Raus aus der Niedrigeinkommensfalle(!) Der ifo-Vorschlag zur Reform des Grundsicherungssystems - ifo.de

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Maximilian Blömer, Clemens Fuest und Andreas Peichl

     Raus aus der Niedrigeinkommensfalle(!)
     Der ifo-Vorschlag zur Reform des
     Grundsicherungssystems

     In den letzten Monaten hat sich die Debatte über den Reformbedarf beim deutschen Grund-
     sicherungssystem und insbesondere bei Hartz IV intensiviert. In diesem Beitrag legt das
     ifo Institut einen Reformvorschlag vor, der sich darauf konzentriert, die Beschäftigungs-
     anreize des Grundsicherungssystems zu verbessern. Es werden Fehlanreize abgebaut, die
     die Empfänger von Grundsicherung derzeit daran hindern, höhere eigene Einkommen zu
     erzielen und die Abhängigkeit von Transfers zu überwinden oder wenigstens zu reduzie-
     ren. Damit die Betroffenen der Niedrigeinkommensfalle entkommen können, muss sich
     Arbeit lohnen.

     DIE DEBATTE ÜBER REFORMBEDARF BEI HARTZ IV                             heit von Sanktionen bzw. Kürzungen des »Existenzmi-
                                                                            nimums« in bestimmten Fällen2, die Stigmatisierung
     In den letzten Monaten hat sich die Debatte über den                   von Bedürftigen durch den Gang zum Amt (mit der
     Reformbedarf beim deutschen Grundsicherungssys-                        Folge der Nichtinanspruchnahme durch anspruchsbe-
     tem und insbesondere bei Hartz IV intensiviert. Kriti-                 rechtigte Bedürftige) sowie die Komplexität des Sozi-
     ker bemängeln, Hartz IV sei ungerecht und begünstige                   alsystems insgesamt. Zur Lösung dieser Probleme
     ein Anwachsen des Niedriglohnsektors in Deutsch-                       werden eine Vielzahl von Reformvorschlägen disku-
     land. Befürworter des bestehenden Systems halten                       tiert – von minimalinvasiven Eingriffen im bestehen-
     dem entgegen, die Hartz-Reformen hätten den Abbau                      den System bis hin zu Radikalreformen wie der Ein-
     der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit 2005 erst                     führung eines bedingungslosen Grundeinkommens.3
     ermöglicht, eine Abschaffung von Hartz IV würde die-                        In diesem Beitrag unterbreiten wir einen Reform-
     sen Erfolg gefährden.1                                                 vorschlag, der sich darauf konzentriert, die Beschäf-
          Hartz IV (offiziell »Arbeitslosengeld II«) gibt es                tigungsanreize des Grundsicherungssystems zu ver-
     seit den Hartz-Reformen des Jahres 2005. Durch                         bessern. Es werden Fehlanreize abgebaut, die Emp-
     die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslo-                      fänger von Grundsicherung derzeit daran hindern,
     senhilfe wurden Sozialhilfebezieher (leicht) besser                    höhere eigene Einkommen zu erzielen und die Abhän-
     und Arbeitslosenhilfebezieher (teilweise deutlich)                     gigkeit von Transfers zu überwinden oder wenigstens
     schlechter gestellt. Gleichzeitig wurde die Bedürf-                    zu reduzieren. Damit die Betroffenen der Niedrigein-
     tigkeitsprüfung in Form der Vermögensanrechnung                        kommensfalle entkommen können, muss sich Arbeit
     verschärft und die Transferleistung an Bedingungen                     lohnen.
     geknüpft, vor allem die Bereitschaft, sich um eine                          Die bestehenden Hartz-IV-Hinzuverdienstrege-
     Beschäftigung zu bemühen.                                              lungen bevorzugen Kleinstjobs bis 100 Euro.4 Dar-
          Die Kritik an Hartz IV setzt an verschiedenen Rege-               über hinaus ist es für die Betroffenen selten lohnens-
     lungen an. Dazu zählen die Leistungshöhe an sich, die                  wert, die Arbeitszeit auszuweiten und Bruttoeinkom-
     Unabhängigkeit der Leistung von der Erwerbsbiogra-                     men zu erhöhen. Dabei ist es empirisch erwiesen,
     phie, mangelnde Erwerbsanreize wegen hoher Trans-                      dass zu hohe Steuern und Abgaben leistungsfeind-
     ferentzugsraten (verbunden mit dem Phänomen der
                                                                            2
                                                                               Ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
     »Aufstocker«, das Abhängigkeit von Transfers trotz                     Vereinbarkeit der Sanktionen mit dem Grundgesetz wird für den
     Beschäftigung bedeutet), das als zu gering betrach-                    Sommer 2019 erwartet.
                                                                            3
                                                                               Siehe z.B. die untersuchten Vorschläge in Bruckmeier et al.
     tete »Schonvermögen«, die Frage der Angemessen-                        (2018a) sowie Blömer und Peichl (2018; 2019).
                                                                            4
                                                                                Bruckmeier und Becker (2018) zeigen in ihren Auswertungen mit
     1
        Siehe Krebs und Scheffel (2013; 2017), Launov und Wälde (2013),     den PASS-Daten eine deutliche Häufung von Kleinstjobs mit Monats-
     Dustmann et al. (2014) sowie Hartung et al. (2018) für (makro-)        einkommen knapp unter 100 Euro sowie von geringfügigen Beschäf-
     ökonomische Analysen der Hartz-Reformen. Vereinfacht zusam-            tigungen. Von Praktikern in Job-Centern wird zudem oft vermutet,
     mengefasst zeigen die Studien, dass die Reformen wichtig für den       dass es sich bei der Vielzahl dieser Tätigkeiten um sogenannte »Tarn-
     Rückgang der (strukturellen) Arbeitslosigkeit waren – aber nicht der   kappenjobs« handelt, die Schwarzarbeit verschleiern sollen (vgl.
     einzige Erklärungsfaktor hierfür sind.                                 Rürup und Heilmann 2012).

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lich sind. Die höchste Grenzbelastung in Deutschland                     tet unser Reformpaket eine Integration von Arbeitslo-
gibt es aber im Bereich der Grundsicherung. Gerade                       sengeld II, Kinderzuschlag und Wohngeld zu einer ein-
Hartz-IV-Bezieher werden mit impliziten Grenzsteu-                       heitlichen Transferzahlung sowie eine Anpassung der
ersätzen von 80–100% belastet. Mit Kindern und ins-                      Vermögensanrechnung.
besondere bei Alleinerziehenden kann es sogar sein,
dass mehr Brutto- zu weniger Nettoeinkommen führt                        KRITIK AM AKTUELLEN SYSTEM UND
(vgl. Peichl et al. 2017; Bruckmeier et al. 2018b), die                  REFORMVORSCHLAG
implizite Grenzsteuerbelastung also über 100% liegt.
     Ein solches System ist schädlich, denn es bestraft                  Durch die Hartz-Gesetze wurden u.a. Arbeitslosen-
Leistung dort, wo sie sich besonders lohnt: wenn                         hilfe und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II
man durch eigene Anstrengung der Abhängigkeit von                        (ALG II, umgangssprachlich »Hartz IV«) zusammen-
Transfers entkommen will. Die Gefahr, dass Regelun-                      gelegt. Erwerbsfähige Hilfsbedürftige erhalten ALG II
gen zur Einkommensanrechnung sowie einsetzende                           (monatlicher Regelsatz seit 2019: 424 Euro für den
Steuer- und Abgabenlasten (hohe implizite Grenz-                         Haushaltsvorstand der Bedarfsgemeinschaft), wäh-
steuersätze) Anreize zur Arbeitsaufnahme zerstören,                      rend nicht erwerbsfähige Hilfsbedürftige das sog.
ist seit langer Zeit bekannt. Auch das ifo Institut hat                  Sozialgeld in gleicher Höhe erhalten. Zusätzlich zum
bereits vor über 30 Jahren darauf hingewiesen (vgl.                      Regelbedarf werden die Beiträge zur Krankenkasse
z.B. Nierhaus 1987)5. Obwohl gerade die Hartz-Refor-                     gezahlt, und es gibt noch Leistungen für Kosten der
men das Ziel hatten, die Anreize zur Arbeitsaufnahme                     Unterkunft (KdU), einige unregelmäßige Leistun-
zu verbessern, ist das Problem hoher impliziter Grenz-                   gen (auf Antrag) sowie einige Vergünstigungen (z.B.
steuerbelastung von niedrigen Einkommen nach wie                         Befreiung von GEZ-Gebühren oder ÖPNV-Tickets). Der
vor ungelöst.                                                            durchschnittliche Leistungsumfang (Regelsatz + KdU)
     Hier setzt unser Reformkonzept an. Wir schlagen                     beträgt ca. 745 Euro im Monat für einen Single. Falls
vor, die implizite Grenzsteuerbelastung im Niedrigein-                   ein Hilfsbedürftiger ohne wichtigen Grund die Auf-
kommensbereich neu zu gestalten und sie oberhalb                         nahme einer zumutbaren Arbeit verweigert, kann die
einer Einkommensgrenze von 630 Euro pro Monat auf                        Regelleistung um 30%, im Extremfall sogar vollstän-
60% zu senken. Im Niedrigeinkommensbereich reagie-                       dig gekürzt werden. Die Transferentzugsrate für Hin-
ren die Beschäftigten besonders stark auf Arbeitsan-                     zuverdienste bzw. zur Anrechnung der Einkünfte der
reize. Eine Senkung der impliziten Grenzsteuerbelas-                     Bedarfsgemeinschaft liegt zwischen 80 und 100%.
tung kann das Arbeitsangebot deshalb signifikant                              Wie in der Einleitung bereits erwähnt, werden in
steigern. Gerade in der aktuellen Arbeitsmarktsitua-                     der aktuellen Reformdebatte verschiedene Aspekte
tion in Deutschland haben Menschen, die mehr arbei-                      des bestehenden Systems kontrovers diskutiert:
ten wollen, gute Chancen, auch Beschäftigung zu fin-
den. Unsere Schätzungen zeigen, dass die durch die                       1.   die Leistungshöhe,
Reform entlasteten Haushalte ihr Arbeitseinkommen                        2.   die Unabhängig der gewährten Leistungen von
so stark ausweiten, dass ihr Nettoeinkommen pro Jahr                          der bisherigen Erwerbsbiographie der Empfänger,
um durchschnittlich rund 1 000 Euro ansteigt. Die Stei-                  3.   mangelnde Erwerbsanreize wegen hoher Trans-
gerung entspricht einer Erhöhung des Hartz-IV-Regel-                          ferentzugsraten,
satzes um rund 20%, allerdings handelt es sich hierbei                   4.   geringes »Schonvermögen«,
um selbst erzieltes Einkommen.                                           5.   die Angemessenheit von Sanktionen bzw. Leis-
     Eine Reform, die zu mehr Beschäftigung und                               tungskürzungen in bestimmten Fällen,
höheren verfügbaren Einkommen unter den Empfän-                          6.   Stigmatisierung durch Gang zum Amt (mit der Folge
gern von Hartz-IV-Leistungen führt, würde die Ein-                            der Nichtinanspruchnahme durch anspruchsbe-
kommensungleichheit in Deutschland verringern und                             rechtigte Bedürftige) sowie
die gesamtwirtschaftliche Produktion steigern – sie                      7.   die Komplexität des Sozialsystems insgesamt.
wäre effizient und gerecht.
     Reformbedarf besteht nicht nur bei den Hinzu-                       Über jeden dieser Punkte kann und sollte man dis-
verdienstregelungen. Langfristig ist ein besser inte­                    kutieren. Erstens kann man selbstverständlich über
griertes und aufeinander abgestimmtes Gesamtsys-                         die angemessene Höhe der Leistungen streiten. Kri-
tem der Steuern, Abgaben und Transfers wünschens-                        tiker bemängeln, Empfänger von Hartz-IV-Leistun-
wert. Die Umsetzung einer solchen umfassenden                            gen müssten in Armut leben. In dieser Debatte ist es
Reform ist jedoch kurzfristig nur schwer vorstell-                       wichtig, zwischen absoluten und relativen Armuts-
bar. Deshalb konzentrieren wir uns zunächst auf eine                     konzepten zu differenzieren. Mit den Hartz-IV-Leis-
Reform der sozialen Grundsicherung. Neben einer                          tungen liegt man deutlich über jeder üblichen abso-
Anpassung der Hinzuverdienstmöglichkeiten beinhal-                       luten Armutsgrenze (z.B. 1,90 US-Dollar pro Tag von
                                                                         UNO oder Weltbank). Anders sieht es bei relativen
5
   Und auch im Vorfeld und Nachgang der Hartz-Reformen hat sich          Armutsgrenzen aus. Die Hartz-IV-Leistungen sind für
das ifo Institut intensiv mit dem Thema beschäftigt: siehe hierzu z.B.
Sinn et al. (2002; 2006, 2007a; 2007b) und die Sonderausgabe des ifo
                                                                         verschiedene Haushaltstypen unterschiedlich. Bei
Schnelldienstes 60(4), 2007.                                             40% des Medianeinkommens spricht man von rela-

                                                                                     ifo Schnelldienst   4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019   35
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     tiver Armut, bei 60% von Armutsgefährdung. Singles                   der Bemühung des Transferempfängers, eigenes Ein-
     liegen mit den Hartz-IV-Leistungen unter der Grenze                  kommen zu erzielen, gerechtfertigt sind. Aus der Sicht
     von 60% des mittleren verfügbaren Einkommens                         der Steuerzahler, die die Transferleistungen finan-
     (ca. 1 000 Euro). Bei anderen Haushaltstypen ist es                  zieren, ist die Sanktionierung mangelnder Bereit-
     ähnlich, manchmal kann man auch knapp über der                       schaft zur Arbeitsaufnahme bei den Empfängern ein
     jeweiligen relativen Armutsgefährdungsgrenze lie-                    wichtiger Aspekt der Fairness des Gesamtsystems
     gen. Grundsätzlich gilt jedoch, dass dieses Grundsi-                 (»Solidarität ist keine Einbahnstraße«). Ob Sanktio-
     cherungsniveau bewusst niedrig gewählt ist. Denn es                  nen in den richtigen Fällen verhängt werden und ob
     soll nur das Existenzminimum gesichert, nicht jedoch                 sie Verhaltensänderungen bei den Sanktionierten
     relative Armut verhindert werden. Vor allem soll                     verursachen, ist eine empirische Frage.7 Wir bewerten
     das sog. »Lohnabstandsgebot« sicherstellen, dass                     das Sanktionssystem im Rahmen unseres Reformvor-
     sich Arbeit lohnt, Beschäftigte also besser und nicht                schlags nicht.8
     schlechter gestellt werden als Nicht-Beschäftigte.                        Sechstens wird Hartz IV wegen der damit verbun-
     Darüber hinaus zeigt sich im internationalen Vergleich               denen Stigmatisierung der Empfänger kritisiert. In
     (z.B. auf OECD-Ebene), dass das deutsche Niveau                      der Tat sollten die Leistungen administrativ so gestal-
     der Grundsicherung relativ hoch ist (vgl. Causa und                  tet werden, dass eine Stigmatisierung möglichst ver-
     Hermansen 2017).                                                     mieden wird. Dazu gehört, dass die Daten der Trans-
          Das Verfahren zur Berechnung der Hartz-IV-Re-                   ferempfänger geschützt werden. Öffentlich zu erklä-
     gelsätze beruht auf unabhängigen statistischen Aus-                  ren, der Empfang dieser Transferleistungen sei ein
     wertungen der Einkommens- und Verbrauchsstich-                       Makel, steigert die gesellschaftliche Stigmatisierung
     probe (EVS). Dieser wissenschaftliche Ansatz hat den                 allerdings. Wünschenswert in diesem Zusammen-
     Vorteil, dass die Sätze nicht im laufenden politischen               hang ist auch eine weitere Digitalisierung der öffent-
     (Überbietungs-)Prozess festgelegt werden, sondern                    lichen Verwaltung und Verknüpfung der Daten aus
     empirisch fundiert und transparent berechnet wer-                    unterschiedlichen Ämtern und Registern (vgl. Natio-
     den. Wir begrüßen dieses Vorgehen und raten drin-                    naler Normenkontrollrat 2017). Dies könnte schließ-
     gend davon ab, daran etwas zu ändern. Das bedeutet                   lich zu einer automatischen Auszahlung der Ansprü-
     allerdings nicht, dass das jeweilige Berechnungsver-                 che an alle Berechtigte führen (vgl. z.B. Blömer und
     fahren über jede Kritik erhaben ist. Mögliche metho-                 Peichl 2018).9
     dische Fehler müssten korrigiert werden.6                                 Siebtens ist das deutsche Sozialsystem insge-
          Zweitens wurde mit der Einführung von ALG II                    samt zu kompliziert und teilweise inkonsistent. Der-
     bewusst die Leistungshöhe unabhängig von vorhe-                      zeit gibt es in Deutschland eine Vielzahl von Behörden,
     rigen Einkünften gestaltet. Hier ging es darum zu                    die mehr als 150 steuer- und beitragsfinanzierte Sozi-
     verhindern, dass dauerhafte Transferleistungen an                    alleistungen verwalten. Ein Grund für die Grenzsteu-
     Empfänger mit ehemals höheren Einkommen die                          ersatzverläufe bei Alleinerziehenden von teilweise
     Arbeitsanreize stark einschränken. Dies sollte so bei-               über 100% (vgl. Bruckmeier et al. 2018b) ist auch, dass
     behalten werden.                                                     ALG II, Wohngeld und Kinderzuschlag – aufgrund der
          Der dritte Punkt, die hohen Transferentzugsraten                jeweiligen Zuständigkeit von drei Ministerien – nicht
     und die damit verbundenen Fehlanreize, stehen im                     aufeinander abgestimmt sind.10 Hier sind weitere
     Mittelpunkt unseres Reformvorschlags und werden                      Reformen dringend notwendig. In unserem Vorschlag
     weiter unten ausführlich diskutiert.
          Viertens gehen von der Höhe des Schonvermö-                     7
                                                                             Beispielsweise dokumentieren van den Berg, Uhlendorff und
                                                                          Wolff (2017) einen positiven Effekt der Sanktionen auf die Wieder-
     gens ebenfalls Anreizwirkungen aus. Aus der Pers-                    beschäftigungswahrscheinlichkeit, der aber auch mit niedrigeren
     pektive des Subsidiaritätsprinzips ist es richtig, dass              Löhnen einhergehen kann.
                                                                          8
                                                                             Es bleibt lediglich festzuhalten, dass die Härte der Sanktionen
     jedermann zunächst eigene Mittel einsetzt, bevor Hil-                in Deutschland im OECD-Mittelfeld liegt (vgl. Immervoll und Knotz
     fen des Staates beansprucht werden. Eine volle Ver-                  2018).
                                                                          9
                                                                             Gleichwohl kann eine entsprechende Komplexität des Systems
     mögensanrechnung untergräbt aber Anreize zur Vor-                    und die daraus resultierende Nichtinanspruchnahme von Leistungen
     sorge. In dieser Abwägung schlagen wir vor, die Höhe                 sogar politisch gewünscht bzw. »optimal« sein (vgl. Kleven und Kop-
                                                                          zcuk 2011).
     des Schonvermögens zusätzlich an die Erwerbsbio-                     10
                                                                             Durch das »Starke Familien Gesetz« soll der Kinderzuschlag von
     graphie zu binden. Das kommt nicht nur denen entge-                  170 auf 185 Euro/Monat je Kind zur Mitte des Jahres 2019 erhöht
                                                                          werden und ab 2020 die Einkommensminderung nur noch 45% statt
     gen, die es als unfair ansehen, wenn Transferempfän-                 50% betragen. Die »Abbruchkante« an der Höchsteinkommensgren-
     gern, die nie gearbeitet haben, das gleiche Schonver-                ze soll abgeschafft werden. Insgesamt verringern diese Regelungen
                                                                          jedoch nicht die hohen Grenzbelastungen im niedrigen Einkom-
     mögen gewährt wird wie Empfängern, die viele Jahre                   mensbereich, sondern weiten diesen eher noch auf den mittleren
     gearbeitet haben. Es kommt hinzu, dass diese Bin-                    Einkommensbereich aus. Zudem wurde 2017 der Unterhaltsvor-
                                                                          schuss deutlich verbessert. Jedoch ist auch diese Leistung nicht
     dung die Arbeitsanreize stärkt.                                      ausreichend auf den Kinderzuschlag und das Wohngeld abgestimmt.
          Der fünfte Punkt betrifft die Frage, ob Leistungs-              Denn durch die Anrechnung des Unterhaltsvorschusses auf die
                                                                          beiden anderen Leistungen kann sich die Einkommenssituation der
     kürzungen bei tatsächlich oder vermeintlich fehlen-                  betroffenen Haushalte sogar verschlechtern (vgl. Stöwhase 2018).
                                                                          Darüber hinaus bleiben kleinere Sprungstellen sowie hohe Grenz-
     6
       Zur Kritik an der konkreten Vorgehensweise bei der Berechnung      belastungen durch die Interaktion mit dem Kinderzuschlag und
     der Regelsätze siehe z.B. Bauernschuster et al. (2010), Becker und   dem Wohngeld bestehen, obwohl der Unterhaltsvorschuss für sich
     Tobsch (2016) oder Sell (2016).                                      genommen anreiztechnisch relativ neutral ist.

36   ifo Schnelldienst   4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE

adressieren wir dieses Problem nur insofern als wir                     schlag für Haushalte ohne Kinder eine Grenzbelas-
Wohngeld und Kinderzuschläge mit den Hartz-IV-Leis-                     tung von 100% bis zu einer Grenze von 630 Euro/
tungen zusammenfassen. Gleichwohl ist langfris-                         Monat vor.13 Für Beschäftigungen über diese Grenze
tig ein integriertes und aufeinander abgestimmtes                       gilt in beiden Varianten ein anrechnungsfreier Hin-
Gesamtsystem wünschenswert, auch wenn wir einer                         zuverdienst von 40%, d.h. eine Grenzbelastung
solchen grundlegenden Reform im politischen Pro-                        von 60%. Für Haushalte mit Kindern modelliert der
zess kurzfristig kaum Chancen einräumen und uns                         ifo-Vorschlag ab 100 Euro eine Grenzbelastung von
deshalb in diesem Beitrag auf eine Reform der Grund-                    80%, statt 100%, bis zu einer Grenze von individuell
sicherung beschränken.11                                                630 Euro/Monat. Darüberhinausgehende Hinzuver-
     Unser Reformvorschlag enthält folgende Ele-                        dienste unterliegen ebenfalls einer Grenzbelastung
mente: Erstens die Senkung der Grenzbelastung mit                       von 60%.
einer Differenzierung nach Haushaltstypen, zwei-                             Ein weiteres Element des ifo-Vorschlags betrifft
tens die Zusammenfassung der Transferleistun-                           die Anrechnung von Vermögen beim ALG II. Dabei wer-
gen Arbeitslosengeld II inkl. Kosten der Unterkunft,                    den die grundsätzlichen Regelungen des § 12 SGB II
Wohngeld sowie Kinderzuschlag sowie drittens die                        und des § 65 Abs. 5 beibehalten. Zusätzlich erhöht sich
Erhöhung des Schonvermögens beim ALG II in Abhän-                       in unserem Reformvorschlag jedoch das Schonvermö-
gigkeit der individuellen Erwerbshistorie. Die Aus-                     gen um 150 Euro je Erwerbsjahr (in abhängiger oder
gangshöhe, also das Einkommen bei Arbeitslosigkeit,                     selbständiger Beschäftigung) für jede Person in der
entspricht im ifo-Vorschlag der bisherigen Höhe von                     Bedarfsgemeinschaft.
ALG II inkl. KdU.
     Der ifo-Vorschlag unterscheidet bezüglich der                      ILLUSTRATION DER ANREIZWIRKUNGEN DES
Grenzbelastung deutlich zwischen Haushalten mit                         REFORMKONZEPTS
und ohne Kindern. Eine Besserstellung aller Haus-
halte im Vergleich zum Status quo ist nur mit erhebli-                  Wie bereits erläutert, verfolgt unser Reformkonzept
chen Mehrkosten möglich (vgl. z.B. Blömer und Peichl                    primär das Ziel, die Leistungsanreize in den unteren
2018). Unser Vorschlag ist ohne Berücksichtigung von                    Einkommensbereichen zu verbessern und Hinder-
Verhaltensanpassungen als ungefähr aufkommens-                          nisse für das Erzielen von Einkommen abzubauen.
neutral ausgelegt.12 Aus diesem Grund wird es Gewin-                    Dazu verändern wir die Grenzbelastung, die sich
ner und Verlierer geben. Wir haben uns dafür entschie-                  durch das Zusammenspiel von Transferleistungen
den, Bedarfsgemeinschaften mit Kindern tendenziell                      und Transferentzugsraten ergibt.
besser zu stellen als Bedarfsgemeinschaften ohne                             Zur Illustration des Reformvorschlags werden
Kinder. Letztere können einfacher ihr Arbeitsange-                      hier die Brutto-Netto-Verläufe und die korrespondie-
bot ausweiten und so durch Mehrarbeit die Einkom-                       renden Grenzbelastungen von zwei exemplarischen
mensverluste kompensieren, die sich im statischen                       Musterhaushalten graphisch dargestellt: Wir betrach-
Fall ohne Verhaltensanpassung ergeben würden. Kon-                      ten erstens einen Single-Haushalt und zweitens einen
kret fällt für Bedarfsgemeinschaften ohne Kinder der                    Alleinerziehenden-Haushalt mit zwei Kindern. Die
durch die derzeitigen Hinzuverdienstregelungen fest-                    Reformszenarien werden dabei stets mit dem aktu-
gelegte Freibetrag in Höhe von 100 Euro pro Monat                       ellen Rechtsstand 2019 (»Status quo«; noch ohne die
weg. Hier geht es nicht in erster Linie um Gegenfi-                     Änderungen des geplanten »Starke Familien Gesetz«)
nanzierung, sondern darum, die Begünstigung von                         verglichen.
Kleinstjobs im Status quo zu überwinden. Haushalte                           Der Kern unseres Reformkonzepts wird durch
mit Kindern erhalten weiterhin die Möglichkeit, die                     Abbildung 1 für das Beispiel eines Singe-Haushalts mit
ersten 100 Euro anrechnungsfrei hinzuzuverdienen,                       einem Bruttostundenlohn in Höhe des Mindestlohns
da diese Haushalte über höhere Fixkosten der Arbeits-                   von 9,19 Euro illustriert. Die in der Abbildung darge-
aufnahme verfügen.                                                      stellten Grenzbelastungskurven beschreiben, wel-
     In Anlehnung an verschiedene Vorschläge (unter-                    cher Anteil zusätzlich erzielten Bruttoeinkommens
sucht z.B. in Peichl et al. 2011 sowie Blömer und Peichl                den Beschäftigten in den unteren Einkommensbe-
2019), keinen anrechnungsfreien Hinzuverdienst bei                      reichen durch einsetzende Abgaben und entfallende
Kleinst- und Minijobs zuzulassen, sieht der ifo-Vor-                    Transferleistungen entzogen wird. Wie Abbildung 1
11
   Siehe z.B. Löffler et al. (2012), Blömer et al. (2017) oder Breuer
                                                                        zeigt, ergibt sich im bestehenden System bei einer
(2019) für Möglichkeiten eines integrierten Systems bzw. für Entlas-    Arbeitszeit zwischen rund 20 und 35 Stunden eine
tungen für Geringverdiener außerhalb des Systems der Grundsiche-
rung.
                                                                        Grenzbelastung von mindestens 80, teilweise bis zu
12
   Selbstverständlich sind auch Varianten denkbar, die zusätzliche      100%. Die Arbeitszeit also beispielsweise von 20 auf
Ausgaben verursachen. In der Diskussion darf man jedoch nicht ver-
gessen, dass es sich bei Hartz IV um eine Transferleistung handelt.
                                                                        35 Stunden auszudehnen, lohnt sich für den Single
Diese muss durch umverteilende Steuern finanziert werden. Der Be-       praktisch nicht, obwohl dies für ein existenzsichern-
steuerung sind in einer globalisierten Welt jedoch Grenzen gesetzt,
da sie immer zu Effizienzverlusten durch Ausweichreaktionen der
                                                                        des Einkommen notwendig wäre.
Besteuerten führt und auch die Erhebungs- und Befolgungskosten
                                                                        13
nicht zu vernachlässigen sind. Eine weitere Art der Finanzierung           Das entspricht dem Einkommen, das sich bei einer Beschäftigung
wäre eine Reduktion anderer Staatsausgaben zu Gunsten von Hartz         von zwei Tagen (16 Stunden) pro Woche und 4,28 Wochen pro Monat
IV – z.B. bei der Rente mit 63.                                         zum Mindestlohn in Höhe von 9,19 Euro pro Stunde ergibt.

                                                                                      ifo Schnelldienst   4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019   37
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Abb. 1                                                                                                               von 9,19 Euro. Bei niedrigen
     Effektive marginale Grenzbelastung                                                                                    Arbeitszeiten ist das Nettoein-
     Single-Haushalt
                                                                                                                          kommen etwas geringer als im
               %                                                       Status quo (2019)              ifo-Vorschlag       Status quo, weil der anrech-
      100
                                                                                                                          nungsfreie Hinzuverdienst in
                                                                                                                          Höhe von 100 Euro wegfällt.
       80
                                                                                                                          Bei längeren Arbeitszeiten
                                                                                                                          wird der Haushalt etwas bes-
       60
                                                                                                                          ser oder zumindest gleich gut
                                                                                                                          gestellt wie im bestehenden
       40                                                                                                                 System.
                                                                                                                               Der Nettoeinkommens-
       20                                                                                                                 verlauf für einen beispielhaf-
                                                                                                                          ten Alleinerziehenden-Haus-
         0                                                                                                                halt mit zwei Kindern wird in
              0       10     20       30      40      50     60              Wöchentliche Arbeitszeit (Stunden)
                                                                                                                          Abbildung 4 gezeigt. Wie zu
     Hinweis: Die Graphik zeigt die effektive marginale Gesamtbelastung durch Steuern, Sozialversicherungsbeiträge
     und Transferentzug bezogen auf die geleisteten Wochenarbeitsstunden bei einem Bruttostundenlohn von 9,19 Euro.       erkennen ist, ermöglicht es
     Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.                                                                   © ifo Institut der ifo-Vorschlag, Haushalten
                                                                                                                          mit Kindern auch bei Hinzuver-
     Abb. 2
                                                                                                                          diensten im Kleinst- und Mini-
     Verfügbares Haushaltseinkommen
     Single-Haushalt                                                                                                      jobbereich eine Erhöhung des
                                                                       Status quo (2019)              ifo-Vorschlag       Haushaltsnettoeinkommens
              Euro/Monat
      3 000                                                                                                               zu erzielen. Die Besserstel-
                                                                                                                          lung im Vergleich zu Singles ist
      2 500                                                                                                               dadurch gerechtfertigt, dass
                                                                                                                          es für Haushalte mit Kindern
      2 000
                                                                                                                          wegen der Kinderbetreuung
      1 500                                                                                                               deutlich schwieriger ist, länger
                                                                                                                          zu arbeiten, auch wenn län-
      1 000                                                                                                               gere Arbeitszeiten hier eben-
                                                                                                                          falls wünschenswert wären.
        500                                                                                                                    In der korrespondieren-
                                                                                                                          den Abbildung 3 zur Grenz-
           0
              0      10      20       30      40      50     60             Wöchentliche Arbeitszeit (Stunden)            belastung ist zu erkennen,
     Hinweis: Die Graphik zeigt das verfügbare Haushaltseinkommen bezogen auf die geleisteten Wochenarbeitsstunden        dass der Transferentzug bis
     bei einem Bruttostundenlohn von 9,19 Euro.
     Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.                                                                   © ifo Institut
                                                                                                                          zu einem Bruttoeinkommen
                                                                                                                          von 630 Euro/Monat genau wie
             Der ifo-Vorschlag bringt bei Single-Haushal-                                  im   Status     quo    verläuft. Ab diesem Einkommen stellt
     ten zwei Veränderungen. Erstens sehen wir bis zu sich der Musterhaushalt durch die geringere Grenzbe-
     einem Einkommen von 630 Euro eine Grenzbelastung lastung von 60% besser als im Status quo.
     von 100% vor. Der anrechnungsfreie Hinzuver-
     dienst in Höhe von 100 Euro entfällt. Dafür sinkt die AUSWIRKUNGEN AUF ÖFFENTLICHE HAUSHALTE,
     Grenzbelastung jenseits eines Einkommens von BESCHÄFTIGUNG UND EINKOMMENSVERTEILUNG:
     630 Euro auf 60%. Das Ziel dieser Veränderungen BERECHNUNGSMETHODE UND ERGEBNISSE
     besteht darin, für Single-Haushalte klare Anreize
     zu setzen, eine existenzsichernde Beschäftigung im Wir analysieren die ökonomischen Auswirkungen
     Umfang von zumindest rund 30 Stunden anzustreben, unseres Reformvorschlags mit dem ifo-Mikrosimula-
     statt sich auf Kleinst- und Minijobs zu beschränken. tionsmodell. Das Modell erlaubt es abzuschätzen, wie
     Damit wird auch der Gefahr begegnet, dass Kleinstbe- sich Veränderungen im Steuer- und Transfersystem auf
     schäftigungsverhältnisse – etwa in Höhe der anrech- individuelle Arbeitsanreize und die Beschäftigungs-
     nungsfreien 100 Euro pro Monat – mit Schwarzar- entwicklung, auf die Einkommensverteilung und ver-
     beit kombiniert werden. Weitere positive Beschäfti- schiedene Haushaltstypen sowie auf die öffentlichen
     gungseffekte, die nicht in Abbildung 1 sichtbar sind, Haushalte – d.h. das Steueraufkommen, die Einnah-
     ergeben sich durch die Erhöhung des Schonvermö- men aus Sozialversicherungsbeiträgen und die Zah-
     gens in Abhängigkeit von den bisherigen Jahren der lung staatlicher Transferleistungen – auswirken.
     Erwerbstätigkeit.                                                                            Für die Analyse von Budgetwirkungen gehen Mik-
             Abbildung 2 illustriert die Auswirkungen der rosimulationsmodelle über einfache saldenmecha-
     Reform auf das Nettoeinkommen des betrachteten nische Abschätzungen deutlich hinaus, da sie Ver-
     Single-Haushalts mit einem Stundenlohn in Höhe haltensanpassungen auf dem Arbeitsmarkt explizit

38   ifo Schnelldienst   4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Abb. 3                                                                                                                      In einem ersten Schritt bil-
Effektive marginale Grenzbelastung                                                                                      den wir das Steuer- und Trans-
Alleinerziehend, zwei Kinder
                                                                                                                       fersystem zum Rechtsstand
         %                                                       Status  quo (2019)           ifo-Vorschlag            Anfang 2019 nach. Dabei wird
   120
                                                                                                                       unter Berücksichtigung von
   100                                                                                                                 Freibeträgen, Anrechnungs-
                                                                                                                       pauschalen,        Sonderausga-
    80                                                                                                                 ben sowie Abzugsbeträgen für
                                                                                                                       außergewöhnliche Belastun-
    60
                                                                                                                       gen und sonstige Privatauf-
    40                                                                                                                 wendungen das individuell
                                                                                                                       verfügbare Nettoeinkommen
    20                                                                                                                 für jeden Fall der Stichprobe
      0                                                                                                                gemäß dem jeweiligen Haus-
         0       10     20       30      40      50     60             Wöchentliche Arbeitszeit (Stunden)              haltskontext           berechnet.
Hinweis: Die Graphik zeigt die effektive marginale Gesamtbelastung durch Steuern, Sozialversicherungsbeiträge           Anschließend werden die
und Transferentzug bezogen auf die geleisteten Wochenarbeitsstunden bei einem Bruttostundenlohn von 9,19 Euro.
Grenzbelastung zur besseren Darstellung bei - 1 und 120% trunkiert.                                                    Ergebnisse mit den Fallgewich-
Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell                                                                    © ifo Institut   ten multipliziert und damit
                                                                                                                       auf die Gesamtpopulation
Abb. 4
                                                                                                                       hochgerechnet.
Verfügbares Haushaltseinkommen
Alleinerziehend, zwei Kinder
                                                                                                                            Genauso       werden       für
                                                                                                                       den ifo-Vorschlag die indivi-
         Euro/Monat                                                 Status quo (2019)            ifo-Vorschlag
 4 000                                                                                                                 duellen Steuer- und Transfer-
                                                                                                                       zahlungen und die Nettoein-
                                                                                                                       kommen der Haushalte ermit-
 3 000                                                                                                                 telt. Auf diese Weise können
                                                                                                                       sowohl die Gesamteffekte als
                                                                                                                       auch die Auswirkungen auf
 2 000
                                                                                                                       jeden einzelnen Haushaltstyp
                                                                                                                       analysiert werden. Um die
 1 000                                                                                                                 Reformeffekte auf das Arbeits-
                                                                                                                       angebot zu simulieren, ver-
                                                                                                                       wenden wir ein diskretes Nut-
      0                                                                                                                zenmodell in Anlehnung an
          0      10     20       30      40      50     60              Wöchentliche Arbeitszeit (Stunden)
Hinweis: Die Graphik zeigt das verfügbare Haushaltseinkommen bezogen auf die geleisteten Wochenarbeitsstunden          van Soest (1995).
bei einem Bruttostundenlohn von 9,19 Euro.                                                                                  Dabei handelt es sich
Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.                                                                   © ifo Institut
                                                                                                                       um ein statisches, struktu-
                                                                                                                       relles Haushaltsarbeitsange-
modellieren und somit eine Ex-ante-Abschätzung der                                    botsmodell,         das      die Arbeitsangebotsentscheidung
Wirkungen bieten: Erstens, Sofortwirkungen ohne der Haushaltsmitglieder als optimale Wahl zwischen
Verhaltenseffekte (in der folgenden Ergebnisdarstel- einer begrenzten Anzahl von möglichen Arbeitszeit-
lung als »ohne Anpassung« bezeichnet) und zweitens, kategorien modelliert. Bei den Berechnungen wird
längerfristige Wirkungen mit Verhaltenseffekt auf das zudem sowohl im Status quo als auch in der Reform-
Arbeitsangebot (»mit Anpassung«).                                                     variante eine endogene Inanspruchnahme der
        Als Datengrundlage für die Simulation dient Transferleistungen simuliert.14 Damit werden im-
das Sozio-oekonomische Panel (SOEP). Die re- plizit Gründe wie Stigmaeffekte durch den Transfer-
präsentative Stichprobe der Bevölkerung umfasst bezug oder die Komplexität der Beantragung, aber
über 20 000 Personen in rund 11 000 Haushalten. auch in den SOEP-Daten nicht beobachtbare for-
Wir nutzen die im SOEP genannten Vorjahresan- male Gründe, die zu einer Nichtinanspruchnahme
gaben zu Einkommen und Beschäftigung und schrei- führen, berücksichtigt. Durch Eingriffe in das
ben alle Einkommensangaben mittels des vom Sta- Steuer- und Transfersystem verändert sich der
tistischen Bundesamt veröffentlichten Verbrau-
cherpreisindex fort. Um mögliche Verhaltensreakti- 14 Die fiskalischen Kosten eine Ausweitung der Transferleistung
onen und Beschäftigungsanpassungen aufgrund der und                                        einer potenziellen Empfängerbasis wären bei einer 100%-In-
                                                                                      anspruchnahme des ALG II höher. Empirisch werden teilweise hohe
Reformen zwischen dem Jahr der Beschäftigungs- Quoten der Nichtinanspruchnahme bezogen auf die Anzahl der
informationen (2016) und dem Status quo (2019) zu Haushalte                                        ausgewiesen. Die Studien weisen allerdings auch darauf
                                                                                      hin, dass der überwiegende Teil der Nichtinanspruchnahme-Haus-
berücksichtigen, simulieren wir die Änderungen des halte durch kleine Ansprüche entstehen (vgl. Bruckmeier et al. 2013).
Arbeitsvolumens und der Löhne zwischen beiden Siehe                                          auch Blömer und Peichl (2018) für Simulationsrechnungen mit
                                                                                      100% Inanspruchnahme und eine Quantifizierung der zusätzlichen
Jahren.                                                                               Kosten.

                                                                                               ifo Schnelldienst   4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019   39
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Tab. 1

     Tab. 1                                                                                                                  alle Haushaltstypen hinweg,
     Beschäftigungswirkungen – ifo-Vorschlag                                                                                 hat der ifo-Vorschlag zunächst
                                    Vollzeitäquivalente                         Arbeitsmarktpartizipation                    kurzfristig (ohne Anpassung
                                Tsd. VZÄ                    %               Tsd. Personen                  %                 der Beschäftigung) leicht
       Gesamt                      216                    0,72                      82                    0,26               negative Auswirkungen auf
         Männer                    112                    0,68                      76                    0,49               das          Haushaltseinkommen
         Frauen                    103                    0,77                       6                    0,04
       Anmerkung: Beschäftigungswirkungen im Vergleich zum Status quo. Vollzeitäquivalente bemisst den Beschäfti-
                                                                                                                             nach      Steuern       und Transfers
       gungseffekt, umgerechnet in Vollzeitbeschäftigten mit 40 Wochenarbeitsstunden. Arbeitsmarktpartizipation gibt         (vgl. Tab. 2). Im Durchschnitt
       an, wie viele Erwerbspersonen zusätzlich in Beschäftigung wechseln.
                                                                                                                             verringert sich das verfügbare
      Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.
                                                                                                                             Haushaltseinkommen jedoch
                                                                                                                             nur um 30 Euro pro Jahr. Die
     Nutzen einzelner Arbeitszeitkategorien, so dass                                       Direktwirkungen          wären       bei Singles etwas stärker als
     es im Einzelfall zu Verhaltensänderungen kom- bei Alleinerziehenden. Paare ohne Kinder verzeich-
     men kann. Die Arbeitsangebotseffekte erge- nen einen knappen Einkommensrückgang, während
     ben sich als Summe der simulierten nutzen- Paare mit Kindern etwas bessergestellt werden. Nach
     maximierenden individuellen Entscheidungen vor Anzahl der Kinder wirkt der ifo-Vorschlag so, dass
     dem Hintergrund veränderter monetärer Erwerbs- gerade Haushalte ohne Kinder sich knapp schlechter-
     anreize.                                                                              stellen, sofern sie ihr Arbeitsangebot nicht anpassen.
                                                                                           Bei Haushalten mit einem oder zwei Kindern würde
     ERGEBNISSE                                                                            sich auch ohne Anpassung des Arbeitsangebotes
                                                                                           keine Änderung im verfügbaren Haushaltseinkom-
     Tabelle 1 zeigt die Beschäftigungswirkungen des men ergeben, während Haushalte mit drei und mehr
     ifo-Vorschlags im Vergleich zum Status quo. Die Kindern bereits bessergestellt werden.
     Beschäftigungswirkungen werden dabei in Vollzeit-                                           Insgesamt zeigt sich, dass auch ohne Verhal-
     äquivalenten und als Arbeitsmarktpartizipation aus- tensanpassungen zu berücksichtigen, der Wegfall des
     gewiesen. Vollzeitäquivalente bemisst den gesam- Kinderzuschlages durch die geringeren Anrechnungs-
     ten Beschäftigungseffekt einschließlich verlänger- raten und der damit geringere Transferentzug bereits
     ter Arbeitszeit, umgerechnet in Vollzeitbeschäftigte kompensiert werden kann.
     mit 40 Wochenarbeitsstunden. Arbeitsmarktpartizi-                                           Bezieht man mittelfristige Anpassungen des
     pation gibt an, wie viele Erwerbspersonen, die vor- Arbeitsangebots mit ein, ergibt sich allerdings ein
     her nicht gearbeitet haben,                        Tab. 2
     zusätzlich in Beschäftigung
                                                        Tab. 2
     wechseln.
                                                        Durchschnittliches verfügbares Haushaltseinkommen – ifo-Vorschlag
            Der ifo-Vorschlag wirkt so,
                                                                                             Ausgang-                               Veränderung
     dass die insgesamt geleisteten
                                                                                                swert
     Arbeitsstunden deutlich aus-
                                                                                            Status quo           ohne Anpassung                  mit Anpassung
     geweitet werden. Die Arbeits-                                                              Euro             Euro               %           Euro           %
     marktpartizipation                   ändert           Gesamt                              33 812            – 29           – 0,09             77         0,23
     sich ebenfalls, erhöht sich                           Nach Haushaltstyp
     aber vergleichsweise weniger                            Alleinstehend                     22 044            – 51           – 0,23             20         0,09
     stark. Dies liegt daran, dass                           Alleinerziehend                   24 918            – 47           – 0,19           234          0,94
                                                             Paar ohne Kinder                  44 411            – 20           – 0,04             30         0,07
     Kleinstjobs und Minijobs im                             Paar mit Kindern                  49 147              18             0,04           283          0,57
     ifo-Vorschlag weniger attrak-                         Nach Anzahl der Kinder
     tiv geworden sind und Perso-                            Ohne Kinder                       31 149            – 38           – 0,12             24         0,08
     nen, die diese Jobs vorher aus-                         Ein Kind                          42 265              –2           – 0,01           241          0,57
     geübt haben, sich entweder für                          Zwei Kinder                       46 231              –2           – 0,01           301          0,65
                                                             Drei Kinder                       42 819              51             0,12           303          0,71
     eine Ausweitung der Arbeits-
                                                             Vier und mehr Kinder              38 987              50             0,13           353          0,91
     zeit oder aber für eine Aufgabe                       Nach Einkommensdezil (äquivalenzgewichtet) im Status quo
     des Jobs entscheiden.                                   1. Dezil                            8 674           – 57           – 0,65          – 22       – 0,26
            Im ifo-Vorschlag ist der                         2. Dezil                          15 609            – 85           – 0,55           100          0,64
     Anstieg der Arbeitszeiten,                              3. Dezil                          18 733            – 68           – 0,36           189          1,01
     gemessen in Vollzeitäquiva-                             4. Dezil                          22 569            – 43           – 0,19           152          0,67
                                                             5. Dezil                          25 077              –9           – 0,04           138          0,55
     lenten, bei Frauen stärker,                             6. Dezil                          29 649            – 17           – 0,06             73         0,25
     während bei Männern der                                 7. Dezil                          35 281              –9           – 0,03             52         0,15
     Effekt auf die Arbeitsmarkt-                            8. Dezil                          41 152              –6           – 0,01             48         0,12
     partizipation größer ausfällt.                          9. Dezil                          52 988              –2             0,00             27         0,05
            Betrachtet man die Ver-                          10. Dezil                         89 896              –1             0,00              6         0,01
                                                           Anmerkung: Die Tabelle weist die Wirkungen auf das durchschnittlich verfügbare Haushaltseinkommen pro Jahr
     änderung des verfügbaren                              im Vergleich zum Status quo aus.
     Haushaltseinkommens über                           Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.

40   ifo Schnelldienst   4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Tab. 3

Tab. 3                                                                                                               baren Haushaltseinkommen
Durchschnittliches verfügbares Haushaltseinkommen – ifo-Vorschlag                                                    an, würde der ifo-Vorschlag
mit Erhöhung des Schonvermögens                                                                                      zudem um die vorgeschlagene
                                         Ausgangswert                       Veränderung                              Anhebung des Schonvermö-
                                          Status quo                      ohne Anpassung                             gens erweitert.
                                             Euro                      Euro               %                               In Tabelle 4 zeigen
  Gesamt                                    33 812                     – 16            – 0,05
                                                                                                                     wir die Auswirkungen des
  Nach Haushaltstyp
   Alleinstehend                 22 044              – 37                                     – 0,17
                                                                                                                     ifo-Vorschlags auf drei zen-
   Alleinerziehend               24 920              – 24                                     – 0,10                 trale      Ungleichheitsmaße:
   Paar ohne Kinder              44 411              – 14                                     – 0,03                 den Gini-Koeffizienten, das
   Paar mit Kindern              49 148                43                                       0,09                 P90/P10-Maß und die Armuts-
  Nach Anzahl der Kinder                                                                                             risikoquote.
   Ohne Kinder                   31 149              – 28                                     – 0,09
                                                                                                                          Sowohl vor als auch nach
   Ein Kind                      42 265                24                                       0,06
   Zwei Kinder                   46 232                22                                       0,05                 der Anpassung hat der ifo-Vor-
   Drei Kinder                   42 820                61                                       0,14                 schlag nur begrenzte Auswir-
   Vier und mehr Kinder          38 987                65                                       0,17                 kungen auf aggregierte Maße
  Nach Einkommensdezil (äquivalenzgewichtet) im Status quo                                                           der Ungleichheit der verfügba-
   1. Dezil                       8 674                14                                       0,16
                                                                                                                     ren Einkommen. Ohne Berück-
   2. Dezil                      15 608              – 67                                     – 0,43
   3. Dezil                      18 733              – 56                                     – 0,30
                                                                                                                     sichtigung der Anpassungsef-
   4. Dezil                      22 568              – 29                                     – 0,13                 fekte steigt die Ungleichheit,
   5. Dezil                      25 077                –2                                     – 0,01                 am P90/P10-Verhältnis gemes-
   6. Dezil                      29 649              – 12                                     – 0,04                 sen, sogar leicht an. Berück-
   7. Dezil                      35 281                –7                                     – 0,02                 sichtigt man die Anpassungs-
   8. Dezil                      41 152                –4                                     – 0,01
   9. Dezil                      52 989                –2                                       0,00
                                                                                                                     effekte, sinken alle Ungleich-
   10. Dezil                     89 897                 0                                       0,00                 heitsmaße leicht.
  Anmerkung: Die Tabelle weist die Wirkungen auf das durchschnittlich verfügbare Haushaltseinkommen pro Jahr              Wie Tabelle 5 zeigt, hat
  im Vergleich zum Status quo aus.
                                                                                                                     auch die Erhöhung des Schon-
Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.
                                                                                                                     vermögens keine merkli-
                                                                                                                     chen Auswirkungen auf die
anderes, heterogeneres Bild der Reform. Im Durch-                                  Ungleichheit.
schnitt profitieren gerade Alleinerziehende und Paare                                   Die fiskalischen Wirkungen auf das Gesamtbud-
mit Kindern spürbar von der Reform, während Allein-                                get sind in Tabelle 6 zu finden. Der ifo-Vorschlag wirkt
stehende und Paare ohne Kinder nur ein leichtes                                    gerade durch die Ausweitung des Arbeitsangebots
Plus verzeichnen. Insgesamt wirken die Steigerun-                                  positiv auf den Staatshaushalt.
gen der verfügbaren Einkommen nicht sonderlich                                          Durch den Wegfall der Hinzuverdienstrege-
hoch. Bei der Interpretation der Zahlen ist aber zu                                lung des 100-Euro-Freibetrages im ALG II bei Haus-
berücksichtigen, dass nur ein Teil der Haushalte in                                halten ohne Kindern wird der Staatshaushalt zu-
den jeweiligen Einkommensdezilen überhaupt                                         nächst
                                                                                   Tab 4     entlastet. Zusätzliche Kosten entstehen
Arbeitslosengeld II erhält und von diesen Haushalten                               hingegen durch die deutlich geringere Grenzbe-
wiederum nur ein Teil sein Arbeitsangebot tatsäch-
lich anpasst. Dort, wo Haushalte ihr Arbeitsangebot                                Tab. 4
                                                                                   Veränderung der Armuts- und Ungleichheitsmaße –
angleichen, sind die Einkommenswirkungen erheb-
                                                                                   ifo-Vorschlag
lich größer: Für alle betroffenen Haushalte beträgt
der durchschnittliche Pro-Kopf-Effekt 175 Euro. Hier-                                                                  ohne                       mit
                                                                                     Maß                             Anpassung                 Anpassung
bei ist jedoch zu bedenken, dass es statisch im Ver-
                                                                                     Gini-Koeffizient                  0,001                    – 0,001
gleich zum Status quo sowohl Gewinner- als auch                                      P90/P10                           0,036                      0,000
Verliererhaushalte gibt. Außerdem erhöhen manche                                     Armutsrisikoquote                 0,002                    – 0,004
Haushalte ihr Arbeitsangebot, während andere weni-                                   Anmerkung: Die Tabelle weist die absolute Veränderung verschiedener Vertei-
                                                                                     lungsmaße im Vergleich zum Status quo aus.
ger arbeiten. Letzteres kann zu Einkommensrückgän-                                 Tab. 5
                                                                                   Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.
gen führen. Bei den Haushalten, die bessergestellt
werden und ihre Beschäftigung ausweiten, beträgt der                               Tab. 5
durchschnittliche Einkommenszuwachs 1 031 Euro.                                    Veränderung der Armuts- und Ungleichheitsmaße –
Dies entspräche einer Erhöhung des Hartz-IV-Regel-                                 ifo-Vorschlag mit Erhöhung des Schonvermögens
satzes um rund 20% – allerdings erhöhen die Haus-                                    Maß                                             ohne Anpassung
halte hier ihr Nettoeinkommen aus eigener Kraft und                                  Gini-Koeffizient                                     0,000
sind deshalb weniger auf staatliche Unterstützung                                    P90/P10                                              0,008
angewiesen.                                                                          Armutsrisikoquote                                    0,001
                                                                                     Anmerkung: Die Tabelle weist die absolute Veränderung verschiedener Vertei-
     In Tabelle 3 geben wir die Direktwirkungen –                                    lungsmaße im Vergleich zum Status quo aus.
ohne Anpassung – auf die durchschnittlich verfüg-                                  Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.

                                                                                                    ifo Schnelldienst    4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019   41
FORSCHUNGSERGEBNISSE

     Tab. 6

     Tab. 6                                                                        sind einer Arbeitslosigkeit vorzuziehen, aber sie bie-
     Fiskalische Effekte, Veränderung in Mrd. Euro –                               ten in der Regel nur beschränkte Entwicklungspers-
     ifo-Vorschlag                                                                 pektiven und erlauben es kaum, die Abhängigkeit von
                                               ohne                  mit           staatlichen Transfers nachhaltig zu überwinden.
       Budgetgröße                           Anpassung            Anpassung             Der in diesem Beitrag vorgestellte ifo-Vorschlag
       Direkte Steuern                          0,0                  1,0           zur Reform der sozialen Grundsicherung führt dazu,
       SV-Beiträge (AN und AG)                  0,0                  2,6
       Transfers                                1,2                  0,9
                                                                                   dass sich (mehr) Arbeit auch bei niedrigen Stunden-
       Gesamt                                   1,2                  4,4           löhnen wieder lohnt. Durch die verbesserten Anreiz-
       Anmerkung: Budgetwirkung der Reform im Vergleich zum Status quo. Positive   strukturen können Betroffene der Abhängigkeit von
       Werte bedeuten eine Entlastung, negative eine Belastung des Budgets.
     Quelle:
                                                                                   Transfers aus eigener Kraft leichter entkommen als im
     Tab. 7ifo-Mikrosimulationsmodell.
                                                                                   Status quo. Die Beschäftigung nimmt zu, ohne dass
                                                                                   zusätzliche Kosten für den Staatshaushalt entste-
     Tab. 7                                                                        hen. Die Vorgabe der Aufkommensneutralität bedeu-
     Fiskalische Effekte, Veränderung in Mrd. Euro –                               tet, dass vor Verhaltensanpassungen einige Haushalte
     ifo-Vorschlag mit Erhöhung des Schonvermögens                                 gewinnen, während andere verlieren. Diese Verluste
       Budgetgröße                                       ohne Anpassung            werden jedoch bei den meisten, wenn auch nicht bei
       Direkte Steuern                                         0,0                 allen Haushalten, durch ausgedehnte Beschäftigung
       Sozialversicherung (AN und AG)                          0,0                 überkompensiert. Wenn man Einkommensverluste
       Transfers                                               0,7
                                                                                   ganz ausschließen will, müsste man etwas schlech-
       Gesamt                                                  0,7
      Anmerkung: Budgetwirkung der Reform im Vergleich zum Status quo. Positive    tere fiskalische Wirkungen in Kauf nehmen. Trotz
      Werte bedeuten eine Entlastung, negative eine Belastung des Budgets.
                                                                                   dieser Einschränkungen reduziert die von uns vor-
     Quelle: ifo-Mikrosimulationsmodell.
                                                                                   geschlagene Reform nach üblichen Ungleichheits-
                                                                                   maßen die Einkommensungleichheit. Eine Reform,
     lastung von 60% im mittleren Bruttoeinkom-                                    die sowohl die Beschäftigung und damit die gesamt-
     mensbereich, sie überdecken aber nicht die                                    wirtschaftliche Effizienz des Transfersystems steigert
     Einsparungen.                                                                 als auch die aggregierte Ungleichheit der verfügbaren
          Im ifo-Vorschlag entfallen die Ausgaben für Wohn-                        Einkommen senkt, ist also möglich.
     geld sowie für den Kinderzuschlag. An die Stelle die-
     ser im Status quo vorgelagerten Leistungen tritt dann                         LITERATUR
     teilweise Arbeitslosengeld II inklusive der Kosten der
                                                                                   Bauernschuster, St., W. Geis, Chr. Holzner und H. Rainer (2010), »Das Bun-
     Unterkunft. Die geringere Grenzbelastung belastet                             desverfassungsgerichtsurteil zu den Hartz-IV-Regelsätzen: Hintergrund
     das Staatsbudget bei gegebener Beschäftigung.                                 und Bedeutung«, ifo Schnelldienst 63(5), 21–29.
          Wenn man berücksichtigt, dass die Haushalte in                           Becker, I. und V. Tobsch (2010), Regelbedarfsbemessung–methodisch kon-
                                                                                   sistente Berechnungen auf Basis der EVS 2013 unter Berücksichtigung von
     den Reformszenarien ihr Arbeitsangebot ausweiten                              normativen Vorgaben der Diakonie Deutschland, verfügabr unter: https://
     und gerade in sozialversicherungspflichtigen Beschäf-                         www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/Becker_11_2016_Gutachten_
                                                                                   Regelbedarfsbemessung.pdf.
     tigungen mehr gearbeitet wird, dann ergibt sich eine
                                                                                   Blömer, M., F. Buhlmann, M. Löffler, A. Peichl und H. Stichnoth (2017).
     Entlastung des öffentlichen Budgets. So steigen nach
                                                                                   »Kinderfreibeträge in der gesetzlichen Rentenversicherung: Verteilungs-
     dem ifo-Vorschlag die Sozialversicherungsabgaben                              und Verhaltenswirkungen«, Wirtschaftsdienst 97, 266–271.
     von Arbeitnehmern und Arbeitgebern um ca. 2,6 Mrd.                            Blömer, M. und A. Peichl (2018), Ein »Garantieeinkommen für Alle«, Stu-
     Euro/Jahr. Da es sich hauptsächlich um eine Reform                            die in Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und
                                                                                   Finanzen von Bündnis 90/Die Grünen, ifo Forschungsberichte 97, ifo Insti-
     im Niedrigeinkommensbereich handelt, ist der                                  tut, München.
     Arbeitsangebotseffekt auf die direkten Steuern (Ein-                          Blömer, M. und A. Peichl (2019) Anreize für Erwerbstätige zum Austritt
     kommensteuer und Solidaritätszuschlag) vergleichs-                            aus dem Arbeitslosengeld-II-System und ihre Wechselwirkungen mit dem
                                                                                   Steuer- und Sozialversicherungssystem, Studie im Auftrag der Fried-
     weise gering und liegt bei ca. 1 Mrd. Euro pro Jahr.                          rich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, verfügbar unter: https://www.
          Bei der zusätzlichen Erhöhung des Schonver-                              freiheit.org/sites/default/files/uploads/2019/02/04/ifoforschungsbericht-
                                                                                   final2019-02-05.pdf.
     mögens fällt das fiskalische Plus etwas geringer aus,
                                                                                   Breuer, Chr. (2019), »Dilemma Hartz IV: Geringverdiener entlasten«, Wirt-
     da nun mehr Haushalte Anspruch auf ALG II haben                               schaftsdienst 99(2), 82–83.
     (vgl. Tab. 7).                                                                Bruckmeier, K. und S. Becker (2018), Auswirkung des gesetzlichen Mindest-
                                                                                   lohns auf die Armutsgefährdung und die Lage von erwerbstätigen Arbeits-
                                                                                   losengeld II-Bezieherinnen und -Beziehern, Studie im Auftrag der Mindest-
     FAZIT                                                                         lohnkommission, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB),
                                                                                   Nürnberg.

     Die bestehenden Regelungen im Bereich der sozia-                              Bruckmeier, K., J. Mühlhan und A. Peichl (2018a), »Mehr Arbeitsanreize für
                                                                                   einkommensschwache Familien schaffen.« ifo Schnelldienst 71(2), 25–28.
     len Grundsicherung haben den erheblichen Nach-
                                                                                   Bruckmeier, K., J. Mühlhan und J. Wiemers (2018b), Erwerbstätige im unte-
     teil, dass sie aufgrund nicht aufeinander abgestimm-                          ren Einkommensbereich stärken: Ansätze zur Reform von Arbeitslosengeld
     ter Transfers und Transferentzugsregeln teilweise                             II, Wohngeld und Kinderzuschlag, Forschungsbericht, Institut für Arbeits-
                                                                                   markt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg.
     zu impliziten Grenzsteuersätzen von deutlich über
                                                                                   Bruckmeier, K., J. Pauser, U. Walwei und J. Wiemers (2013), Simulations-
     100% führen. Das hat zur Folge, dass Transferempfän-                          rechnungen zum Ausmaß der Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen der
     ger erhebliche Anreize haben, sich auf Kleinstjobs zu                         Grundsicherung, Forschungsbericht, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufs-
                                                                                   forschung (IAB), Nürnberg.
     beschränken. Derartige Beschäftigungsverhältnisse

42   ifo Schnelldienst   4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE

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download-nkr-gutachten-2017-data.pdf?download=1

                                                                                                   ifo Schnelldienst   4 / 2019   72. Jahrgang   21. Februar 2019   43
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