Re/Aktionen Ebene -2 - museum moderner kunst stiftung ludwig wien - Mumok
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Re/Aktionen Performative Ausdrucksformen zeichnen sich wesentlich durch ihren flüchtigen Charakter aus. Konträr, aber auch komplementär dazu gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, die in ihrer Zeitlichkeit verhafteten Aktionen zu dokumentieren oder auch zu archivieren – und damit langfristig darstellbar und sichtbar zu machen. Notizen, Studien, aber auch Relikte oder Requisiten sind nicht nur Dokumentationsmaterial, sondern können auch einen eigenständigen Part übernehmen. Bei Fotografie und Film spielt der Einsatz der Kamera ebenso eine Rolle wie die Inszenierung vor der Kamera. Das Wissen um technisch, gesellschaftlich oder auch ideologisch geprägte Blickregime setzt performative Strategien in Gang, die konventionelle Geschlechterrollen bedienen und bestätigen, aber auch herausfordern oder konterkarieren; abhängig vom Kontext kann etwa Kleidung als Bestandteil einer Inszenierung affirmativ, subversiv oder auch absichtlich verunklärend sein. Der Ort des Geschehens – Institution oder improvisierte Bühne, Innen- oder Außenraum oder auch das bewusste Ausblenden eines Settings – im Verhältnis zum menschlichen Körper stellt einen weiteren wichtigen Aspekt inszenatorischer Überlegungen dar. Der Wiener Aktionismus der 1960er-Jahre gilt als eine der radikalsten Kunstformen seiner Zeit und war tatsächlich „so widerspruchsvoll, vieldeutig und konfliktreich […], wie es die Dokumente nahelegen“ (Peter Gorsen). Heinz Cibulka war in viele Aktionen involviert und begleitete das Orgien-Mysterien-Theater von Hermann Nitsch zudem über viele Jahre als Fotograf (1). In dieser Funktion kommt auch Ludwig Hoffenreich immense Bedeutung zu: Viele seiner Aufnahmen von Aktionen prägen bis heute unser Bild vom Wiener Aktionismus. Bei den Filmemachern Kurt Kren und Ernst Schmidt jr. verschärfte sich das Spannungsverhältnis von Aktion und Dokumentation, die sie nach eigenen künstlerischen Kriterien gestalteten (2). Die wissenschaftlichen Nachlässe von Kren und Schmidt jr. ermöglichen in der Gegenüberstellung mit jüngeren künstlerischen Positionen neue Zugänge. Diese Konstellationen veranschaulichen, wie zeitgenössische Künstler*innen auf Themen reagieren, die bereits im Werk von Kren und Schmidt jr. angelegt sind: die Materialität von Film, das Hinterfragen der medialen Darstellbarkeit oder auch die Faszination von Notationen, Partituren und enzyklopädische Ordnungen. Auf einen der wohl bekanntesten Filme von Kurt Kren, 2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test, 1969, bezieht sich Anna Artaker, die in ihrer Arbeit 48 KÖPFE AUS DEM MERKUROV MUSEUM (nach Kurt Kren), 2008–2011, (3) Totenmasken sowjetischer Persönlichkeiten aus dem armenischen Museum zeigt. Durch die schnelle Abfolge der Bilder und die Fragmentierung sind die Gesichter schwer erkennbar, wodurch Artaker (wie bereits Kren) das Prinzip von Leopold Szondis Persönlichkeitstest konterkariert und damit die Lesbarkeit fotografischer Porträts generell infrage stellt. Carola Dertnig hat sich eingehend mit dem Erbe des Wiener Aktionismus beschäftigt und dabei insbesondere die Rolle der Protagonistinnen thematisiert. Für ..a fine line.., 2015, (4) verwendet sie analoges Filmmaterial von Ernst Schmidt
Jr., das sie als Transferprint auf die Leinwand überträgt und damit in ein anderes Medium übersetzt. Mit Blick auf das internationale Kunstgeschehen lassen sich auch Joseph Beuys, Yves Klein oder Bruce Nauman auf unterschiedliche Weise mit dem Überschreiten der Grenzen zwischen klassischen Disziplinen wie Malerei oder Bildhauerei in Verbindung bringen, wobei der Auseinandersetzung mit dem Körper eine wesentliche Rolle zukam. Ende der 1950er-Jahre etablierte Allan Kaprow den Begriff des Happenings. 1966 fand in London das von Gustav Metzger organisierte Destruction in Art Symposium (DIAS) statt, an dem auch Günter Brus, Kurt Kren, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Peter Weibel teilnahmen. Die internationale Performanceszene war aber keineswegs rein männlich. Zunehmend beschäftigten sich auch Künstlerinnen mit performativen Ausdrucksformen. VALIE EXPORT etwa schuf mit Genitalpanik/Hose, 1968–1969, einen provokanten Kommentar zu Stereotypen von Männlichkeit und weiblicher Nacktheit. Sie war damals eine der wenigen Frauen in Österreich, die neben ihren männlichen Kollegen größere Aufmerksamkeit erfuhr. Auch Marina Abramović, Gina Pane, Carolee Schneemann oder Hannah Wilke setzten den eigenen Körper mitunter schonungslos der Kamera aus und konterkarierten damit konventionelle Zuschreibungen von Weiblichkeit. Joan Jonas relativierte dieses Manöver in Songdelay, 1973, (5) indem sie den Fokus stärker auf die technischen beziehungsweise filmischen Mittel richtet und dabei Bild und Ton nicht wie gewohnt synchron laufen lässt. Die Auseinandersetzung mit dem – eigenen oder auch fremden – Körper und dessen Inszenierung eröffnet Fragen zu Geschlechterdifferenz, Gender und kulturellen Zuschreibungen. Auf Zoe Leonards Fotografien Anatomical Model of a Woman’s Head Crying und Gynaecological Instruments, beide 1993, (6) sind anatomische Schauobjekte und gynäkologische Instrumente zu sehen. Anhand der Medizingeschichte wird hier der kulturell und gesellschaftlich normierte Blick auf den weiblichen Körper sichtbar. Auf die ornamentalen Details von Textilien wie Vorhänge, Kissen oder Decken fokussiert Zineb Sedira in La maison de ma mère (Algeria), 2002: Der Blick auf das heimelig anmutende Dekor im Haus ihrer Mutter thematisiert die wechselhafte Funktion dieser Stoffe, sie sind Zierde und Verhüllung zugleich. Maskerade als spielerische oder auch provokante Strategie lässt sich anhand der Kleidungsstücke von Kathy Acker nachvollziehen, die Kaucyila Brooke nach dem Tod der feministischen Schriftstellerin fotografisch festhielt. Die Serie Kathy Acker’s Clothes, 1999–2004, (7) veranschaulicht einerseits das Potenzial von Kleidung beziehungsweise Mode(n) für die Formulierung vielfältiger Identitätsentwürfe, andererseits werden die Kleidungsstücke hier aufgrund der Abwesenheit der Protagonistin zu Requisiten einer nur zu erahnenden Selbstinszenierung. Durch Fragmentierung verweigert Maria Hahnenkamp eine sexualisierte Wahrnehmung: Bei zwei Frauen, 2001, werden zwei menschliche Figuren nicht individuell porträtiert, sondern nur in ihrer physischen Präsenz angedeutet, indem wir ausschnitthaft den bekleideten Rumpf zu sehen bekommen, markant ist dabei die Farbe Rot. Diese Signalfarbe ist auch eine wesentliche Komponente von Jutta Koethers Universal Wealth, 1987, (8) und Julia Hallers Untitled, 2018, (9) Der expressive Pinselgestus bei Haller kann als geradezu
ironische Anspielung auf diese – traditionell männlich konnotierte – Ausdrucksform in der Malerei verstanden werden. Koether arrangiert in einer Plexiglasvitrine 86 Bildtafeln, die beidseitig betrachtet werden können: Nach außen sind sie in kräftigen Rottönen gehalten, auf der Innenseite sind es zartere Pink- und Orangeschattierungen. Hier findet eine Verdichtung von Bildern, Motiven und Texten, aber auch von unterschiedlichen Betrachtungsmöglichkeiten statt, die nicht nur zu einer differenzierten Lesart einlädt, sondern diese geradezu einfordert – so wie das Nebeneinander von Werken, ihre gegenseitigen Bezugnahmen und Reaktionen verschiedener Positionen neue Perspektiven eröffnen.
Impressum Ausstellung Begleitheft mumok Enjoy Re/Aktionen Museum moderner Kunst Die mumok Sammlung im Wandel Stiftung Ludwig Wien Herausgegeben von Jörg Wolfert Re/Aktionen für die Kunstvermittlung mumok MuseumsQuartier Kuratorin: Naoko Kaltschmidt Text: Naoko Kaltschmidt, Jörg Wolfert Museumsplatz 1 Redaktion: Jörg Wolfert A-1070 Wien 19. Juni 2021 bis 18. April 2022 Lektorat: Eva Luise Kühn www.mumok.at Grafische Gestaltung: Olaf Osten Gefördert durch die Peter und Irene Generaldirektorin: Karola Kraus Ludwig Stiftung Umschlag: Julia Haller, Untitled, 2018 Wirtschaftliche Geschäftsführerin: © Julia Haller Cornelia Lamprechter Kurator*innen: Manuela Ammer, Heike Eipeldauer, Rainer Fuchs, Naoko © mumok 2021 Kaltschmidt, Matthias Michalka Ausstellungsorganisation: Claudia Dohr, Lisa Schwarz, Dagmar Steyrer Sammlung: Franklin Castanien, Claudia Freiberger, Sophie Haaser, Nina Harm, Nora Linser, Simone Moser, Holger Reetz Restauratorische Betreuung: Christina Hierl, Kathrine Ruppen, Karin Steiner Ausstellungsaufbau: Tina Fabijanic, Wolfgang Moser, Valerian Moucka, Gregor Neuwirth, Andreas Petz, Helmut Raidl, Lovis Zimmer, museum standards Audiovisuelle Technik: Wolfgang Konrad, Michael Krupica, museum standards Presse: Marie-Claire Gagnon, Katja Kulidzhanova, Katharina Murschetz Marketing: Maria Fillafer, Anna Weiss Sponsoring, Fundraising und Veranstaltungen: Katharina Grünbichler, Karin Kirste, Cornelia Stellwag-Carion Kunstvermittlung: Mercede Ameri, Stefanie Fischer, Astrid Frieser, Stefanie Gersch, Helene Heiß, Benedikt Hochwartner, Maria Huber, Ivan Jurica, Ümit Mares-Altinok, Mikki Muhr, Stefan Müller, Patrick Puls, Christine Schelle, Jörg Wolfert
Die mumok Sammlung im Wandel 19. Juni 2021 bis 18. April 2022 Ebene 4 Revue Moderne 3 Gegenwart der Geschichte 2 Figur und Skulptur 0 (Anti-)Pop –2 Abstraktion. Natur. Körper –2 Re/Aktionen –4 Die Grenzen unserer Welt
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