Rechtliche Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nuk-leare Sicherheit des deutschen Bundestages am 21. Juni 2021
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Deutscher Bundestag Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschussdrucksache 19(16)589-H öAnh. am 21.06.21 I 21.06.2021 Die vorliegende Stellungnahme gibt nicht die Auffassung des Ausschusses wieder, sondern liegt in der fachlichen Verantwortung des/der Sachverständigen. Die Sachverständigen für Anhörungen/Fachgespräche des Ausschusses werden von den Fraktionen entsprechend dem Stärkeverhältnis benannt. Rechtliche Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nuk- leare Sicherheit des deutschen Bundestages am 21. Juni 2021 Zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes (Drs. 19/30230) 18.06.2021 erstellt von Ass. iur. Thorsten Müller Ass. iur. Daniela Fietze Ass. iur. Hannah Scheuing
II Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG Zitiervorschlag: Müller/Fietze/Scheuing, Rechtliche Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit des deutschen Bundestages am 21. Juni 2021, 18.06.2021. Stiftung Umweltenergierecht Friedrich-Ebert-Ring 9 97072 Würzburg Vorstand Telefon Thorsten Müller und Fabian Pause, LL.M. Eur. +49 931 794077-0 Stiftungsrat Telefax Prof. Dr. Helmuth Schulze-Fielitz +49 931 7940 77-29 Prof. Dr. Franz Reimer Prof. Dr. Monika Böhm E-Mail mueller@stiftung-umweltenergierecht.de Spendenkonto Sparkasse Mainfranken Würzburg Internet IBAN: DE16 7905 0000 0046 7431 83 www.stiftung-umweltenergierecht.de BIC: BYLADEM1SWU
III Inhaltsverzeichnis A. Auf einen Blick _______________________________________________________________ 1 B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts __________________________________ 2 I. Kurze Darstellung der Entscheidung _____________________________________________________ 2 1. Der Staat ist zum Klimaschutz und zur Herstellung von Klimaneutralität verpflichtet 2 a) Indirekt: Klimaschutz als Ausfluss der Verpflichtung zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S 1 GG ________________________________________ 2 b) Direkt: Klimaschutz als Staatspflicht, Art. 20a GG ____________________________________ 3 2. Zwischenschritt: Operationalisierung der Temperaturgrenze über ein „CO2-Budget“ 3 3. Die „intertemporal gerechte“ Verteilung des CO2-Budgets __________________________ 4 4. KSG 2019 und intertemporale Freiheitssicherung ____________________________________ 4 II. Formelle Anforderungen an den Gesetzgeber: Ausgestaltung des Emissionsminderungspfads ab 2031 _______________________________________________________ 5 III. Materieller Anforderungen an ein neues KSG __________________________________________ 5 C. Gesetzentwurf der Bundesregierung ________________________________________ 6 I. Beschreibung der Neuerungen ab 2031__________________________________________________ 6 1. Neues Ziel der Klimaneutralität bis 2045 _____________________________________________ 6 2. Ausgestaltung des Zielpfads ab 2031 bis zur Klimaneutralität ________________________ 7 II. Bewertung der Neuerungen vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts _______________________________________________________________ 8 1. Hinreichende Orientierung für Entwicklungsprozesse hin zur Klimaneutralität? _____ 8 2. Rechtzeitige und hinreichend weit in die Zukunft reichende Festlegung? ___________ 9 III. Beschreibung der Änderungen bis 2030 ______________________________________________ 10 IV. Europarechtliche Hintergründe zur Änderung des Pfades bis 2030 im Bundes- Klimaschutzgesetz ________________________________________________________________________ 11 V. Einordnung der Wechselwirkungen zwischen Bundes-Klimaschutzgesetz und Europäischen Zielen und Instrumenten __________________________________________________ 12
1 A. Auf einen Blick Mit dem vorliegenden Entwurf eines Ersten Im Fall der Verabschiedung des Gesetzent- Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klima- wurfes dürften die vom Bundesverfas- schutzgesetzes (Drs. 19/30230) zieht die sungsgericht für nicht mit dem Grundge- Bundesregierung Konsequenzen aus dem setz vereinbar befunden Regelungen des Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Bundes-Klimaschutzgesetzes so verändert vom 24. März 2021. werden, dass dem Tenor der Entscheidung ausreichend Rechnung getragen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat festge- stellt, dass sich sowohl aus den Grundrech- Gleichwohl wird die Ausgestaltung des ten als auch aus dem Umweltstaatsprinzip Bundes-Klimaschutzgesetzes und – im Hin- des Art. 20a GG eine Pflicht zum Klima- blick auf den Klimaschutz letztlich allein schutz ergibt. Dadurch muss letztlich Kli- entscheidend – der einzelnen Instrumente maneutralität erreicht werden. zur Erreichung der gesetzten Ziele eine dauerhafte Aufgabe des Gesetzgebers blei- Tragend für die Entscheidung ist die Vor- ben. gabe der „intertemporalen Freiheitssiche- rung“. Die erforderlichen Emissionsminde- Eine wichtige Aufgabe wird dabei die Ab- rungen zur Erreichung des Ziels der Kli- stimmung der Regelungen im Bundes-Kli- maneutralität dürfen nicht einseitig in die maschutzgesetz mit den (zukünftigen) Vor- Zukunft verlagert werden, weil ansonsten gaben des Europarechts bleiben. künftig einschneidende Maßnahmen in na- hezu allen Lebensbereichen und damit eine erhebliche Beschneidung der Freiheit drohten. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei dem Gesetzgeber einen weiten Entschei- dungs- und Gestaltungsspielraum zugeord- net. Zur Erreichung der Klimaneutralität muss der Gesetzgeber dreistufig vorgehen: ▶ Konkret obliegt es diesem zunächst als ersten Schritt das Temperaturniveau zu bestimmen, das auch vor dem Hinter- grund der Schutzpflicht des Staates noch als tragbar angesehen wird. Die bisherige Festlegung auf das Ziel des Pariser Klimaabkommens von „deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C“ ist derzeit verfassungsrechtlich nicht zu kritisieren. ▶ Als zweiten Schritt muss der deutsche Beitrag zum Erreichen dieses weltweiten Ziels bestimmt werden. Daraus resultiert ein verbleibendes Restbudget. ▶ Im verbleibenden dritten Schritt muss der Gesetzgeber dieses Budget dann zeitlich so ausgestalten, dass eine unglei- che Freiheitsbeschränkung heute und in anderen Zeitabschnitten bis zur Errei- chung der Klimaneutralität vermieden wird, um die Grundrechte später nicht unverhältnismäßig weit beschränken zu müssen.
2 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Der Beschluss des Bundesverfassungsge- a) Indirekt: Klimaschutz als Ausfluss der richts vom 24. März 2021 1 wird zunächst kurz dargestellt (I.). Anschließend werden Verpflichtung zum Schutz von Leben und die formellen Folgen des Beschlusses (II.) körperlicher Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 sowie die sich aus dem Beschluss ergeben- S. 1 GG den materiellen Kriterien für ein neues Kli- Der Senat bestätigt zunächst, dass Art. 2 maschutzgesetz erläutert (III.). Abs. 2 S. 1 GG den Staat grundsätzlich zum Klimaschutz verpflichte. Denn die daraus folgende Schutzpflicht des Staats I. Kurze Darstellung der Entscheidung „umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Das Bundesverfassungsgericht stellt zu- Gesundheit vor den Gefahren des Klima- nächst fest, dass das Grundgesetz den Ge- wandels zu schützen“ (Rn. 148). setzgeber zum Klimaschutz und zur Errei- chung der Klimaneutralität verpflichte (1.). Um das Klimaschutzziel als Maßgabe für Eine Verletzung dieser Schutzpflicht sei die notwendige Begrenzung von CO 2-Emis- aber nicht feststellbar. Dies wäre nur der sionen zu operationalisieren, greift das Ge- Fall, wenn richt auf einen Budgetansatz zurück (2.). Aus den Freiheitsrechten des Grundgeset- zes folge, dass die – der Bundesrepublik „(…) Schutzvorkehrungen entweder über- verbleibenden – Möglichkeiten zum CO 2- haupt nicht getroffen sind, wenn die ge- Ausstoß gerecht zwischen den Generatio- troffenen Regelungen und Maßnahmen of- nen aufgeteilt werden müssten (3.). An den fensichtlich ungeeignet oder völlig unzu- unter 3. entwickelten Maßstäben misst das länglich sind, das gebotene Schutzziel zu er- Gericht sodann das Klimaschutzgesetz (4.). reichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben“ (Rn. 152). 1. Der Staat ist zum Klimaschutz und zur Der Gesetzgeber habe auch aufgrund der Herstellung von Klimaneutralität Unsicherheiten der naturwissenschaftli- verpflichtet chen Erkenntnisse einen weiten Einschät- zungsspielraum (vgl. etwa Rn. 162). Aber Eine staatliche Pflicht zum Klimaschutz lei- dieser sei nicht unbegrenzt: tet der Erste Senat des Bundesverfassungs- gerichts aus zwei grundgesetzlichen Ge- währleistungen ab: „Ungeeignet wäre allerdings ein Schutzkon- ▶ Zunächst aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, der zept, das zwar auf eine Reduktion der Treib- grundrechtlichen Gewährleistung von hausgasemissionen gerichtet wäre, ohne Leben und körperlicher Unversehrtheit. dabei aber das Ziel der Klimaneutralität (vgl. Die Folgen des Klimawandels könnten § 2 Nr. 9 KSG) zu verfolgen. Erst wenn Treib- diese Schutzgüter beeinträchtigen (a)). hausgasemissionen auf ein klimaneutrales ▶ Aber auch ohne den „Umweg“ über die Niveau beschränkt werden, kann die Erder- Grundrechte erkennt der Staat eine wärmung aufgehalten werden (…).“ (Rn. 155) Pflicht zum Klimaschutz an. Verankert sei diese in Art. 20a GG (b)). 1 Az. 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20.
3 Dieses Ziel strebe das Klimaschutzgesetz Konkretisierung müsse sich aber innerhalb jedoch an, so dass keine Ungeeignetheit der verfassungsrechtlichen Grenzen bewe- festzustellen sei. gen 2. Bei der Prüfung, ob eine Schutzpflichtver- Ausgehend davon sei die derzeitige Kon- letzung vorliege, sei zu beachten, dass Kli- kretisierung in § 1 Satz 3 KSG, den Anstieg maschutz- und Gesundheitsschutzerforder- der globalen Durchschnittstemperatur auf nisse durchaus auseinanderfallen könnten: deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, nicht zu bemängeln. (Rn. 211). Diese Temperaturgrenze sei daher als ver- „Während der Klimawandel als solcher fassungsrechtlich maßgebliche Konkreti- nicht durch Anpassungsmaßnahmen ver- sierung auch der verfassungsgerichtlichen hindert werden kann und insoweit alle An- Prüfung zugrunde zu legen (Rn. 208). strengungen auf die Begrenzung der Erder- wärmung zu richten sind, ist bei den Gefah- Der Senat betont, dass Art. 20a GG auch auf ren für Leben und Gesundheit prinzipiell ein das Erreichen von Klimaneutralität ziele: ergänzender Schutz durch Anpassungs- maßnahmen möglich.“ (Rn. 164) „Sind die verfassungsrechtlichen Grenzen Daran gemessen sei weder die Festlegung der weiteren Erderwärmung erreicht, ver- der Temperaturschwelle in § 1 S. 3 KSG auf pflichtet das verfassungsrechtliche Klima- „deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C“ schutzgebot dazu, Treibhausgasemissionen noch der in § 3 Abs. 1 Satz 2 KSG und in § 4 auf ein für die Treibhausgaskonzentration in Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit An- der Erdatmosphäre neutrales Maß zu be- lage 2 geregelte Emissionsreduktionspfad grenzen.“ (Rn. 198) eine Schutzpflichtverletzung (Rn. 163 bzw. 168). b) Direkt: Klimaschutz als Staatspflicht, 2. Zwischenschritt: Operationalisierung Art. 20a GG der Temperaturgrenze über ein „CO2- Budget“ Aus der Verpflichtung des Staats gem. Art. 20a GG, „die natürlichen Lebensgrund- Um das verfassungsrechtlich maßgebliche lagen und die Tiere (…) [zu] schützen“, leitet Temperaturziel als Maßgabe für die Be- der Senat ausdrücklich auch eine Pflicht grenzung von CO 2-Emissionen anwenden zum Klimaschutz ab: zu können, sei „Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Kli- „eine Übersetzung (…) in eine Emissions- maschutz.“ (Rn. 198) maßgabe erforderlich“. (Rn. 215) Dies bedeute v.a. die „(…) Einhaltung einer ▶ Dafür müsse nach der erfolgten Bestim- Temperaturschwelle, bei der die durch mung der relevanten Temperatur- Menschen verursachte Erwärmung der schwelle 3 in einem zweiten Schritt „die Erde angehalten werden soll“ (Rn. 198). globale Emissionsmenge ermittelt wer- Das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG und den, die verbleibt, wenn die konkrete damit auch die maßgebliche Temperatur- Temperaturschwelle eingehalten werden schwelle dürfe und müsse der Gesetzgeber soll – das ist das konkrete globale CO 2- – in einem ersten Schritt – konkretisieren Restbudget“ (Rn. 216). („Konkretisierungsauftrag und Konkretisie- ▶ In einem dritten Schritt sei der auf rungsprärogative“, Rn. 208). Eine solche Deutschland entfallende Anteil zu 2 Das läuft im Ergebnis auf eine verfassungsgerichtli- 3 Siehe dazu oben unter I. 1. b). che Evidenzkontrolle der Konkretisierung hinaus – ist diese geeignet, um die durch Menschen verursachte Erderwärmung aufzuhalten?, vgl. dazu Rn. 207, 211, 212.
4 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG bestimmen – das sei “das nationale CO 2- Maßnahmen in nahezu allen Lebensberei- Restbudget“ (Rn. 216). chen (Rn. 186). Eine solche Übersetzungsleistung böte für die globale Ebene das (bzw. die, der Senat weist auf die verschiedenen IPCC-Szenarien „Ein schneller Verbrauch des CO2-Budgets hin, vgl. Rn. 219) IPCC-Budget sowie für die schon bis 2030 verschärft (…) das Risiko nationale Ebene das vom SRU ermittelte schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil nationale Restbudget von 6,7 Gigatonnen 4. damit die Zeitspanne für technische und so- ziale Entwicklungen knapper wird, mit de- Das Gericht erkennt an, dass teils erhebli- ren Hilfe die Umstellung von der heute noch che Ungewissheiten mit Blick auf die Bud- umfassend mit CO2-Emissionen verbunde- getberechnungen des IPCC bestehen, die nen Lebensweise auf klimaneutrale Verhal- Berechnungen des Sachverständigenrates tensweisen freiheitsschonend vollzogen für Umweltfragen enthielten darüber hin- werden könnte (oben Rn. 121). (…) Je weni- aus „Wertungen und eigene Ungewisshei- ger aber auf solche Entwicklungen zurück- ten“ (Rn. 222 bzw. 224). gegriffen werden kann, desto empfindlicher Aber, so der Senat: „Dass die Berechnung werden die Grundrechtsberechtigten von des Sachverständigenrats Unsicherheiten den bei schwindendem CO2-Budget verfas- und Wertungen enthält, lässt (…) nicht etwa sungsrechtlich immer drängenderen Be- darauf schließen, dass tatsächlich eher wei- schränkungen CO2-relevanter Verhaltens- tergehende Emissionsmöglichkeiten ver- weisen getroffen.“ (Rn. 186) blieben. Die Unsicherheiten bei der Bestim- mung des globalen Restbudgets und des- sen Verteilung auf die Staaten gehen in beide Richtungen, könnten also auch zu ei- 4. KSG 2019 und intertemporale ner zu großzügigen Schätzung geführt ha- Freiheitssicherung ben“ (Rn. 228). Obwohl die vom Sachver- ständigenrat angegebene Budgetgröße Mit Blick auf die Regelungen des KSG, die „(k)ein zahlengenaues Maß für die verfas- CO 2-Emissionen bis 2030 erlauben, führt sungsgerichtliche Kontrolle“ biete (Rn. 229), das Gericht aus, dass es ungewiss sei, ob müssten die gesetzlichen Reduktionsmaß- das verbleibende Restbudget mit den ge- gaben dem CO 2-Restbudget „Rechnung troffenen Regelungen eingehalten werden tragen“ (Rn. 229). könne (Rn. 231). Im Ergebnis könne aber 3. Die „intertemporal gerechte“ „derzeit nicht festgestellt werden, dass der Verteilung des CO2-Budgets Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen Entscheidungsspielraum überschritten“ Denn, so der Senat, auch ein mit erhebli- chen Unsicherheiten verbundenes nationa- habe (Rn. 236). les CO2-Restbudget müsse nach den Maß- stäben einer „intertemporalen Freiheitssi- Die Schonung künftiger Freiheiten ver- cherung“ (Rn. 183) aufgeteilt werden. lange aber ein frühzeitiges Handel des Ge- setzgebers: Das bedeutet, dass die vor dem Hinter- grund von Art. 20a GG, § 1 S. 3 KSG und ei- nem entsprechenden nationalen Rest- budget erforderlichen Emissionsminderun- „Praktisch verlangt die Schonung künftiger gen (Ziel: Klimaneutralität, siehe oben 1.) Freiheit hier den Übergang zu Klimaneutra- nicht einseitig in die Zukunft verlagert wer- lität rechtzeitig einzuleiten. In allen Lebens- den dürften (Rn. 183). Andernfalls drohten bereichen ‒ etwa Produktion, Dienstleis- künftigen Generationen einschneidende tung, Infrastruktur, Verwaltung, Kultur und Konsum, letztlich bezüglich aller heute 4 Der SRU hatte sich hierzu auf das Szenario des IPCC berufen, die Erderwärmung mit einer Wahrscheinlich- keit von 67 % auf 1,75°C zu begrenzen (Rn. 219).
5 noch CO2-relevanten Vorgänge – müssen Entwicklungen einsetzen, die ermöglichen, „§ 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4 Absatz 1 Satz 3 dass von grundrechtlicher Freiheit auch Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezem- später noch, dann auf der Grundlage CO2- ber 2019 (Bundesgesetzblatt I Seite 2513) in freier Verhaltensalternativen, gehaltvoll Ge- Verbindung mit Anlage 2 sind mit den brauch gemacht werden kann.“ (Rn. 248) Grundrechten unvereinbar, soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Maßgabe der Gründe genügende Re- Der Gesetzgeber müsse gelung über die Fortschreibung der Minde- rungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt.“ „einer möglichst frühzeitigen Einleitung der erforderlichen Entwicklungs- und Umset- Unter 4. beschließt er: zungsprozesse auch für die Zeit nach 2030 Orientierung biete(n) und diesen damit zu- gleich ein hinreichendes Maß an Entwick- lungsdruck und Planungssicherheit vermit- „Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätes- tel(n)“ (Rn. 249). tens bis zum 31. Dezember 2022 die Fort- schreibung der Minderungsziele für Zeit- räume ab dem Jahr 2031 nach Maßgabe der Reduktionsmaßgaben müssten „rechtzeitig Gründe zu regeln. § 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4 über das Jahr 2030 hinaus und zugleich Absatz 1 Satz 3 Bundes-Klimaschutzgesetz hinreichend weit in die Zukunft hinein fest- vom 12. Dezember 2019 (Bundesgesetzblatt gelegt werden“ (Rn. 253). I Seite 2513) in Verbindung mit Anlage 2 Gemessen daran stellte das Bundesverfas- bleiben anwendbar.“ sungsgericht für den insoweit relevanten § 4 Abs. 6 KSG einen Verstoß gegen das Grundgesetz fest: Hier sei unklar, wie weit in die Zukunft die von der Bundesregierung III. Materieller Anforderungen an ein im Jahr 2025 für „weitere Zeiträume nach neues KSG dem Jahr 2030“ (so der Gesetzestext) rei- chen müssten. „Vielmehr müsste zumin- Eine Neugestaltung des Reduktionspfades dest bestimmt werden, in welchen Zeitab- für die Zeit nach 2021 muss den Maßstäben ständen weitere Festlegungen transparent der intertemporalen Freiheitssicherung ge- zu treffen sind“ (Rn. 257). Zudem sei „(n)ach nügen. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber dem in § 4 Abs. 6 KSG geregelten Vorgehen nicht gesichert, dass der weitere Redukti- ▶ einer möglichst frühzeitigen Einleitung onspfad rechtzeitig erkennbar ist“ (Rn. 259). der erforderlichen Entwicklungs- und „Nach der Regelung sollen Festlegungen Umsetzungsprozesse auch für die Zeit erst im Jahr 2025 getroffen werden. Bis nach 2030 Orientierung bieten muss 2025 besteht demnach keine Planung über (Rn. 249) und das Jahr 2030 hinaus. Für die folgende Zeit ▶ dieser ein hinreichendes Maß an Ent- bleibt so eine Vorbereitungszeit von ledig- wicklungsdruck und Planungssicherheit lich fünf Jahren. Ein hinreichender Pla- vermitteln muss (Rn. 249). nungshorizont dürfte damit etwa in vielen Produktions-, Konsum- oder Infrastruktur- Insbesondere müssen bereichen kaum rechtzeitig entstehen kön- nen“ (Rn. 258). „(…) weitere Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert fest- II. Formelle Anforderungen an den gelegt werden, dass eine hinreichend kon- Gesetzgeber: Ausgestaltung des krete Orientierung entsteht.“ (Rn. 254) Emissionsminderungspfads ab 2031 Diese Reduktionsmaßgaben müssen „rechtzeitig (…) und zugleich hinreichend Vor diesem Hintergrund hat der Senat un- weit in die Zukunft hinein festgelegt wer- ter 2. tenoriert: den“ (Rn. 253).
6 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG C. Gesetzentwurf der Bundesregierung Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf (KSG- Nach 2050 sollen negative Treibhaus- E) reagiert die Bundesregierung auf den gasemissionen angestrebt werden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. (§ 3 Abs. 2 S. 2 KSG-E). Dabei wird zunächst der Zeitraum ab 2031 Der zentrale Begriff der Netto-Treibhaus- neu geregelt, dessen bisherige Vorgaben gasneutralität wird in § 2 Nr. 9 des gelten- für verfassungswidrig erklärt worden sind 5 den Klimaschutzgesetzes (KSG) definiert als (vgl. sogleich I.). Die geplante Neuregelung dürfte dabei den Anforderungen des Bun- desverfassungsgerichts genügen (unten II.). Die Bundesregierung schlägt aber über die „Gleichgewicht zwischen anthropogenen direkten Anforderungen des Bundesverfas- Emissionen von Treibhausgasen aus Quel- sungsgericht auch Änderungen für die Zeit len und dem Abbau solcher Gase durch bis 2030 vor (unten III.), womit sie den poli- Senken“. tisch beschlossenen Anhebungen der euro- päischen Klimaschutzziele Rechnung trägt Das genaue Verhältnis dieser beiden Mög- (unten IV.). Allerdings ist die Abstimmung lichkeiten – Vermeidung und Abbau – der Ziele im Mehrebenensystem noch ver- bleibt jenseits der Festlegungen für die Re- besserungswürdig (unten V.). duktionsverpflichtung im Jahr 2040 von minus 88 Prozent derzeit noch unbe- I. Beschreibung der Neuerungen ab stimmt. In der Gesetzesbegründung ist al- 2031 lerdings angegeben, dass nach derzeitigen Annahmen zur Erreichung von Netto-Treib- Für die für verfassungswidrig erklärten Re- hausgasneutralität eine Minderung der gelungen des Klimaschutzgesetzes für die menschlich veranlassten Freisetzung von Zeit ab 2031 trifft der Gesetzgeber zwei Ent- Treibhausgasen um mindestens 97 Prozent scheidungen. Zum einen definiert er das gegenüber dem Basisjahr 1990 anzustreben Ziel der Treibhausgasneutralität zeitlich ist 7. Die restlichen Emissionen müssen neu und schreibt dieses bereits für 2045 vor durch Senken ausgeglichen werden. (dazu sogleich 1.). Daneben wird der Reduk- Eine Definition oder Konkretisierung der tionspfad ab 2031 neu ausgestaltet (un- Senken und ihrer Wirkungen ist im Gesetz- ten 2.). entwurf nicht enthalten. Allerdings soll im neuen § 3a KSG-E auch der „Beitrag des Sektors Landnutzung, Landnutzungsände- 1. Neues Ziel der Klimaneutralität bis rung und Forstwirtschaft“ erstmalig ausge- 2045 staltet werden. Dessen Wirkung „zum Kli- maschutz“ soll gestärkt und verbessert wer- Bis zum Jahr 2045 sollen die Treibhaus- den. Dazu sollen die Emissionsbilanzen die- gasemissionen so weit gemindert werden, ses Sektors in den Jahren 2027 bis 2030 ins- dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht gesamt auf minus 100 Millionen Tonnen wird (§ 3 Abs. 2 KSG-E) 6. Kohlendioxidäquivalent, in den Jahren 2037 bis 2040 auf minus 140 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent und in den Jahren 2042 bis 2045 auf mindestens minus 160 7 5 Vgl. bereits oben B. II. Das geht über das Maß hinaus, dass im ursprüngli- 6 Entsprechend der Neubestimmung des Ziels wird das chen Referentenentwurf für das KSG des BMU vom bisher in der Zweckbestimmung des Gesetzes, § 1 Februar 2019 vorgesehen war; dort war in S. 3 KSG, enthaltene Bekenntnis Treibhausgasneutrali- § 3 Abs. 1 Nr. 4 KSG-RefE eine Reduktion von 95 % vor- tät bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen, gestri- geschlagen worden; vgl. https://www.raiffei- chen, Art. 1 Nr. 2 des KSG-E. Die Verschiebung und Um- sen.de/sites/default/files/2019-02/BMU_RefE_Klima- formulierung beseitigt letzte Zweifel, ob es sich bei der schutzgesetz_Stand18022019.pdf. Klimaneutralität um ein verbindliches Klimaschutzziel handelt. Dies ist nunmehr zukünftig der Fall.
7 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent S. 7 KSG-E). Die jährlichen Minderungsziele gesteigert werden. sollen zukünftig neben den zulässigen Jah- resemissionsmengen verbindlich sein, so- Diese Mengen werden nicht mit den Re- weit das Gesetz auf sie Bezug nimmt duktionsvorgaben nach § 3 Abs. 1 KSG-E (§ 4 Abs. 1 S. 9 KSG-E). verrechnet. Dies wird deutlich, weil § 3 Abs. 1 KSG-E die Minderung der Treibhaus- Die Aufteilung der jährlichen Minderungs- gasemissionen verlangt und damit gerade ziele in zulässige Jahresemissionsmengen keine Saldierung vornimmt. Zudem regelt für die sechs Sektoren des KSG soll unver- § 3a KSG-E den Beitrag der genannten Sen- ändert durch Rechtsverordnung der Bun- ken „zum Klimaschutz“ und nicht der Treib- desregierung mit Zustimmung des Deut- hausgasminderung. Im Rahmen der Treib- schen Bundestages erfolgen (§ 4 Abs. 1 S. 8, hausgasneutralität ab 2045 wirken dann Abs. 6 KSG-E). Hierfür sollen nach dem vor- aber Treibhausgasminderung und der Bei- liegenden Entwurf zur Änderung des Kli- trag der Senken zusammen. maschutzgesetzes aber zukünftig gegen- über der bisherigen Rechtslage genauere Vorgaben gemacht werden: 2. Ausgestaltung des Zielpfads ab 2031 ▶ Im Jahr 2024 hat die Bundesregierung bis zur Klimaneutralität demnach die zulässigen Jahresemissi- onsmengen der einzelnen Sektoren für Für den Weg zum Fernziel Klimaneutralität die Jahre 2031 bis 2040 festzulegen. Im 2045 sind verschiedene neue Regelungen Jahr 2034 erfolgt dann die Festlegung für vorgesehen. Diese definieren den Zielpfad die Jahre 2041 bis 2045 (§ 4 Abs. 1 S. 8, ab 2031 bzw. legen die Basis für die Ausge- Abs. 6 S. 1,S. 5 KSG-E). staltung durch den Verordnungsgeber. ▶ Die festzulegenden Jahresemissionsmen- ▶ Für das Jahr 2040 soll erstmalig ein Re- gen sollen dabei jährlich in grundsätzlich duktionsziel im Vergleich zum Jahr 1990 gleichmäßigen Schritten absinken müs- von mindestens 88 Prozent gelten sen (§ 4 Abs. 6 S. 1 KSG-E). (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 KSG-E). ▶ Zudem müssen sie im Einklang stehen ▶ Für den Zeitraum 2031 bis 2040 sollen zu- mit der Erreichung der nationalen Klima- dem erstmalig jährliche Minderungsziele schutzziele, mit den jährlichen Minde- vorgegeben werden (§ 4 Abs. 1 S. 6 i. V. m. rungszielen und den unionsrechtlichen Anlage 3 KSG-E; s. unten Abbildung 1). Anforderungen. Dabei ist sicherzustellen, Die jährlichen Minderungsziele sind sekto- dass in jedem Sektor deutliche Reduzie- renübergreifend. Durch sie soll ein Minde- rungen der Treibhausgase erreicht wer- rungspfad zwischen den Zielen für 2030 den (§ 4 Abs. 6 S. 2 KSG-E). Die Regelung und 2040 festgelegt werden. Spätestens im ergänzt bei den wesentlichen Kriterien Jahr 2032 hat die Bundesregierung einen für die Bemessung der zulässigen Jahres- Gesetzgebungsvorschlag zur Festlegung emissionsmengen die bereits bisher zu der jährlichen Minderungsziele für die berücksichtigenden nationalen Klima- Jahre 2041 bis 2045 vorzulegen (§ 4 Abs. 1 schutzziele und unionsrechtlichen Anfor- derungen (§ 4 Abs. 6 KSG) um die jährli- chen Minderungsziele. Anlage 3 – Jährliche Minderungsziele für die Jahre 2031 bis 2040 2031 2032 2033 2034 2035 2036 2037 2038 2039 2040 Jährliche Minderungsziele 67% 70% 72% 74% 77% 79% 81% 83% 86% 88% gegenüber 1990 Abbildung 1: Anlage 3 des Entwurfes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes
8 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG II. Bewertung der Neuerungen vor grundsätzlich gleichmäßigen Schritten er- folgen müssen, § 4 Abs. 6 S. 1 KSG-E.10 dem Hintergrund des Beschlusses Trotz dieser zusätzlichen Konkretisierungen des Bundesverfassungsgerichts im Bundes-Klimaschutzgesetz selbst, bleibt allerdings eine grundsätzliche Entschei- Nach den oben unter B. III. dargestellten dung offen. Die genaue Verteilung des im Anforderungen des Bundesverfassungsge- Jahre 2030 verbleibenden Restbudgets auf richts muss das neue Klimaschutzgesetz so die einzelnen Sektoren nach 2031 ist jen- gestaltet sein, dass Jahresemissionsmen- seits dieser Orientierungsaussagen nicht gen und Reduktionsmaßgaben so differen- eindeutig festgelegt. Diese Entscheidung ziert festgelegt werden, dass hinreichend verbleibt weiterhin bei der Bundesregie- konkrete Orientierung für die notwendigen rung als Verordnungsgeberin. Diese Festle- Entwicklungsprozesse hin zu klimaneutra- gung hat aber grundlegende Bedeutung len Verhaltensweisen geboten wird (1.). für die einzelnen Sektoren und kann – je Diese Vorgaben müssen rechtzeitig und zu- nachdem, wie sie ausfällt – ganz unter- gleich hinreichend weit in die Zukunft fest- schiedlichen Entwicklungen erfordern. gelegt werden (2.). Gegen die Regelungstechnik im Klima- schutzgesetz, die konkrete Entscheidung über die jährlichen Emissionsminderungen 1. Hinreichende Orientierung für pro Sektor per Rechtsverordnung zu tref- Entwicklungsprozesse hin zur fen, hat das Bundesverfassungsgericht aber Klimaneutralität? ausdrücklich keine Einwände erhoben (Rn. 259). Der Gesetzgeber müsse dem Ver- Hinreichende Orientierung sollen vor allem ordnungsgeber aber „wesentliche Kriterien die Anlage 3 – die jährlichen sektorüber- für die Bemessung der jährlichen Mengen greifenden Minderungsziele – und die Vor- vorgeben“ (Rn. 259). gaben an den Verordnungsgeber in § 4 Abs. 6 S. 1-3 KSG-E bieten 8. Durch diese Vorgaben wird die Gestal- „Denkbar ist etwa, dass der Gesetzgeber tungsfreiheit des Verordnungsgebers teil- Minderungsquoten für bestimmte Zieljahre weise eingeschränkt. Es werden genaue vorgibt. Weil diese für sich genommen zeitliche Vorgaben für den Zeitpunkt der nicht aussagekräftig sind (oben Rn. 125), Festlegung und die festzulegenden Zeit- müsste er dann aber zusätzlich nähere Vor- räume gemacht. Zudem wird sichergestellt, gaben zu dem zum Zieljahr führenden Re- dass Emissionsreduzierungen in allen Sek- duktionspfad machen“ (Rn. 264). toren vorgenommen werden und diese kontinuierlich über den Zeitverlauf erfol- gen. Hier greift das Gericht ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen dem Grad Tatsächlich bietet das KSG-E damit mehr an Orientierung, welcher auf der abstrakten an Orientierung als das bisherige Bundes- Gesetzesebene überhaupt vermittelbar ist, Klimaschutzgesetz. So ergeben sich aus der und dem nötigen Entwicklungsdruck in- Anlage 2 zulässige Emissionsmengen für nerhalb der einzelnen Sektoren auf. Dieses das Jahr 2030, also das Jahr vor dem neu zu Spannungsverhältnis ist grundgesetzlich regelnden Zeitraum ab 2031. In Verbindung vorgesehen, soll das Gesetz doch gerade mit der Anlage 3 9 – den jährlichen sekto- „wesentliche“ Entscheidungen treffen 11, die rübergreifenden Minderungszielen ab 2031 konkrete Ausgestaltung aber dem Verord- – sind hier jedenfalls mögliche Entwick- nungsgeber überlassen (dürfen), vgl. auch lungskorridore erkennbar. Dazu kommt die Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG. Vorgabe, dass „in jedem Sektor deutliche Reduzierungen“ erzielt werden müssen, § 4 Diese „wesentlichen“ Entscheidungen hat Abs. 6 S. 3 KSG-E, und diese in der Gesetzgeber in § 4 Abs. 6 S.1, S. 3 KSG-E 8 Vgl. auch die Begründung, BT-Drs. 19/30230, S. 21. Abs. 6 S. 2 KSG-E, bietet hingegen keine weiterge- 9 Vgl. oben unter B. I. 2. hende Orientierung. 11 10 Die Vorgabe, die Jahresemissionsmengen müssten BVerfGE 56, 1 (13); vgl. BVerfGE 141, 143 (170); BVerfGE mit höherrangigem Recht übereinstimmen, siehe § 4 147, 253 (309 f.); BVerfGE 150, 1 (99 ff.).
9 aber getroffen: mit der Grundaussage, dass Dies dürfte jedenfalls hinreichend weit in alle Sektoren einen deutlichen Klima- die Zukunft gehen. Ob es auch rechtzeitig schutzbeitrag leisten müssen und dass die- ist, muss differenzierter betrachtet werden: ser grundsätzlich kontinuierlich und gleich- Das Bundesverfassungsgericht äußert zur mäßig erbracht werden solle. Vorgabe in § 4 Abs. 6 KSG 12 Zweifel, ob „die Vor diesem Hintergrund dürfte das KSG-E erste weitere Festlegung von Jahresemissi- den Maßgaben des Bundesverfassungsge- onsmengen [im Jahr 2025] in Zeiträumen richts zur Frage der „hinreichenden Orien- nach 2030 rechtzeitig käme“ (Rn. 258). „Ein tierung“ genügen. hinreichender Planungshorizont dürfte da- mit etwa in vielen Produktions-, Konsum- Eine Kontrollüberlegung bestätigt dies: oder Infrastrukturbereichen kaum rechtzei- Denn auch Sektorminderungsziele auf der tig entstehen können“ (Rn. 258). Ebene des Gesetzes würden vermutlich noch keinen konkreten Entwicklungsdruck Der Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsver- innerhalb der einzelnen Sektoren entfalten. ordnung wird in § 4 Abs. 6 S. 2 KSG-E um Jeder Sektor umfasst ganz unterschiedliche (lediglich) ein Jahr auf 2024 vorgezogen. Ob Bereiche (etwa den Individual- und Schwer- dies für die Schaffung eines rechtzeitigen lastverkehr, die Zementherstellung und die Planungshorizonts ausreicht, kann bezwei- Chemieindustrie), so dass auch mit etwai- felt werden – aus fünf Jahren sind nun gen Sektorminderungszielen die Vertei- sechs geworden. lungsentscheidung zwischen diesen Bran- Hier wäre zu überlegen, ob ein in mehrere chen nicht getroffen wäre. Man darf also Stufen unterteilter Festlegungsprozess, der die Erwartungshaltung an die gesetzgebe- aber vor dem Jahr 2024 beginnt, nicht an- rischen Festlegungen und ihre Auswirkun- gemessener wäre: Denn das Gericht er- gen nicht überspannen. Vielmehr bleibt kennt an, dass „(t)echnische Entwicklung aus dem Beschluss des Bundesverfas- und Verhaltensinnovation insoweit nicht sungsgerichts eine Daueraufgabe für den genau genug vorhersehbar sind“, eine zu Gesetzgeber, fortlaufend die Entscheidun- frühzeitige Festlegung der Entwicklungs- gen zu überprüfen und ggf. auch über die pfade „im ungünstigsten Falle sogar Ent- zukünftigen Festlegungen durch den Ver- wicklungspotential verschenken“ könne ordnungsgeber hinaus Konkretisierungen (Rn. 253). im Gesetz selbst zu treffen, um die gefor- derte Orientierung zu bieten und damit ein Andererseits ist der Zeitraum nach 2031 hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck nach dem KSG-E nicht komplett frei von und Planungssicherheit zu vermitteln. Vorgaben: § 4 Abs. 6 S. 1, S. 3 KSG-E enthält wesentliche gesetzliche Maßgaben für den Zeitraum nach 2031 (siehe oben 1.). In Ver- 2. Rechtzeitige und hinreichend weit in bindung mit diesen Vorgaben dürfte die die Zukunft reichende Festlegung? Festlegung der jährlichen zulässigen Jahre- semissionsminderungen im Jahre 2024 Eine wesentliche Aussage des Bundesver- dem „Rechtzeitigkeitserfordernis“ genügen. fassungsgerichts ist, dass die weiteren Re- duktionsmaßgaben rechtzeitig über das Jahr 2030 hinaus und zugleich hinreichend weit in die Zukunft hinein festgelegt wer- den (Rn. 253). Gem. § 4 Abs. 6 S. 2 KSG-E sollen die zulässi- gen Jahresemissionsmengen der einzelnen Sektoren im Jahr 2024 für die Jahre 2031- 2040 und im Jahr 2024 für die Jahre 2041- 2054 festgelegt werden. 12 § 4 Abs. 6 S. 1 KSG: Im Jahr 2025 legt die Bundesregie- jährlich absinkende Emissionsmengen durch Rechts- rung für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030 verordnung fest.
10 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG III. Beschreibung der Änderungen Die Verringerung der Jahresemissionsmen- gen soll insbesondere in den Sektoren bis 2030 Energie und Industrie vorgenommen wer- den. Hier sind im Jahr 2030 über die vorhe- Der Gesetzentwurf sieht zusätzlich auch für rige Regelung hinaus zusätzliche 67 bzw. 22 den Zeitraum bis 2030 Änderungen vor. Es Millionen Tonnen CO 2-Äquivalent einzuspa- wird vorgeschlagen das Reduktionsziel für ren. Wobei in den weiteren Sektoren ver- 2030 auf mindestens 65 Prozent im Ver- gleichsweise geringere zusätzliche Anfor- gleich zum Jahr 1990 zu erhöhen (§ 3 Abs. 1 derungen zu erfüllen sind mit 10 Millionen Nr. 1 KSG-E). Bisher gilt ein Ziel von mindes- Tonnen CO 2-Äquivalent im Verkehr, mit 3 tens 55 Prozent (§ 3 Abs. 1 S. 2 KSG). Das Millionen Tonnen CO 2-Äquivalent im Sektor neue Reduktionsziel erfordert eine zusätzli- Gebäude und mit 2 bzw. 1 Millionen Tonnen che Einsparung von 105 Millionen Tonnen CO 2-Äquivalent in der Landwirtschaft sowie CO2-Äquivalent. der Abfallwirtschaft. Dies zieht auch eine Veränderung der Jah- resemissionsmengen der sechs Sektoren nach sich: Die bereits festgelegten Jahres- emissionsmengen werden ab 2023 bis 2030 stärker sinken (Anlage 2 zu § 4 KSG-E; vgl. unten Abbildung 2). Anlage 2 (zu § 4) KSG-E Jahresemissionsmenge in Millionen Tonnen 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 CO2-Äquivalent Energiewirtschaft 280 257 108 Industrie 186 182 177 172 165 157 149 140 132 125 118 Gebäude 118 113 108 102 97 92 87 82 77 72 67 Verkehr 150 145 139 134 128 123 117 112 105 96 85 Landwirtschaft 70 68 67 66 65 63 62 61 59 57 56 Abfallwirtschaft und 9 9 8 8 7 7 6 6 5 5 4 Sonstiges Abbildung 2: Anlage 2 des Entwurfes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes
11 IV. Europarechtliche Hintergründe werden. Dabei werden keine europaweiten Regelungen getroffen, sondern es werden zur Änderung des Pfades bis 2030 im verbindliche Reduktionsziele für jeden Mit- Bundes-Klimaschutzgesetz gliedstaat für das Jahr 2030 vorgegeben (für Deutschland beträgt der Wert mi- nus 38 Prozent) sowie verbindliche, linear Die Änderungen bis 2030 versuchen neben absinkende Jahresemissionsmengen für Erwägungen aus dem Beschluss des Bun- die Jahre 2021 bis 2030. Wie diese Redukti- desverfassungsgerichts aktuelle rechtliche onsziele erreicht werden, ist den Mitglied- Entwicklungen auf der europäischen Ebene staaten überlassen. Werden aber die Jahre- zu antizipieren. semissionsmengen überschritten, müssen Bisher galt in der Europäischen Union ein gegebenenfalls Emissionszuweisungen von EU-weites Reduktionsziel für Treibhausgase anderen Mitgliedstaaten zugekauft wer- um mindestens 40 Prozent bis zum Jahr den 17. 2030 gegenüber dem Jahr 1990. Dieses Ziel Zusammen soll durch diese Regelungen geht zurück auf einen Beschluss des Euro- das EU-weite Reduktionsziel von 40 Pro- päischen Rats aus dem Oktober 2014 13. zent bis 2030 erreicht werden. Erreicht werden sollte dieses übergeord- Um den Beitrag des LULUCF-Sektors 18 zur nete Klimaschutzziel durch den Emissions- Erreichung des Ziels miteinzubeziehen, handel 14 und die im Bundes-Klimaschutz- wurde im Juni 2018 ergänzend ein Anrech- gesetz als Europäische Klimaschutzverord- nungs- und Verbuchungssystem für diesen nung bezeichnete Lastenteilungsverord- Sektor beschlossen. Die LULUCF-Verord- nung (§ 2 Nr. 4 KSG) 15. Das Emissionshan- nung enthält seitdem zentral die Verpflich- delssystem umfasst europaweit Großfeue- tungen und Regelungen der Mitgliedstaa- rungsanlagen, energieintensive Industrie- ten im Sektor LULUCF, durch die dazu bei- betriebe und seit 2012 Teile des Flugver- getragen wird, dass die Ziele des Überein- kehrs. Hiervon sind etwa 40 Prozent der ge- kommens von Paris erreicht werden und samten Treibhausgasemissionen der Euro- das 2030-Ziel der Europäischen Union ein- päischen Union erfasst. In den vom Emissi- gehalten wird. Dazu gehören Regeln für die onshandelssystem erfassten Sektoren soll Anrechnung und Verbuchung der Emissio- nach derzeitigem Rechtsstand eine Redu- nen und des Abbaus von Treibhausgasen zierung der Treibhausgasemissionen um im LULUCF-Sektor sowie für die Überprü- 43 Prozent gegenüber 2005 bis 2030 er- fung der Einhaltung dieser Verpflichtungen reicht werden. durch die Mitgliedstaaten. Alle nicht hierunter fallenden Sektoren – Diese bestehenden europäischen Regelun- mit Ausnahme der unter die LULUCF-Ver- gen befinden sich derzeit in einem umfas- ordnung 16 fallenden Bereiche – werden von senden Veränderungsprozess. Das durch der Klimaschutzverordnung erfasst. In die- die Europäische Kommission im März 2020 sen Sektoren soll eine Reduzierung um vorgeschlagene EU-Klimagesetz 19 soll im 30 Prozent gegenüber 2005 bis 2030 erzielt 13 16 Tagung des Europäischen Rats vom 23./24.Oktober Verordnung (EU) 2018(841 des europäischen Parla- 2014 - Schlussfolgerungen, S. 1, Ziff. 2. ments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Einbe- 14 Eingeführt durch Richtlinie 2003/87/EG des europäi- ziehung der Emissionen und des Abbaus von Treib- schen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 hausgasen aus Landnutzung, Landnutzungsänderun- über ein System für den Handel mit Treibhausgasemis- gen und Forstwirtschaft in den Rahmen für die Klima- sionszertifikaten in der Union und zur Änderung der und Energiepolitik bis 2030 und zur Änderung der Ver- Richtlinie 96/61/EG des Rates, ABl. EU Nr. L 275 v. ordnung (EU) Nr. 525/2013 und des Beschlusses Nr. 25.10.2003, S. 32, zuletzt geändert durch Delegierter Be- 529/2013/EU, ABl.. EU Nr. L 156 v. 19.6.2018, S. 1. 17 schluss (EU) 2020/1071 der Kommission vom 18. Mai Es gibt verschiedene Flexibilitätsmöglichkeiten, der 2020, Abl. EU Nr. L 234 v. 21.7.2020, S. 16. Zukauf ist nur eine, aber wohl die bekannteste, davon. 15 Verordnung (EU) 2018/842 des Europäischen Parla- Vgl. Art. 5 Abs. 1 bis 5 Klimaschutzverordnung. 18 ments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Festlegung Land Use, Land Use Change und Forestry (Landnut- verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzie- zung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft). rung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 19 Es handelt sich hierbei um eine europäische Verord- 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks nung. Vorschlag der Kommission COM(2020) 80 final Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkom- vom 4.3.2020. men von Paris sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013, ABl. EU Nr. L 156 v. 19.6.2018, S. 26.
12 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG Juni 2021 formal verabschiedet werden. V. Einordnung der Eine informelle Einigung zwischen den eu- ropäischen Gesetzgebungsorganen liegt Wechselwirkungen zwischen bereits vor. Hierin wird erstmalig sekundär- Bundes-Klimaschutzgesetz und rechtlich ein EU-weites Ziel der Treibhaus- gasneutralität 20 bis 2050 verankert werden. Europäischen Zielen und Zudem sieht das Gesetz eine Erhöhung des Instrumenten EU-Ziels für 2030 auf eine Senkung der Net- totreibhausgasemissionen (Emissionen Auch jenseits möglicher Änderungen im nach Abzug des Abbaus) um mindestens Zuge der Implementierung des kommen- 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 vor. den europäischen Richtlinien- und Verord- Diese Erhöhung wird in den folgenden Jah- nungspaketes bestehen vielfältige Wech- ren durch eine Anpassung des gesamten selwirkungen mit dem Europarecht, die bestehenden europäischen Rechtsrahmens auch auf das Bundes-Klimaschutzgesetz umgesetzt werden. Die Vorschläge der wirken. Diesen Bezügen trägt auch der vor- Kommission sind für Mitte Juli 2021 ange- liegende Entwurf (partiell) Rechnung. kündigt 21. Noch ist nicht klar, wie genau der Zunächst wird festgehalten, dass das Bun- Rechtsrahmen umgestaltet werden wird. des-Klimaschutzgesetz die Erfüllung der Diesbezüglich müssen die Vorschläge der europäischen Vorgaben sicherstellen soll Kommission und das dann folgende Ge- (§ 1 S. 1, § 3 Abs. 3 S. 1, § 7 KSG). Es bleibt da- setzgebungsverfahren abgewartet werden. her eine fortlaufende Aufgabe, die Rück- Wie lange das Gesetzgebungsverfahren kopplung zu den europarechtlichen Ent- dauern wird, lässt sich nicht verlässlich ab- wicklungen zu gewährleisten. schätzen und hängt von vielen Faktoren ab. Dafür ist bereits im geltenden Bundes-Kli- Angemerkt sei in diesem Kontext aber Fol- maschutzgesetz Vorsorge getroffen wor- gendes: Es handelt sich um ein noch um- den, dass die so gesetzten Ziele sich nicht fassenderes Gesetzgebungspaket der Kom- von möglichen europäischen Entwicklun- mission als das Clean Energy for all Euro- gen abkoppeln. § 3 Abs. 3 S. 1 KSG, der zu- peans Package. Das angekündigte Paket künftig inhaltlich unverändert zu § 3 Abs. 4 soll zwölf Legislativvorschläge umfassen. S. 1 KSG werden soll, stellt dies klar: Jeder Vorschlag wird zwischen Rat der Eu- ropäischen Union und Parlament verhan- delt werden müssen. Diese Verhandlungen haben in der Vergangenheit bei einzelnen „(3) Sollten zur Erfüllung europäischer oder Neuregelungen von Rechtsakten zwischen internationaler Klimaschutzziele höhere na- ein bis drei Jahren gedauert. tionale Klimaschutzziele erforderlich wer- den, so leitet die Bundesregierung die zur Abhängig von der endgültigen Ausgestal- Erhöhung der Zielwerte nach Absatz 1 not- tung des Rechtsrahmens werden hierdurch wendigen Schritte ein.“ Umsetzungsbedarfe für das Bundes-Klima- schutzgesetz aber vor allen Dingen auch andere Gesetze entstehen. Für das 2030- Ein Spannungsverhältnis – gerade auch im Ziel in Deutschland gehen Szenarien dabei Hinblick auf die vom Bundesverfassungs- von einer Bandbreite von 62 bis 68 Prozent gericht geforderte Orientierungswirkung für die Gesamtminderung der deutschen des Bundes-Klimaschutzgesetzes 23 – ent- Treibhausgasemissionen aus 22. Insofern ist steht dadurch, dass das Bundes-Klima- das vorgeschlagene Ziel von 65 Prozent für schutzgesetz weder bisher noch zukünftig 2030 der Versuch diese Prozesse vorwegzu- zwischen den Bereichen unterscheidet, die nehmen. Ein Änderungsbedarf ist aber vom europäischen Emissionshandel erfasst nicht auszuschließen. sind und die in den Anwendungsbereich der EU-Klimaschutzverordnung fallen. 20 22 Auf der europäischen Ebene wird der Begriff Kli- Vgl. Expertenrat für Klimafragen, Bericht zur Vorjah- maneutralität verwendet. resschätzung der deutschen Treibhausgasemissionen 21 Das sogenannte Fit for 55-Paket; Aktuell könnte sich für das Jahr 2020 gemäß § 12 Abs. 1 Bundes-Klima- eine weitere Verschiebung in den September abzeich- schutzgesetz, S. 79 ff., insb. Rn. 168 f. 23 nen. Vgl. dazu oben B. I. 4.
13 Vielmehr umfassen die Ziele im Bundes-Kli- magesetz in den Sektoren Energiewirt- „(7) Die Bundesregierung wird dem Deut- schaft und Industrie Emissionsquellen aus schen Bundestag im Jahr 2028 einen Be- beiden Bereichen. richt zum Stand und zur weiteren Entwick- lung der CO2-Bepreisung innerhalb der Eu- Verschärfend kommt hinzu, dass derzeit im ropäischen Union sowie zu technischen Ent- Zuge des Green Deals darüber diskutiert wicklungen vorlegen. In dem Bericht wird wird, wie zukünftig die neuen Klimaschutz- die Bundesregierung auch untersuchen, ob ziele zwischen Klimaschutzverordnung und in der Zeit ab dem Jahr 2031 im Lichte die- Emissionshandelssystem aufgeteilt werden ser Entwicklungen auf die Zuweisung von oder ob ein neues europäisches Emissions- zulässigen Jahresemissionsmengen für ein- handelssystem für den Gebäude- und Ver- zelne Sektoren verzichtet werden kann. In kehrsbereich entstehen soll. Wird die Ambi- diesem Fall legt die Bundesregierung einen tionssteigerung auf europäischer Ebene entsprechenden Gesetzgebungsvorschlag durch eine Neujustierung zwischen europä- vor.“ ischen und mitgliedstaatlichen Steue- rungsansätzen gesteuert oder unverändert bzw. sogar primär über höhere national ver- Diese Neuregelung ist zeitlich im Kontext bindliche Ziele umgesetzt, kann dies wei- weiterer Normen einzuordnen. Dies betrifft tere Anpassungen in den von der Klima- zunächst den soeben genannten § 4 Abs. 1 schutzverordnung betroffenen Sektoren S. 5 KSG-E. Wichtig ist aber auch der ge- des Bundes-Klimaschutzgesetzes nach sich plante zeitliche Ablauf der Konkretisierung ziehen. des Reduktionspfades ab 2031. Gemäß § 4 Abs. 6 S. 1 KSG-E sind die Jahresemissi- Aus diesem Grund ist in dem Entwurf vor- onsmengen für den Zeitraum 2031 bis 2040 gesehen, dass die in Anlage 2 festgelegten bereits im Jahr 2024 durch Rechtsverord- zulässigen Jahresemissionsmengen im nung festzulegen. Im Zeitpunkt der nach Lichte möglicher Änderungen der Europäi- § 4 Abs. 7 KSG-E vorgesehenen Berichtsvor- schen Klimaschutzverordnung und der Eu- lage im Jahr 2028 wären eine Konkretisie- ropäischen Emissionshandelsrichtlinie zur rung daher bereits erfolgt, so dass der Re- Umsetzung des erhöhten Klimaziels der gelungsvorschlag und dort insbesondere Europäischen Union für das Jahr 2030 der Untersuchungsauftrag, zu prüfen, ob ab überprüft werden sollen. Dazu soll ein 2031 sektorenspezifische Jahresemissions- neuer Satz 5 in § 4 Abs. 1 KSG eingefügt werte verzichtbar sind, im Hinblick auf die werden: vom Bundesverfassungsgericht eingefor- derte Orientierungswirkung spät einge- plant ist. Anderseits ist aber auch zu beden- „Die Bundesregierung wird die in Anlage 2 ken, dass ein Bericht über die „weitere Ent- festgelegten zulässigen Jahresemissions- wicklung der CO 2-Bepreisung innerhalb der mengen im Lichte möglicher Änderungen Europäischen Union“ eine höhere Aussage- der Europäischen Klimaschutzverordnung kraft erhält, wenn der Abschluss der Ge- und der Europäischen Emissionshandels- setzgebungsvorhaben im Green Deal und richtlinie zur Umsetzung des erhöhten Kli- die Implementierung durch die Mitglied- maziels der Europäischen Union für das staaten bereits erfolgt ist und die Neurege- Jahr 2030 überprüfen und spätestens sechs lungen wirken konnten, um Erfahrungen Monate nach deren Inkrafttreten einen Ge- gesammelt zu haben. Gleichwohl erscheint setzgebungsvorschlag zur Anpassung der es sinnvoll unmittelbar nach Abschluss der zulässigen Jahresemissionsmengen in An- europäischen Rechtsetzung im Green Deal lage 2 vorlegen, soweit dies erforderlich er- analog zum vorgeschlagenen § 4 Abs. 1 scheint.“ S. 5 KSG-E schon zu diesem Zeitpunkt – also sechs Monate nach dem Abschluss der eu- ropäischen Rechtsetzung – über die auf die CO2-Bepreisung einwirkende neue europäi- In Zusammenhang mit dieser derzeit un- sche Rechtslage zu berichten und tatsächli- klaren Rechtsentwicklung steht auch eine che Entwicklungen abzuschätzen. weitere Neuregelung. An § 4 soll ein neuer Sollten weitere Sektoren zukünftig eben- Absatz 7 angefügt werden: falls dem bestehenden oder einem neuen zusätzlichen europäischen
14 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG Emissionshandel unterfallen, verstärkt sich ein bereits heute im Hinblick auf die Orien- tierungswirkung relevanter Handlungsbe- darf im Bundes-Klimaschutzgesetz. Je mehr Sektoren des Bundes-Klimaschutzge- setzes einem europaweiten Instrument – wie dem Emissionshandel – unterworfen sind, desto weniger Sektoren fallen unter die national verbindlichen Vorgaben für die einzelnen Mitgliedstaaten und desto gerin- ger sind die Möglichkeiten des deutschen Gesetzgebers auf die Entwicklungen Ein- fluss zu nehmen. Vor diesem Hintergrund ergibt es Sinn, neben den bestehenden Jahresemissionsmengen, eine stärkere Dif- ferenzierung zwischen den europäischen und den deutschen Handlungsbereichen als zusätzliche Steuerungsebene im Bun- des-Klimaschutzgesetz einzuführen.
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