Medikamentöse Therapie von epileptischen Anfällen und Epilepsien
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Schwerpunkt Medikamentöse Therapie von epileptischen Anfällen und Epilepsien Medical treatment of acute seizures and epilepsy Lara Kay1,2, Sebastian Bauer1,2, Felix Rosenow1,2, Epilepsien ist die Auswahl kleiner. Die Wahl des Antianfalls- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Adam Strzelczyk1,2, Johann Philipp Zöllner1,2 medikamentes sollte neben dem Epilepsiesyndrom an den 1 Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der individuellen Wünschen und der Lebenssituation des Patien- Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität ten, seinen Komorbiditäten und dem Nebenwirkungsprofil Frankfurt, Frankfurt am Main ausgerichtet werden. Meist wird man deshalb neuere Antian- 2 LOEWE Center for Personalized Translational Epilepsy fallsmedikamente bevorzugen. Durch die Entwicklung neuer Research (CePTER), Goethe-Universität Frankfurt, Medikamente erhöht sich die Chance einer individuell gut ver- Frankfurt am Main träglichen und erfolgreichen Therapie. Dem gegenüber stehen höhere Therapiekosten der meisten neueren Antianfallsmedi- ZUSA M M E N FA SS UN G kamente. Die meisten epileptischen Anfälle sind selbstlimitie- Fast jede aktive Epilepsie bedarf einer medikamentösen The- rend. Ein prolongierter epileptischer Anfall muss jedoch schnell rapie durch Antianfallsmedikamente (Antiiktalia). Ziel ist die und ausreichend hoch dosiert mit Benzodiazepinen behandelt Anfallsfreiheit des Patienten bei gleichzeitig guter Tolerabili- werden, um so einen therapierefraktären Verlauf abwenden zu tät. Zur Dauertherapie fokaler Epilepsien steht eine Reihe von können und das Outcome des Patienten zu verbessern. Antianfallsmedikamenten zur Verfügung, bei generalisierten Medikamentöse Dauertherapie das Auftreten epileptischer Anfälle und wirken somit rein In Deutschland leiden etwa 0,6 % bis 1 % der Bevölkerung symptomatisch. Im Englischen wird deshalb neuerdings an Epilepsien [1–3]. Damit gehören Epilepsien zu den häu- der Begriff „anti-seizure drug“ verwendet (Äquivalent zu figsten neurologischen Erkrankungen in Deutschland, und Antianfallsmedikament), der oft gebrauchte Begriff An- auf die gesamte Lebenszeit ergibt sich ein Risiko von 2 % tiepileptika ist somit irreführend. Die Auswahl eines Anti- bis 3 %, eine Epilepsie zu entwickeln. Die Diagnose einer anfallsmedikamentes erfolgt nach dem Epilepsiesyndrom Epilepsie ergibt sich durch 2 unprovozierte epileptische (fokal oder generalisiert), dem Alter des Patienten und be- Anfälle oder einen epileptischen Anfall bei Vorliegen wei- kannten Komorbiditäten. Zudem sind die angenommene terer Faktoren, die das Rezidivrisiko auf > 60 % erhöhen. Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen zu bedenken. Dazu gehören zum Beispiel epilepsietypische Veränderun- gen im EEG oder das Vorliegen einer epileptogenen Hirn- Die Zahl der verfügbaren Antianfallsmedikamente hat sich, veränderung, wie nach einem Schlaganfall oder bei einem mit zunehmender Dynamik seit den 1980er-Jahren, ste- Hirntumor [4]. tig erhöht (▶ Abb. 1). Eine Wirküberlegenheit einzelner Medikamente konnte dabei nur in Ausnahmefällen nach- Aus der Diagnose einer Epilepsie ergibt sich in der Regel gewiesen werden. In der Regel zeigte sich keine besse- die Indikation zur medikamentösen Therapie. Ziel der The- re Wirksamkeit als bei Antianfallsmedikamenten der ers- rapie ist dabei die Verhinderung eines Anfallsrezidives, da ten und zweiten Generation (▶Abb. 1). Eine Metaanalyse anhaltende Anfälle die Lebensqualität und soziale Teilha- fand keine Wirksamkeitsunterschiede der neueren Medi- be einschränken und zudem eine erhöhte Morbidität und kamente Brivaracetam, Perampanel und Lacosamid [10]. Mortalität bedingen [5, 6]. Bei sehr seltenen und nicht Ältere Metaanalysen favorisierten teils Topiramat [11, 12] schwerwiegenden Anfällen (z. B. < 2/Jahr) oder ausschließ- oder Levetiracetam [13]. Üblicherweise werden neue Anti- lichen Auren ist eine Therapie eventuell verzichtbar. Etwa anfallsmedikamente zunächst zur Zusatzbehandlung von 60 % bis 80 % der Menschen mit Epilepsie werden durch Patienten mit fokalen Epilepsien zugelassen [14]. Primä- eine medikamentöse Therapie anfallsfrei. Wenn es unter rer Endpunkt ist dabei die Reduktion der Anfallsfrequenz 2 ausreichend dosierten Antianfallsmedikamenten (syno- um 50 % („50 %-Responderrate“). Eine Zulassung zur initia- nym: Antiiktalia, auch Antiepileptika oder Antikonvulsiva len Monotherapie erfolgt durch die EMA erst nach Studien genannt) nicht zu einer Anfallsfreiheit kommt, liegt eine mit Darstellung einer Nichtunterlegenheit (engl.: Non-in- pharmakoresistente Epilepsie vor [7, 8]. Dann sollte eine feriority) gegenüber Carbamazepin oder einem anderen epilepsiechirurgische Therapieoption geprüft werden [9]. Standardmedikament bei fokalen Epilepsien. Alle gängigen Medikamente unterdrücken ausschließlich Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899 887
Schwerpunkt 2030 Fenfluramin** Cannabidiol* Brivaracetam RetigabinPerampanel 2010 Lacosamid Eslicarbazepin Zonisamid Stiripentol Rufinamid Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Pregabalin Levetiracetam Topiramat Oxcarbazepin Felbamat Tiagabin Gabapentin Vigabatrin Lamotrigin 1990 Jahr der Zulassung/Erstverwendung Valproinsäure 1970 Benzodiazepine Carbamazepin Ethosuximid Primidon 1950 Phenytoin 1930 Phenobarbital 1910 0 5 10 15 20 25 30 Anzahl der verfügbaren Medikamente ▶Abb. 1 Antianfallsmedikamente bis zum Jahr 2020, Daten aus [14]; Antianfallsmedikamente der ersten und zweiten Generation rot, solche der dritten Generation blau markiert. * Cannabidiol 2019 durch die amerikanische Food and Drug Administration zugelassen. ** Zulassung von Fenfluramin [80] für 2020 erwartet. 888 Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899
In solchen Studien zur initialen Monotherapie oder der of- von S. Wolking und H. Lerche in dieser Ausgabe). Weite- fenen SANAD-Studie mit direktem Vergleich von Medi- re Nebenwirkungen können Herzrhythmusstörungen und kamenten zeigte sich bei fokalen Epilepsien eine besse- Blutbildveränderungen sein. re Wirksamkeit von Carbamazepin gegenüber Gabapen- tin [15]. Levetiracetam [16] und Zonisamid [17] waren Oxcarbazepin (OXC) ist zur Mono- und Kombinationsthe- Carbamazepin nicht unterlegen. Lamotrigin war Carba- rapie fokaler Epilepsien ab dem 6. Lebensjahr zugelassen. mazepin in der Wirksamkeit nicht unterlegen, aber besser Es wirkt, ähnlich wie Carbamazepin, vor allem als Natrium- verträglich [15]. Bei generalisierten und unklassifizierten kanalblocker, jedoch auf die langsame Inaktivierung. OXC Epilepsien war Valproat besser verträglich als Topiramat wird in der Leber zum aktiven S-10-Monohydroxy- Meta- und wirksamer als Lamotrigin [18]. Bei der kindlichen Ab- boliten (MHD) reduziert, das chemisch dem S-Licarbazepin sencenepilepsie waren Ethosuximid und Valproat wirksa- entspricht und eine Halbwertszeit von 9 Stunden besitzt. Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. mer als Lamotrigin, Ethosuximid war dabei verträglicher OXC erhöht die Halbwertszeit von PHB und PHT und ver- als Valproat [19]. ringert die Halbwertszeit von CBZ sowie den Serumspiegel oraler Kontrazeptiva. Die maximale zugelassene Tagesdo- Einige neuere Antianfallsmedikamente sind besser ver- sis bei Erwachsenen liegt bei 2400 mg/d in 2 Einzelgaben träglich als solche der ersten und zweiten Generation. bei Retardpräparaten, begonnen wird üblicherweise mit Bei Überdosierungen können jedoch ebenfalls Schwindel, 300–600 mg/d. Die Wirkstärke in der Add-on-Therapie war Doppelbilder oder Übelkeit auftreten. Ein Vorteil kann sein, nicht unterschiedlich zu CBZ, VPA und PHT (Responderra- dass einige neuere Medikamente wie Lacosamid, Levetira- te ca. 40 %). 57 % der Menschen mit einer neudiagnosti- cetam, Gabapentin und Pregabalin nicht und andere, wie zierten Epilepsie waren nach 12 Monaten OXC-Monothera- Brivaracetam oder Zonisamid, nur wenig in klinisch rele- pie anfallsfrei [20, 21]. In Ergebnissen des EURAP-Schwan- vantem Ausmaß mit anderen Medikamenten pharmakoki- gerschaftsregisters führte die OXC-Monotherapie nicht zu netisch interagieren. Ein therapeutisches Drug Monitoring einem erhöhten Risiko schwerer Kindsfehlbildungen, bei ist bei den meisten neueren Antianfallsmedikamenten im einer allerdings zu niedrigen Fallzahl für eine abschließen- Regelfall nicht nötig. Ausnahmen stellen die Lamotrigin- de Beurteilung [22]. Eine spezifische UAW von OXC stellt einnahme in der Schwangerschaft sowie der Verdacht auf die Hyponatriämie dar. OXC ist eine wirksame Therapie- Noncompliance, Intoxikation, Interaktion oder bekann- alternative bei fokalen Epilepsien. Insbesondere bei älte- te Eliminationseinschränkungen z. B. bei Leber- oder Nie- ren Patienten sollte auf das Hyponatriämierisiko geachtet reninsuffizienz dar. werden [23]. Es sollte primär die retardierte Formulierung von OXC eingesetzt werden. Gebräuchliche Substanzen Eslicarbazepin-Acetat (ESL) ist zugelassen zur Monothe- Im Folgenden werden die gebräuchlichen Substanzen vor- rapie fokaler Epilepsien bei Erwachsenen, als Zusatzthe- gestellt, die Anordnung richtet sich nach den Wirkmecha- rapie ab dem 6. Lebensjahr. ESL ist ein Prodrug und wird nismen (▶Tab. 1). in der Leber vorwiegend zum S-Enantiomer des Licarba- zepin (S-Licarbazepin, entspricht dem wirksamen Metabo- Carbamazepin (CBZ) war das erste Antianfallsmedikament liten von OXC) metabolisiert. Der Wirkmechanismus ent- der Dibenzazepin-Gruppe (CBZ, OXC, ESL) und verlängert spricht deshalb dem von OXC. Zudem wurde eine Wirkung den inaktivierten Zustand spannungsabhängiger Natri- auf T-Typ-Kalziumkanäle gezeigt [24]. Die Halbwertszeit umkanäle. Es ist zur Therapie fokaler Epilepsien bei Kin- von ESL beträgt 20–24 Stunden. ESL erniedrigt die Plas- dern und Erwachsenen zugelassen und war hierfür lange makonzentration von oralen Kontrazeptiva und von Sim- die Leitsubstanz. Für CBZ liegt somit eine lange klinische vastatin. PB, PHT und CBZ erhöhen die Clearance von ESL. Erfahrung vor. Als CYP-Induktor führt es zu sehr breiten Die Add-On-Responderrate lag bei 53 %. Die zugelasse- Arzneimittelinteraktionen, u. a. schränkt es die Wirksam- ne Zieldosis beträgt 800–1200 mg und kann einmal täg- keit hormoneller Kontrazeptiva ein. Die erste Zieldosis bei lich abends eingenommen werden. Bei Monotherapie kön- Erwachsenen beträgt 400 mg/d, die zugelassene Höchst- nen bis 1600 mg verwendet werden. Die erste Dosis be- dosis liegt bei 1200 mg/d. Die Retard-Formulierung sollte trägt üblicherweise 400 mg. ESL war in der Monotherapie bevorzugt werden. Die Ein-Jahres-Anfallsfreiheit bei neudi- CBZ-Retard nicht unterlegen. Ein Vorteil von ESL gegen- agnostizierter Epilepsie beträgt etwa 73 % [16]. Bei Perso- über CBZ und OXC ist die einmal tägliche Einnahme, eine nen asiatischer Abstammung mit HLA-B*1502-Allel (z. B. Wirküberlegenheit ist nicht bewiesen [25]. Eine spezifische 10 % der Han-Chinesen, Thailänder) ist das Risiko schwerer UAW von ESL stellt – wie bei OXC – die Hyponatriämie dar, allergischer Hautreaktionen stark erhöht, deshalb sollte insbesondere bei älteren Patienten sollte auf das Hypona- bei diesen Patienten vor Therapiebeginn eine HLA-Bestim- triämierisiko geachtet werden [23]. mung erfolgen. Auch das HLA-A*3101-Allel bei manchen Europäern und Japanern prädisponiert für allergische Hau- Lacosamid (LCM) wirkt wie OXC und ESL antikonvulsiv treaktionen, eine allgemeine HLA-Testung wird für diese über eine Verstärkung der langsamen Inaktivierung span- Gruppen aber derzeit nicht empfohlen (siehe auch Artikel nungsabhängiger Natriumkanäle. LCM ist zugelassen für Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899 889
Schwerpunkt ▶Tab. 1 Übersicht über zur Dauertherapie verwendeter Antianfallsmedikamente. Name Code Mechanis- Indikation Startdosis Steigerung Zieldosis Wichtigste Interak- UAW/ mus (Erwach- (Erwach- bis max. spezifische UAW tions- Bemerkungen sene) sene) zugelassene poten- Tagesdosis zial (Erwachsene) Carba- CBZ Na+-Kanal Monothera- 200– z. B. wö- 400–1200 mg/d Hyponatriämie, ++ Erhöhtes Risiko mazepin blockade pie fokaler 300 mg/d chentlich Bradykardie/AV- für Steven-John- Anfälle um 200 bis Block, Leuko- son-Syndrom bei Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. 300 mg/d penie (häufig), HLA-B*1502 (v. a. Agranulozytose Han-Chinesen, (sehr selten), Ste- Thailänder): ge- vens-Johnson-Syn- netische Testung drom, Osteoporo- vor Therapiebe- se/Osteopenie ginn notwendig; Risiko auch bei HLA-A*3101 (v. a. Japaner, Europäer) Oxcar- OXC Na+-Kanal Monothera- 300– z. B. wö- 600–2400 mg/d Hyponatriämie, + Kreuzreaktion bazepin blockade pie fokaler 600 mg/d chentlich AV-Block hinsichtlich Aller- Anfälle um 450– gie bei 25–30 %; 600 mg/d ebenfalls geneti- sche Testung von Patienten asiati- scher Herkunft auf HLA-B*1502 empfohlen Eslicar- ESL Na+-Kanal Fokale 400 mg/d z. B. alle 400–1600 mg/d Hyponatriämie, + ebenfalls geneti- bazepin blockade Anfälle 1–2 Wo- AV-Block sche Testung von chen um Patienten asiati- 400 mg/d scher Herkunft auf HLA-B*1502 empfohlen, analog zu CBZ und OXC Lacosa- LCM, Na+-Kanal Fokale An- 100 mg/d z. B. 200–600 mg/d AV-Block - EKG-Kontrolle v. a. mid LCS blockade fälle, auch wöchent- (auch i.v. vorh.) bei bekannten (slow inacti- Monothe- lich um Herzrhythmus vation) rapie 100 mg/d störungen Lamotri- LTG Na+-Kanal Monothera- 25 mg/d 25 mg/d alle 100–400 mg/d Allergische ± Langsame Aufdo- gin blockade pie fokaler (12,5 mg/d 2 Wochen (im Einzelfall Hautreaktion sierung (25 mg/d und gene- bei (langsamer und nach (Stevens-Johnson- alle 2 Wochen) ralisierter VPA-Thera- bei VPA-Ein- Verträglichkeit Syndrom 0,1 %) zum Erkennen und Anfälle pie) nahme) bis 600 mg/d zur Risikoreduk- möglich) tion allergischer Reaktionen; Halbierung der Geschwindig- keit, Start- und Zieldosis bei VPA-Therapie; Interaktion mit oralen Kontrazep- tiva (wechselseiti- ge Wirkabschwä- chung) 890 Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899
▶Tab. 1 Fortsetzung. Name Code Mechanis- Indikation Startdosis Steigerung Zieldosis Wichtigste Interak- UAW/ mus (Erwach- (Erwach- bis max. spezifische UAW tions- Bemerkungen sene) sene) zugelassene poten- Tagesdosis zial (Erwachsene) Pheny- PHT Na+-Kanal Monothera- 100 mg/d z. B. wö- 200–400 mg Irreversible ++ Nicht mehr erste toin blockade pie fokaler chentlich (auch i. v. vorh.) Kleinhirnatrophie, Wahl wegen häu- Anfälle um 50 md/d Polyneuropathie, figer Nebenwir- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. (Spiegel- Gingivahyper kungen, hohem kontrolle!) plasie, Herzrhyth- Interaktions- musstörungen, potenzial, nicht AV-Block, Hirsu- linearer Kinetik; tismus, Osteopo- Spiegelkontrollen rose, Bradykardie bei Dosisänderung und Hypotension sinnvoll; Vorsicht bei i.v.-Gabe bei i.v.-Gabe über periphere Venenzugänge (Gewebsnekrosen bei Paravasat) Levetira- LEV Einfluss auf Monothera- 500– z. B. alle 1000– Aggressivität, – Häufig eingesetzt, cetam synaptische pie fokaler 1000 mg/d 3–7 Tage 3000 mg/d Depression, Atem- breit wirksam, Funktion Anfälle, ge- um (auch i.v. vorh.) wegsinfekte kann schnell auf- durch neralisierte 500 mg/d dosiert werden, Bindung Anfälle Zurückhaltung bei an präsyn. (JME, IGE psychiatrischen SV2A-Protein mit GTKA) Begleiterkrankun- gen, insbesondere Depression Brivara- BRV Einfluss auf Fokale 50 mg/d z. B. alle 50–200 mg/d Aggressivität, ± – cetam synaptische Anfälle 3–7 Tage (auch i. v. vorh.) Depression, Atem- Funktion um 25 mg/d wegsinfekte durch Bindung an präsyn. SV2A-Protein Valproat VPA Na+ – und Monothera- 300– z. B. 600–1500 mg Tremor, Ge- ++ Breit wirksam, Ca2+-Kanal pie fokaler 500 mg/d 300 mg alle (–2000 mg) wichtszunahme, hohes Interak- blockade, und gene- (nach KG) 4–7 Tage (auch i. v. vorh.) polyzystische Ova- tionspotenzial, Hemmung ralisierter (nach KG, rien, Haarausfall, hohes Teratogeni- des GABA- Anfälle Spiegelkon- Blutgerinnungs- tätsrisiko, deshalb Abbaus trolle!) störung, Leber- bei gebärfähigen schädigung, Hy- Frauen nicht perammonämie, einsetzen Parkinson-Syn- drom, Pankreati- tis, Osteoporose Zonisa- ZNS Na+ – und Monothera- 50 mg/d alle 2 Wo- 200–500 mg/d Gewichtsverlust, ± Hyperthermie bei mid Ca2+-Kanal pie fokaler chen um Konzentrati- Anhidrose möglich blockade, Anfälle 100 mg/d in onsstörung, Carboanhy- der Mono- andere psychiat- drasehem- therapie rische Symptome, mung Nierensteine, vermindertes Schwitzen, Glau- kom, Parästhesi- en, metabolische Azidose Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899 891
Schwerpunkt ▶Tab. 1 Fortsetzung. Name Code Mechanis- Indikation Startdosis Steigerung Zieldosis Wichtigste Interak- UAW/ mus (Erwach- (Erwach- bis max. spezifische UAW tions- Bemerkungen sene) sene) zugelassene poten- Tagesdosis zial (Erwachsene) Topira- TPM AMPA-Rezep- Monothera- 25 mg/d z. B. wö- 50–500 mg/d Gewichtsverlust, ± Zusätzliche Wir- mat torblockade, pie fokaler chentlich Konzentrations- kung zur Migräne GABAerg, und gene- um 25 mg/d und Wortfin- prophylaxe Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Carbo- ralisierter dungsstörungen, anhydrase- Anfälle andere psychiat- hemmung, rische Symptome, Na+-Kanal Nierensteine, ver- blockade mindertes Schwit- zen, Glaukom, Parästhesien, metabolische Azi- dose, Pankreatitis, Haarausfall Sultiam STM Carbo- Nur Nach KG 200–400 mg/d Gewichtsverlust, + – anhydrase- Rolando- (5–10 mg/ Verhaltensstö- hemmung, Epilepsie kg KG/d) rung, Halluzinatio- Na+-Kanal (BCECTS) nen, Parästhesien, blockade Tachypnoe Gaba- GBP Bindung an Monothe- 300 mg/d 300 mg/d in 900–3600 mg/d Psychiatrische – Wahrscheinlich pentin Ca2+-Kanal- rapie fokale den ersten Störungen, Ge- nur geringe protein Anfälle 3 Tagen, wichtszu- oder – antikonvulsive dann abnahme, Ödeme, Effektivität z. B. um selten Pankreatitis 300 mg/d alle 2–3 Tage Prega- PGB Bindung an Fokale 150 mg/d z. B. um 300–600 mg/d Psychiatrische – – balin Ca2+-Kanal- Anfälle 150 mg/d Störungen, Ge- protein nach der wichtszu- oder – 1. Wo- abnahme, Ödeme, che, um selten Pankreatitis 300 mg/d nach der 2. Woche Etho- ESM Ca2+-Kanal Monothe- 250– um 250 mg 1000– Gewichtsverlust, ± Nur gegen suximid blockade rapie gene- 500 mg/d pro Woche 2000 mg/d psychiatrische Absencen wirksam ralisierter Probleme (teil pa- Epilepsien ranoide Störung), (Absencen, Dyskinesien Myokloni- en) Pheno- PB direkt GA- Monothera- nach nach KG 50–300 mg/d Sedierung, Abhän- ++ Nicht mehr erste barbital BAerg pie fokaler KG, ca. und unter (auch i. v. vorh.) gigkeit, depressive Wahl, da häufige Anfälle, ge- 50 mg/d Spiegelkon- Verstimmung, Nebenwirkungen, neralisierte trolle kognitive Störung, Toleranzentwick- Epilepsie Atemdepression, lung, Abhängig- (nicht wirk- Dupuytren- keitsrisiko und sam gegen Kontrakturen, hohes Interak- Absencen) Osteoporose, At- tionspotenzial. tackenauslösung Bei Absetzen bei Porphyrie hohes Risiko für Entzugsanfälle. 892 Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899
▶Tab. 1 Fortsetzung. Name Code Mechanis- Indikation Startdosis Steigerung Zieldosis Wichtigste Interak- UAW/ mus (Erwach- (Erwach- bis max. spezifische UAW tions- Bemerkungen sene) sene) zugelassene poten- Tagesdosis zial (Erwachsene) Primi- PRM direkt Monothera- 125 mg/d Aufdosie- 750–1000 mg/d wie PB ++ Prodrug von PB don GABAerg pie fokaler rung nach Anfälle, ge- Fachinfor- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. neralisierte mation Epilepsie (nicht wirk- sam gegen Absencen) Stiripen- STP GABAerg Dravet- 250 bis um 250– 50 mg/kg KG/d Gewichtsverlust, + Bei Dravet-Syn- tol Syndrom 500 mg 500 mg pro psychiatrische drom zugelassen, Woche Symptome, Hy- Kombination mit perkinesien VPA und CLB Peram- PER AMPA-Rezep- Fokale und 2 mg/d alle 1–2 Wo- 4–12 mg/d Gewichtsverände- (±) – panel torblockade genera- chen um rungen, psychiatri- lisierte 2 mg/d sche Symptome Anfälle Rufin- RUF Unbekannt Lennox- bei > 30 kg bei > 30 kg 1000– Gewichtsverlust, + Nur bei Lennox- amid Gastaut- KG: KG: z. B. um 3000 mg/d Sedierung Gastaut-Syndrom Syndrom 400 mg/d 400 mg/d zugelassen; Dosis alle 2–3 d verringern bei gleichzeitiger VPA-Therapie AMPA: α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolpropionsäure, BCECTS: benign childhood epilepsy with centrotemporal spikes, CLB: Clobazam, GABA: γ-Aminobuttersäure, GTKA: generalisiert (bilateral) tonisch-klonischer Anfall, HLA: humanes Leukozytenantigen, IGE: genetisch (idiopathisch) genera- lisierte Epilepsie, JME: juvenile myoklonische Epilepsie, KG: Körpergewicht, NMDA: N-Methyl-D-Aspartat, SV2A: synaptisches Vesikelprotein 2 A; UAW: unerwünschte Arzneimittelwirkungen die Monotherapie und Zusatztherapie fokaler Anfälle ab kung der schnellen Inaktivierung. Die Halbwertszeit be- dem 4. Lebensjahr. Etwa die Hälfte des Medikamentes wird trägt 29 Stunden, es wird hepatisch abgebaut. Während unverändert renal ausgeschieden, der Rest hepatisch me- LTG selbst das CYP-System nicht beeinflusst, verstärken tabolisiert, die Halbwertszeit beträgt etwa 14 Stunden PHT, PB und CBZ den Abbau von LTG. VPA verlangsamt als (steady state nach 3 Tagen). LCM steht zur oralen wie zur CYP-Inhibitor den LTG-Abbau und verdoppelt deshalb im parenteralen Gabe zur Verfügung. Die erste Dosis bei Er- Mittel den LTG-Spiegel, sodass die Dosis ggf. anzupassen wachsenen beträgt üblicherweise 100 mg/d, verteilt auf ist. Orale Kontrazeptiva können die LTG-Wirkung reduzie- zwei Gaben. Die Zieldosis beträgt 200–400 mg/d, maxi- ren, und selten umgekehrt. Die Zieldosis bei Erwachse- mal 600 mg/d. Add-on-Responderraten von ca. 70 % [26] nen beträgt 100–400 mg/d (auch höher möglich), aufge- und eine Ein-Jahres-Anfallsfreiheit bei Monotherapie von teilt auf 2 Gaben, die Initialdosis beträgt 25 mg. Die Res- etwa 65 % [27, 28] werden berichtet. Bei Patienten mit ponderrate lag in den Zulassungsstudien bei 35 %. LTG ist bekannten Herzrhythmusstörungen oder schwerer Her- vergleichbar wirksam wie CBZ, jedoch besser verträglich zerkrankung sollte vor Therapiebeginn ein EKG abgelei- [29]. Die wichtigste Nebenwirkung von LTG sind allergi- tet werden. Ein AV-Block 2. oder 3. Grades stellt eine Kon- sche Hautreaktionen, die bis zum Stevens-Johnson-Syn- traindikation dar. Ein wesentlicher Vorteil ist die vorhan- drom reichen können. Das Risiko des Auftretens lässt sich dene i.v.-Formulierung, die eine rasche Aufsättigung auch durch langsame Aufdosierung verringern, bei Komedika- im Notfall ermöglicht [28]. tion mit VPA sollte mit 5 mg oder 12,5 mg langsam begon- nen werden. LTG ist ein bei fokalen Epilepsien gut wirk- Lamotrigin (LTG) ist zur Monotherapie fokaler und genera- sames (Mittel der bevorzugten ersten Wahl in den Leit- lisierter Epilepsien ab dem 13. Lebensjahr zugelassen (ab linien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, DGN) dem 2. Lebensjahr als Zusatztherapie und als Monothe- und meist gut verträgliches Antianfallsmedikament. Es ist rapie typischer Absencen). Es hemmt, wie CBZ und PHT, eines der Mittel der Wahl bei Patientinnen mit Schwan- spannungsabhängige Natriumkanäle über eine Verstär- gerschaftswunsch, da das Risiko schwerwiegender kind- Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899 893
Schwerpunkt licher Fehlbildungen bei Dosen bis 300 mg/d nicht signi- Valproat (VPA) hemmt Natriumkanäle und modifiziert den fikant erhöht ist [22]. Auch bei älteren Patienten oder bei zerebralen GABA-Stoffwechsel [40, 41], der tatsächliche befürchteten kognitiven Nebenwirkungen kann es gut ein- Beitrag dieser Effekte zur antikonvulsiven Wirkung ist je- gesetzt werden. Weniger gut geeignet ist es, wenn ein doch nicht genau bekannt. Es ist zugelassen zur Behand- schneller Wirkeintritt erforderlich ist sowie bei Allergie- lung fokaler und generalisierter Epilepsien bei Kindern neigung. Gegen generalisierte Anfälle, insbesondere myo- und Erwachsenen. Die erste Dosis bei Erwachsenen be- klonische Anfälle und Absencen [30, 31] ist LTG schlechter trägt 300 mg/d, die Zieldosis 600–1500 mg/d und kann in wirksam und kann myoklonische Anfälle auch verstärken. Einzelfällen bis 2000 mg/d auftitriert werden. VPA ist ein potenter CYP-Inhibitor und interagiert mit vielen Antian- Levetiracetam (LEV) ist zur Monotherapie fokaler Epilepsi- fallsmedikamenten. Eine VPA-Spiegelkontrolle ist regelmä- en ab dem 16. Lebensjahr und zur Kombinationstherapie ßig notwendig. Valproat war in der SANAD Vergleichsstu- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. ab dem 1. Lebensmonat zugelassen sowie zur Zusatzbe- die das wirksamste Medikament bei generalisierten Epi- handlung generalisierter Epilepsien ab dem 12. Lebens- lepsien [18]. Bei Frauen im gebärfähigen Alter darf es nicht jahr. LEV interagiert mit dem präsynaptischen Vesikel- eingesetzt werden, da ein sehr hohes Risiko für kindliche protein SV2A und führt dadurch zu Veränderungen des Fehlbildungen von bis zu 25 % besteht [22]. Nur wenn me- vesikulären Transportes und der Exozytose, der genaue dikamentöse Alternativen nicht verfügbar oder verträg- Mechanismus der antikonvulsiven Wirkung ist jedoch un- lich sind, kann es unter strengen Auflagen (z. B. regelmä- bekannt [32]. Die Halbwertszeit von LEV beträgt 7 Stun- ßige jährliche schriftliche Einverständnis und Aufklärung den, die Ausscheidung erfolgt überwiegend renal. Die Ziel- nach Vorgaben des BfArM, regelmäßige Kontrolle der In- dosis bei Erwachsenen beträgt 1000–3000 mg/d verteilt dikation, sichere Verhütungsmethode) bei Mädchen und auf 2 Gaben, die erste Dosis liegt zwischen 2 × 250 mg/d Frauen im gebärfähigen Alter angewendet werden. Häufi- und 2 × 500 mg/d. LEV ist auch intravenös und als Saft ver- ge unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) sind eine fügbar. In der Add-on-Therapie zeigte sich eine Responder- Gewichtszunahme, Tremor und Haarausfall. In der Lang- rate von 30 % bis 40 % [33, 34] in der Monotherapie blieben zeittherapie kann VPA Osteoporose begünstigen. 56 % der Patienten über ein Jahr anfallsfrei [16]. Spezifische UAW sind Reizbarkeit, Aggressivität und Depression. Das Zonisamid (ZNS) ist zugelassen zur Monotherapie fokaler Risiko schwerwiegender kindlicher Fehlbildungen ist bei Epilepsien bei Erwachsenen mit neu diagnostizierter Epi- LEV-Einnahme in der Schwangerschaft nicht signifikant er- lepsie sowie als Zusatztherapie fokaler Epilepsien ab dem höht [22]. LEV ist bei fokalen und generalisierten Epilepsi- 6. Lebensjahr. Es wirkt primär über Hemmung von Nat- en gut wirksam. Es besitzt keine nennenswerten Arznei- rium- und T-Typ-Kalziumkanälen. Die Halbwertszeit be- mittelinteraktionen, auch die Verträglichkeit bei älteren trägt 60 Stunden (steady state nach 8–14 Tagen), die Me- Patienten ist sehr gut [35]. Die Leitlinie der DGN nennt LEV tabolisierung erfolgt überwiegend hepatisch. Die Zieldo- als Mittel der bevorzugten ersten Wahl bei fokalen Epilep- sis beträgt 300–500 mg/d, die Initialdosis beträgt meist sien, und dort wird es bei 60 % der Neueinstellungen ver- 2 × 25 mg/d. In der Add-on-Therapie fokaler Epilepsien wendet [2, 36]. Bei bekannter Depression ist es nur vor- ergaben sich für ZNS Responderraten von 30 % [42]. Es sichtig einzusetzen, bei Niereninsuffzienz muss die Dosis gibt positive Hinweis für die Wirksamkeit auch bei gene- gegebenenfalls angepasst werden. tisch generalisierten Epilepsien [43] (in Deutschland ist ZNS nicht für diese Indikation zugelassen). Wichtige UAW Brivaracetam (BRV) teilt den Wirkmechanismus von LEV, sind kognitive Einschränkungen, Gewichtsverlust sowie bindet jedoch mit einer höheren Affinität an das SV2A-Pro- das Auftreten von Nierensteinen. Eine Kombination mit tein. BRV ist zur Zusatzbehandlung fokaler Anfälle ab dem anderen Carboanhydrasehemmern (auch Topiramat) wird 4. Lebensjahr zugelassen. Die Therapie bei Erwachsenen aufgrund der Addition der Nebenwirkungen (Parästhesi- sollte mit 50 mg/d begonnen werden, die Zieldosis beträgt en, Nierensteine) nicht empfohlen. 100–200 mg/d, verteilt auf zwei Gaben. Die Halbwertszeit beträgt 7–8 Stunden, die Elimination erfolgt vorwiegend Topiramat (TPM) ist zugelassen für die Monotherapie foka- renal. Auch BRV ist zur intravenösen Gabe und als Saft er- ler und generalisierter Epilepsien ab dem 6. Lebensjahr (ab hältlich. In der Add-on-Therapie sind Responderraten von dem 2. Lebensjahr als Zusatztherapie). Es wirkt über multi- 30 % bis 40 % beschrieben [37]. Gegenüber LEV weist BRV ple Mechanismen antikonvulsiv, u. a. hemmt es Glutamat- wahrscheinlich ein geringeres Risiko für psychobehaviorale rezeptoren und die Carboanhydrase, erhöht den GABA- Nebenwirkungen auf [38], die Wirksamkeit ist vergleich- bedingten Chloridinflux in Nervenzellen und blockiert bar. Eine Umstellung von Levetiracetam auf BRV kann in spannungsabhängige Natriumkanäle. Seine Halbwerts- einem Verhältnis von 10:1 direkt über Nacht erfolgen [38]. zeit beträgt 20–30 Stunden (steady state nach 4–8 Tage), Es gibt positive Hinweis für die Wirksamkeit auch bei ge- die Ausscheidung erfolgt vor allem renal. CBZ und PHT re- netisch generalisierten Epilepsien [39] (in Deutschland ist duzieren die TPM-Halbwertszeit um 50 %. Die zugelasse- BRV nicht für diese Indikation zugelassen). ne Dosis beträgt 50–500 mg/d, verteilt auf 2 Gaben, selten werden jedoch mehr als 300 mg/d im klinischen Alltag be- nötigt. Die erste Dosis beträgt üblicherweise 25 mg/d. Die 894 Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899
Responder-Rate in der Add-on-Therapie liegt bei 35 % bis um bis zu 30 % steigen [50]. PER kann nur oral als Tablette 50 % [44], eine 12-monatige Anfallsfreiheit fand sich bei und Suspension verabreicht werden. Die Therapie bei Er- 60 % bis 75 % der Patienten unter TPM-Monotherapie [45]. wachsenen wird üblicherweise mit 2 mg/d begonnen, die Relevante Nebenwirkungen sind dosisabhängige, reversib- erste Zieldosis liegt bei 4–8 mg/d (maximal 12 mg/d). In le kognitive Einschränkungen inklusive Sprachstörungen der Add-on-Therapie werden Responderraten von 30 % bis (gut und schnell messbar in 5–10 Minuten im klinischen 40 % für fokale Anfälle und 64 % für bilateral tonisch-klo- Alltag mit kurzen neuropsychologischen Tests, wie dem nische Anfälle erreicht [51]. Ein Vorteil, auch in Bezug auf EpiTrack), akrale und orale Parästhesien sowie die Entwick- mögliche Nebenwirkungen, wie Schwindel und Müdigkeit, lung von Nierensteinen. TPM zeigte in einer rezenten Aus- ist die einmal tägliche Einnahme abends, am besten un- wertung der EURAP-Datenbank bei einer kleinen Fallzahl mittelbar vor dem Zubettgehen. Ebenfalls auftreten kann ein gering erhöhtes Fehlbildungsrisiko in der Monothe- Aggression [52]. Die Einsatzmöglichkeit bei generalisier- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. rapie [22], es gibt jedoch Hinweise auf eine intrauterine ten Epilepsien sowie der neue Wirkmechanismus stellen Wachstumsverzögerung. TPM ist ein sehr wirksames An- einen Therapiefortschritt dar. Die mitunter therapielimi- tianfallsmedikament und kann bei allen Epilepsieformen tierenden Nebenwirkungen können durch Wahl des Ein- eingesetzt werden, jedoch können unerwünschte Arznei- nahmezeitpunktes und langsame Eindosierung abgemil- mittelwirkungen wie Denkverlangsamung und Wortfin- dert werden. dungsstörungen therapielimitierend sein (v. a. bei Tages- dosen über 100 mg). Die Antianfallsmedikamente Vigabatrin, Rufinamid, Felba- mat und Stiripentol sind nur für spezielle Epilepsiesyndro- Gabapentin (GBP) ist zur Therapie von fokalen Epilepsi- me oder als Reservemedikamente zugelassen, wir verwei- en zugelassen. Es wirkt auf präsynaptische Kalziumka- sen hier auf andere Übersichtsstudien [53–57]. näle und besitzt nur wenige Arzneimittelinteraktionen. Seine antikonvulsive Wirksamkeit ist eher gering (Add- Cannabidiol (CBD) ist ein antikonvulsiv wirksames Can- on-Responderrate 25 %) [46], die Wirksamkeit war in der nabinoid, welches jedoch nicht maßgeblich auf die En- SANAD-Studie geringer als die von CBZ und LTG. Aufgrund docannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 wirkt und keinen der guten Verträglichkeit kann es bei älteren Patienten psychotropen Effekt aufweist. Der genaue antikonvulsive eingesetzt werden, nachteilig ist jedoch die aufgrund der Mechanismus ist noch unbekannt. CBD zeigte in präde- kurzen Halbwertzeit erforderliche tägliche Dreimalgabe. finierter Dosierung von 10 bis 20 mg/kg Körpergewicht in 2 Studien eine moderate Wirksamkeit bei bestimmten Pregabalin (PGB) wirkt ebenso wie Gabapentin als Hem- Anfällen beim Lennox-Gastaut- [58] und Dravet-Syndrom mer von präsynaptischen Kalziumkanälen und hat wie die- [59]. Belastbare Daten in der Behandlung anderer Epilep- ses, trotz des Namens, keine direkte GABAerge Wirkung. sieformen oder bei Erwachsenen fehlen noch. CBD ist in PGB ist zur Zusatztherapie fokaler Epilepsien zugelassen, den USA bereits durch die FDA zugelassen. Eine Zulassung zudem bei neuropathischen Schmerzen und generalisier- in Europa durch die EMA wird in den nächsten 12 Mona- ter Angststörung. Es hat eine Halbwertszeit von 5–6 Stun- ten erwartet. Ein antikonvulsiver Effekt von Tetrahydrocan- den, eine relevante Metabolisierung findet nicht statt. PGB nabinol (THC) konnte nicht nachgewiesen werden [60]. wird überwiegend unverändert renal ausgeschieden, wes- wegen die Dosis bei Niereninsuffizienz ggf. anzupassen ist. Es besitzt nur wenige Arzneimittelinteraktionen. In Akuttherapie von epileptischen Add-on-Therapiestudien zeigte sich eine Responderrate Anfällen, Anfallsserien und Status von 40 % bis 50 % [47], in einer direkten Monotherapiever- epilepticus gleichsstudie war es jedoch LTG unterlegen [48]. Epileptische Anfälle sind in der Regel selbstlimitierend Perampanel (PER) wirkt als AMPA-Rezeptorantagonist. Es und dauern im Durchschnitt etwa 2 Minuten [61]. Prolon- ist das erste Antianfallsmedikament mit diesem Wirkme- gierte epileptische Anfälle ab einer Dauer von 5 Minuten chanismus auf dem deutschen Markt. PER ist zugelassen bei generalisiert tonisch-klonischen Anfällen beziehungs- für die Zusatztherapie fokaler Epilepsien und generalisier- weise ab einer Dauer von 10 Minuten bei fokalen Anfällen ter Epilepsien bei Vorliegen primär generalisierter (bilate- oder Absencen werden nach den neuesten Empfehlungen ral) tonisch-klonischer Anfälle, jeweils ab dem 12. Lebens- der ILAE (International League Against Epilepsy) als Sta- jahr. Die Halbwertszeit ist mit 105 Stunden recht lang, der tus epilepticus definiert und sollten zu diesem Zeitpunkt steady state wird nach 2–3 Wochen erreicht [49]. PER wird behandelt werden [62], da ein längerer Status mit einer vor allem über das Cytochrom P450(CYP)-System metabo- erhöhten Mortalität assoziiert ist [63, 64]. Dabei erfolgt lisiert und unterliegt damit einer Interaktion mit den An- die Ersttherapie immer mit Benzodiazepinen, wobei ver- tianfallsmedikamenten CBZ, OXC, PHT und TPM (erhöhte schiedene Darreichungsformen und Wirkstoffe zur Ver- PER-Metabolisierung). VPA, LEV und ZNS scheinen keinen fügung stehen. relevanten Einfluss auf die PER-Clearance zu haben. Bei Ko- medikation zu OXC kann die Serumkonzentration von OXC Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899 895
Schwerpunkt ▶Tab. 2 Übersicht über intravenöse Benzodiazepine (nach Daten aus [70, 71]). Midazolam Lorazepam Clonazepam Diazepam Initialdosis (mg) beim Erwachsenen1 5–10, fraktioniert in 2- 2–4 1 10 bis 3-mg-Schritten Empfohlene intravenöse Dosierung (mg/kg KG) 0,1 0,05–0,1 0,015 0,15 Maximaldosis (mg) 20 8 3 30 Halbwertszeit (Stunden) 3–4 12–16 30–40 20–1002 Interaktionen wenige wenige viele viele Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Gewebetoxizität gering gering gering gering KG: Körpergewicht; 1Um eine Unterdosierung zu vermeiden, ist die erneute Gabe von Lorazepam und Diazepam über die typische Initialdosis (ent- spricht 1–2 Ampullen) hinaus vorzunehmen (CAVE: Atemdepression). 2aufgrund der schnellen Umverteilung liegt eine kurze Wirkdauer im ZNS vor ▶Tab. 3 Übersicht über nicht intravenöse Benzodiazepine Midazolam bukkal Midazolam intranasal Midazolam intramuskulär Diazepam rektal Initialdosis beim Erwachsenen (mg) 10 5–10 10 5–10 Empfohlene Dosierung (mg/kg KG) 0,2 0,2 0,05–0,15 0,2 Maximaldosis (mg) 10 15 15 30 Nebenwirkungen, Besonderheiten Vergleichsweise teuer Nasale Irritationen, muss in Schmerzhafte Injektion Soziale Apotheke angefertigt werden Stigmatisierung In den Leitlinien der DGN zum Status epilepticus [65] wird lam, welches in einer randomisierten kontrollierten Studie als Mittel der Wahl Lorazepam i. v. in einer Dosierung von zu einer signifikant höheren Anfallsunterbrechungsrate im 0,05 bis 0,1 mg pro Kilogramm Körpergewicht (KG) bei Vergleich zur Gabe von Lorazepam i. v. geführt hat. Die Au- Gabe durch einen Arzt oder bis zu einer Gesamtdosis von toren schlussfolgerten, dass dies in der kürzeren Zeit bis 2 bis 4 mg bei Gabe durch einen Rettungsassistenten emp- zur Applikation begründet lag, da die Etablierung eines in- fohlen. Lorazepam hat im Vergleich zu anderen Benzodi- travenösen Zuganges lange dauern kann [72]. Die längs- azepinen eine relativ lange intrazerebrale Halbwertszeit te Erfahrung besteht für Diazepam-Rektiolen, welche seit (▶ Tab. 2) und hat sich in Studien als gut verträglich und den 1990er-Jahren als Standardtherapie zur Anfallsdurch- wirksam herausgestellt [66, 67]. In der Schweiz und in brechung etabliert sind. Auch hierfür wurden in mehreren Frankreich wird als Mittel der Wahl Clonazepam als lang- Studien die Sicherheit und Wirksamkeit bestätigt [73]. Pro- same Bolusinjektion in einer Dosierung von 0,015 mg/kg blematisch ist jedoch die soziale Stigmatisierung aufgrund KG empfohlen, welches ebenfalls eine relativ lange int- der rektalen Verabreichung. In Studien konnte zudem die razerebrale Halbwertszeit aufweist. In einer multizent- Gleichwertigkeit oder Überlegenheit von intranasalen und rischen prospektiven Beobachtungsstudie zur Behand- bukkalen Applikationen von Midazolam oder Lorazepam im lung des Status epilepticus in deutschsprachigen Ländern Vergleich zu rektalem Diazepam bzw. intravenösem Loraze- (SENSE-Register) zeigte sich jedoch, dass Lorazepam in der pam gezeigt werden [74–76]. In Deutschland steht bukka- Initialtherapie häufiger unterdosiert verabreicht wurde als les Midazolam als verschreibungsfähiges Handelspräparat Clonazepam und somit mit einem schlechteren Outcome mit einer Zulassung für Kinder und Jugendliche (< 3 Monate des SE vergesellschaftet war [68, 69]. Neben Lorazepam bis < 18 Jahre) zur Verfügung. Intranasales Midazolam wird und Clonazepam können auch noch andere Benzodiazepi- in Deutschland im Video-EEG-Monitoring regelhaft einge- ne intravenös eingesetzt werden (▶Tab. 2). setzt und kann in Apotheken auf Rezept angefertigt wer- den. Entsprechende Rezept- und Herstellungsdetails sind Neben der intravenösen Darreichungsform stehen noch an- in der Studie von Kay et al. veröffentlicht worden [77]. Auf- dere Applikationswege für die Verabreichung von Benzodi- grund der langen Resorptionshalbwertszeit oral verfügba- azepinen zur Verfügung, welche insbesondere außerhalb rer Benzodiazepine von etwa 20 Minuten sind diese in der des Krankenhauses in der Initialtherapie durch medizini- Akuttherapie epileptischer Anfälle nicht zu empfehlen (Lo- sche Laien Anwendung finden. Die beste Evidenz existiert razepam sublingual, Clonazepam oral, Diazepam oral), wer- dabei bislang für die Gabe von intramuskulärem Midazo- den klinisch jedoch oft verordnet [78] (▶Tab. 3). 896 Kay et al. Medikamentöse Therapie von epileptischen An… Nervenheilkunde 2019; 38: 887–899
Korrespondenzadresse FA ZIT F Ü R D I E PR A X I S Fokale Epilepsien können mit fast allen Antianfalls- Prof. Dr. med. Adam Strzelczyk, MHBA medikamenten behandelt werden. Eine Wirküber- Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main legenheit eines Medikamentes ist – mit wenigen Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie Goethe-Universität Frankfurt Ausnahmen – meist nicht belegt. Deswegen sollte Schleusenweg 2–16, Haus 95, 60528 Frankfurt am Main die Therapie mit dem Patienten hinsichtlich des Tel. 069/63017466, Fax 069/630184466 Nebenwirkungsprofils, der Begleiterkrankungen, strzelczyk@med.uni-frankfurt.de der Komedikation und sozialer Aspekte (Schwanger- schaftswunsch!) ausgewählt werden. In der Regel werden Levetiracetam oder Lamotrigin zur initialen Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Therapie verwendet. Auch bei genetischen gene- Verantwortlicher ärztlicher Herausgeber ralisierten Epilepsien (GGE) sind diese Faktoren zu bedenken. Hier kommen Levetiracetam, Lamotrigin, Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungs Valproat, Ethosuximid, Topiramat, Perampanel und bedingungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. med. Adam (off label, aber mit guten Daten aus Japan und den Strzelczyk, Frankfurt am Main. USA) Zonisamid infrage. Natriumkanalblocker wie Carbamazepin oder Medikamente wie Gabapentin oder Pregabalin können bei GGE prokonvulsiv wirken Literatur und sogar einen Status epilepticus auslösen. Neuere Antianfallsmedikamente zeigten keine Wirküber- [1] Forsgren L, Beghi E, Oun A et al. The epidemiology of legenheit, sind aber meist besser verträglich. Dem epilepsy in Europe – a systematic review. Eur J Neurol 2005; gegenüber stehen höhere Tagestherapiekosten der 12(4): 245–53 meisten neueren Medikamente [36, 79]. Sie erwei- [2] Ertl J, Hapfelmeier J, Peckmann T et al. Guideline conform initial monotherapy increases in patients with focal epilepsy: tern aber das Spektrum der individuell einsetzbaren A population-based study on German health insurance data. Antianfallsmedikamente und damit die Chance Seizure 2016; 41: 9–15 einer gut verträglichen und individuell erfolgreichen [3] Hamer HM, Dodel R, Strzelczyk A et al. Prevalence, utiliza- Pharmakotherapie. tion, and costs of antiepileptic drugs for epilepsy in Germa- Bei prolongierten epileptischen Anfällen bedarf es ny – a nationwide population-based study in children and einer schnellen und ausreichend hoch dosierten adults. Journal of neurology 2012; 259(11): 2376–84 Gabe von Benzodiazepinen, um so einen therapie [4] Fisher RS, Acevedo C, Arzimanoglou A et al. ILAE Official refraktären Verlauf abwenden zu können und zu ei- Report: A practical clinical definition of epilepsy. Epilepsia 2014; 55(4): 475–82 nem besseren Outcome beizutragen. Um Therapie- [5] Strzelczyk A, Griebel C, Lux W et al. The Burden of Severely verzögerungen zu vermeiden, sollten insbesondere Drug-Refractory Epilepsy: A Comparative Longitudinal nicht intravenöse Darreichungsformen berücksich- Evaluation of Mortality, Morbidity, Resource Use, and Cost tigt werden. Randomisierte kontrollierte Studien Using German Health Insurance Data. Frontiers in neurology zum Vergleich der unterschiedlich verabreichten 2017; 8: 712 Benzodiazepine sind weiterhin ausstehend. [6] Willems LM, Richter S, Watermann N et al. Trends in resource utilization and prescription of anticonvulsants for patients with active epilepsy in Germany from 2003 to 2013 – A ten- year overview. Epilepsy Behav 2018; 83: 28–35 [7] Kwan P, Schachter SC, Brodie MJ. Drug-resistant epilep- sy. The New England journal of medicine 2011; 365(10): Interessenkonflikt 919–26 [8] Kwan P, Arzimanoglou A, Berg AT et al. 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