Rechtliche Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nuk-leare Sicherheit des deutschen Bundestages am 21. Juni 2021

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Deutscher Bundestag
                         Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
                              und nukleare Sicherheit

                             Ausschussdrucksache
                                 19(16)589-H
                              öAnh. am 21.06.21                                                          I
                                   21.06.2021

         Die vorliegende Stellungnahme gibt nicht die Auffassung des Ausschusses wieder, sondern liegt
         in der fachlichen Verantwortung des/der Sachverständigen. Die Sachverständigen für
         Anhörungen/Fachgespräche des Ausschusses werden von den Fraktionen entsprechend dem
         Stärkeverhältnis benannt.

Rechtliche Stellungnahme zur
Anhörung des Ausschusses für
Umwelt, Naturschutz und nuk-
leare Sicherheit des deutschen
Bundestages am 21. Juni 2021

Zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Bundes-Klimaschutzgesetzes (Drs. 19/30230)

18.06.2021

erstellt von
Ass. iur. Thorsten Müller
Ass. iur. Daniela Fietze
Ass. iur. Hannah Scheuing
II Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG

Zitiervorschlag:
Müller/Fietze/Scheuing, Rechtliche Stellungnahme
zur Anhörung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und nukleare Sicherheit des deutschen
Bundestages am 21. Juni 2021,
18.06.2021.

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III

Inhaltsverzeichnis

A. Auf einen Blick _______________________________________________________________ 1

B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts __________________________________ 2
I. Kurze Darstellung der Entscheidung _____________________________________________________ 2
   1. Der Staat ist zum Klimaschutz und zur Herstellung von Klimaneutralität verpflichtet 2
     a) Indirekt: Klimaschutz als Ausfluss der Verpflichtung zum Schutz von Leben und
     körperlicher Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S 1 GG ________________________________________ 2
     b) Direkt: Klimaschutz als Staatspflicht, Art. 20a GG ____________________________________ 3
   2. Zwischenschritt: Operationalisierung der Temperaturgrenze über ein „CO2-Budget“ 3
   3. Die „intertemporal gerechte“ Verteilung des CO2-Budgets __________________________ 4
   4. KSG 2019 und intertemporale Freiheitssicherung ____________________________________ 4
II. Formelle Anforderungen an den Gesetzgeber: Ausgestaltung des
Emissionsminderungspfads ab 2031 _______________________________________________________ 5
III. Materieller Anforderungen an ein neues KSG __________________________________________ 5

C. Gesetzentwurf der Bundesregierung ________________________________________ 6
I. Beschreibung der Neuerungen ab 2031__________________________________________________ 6
   1. Neues Ziel der Klimaneutralität bis 2045 _____________________________________________ 6
   2. Ausgestaltung des Zielpfads ab 2031 bis zur Klimaneutralität ________________________ 7
II. Bewertung der Neuerungen vor dem Hintergrund des Beschlusses des
Bundesverfassungsgerichts _______________________________________________________________ 8
   1. Hinreichende Orientierung für Entwicklungsprozesse hin zur Klimaneutralität? _____ 8
   2. Rechtzeitige und hinreichend weit in die Zukunft reichende Festlegung? ___________ 9
III. Beschreibung der Änderungen bis 2030 ______________________________________________ 10
IV. Europarechtliche Hintergründe zur Änderung des Pfades bis 2030 im Bundes-
Klimaschutzgesetz ________________________________________________________________________ 11
V. Einordnung der Wechselwirkungen zwischen Bundes-Klimaschutzgesetz und
Europäischen Zielen und Instrumenten __________________________________________________ 12
1

A. Auf einen Blick
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Ersten       Im Fall der Verabschiedung des Gesetzent-
Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klima-         wurfes dürften die vom Bundesverfas-
schutzgesetzes (Drs. 19/30230) zieht die        sungsgericht für nicht mit dem Grundge-
Bundesregierung Konsequenzen aus dem            setz vereinbar befunden Regelungen des
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts         Bundes-Klimaschutzgesetzes so verändert
vom 24. März 2021.                              werden, dass dem Tenor der Entscheidung
                                                ausreichend Rechnung getragen wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat festge-
stellt, dass sich sowohl aus den Grundrech-     Gleichwohl wird die Ausgestaltung des
ten als auch aus dem Umweltstaatsprinzip        Bundes-Klimaschutzgesetzes und – im Hin-
des Art. 20a GG eine Pflicht zum Klima-         blick auf den Klimaschutz letztlich allein
schutz ergibt. Dadurch muss letztlich Kli-      entscheidend – der einzelnen Instrumente
maneutralität erreicht werden.                  zur Erreichung der gesetzten Ziele eine
                                                dauerhafte Aufgabe des Gesetzgebers blei-
Tragend für die Entscheidung ist die Vor-
                                                ben.
gabe der „intertemporalen Freiheitssiche-
rung“. Die erforderlichen Emissionsminde-       Eine wichtige Aufgabe wird dabei die Ab-
rungen zur Erreichung des Ziels der Kli-        stimmung der Regelungen im Bundes-Kli-
maneutralität dürfen nicht einseitig in die     maschutzgesetz mit den (zukünftigen) Vor-
Zukunft verlagert werden, weil ansonsten        gaben des Europarechts bleiben.
künftig einschneidende Maßnahmen in na-
hezu allen Lebensbereichen und damit
eine erhebliche Beschneidung der Freiheit
drohten.
Das Bundesverfassungsgericht hat dabei
dem Gesetzgeber einen weiten Entschei-
dungs- und Gestaltungsspielraum zugeord-
net. Zur Erreichung der Klimaneutralität
muss der Gesetzgeber dreistufig vorgehen:
▶ Konkret obliegt es diesem zunächst als
  ersten Schritt das Temperaturniveau zu
  bestimmen, das auch vor dem Hinter-
  grund der Schutzpflicht des Staates noch
  als tragbar angesehen wird. Die bisherige
  Festlegung auf das Ziel des Pariser
  Klimaabkommens von „deutlich unter
  2°C und möglichst auf 1,5°C“ ist derzeit
  verfassungsrechtlich nicht zu kritisieren.
▶ Als zweiten Schritt muss der deutsche
  Beitrag zum Erreichen dieses weltweiten
  Ziels bestimmt werden. Daraus resultiert
  ein verbleibendes Restbudget.
▶ Im verbleibenden dritten Schritt muss
  der Gesetzgeber dieses Budget dann
  zeitlich so ausgestalten, dass eine unglei-
  che Freiheitsbeschränkung heute und in
  anderen Zeitabschnitten bis zur Errei-
  chung der Klimaneutralität vermieden
  wird, um die Grundrechte später nicht
  unverhältnismäßig weit beschränken zu
  müssen.
2 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG

B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Der Beschluss des Bundesverfassungsge-
                                                       a) Indirekt: Klimaschutz als Ausfluss der
richts vom 24. März 2021 1 wird zunächst
kurz dargestellt (I.). Anschließend werden
                                                       Verpflichtung zum Schutz von Leben und
die formellen Folgen des Beschlusses (II.)             körperlicher Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2
sowie die sich aus dem Beschluss ergeben-              S. 1 GG
den materiellen Kriterien für ein neues Kli-           Der Senat bestätigt zunächst, dass Art. 2
maschutzgesetz erläutert (III.).                       Abs. 2 S. 1 GG den Staat grundsätzlich zum
                                                       Klimaschutz verpflichte. Denn die daraus
                                                       folgende Schutzpflicht des Staats
I. Kurze Darstellung der
Entscheidung
                                                       „umfasst auch die Verpflichtung, Leben und
Das Bundesverfassungsgericht stellt zu-                Gesundheit vor den Gefahren des Klima-
nächst fest, dass das Grundgesetz den Ge-              wandels zu schützen“ (Rn. 148).
setzgeber zum Klimaschutz und zur Errei-
chung der Klimaneutralität verpflichte (1.).
Um das Klimaschutzziel als Maßgabe für                 Eine Verletzung dieser Schutzpflicht sei
die notwendige Begrenzung von CO 2-Emis-               aber nicht feststellbar. Dies wäre nur der
sionen zu operationalisieren, greift das Ge-           Fall, wenn
richt auf einen Budgetansatz zurück (2.).
Aus den Freiheitsrechten des Grundgeset-
zes folge, dass die – der Bundesrepublik               „(…) Schutzvorkehrungen entweder über-
verbleibenden – Möglichkeiten zum CO 2-                haupt nicht getroffen sind, wenn die ge-
Ausstoß gerecht zwischen den Generatio-                troffenen Regelungen und Maßnahmen of-
nen aufgeteilt werden müssten (3.). An den             fensichtlich ungeeignet oder völlig unzu-
unter 3. entwickelten Maßstäben misst das              länglich sind, das gebotene Schutzziel zu er-
Gericht sodann das Klimaschutzgesetz (4.).             reichen, oder wenn sie erheblich hinter dem
                                                       Schutzziel zurückbleiben“ (Rn. 152).

1. Der Staat ist zum Klimaschutz und zur
                                                       Der Gesetzgeber habe auch aufgrund der
Herstellung von Klimaneutralität
                                                       Unsicherheiten der naturwissenschaftli-
verpflichtet                                           chen Erkenntnisse einen weiten Einschät-
                                                       zungsspielraum (vgl. etwa Rn. 162). Aber
Eine staatliche Pflicht zum Klimaschutz lei-
                                                       dieser sei nicht unbegrenzt:
tet der Erste Senat des Bundesverfassungs-
gerichts aus zwei grundgesetzlichen Ge-
währleistungen ab:
                                                       „Ungeeignet wäre allerdings ein Schutzkon-
▶ Zunächst aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, der              zept, das zwar auf eine Reduktion der Treib-
  grundrechtlichen Gewährleistung von                  hausgasemissionen gerichtet wäre, ohne
  Leben und körperlicher Unversehrtheit.               dabei aber das Ziel der Klimaneutralität (vgl.
  Die Folgen des Klimawandels könnten                  § 2 Nr. 9 KSG) zu verfolgen. Erst wenn Treib-
  diese Schutzgüter beeinträchtigen (a)).              hausgasemissionen auf ein klimaneutrales
▶ Aber auch ohne den „Umweg“ über die                  Niveau beschränkt werden, kann die Erder-
  Grundrechte erkennt der Staat eine                   wärmung aufgehalten werden (…).“ (Rn. 155)
  Pflicht zum Klimaschutz an. Verankert sei
  diese in Art. 20a GG (b)).

 1
  Az. 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR
 288/20.
3

Dieses Ziel strebe das Klimaschutzgesetz                   Konkretisierung müsse sich aber innerhalb
jedoch an, so dass keine Ungeeignetheit                    der verfassungsrechtlichen Grenzen bewe-
festzustellen sei.                                         gen 2.
Bei der Prüfung, ob eine Schutzpflichtver-                 Ausgehend davon sei die derzeitige Kon-
letzung vorliege, sei zu beachten, dass Kli-               kretisierung in § 1 Satz 3 KSG, den Anstieg
maschutz- und Gesundheitsschutzerforder-                   der globalen Durchschnittstemperatur auf
nisse durchaus auseinanderfallen könnten:                  deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C
                                                           gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu
                                                           begrenzen, nicht zu bemängeln. (Rn. 211).
                                                           Diese Temperaturgrenze sei daher als ver-
„Während der Klimawandel als solcher
                                                           fassungsrechtlich maßgebliche Konkreti-
nicht durch Anpassungsmaßnahmen ver-
                                                           sierung auch der verfassungsgerichtlichen
hindert werden kann und insoweit alle An-
                                                           Prüfung zugrunde zu legen (Rn. 208).
strengungen auf die Begrenzung der Erder-
wärmung zu richten sind, ist bei den Gefah-                Der Senat betont, dass Art. 20a GG auch auf
ren für Leben und Gesundheit prinzipiell ein               das Erreichen von Klimaneutralität ziele:
ergänzender Schutz durch Anpassungs-
maßnahmen möglich.“ (Rn. 164)
                                                           „Sind die verfassungsrechtlichen Grenzen
Daran gemessen sei weder die Festlegung                    der weiteren Erderwärmung erreicht, ver-
der Temperaturschwelle in § 1 S. 3 KSG auf                 pflichtet das verfassungsrechtliche Klima-
„deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C“               schutzgebot dazu, Treibhausgasemissionen
noch der in § 3 Abs. 1 Satz 2 KSG und in § 4               auf ein für die Treibhausgaskonzentration in
Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit An-                    der Erdatmosphäre neutrales Maß zu be-
lage 2 geregelte Emissionsreduktionspfad                   grenzen.“ (Rn. 198)
eine Schutzpflichtverletzung (Rn. 163 bzw.
168).

b) Direkt: Klimaschutz als Staatspflicht,                  2. Zwischenschritt: Operationalisierung
Art. 20a GG                                                der Temperaturgrenze über ein „CO2-
                                                           Budget“
Aus der Verpflichtung des Staats gem.
Art. 20a GG, „die natürlichen Lebensgrund-                 Um das verfassungsrechtlich maßgebliche
lagen und die Tiere (…) [zu] schützen“, leitet             Temperaturziel als Maßgabe für die Be-
der Senat ausdrücklich auch eine Pflicht                   grenzung von CO 2-Emissionen anwenden
zum Klimaschutz ab:                                        zu können, sei

„Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Kli-               „eine Übersetzung (…) in eine Emissions-
maschutz.“ (Rn. 198)                                       maßgabe erforderlich“. (Rn. 215)

Dies bedeute v.a. die „(…) Einhaltung einer                ▶ Dafür müsse nach der erfolgten Bestim-
Temperaturschwelle, bei der die durch                        mung der relevanten Temperatur-
Menschen verursachte Erwärmung der                           schwelle 3 in einem zweiten Schritt „die
Erde angehalten werden soll“ (Rn. 198).                      globale Emissionsmenge ermittelt wer-
Das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG und                     den, die verbleibt, wenn die konkrete
damit auch die maßgebliche Temperatur-                       Temperaturschwelle eingehalten werden
schwelle dürfe und müsse der Gesetzgeber                     soll – das ist das konkrete globale CO 2-
– in einem ersten Schritt – konkretisieren                   Restbudget“ (Rn. 216).
(„Konkretisierungsauftrag und Konkretisie-                 ▶ In einem dritten Schritt sei der auf
rungsprärogative“, Rn. 208). Eine solche                     Deutschland entfallende Anteil zu

 2
  Das läuft im Ergebnis auf eine verfassungsgerichtli-      3
                                                                Siehe dazu oben unter I. 1. b).
 che Evidenzkontrolle der Konkretisierung hinaus – ist
 diese geeignet, um die durch Menschen verursachte
 Erderwärmung aufzuhalten?, vgl. dazu Rn. 207, 211, 212.
4 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG

  bestimmen – das sei “das nationale CO 2-              Maßnahmen in nahezu allen Lebensberei-
  Restbudget“ (Rn. 216).                                chen (Rn. 186).
Eine solche Übersetzungsleistung böte für
die globale Ebene das (bzw. die, der Senat
weist auf die verschiedenen IPCC-Szenarien              „Ein schneller Verbrauch des CO2-Budgets
hin, vgl. Rn. 219) IPCC-Budget sowie für die            schon bis 2030 verschärft (…) das Risiko
nationale Ebene das vom SRU ermittelte                  schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil
nationale Restbudget von 6,7 Gigatonnen 4.              damit die Zeitspanne für technische und so-
                                                        ziale Entwicklungen knapper wird, mit de-
Das Gericht erkennt an, dass teils erhebli-
                                                        ren Hilfe die Umstellung von der heute noch
che Ungewissheiten mit Blick auf die Bud-
                                                        umfassend mit CO2-Emissionen verbunde-
getberechnungen des IPCC bestehen, die
                                                        nen Lebensweise auf klimaneutrale Verhal-
Berechnungen des Sachverständigenrates
                                                        tensweisen freiheitsschonend vollzogen
für Umweltfragen enthielten darüber hin-
                                                        werden könnte (oben Rn. 121). (…) Je weni-
aus „Wertungen und eigene Ungewisshei-
                                                        ger aber auf solche Entwicklungen zurück-
ten“ (Rn. 222 bzw. 224).
                                                        gegriffen werden kann, desto empfindlicher
Aber, so der Senat: „Dass die Berechnung                werden die Grundrechtsberechtigten von
des Sachverständigenrats Unsicherheiten                 den bei schwindendem CO2-Budget verfas-
und Wertungen enthält, lässt (…) nicht etwa             sungsrechtlich immer drängenderen Be-
darauf schließen, dass tatsächlich eher wei-            schränkungen CO2-relevanter Verhaltens-
tergehende Emissionsmöglichkeiten ver-                  weisen getroffen.“ (Rn. 186)
blieben. Die Unsicherheiten bei der Bestim-
mung des globalen Restbudgets und des-
sen Verteilung auf die Staaten gehen in
beide Richtungen, könnten also auch zu ei-
                                                        4. KSG 2019 und intertemporale
ner zu großzügigen Schätzung geführt ha-                Freiheitssicherung
ben“ (Rn. 228). Obwohl die vom Sachver-
ständigenrat angegebene Budgetgröße                     Mit Blick auf die Regelungen des KSG, die
„(k)ein zahlengenaues Maß für die verfas-               CO 2-Emissionen bis 2030 erlauben, führt
sungsgerichtliche Kontrolle“ biete (Rn. 229),           das Gericht aus, dass es ungewiss sei, ob
müssten die gesetzlichen Reduktionsmaß-                 das verbleibende Restbudget mit den ge-
gaben dem CO 2-Restbudget „Rechnung                     troffenen Regelungen eingehalten werden
tragen“ (Rn. 229).                                      könne (Rn. 231). Im Ergebnis könne aber

3. Die „intertemporal gerechte“                         „derzeit nicht festgestellt werden, dass der
Verteilung des CO2-Budgets                              Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen
                                                        Entscheidungsspielraum überschritten“
Denn, so der Senat, auch ein mit erhebli-
chen Unsicherheiten verbundenes nationa-
                                                        habe (Rn. 236).
les CO2-Restbudget müsse nach den Maß-
stäben einer „intertemporalen Freiheitssi-              Die Schonung künftiger Freiheiten ver-
cherung“ (Rn. 183) aufgeteilt werden.                   lange aber ein frühzeitiges Handel des Ge-
                                                        setzgebers:
Das bedeutet, dass die vor dem Hinter-
grund von Art. 20a GG, § 1 S. 3 KSG und ei-
nem entsprechenden nationalen Rest-
budget erforderlichen Emissionsminderun-                „Praktisch verlangt die Schonung künftiger
gen (Ziel: Klimaneutralität, siehe oben 1.)             Freiheit hier den Übergang zu Klimaneutra-
nicht einseitig in die Zukunft verlagert wer-           lität rechtzeitig einzuleiten. In allen Lebens-
den dürften (Rn. 183). Andernfalls drohten              bereichen ‒ etwa Produktion, Dienstleis-
künftigen Generationen einschneidende                   tung, Infrastruktur, Verwaltung, Kultur und
                                                        Konsum, letztlich bezüglich aller heute

 4
  Der SRU hatte sich hierzu auf das Szenario des IPCC
 berufen, die Erderwärmung mit einer Wahrscheinlich-
 keit von 67 % auf 1,75°C zu begrenzen (Rn. 219).
5

noch CO2-relevanten Vorgänge – müssen
Entwicklungen einsetzen, die ermöglichen,       „§ 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4 Absatz 1 Satz 3
dass von grundrechtlicher Freiheit auch         Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezem-
später noch, dann auf der Grundlage CO2-        ber 2019 (Bundesgesetzblatt I Seite 2513) in
freier Verhaltensalternativen, gehaltvoll Ge-   Verbindung mit Anlage 2 sind mit den
brauch gemacht werden kann.“ (Rn. 248)          Grundrechten unvereinbar, soweit eine den
                                                verfassungsrechtlichen Anforderungen
                                                nach Maßgabe der Gründe genügende Re-
Der Gesetzgeber müsse
                                                gelung über die Fortschreibung der Minde-
                                                rungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031
                                                fehlt.“
„einer möglichst frühzeitigen Einleitung der
erforderlichen Entwicklungs- und Umset-
                                                Unter 4. beschließt er:
zungsprozesse auch für die Zeit nach 2030
Orientierung biete(n) und diesen damit zu-
gleich ein hinreichendes Maß an Entwick-
lungsdruck und Planungssicherheit vermit-       „Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätes-
tel(n)“ (Rn. 249).                              tens bis zum 31. Dezember 2022 die Fort-
                                                schreibung der Minderungsziele für Zeit-
                                                räume ab dem Jahr 2031 nach Maßgabe der
Reduktionsmaßgaben müssten „rechtzeitig
                                                Gründe zu regeln. § 3 Absatz 1 Satz 2 und § 4
über das Jahr 2030 hinaus und zugleich
                                                Absatz 1 Satz 3 Bundes-Klimaschutzgesetz
hinreichend weit in die Zukunft hinein fest-
                                                vom 12. Dezember 2019 (Bundesgesetzblatt
gelegt werden“ (Rn. 253).
                                                I Seite 2513) in Verbindung mit Anlage 2
Gemessen daran stellte das Bundesverfas-        bleiben anwendbar.“
sungsgericht für den insoweit relevanten
§ 4 Abs. 6 KSG einen Verstoß gegen das
Grundgesetz fest: Hier sei unklar, wie weit
in die Zukunft die von der Bundesregierung      III. Materieller Anforderungen an ein
im Jahr 2025 für „weitere Zeiträume nach
                                                neues KSG
dem Jahr 2030“ (so der Gesetzestext) rei-
chen müssten. „Vielmehr müsste zumin-
                                                Eine Neugestaltung des Reduktionspfades
dest bestimmt werden, in welchen Zeitab-
                                                für die Zeit nach 2021 muss den Maßstäben
ständen weitere Festlegungen transparent
                                                der intertemporalen Freiheitssicherung ge-
zu treffen sind“ (Rn. 257). Zudem sei „(n)ach
                                                nügen. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber
dem in § 4 Abs. 6 KSG geregelten Vorgehen
nicht gesichert, dass der weitere Redukti-      ▶ einer möglichst frühzeitigen Einleitung
onspfad rechtzeitig erkennbar ist“ (Rn. 259).     der erforderlichen Entwicklungs- und
„Nach der Regelung sollen Festlegungen            Umsetzungsprozesse auch für die Zeit
erst im Jahr 2025 getroffen werden. Bis           nach 2030 Orientierung bieten muss
2025 besteht demnach keine Planung über           (Rn. 249) und
das Jahr 2030 hinaus. Für die folgende Zeit
                                                ▶ dieser ein hinreichendes Maß an Ent-
bleibt so eine Vorbereitungszeit von ledig-
                                                  wicklungsdruck und Planungssicherheit
lich fünf Jahren. Ein hinreichender Pla-
                                                  vermitteln muss (Rn. 249).
nungshorizont dürfte damit etwa in vielen
Produktions-, Konsum- oder Infrastruktur-       Insbesondere müssen
bereichen kaum rechtzeitig entstehen kön-
nen“ (Rn. 258).
                                                „(…) weitere Jahresemissionsmengen und
                                                Reduktionsmaßgaben so differenziert fest-
II. Formelle Anforderungen an den               gelegt werden, dass eine hinreichend kon-
Gesetzgeber: Ausgestaltung des                  krete Orientierung entsteht.“ (Rn. 254)

Emissionsminderungspfads ab 2031
                                                Diese Reduktionsmaßgaben müssen
                                                „rechtzeitig (…) und zugleich hinreichend
Vor diesem Hintergrund hat der Senat un-
                                                weit in die Zukunft hinein festgelegt wer-
ter 2. tenoriert:
                                                den“ (Rn. 253).
6 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG

C. Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf (KSG-                     Nach 2050 sollen negative Treibhaus-
E) reagiert die Bundesregierung auf den                      gasemissionen angestrebt werden
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.                     (§ 3 Abs. 2 S. 2 KSG-E).
Dabei wird zunächst der Zeitraum ab 2031
                                                             Der zentrale Begriff der Netto-Treibhaus-
neu geregelt, dessen bisherige Vorgaben
                                                             gasneutralität wird in § 2 Nr. 9 des gelten-
für verfassungswidrig erklärt worden sind 5
                                                             den Klimaschutzgesetzes (KSG) definiert als
(vgl. sogleich I.). Die geplante Neuregelung
dürfte dabei den Anforderungen des Bun-
desverfassungsgerichts genügen (unten II.).
Die Bundesregierung schlägt aber über die                    „Gleichgewicht zwischen anthropogenen
direkten Anforderungen des Bundesverfas-                     Emissionen von Treibhausgasen aus Quel-
sungsgericht auch Änderungen für die Zeit                    len und dem Abbau solcher Gase durch
bis 2030 vor (unten III.), womit sie den poli-               Senken“.
tisch beschlossenen Anhebungen der euro-
päischen Klimaschutzziele Rechnung trägt
                                                             Das genaue Verhältnis dieser beiden Mög-
(unten IV.). Allerdings ist die Abstimmung                   lichkeiten – Vermeidung und Abbau –
der Ziele im Mehrebenensystem noch ver-
                                                             bleibt jenseits der Festlegungen für die Re-
besserungswürdig (unten V.).
                                                             duktionsverpflichtung im Jahr 2040 von
                                                             minus 88 Prozent derzeit noch unbe-
I. Beschreibung der Neuerungen ab
                                                             stimmt. In der Gesetzesbegründung ist al-
2031                                                         lerdings angegeben, dass nach derzeitigen
                                                             Annahmen zur Erreichung von Netto-Treib-
Für die für verfassungswidrig erklärten Re-                  hausgasneutralität eine Minderung der
gelungen des Klimaschutzgesetzes für die                     menschlich veranlassten Freisetzung von
Zeit ab 2031 trifft der Gesetzgeber zwei Ent-                Treibhausgasen um mindestens 97 Prozent
scheidungen. Zum einen definiert er das                      gegenüber dem Basisjahr 1990 anzustreben
Ziel der Treibhausgasneutralität zeitlich                    ist 7. Die restlichen Emissionen müssen
neu und schreibt dieses bereits für 2045 vor                 durch Senken ausgeglichen werden.
(dazu sogleich 1.). Daneben wird der Reduk-
                                                             Eine Definition oder Konkretisierung der
tionspfad ab 2031 neu ausgestaltet (un-
                                                             Senken und ihrer Wirkungen ist im Gesetz-
ten 2.).
                                                             entwurf nicht enthalten. Allerdings soll im
                                                             neuen § 3a KSG-E auch der „Beitrag des
                                                             Sektors Landnutzung, Landnutzungsände-
1. Neues Ziel der Klimaneutralität bis
                                                             rung und Forstwirtschaft“ erstmalig ausge-
2045                                                         staltet werden. Dessen Wirkung „zum Kli-
                                                             maschutz“ soll gestärkt und verbessert wer-
Bis zum Jahr 2045 sollen die Treibhaus-
                                                             den. Dazu sollen die Emissionsbilanzen die-
gasemissionen so weit gemindert werden,
                                                             ses Sektors in den Jahren 2027 bis 2030 ins-
dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht
                                                             gesamt auf minus 100 Millionen Tonnen
wird (§ 3 Abs. 2 KSG-E) 6.
                                                             Kohlendioxidäquivalent, in den Jahren 2037
                                                             bis 2040 auf minus 140 Millionen Tonnen
                                                             Kohlendioxidäquivalent und in den Jahren
                                                             2042 bis 2045 auf mindestens minus 160

                                                              7
 5
     Vgl. bereits oben B. II.                                   Das geht über das Maß hinaus, dass im ursprüngli-
 6
   Entsprechend der Neubestimmung des Ziels wird das          chen Referentenentwurf für das KSG des BMU vom
 bisher in der Zweckbestimmung des Gesetzes, § 1              Februar 2019 vorgesehen war; dort war in
 S. 3 KSG, enthaltene Bekenntnis Treibhausgasneutrali-        § 3 Abs. 1 Nr. 4 KSG-RefE eine Reduktion von 95 % vor-
 tät bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen, gestri-    geschlagen worden; vgl. https://www.raiffei-
 chen, Art. 1 Nr. 2 des KSG-E. Die Verschiebung und Um-       sen.de/sites/default/files/2019-02/BMU_RefE_Klima-
 formulierung beseitigt letzte Zweifel, ob es sich bei der    schutzgesetz_Stand18022019.pdf.
 Klimaneutralität um ein verbindliches Klimaschutzziel
 handelt. Dies ist nunmehr zukünftig der Fall.
7

Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent                S. 7 KSG-E). Die jährlichen Minderungsziele
gesteigert werden.                                     sollen zukünftig neben den zulässigen Jah-
                                                       resemissionsmengen verbindlich sein, so-
Diese Mengen werden nicht mit den Re-
                                                       weit das Gesetz auf sie Bezug nimmt
duktionsvorgaben nach § 3 Abs. 1 KSG-E
                                                       (§ 4 Abs. 1 S. 9 KSG-E).
verrechnet. Dies wird deutlich, weil § 3
Abs. 1 KSG-E die Minderung der Treibhaus-              Die Aufteilung der jährlichen Minderungs-
gasemissionen verlangt und damit gerade                ziele in zulässige Jahresemissionsmengen
keine Saldierung vornimmt. Zudem regelt                für die sechs Sektoren des KSG soll unver-
§ 3a KSG-E den Beitrag der genannten Sen-              ändert durch Rechtsverordnung der Bun-
ken „zum Klimaschutz“ und nicht der Treib-             desregierung mit Zustimmung des Deut-
hausgasminderung. Im Rahmen der Treib-                 schen Bundestages erfolgen (§ 4 Abs. 1 S. 8,
hausgasneutralität ab 2045 wirken dann                 Abs. 6 KSG-E). Hierfür sollen nach dem vor-
aber Treibhausgasminderung und der Bei-                liegenden Entwurf zur Änderung des Kli-
trag der Senken zusammen.                              maschutzgesetzes aber zukünftig gegen-
                                                       über der bisherigen Rechtslage genauere
                                                       Vorgaben gemacht werden:
2. Ausgestaltung des Zielpfads ab 2031
                                                       ▶ Im Jahr 2024 hat die Bundesregierung
bis zur Klimaneutralität
                                                         demnach die zulässigen Jahresemissi-
                                                         onsmengen der einzelnen Sektoren für
Für den Weg zum Fernziel Klimaneutralität
                                                         die Jahre 2031 bis 2040 festzulegen. Im
2045 sind verschiedene neue Regelungen
                                                         Jahr 2034 erfolgt dann die Festlegung für
vorgesehen. Diese definieren den Zielpfad
                                                         die Jahre 2041 bis 2045 (§ 4 Abs. 1 S. 8,
ab 2031 bzw. legen die Basis für die Ausge-
                                                         Abs. 6 S. 1,S. 5 KSG-E).
staltung durch den Verordnungsgeber.
                                                       ▶ Die festzulegenden Jahresemissionsmen-
▶ Für das Jahr 2040 soll erstmalig ein Re-
                                                         gen sollen dabei jährlich in grundsätzlich
  duktionsziel im Vergleich zum Jahr 1990
                                                         gleichmäßigen Schritten absinken müs-
  von mindestens 88 Prozent gelten
                                                         sen (§ 4 Abs. 6 S. 1 KSG-E).
  (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 KSG-E).
                                                       ▶ Zudem müssen sie im Einklang stehen
▶ Für den Zeitraum 2031 bis 2040 sollen zu-
                                                         mit der Erreichung der nationalen Klima-
  dem erstmalig jährliche Minderungsziele
                                                         schutzziele, mit den jährlichen Minde-
  vorgegeben werden (§ 4 Abs. 1 S. 6 i. V. m.
                                                         rungszielen und den unionsrechtlichen
  Anlage 3 KSG-E; s. unten Abbildung 1).
                                                         Anforderungen. Dabei ist sicherzustellen,
Die jährlichen Minderungsziele sind sekto-               dass in jedem Sektor deutliche Reduzie-
renübergreifend. Durch sie soll ein Minde-               rungen der Treibhausgase erreicht wer-
rungspfad zwischen den Zielen für 2030                   den (§ 4 Abs. 6 S. 2 KSG-E). Die Regelung
und 2040 festgelegt werden. Spätestens im                ergänzt bei den wesentlichen Kriterien
Jahr 2032 hat die Bundesregierung einen                  für die Bemessung der zulässigen Jahres-
Gesetzgebungsvorschlag zur Festlegung                    emissionsmengen die bereits bisher zu
der jährlichen Minderungsziele für die                   berücksichtigenden nationalen Klima-
Jahre 2041 bis 2045 vorzulegen (§ 4 Abs. 1               schutzziele und unionsrechtlichen Anfor-
                                                         derungen (§ 4 Abs. 6 KSG) um die jährli-
                                                         chen Minderungsziele.

  Anlage 3 – Jährliche Minderungsziele für die Jahre 2031 bis 2040

                       2031    2032    2033     2034     2035    2036   2037    2038    2039   2040

   Jährliche
   Minderungsziele      67%    70%     72%      74%      77%     79%     81%    83%     86%    88%
   gegenüber 1990

  Abbildung 1: Anlage 3 des Entwurfes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes
8 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG

II. Bewertung der Neuerungen vor                           grundsätzlich gleichmäßigen Schritten er-
                                                           folgen müssen, § 4 Abs. 6 S. 1 KSG-E.10
dem Hintergrund des Beschlusses
                                                           Trotz dieser zusätzlichen Konkretisierungen
des Bundesverfassungsgerichts                              im Bundes-Klimaschutzgesetz selbst, bleibt
                                                           allerdings eine grundsätzliche Entschei-
Nach den oben unter B. III. dargestellten                  dung offen. Die genaue Verteilung des im
Anforderungen des Bundesverfassungsge-                     Jahre 2030 verbleibenden Restbudgets auf
richts muss das neue Klimaschutzgesetz so                  die einzelnen Sektoren nach 2031 ist jen-
gestaltet sein, dass Jahresemissionsmen-                   seits dieser Orientierungsaussagen nicht
gen und Reduktionsmaßgaben so differen-                    eindeutig festgelegt. Diese Entscheidung
ziert festgelegt werden, dass hinreichend                  verbleibt weiterhin bei der Bundesregie-
konkrete Orientierung für die notwendigen                  rung als Verordnungsgeberin. Diese Festle-
Entwicklungsprozesse hin zu klimaneutra-                   gung hat aber grundlegende Bedeutung
len Verhaltensweisen geboten wird (1.).                    für die einzelnen Sektoren und kann – je
Diese Vorgaben müssen rechtzeitig und zu-                  nachdem, wie sie ausfällt – ganz unter-
gleich hinreichend weit in die Zukunft fest-               schiedlichen Entwicklungen erfordern.
gelegt werden (2.).
                                                           Gegen die Regelungstechnik im Klima-
                                                           schutzgesetz, die konkrete Entscheidung
                                                           über die jährlichen Emissionsminderungen
1. Hinreichende Orientierung für
                                                           pro Sektor per Rechtsverordnung zu tref-
Entwicklungsprozesse hin zur
                                                           fen, hat das Bundesverfassungsgericht aber
Klimaneutralität?
                                                           ausdrücklich keine Einwände erhoben
                                                           (Rn. 259). Der Gesetzgeber müsse dem Ver-
Hinreichende Orientierung sollen vor allem
                                                           ordnungsgeber aber „wesentliche Kriterien
die Anlage 3 – die jährlichen sektorüber-
                                                           für die Bemessung der jährlichen Mengen
greifenden Minderungsziele – und die Vor-
                                                           vorgeben“ (Rn. 259).
gaben an den Verordnungsgeber in § 4
Abs. 6 S. 1-3 KSG-E bieten 8.
Durch diese Vorgaben wird die Gestal-
                                                           „Denkbar ist etwa, dass der Gesetzgeber
tungsfreiheit des Verordnungsgebers teil-
                                                           Minderungsquoten für bestimmte Zieljahre
weise eingeschränkt. Es werden genaue
                                                           vorgibt. Weil diese für sich genommen
zeitliche Vorgaben für den Zeitpunkt der
                                                           nicht aussagekräftig sind (oben Rn. 125),
Festlegung und die festzulegenden Zeit-
                                                           müsste er dann aber zusätzlich nähere Vor-
räume gemacht. Zudem wird sichergestellt,
                                                           gaben zu dem zum Zieljahr führenden Re-
dass Emissionsreduzierungen in allen Sek-
                                                           duktionspfad machen“ (Rn. 264).
toren vorgenommen werden und diese
kontinuierlich über den Zeitverlauf erfol-
gen.                                                       Hier greift das Gericht ein grundsätzliches
                                                           Spannungsverhältnis zwischen dem Grad
Tatsächlich bietet das KSG-E damit mehr                    an Orientierung, welcher auf der abstrakten
an Orientierung als das bisherige Bundes-                  Gesetzesebene überhaupt vermittelbar ist,
Klimaschutzgesetz. So ergeben sich aus der                 und dem nötigen Entwicklungsdruck in-
Anlage 2 zulässige Emissionsmengen für                     nerhalb der einzelnen Sektoren auf. Dieses
das Jahr 2030, also das Jahr vor dem neu zu                Spannungsverhältnis ist grundgesetzlich
regelnden Zeitraum ab 2031. In Verbindung                  vorgesehen, soll das Gesetz doch gerade
mit der Anlage 3 9 – den jährlichen sekto-                 „wesentliche“ Entscheidungen treffen 11, die
rübergreifenden Minderungszielen ab 2031                   konkrete Ausgestaltung aber dem Verord-
– sind hier jedenfalls mögliche Entwick-                   nungsgeber überlassen (dürfen), vgl. auch
lungskorridore erkennbar. Dazu kommt die                   Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG.
Vorgabe, dass „in jedem Sektor deutliche
Reduzierungen“ erzielt werden müssen, § 4                  Diese „wesentlichen“ Entscheidungen hat
Abs. 6 S. 3 KSG-E, und diese in                            der Gesetzgeber in § 4 Abs. 6 S.1, S. 3 KSG-E

 8
      Vgl. auch die Begründung, BT-Drs. 19/30230, S. 21.    Abs. 6 S. 2 KSG-E, bietet hingegen keine weiterge-
 9
      Vgl. oben unter B. I. 2.                              hende Orientierung.
                                                            11
 10
  Die Vorgabe, die Jahresemissionsmengen müssten              BVerfGE 56, 1 (13); vgl. BVerfGE 141, 143 (170); BVerfGE
 mit höherrangigem Recht übereinstimmen, siehe § 4          147, 253 (309 f.); BVerfGE 150, 1 (99 ff.).
9

aber getroffen: mit der Grundaussage, dass                   Dies dürfte jedenfalls hinreichend weit in
alle Sektoren einen deutlichen Klima-                        die Zukunft gehen. Ob es auch rechtzeitig
schutzbeitrag leisten müssen und dass die-                   ist, muss differenzierter betrachtet werden:
ser grundsätzlich kontinuierlich und gleich-
                                                             Das Bundesverfassungsgericht äußert zur
mäßig erbracht werden solle.
                                                             Vorgabe in § 4 Abs. 6 KSG 12 Zweifel, ob „die
Vor diesem Hintergrund dürfte das KSG-E                      erste weitere Festlegung von Jahresemissi-
den Maßgaben des Bundesverfassungsge-                        onsmengen [im Jahr 2025] in Zeiträumen
richts zur Frage der „hinreichenden Orien-                   nach 2030 rechtzeitig käme“ (Rn. 258). „Ein
tierung“ genügen.                                            hinreichender Planungshorizont dürfte da-
                                                             mit etwa in vielen Produktions-, Konsum-
Eine Kontrollüberlegung bestätigt dies:
                                                             oder Infrastrukturbereichen kaum rechtzei-
Denn auch Sektorminderungsziele auf der
                                                             tig entstehen können“ (Rn. 258).
Ebene des Gesetzes würden vermutlich
noch keinen konkreten Entwicklungsdruck                      Der Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsver-
innerhalb der einzelnen Sektoren entfalten.                  ordnung wird in § 4 Abs. 6 S. 2 KSG-E um
Jeder Sektor umfasst ganz unterschiedliche                   (lediglich) ein Jahr auf 2024 vorgezogen. Ob
Bereiche (etwa den Individual- und Schwer-                   dies für die Schaffung eines rechtzeitigen
lastverkehr, die Zementherstellung und die                   Planungshorizonts ausreicht, kann bezwei-
Chemieindustrie), so dass auch mit etwai-                    felt werden – aus fünf Jahren sind nun
gen Sektorminderungszielen die Vertei-                       sechs geworden.
lungsentscheidung zwischen diesen Bran-
                                                             Hier wäre zu überlegen, ob ein in mehrere
chen nicht getroffen wäre. Man darf also
                                                             Stufen unterteilter Festlegungsprozess, der
die Erwartungshaltung an die gesetzgebe-
                                                             aber vor dem Jahr 2024 beginnt, nicht an-
rischen Festlegungen und ihre Auswirkun-
                                                             gemessener wäre: Denn das Gericht er-
gen nicht überspannen. Vielmehr bleibt
                                                             kennt an, dass „(t)echnische Entwicklung
aus dem Beschluss des Bundesverfas-
                                                             und Verhaltensinnovation insoweit nicht
sungsgerichts eine Daueraufgabe für den
                                                             genau genug vorhersehbar sind“, eine zu
Gesetzgeber, fortlaufend die Entscheidun-
                                                             frühzeitige Festlegung der Entwicklungs-
gen zu überprüfen und ggf. auch über die
                                                             pfade „im ungünstigsten Falle sogar Ent-
zukünftigen Festlegungen durch den Ver-
                                                             wicklungspotential verschenken“ könne
ordnungsgeber hinaus Konkretisierungen
                                                             (Rn. 253).
im Gesetz selbst zu treffen, um die gefor-
derte Orientierung zu bieten und damit ein                   Andererseits ist der Zeitraum nach 2031
hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck                       nach dem KSG-E nicht komplett frei von
und Planungssicherheit zu vermitteln.                        Vorgaben: § 4 Abs. 6 S. 1, S. 3 KSG-E enthält
                                                             wesentliche gesetzliche Maßgaben für den
                                                             Zeitraum nach 2031 (siehe oben 1.). In Ver-
2. Rechtzeitige und hinreichend weit in                      bindung mit diesen Vorgaben dürfte die
die Zukunft reichende Festlegung?                            Festlegung der jährlichen zulässigen Jahre-
                                                             semissionsminderungen im Jahre 2024
Eine wesentliche Aussage des Bundesver-                      dem „Rechtzeitigkeitserfordernis“ genügen.
fassungsgerichts ist, dass die weiteren Re-
duktionsmaßgaben rechtzeitig über das
Jahr 2030 hinaus und zugleich hinreichend
weit in die Zukunft hinein festgelegt wer-
den (Rn. 253).
Gem. § 4 Abs. 6 S. 2 KSG-E sollen die zulässi-
gen Jahresemissionsmengen der einzelnen
Sektoren im Jahr 2024 für die Jahre 2031-
2040 und im Jahr 2024 für die Jahre 2041-
2054 festgelegt werden.

 12
   § 4 Abs. 6 S. 1 KSG: Im Jahr 2025 legt die Bundesregie-    jährlich absinkende Emissionsmengen durch Rechts-
 rung für weitere Zeiträume nach dem Jahr 2030                verordnung fest.
10 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG

III. Beschreibung der Änderungen                         Die Verringerung der Jahresemissionsmen-
                                                         gen soll insbesondere in den Sektoren
bis 2030                                                 Energie und Industrie vorgenommen wer-
                                                         den. Hier sind im Jahr 2030 über die vorhe-
Der Gesetzentwurf sieht zusätzlich auch für              rige Regelung hinaus zusätzliche 67 bzw. 22
den Zeitraum bis 2030 Änderungen vor. Es                 Millionen Tonnen CO 2-Äquivalent einzuspa-
wird vorgeschlagen das Reduktionsziel für                ren. Wobei in den weiteren Sektoren ver-
2030 auf mindestens 65 Prozent im Ver-                   gleichsweise geringere zusätzliche Anfor-
gleich zum Jahr 1990 zu erhöhen (§ 3 Abs. 1              derungen zu erfüllen sind mit 10 Millionen
Nr. 1 KSG-E). Bisher gilt ein Ziel von mindes-           Tonnen CO 2-Äquivalent im Verkehr, mit 3
tens 55 Prozent (§ 3 Abs. 1 S. 2 KSG). Das               Millionen Tonnen CO 2-Äquivalent im Sektor
neue Reduktionsziel erfordert eine zusätzli-             Gebäude und mit 2 bzw. 1 Millionen Tonnen
che Einsparung von 105 Millionen Tonnen                  CO 2-Äquivalent in der Landwirtschaft sowie
CO2-Äquivalent.                                          der Abfallwirtschaft.
Dies zieht auch eine Veränderung der Jah-
resemissionsmengen der sechs Sektoren
nach sich: Die bereits festgelegten Jahres-
emissionsmengen werden ab 2023 bis 2030
stärker sinken (Anlage 2 zu § 4 KSG-E; vgl.
unten Abbildung 2).

  Anlage 2 (zu § 4) KSG-E

   Jahresemissionsmenge
     in Millionen Tonnen   2020   2021   2022   2023   2024   2025   2026   2027   2028   2029   2030
        CO2-Äquivalent

     Energiewirtschaft     280           257                                                     108

         Industrie         186    182    177    172    165    157    149    140    132    125    118

         Gebäude           118    113    108    102     97     92    87     82      77     72     67

          Verkehr          150    145    139    134    128    123    117    112    105    96      85

       Landwirtschaft      70     68     67     66      65     63     62     61     59     57     56

    Abfallwirtschaft und
                            9      9      8      8      7      7      6      6      5      5      4
         Sonstiges

  Abbildung 2: Anlage 2 des Entwurfes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes
11

IV. Europarechtliche Hintergründe                            werden. Dabei werden keine europaweiten
                                                             Regelungen getroffen, sondern es werden
zur Änderung des Pfades bis 2030 im                          verbindliche Reduktionsziele für jeden Mit-
Bundes-Klimaschutzgesetz                                     gliedstaat für das Jahr 2030 vorgegeben
                                                             (für Deutschland beträgt der Wert mi-
                                                             nus 38 Prozent) sowie verbindliche, linear
Die Änderungen bis 2030 versuchen neben
                                                             absinkende Jahresemissionsmengen für
Erwägungen aus dem Beschluss des Bun-
                                                             die Jahre 2021 bis 2030. Wie diese Redukti-
desverfassungsgerichts aktuelle rechtliche
                                                             onsziele erreicht werden, ist den Mitglied-
Entwicklungen auf der europäischen Ebene
                                                             staaten überlassen. Werden aber die Jahre-
zu antizipieren.
                                                             semissionsmengen überschritten, müssen
Bisher galt in der Europäischen Union ein                    gegebenenfalls Emissionszuweisungen von
EU-weites Reduktionsziel für Treibhausgase                   anderen Mitgliedstaaten zugekauft wer-
um mindestens 40 Prozent bis zum Jahr                        den 17.
2030 gegenüber dem Jahr 1990. Dieses Ziel
                                                             Zusammen soll durch diese Regelungen
geht zurück auf einen Beschluss des Euro-
                                                             das EU-weite Reduktionsziel von 40 Pro-
päischen Rats aus dem Oktober 2014 13.
                                                             zent bis 2030 erreicht werden.
Erreicht werden sollte dieses übergeord-
                                                             Um den Beitrag des LULUCF-Sektors 18 zur
nete Klimaschutzziel durch den Emissions-
                                                             Erreichung des Ziels miteinzubeziehen,
handel 14 und die im Bundes-Klimaschutz-
                                                             wurde im Juni 2018 ergänzend ein Anrech-
gesetz als Europäische Klimaschutzverord-
                                                             nungs- und Verbuchungssystem für diesen
nung bezeichnete Lastenteilungsverord-
                                                             Sektor beschlossen. Die LULUCF-Verord-
nung (§ 2 Nr. 4 KSG) 15. Das Emissionshan-
                                                             nung enthält seitdem zentral die Verpflich-
delssystem umfasst europaweit Großfeue-
                                                             tungen und Regelungen der Mitgliedstaa-
rungsanlagen, energieintensive Industrie-
                                                             ten im Sektor LULUCF, durch die dazu bei-
betriebe und seit 2012 Teile des Flugver-
                                                             getragen wird, dass die Ziele des Überein-
kehrs. Hiervon sind etwa 40 Prozent der ge-
                                                             kommens von Paris erreicht werden und
samten Treibhausgasemissionen der Euro-
                                                             das 2030-Ziel der Europäischen Union ein-
päischen Union erfasst. In den vom Emissi-
                                                             gehalten wird. Dazu gehören Regeln für die
onshandelssystem erfassten Sektoren soll
                                                             Anrechnung und Verbuchung der Emissio-
nach derzeitigem Rechtsstand eine Redu-
                                                             nen und des Abbaus von Treibhausgasen
zierung der Treibhausgasemissionen um
                                                             im LULUCF-Sektor sowie für die Überprü-
43 Prozent gegenüber 2005 bis 2030 er-
                                                             fung der Einhaltung dieser Verpflichtungen
reicht werden.
                                                             durch die Mitgliedstaaten.
Alle nicht hierunter fallenden Sektoren –
                                                             Diese bestehenden europäischen Regelun-
mit Ausnahme der unter die LULUCF-Ver-
                                                             gen befinden sich derzeit in einem umfas-
ordnung 16 fallenden Bereiche – werden von
                                                             senden Veränderungsprozess. Das durch
der Klimaschutzverordnung erfasst. In die-
                                                             die Europäische Kommission im März 2020
sen Sektoren soll eine Reduzierung um
                                                             vorgeschlagene EU-Klimagesetz 19 soll im
30 Prozent gegenüber 2005 bis 2030 erzielt

 13                                                           16
  Tagung des Europäischen Rats vom 23./24.Oktober               Verordnung (EU) 2018(841 des europäischen Parla-
 2014 - Schlussfolgerungen, S. 1, Ziff. 2.                    ments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Einbe-
 14
   Eingeführt durch Richtlinie 2003/87/EG des europäi-        ziehung der Emissionen und des Abbaus von Treib-
 schen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003          hausgasen aus Landnutzung, Landnutzungsänderun-
 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemis-         gen und Forstwirtschaft in den Rahmen für die Klima-
 sionszertifikaten in der Union und zur Änderung der          und Energiepolitik bis 2030 und zur Änderung der Ver-
 Richtlinie 96/61/EG des Rates, ABl. EU Nr. L 275 v.          ordnung (EU) Nr. 525/2013 und des Beschlusses Nr.
 25.10.2003, S. 32, zuletzt geändert durch Delegierter Be-    529/2013/EU, ABl.. EU Nr. L 156 v. 19.6.2018, S. 1.
                                                              17
 schluss (EU) 2020/1071 der Kommission vom 18. Mai             Es gibt verschiedene Flexibilitätsmöglichkeiten, der
 2020, Abl. EU Nr. L 234 v. 21.7.2020, S. 16.                 Zukauf ist nur eine, aber wohl die bekannteste, davon.
 15
   Verordnung (EU) 2018/842 des Europäischen Parla-           Vgl. Art. 5 Abs. 1 bis 5 Klimaschutzverordnung.
                                                              18
 ments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Festlegung            Land Use, Land Use Change und Forestry (Landnut-
 verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzie-        zung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft).
 rung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis         19
                                                                Es handelt sich hierbei um eine europäische Verord-
 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks              nung. Vorschlag der Kommission COM(2020) 80 final
 Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkom-            vom 4.3.2020.
 men von Paris sowie zur Änderung der Verordnung
 (EU) Nr. 525/2013, ABl. EU Nr. L 156 v. 19.6.2018, S. 26.
12 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG

Juni 2021 formal verabschiedet werden.                    V. Einordnung der
Eine informelle Einigung zwischen den eu-
ropäischen Gesetzgebungsorganen liegt                     Wechselwirkungen zwischen
bereits vor. Hierin wird erstmalig sekundär-              Bundes-Klimaschutzgesetz und
rechtlich ein EU-weites Ziel der Treibhaus-
gasneutralität 20 bis 2050 verankert werden.              Europäischen Zielen und
Zudem sieht das Gesetz eine Erhöhung des                  Instrumenten
EU-Ziels für 2030 auf eine Senkung der Net-
totreibhausgasemissionen (Emissionen                      Auch jenseits möglicher Änderungen im
nach Abzug des Abbaus) um mindestens                      Zuge der Implementierung des kommen-
55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 vor.                den europäischen Richtlinien- und Verord-
Diese Erhöhung wird in den folgenden Jah-                 nungspaketes bestehen vielfältige Wech-
ren durch eine Anpassung des gesamten                     selwirkungen mit dem Europarecht, die
bestehenden europäischen Rechtsrahmens                    auch auf das Bundes-Klimaschutzgesetz
umgesetzt werden. Die Vorschläge der                      wirken. Diesen Bezügen trägt auch der vor-
Kommission sind für Mitte Juli 2021 ange-                 liegende Entwurf (partiell) Rechnung.
kündigt 21. Noch ist nicht klar, wie genau der            Zunächst wird festgehalten, dass das Bun-
Rechtsrahmen umgestaltet werden wird.                     des-Klimaschutzgesetz die Erfüllung der
Diesbezüglich müssen die Vorschläge der                   europäischen Vorgaben sicherstellen soll
Kommission und das dann folgende Ge-                      (§ 1 S. 1, § 3 Abs. 3 S. 1, § 7 KSG). Es bleibt da-
setzgebungsverfahren abgewartet werden.                   her eine fortlaufende Aufgabe, die Rück-
Wie lange das Gesetzgebungsverfahren                      kopplung zu den europarechtlichen Ent-
dauern wird, lässt sich nicht verlässlich ab-             wicklungen zu gewährleisten.
schätzen und hängt von vielen Faktoren ab.                Dafür ist bereits im geltenden Bundes-Kli-
Angemerkt sei in diesem Kontext aber Fol-                 maschutzgesetz Vorsorge getroffen wor-
gendes: Es handelt sich um ein noch um-                   den, dass die so gesetzten Ziele sich nicht
fassenderes Gesetzgebungspaket der Kom-                   von möglichen europäischen Entwicklun-
mission als das Clean Energy for all Euro-                gen abkoppeln. § 3 Abs. 3 S. 1 KSG, der zu-
peans Package. Das angekündigte Paket                     künftig inhaltlich unverändert zu § 3 Abs. 4
soll zwölf Legislativvorschläge umfassen.                 S. 1 KSG werden soll, stellt dies klar:
Jeder Vorschlag wird zwischen Rat der Eu-
ropäischen Union und Parlament verhan-
delt werden müssen. Diese Verhandlungen
haben in der Vergangenheit bei einzelnen                  „(3) Sollten zur Erfüllung europäischer oder
Neuregelungen von Rechtsakten zwischen                    internationaler Klimaschutzziele höhere na-
ein bis drei Jahren gedauert.                             tionale Klimaschutzziele erforderlich wer-
                                                          den, so leitet die Bundesregierung die zur
Abhängig von der endgültigen Ausgestal-                   Erhöhung der Zielwerte nach Absatz 1 not-
tung des Rechtsrahmens werden hierdurch                   wendigen Schritte ein.“
Umsetzungsbedarfe für das Bundes-Klima-
schutzgesetz aber vor allen Dingen auch
andere Gesetze entstehen. Für das 2030-                   Ein Spannungsverhältnis – gerade auch im
Ziel in Deutschland gehen Szenarien dabei                 Hinblick auf die vom Bundesverfassungs-
von einer Bandbreite von 62 bis 68 Prozent                gericht geforderte Orientierungswirkung
für die Gesamtminderung der deutschen                     des Bundes-Klimaschutzgesetzes 23 – ent-
Treibhausgasemissionen aus 22. Insofern ist               steht dadurch, dass das Bundes-Klima-
das vorgeschlagene Ziel von 65 Prozent für                schutzgesetz weder bisher noch zukünftig
2030 der Versuch diese Prozesse vorwegzu-                 zwischen den Bereichen unterscheidet, die
nehmen. Ein Änderungsbedarf ist aber                      vom europäischen Emissionshandel erfasst
nicht auszuschließen.                                     sind und die in den Anwendungsbereich
                                                          der EU-Klimaschutzverordnung fallen.

 20                                                        22
  Auf der europäischen Ebene wird der Begriff Kli-           Vgl. Expertenrat für Klimafragen, Bericht zur Vorjah-
 maneutralität verwendet.                                  resschätzung der deutschen Treibhausgasemissionen
 21
   Das sogenannte Fit for 55-Paket; Aktuell könnte sich    für das Jahr 2020 gemäß § 12 Abs. 1 Bundes-Klima-
 eine weitere Verschiebung in den September abzeich-       schutzgesetz, S. 79 ff., insb. Rn. 168 f.
                                                           23
 nen.                                                           Vgl. dazu oben B. I. 4.
13

Vielmehr umfassen die Ziele im Bundes-Kli-
magesetz in den Sektoren Energiewirt-           „(7) Die Bundesregierung wird dem Deut-
schaft und Industrie Emissionsquellen aus       schen Bundestag im Jahr 2028 einen Be-
beiden Bereichen.                               richt zum Stand und zur weiteren Entwick-
                                                lung der CO2-Bepreisung innerhalb der Eu-
Verschärfend kommt hinzu, dass derzeit im
                                                ropäischen Union sowie zu technischen Ent-
Zuge des Green Deals darüber diskutiert
                                                wicklungen vorlegen. In dem Bericht wird
wird, wie zukünftig die neuen Klimaschutz-
                                                die Bundesregierung auch untersuchen, ob
ziele zwischen Klimaschutzverordnung und
                                                in der Zeit ab dem Jahr 2031 im Lichte die-
Emissionshandelssystem aufgeteilt werden
                                                ser Entwicklungen auf die Zuweisung von
oder ob ein neues europäisches Emissions-
                                                zulässigen Jahresemissionsmengen für ein-
handelssystem für den Gebäude- und Ver-
                                                zelne Sektoren verzichtet werden kann. In
kehrsbereich entstehen soll. Wird die Ambi-
                                                diesem Fall legt die Bundesregierung einen
tionssteigerung auf europäischer Ebene
                                                entsprechenden Gesetzgebungsvorschlag
durch eine Neujustierung zwischen europä-
                                                vor.“
ischen und mitgliedstaatlichen Steue-
rungsansätzen gesteuert oder unverändert
bzw. sogar primär über höhere national ver-     Diese Neuregelung ist zeitlich im Kontext
bindliche Ziele umgesetzt, kann dies wei-       weiterer Normen einzuordnen. Dies betrifft
tere Anpassungen in den von der Klima-          zunächst den soeben genannten § 4 Abs. 1
schutzverordnung betroffenen Sektoren           S. 5 KSG-E. Wichtig ist aber auch der ge-
des Bundes-Klimaschutzgesetzes nach sich        plante zeitliche Ablauf der Konkretisierung
ziehen.                                         des Reduktionspfades ab 2031. Gemäß
                                                § 4 Abs. 6 S. 1 KSG-E sind die Jahresemissi-
Aus diesem Grund ist in dem Entwurf vor-
                                                onsmengen für den Zeitraum 2031 bis 2040
gesehen, dass die in Anlage 2 festgelegten
                                                bereits im Jahr 2024 durch Rechtsverord-
zulässigen Jahresemissionsmengen im
                                                nung festzulegen. Im Zeitpunkt der nach
Lichte möglicher Änderungen der Europäi-
                                                § 4 Abs. 7 KSG-E vorgesehenen Berichtsvor-
schen Klimaschutzverordnung und der Eu-
                                                lage im Jahr 2028 wären eine Konkretisie-
ropäischen Emissionshandelsrichtlinie zur
                                                rung daher bereits erfolgt, so dass der Re-
Umsetzung des erhöhten Klimaziels der
                                                gelungsvorschlag und dort insbesondere
Europäischen Union für das Jahr 2030
                                                der Untersuchungsauftrag, zu prüfen, ob ab
überprüft werden sollen. Dazu soll ein
                                                2031 sektorenspezifische Jahresemissions-
neuer Satz 5 in § 4 Abs. 1 KSG eingefügt
                                                werte verzichtbar sind, im Hinblick auf die
werden:
                                                vom Bundesverfassungsgericht eingefor-
                                                derte Orientierungswirkung spät einge-
                                                plant ist. Anderseits ist aber auch zu beden-
„Die Bundesregierung wird die in Anlage 2       ken, dass ein Bericht über die „weitere Ent-
festgelegten zulässigen Jahresemissions-        wicklung der CO 2-Bepreisung innerhalb der
mengen im Lichte möglicher Änderungen           Europäischen Union“ eine höhere Aussage-
der Europäischen Klimaschutzverordnung          kraft erhält, wenn der Abschluss der Ge-
und der Europäischen Emissionshandels-          setzgebungsvorhaben im Green Deal und
richtlinie zur Umsetzung des erhöhten Kli-      die Implementierung durch die Mitglied-
maziels der Europäischen Union für das          staaten bereits erfolgt ist und die Neurege-
Jahr 2030 überprüfen und spätestens sechs       lungen wirken konnten, um Erfahrungen
Monate nach deren Inkrafttreten einen Ge-       gesammelt zu haben. Gleichwohl erscheint
setzgebungsvorschlag zur Anpassung der          es sinnvoll unmittelbar nach Abschluss der
zulässigen Jahresemissionsmengen in An-         europäischen Rechtsetzung im Green Deal
lage 2 vorlegen, soweit dies erforderlich er-   analog zum vorgeschlagenen § 4 Abs. 1
scheint.“                                       S. 5 KSG-E schon zu diesem Zeitpunkt – also
                                                sechs Monate nach dem Abschluss der eu-
                                                ropäischen Rechtsetzung – über die auf die
                                                CO2-Bepreisung einwirkende neue europäi-
In Zusammenhang mit dieser derzeit un-          sche Rechtslage zu berichten und tatsächli-
klaren Rechtsentwicklung steht auch eine        che Entwicklungen abzuschätzen.
weitere Neuregelung. An § 4 soll ein neuer
                                                Sollten weitere Sektoren zukünftig eben-
Absatz 7 angefügt werden:
                                                falls dem bestehenden oder einem neuen
                                                zusätzlichen europäischen
14 Rechtliche Stellungnahme 1. Änderungsgesetz KSG

Emissionshandel unterfallen, verstärkt sich
ein bereits heute im Hinblick auf die Orien-
tierungswirkung relevanter Handlungsbe-
darf im Bundes-Klimaschutzgesetz. Je
mehr Sektoren des Bundes-Klimaschutzge-
setzes einem europaweiten Instrument –
wie dem Emissionshandel – unterworfen
sind, desto weniger Sektoren fallen unter
die national verbindlichen Vorgaben für die
einzelnen Mitgliedstaaten und desto gerin-
ger sind die Möglichkeiten des deutschen
Gesetzgebers auf die Entwicklungen Ein-
fluss zu nehmen. Vor diesem Hintergrund
ergibt es Sinn, neben den bestehenden
Jahresemissionsmengen, eine stärkere Dif-
ferenzierung zwischen den europäischen
und den deutschen Handlungsbereichen
als zusätzliche Steuerungsebene im Bun-
des-Klimaschutzgesetz einzuführen.
15

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