Raven für den Wandel 1 - Fastly
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Story — 1 Text: Bruno Gaigl Kiews Technoszene – für viele ein Raum der Freiheit, aber längst nicht für alle. Ein neues Clubprojekt möchte das ändern. Ein Segen für Vlad Shast, der endlich einen Ort gefunden hat, an dem er sich als schwuler Mann frei ent- falten kann. Über die Bedeu- tung von sicheren Räumen in einer konservativ geprägten Gesellschaft. Frühling 2021 7
Story — 1 «Jetzt be- wundern uns immer mehr Leute dafür, dass wir das ausleben, was wir sein wollen.» 8 Frühling 2021
Story — 1 Auf der Tanz- fläche im fühlen sich Vlad Shast und Masha Volkova komplett frei. Frühling 2021 9
Story — 1 yrylivska nennen sie den neuen Ort – nach acht Jahren in der ukrainischen Hauptstadt Rechtsextreme Ansichten sind in der der Strasse, in der er sich befindet. Einen lebt und die Entwicklung der Technoszene Ukraine salonfähig offiziellen Namen hat das neue Club- seitdem miterlebt hat. «Die klare Positio- Die Akzeptanz von rechtem Gedankengut projekt in einer ehemaligen Bierbrauerei nierung als queerfreundlicher und antifa- in der Ukraine ist weit verbreitet. Das be- nicht. Sta"dessen lässt der Club ein ma- schistischer Club spiegelt sich auch in der stätigt auch Sergiy Movchan, der als Jour- thematisches Symbol für sich sprechen. strikten Türpolitik wider.» Shast ist Mi"e nalist für das Onlinemagazin Political Cri- Ein durchgestrichenes E, in der Mathema- 20, seine Freundin Masha Volkova und er tique Ukraine arbeitet und kürzlich einen tik steht es für etwas, das nicht existiert. haben sich in der Szene zuletzt als Drag- detaillierten Bericht über Rechtsextremis- Doch das Kyrylivska gibt es, seit gut einem Couple einen Namen gemacht. Im Frühjahr mus in der Ukraine mit der Rosa-Luxem- Jahr, und prägt schon jetzt die Szene und 2020 sind sie zum ersten Mal im Kyrylivska burg-Sti&ung in Kiew veröffentlicht hat. ihre Protagonist*innen. aufgetreten – bei der sexpositiven Berliner Dass die Revolution 2013/2014, bei der sich Die Strasse Kyrylivska liegt am Rande Par#reihe Pornceptual, der letzten Veran- vor allem auch viele junge Leute gegen das des Stad"eils Podil, unweit der Metro- staltung vor der coronabedingten Schlies- korrupte Regime von Viktor Yanukovych station Kontraktova Ploshcha. Während sung des Clubs. Einen Safe Space wie im positionierten, auch Werk rechtsextremer im etwas südlicher und höher gelegenen Kyrylivksa habe es bisher nicht gegeben, Gruppen war, sei offiziell bekannt. Viele Stadtzentrum rund um den Unabhängig- erklärt Shast. «Aus kommerziellen Grün- dieser Gruppen unterstützten nun im Don- keitsplatz Majdan und den Chreschtscha- den haben Par#s und Clubs hier immer bas die ukrainische Armee im Kampf ge- #k die Hektik der Grossstadt zu spüren alle reingelassen, eine wirkliche Selektion gen prorussische Separatist*innen. Dabei ist, geht es im Viertel am Dnepr etwas an- gab es nie. Es waren und sind keine Orte unterstehen diese rechtsextremen Grup- ders zu. Sta" sozialistischen Prunkbauten der freien Entfaltung, sondern Orte, wo pen offiziell dem Innenministerium und dominieren hier bröckelnde Altbaufassa- homophobe Rechtsradikale von dir Fotos werden von der Regierung finanziert. Vor den das Strassenbild. Eine alte Strassen- machen und dich beschimpfen können.» diesem Hintergrund rechtfertigt Russland bahn schiebt sich langsam über rostige Rechtfertigen würden Clubbesitzer*innen seine Rolle im Konflikt im Osten der Ukra- Schienen, die die beiden Hauptstrassen und Par#veranstalter*innen die Präsenz ine mit antifaschistischer Propaganda. Das Verkhniy Val und Nyzhniy Val voneinan- rechter Gruppen mit dem vermeintlich de- mache eine offene Auseinandersetzung der trennen. Während die museumsreife mokratischen Ansatz des «free space» und mit dem 'ema Faschismus so schwierig, Bahn wie ein Relikt aus vergangenen Zei- der Vision, die verschiedenen Lager mitei- meint Movchan. «Wer hier jemanden als ten wirkt, lassen umliegende Bars kaum nander in den Dialog zu bringen. Faschist*in bezeichnet, wird schnell als mehr die sowjetische Vergangenheit er- Mit der Beru%ng auf die Inklusion aller prorussisch diffamiert und als Feind*in ahnen. Mit minimalistisch-modernem Gruppen rede man sich nur seine finan- der Ukraine wahrgenommen.» Auf der Su- Design erinnern sie eher an Szenebezirke ziellen Interessen schön, die in der Ukrai- che nach Identität spiele vor allem die Ab- westlicher Metropolen. Corona wird auch ne stets über allem stünden, meint Sashko grenzung von Russland in der Ukraine eine hier ernst genommen – Maskentragen Kucherenko, der nicht mit seinem echten wichtige Rolle. Durch den gemeinsamen und Handdesinfektion gehören längst zur Namen genannt werden möchte. Kuche- russischen Feind teilten verschiedene La- Routine. Wegen der Pandemie stand auch renko ist Teil eines Kollektivs, das sich seit ger Antworten auf bestimmte Fragen. Wer in Kiew das Nachtleben lange Zeit still, vielen Jahren gegen Faschismus in der Uk- aus einer vielleicht westeuropäischen Per- unter bestimmten Hygieneauflagen durf- raine einsetzt. Durch seine Erfahrungen in spektive versuche, das Konzept von Rech- ten die Clubs nun aber wieder öffnen. Und der Antifaszene kennt er sich gut mit den textremismus in der Ukraine zu verstehen, so hat man auch im die Arbeit wieder rechten Gruppen in seinem Heimatland aus. werde laut Movchan der Komplexität und aufgenommen, Par#s und Konzerte fin- «Neonazi zu sein, ist hier so etwas wie eine Vielschichtigkeit dieses Konstrukts nicht den wieder sta". andere Meinung haben, die man vielleicht gerecht. «Es gibt keine klare Trennung, nicht besonders toll finden muss, aber die Kontakt mit Rechten ist in der gemeinen Inklusion nur im Interesse des Profits schon irgendwo okay ist», erklärt er. «Rech- Gesellscha& nicht verpönt.» «Kyrylivska ist der erste Ort wirklicher te werden nicht per se ausgeschlossen, nur Dass rechte Gruppen, die öffentlich ge- Freiheit in Kiew», sagt Vlad Shast, der seit weil sie rechts sind». gen Minderheiten hetzten, in der Ukraine 10 Frühling 2021
Story — 1 Foto: Kosta Schneider Eine Drohne ermöglichte es LGBTIQ-Aktivist*innen, die sowjetische Mutter-Heimat-Statue mit einer Regenbogenfahne zu versehen. Frühling 2021 11
Story — 1 Foto: Kristina Borhes Will in Kiew bleiben und für den Wandel kämpfen: Sofiia Lapina. Foto: Privat Der Journalist Sergiy Movchan untersuchte die Formen des Rechtsextremismus in der Ukraine. 12 Frühling 2021
Story — 1 «Hier zu blei- einem Ort zu sein, wo man sich für die eige- ne Queerness vor niemandem rechtfertigen habe schon jetzt einen wichtigen Einfluss auf die Szene, und der werde immer mehr ben und zu muss. Lapina steht für rebellische Aktio- wachsen, ist sich Shast sicher. nen, mit denen sie das Bewusstsein für die Auch wenn die Aussichten auf eine LGBTIQ-Communi# in der Ukraine schär- progressive Entwicklung zugunsten aus- versuchen, fen will. Im Juni 2020 sorgte sie mit ande- ren Aktivist*innen für eine Überraschung, gegrenzter Gruppen nicht schlecht stehen – Vlad Shast und Masha Volkova wollen weg die Menschen die es bis ins russische Fernsehen schaffte: Die Gruppe um Lapina flog mit einer Droh- aus Kiew. «Hier zu bleiben und zu versu- chen, die Menschen zu ändern, ist maso- zu ändern, ne eine Regenbogenfahne vor das Schwert chistisch.» Am liebsten wollten sie nach der riesigen Mu"er-Heimat-Statue – Denk- Berlin, wo das, wofür man hier kämpfe, mal des Sieges der sowjetischen Streitkräf- längst normal geworden sei. Sofiia Lapina ist masochis- te im Grossen Vaterländischen Krieg und eine der grössten Sehenswürdigkeiten der dagegen kann sich keinen anderen Ort als Kiew zum Leben vorstellen. Orte, an denen tisch.» Stadt – sodass es aus frontaler Perspektive so aussah, als halte die Kolossalstatue die queere Fla(e in die Höhe. Nun möchte die alles in Ordnung ist, findet sie langweilig. Sie will hier in der Ukraine dafür kämpfen, dass sich die Dinge verändern. Ihr Traum Aktivistin verstärkt mit der Raveszene und ist, aus ganz Podil einen Safe Space zu ma- speziell dem Kyrylivska zusammenarbei- chen, sodass irgendwann niemand mehr ten. Entgegen der Einschätzung vieler ist in einen Club gehen muss, um sich frei zu die Communi#, die sich für die Verteidi- fühlen. gung der LGBTIQ-Menschenrechte in Kiew einsetzt, keineswegs eng verbunden mit der Clubszene. «Viele aus unseren Reihen sind über 40 und eher konservativ, wenn es um Technopar#s und moderne Ideen für Aktivismus geht», sagt Lapina. In der wachsenden Raveszene sieht sie aber einen guten Partner für ihre Aktionen. «Je mehr gesellscha&lichen Rückhalt wir geniessen, sogar Eingang in eine Welt fänden, die ei- desto besser können wir auf der politischen gentlich einen Ort der freien Entfaltung und Ebene wirklich etwas einfordern.» des Respekts füreinander propagiere, macht Vlad Shast wütend. «Auf vielen Par#s wer- Konsequentes Fotoverbot Ein unscheinbares Gebäude in Kiew den wir immer noch beleidigt. Auch Fotos Kyrylivksa komme zur richtigen Zeit, fin- für einen sicheren Hafen: Das Zuhause machen sie von uns». Solche Fotos tauchen det Shast. Es habe seine Zeit gebraucht, des Clubs . dann immer wieder mit Aufrufen zu Ge- um die Leute an die Ravekultur zu ge- walt in sozialen Netzwerken auf. Kürzlich wöhnen und die Communi# zu vergrös- posteten Rechtsextreme Fotos von Shast sern. Verschiedene Clubs und Par#reihen, samt seiner Wohnadresse in einer Tele- die schon vor dem Kyrylivska existierten, gram-Gruppe mit mehreren hundert Teil- seien essenziell für die Entwicklung der nehmer*innen und forderten dazu auf, Szene gewesen und auch heute noch fes- Shast zusammenzuschlagen. Shast ging da- ter Bestandteil. Es handle sich bei diesen mit zur Polizei, unternommen wurde aber Orten aber um keine Safe Spaces. Das Be- nichts – Hassverbrechen werden in der Uk- wusstsein für die Notwendigkeit sicherer raine kaum strafrechtlich verfolgt. Orte der freien Entfaltung sei erst mit dem Kyrylivska aufgekommen, sagt er. Und am Keine Rechtfertigungen, keine Angst Zulauf aus der Szene zeige sich, dass die Sofiia Lapina kennt dieses Problem gut. Leute reif seien für den nächsten Schri". Die 30-jährige LGBTIQ-Aktivistin arbeitet Andere Veranstalter*innen, die bisher da- für Kiyv Pride. Nach der jährlichen Parade, vor zurückgeschreckt seien, sich öffentlich die über die Zeit des Umzugs von einem queerfreundlich zu positionieren, fühlten extremen Polizeiaufgebot geschützt wird, sich seit der Eröffnung des Kyrylivska und machten Rechtsradikale regelmässig Jagd dessen klarer Meinung dazu bestärkt, mit- auf die Teilnehmenden. Untersuchungen zumachen. Auch das konsequente Fotover- zu solchen Vorkommnissen gibt es kaum. bot findet mi"lerweile Nachahmer. «Vor Lapina hat sich eigentlich nie wirklich der Eröffnung des Kyryliska waren Mas- für Ravekultur und Technoclubs interes- ha und ich nur Clowns. Jetzt bewundern siert. Den neuen Club in der Kyrylivska uns immer mehr Leute dafür, dass wir das besucht sie trotzdem gerne, einfach um an ausleben, was wir sein wollen.» Der Club Frühling 2021 13
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