Rechtliche Bestimmungen bei Mehrfachbeschäftigung
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ARBEITSRECHT § Arbeitsrecht und Patchwork Rechtliche Bestimmungen bei Mehrfachbeschäftigung 100%-Pensum, feste Arbeitszeiten, fixer Arbeitsort — was vor einigen Jahren noch dem gän- gigen Jobprofil entsprach, weicht heute zusehends flexibleren Arbeitsmodellen. Immer mehr Erwerbstätige arbeiten zum Beispiel parallel in mehreren Betrieben, gründen nebenbei ein Start-up oder sind als Freelancer tätig. Welche arbeitsrechtlichen Fragen stellen sich bei solchen Mehrfachbeschäftigungen und was müssen Arbeitnehmende und Arbeitgebende beachten? Von Isabelle Oehri und Jeannette Küher-Kiser Patchworking liegt im Trend 7,9% der Schweizer Erwerbsbevölke- Zulässigkeit der rung mehr als einen Job (10,5% bei den Mehrfachbeschäftigung Von Mehrfachbeschäftigung spricht Frauen und 5,7% bei den Männern). Da- und Zustimmungserfordernis man, wenn jemand gleichzeitig mehr mit ist die Mehrfachbeschäftigung hier- als einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Der zulande auch deutlich stärker verbreitet Grundsätzlich ist Mehrfachbeschäftigung Mehrfachbeschäftigte, auch Patchwor- als etwa in der EU, wo der Anteil bei nur aus arbeitsrechtlicher Sicht zulässig. Dies ker genannt, ist bei mehreren Arbeitge- rund 4,0% liegt. Lediglich in den nord- gilt nicht nur bei parallelen Teilzeitstellen, berinnen angestellt oder kombiniert seine europäischen Ländern ist Patchworking sondern im Prinzip auch für die Kombina- Anstellung(en) mit einer selbstständigen ähnlich häufig anzutreffen wie in der tion eines Vollzeitpensums mit Nebenbe- Tätigkeit. Zeitlich können mehrere Teil- Schweiz.1 schäftigungen. zeitpensen oder auch ein Vollzeitpensum mit einer Nebenbeschäftigung verbun- Die Motive für die Ausübung paralleler Eine Grenze setzt allerdings die sogenann- den werden. Tätigkeiten sind vielfältig. Während ein te Treuepflicht: Gemäss Art. 321a Abs. 1 Teil der Patchworker freiwillig ein flexibles des Schweizer Obligationenrechts (OR) Gemäss der Arbeitskräfteerhebung des Jobportfolio zusammenstellt, das den in- hat der Arbeitnehmer die berechtigten Bundesamts für Statistik hat sich der An- dividuellen Wünschen optimal entspricht, Interessen seiner Arbeitgeberin zu wah- teil der Mehrfacherwerbstätigen in den sieht sich der andere Teil aus finanziellen ren. Der Mehrfachbeschäftigte muss ent- letzten dreissig Jahren fast verdoppelt. Im oder familiären Gründen gezwungen, in sprechend den allenfalls gegensätzlichen Jahr 2018 hatten 354 000 Personen oder mehr als einem Job zu arbeiten. Interessen aller Arbeitgeberinnen gerecht werden. Aus der Treuepflicht fliesst insbe- sondere das in Art. 321a Abs. 3 OR explizit erwähnte Konkurrenzverbot. Untersagt ist nach bundesgerichtlicher Praxis nicht nur die bezahlte, sondern regelmässig auch die unbezahlte Konkurrenzierung der Arbeitgeberin.2 Inwieweit das Kon- kurrenzverbot auch für Teilzeitangestellte gilt, ist in Juristenkreisen umstritten. Eine Meinung wendet es auch in Teilzeitver- hältnissen gleichermassen an.3 Die Ge- genansicht geht demgegenüber von ei- ner eingeschränkten Geltung aus: Stelle eine Arbeitgeberin einen Arbeitnehmer in Teilzeit ein, müsse sie damit rechnen, dass dieser nebenbei auch bei der Konkurrenz arbeite, und stimme einer Einschränkung von Art. 321a Abs. 3 OR stillschweigend zu, zumindest, soweit ein wesentlicher Mehr Flexibilität kann auch ein Motiv für die Ausübung paralleler Tätigkeiten sein. Interessenkonflikt ausgeschlossen sei.4 personalSCHWEIZ April 2020 9
§ ARBEITSRECHT obliegt den Arbeitgeberinnen. Gerade bei Teilzeitpensen führt dies zu erhöhten Kontrollanforderungen. Besonders zu be- achten gilt es unter anderem die Regeln nach Art. 9 ff. ArG zu Höchstarbeits- und Ruhezeiten sowie zu Überzeit und Sonn- tagsarbeit. In der praktischen Handhabung können sich dabei Unklarheiten ergeben. Beson- ders relevant ist der Bereich der Überzeit- arbeit. Das Arbeitsgesetz sieht vor, dass eine Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 45 bzw. 50 Stun- den nur in engen Grenzen zulässig und mit einem Lohnzuschlag von 25% zu ent- schädigen ist. Die praktischen Schwierig- Wenn mehrfachbeschäftigte Arbeitnehmende die wöchentliche Höchstarbeitszeit nicht einhalten keiten, die daraus bei Mehrfachbeschäf- und dadurch nicht mehr die volle Arbeitsleistung erbringen können, verletzen sie damit möglicher- tigungen resultieren können, lassen sich weise ihre Treuepflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber. an einem Beispiel veranschaulichen: An- genommen, ein Bäcker ist in einem Pen- Auch wenn eine Zusatzbeschäftigung die arbeitende ihre Arbeitgeberinnen über sum von wöchentlich 30 Stunden in einer Arbeitgeberin nicht konkurrenziert, ver- Zusatzbeschäftigungen informieren Konditorei und daneben jeweils 14 Stun- letzt sie möglicherweise deren berechtig- müssen. Im Arbeitsrecht findet sich da- den pro Woche in der Tortenproduktion te Interessen und damit die Treuepflicht, zu keine Regelung. Aus praktischer Sicht eines Cafés tätig. Arbeitet er in der inten- dies etwa dann, wenn der mehrfachbe- empfiehlt es sich jedoch, in den Arbeits- siven Woche vor Ostern in der Konditorei schäftigte Arbeitnehmer wegen Überlas- verträgen zumindest bei Teilzeitangestell- drei und im Café zwei Stunden mehr als tung nicht mehr die volle Arbeitsleistung ten eine Klausel aufzunehmen, wonach üblich, wird in keinem der beiden Jobs erbringen kann. Dies trifft beispielswei- die Arbeitgeberin unaufgefordert und für sich allein genommen die wöchent- se auf den Lehrer zu, der jeden Abend unverzüglich über Aufnahme und Ände- liche Höchstarbeitszeit überschritten, mehrere Lektionen als Fitnessinstruktor rung von anderweitigen Beschäftigungen wohl aber in der Summe. Sind nun die gibt und deshalb morgens jeweils über- zu unterrichten ist. Damit stellt einerseits Mehrstunden in der Konditorei oder jene müdet zum Unterricht erscheint, oder die die Arbeitgeberin sicher, dass sie über die im Café als Überzeit zu qualifizieren und Taxifahrerin, die regelmässig nach Feier- nötigen Informationen verfügt, um die somit mit Lohnzuschlag zu entschädi- abend unentgeltlich im Restaurant ihres arbeitsgesetzlichen Pflichten einzuhalten gen? Hängt dies davon ab, welche davon Ehemanns aushilft. Auch bei Tendenz- (z.B. im Zusammenhang mit den Höchst- zuletzt angeordnet oder zuletzt geleistet betrieben können sich aus der ideellen arbeits- und Ruhezeiten). Andererseits wurden? Oder ist eine Aufteilung zwi- Ausrichtung weiter gehende inhaltliche liegt ein solcher Informationsfluss auch schen beiden Arbeitgeberinnen vorzu- Einschränkungen der zulässigen Neben- im Interesse des Arbeitnehmers, um die nehmen (und wenn ja, welche)? beschäftigungen ergeben. Koordination seiner verschiedenen Stel- len zu erleichtern (z.B. mit Bezug auf Wie solche und ähnliche Konstellationen Tangiert eine Mehrfachbeschäftigung das Überstundenarbeit und Ferien; vgl. dazu zu lösen sind, ist in der Praxis nicht ab- Konkurrenzverbot oder die allgemeine nachfolgend). schliessend geklärt. Daher erscheint es je- Treuepflicht, ist sie nur mit Zustimmung denfalls sinnvoll, spezifische vertragliche der Arbeitgeberin zulässig. Ansonsten Arbeitsgesetzliche Regeln zu Abmachungen zu treffen, um die konkre- muss an sich keine Erlaubnis eingeholt Höchstarbeits- und Ruhezeiten te Koordination sicherzustellen. werden. Vorbehalten bleibt eine abwei- gelten auch für Mehrfach- chende vertragliche Vereinbarung. Denk- beschäftigte Arbeitszeit, Überstunden bar ist etwa ein genereller Erlaubnisvorbe- und Ferien individuell regeln halt oder – innerhalb der Schranken des Das Arbeitsgesetz (ArG) findet auf die Persönlichkeitsrechts – sogar ein umfas- meisten Arbeitsverhältnisse Anwendung Gerade mit Blick auf die Arbeitszeit kön- sendes Verbot. und stellt unter anderem zwingende Vor- nen sich bei Mehrfachbeschäftigten noch schriften zu Arbeits- und Ruhezeiten auf. weitere Fragen stellen. So fliesst etwa aus Information über Nebenjobs Bei Mehrfachbeschäftigten gelten die dem Weisungsrecht nach Art. 321d OR erleichtert die Koordination arbeitsgesetzlichen Regeln gemäss Vor- die Befugnis der Arbeitgeberin, Beginn gaben des SECO5 nicht für jeden Job ein- und Ende der täglichen Arbeitszeit fest- Selbst dort, wo keine Einwilligung erfor- zeln, sondern für alle Tätigkeiten zusam- zulegen und, soweit sachlich begründet derlich ist, stellt sich die Frage, ob Mit- men. Die Einhaltung des Arbeitsgesetzes und zumutbar, zu ändern. Weiter darf die 10 personalSCHWEIZ April 2020
ARBEITSRECHT § Fussnoten Arbeitgeberin gemäss Art. 321c OR Über- Arbeitsunfähigkeit 1 Bundesamt für Statistik BFS (2019). Mehrfacherwerbstätigkeit; stunden anordnen, wenn sie nötig und bei Mehrfachbeschäftigung abrufbar unter: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/ arbeit-erwerb/erwerbstaetigkeit-arbeitszeit/erwerbstaetige/arbeits- zumutbar sind. Hat jemand verschiedene bedingungen/mehrfacherwerbstaetigkeit.html. Jobs, kann eine Änderung der Zeiten oder Grundsätzlich keine Besonderheiten re- 2 Vgl. etwa Urteil des Bundesgerichts 4C.221/2004 vom 26. Juli 2004, E. 3.4. die Anordnung von Überstunden an ei- sultieren aus der Mehrfachbeschäftigung 3 Vgl. etwa Stöckli, J.-F. (1991). Rechtsfragen der Mehrfachbeschäf- tigung des Arbeitnehmers. Schweizerische Juristen-Zeitung SJZ, nem Ort zur Kollision mit anderweitigen für Fälle von Arbeitsunfähigkeit und den 87/1991, 254–263, insbesondere 258 ff. Arbeitspflichten führen. Deshalb sind hier damit zusammenhängenden Anspruch 4 Vgl. etwa Streiff, U., Von Kaenel, A., & Rudolph, R. (2012). Kommen- tar zu Art. 321a OR, N 10. Arbeitsvertrag – Praxiskommentar zu ausserordentliche Verschiebungen und auf Lohnfortzahlung (Art. 324a OR). Das Art. 319–362 OR (7. Aufl.). Zürich/Basel/Genf: Schulthess. Überstunden, selbst wenn sie sachlich schweizerische Arbeitsrecht kennt keine 5 Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (November 2009, aktualisiert im Januar 2016). «Merkblatt Mehrfachbeschäftigung beim gleichen begründet bzw. nötig sind, regelmässig generelle Arbeitsunfähigkeit und knüpft bzw. bei mehreren Arbeitgebern». nicht zumutbar. Um Planungsschwierig- bei einer Arbeitsverhinderung stets an keiten auf beiden Seiten vorzubeugen das jeweilige Arbeitsverhältnis an. So be- und die Abschätzung der im Betrieb vor- scheinigt ein Arztzeugnis jeweils nur die handenen Kapazitätsreserven zu ermög- Arbeitsunfähigkeit für die konkret zu ver- Isabelle Oehri, M.A. HSG lichen, empfiehlt es sich, die Arbeitszeiten richtende Tätigkeit. Bei Mehrfachbeschäf- in Law & Economics, ist bereits im Arbeitsvertrag zu konkretisie- tigten betrifft eine Arbeitsunfähigkeit nicht Rechtsanwältin und seit ren und zu umschreiben, unter welchen zwingend alle Tätigkeiten gleichermassen. 2018 am Institut für Be- Bedingungen Stundenplanänderungen Ein Maler kann nach einem Beinbruch sei- triebs- und Regionalöko- nomie der Hochschule möglich sind. ne körperlich anstrengende Arbeit zwar Luzern – Wirtschaft tätig. nicht verrichten, wohl aber seine Neben- Ihr Forschungs-, Bera- Im Zusammenhang mit dem Ferienbe- beschäftigung als Content Manager in ei- tungs- und Lehrfokus liegt in den Gebieten zug hält Art. 329c Abs. 2 OR fest, dass ner Online-Marketingagentur ausführen. Vertrags- und Arbeitsrecht, Digital Law, Ge- die Arbeitgeberin den Zeitpunkt der Fe- Das gilt auch für Fälle rein arbeitsplatzbe- sellschaftsrecht und Entrepreneurship. Zuvor arbeitete sie bei einer internationalen Wirt- rien festlegt und dabei, soweit mit den zogener Arbeitsunfähigkeit. Daher ist die schaftskanzlei in Zürich in den Bereichen Ban- Betriebsinteressen vereinbar, auf die Arbeitsunfähigkeit für jede Stelle konkret ken, Versicherungen & Finanzierungen und Wünsche des Arbeitnehmers Rücksicht und arbeitsplatzbezogen zu ermitteln und Prozessführung & Schiedsgerichtsbarkeit so- nimmt. Bei Mehrfachbeschäftigungen separat zu bescheinigen. wie am Bezirksgericht Horgen. müsste grundsätzlich jede Arbeitgeberin lic. iur. Jeannette Küher- die Ferienplanung der jeweils anderen Fazit Kiser ist Rechtsanwältin berücksichtigen, um dem Arbeitnehmer und seit 1998 Dozentin am Institut für Betriebs- den Erholungszweck zu ermöglichen. Mehrfachbeschäftigung ist aktueller denn und Regionalökonomie Eine solche umfassende Koordination je, birgt aber in der praktischen Hand- der Hochschule Luzern – zwischen den Arbeitgeberinnen dürfte habung ein gewisses Konfliktpotenzial. Wirtschaft. Sie unterrichtet meist kaum praktikabel sein. Eine beson- Unklarheiten und Streitigkeiten lassen in diversen Rechtsmodulen dere Herausforderung ergibt sich über- sich im beidseitigen Interesse vermeiden, mit Schwerpunkt in den Bereichen Vertrags- und Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht und öf- dies, wenn zu unterschiedlichen Zeiten wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeberin fentliches Wirtschaftsrecht. Vor ihrer Lehrtä- Betriebsferien angeordnet werden. Hier frühzeitig und offen kommunizieren, die tigkeit arbeitete sie in der Advokatur sowie muss eine individuelle Einzelfallregelung relevanten Punkte proaktiv koordinieren beim Kantonsgericht Zug und beim Strafge- getroffen werden. und klar vertraglich festhalten. richt Schwyz. 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