Rechner in die Berge Piccole Dolomiti - Deutscher Alpenverein
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Rechner Piccole Dolomiti Vom in die Berge Saisonauftakt Anfang Juni auf dem Rifugio Fraccaroli (2238 m), das direkt an der Cima Carega (2259 m) liegt. 84 DAV 1/2021
Trentino Eine schöne Mehrtagestour in den „Kleinen Dolomiten“ online zusammenstellen? Mit Hilfe digitaler Tools kommt schon bei der Planung Freude auf, die vor Ort in der eher unbekannten Bergregion noch viel größer wird. Text und Fotos: Michael Pröttel E ine schöne Dreitagestour steht uns im Sinn. Keine schwere Auf- gabe, sollte man meinen. Schließ- lich tüfteln Wolfgang und ich nicht erst seit gestern mehrtägige, mög- lichst unbekannte Rundwanderungen aus. Allerdings ist die Auswahl nach dem Schnee-Winter 2018/19 zumindest am Al- penhauptkamm und nördlich davon noch sehr stark eingeschränkt. Obwohl es be- reits Anfang Juni ist, werden im Internet nach wie vor lohnende Skitouren-Einträge gepostet. Was bleibt, ist einmal mehr der Blick über den Tellerrand. Also über den Alpenhauptkamm. Doch auch dort zeigen einschlägige Webcams meist mehr weiß als grün. Erst weit im Süden scheint sich der Winter dem Frühsommer geschlagen zu geben. Und zwar südöstlich von Rovere- to, wo ein kleines Gebirge namens Piccole Dolomiti in den Trentiner Himmel ragt. Dort sendet eine kleine Kamera am Rifugio Achille Papa vielversprechende Bilder ins DAV 1/2021 85
Frühsommerlich gestaltet sich der Aufstieg zum ersten Etappenziel, der Cima Palòn (Monte Pasubio, 2232 m), die wiederum noch unter einer Schneede- cke liegt. Der Gipfel ist der höchste Punkt der Pasubiogruppe. Dort zeugen unzählige Krater, Ruinen, Tunnels und weitere Relikte vom Wahnsinn des Etappe – der Aufstieg über die 2232 Meter Gebirgskriegs zwischen Österreich-Ungarn und Italien. hohe Cima Palòn zum Rifugio Achille Papa am Pasubio – wird mit Sicherheit den meisten Schweiß erfordern. Summa sum- Internet. Auf immerhin 1928 Metern liegt Gleichzeitig verschließe ich mich keines- marum dürfen wir uns auf 3600 Höhenme- zumindest im Blickwinkel der Linse so gut wegs den Annehmlichkeiten einer digi ter und 45 Kilometer freuen. wie kein Schnee. talen Tourenplanung, zum Beispiel auf Alles sieht perfekt aus. Wären da nicht Den Piccole Dolomiti, also den kleinen alpenvereinaktiv.com. Seit Jahren ist das die verzeichneten Wegsperrungen; sie be- Geschwistern der berühmten Kalkbastio- gemeinsame Tourenportal von DAV, ÖAV treffen auf unserer Route unter anderem nen, wollte ich schon lange einmal einen und AVS für mich die erste Wahl, wenn es den Bergwald oberhalb von Ràossi. Im Besuch abstatten. Was verbirgt sich wohl darum geht, Höhenmeter, Gehzeiten, Kilo- Herbst 2018 jagten nämlich verheerende hinter dem bescheidenen Namen? Weder meterlängen und sogar die Wegbeschaf- Stürme über die Südtiroler und Trenti- Literatur- noch Internetrecherche ergeben fenheiten anvisierter Berg ner Berge. Windböen bis zu ausreichende Informationen für die Pla- nung einer drei- oder viertägigen Rund- touren zu ermitteln. Auch südöstlich von Ro- Stück für Stück 180 km/h hatten Bäume, Strom- und Telefonmasten ein spannendes Puzzle tour. Und genau das spornt mich erst recht vereto kann ich mittels wie Streichhölzer umge- an. Als studierter Geograf und leiden- Routing-F unktio n selbst knickt. Insgesamt wurden schaftlicher Bergsteiger weiß ich einerseits kleine Bergwege Stück für in Südtirol, im Trentino genau, wie viele Informationen man aus Stück zu einem spannen- und in Friaul-Julisch Vene- einer guten topografischen Karte im Maß- den Puzzle zusammenfügen. Das fertige tien etwa 100.000 Hektar Wald zerlegt. In stab von 1:25.000 herauslesen kann. Und es Höhenprofil empfiehlt das kleine Bergdorf einem solchen Fall (und natürlich auch ist meiner Meinung nach auch in Zeiten Ràossi als idealen Ausgangs- und Endpunkt dann, wenn man mit Führerliteratur sei- von Smartphones und Apps wichtig, eine für unsere dreitägige Rundtour. Nach gera- nen Bergurlaub plant) macht ein Anruf solche immer unterwegs dabeizuhaben. de einmal einer halben Stunde Online-Pla- bei jemandem Sinn, der sich vor Ort aus- nung wissen wir auch schon: Die erste 86 DAV 1/2021
Trentino kennt. Die nette Wirtin des Rifugio Cam- wir vom enormen Windbruch eines Bes- pogrosso versichert, dass sowohl die Über- seren belehrt. Wie Ameisen zwischen Mi- gänge zum Pian delle Fugazze als auch kado-Stäbchen steigen wir über, unter zum Rifugio Scalorbi von den Unwettern und um nicht selten verkeilte Stämme. nicht beschädigt wurden. Für den Anstieg Und das fast eine Stunde lang. zum Rifugio Achille Papa will sie freilich Dann weicht der windanfällige Nadel- nicht die Hand ins Feuer legen. Leider wald niedrigeren Buchen, deren zartgrüne hebt dort niemand den Hörer ab – diese Äste die Stürme schadlos überstanden ha- Hütte ist noch „chiuso“. ben. Endlich kommen wir zügig voran. Entsprechend gespannt schultern wir Trotzdem wird es 19 Uhr, bis wir die noch drei Tage später unsere Rucksäcke. Im schneebedeckte Cima Palòn erreichen. kleinen Weiler Ràossi, wo sich am Abend Was für eine Abendstimmung! Im Gegen- Fuchs und Hase wohl gute Nacht sagen satz zu Wolfgang, der direkt zur Biwak- werden, kann man den Sommer schon schachtel am Rifugio Papa weitergewan- riechen. Schwarzer Asphalt flimmert in dert ist, lassen Jana und ich den kurzen der Sonne. Gelbe Ranunkelsträucher blü- Abstecher zum Gipfel nicht aus. Und als hen in voller Pracht. Direkt daneben weist zwei Stunden später die Spaghetti über ein nagelneues Schild zur Cima Palòn. Los dem Gaskocher dampfen, wissen wir: Al- geht’s. Etappe eins steht nichts im Wege! lein für diesen ersten Tag vollkommener Doch keine zehn Minuten später werden Bergeinsamkeit hat sich die etwas weitere Anreise schon gelohnt. E Your Life, your Spirit.
WENIG BEKANNTE WEGE IN DEN PICCOLE DOLOMITI Mittelschwere Mehrtagestour ohne nennenswerte Schwierig- keiten, normale Wanderausrüstung genügt. Im Sommer auf guten Sonnenschutz und ausreichende Getränkeversorgung achten. Beste Jahreszeit: Juni bis Oktober Anreise: Mit dem Zug nach Rovereto und mit dem Bus B312 nach Ràossi Unterkünfte: › Rifugio Achille Papa (CAI, 1928 m), Anfang Juni bis Mitte Oktober, caischio.it/rifugio-papa › Rifugio Campogrosso (CAI, 1448 m), ganzjährig geöffnet, rifugiocampogrosso.com › Rifugio Scalorbi (privat, 1767 m), 20. Juni bis 20. September durchgängig, Mai bis Oktober nur am Wochenende geöffnet, rifugioscalorbi.it › Rifugio Fraccaroli (CAI, 2238 m), 20. Juni bis 20. September, cesarebattisti.org/chi-siamo/rifugio-mario-fraccaroli/ Karte: Tabacco-Karte 056 „Piccole Dolomiti, Pasubio“ 1:25.000 Tag 1: Ràossi – Rifugio Achille Papa, 5 ½ Std., o 1600 Hm, a 400 Hm, 13 km Ràossi – Passo di Lomo – Cogolo alto (– Cima Palòn) – Rifugio Achille Papa Tag 2: Rifugio Achille Papa – Rifugio Scalorbi, 7 ½ Std., o 1300 Hm, a 1450 Hm, 15 km Rifugio Achille Papa – Pian delle Fugazze – Seletta – Malga Pradimezzo (– optional Monte Baffelan, Kletterstellen II) – Passo/Rifugio Campogrosso – Forcella del Fumante – Rifugio Scalorbi Tag 3: Rifugo Scalorbi – Ràossi 6 ½ Std., o 700 Hm, a 1700 Hm, 17 km Rifugio Scalorbi – Bochetta Mosca – Cima Carega – Bochetta della Neve – Biv. Cap Sinel – (optional Monte Jocole, 1857 m) Passo Jocole – Zendri – Riva – Ràossi Hinweis: Man kann die Etappen verkürzen, indem man einen weiteren Wandertag mit einplant. In diesem Fall ist es am besten, die zweite Nacht im Rifugio Campogrosso und die dritte Nacht im Rifugio Fraccaroli zu verbringen. 88 DAV 1/2021
Trentino „Dolomiten-Blick“ beim Aufstieg zur Forcella del Fumante. An der Malga Pradimezzo geht es zunächst noch recht lieblich zu, bevor der optionale Gipfelanstieg auf den Monte Baffelan sicheres Bewegen im IIer-Kletter den nach dem langen Winter geöffnet. In gelände erfordert. der großen Gaststube laufen Holz- und Gas öfen auf Hochtouren, um die Winterkälte aus den dicken Steinmauern zu vertreiben. Was allerdings nur ganz langsam gelingt. Als wir am nächsten Morgen im friedli- Beim morgendlichen Abstieg über die chen Kessel der Alpe Campobrun zur letz- legendäre „Strada delle 52 gallerie“ können ten Etappe aufbrechen, können wir uns wir nur erahnen, wie viel Blut, Schweiß kaum vorstellen, wie gewalttätig es auch und Tränen verlorengingen an die dunk- hier einst zuging. Während des Ersten len Tunnels dieser Militärstraße aus dem Weltkriegs wurde die Alm zu einem Boll- Ersten Weltkrieg, die zur Versorgung der werk gegen die anrückenden österrei- italienischen Truppen am Pasubio zwi- chisch-ungarischen Truppen ausgebaut schen Februar und November 1917 gebaut und zum Ende von Weltkrieg II lieferten wurde. Sonniger Bergmischwald, idyllische sich hier Partisanen heftige Schießereien Almwiesen und beim Start sogar ein lecke- mit deutschen Soldaten. Spätestens an rer Cappuccino: Größer als beim folgenden der Bochetta Mosca stellt eine überwälti- Gegenanstieg vom Pian delle Fugazze gende Landschaft die Geschichte dann in kann der Kontrast zweier Wegabschnit- den Hintergrund. Nach einem schwindel te kaum sein. Auf unserem Weg in Rich- erregenden Tiefblick ins Val Sinelo stap- tung Süden nehmen wir noch den klei- fen wir noch mal im Schnee zur Cima Ca- nen, aber durchaus nicht „geschenkten“ rega. Diesmal ist eine Spur vorhanden. Monte Baffelan mit. Gute Griffe im festen, Fleißige Helfer des CAI Verona holen an manchmal steilen Kalk, bei der leichten diesem Wochenende das unweit des Gip- Kraxelei kommt durchaus Dolomiten- fels gelegene Rifugio Fraccaroli aus dem Feeling auf. Wie kurze Zeit später auch am Winterschlaf. Doch für eine längere Siesta Rifugio Campogrosso, das an einer bei Mo- haben wir keine Zeit. „Da habt ihr einen torradfahrern belieb- genauso schönen wie ten Bergstraße liegt. langen Weg vor euch“, Also nichts wie weiter Kriegstunnel und lacht Antonio aus Affi, und hinein in die be- eindruckende Nord- flanke der Carega- Cappuccino als wir ihm unser Ziel nennen. Fünf Stunden später sind wir etwas Gruppe, die am gleich- geschafft, aber über- namigen Gipfel das höchste Gipfelkreuz glücklich einig: „Der gute Mann weiß, wo- der Piccole Dolomiti besitzt. von er redet.“ Der Schweiß fließt. Die Sonne brennt. Nachtrag: Aufgrund der Wegsperrungen Und doch wird es von unten kalt. Auf dem hatte uns die Planungssoftware nicht den riesigen Altschneefeld unter der Cima Cen- direkten Abstieg von der Cima Carega, trale ist keine Spur vorhanden. Bei Nebel sondern den tollen Umweg über den Mon- könnten wir jetzt die heruntergeladene te Jocole empfohlen. Wer weiß, ob ich da GPS-Datei gut gebrauchen. Dank der guten von selbst draufgekommen wäre! Sicht treffen wir mit einem kleinen analo- gen Verhauer die Forcella del Fumante und sind somit heuer die Ersten, die Der Alpinjournalist Michael den Übergang zum Rifugio Scalorbi ge- Pröttel ist im Sommer wie im Winter gern in weniger bekannten wagt haben, wie die Hüttenwirtin Silvia Ecken unterwegs – am liebsten als sagt. Erst gestern hat sie die Fensterlä- Selbstversorger. DAV 1/2021 89
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