhungen genutzt. Der Versuch, vor Gericht gegen den Berliner Mietspiegel zu klagen und diesen aufzuheben, Kapitel I Methoden der Profitmaximierung gehört ebenfalls zum alltäglichen Geschäft der Deut- sche Wohnen. Zudem verfolgt sie das Ziel, ein neues, ver- Um den Renditeerwartungen des investierten Kapitals mögendes Mieter*innenklientel anzuwerben und macht zu entsprechen, entwickeln die einzelnen Immobilienun- keinen Halt vor Kündigungen bei auslaufenden Miet- ternehmen verschiedene Strategien, die jedoch mit ne- verträgen. Auch bei verzögerten Mietzahlungen, für die gativen Folgen für die Mieter*innen verbunden sind. Zum in einigen Fällen z.B. das Jobcenter verantwortlich ist, Beispiel werden Modernisierungsmaßnahmen auf den schreckt die Deutsche Wohnen nicht vor Zwangsräu- Mietpreis aufgeschlagen, Miet- in Eigentumswohnungen mungen als der brutalsten Form der Verdrängung zurück. umgewandelt oder Gebäude gleich komplett abgeris- Am Beispiel der Deutsche Wohnen wird deutlich, sen und durch besser vermarktbare Neubauten ersetzt. wie sehr private Investor*innen das Geschehen auf dem Ein Paradebeispiel für die kapitalistische Verwer- Wohnungsmarkt bestimmen und dabei verschiedene For- tung von Wohnraum ist die marktführende börsenno- men der Verdrängung befördern, durch die Menschen tierte Immobiliengesellschaft Deutsche Wohnen, wel- ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. che 1998 als Tochterunternehmen der Deutschen Bank gegründet wurde. Die Deutsche Wohnen besitzt 160.700 Wohneinheiten, davon 110.000 Wohnungen in Berlin, und ist eine der größten privaten Vermieter*innen Deutsch- lands. Sie ist somit eine wirkungsmächtige mietenpoliti- sche Akteurin in der Frage um den (Berliner) Mietspie- gel und betätigt sich in der Normalisierung enorm hoher Mietpreise. Zu den Methoden der Profitmaximierung, welche die Deutsche Wohnen anwendet, gehört z.B., günstige Wohnungen zu kaufen und diese, ohne sie instandge- setzt zu haben, auf dem Niveau des aktuellen Mietspie- gels zu vermieten. Auch werden Instandsetzungen (bei Heizungsausfällen, kaputten Fahrstühlen etc.) so lange zurückgehalten, bis die Wohnungen verkommen sind und umfassender Modernisierung bedürfen. Auf diese Wei- se können die Mieten massiv erhöht und dabei die Miet- 14 15
Für die allgemeine Wohnungspolitik ist in Berlin der Se- nat für Stadtentwicklung und Wohnen (SenSW) zustän- Kapitel II dig. Damit läge es in seiner Verantwortung, dafür zu sor- gen, dass bezahlbarer Wohnraum für alle bereit steht – »Exzellent« auch für Studis, die größtenteils nur über geringe Ein- kommen verfügen. Da die besonderen Anforderungen studentischen Wohnens auch durch die Gegebenheiten studieren,pre – des Studiums bestimmt sind, ist es zusätzlich dem Senat für Wissenschaft und Forschung (SenWissForsch) an- vertraut. In diesem Sinne ist das studentische Wohnen kär leben neben dem Zugang zu Beratungsstellen, gesundheit- licher Versorgung und dem öffentlichen Nahverkehr als Teil der sozialen Grundlagen des Wissenschaftsbetriebs zu verstehen. Wissenschaftspolitik müsste demnach zu- sehen, dass mit dem Ausbau der Hochschulen stets auch ein Ausbau von Wohnheimplätzen einhergeht. So wie der SenSW Einfluss auf den allgemeinen Wohnungsmarkt ausüben kann, so hat der SenWiss- Forsch verschiedene Möglichkeiten, auf den studenti- schen Wohnungsmarkt einzuwirken. Während der Sen- SW Sozialwohnungen bauen kann, kann der SenWiss- Forsch Studiwohnheime bauen. Beides wurde jedoch lan- ge Zeit vernachlässigt, sodass in Berlin sowohl die Zahl der Sozialwohnungen als auch die Zahl der Wohnheim- plätze trotz wachsender Einwohner*innenzahl gesunken ist. So wie der SenSW einkommensschwachen Haushal- ten die Miete bezuschussen kann, können Studierende, die aus solchen Haushalten kommen, BAföG erhalten. Im Folgenden wollen wir uns ansehen, was der Berliner Senat für studentisches Wohnen tut, was er nicht tut und was das für Konsequenzen hat. 16 17
Wohn- und Wissenschaftspolitik in Berlin das Deutsche Studentenwerk (DSW) bereits 2007. Doch die Kritik wurde ignoriert und so nahm die Wohnungskri- In Berlin ist das Berliner studierendenWERK (stud- se in Berlin – wie auch in vielen anderen Großstädten – WERK) für die sozialen Belange von Studierenden ver- ihren Lauf. Kapitel II antwortlich – und damit auch für die Verwaltung von Der Mangel an Wohnheimplätzen ist zunächst dar- Wohnheimen. Studierendenwerke wurden ursprünglich auf zurückzuführen, dass das studWERK keine neuen als Selbsthilfeeinrichtungen von Studis gegründet, um Wohnheime mehr baut. Nach Aussagen des studWERKs sich kollektiv und unabhängig um ihre sozialen Belange ist Neubau derzeit aus Kostengründen ausgeschlossen. zu kümmern. Mittlerweile gibt es sie in allen Bundeslän- Seine Mietpreise orientieren sich nämlich an der BAföG- dern, wo sie durch die jeweiligen Hochschulgesetze ge- Wohnpauschale, die bis vor Kurzem bei 250€Euro lag. regelt sind. Jedoch wären die Kosten für Neukauf und Neubau nach Das Berliner studWERK verwaltet derzeit 9.443 eigenen Angaben schon 2009 so hoch gewesen, dass die Wohnheimplätze. Zum Wintersemester 2018/19 gab es Neumieten bei weit über 300€Euro im Monat gelegen hät- in Berlin 192.129 Studierende – die Wohnheime deckten ten. Durch hohe Immobilienpreise und fehlende zusätz- damit 4,9% des Bedarfs an Wohnraum für Studis ab. Mit liche Finanzierung von Seiten der Politik ist es dem stud- diesem Wert bildete Berlin im bundesweiten Vergleich WERK also schon seit längerem unmöglich, neu zu kau- das Schlusslicht – die durchschnittliche Versorgungs- fen und zu bauen. quote lag bei 9,6%. Die niedrige und stetig sinkende Ver- Mag es also für die mangelnde Auslastung mit Wohn- sorgungsquote lässt sich dadurch erklären, dass dem heimplätzen in erster Linie ökonomische Gründe geben, Wachstum der Hochschulen nicht mit einem Ausbau der so ist dafür doch auch die politische Entscheidung der Wohnheimplätze entsprochen wurde, sondern – im Ge- Landesregierung mitverantwortlich, studentisches Woh- genteil – Plätze abgebaut wurden. So konnte das Ber- nen nicht finanziell zu fördern. Würde die Politik Wohnen liner studWERK im Jahr 2006 noch 10.479 Plätze bereit als Sozialgut verstehen – also als ein Gut, welches unab- stellen, während die Zahl an Studierenden zum Winter- hängig von seinem Preis der Bevölkerung zur Verfügung semester 2006/07 bei nur 132.822 lag, was eine Versor- stehen muss (wie z.B. Bildung oder gesundheitliche Ver- gungsquote von immerhin 7,9% bedeutete. sorgung) – dann könnte die Berliner Landesregierung Dabei war der Anstieg der Studierendenzahlen kei- selbst die steigenden Kosten übernehmen, um weiterhin neswegs unvorhergesehen, sondern geplant. Schließlich preiswerten studentischen Wohnraum zu sichern. Dies hatten Bund und Länder 2006 den ersten „Hochschul- ist jedoch nicht der Fall. pakt“ abgeschlossen, der den Ausbau von Studienplätzen Nicht nur hätte das Land Berlin prinzipiell die Mög- vorsah. Dass dieser Pakt keinen entsprechenden Ausbau lichkeit, selbst Grundstücke zu kaufen – auch läge es in der sozialen Infrastruktur (Wohnraum, gesundheitliche der Macht der Landesregierung, den Anstieg der Boden- Versorgung, kostengünstiges Essen, Beratungsstellen, preise zu verhindern. Eine solche Preiskontrolle käme Kinderbetreuung) für Studierende enthielt, kritisierte dem Land dabei in zweierlei Hinsicht finanziell zugute: 18 19
Erstens würde der Erwerb von Immobilien und Grund- Zweck hat, Überschüsse zu erwirtschaften. Konkret be- stücken damit auch für es selbst günstiger. Und zwei- deutet das, dass Berlinovo ebenso vorgehen kann wie tens hätte es auch dort geringere Ausgaben, wo es sich eine private Eigentümer*in: mehr Miete verlangen, als die selbst (etwa im Fall von Sozialhilfe- oder BAföG-Em- Kosten für die Bereitstellung des Wohnraums betragen, Kapitel II pfänger*innen) an den Mietkosten beteiligt. Die Berliner um Gewinn zu machen. Gebaut wird hier also nicht, um Landesregierung geht das Problem jedoch nicht in die- Studierenden Wohnraum zu bieten, sondern um Über- ser Weise an und schafft es so bis heute nicht, nachhal- schüsse für den öffentlichen Haushalt zu generieren. tige Lösungen umzusetzen. Nur in einem Fall hat sich die Berliner Landesregie- Auf Druck der LandesAstenKonferenz (LAK) Berlin rung dafür eingesetzt, dass mehr Geld für studentisches beschloss der SenWissForsch im Jahr 2014 den Bau von Wohnen ausgegeben wird – beim BAföG. So stellte sie 5.000 neuen Wohnheimplätzen bis 2020. Gebaut wurden 2018 im Bundesrat einen Antrag, die aus Bundesmitteln davon bis 2019 jedoch nur 185 Plätze. Während das stud- finanzierte BAföG-Wohnpauschale von 250€Euro auf 325 WERK lange Zeit die einzige staatliche Behörde war, die Euro zu erhöhen. Sinnvoll ist diese Forderung aber nur mit der Verwaltung von Studiwohnheimen betraut war, bedingt: auch wenn dies eine kurzfristige Erleichterung soll der Bau der 5.000 neuen Wohnheimplätze nun durch für Studis bedeuten kann, so fließen auf diese Weise die Berlinovo GmbH sowie landeseigene Wohnungsbau- doch nur wieder öffentliche Gelder in die privaten Kas- gesellschaften realisiert werden, was für uns Studis sen der Vermieter*innen. Es handelt sich also dabei um gleich mehrere Nachteile birgt. Zum einen wird den Stu- keine nachhaltige Lösung, sondern im schlimmsten Fall dierenden damit die Mitwirkung an der Verwaltung ihres um eine, die den Mietspiegel weiter steigen lässt. Wohnraums entzogen. Das studWERK unterliegt näm- Dass der SenWissForsch (bzw. der Berliner Senat lich seinem Verwaltungsrat, der zu 50% mit Studierenden im Allgemeinen) Wohnen als Wirtschaftsgut und nicht besetzt ist. Auch wird in Wohnheimen des studWERKs als Sozialgut sieht, zeigt sich auch daran, dass er dem den Bewohner*innen ermöglicht, die Heime zum Teil studWERK im letzten Jahrzehnt nicht eine einzige dem selbst zu verwalten. Dafür werden unter anderem Ge- Land oder den Bezirken gehörende Immobilie überließ meinschafts-, Sport- und Clubräume kostenlos zur Ver- – wohingegen der FU Berlin 2017 kostenfrei ein leerste- fügung gestellt. Berlinovo und Co. unterliegen diesen hendes Krankenhaus zur Verfügung gestellt wurde, um Auflagen hingegen nicht. So müssen die 5.000 Wohn- einen Start-Up-Campus (FUBIC) einzurichten. Während heimplätze nicht einmal verbindlich an Studierende ver- bei Projekten wie FUBIC etwa durch Start-Up-Finanzie- mietet werden. rungshilfen wiederum Steuergelder in private Firmen Darüber hinaus darf das studWERK als Anstalt fließen, wird der Ausbau der sozialen Infrastruktur wei- öffentlichen Rechts keine profitorientierten Geschäfte terhin vernachlässigt, worunter am meisten Studierende betreiben. Berlinovo dagegen wurde gegründet, um Ber- mit niedrigen Einkommen zu leiden haben. lins Schulden abzubezahlen – ist also ein öffentliches Immobilienunternehmen, das aber nichtsdestotrotz den 20 21
Es ist also nicht nur fraglich, wie der SenWissForsch mit der studentischen Wohnungskrise umzugehen ge- denkt, sondern ob er die Gewährleistung von bezahl- barem Wohnraum für Studierende überhaupt als einen Bestandteil von Wissenschaftspolitik ansieht. Dabei wäre allein diese Betrachtungsweise der Sache ange- messen – schließlich bedeuten steigende Mieten und Wohnraumknappheit nicht einfach nur eine persönli- che Belastung für Studis, sondern stellen darüber hi- naus auch eine Gefahr für den gleichberechtigten Zu- gang zum Bildungssystem dar. 22 23
Mietbelastungsquote Prekarisierung Die Mietbelastungsquote berechnet sich aus dem Ver- Prekarisierung ist ein Begriff aus der Arbeitssoziolo- hältnis von Bruttokaltmiete zu Nettoeinkommen. 30% wer- gie und beschreibt die stetige Zunahme der Zahl von den als Höchstgrenze für eine angemessene Mietbelas- Arbeitsplätzen mit so geringer Einkommenssicherheit, tung angesehen. dass Betroffene ihre Existenz nicht mehr bestreiten kön- nen. Neben mangelnder Arbeitsplatzsicherheit, niedri- gen Löhnen, Teilzeitbeschäftigung, befristeten Verträ- gen sowie mangelndem Kündigungsschutz gehört auch fehlende Interessenvertretung (keine gewerkschaftliche Mietpreisbremse Bindung bzw. fehlender Betriebsrat) zu den strukturellen Ursachen der Prekarisierung. Der Quadratmetermietpreis einer Wohnung darf in der Regel nicht mehr als 10% über der im aktuellen Miet- spiegel angegebenen Vergleichsmiete liegen – außer bei Neubau, Modernisierungen und bereits über dem Miet- spiegel liegenden Bestandsmieten. Mietspiegel Reproduktionsarbeit Der Mietspiegel informiert über das Mietpreisniveau in Reproduktion bedeutet das Wiederherstellen oder Auf- einer Stadt. Kernstück ist die Mietpreistabelle, in der rechterhalten von uns selbst, anderen Menschen und für Wohnungen ähnlicher Beschaffenheit und Größe die der Gesellschaft. Reproduktionsarbeit ist dann solche, ortsüblichen Mieten als Preise pro Quadratmeter Wohn- die es uns möglich macht, jeden Morgen wieder arbei- fläche aufgelistet sind. Dazu werden sowohl die durch- ten (oder zur Uni) zu gehen und auf gesellschaftlicher schnittlichen Mieten als auch Mietpreisspannen ausge- Ebene dafür sorgt, dass es immer neue Menschen gibt, wiesen. die arbeiten gehen. In der Regel sind Reproduktions- arbeiten schlecht oder gar unbezahlt. Aufgrund der his- torischen Zuteilung der Reproduktionsarbeit zum weibli- chen Geschlecht sind es noch heute überwiegend Frau- en, die für sie verantwortlich sind. So geht mit der finan- ziellen Abwertung von Reproduktionsarbeit auch eine gesellschaftliche Diskriminierung von Reproduktions- arbeiter*innen einher. Glossar Glossar
Im Zeitraum vom 15. Januar bis zum 21. Februar 2019 ha- ben wir eine Umfrage unter den Berliner Studierenden Kapitel III bezüglich ihrer Wohnverhältnisse durchgeführt. Es nah- Die men 8.905 Personen Teil, wobei die höchsten Teilnah- mezahlen an jenen Hochschulen zustande kamen, an denen die Studierenden direkt von ihren ASten über die Wohnungsnot Umfrage informiert werden konnten. Das sind die Ergeb- nisse: Wohnen oder Nichtwohnen in Zahlen Mit 77,6% wohnt die überwältigende Mehrheit der befrag- ten Studierenden in gewöhnlichen Mietshäusern. 6,6% der Befragten leben in Wohnheimen des studWERKs, 3,7% in Studiwohnheimen privater Träger. Ein kleiner, je- doch besorgniserregender Prozentsatz von 0,1% gab an, in einem Hostel oder Hotel unterzukommen. Dabei han- delt es sich zwar um nur 13 unserer 8.905 Befragten – hoch- gerechnet auf die Gesamtzahl der Studierenden in Berlin wären das jedoch rund 280 Personen. Neben dem dau- erhaften Übernachten auf einem Sofa bei Freund*innen ist das Unterkommen in einem Hostel eine von vielen Er- scheinungsformen studentischerWohnungslosigkeit, die nicht so sehr von unmittelbarer Obdachlosigkeit geprägt ist als vielmehr davon, sich längerfristig mit Notlösun- gen behelfen zu müssen. Das nötige Kleingeld Selbstverständlich gibt es auch unter Studierenden Un- terschiede hinsichtlich der finanziellen Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen. Dabei überwiegen mittlere und niedrige Einkommen insgesamt deutlich gegenüber hö- heren Einkommen. Mit 50,1% bilden die mittleren Einkom- 26 27
men von 700–1.200 Euro die größte Gruppe. Ganze 39,9% bar, dass letztere für die allermeisten Studierenden gaben an, ihren Lebensunterhalt von einem Einkommen einen unverhältnismäßig großen Anteil ihrer gesamten von weniger als 700 Euro im Monat bestreiten zu müs- Lebenshaltungskosten ausmachen: So geben 89,6% der sen. Dagegen sind es mit 9,9% verhältnismäßig wenige, Befragten mehr als 30% ihres Einkommens für Miete Kapitel III die über ein monatliches Einkommen von über 1.200€Euro aus, was als kritische Belastungsobergrenze gilt – wer verfügen (Abb. 1). Wie die Ergebnisse unserer Umfrage mehr zahlt, dem bleibt zu wenig Geld für andere Lebenshal- zeigen, geht mit den unterschiedlichen Einkommen au- tungskosten (Verpflegung, Krankenversicherung, Handy- ßerdem eine ungleiche Verteilung der verschiedenen Är- vertrag, Semestergebühren etc.). An einem anderen Ver- gernisse einher, die der Wohnungsmarkt für uns bereit- gleichswert zeigt sich, dass die Preisentwicklung auf hält. dem Wohnungsmarkt auch die Wirksamkeit staatlicher Förderung beeinträchtigt: So würde der erst kürzlich Die Mieten durch die Decke auf 325€Euro angehobene Betrag der BAföG-Wohn-pau- schale in 77,4% der Fälle nicht dafür ausreichen, die Diejenigen, die in regulären Mietwohnungen leben, zah- Mietkosten zu decken. len im Durchschnitt 455€Euro Miete im Monat. Im Kont- rast dazu ist die Zimmermiete in Wohnheimen des stud- Auf der Suche WERKs mit durchschnittlich 283€Euro deutlich günstiger. An dieser Differenz von beinahe 40% lässt sich ablesen, Unsere Umfrage hat ergeben, dass Studierende mit nie- wie sehr die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt drigeren Einkommen längere Zeit für die Wohnungssu- außer Kontrolle geraten ist. Ferner hat die Mietenexplo- che benötigen, als Studis, die einen größeren finanziel- sion die absurde Situation zur Folge, dass es sogar bil- len Spielraum haben (Abb.2). 19,9% jener, die Angaben liger sein kann, in einem Hostel oder Hotel zu übernach- zur Suchzeit gemacht haben, haben sechs oder mehr ten: hier beträgt der Durchschnittswert 343 Euro im Monate – also ein Semester oder länger – nach ihrer aktu- Monat, was rund 11€Euro pro Nacht entspricht. Dass es ellen Unterkunft suchen müssen. Dabei sind wiederum eine Kostenersparnis bedeuten kann, in einer touristi- Studierende, denen weniger als 700 Euro im Monat zur schen Kurzzeitunterkunft zu wohnen, ist nicht nur ein Ar- Verfügung stehen, mit 25,1% überdurchschnittlich häufig mutszeugnis für den Berliner Wohnungsmarkt – vor allem von diesem Problem betroffen. Da anderenfalls die Auf- ist es eine Zumutung für diejenigen, die sich zu diesem nahme des Studiums vereitelt würde, macht es eine der- Schritt gezwungen sehen und in der Folge erhebliche art langanhaltende Wohnungssuche notwendig, sich mit Einbußen in Sachen Privatsphäre hinnehmen müssen. einer Notlösung wie einem Hostel oder auch einem Sofa bei Freund*innen zu behelfen. Mag diese prekäre Art Über die Verhältnisse mieten und Weise des Unterkommens als dauerhafte Wohnform auch sehr selten sein, so ist sie als mehr oder weniger Im Vergleich von Einkommen und Mietkosten wird sicht- lange Episode nur allzu vielen Studierenden bekannt: 28 29
immerhin 14,2% der Befragten gaben an, während der 60 % Zeit ihres Studiums in Berlin eine solche Erfahrung von Wohnungslosigkeit gemacht zu haben. 50 % 50.1 Kapitel III Auch mal allein sein 40 % 39.9 30 % Im Gesamtdurchschnitt gaben 4,3% an, gegenwärtig kein Zimmer für sich allein zu haben und sich diesen Raum 20 % aus Kostengründen mit anderen Personen zu teilen. Wie zu erwarten, trifft dies jedoch in erhöhtem Maße auf 10 % 9.9 Personen mit geringeren Einkommen zu. Unter Studie- renden, denen weniger als 700€Euro im Monat zur Verfü- 1.200 gung stehen, sind es ganze 6,7%, die sich ihr Zimmer aus Kostengründen teilen – sie sind also überdurchschnitt- Abb 1 Einkommensklassen (in Euro) unter Studierenden lich oft von diesem Problem betroffen. Studierende mit einem monatlichen Einkommen von 700–1.200€Euro lie- gen mit 3,9% knapp unterhalb des Durchschnitts. Bei 4.0 Studis, die ein Einkommen von mehr als 1.200€Euro im 3.5 Monat beziehen, ist dieses Problem hingegen praktisch 3.5 nicht vorhanden – der Anteil beläuft sich auf weitaus 3.0 weniger als 0,1%. 3.1 2.5 2.7 Im Ring oder außerhalb? 2.0 In Hinblick auf die geographische Verteilung niedriger, 1.5 mittlerer und höherer Einkommen zeigt sich eine Ten- denz, wonach sich Studierende mit größerem finanziel- 1.0 len Spielraum eher noch eine innenstädtische Wohnlage leisten können, wohingegen jene von uns, die knapper bei 0.5 Kasse sind, häufiger in Randbezirke ziehen müssen. So wohnt der Großteil der Studierenden mit einem Einkom-
Abb 3 Tarifbereich vs. Einkommensklasse Abb 4 Tarifbereich vs. Einkommensklasse 48 % 54 % 2% 7% 50 % 39 % Einkommen mehr als 700 Euro Einkommen weniger als 700 Euro A A B B C C 32 33
700 Euro innerhalb des Rings (im Tarifbereich A) wohnt Abb 5 Fahrtzeit und Zufriedenheit von Studie- (Abb. 3). Besonders deutlich werden die Auswirkun- renden mit Wohnung in Berlin gen des Einkommens bei den Anteilen derjenigen, die im Tarifbereich C wohnen: Während nur 2,3% der Studie- renden mit mittleren und höheren Einkommen am Stadt- 92 % rand wohnen, sind es bei den Studierenden mit geringe- ren Einkommen 6,6% (Abb. 4). Nimm Dir ein Buch mit! 7% 49% der Befragten gaben an, dass ihr Fahrtweg zur Uni 1% weniger als 30 Minuten in Anspruch nimmt und zeigten sich mit einer überwältigenden Mehrheit mit dieser Si- 40.2 % tuation »zufrieden« bis »sehr zufrieden«. Eine knappe Mehrheit von 51% der Studierenden benötigt hingegen länger als eine halbe Stunde und bewertet diesen Um- stand in verschiedenen Abstufungen mehr und mehr negativ: Schon bei Fahrtwegen zwischen einer halben und einer Stunde überwiegen die unzufriedenen gegen- 31.1% über den zufrieden Stimmen. Studierende, die noch mehr Fahrtzeiten bis zu 30 min Zeit für ihren Fahrtweg einplanen müssen, zeigten sich mit wiederum unmissverständlichen Mehrheiten »un- zufrieden« bis »sehr unzufrieden« (Abb. 5). eher zufrieden neutral Nein, auch das noch! eher unzufrieden 27.7% Abgesehen von dieserart Problemen, die mit der Wohn- lage zusammenhängen, halten auch die Ausstattung der Fahrtzeit 30-60 min Wohnungen, die Konditionen der Mietverträge und das Verhalten der Hausverwaltungen und Vermieter*innen 88 % eine große Bandbreite an möglichen Ärgernissen bereit: Fahrtzeit mehr als 60 min 28,7% der Befragten gaben an, dass der Zustand ihrer Wohnungen als »befriedigend« oder schlechter einzu- schätzen sei, weil sie größere Mängel aufweisen, die 1.7% 10.3 % 34 35
Sanierungsarbeiten erforderten. Zugleich berichteten 17,9% davon, dass sich ihre Hausverwaltungen davor Rendite drücken würden, solche Mängel zu beheben. 16,4% ha- ben nur befristete Mietverträge. 16,2% haben eine Miet- Die Rendite bezeichnet den jährlichen Gesamtertrag staffelung im Vertrag, was ebenfalls potentiell limitie- einer Geldanlage als Prozentsatz des investierten Ka- rend auf ihre Möglichkeiten wirkt, in ihren Wohnungen pitals. zu bleiben, so lange sie wollen. 6,2% waren bereits von unzulässigen Mieterhöhungen betroffen. 14,7% leben in Wohnberechtigungsschein teilmöblierten Wohnungen, was ihre Mieter*innenrechte sowie ihre Freiheit einschränkt, ihre Wohnverhältnisse Der WBS ist ein amtlicher Nachweis über die Berech- nach ihren Vorstellungen einzurichten und zu gestalten. tigung, in einer Sozialwohnung wohnen zu dürfen und 7,5% haben die Erfahrung gemacht, dass eine Unterver- muss beim Einzug in eine Sozialwohnung nachgewie- mietung nicht von der Hausverwaltung genehmigt wur- sen werden. de. Bei 4,9% wurde der Hauptmieter*innenwechsel ab- gelehnt. Es zeichnet sich also ab, dass Vermieter*innen Wohngeld und Hausverwaltungen in vielen Fällen Kosten meiden, jedoch keine Mühen scheuen, wenn sie Gelegenheit Wohngeld ist eine staatliche Unterstützung für Bür- sehen, die Mieten zu erhöhen. ger*innen, die aufgrund geringen Einkommens einen Zuschuss zur Miete benötigen. Die Höhe des Wohn- Alles in allem zeigt sich: Ein Großteil der Berliner Stu- gelds errechnet sich aus der Anzahl der Familienmit- dierenden gibt einen unverhältnismäßig hohen Anteil glieder, die zum Haushalt gehören, dem Familienein- ihrer Einkommen für Mieten aus und verbringt zugleich kommen und der zu berücksichtigenden Miete. unverhältnismäßig lange Zeit auf der Wohnungssuche. Viele haben schließlich dennoch mit Mängeln in ihren Wohnungslosigkeit Wohnungen zu kämpfen. Wer sich eine innenstädtische Lage nicht mehr leisten kann, muss sich außerdem häu- Als wohnungslos gelten Menschen, die in Einrichtun- figer mit missliebigen, langen Fahrtwegen abfinden. Und gen wohnen, in denen die Aufenthaltsdauer begrenzt sind es auch derzeit noch verhältnismäßig wenige, die ist und keine dauerhaften Wohnplätze zur Verfügung sich aus Kostengründen dauerhaft mit Notlösungen stehen (z.B. Übergangswohnheime, Notunterkünfte behelfen müssen – sofern sich die derzeitige Preis- und Herbergen). entwicklung auf dem Wohnungsmarkt weiter fortsetzt, dürfte das bald auf mehr und mehr von uns zutreffen. 36 Glossar 37
Zum Wintersemester 2017/18 haben wir persönliche Er- fahrungsberichte akuter studentischer Wohnungsnot angefragt. Daraufhin erreichte uns eine Reihe von Be- richten, in denen insbesondere Diskriminierungserfah- rungen geschildert wurden. Im Folgenden wollen wir an- hand dieser Schilderungen die Zusammenhänge prekärer (Nicht-)Wohnsituationen und gesellschaftlicher Diskri- minierungsstrukturen beleuchten. Dabei wurden sämt- liche Namen von uns abgewandelt. »Ich kam mir vor, wie in einer schlechten Castingshow!« (Letta) Für Wohnungssuchende in Berlin ist die »schlechte Cas- Kapitel IV tingshow«, von der die FU-Studentin Letta berichtet, lei- der allzu oft bittere Realität. Beim bereits unwahrschein- Diskriminie– lichen Fall einer Einladung zur Besichtigung beginnt das Pluspunktesammeln bei der Hausverwaltung, um auf die Favorit*innenliste zu kommen – für den ersehnten Einzug rung auf ins Finale. Dabei bleiben viele von uns auf der Strecke. Denn mit dem Anstieg der Mietpreise nehmen auch sozi- ale Ausschlüsse zu. Kein »deutsch« klingender Nach- dem name? Kein (miteinziehender) Partner zum Kind? Kein »gesichertes« Einkommen? Keine Bürgschaft? Kein ge- schniegeltes Auftreten bei der Besichtigung? Kein deut- scher Pass? Zu queer, zu jung, zu dunkle Haut, zu reli- Wohnungs– giös? Die Wohnung ist leider schon vergeben! Der Wohnberechtigungsschein oder: markt die deutsche Kleinfamilie Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt bedeutet die Benachteiligung bei der Suche nach Wohnraum aufgrund der Zuordnung zu gesellschaftlich wirksamen Gruppen- 38 39
konstruktionen. Dabei unterscheidet das Allgemeine also keine Wohn- und Lebensgemeinschaften, die der Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zwischen unmittelba- Staat unterstützen möchte. rer Diskriminierung mit einem direkten Bezug zu Diskri- Die monogame Kleinfamilie ist damit weiterhin minierungsmerkmalen (wie Geschlecht, Hautfarbe, se- Norm und Basis der nationalstaatlichen Bevölkerungs- Kapitel IV xueller Orientierung, Religion, Klasse etc.) und mittel- politik. Dass sie das in den vergangenen Jahrhunderten barer bzw. indirekter Diskriminierung, bei der auf das gewesen ist, hat sich auch in architektonischen Formen Einhalten scheinbar neutraler Vorschriften und Regelun- niedergeschlagen, unter denen unkonventionelle Wohn- gen bestanden wird, die jedoch diskriminierend wirken formen und größere WG-Konstellationen heute leiden: können. Zum Beispiel können einige für die Anmietung Als geringverdienende Studis wohnen wir zum Teil in einer Wohnung benötigte Unterlagen für Angehörige Durchgangszimmern oder in als Kinderzimmer konzi- bestimmter Gruppen schwerer zu bekommen sein als pierten 8m²-Räumen. für andere. Auf diese Weise werden bestimmte Personen strukturell bei der Wohnungssuche benachteiligt. Wen sucht WG-Gesucht? Ein Beispiel: Die FU-Studentin Amber ist in der 17. Schwangerschaftswoche und wohnt in einem 9m² gro- So ist es nicht verwunderlich, dass viele von uns gar ßen WG-Zimmer. Gemeinsam mit ihrem Freund sucht nicht mehr nach eigenen Wohnungen suchen, sondern sie eine bezahlbare Wohnung. Doch den dringend benö- nach Zimmern in bestehenden WGs. Denn dabei, so die tigten Wohnberechtigungsschein (WBS) bekommen die Hoffnung, müsste es ja weniger geschäftsmäßig und bü- beiden wohl nicht. Ambers Freund muss dafür nämlich rokratisch zugehen. Doch auch auf Portalen wie WG-Ge- eine »unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung« vorweisen sucht herrschen diskriminierende Auswahlmechanis- – doch diese hat er nicht. Dafür benötigt er wiederum men vor und die Casting-Situationen lassen nicht selten ein »gesichertes« Einkommen. Bis die beiden wissen, ob an berufsvorbereitende Selbstpräsentationsworkshops sein Azubi-BAföG unter diese Kategorie fällt, wird es für denken. Wer gesucht wird, ist vielen Anzeigen klar zu diese Wohnung bereits zu spät sein. entnehmen: jung, aber nicht zu jung, sondern erwachsen, Bei genauem Hinsehen wird kenntlich, dass der wenn auch nicht zu alt, hip, alternativ – Weltenbumm- WBS nicht nur eine rassistische Praxis darstellt, son- ler*innen mit vielen interessanten Hobbys neben dem dern auch darüber hinaus der Regulierung von Wohnver- Studium. Auch wenn die Anzeigen oft auf Deutsch und hältnissen dient. Zum gemeinsamen Wohnen berechtigt Englisch aufgegeben sind, kann sich beim Casting her- sind nämlich entweder verwandte Personen oder Paare, ausstellen, dass geringe Deutschkenntnisse doch ein die in einer »auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft« Problem darstellen. leben, »die keine weiteren Bindungen gleicher Art zu- Unzählige Anfragen bei WG-Gesucht und kaum eine lässt« und »über eine reine Wohn- und Wirtschaftsge- Rückmeldung – diese Erfahrung hat auch Ari gemacht: meinschaft hinausgeht«. WGs, queere Familien mit mehr »Die einzigen, die mir dort geschrieben haben, waren als zwei Elternteilen und polyamore Beziehungen sind alte, komische Männer, die eher auf der Suche nach einer 40 41
Partnerin waren als nach einem WG-Mitbewohner.« Und nativen? Couchsurfen bei Freund*innen; das Gästebett auch Letta berichtet von »dubiosen Angeboten, deren bei Verwandten. Und ohne Connections? Ein Hostelbett Intention sich eindeutig auf den zweitenTeil eines Wohn- in Berlin ist nicht nur teuer – es ist auch kein Zuhause. verhältnisses bezieht«. Auch die Übernahme von Repro- Die zunehmend entsicherten Wohnverhältnisse schaf- Kapitel IV duktionsarbeit im Haushalt als zusätzliche Leistung ne- fen prekäre Zustände bis hin zur Obdachlosigkeit: Juan, ben der Miete ist eine Angebotsform. der seit einem Jahr erfolglos auf der Warteliste für einen In der Wohnungsnot spiegeln sich strukturelle Pro- Wohnheimplatz steht, musste bereits zwei Nächte auf bleme einer Gesellschaft wider, die auf Ausbeutung, Ab- der Straße schlafen, weil er nicht anders untergekom- wertung und Ausschluss errichtet ist. Wer dabei profi- men ist. Die ASH-Studentin Jessa muss ihre WG räu- tiert und wer davon einen Nachteil hat, entscheidet sich men, weil die Vermieter Eigenbedarf angemeldet und immer noch entlang von Ungleichheitsverhältnissen, die rechtlich durchgesetzt haben: »Der Kampf um die Woh- sich anhand verschränkter und wechselwirkender Kate- nung war psychisch extrem belastend und oftmals der gorien wie Klasse, Geschlecht, Nationalität, Sexualität, Grund, weshalb ich den Seminaren fernblieb.« Für Jessa Alter etc. bestimmen. ist ihre persönliche Situation eine politische Angele- Diejenigen, denen der Zugang zum Wohnungsmarkt genheit und Teil der sozialen Wohnungsfrage: »Die Tat- verwehrt bleibt, finden sich in einem prekarisierenden sache, dass studentische Notunterkünfte gefordert wer- Strudel wieder: So hat Semi auf seiner Wohnungssuche den müssen, finde ich wirklich erschreckend. Wohnraum nur Absagen erhalten. Seine einzige Möglichkeit, zu Se- ist eines der wichtigsten Grundbedürfnisse eines jeden mesterbeginn ein Dach über dem Kopf zu haben, war ein Menschen und sollte keine Ware sein!« »illegales« Mietverhältnis. Als »Nicht-Deutscher« wer- de ihn keine Hausverwaltung nehmen, sagte ihm sein Vermieter. Semis Wohnung ist in einem schrecklichen Zustand – was aber seinen Vermieter nicht davon abge- halten hat, die Miete zu erhöhen. Eine Meldebescheini- gung kann er unter diesen Umständen nicht erhalten – damit auch kein Bankkonto eröffnen, keine Schufa und keine inländische Telefonnummer beziehen. So hat der Ausschluss aus dem formellen Wohnungsmarkt eine ganze Reihe weiterer Ausschlüsse zur Folge. Ein Hostelbett ist kein Zuhause! Wer keineWohnung und keinWG-Zimmer bekommen hat, ist schon durch zwei Raster gefallen. Was bleibt an Alter- 42 43
Insbesondere für internationale Studierende, die nur für Kapitel V ein oder zwei Auslandssemester nach Berlin kommen und auf dem regulären Wohnungsmarkt diversen Dis- Wohnheim kriminierungsmechanismen ausgesetzt sind, aber auch allgemein für Studis, die noch keine oder wenige Kon- takte in der Stadt haben, stellen Wohnheime eine nahe- ist nicht liegende Alternative dar. Unter dem Label des Studi- wohnheims sind jedoch ganz verschiedene Wohnformen versammelt, die in Sachen Gemeinschaftlichkeit und gleich Wohn– Selbstbestimmung zum Teil erheblich variieren. Im Fol- genden wollen wir zwei solche Wohnformen gegenüber- stellen, die in diesen Hinsichten unterschiedlicher kaum sein könnten: profitorientierte Renditewohnheime einer- heim seits – selbstverwaltete Studiwohnheime andererseits. Der einen Not ist der anderen Profit Neon Wood,The Fizz, Campus Viva – solch klangvolle Na- men bereichern neuerdings den Berliner Wohnungs- markt. Dahinter stecken sogenannte Mikroapartments, die aus einem oder zwei möblierten Zimmern mit Bad bestehen, sodass sie ohne größeren Aufwand bezogen und auch wieder verlassen werden können. Diese befin- den sich in Wohnheimkomplexen, die je nach Anbieter*in z.B. über Aufenthaltsräume mit Unterhaltungsmöglich- keiten, Gemeinschafts- und Waschküchen oder Fitness- räume sowie Co-Working Spaces und manchmal sogar über einen Concierge (d.h. eine Empfangsperson im Ein- gangsbereich) verfügen. Fernsehen und Internet sind entweder inklusive oder zubuchbar, genauso wie Wasch- dienst und Zimmerreinigung. Solche Wohnheime bieten also ein fixes Rundum- Sorglos-Paket – für diejenigen, die es sich leisten kön- nen. Denn die Quadratmeterpreise inkl. Nebenkosten 44 45
und Mobiliar bewegen sich zwischen 15,65 (Niederschö- Erstsemesterzahlen als auch auf die Marktlücke, die neweide) und 49,12€Euro (Wedding) – das ergibt Mieten der Rückbau bzw. unzureichende Ausbau von öffent- von 450 bis 900€Euro für ein Zimmer mit Bad; bei zwei lich geförderten Wohnheimkapazitäten geschaffen hat Zimmern reichen die Kosten sogar bis in den vierstelli- (siehe Kapitel II). Kapitel V gen Bereich. Um die empfohlene Höchstgrenze der Miet- Ausschlaggebend für den Erfolg des Investitions- belastung von 30% des Nettoeinkommens nicht zu über- konzepts Renditewohnheim ist jedoch dieTatsache, dass schreiten, müsste eine Person, die sich bspw. das güns- der Markt für möbliertes Wohnen ein weitgehend dere- tigste Zimmer im Neon Wood am Frankfurter Tor für 599 gulierter Rechtsraum ist, in dem die meisten Mechanis- Euro leisten will, knapp 2.000€Euro im Monat verdienen. men des Mieter*innenschutzes nicht greifen. So sind mö- Aufgrund der herrschenden Wohnungsnot müssen blierte Wohnungen sowohl von der Mietpreisbremse als jedoch auch Studierende mit geringeren Einkommen auf auch vomVerbot der Befristung von Mietverträgen ausge- die überteuerten Mikroapartments zurückgreifen, wenn nommen, was die Vermieter*innen zu regelmäßigen und ihreWohnungssuche nicht rechtzeitig zum Semesterstart ungehinderten Mieterhöhungen befähigt. Und auch die erfolgreich gewesen ist. Das hat dann zur Folge, dass sie gesetzliche Bindung an die ortsübliche Vergleichsmiete einen unverhältnismäßig großen Anteil ihres Einkom- nach dem Berliner Mietspiegel kann über die völlig in- mens für die Miete ausgeben und/oder sich einen Neben- transparenten Möblierungszuschläge umgangen werden, job suchen müssen. was die hohen Mietpreise in Wohnheimen wie dem Neon Den Anbieter*innen solcher Mikroapartments geht Wood erklärt. es aber auch gar nicht in erster Linie um die Bedürfnisse Außerdem unterliegen diese Wohnheime auch weni- ihrer Mieter*innen – geschweige denn darum, Wohnraum ger strengen Auflagen als jene des studWERKs. So be- zu sozialverträglichen Preisen zur Verfügung zu stellen kommen Investor*innen Genehmigungen für den Bau von – sondern um größtmögliche Renditen bei kleinstmög- Studierendenapartments, ohne aber dazu verpflichtet zu lichen Risiken für ihre Anleger*innen. So versprechen werden, die Wohneinheiten dann auch wirklich an Stu- Immobilieninvestor*innen im Geschäft mit dem sog. Stu- dierende zu vermieten. So sind Renditewohnheime letzt- dent Housing eine »attraktive Kapitalanlage mit nach- endlich rein profitgeleitete Bauprojekte, die zur Verdrän- haltiger Rendite« (i Live Holding II GmbH) oder, in an- gung beitragen, indem sie die Entrechtung von Mieter*- deren Worten: »maximale Wertschöpfung« (Homepoint innen voran treiben und gleichzeitig Bauland einnehmen, Vermögensverwaltung). Die Wohnungsnot unter Studie- auf dem Wohnraum zu Preisen entstehen könnte, die sich renden stellt aus ihrer Sicht kein zu lösendes Problem Studierende und andere einkommensschwache Perso- dar, sondern einen willkommenen Anlass zur Profitma- nengruppen auch wirklich leisten könnten. Damit sind ximierung. Daraus machen die Investor*innen auch über- sie auch ein Paradebeispiel dafür, dass Bauen auch zur haupt kein Geheimnis: In ihrer Eigenwerbung und ihren Verdrängung beisteuern kann anstatt die Wohnungs- Marktanalysen verweisen sie sowohl auf den vom »Me- krise zu lindern. gatrend Wissensgesellschaft« getriebenen Anstieg der 46 47
Gemeinschaft und Selbstbestimmung Ein solches Hausprojekt ist auch das alternative studen- tische Wohnprojekt Bettenhaus Marburg, das seit 1984 Jedoch sind Renditewohnheime nicht allein aufgrund besteht. Das Bettenhaus Marburg umfasst 56 Bewoh- hoher Mieten und befristeter Verträge kritikwürdig. Au- ner*innen in 11 Wohngemeinschaften und verfügt über Kapitel V ßerdem nutzen sie den Wunsch nach Gemeinschaft und seine eigene Kita. Ihren Anspruch an das Zusammen- sozialem Anschluss für ihr Geschäftsmodell aus, indem leben charakterisieren die Bewohner*innen selbst als sie mit dem Schlagwort der »Community« und Konzepten emanzipatorisch, antisexistisch, antirassistisch und ba- des »Co-Livings« für sich werben, diese sozialen Bedürf- sisdemokratisch. Ihr Selbstverständnis von 2012 zeugt nisse in Wirklichkeit jedoch überhaupt nicht befriedigen von den Problemen und Möglichkeiten kollektiven Woh- können. So täuschen standardisierte, von Angestellten nens, den Voraussetzungen der Selbstverwaltung sowie organisierte »Community-Events« wie »Fußball schau- der Herausforderung, die es bedeutet, einen künstleri- en« oder »Playstation spielen« nur leidlich darüber hin- schen und politischen Freiraum auch für Nicht-Bewoh- weg, dass diese Wohnheime weder die Möglichkeit bie- ner*innen darzustellen. Explizit studentische Hauspro- ten, sich seine Mitbewohner*innen selbst auszusuchen, jekte dieser Art gibt es nur wenige in Deutschland: etwa noch, das eigene Lebensumfeld gemeinschaftlich zu die Rote Straße in Göttingen oder das studWERK-Wohn- gestalten. heim in der Reichenberger Straße in Berlin. Dagegen gibt es durchaus Wohnmodelle, die ein Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass eine größeres Maß an gemeinschaftlicher Selbstbestimmung umfangreichere Selbstorganisierung in einem Hauspro- und Selbstverwaltung vorsehen. Selbstverwaltung be- jekt wie dem Bettenhaus Marburg auch größeren Auf- deutet, dass sämtliche Entscheidungen bzgl. des Hauses wand für die Bewohner*innen und höhere Anforderun- von den Bewohner*innen selbst getroffen und die an- gen an alle Beteiligten bedeutet. So erachten die Bewoh- fallenden Aufgaben gemeinsam bewältigt werden: von ner*innen des Bettenhauses »ein gewisses Maß an sozi- der Treppenhausreinigung über die Nutzung gemein- aler Kompetenz und Eigenverantwortlichkeit« als Vor- schaftlicher Räume bis hin zur Bewerkstelligung klei- aussetzung für das Zusammenleben, denn: »Das Betten- nerer Reparaturen und Umbauten am Haus. Meistens haus ist selbstorganisiert, aber es organisiert sich nicht organisieren sich Hauskollektive über basisdemokrati- von selbst!« Mit dem zusätzlichen Aufwand und den er- sche Strukturen: so gibt es regelmäßige Vollversamm- höhten Anforderungen ist dann allerdings auch ein grö- lungen, auf denen die Bewohner*innen über ihr Zusam- ßeres Maß an Freiheit in der Gestaltung der eigenen menleben beraten, Entscheidungen für die Zukunft tref- Wohnverhältnisse verbunden, das etwa möblierte Ren- fen und Aufgaben verteilen, die dann zumeist von kleine- ditewohnheime mit vorgefertigten Bespaßungsprogram- ren Arbeitsgruppen (AGs) erledigt werden. Viele Haus- men völlig vermissen lassen. projekte betreiben außerdem Räumlichkeiten wie z.B. Letztendlich ist es diese Möglichkeit, die eigene Kiezläden oderTresen, die auch externen Personen offen Wohnsituation nach den eigenen Vorstellungen und Be- stehen, und schaffen damit einen öffentlichen sozialen dürfnissen einrichten zu können, auf die es bei der Frage Raum für den Kiez. 48 49
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