Reha-Info 4/ 2020 - Bundesarbeitsgemeinschaft für ...
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Reha-Info 4/ 2020 Editorial Rehabilitation und Sehbehinderung Die Augen sind als Sinnesorgan unsere „Schnittstelle“ zur Die meisten Sinneseindrücke nimmt der Welt. Über den Sehsinn orientieren wir uns, wir nehmen Mensch über die Augen wahr. Etwa 80% der Eindrücke auf, mit denen wir uns auf Begebenheiten und Informationen über die Umwelt werden vi- Situationen in unserer Umwelt einstellen. Wenn eine Seh- suell aufgenommen. Die Augen sind unser beeinträchtigung uns darin einschränkt, erst recht, wenn Fenster zur Welt. Wie sieht die Welt aus, Menschen erblinden, gehen Alltagskompetenzen verloren, wenn die Augen nicht mehr richtig arbeiten? das subjektive Wohlbefinden leidet. Depressionen können Wie fühlt sie sich für jemanden an, der sie die Folgen sein. noch nie gesehen hat? Welche Ursachen gibt Statistische Einblicke in die Entwicklung zeigen einen es für eine Erblindung oder eine Sehbehinde- deutlichen Anstieg an Neuerblindungen, der sich – be- rung und wo ist eigentlich der Unterschied? dingt durch den Altersanstieg der Bevölkerung – fortsetzen wird. So sind nach Aussage von Augenärzten allein von der Altersabhängigen Makula-Degeneration (AMD) mehr als Für das Ausmaß einer Sehbeeinträchtigung 4 Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Aber auch die Zahl derer, die aufgrund sind unter anderem die Sehschärfe (Visus) von Diabetes erblinden, steigt und das Alter, in dem die Krankheit festgestellt wird, ver- und das Gesichtsfeld entscheidend. Der Vi- schiebt sich in immer jüngere Jahre. Diabetes ist die häufigste Erblindungsursache zwi- sus ist die Fähigkeit der Augen, Dinge scharf schen 40 und 80 Jahren. zu sehen. Der normale Visus ist altersabhän- Es gibt in Deutschland keine allgemeinen Zahlen, auch wenig belastbare Angaben über gig und liegt bei einem 20-jährigen Men- Beschäftigung und Arbeitslosigkeit von blinden und sehbehinderten Menschen. Ältere schen bei 1,0 bis 1,6 (100 % bis 160 %), bei Untersuchungen und allgemeine Hochrechnungen legen allerdings ein im Vergleich zu einem 80-jährigen bei 0,6 bis 1,0 (60 % bis anderen Behindertengruppen eklatantes Beschäftigungsdefizit von Menschen mit Sehbe- 100 %). Das Gesichtsfeld ist ein Bereich von einträchtigung nahe. Das es hier Handlungsbedarf und Chancen gibt, zeigen die Beiträge etwa 175 Grad, in dem optische Reize wahr- in dieser Ausgabe, so beispielsweise zum Projekt „Aktivierung und Integration (langzeit-) genommen werden, ohne die Augen, den arbeitsloser blinder und sehbehinderter Menschen“ (aktila-bs). Kopf oder den Körper zu bewegen. Im Alter In Zeiten von Corona steht das ganze System der gesundheitlichen Versorgung – und da- wird das Gesichtsfeld aufgrund normaler Al- mit auch die Rehabilitation – vor großen Herausforderungen. Auch in schwierigen Situa- terungsprozesse im Auge kleiner. tionen muss das Recht auf Teilhabe handlungsleitend sein. Das bleibt die Maxime für die Sehbehindert oder blind? Um dies im recht- BAR, auch unter den aktuell erschwerten Arbeitsbedingungen. lichen Kontext klar beantworten zu können, gibt es in Deutschland feste Definitionen: Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und bleiben Sie gesund Eine Sehbehinderung liegt vor, wenn die Ihre Helga Seel betroffene Person trotz Brille oder Kontakt- linse auf dem besser sehenden Auge über ein Sehvermögen von 0,3 (30 Prozent) oder weniger verfügt. Wesentlich sehbehindert beschreibt ein Sehvermögen von 0,05 (fünf Inhalt Prozent) oder weniger und eine Blindheit Rehabilitation und Sehbehinderung I (Amaurosis) liegt vor, wenn jemand weniger 2. Interdisziplinäre Fachtag des SightCity Forum Beirats III als 0,02 (zwei Prozent) dessen sieht, was ein Der DBSV – Interessenvertretung, Aufklärung, Austausch und Beratung bündeln! IV normal sehender Mensch erkennt. Medizinisch-Taktile Untersucherin (MTU) V In Deutschland leben rund 1,2 Millionen Blinde und sehbehinderte Menschen in Beschäftigung bringen VI blinde und sehbehinderte Menschen. Das Interview mit Rika Esser VII sind Schätzungen und Hochrechnungen, da (Keine) Zuständigkeitsklärung bei Weiterbewilligung, einheitliches blinde und sehbehinderte Menschen hierzu- Leistungsgeschehen VIII lande nicht gezählt werden. Die Zahlen be-
II Die Rehabilitation • Reha-Info der BAR 4/2020 SCHWERPUNKT – Sehbehinderung ruhen auf Erhebungen der WHO für andere zusätzliche Erkrankungen und die körperli- und die zwischenmenschliche Interaktion Länder und werden für Deutschland hoch- che und psychische Verfassung. wird durch den Wegfall des Blickkontakts gerechnet und angenommen. Über 20 000 Beim Grauen Star beispielsweise nehmen wesentlich erschwert. Menschen erblinden schätzungsweise jähr- die Betroffenen ihre Umwelt wie durch ei- Dieser Zustand muss erst mal verarbeitet lich in Deutschland, die Hälfte von ihnen nen Schleier wahr. Bei der altersbedingten werden und geht oft mit Frustration, Angst- ist 80 Jahre oder älter und leidet zumeist an Makula-Degeneration werden die anvi- zuständen oder Depression einher. Das In- einer altersbedingten Makuladegeneration. sierten Objekte entweder unscharf oder stitut für Gesundheits-System-Forschung Bei Diabetikern zwischen 40 und 80 Jahren gar nicht mehr gesehen. Diabetische Netz- stellte im Jahr 2000 fest, das Blindheit und sind Netzhautveränderungen, bei jungen hauterkrankungen führen zu Ausfällen im Sehbehinderung das Alltagsleben und die Menschen unter 40 eher absterbende Seh- peripheren Sehen und zu Beeinträchtigung Lebensqualität der Patienten über viele Jah- nerven (Optikusatrophie) die Ursache. des Farbensehens und der Sehschärfe. Aber re, oder sogar Jahrzehnte beeinflussen. Der In den meisten Fällen sind Blindheit oder selbst Menschen, die nach dem Gesetz blind Weg zurück zur Teilhabe an einem „norma- Sehbehinderung erworben und treten im sind (Visus unter 0,02), können oft noch hell len“ Leben ist ein weiter. Laufe des Lebens ein bzw. entwickeln sich und dunkel unterscheiden oder sehen einen Besonderheiten bei der Rehabilitation erst im Laufe des Lebens. Ursachen sind ganz kleinen Ausschnitt. Bevor Menschen mit Sehbehinderung oder meistens Krankheiten, die bestimmte Teile Fortschreitender Sehverlust, zunächst im erblindete Menschen sich wieder in ihrem des menschlichen Auges schädigen, wie zum äußeren Gesichtsfeld, dann Ausdehnung in Alltag zurechtfinden und sich eventuell be- Beispiel die altersbedingte Makuladegenera- die Mitte bis zur völligen Erblindung. Ne- ruflich neu orientieren können, müssen sie tion, der Grüne Star, eine Netzhautablösung, bel- oder Schleiersehen, Schatten, Vorhang, Techniken und Fertigkeiten erlernen. Das durch Diabetes verursachte Augenkrank- grauer Fleck: Die Beschwerdebilder von Au- geschieht in der sogenannten Elementar- heiten oder vererbbare Augenerkrankungen genkrankheiten sind so mannigfaltig wie oder auch Grundrehabilitation. Hier geht es wie der Graue Star. Jedes Jahr werden in individuell. Sehbehinderung und Blindheit neben dem Kompetenzaufbau für erforder- Deutschland aber auch ca. 160 Kinder blind sind nicht immer stabile Zustände. Oft sind liche Hilfsmittel in erster Linie um die Ver- geboren. Bei ihnen fehlen beispielsweise Tei- es lange, manchmal lebenslange Prozesse bis mittlung lebenspraktischer Fertigkeiten (z.B. le des Sehapparats oder die Verbindung zwi- es zu einer Sehbehinderung oder Blindheit Ernährung, Körperpflege, Haushaltsführung schen Auge und Gehirn. kommt. Die Erkrankung der meisten Be- und Kommunikation) und das Training von troffenen entwickelt sich schleichend oder Orientierung und Mobilität. Rehabilitation in Schüben. Die Verschlimmerung kann je- zielt darauf ab, blinden und sehbehinderten Anteil der häufigsten Erblindungs- ursachen in Deutschland (2012) derzeit eintreten, sodass „gutes Sehen“ als Menschen ein weitgehend selbstständiges Vergleichszustand noch präsent ist. Nicht zu Leben in Gesellschaft, Beruf und Familie zu ▪Altersbedingte Makula- degeneration (AMD) 40,7 % wissen, wie sich die Verschlechterung des ermöglichen. In der Grundrehabilitation eig- ▪Glaukom (Grüner Star) 15,4 % Sehens weiter entwickelt ist für diese Men- nen sie sich die notwendigen alternativen ▪Diabetische Retinopathie 9,7 % schen besonders schwer zu kompensieren. Strategien dazu an. Sie benutzen Hilfsmittel ▪Retinitis pigmentosa 7,0 % Wenn das Sichtfeld immer weiter schrumpft, wie den weißen Langstock oder Vorlesege- ▪Hohe Myopie (starke Kurzsichtigkeit) 5,3 % wenn der Blick auf die Welt sich zu einem im- räte und sprechende Uhren, aber auch den ▪Andere Ursachen 21,9 % mer enger werdenden Tunnel reduziert, wie Computer und die Blindeschrift (Braille- Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes es bei der Retinitis pigmentosa, eine durch Schrift). Sie können auch andere Menschen Vererbung entstehende Netzhautdegenerati- um Hilfe bitten, um zum Beispiel zu erfah- on, der Fall ist, dann ist das ein bedrohliches ren, welcher Bus gerade vorgefahren ist oder Szenario. Erblindung und der Eintritt einer welche Sorte Joghurt sie im Laden aus dem Leben mit Sehbehinderung Sehbehinderung sind häufig mit außerge- Regal genommen haben. Blinde Menschen Wie ein Mensch mit Sehbehinderung seine wöhnlicher psychischer Belastung verbun- lernen im Laufe der Zeit auch, ihre ande- Umwelt wahrnimmt hängt von vielen Fak- den. Nicht nur die optische Wahrnehmung ren Sinne besser zu nutzen und hören bei- toren ab und ist sehr individuell. Nicht nur fehlt. Betroffene empfinden vor allem Hilflo- spielsweise, wie weit ein Auto weg ist oder die Augenkrankheit selbst und welcher Teil sigkeit und das Angewiesensein auf die Hilfe fühlen am Luftzug, ob die U-Bahn kommt. des Auges betroffen ist spielt eine Rolle, ent- ihrer Mitmenschen. Der Verlust der Orien- Das geschieht meist intuitiv und hängt mit scheidend sind auch Lebensalter, mögliche tierung führt zu Mobilitätseinschränkungen Gedächtnis und Erfahrung zusammen. Von
SCHWERPUNKT – Sehbehinderung Die Rehabilitation • Reha-Info der BAR 4/2020 III Kind an lernen wir auditive und visuelle Rei- zwar ein Orientierungs- und Mobilitäts- Sehbehinderung und eine Kompensation ze zu unterscheiden. training, eine weitergehende Förderung durch Arbeitstechniken und Hilfsmittel die Bislang gibt es allerdings in Deutschland einer Teilhabe an der Gesellschaft ist aber gesellschaftliche und berufliche Integration keine geregelte medizinische Rehabilitation derzeit nicht vorgesehen. Die Möglichkei- oder Neuausrichtung frühzeitig zu gewähr- nach Sehverlust. Insbesondere fehlt es an ei- ten der Rehabilitation werden insgesamt zu leisten. Nur so können unnötiger Verlust der nem Gesamtkonzept für die Sicherung der wenig ausgeschöpft. Hier fordern Verbände Selbstständigkeit und der Erwerbsfähigkeit Teilhabe durch angemessene Angebote. So wie der Deutsche Blinden- und Sehbehin- vermieden werden. Der Anteil derer, die werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeits- dertenverband grundlegende Verbesserun- nach einer Erblindung oder Sehbehinderung leben in Berufsbildungs- und Berufsförde- gen. Rehabilitation mit einer Kombination ihren Arbeitsplatz verlieren und zwischen rungswerken in der Regel durch medizini- von psychosomatischen und sehbehinder- Krankheit und Berentung schwanken ist sche, psychologische, soziale und technische ten- bzw. blindentechnischen Maßnahmen hoch. ● Rehabilitation ergänzt. Ältere Menschen soll dazu beitragen, über eine gelungene mit hochgradiger Sehbehinderung erhalten Verarbeitung der Einschränkung durch die Prof. Dr. med. Dr. h. c. 2. Interdisziplinärer Fachtag des SightCity Norbert Schrage Forum Beirats Bildquelle: Acto Im Rahmen des 2. Interdisziplinären Fachtages des SightCity Forum Beirats im Mai 2020 wid- mete sich ACTO e.V. in einer Webkonferenz der augenheilkundlichen Rehabilitation. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wächst die Gruppe der Menschen mit Blindheit und Sehbeeinträchtigung. Diese werden zunehmend ein Altersthema. Die wachsende soziale und gesellschaftliche Brisanz der Versorgung von sehbehinderten und blinden Menschen er- fordert Rehabilitationsmaßnahmen für blinde und sehbehinderte Menschen jeden Alters und Angehörige sollten in eine Rehabilitation mit einbezogen werden. Erfolgreiche Teilhabe für von Sehbehinderung oder Erblindung betroffene Menschen kann über das Bundesteilhabege- Die beteiligten Professionen sollen in die setz gelingen. Lage versetzt werden, den gesetzlichen Anspruch auf Rehabilitationsleistungen Dazu Prof. Dr. med. Dr. h. c. Norbert Schra- tig zu anderen etablierten Rehabilitationen erstmals auch in der Augenheilkunde zu ge, Chefarzt Augenklinik Krankenhaus als notwendiges Behandlungskonzept disku- erkennen, Leistungserbringer kennenzuler- Köln-Merheim: tierten. Denn immer noch bestehen Versor- nen und diese Leistungen zum Wohle der Die Selbstverständlichkeit, mit der wir nach gungslücken in der derzeitigen Sozialgesetz- erheblich eingeschränkten Patienten ein- einer Hüftoperation eine Rehabilitation be- gebung bzw. im gelebten Versorgungsalltag. zufordern. Hier müssen sich die Träger und ginnen, fehlt für den Patienten, der nach Insbesondere die Verlagerung von Pro- Leistungsanbieter an einen Tisch setzen und einer Augenerkrankung sehbehindert oder blemen auf sektorale Grenzen zwischen konzeptionell an Behandlungs- und Rehabi- blind bleibt. Krankenversicherung, Rentenversicherung litationsmöglichkeiten arbeiten. Damit lie- Um einen Weg zur Akzeptanz blinder und und Arbeitsagenturen verursacht viele der ßen sich die Probleme der Betroffenen lösen, sehbehinderter Menschen, sowohl gesell- ungelösten Probleme von sehbehinderten gesellschaftlich die beste Re-Integration er- schaftlich als auch sozialpolitisch, zu ebnen, und erblindeten Menschen. Hier besteht ein zielen und viele persönliche Enttäuschungen haben sich im Fachtag, der durch die Marga Auftrag sowohl individuelle als auch überge- und Misserfolge der Betroffenen verhindern. und Walter Boll-Stiftung und die Paul und ordnete Problemlösungen und gleichzeitig Charlotte Kniese-Stiftung gefördert wurde, Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, die Weitere Informationen: beteiligte Fachgruppen und Reha-Anbieter den universellen Behandlungs- und Rehabi- Aachener Centrum für Technologietransfer wie auch die Selbsthilfe zusammengefun- litationsauftrag der einzelnen Sektoren zu- in der Ophthalmologie (ACTO) e. V. den, um Konzepte zu diskutieren, die auch geordnet sind. die Reha in der Augenheilkunde gleichwer- www.acto.de ●
IV Die Rehabilitation • Reha-Info der BAR 4/2020 SCHWERPUNKT – Sehbehinderung Der DBSV – Interessenvertretung, Aufklärung, Austausch und Beratung bündeln! Unsere Welt ist eine Welt des Sehens. Mehr als 80 % aller Sinneseindrücke nimmt der sehende Mensch über die Augen auf. Entsprechend gravierend sind die Konsequenzen für Menschen, die nicht oder nicht gut sehen können. Es gibt kaum einen Lebensbereich, der durch Blindheit Andreas Bethke, bzw. Sehbehinderung nicht betroffen wäre – von der Haushaltsführung über den Schulbesuch Geschäftsführer und die Berufstätigkeit bis zur Freizeitgestaltung. Bildquelle: DBSV, Ziebe Um die selbstbestimmte und gleichberech- teil von Menschen mit behandelbaren aber tigte Teilhabe zu fördern, braucht es daher unbehandelten Augenerkrankungen. Zur ein mehrdimensionales Vorgehen: Auf- Verbesserung der Situation hat der DBSV das klärung und Bewusstseinsbildung in der Aktionsbündnis „Sehen im Alter“ initiiert. Bevölkerung, eine starke politische Inter- Aber auch bei Menschen mit irreversiblem essenvertretung sowie für die Betroffenen Sehverlust gibt es Handlungsbedarf: Hier kompetente Beratung und Förderung des fehlen automatisch einsetzende, systemati- Austauschs. Der Deutsche Blinden- und Seh- sche Versorgungsangebote. Der Grundsatz Accessibility Act (EAA), der bis 2022 in deut- behindertenverband e. V. (DBSV) nimmt sich „Reha vor Rente bzw. Pflege“ kommt bei die- sches Recht umgesetzt werden muss. Erst- als Zusammenschluss der Selbsthilfe dieser ser Personengruppe bislang nicht zum Tra- mals werden damit auch private Anbieter Aufgaben an. gen. Deshalb ist es Ziel des DBSV, ein bedarfs- von bestimmten Produkten und Dienstleis- Er bündelt die Aktivitäten seiner Landesver- gerechtes, regelfinanziertes Angebot einer tungen zur Barrierefreiheit verpflichtet – ein eine und korporativen Mitglieder und ver- Rehabilitation nach Sehverlust zu schaffen. dringend notwendiger Schritt, wenn blinde tritt die Interessen der blinden, sehbehin- und sehbehinderte Menschen nicht aus dem derten und mehrfachbehinderten Menschen Barrierefreiheit ist und bleibt zentral! digital organisierten gesellschaftlichen Le- wie auch die der Patientinnen und Patien- Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen ben gedrängt werden sollen. ten, deren Erkrankung zu Sehbehinderung voranzubringen, ist eine Mammutaufgabe, oder Erblindung führen kann. aber von zentraler Bedeutung für eine inklu- Beratung und Austausch sive Gesellschaft. Der DBSV engagiert sich Speziell für Augenpatientinnen und Pati- Prävention und Rehabilitation stärken! für so unterschiedliche Bereiche wie barri- enten hat der DBSV das Beratungsangebot Bedingt durch den demographischen Wan- erefreie Literatur, Filme mit Audiodeskrip- „Blickpunkt Auge – Rat und Hilfe bei Seh- del und die damit verbundene höhere Le- tion, bauliche Barrierefreiheit, die akusti- verlust“ entwickelt und mit Beratungs- und benserwartung steigt die Zahl der Menschen sche Wahrnehmbarkeit von Elektroautos Gruppenterminen in 2019 bundesweit über mit Sehproblemen stetig an. Genaue Zahlen und Wahlschablonen für eine eigenständige 40.000 Ratsuchende erreicht. ● liegen nicht vor, auch nicht zur Erwerbs- Bundestagswahl. tätigkeit. In Deutschland geht man derzeit Die Digitalisierung hat durch die Corona-be- nach hochgerechneten WHO-Zahlen von ca. dingten Kontaktbeschränkungen eine enor- Weitere Informationen 1,2 Millionen Menschen mit Blindheit oder me Beschleunigung erfahren. Dabei wird in www.dbsv.org/taetigkeitsberichte.html Sehbehinderung aus. Ca. zwei Drittel davon allen Lebensbereichen deutlich, dass blinde www.dbsv.org/reha-initiativen.html sind 65 Jahre alt oder älter und erleben ihren und sehbehinderte Menschen besonders un- www.blickpunkt-auge.de Sehverlust im höheren Lebensalter. ter Barrieren bei den digitalen Angeboten zu Notwendig aus Sicht des DBSV ist es, die Ver- leiden haben. Das betrifft Onlinehandel und sorgung von pflegebedürftigen Menschen zu -banking ebenso wie Homeschooling bzw. verbessern – von der Früherkennung über Homeoffice und das Streaming von Filmen. die augenärztliche Behandlung und die Ver- Um hier barrierefreie Angebote entstehen zu sorgung mit Sehhilfen bis zur Ausbildung des lassen, braucht es verbindliche gesetzliche Fachpersonals in Alterseinrichtungen. Bis- Vorgaben sowie Schulungsangebote. Eine lang gibt es gerade hier einen sehr hohen An- Chance bietet diesbezüglich der European
SCHWERPUNKT – Sehbehinderung Die Rehabilitation • Reha-Info der BAR 4/2020 V Medizinisch-Taktile Untersucherin (MTU) – bildlich, denn es verbessert die berufliche Inklusion blinder Frauen maßgeblich. Und ein Beruf für blinde und sehbehinderte Frauen im Kampf gegen den Brustkrebs bietet es eine zusätzliche gerätefreie Untersuchung, Jessica van Bebber hat eine angeborene Seheinschränkung, die sich im Laufe ihres Lebens ver- deren Kosten schon knapp 30 gesetzliche schlechtert hat. „Mittlerweile sehe ich nur noch circa ein Prozent, bin also nach gesetzlicher Krankenkassen sowie alle privaten Kran- Definition blind“, erklärt die 35-Jährige. Dennoch führt sie ein selbstständiges Leben und übt kenversicherungen übernehmen. In der je- einen Beruf aus, in dem sie ihre Talente voll entfalten kann. Empathie und Sozialkompetenz, weiligen Praxis Patientin zu sein, ist keine den verantwortungsvollen Umgang mit Menschen und vor allem ihre ganz besondere Bega- Voraussetzung. bung: Wie fast alle blinden Menschen verfügt Jessica van Bebber über einen hochsensiblen Wie viele MTUs führt van Bebber auch Takti- Tastsinn, der dem sehender Personen weit überlegen ist. lographien bei Untersuchungen im Rahmen von Gudrun Heyder, discovering hands des betrieblichen Gesundheitsmanagements durch. „Immer mehr Unternehmen bieten 2015 stieß die junge Frau im Internet auf Brustgesundheit. „Sie vertrauen mir, viele ihren Mitarbeiterinnen diese Spezialunter- discovering hands, ein Sozial- und Integra- freuen sich auf die jährliche Untersuchung.“ suchung an und machen sehr gute Erfah- tionsunternehmen, das blinde und stark Manche Risikopatientinnen kommen auch rungen damit“, freut sich discovering hands- sehbehinderte Frauen zu Medizinisch-Tak- alle paar Monate zu ihr. Geschäftsführer Arndt Helf. „Eine weitere tilen Untersucherinnen ausbildet. Seit 2018 Die Taktilographie findet stets unter der Ver- Leistung von discovering hands ist die pro- ist die Düsseldorferin dort, wie inzwischen antwortung eines Frauenarztes statt. Daher fessionelle Schulung zur Selbstabtastung der über 40 weitere Kolleginnen, fest und un- kooperiert discovering hands per Arbeitneh- eigenen Brust (ATS) durch unsere MTU, die befristet angestellt. „Die wesentliche Auf- merüberlassung mit bereits etwa 100 Arzt- extrem positiven Zuspruch seitens der teil- gabe von MTUs ist die sehr ausführliche praxen in Deutschland. Anhand des Tastbe- nehmenden Frauen erhält.“ Brusttastuntersuchung namens Taktilo- fundes der MTU stellt der Facharzt direkt im Arndt Helf und discovering hands-Gründer graphie“, erläutert van Bebber. „Sie stellt in Anschluss die Diagnose. Bei einem unklaren Dr. Frank Hoffmann sehen enorme Chancen der Brustkrebsfrüherkennung eine weitere Befund folgt ein Ultraschall und eventuell für MTUs auf dem Arbeitsmarkt: „Wir bilden Säule in der Diagnose dar, neben der kurzen eine Mammografie. Das ist aber selten, denn laufend aus und möchten jährlich mindes- ärztlichen Tastuntersuchung und bildgeben- verdächtige Gewebeveränderungen tasten tens 20 weitere MTUs in den Beruf bringen den Verfahren.“ die MTUs glücklicherweise nur bei den we- und fest bei uns einstellen, um die verbes- Die Untersuchung „von Frau zu Frau“ dau- nigsten Untersuchungen. Aber wenn sie ei- serte Brustkrebsfrüherkennung bald in ganz ert je nach Brustgröße 30 bis 60 Minuten. nen Knoten finden, der sich als bösartig her- Deutschland verfügbar zu machen. Jede seh- Die MTU tastet das Lymphgewebe und die ausstellt, kann das ihrer Patientin das Leben behinderte Interessentin, deren Eignung wir Brust der Patientin systematisch Millimeter retten. im Assessment feststellten, erhält bereits für Millimeter in drei Tiefenschichten ab. Jessica van Bebber ist absolut überzeugt von vor der Ausbildung von uns einen Arbeits- „Das ist reine ‚Handarbeit‘, was die Frauen der Sinnhaftigkeit ihres ärztlichen Assis- vertrag.“ ● als sehr angenehm empfinden“, berichtet die tenzberufs: „Von dieser Tätigkeit bin ich völ- MTU. Die Patientinnen jeden Alters stellen lig fasziniert: ein Beruf, der nicht näher am Blinde und stark sehbehinderte Frauen von der Brustexpertin auch Fragen rund um die Menschen sein könnte. Es ist so schön, täg- 18 bis circa 58 Jahren können fast jederzeit mit der neun- bis zehnmonatigen theoreti- lich mit den Frauen arbeiten zu dürfen und schen und praktischen Ausbildung begin- ihnen durch meine herausragende Tastfä- nen. Ein Eignungstest (Assessment) geht higkeit sowie meine sozialen Kompetenzen dem voraus. Dank E-Learning-Plattform findet die Ausbildung zu etwa 50 % von eine zusätzliche Möglichkeit der Brustkrebs- zuhause aus statt. Für Frauen ohne Reha- früherkennung bieten zu können. Ich freue Anspruch besteht die Möglichkeit eines mich über jede Patientin, die dieses Angebot Ausbildungs-Stipendiums. annimmt.“ Weitere Infos: https://www.discovering- Das vielfach mit Preisen ausgezeichnete hands.de/ueber-uns/mtu-ausbildung Jessica van Bebber bei der Arbeit Mülheimer Sozialunternehmen gilt als vor- Bildquelle: discovering hands
VI Die Rehabilitation • Reha-Info der BAR 4/2020 SCHWERPUNKT – Sehbehinderung Blinde und sehbehinderte Menschen in Digitaler Durchblick für die Beratung Beschäftigung bringen – das Projekt AKTILA-BS Um auch Leistungsträger, Reha-Beratungs- Trotz ihrer oft überdurchschnittlichen Qualifikation haben es Menschen mit Behinderung stellen oder Schwerbehindertenvertretun- schwerer, einen Job zu finden als arbeitslose Menschen ohne Behinderung. Einige ältere Stu- gen bei der individuellen, sensiblen und informierten Beratung blinder und sehbe- dien legen nahe, dass die berufliche Integration für blinde und sehbehinderte Menschen so- hinderter Menschen zu unterstützen, hält gar noch seltener gelingt. Worin liegen die Gründe dafür und wie können sie wirksam an- AKTILA-BS ein besonderes Projektergebnis gegangen werden? Sind die Förder- und Integrationsangebote nicht behinderungsspezifisch bereit: Das „Wiki Durchblick“ stellt alle re- levanten Fachinformationen zur berufli- genug? Haben Arbeitgeber zu große Vorbehalte? Sind langzeitarbeitslose Menschen mit Be- chen Teilhabe blinder und sehbehinderter hinderung weniger motiviert bzw. gibt es andere hinderliche Kontextfaktoren? Diesen Fragen Menschen in kompakt und leicht verständ- ist das kürzlich abgeschlossene Projekt „Aktivierung und Integration (langzeit-) arbeitsloser licher Form zur Verfügung. Es bietet… blinder und sehbehinderter Menschen“ (AKTILA-BS) nachgegangen. ■ …qualitätsgesicherte Fachinformatio- nen zu allen Fragen rund um Augener- krankungen, Hilfsmittel, Förderregula- Das dreijährige Projekt AKTILA-BS widme- langzeitarbeitslosen und 12,0 % der schwer- rien u. ä. te sich wissenschaftlichen Fragestellungen behinderten Menschen eine abhängige Be- ■ … alle wichtigen Kontaktadressen und und hat zugleich eine Fülle an praktischen schäftigung oder selbständige Tätigkeit auf- Ansprechpartner Unterstützungsmöglichkeiten für arbeitssu- nahmen. ■ … effektive Suchfunktionen zum chende blinde und sehbehinderte Menschen Eine der Teilnehmenden, die mit Hilfe von schnellen Auffinden der gewünschten entwickelt und erprobt. Die Ergebnisse AKTILA-BS nach jahrelanger Arbeitssuche Informationen werden auch nach dem Projektende wei- einen Job gefunden hat, ist die 43-jährige ■ … zahlreiche Beispiele erfolgreicher In- terhin nutzbar sein. Von den insgesamt 58 Julia Krekeler. Die Tatsache, dass in ihrer Hei- tegration. Teilnehmenden hatten kurz vor Projektab- matregion Marburg zahlreiche blinde oder ■ Das neue Informationssystem steht schluss 12 Personen (21 %) eine sozialversi- sehbehinderte Senioren in den Alten- und allen Interessierten unter www.wiki- cherungspflichtige Beschäftigung gefunden Pflegeheimen wohnen, führte zu der Idee, durchblick.de zur Verfügung. und gehalten, weitere 5 hatten sie allerdings die ausgebildete Betreuungsassistentin auf auch wieder verloren. Zum Vergleich: Die diese Personengruppe zu spezialisieren. Ein bestand das Konsortium aus vier weite- Bundesagentur für Arbeit verzeichnete 2017 individuell auf sie zugeschnittenes Fortbil- ren spezialisierten Bildungseinrichtungen für den Rechtskreis des SGB II, dass 17 % der dungsprogramm brachte den gewünschten bundesweit, dem Deutschen Verein der Erfolg: Das Alten- und Pflegeheim Haus am Blinden und Sehbehinderten in Studium Park in Frohnhausen erkannte den Mehr- und Beruf (DVBS) e.V. und der InterVal wert, der entsteht, wenn eine selbst von GmbH Berlin, welche die wissenschaftli- Online-Befragung: einer Sehschädigung betroffene Person die che Begleitung übernahm. Unterstützung Kennen und nutzen Sie das Reha- Alltagsbegleitung der Bewohner mit Seh- erhielten sie zudem von zahlreichen Reha- einrichtungsverzeichnis der BAR? handicap übernimmt. Man ermöglichte Julia Trägern, Jobcentern und Integrationsäm- Über 1000 medizinische Rehaeinrichtun- Krekeler ein Praktikum, das für alle Beteilig- tern als Kooperationspartner an den un- gen bundesweit finden sich in diesem Ver- zeichnis auf der BAR-Website. Seine Über- ten erfolgreich verlief: Die sehgeschädigten terschiedlichen Standorten. Im Rahmen arbeitung steht bevor und die BAR lädt Sie Senioren in Alten- und Pflegeheimen pro- des Projektbeirats hat auch das Team „Sys- zur Teilnahme an einer online-Befragung fitierten von der Selbsterfahrung der seh- tembeobachtung und Forschung“ der BAR- ein: Bewerten Sie die Nutzerfreundlichkeit, behinderten Betreuungsassistentin, die bei Geschäftsstelle das Projekt begleitet. Eine geben Sie uns Hinweise und Anregungen, was künftig verbessert werden kann! Mahlzeiten Hilfestellung leistet, Spaziergän- ausführlichere Fassung dieses Artikels finden ge begleitet oder mit den Senioren bastelt Sie unter www.bar-frankfurt.de/themen/ https://s2survey.net/befragung-rev/?r=1 und singt, die Heimleitung freute sich über weiterent w ick lung-und-forschung/ die Entlastung und Julia Krekeler hatte ihre ausgewaehlte-forschungsthemen.html. Der Wunschstelle gefunden. abschließende Projektbericht wird in Kürze Finanziert wurde AKTILA-BS aus Mitteln unter www.aktila-bs.de verfügbar sein. ● des Ausgleichfonds. Neben dem Berufsför- derungswerk Würzburg als Koordinator
SCHWERPUNKT – Sehbehinderung Die Rehabilitation • Reha-Info der BAR 4/2020 VII Interview mit Rika Esser, Beauftragte Rika Esser, Bildquelle: GIZ der Landesregierung für Menschen mit Behinderungen in Hessen Seit 1. März 2020 ist Rika Esser die Beauftragte der Menschen mit Behinderungen in Hessen. Auch die ersten Monate ihrer Amtszeit wurden von der Corona-Pandemie überschattet. Derzeit überschattet die Corona-Pan- durchgeführt, um die Entwicklung sehr ak- demie alles. Wie gehen die Menschen tuell nachvollziehen zu können. Nachdem mit Behinderungen in Hessen mit der aktu- sich belegen ließ, dass der Infektionsver- über den Wohnungsbau bis hin zur Leichten ellen Situation um? Wie kommen Sie zu- lauf in Einrichtungen der Behindertenhilfe Sprache – Barrieren abzubauen. recht? Was muss die Politik tun? deutlich milder ist als in Altenpflegeein- Bei der Abwägung von Bürgerrechten und Es hat sich zunächst herausgestellt, dass es richtungen, konnte die Landesregierung die Gesundheitsschutz, sind Menschen mit Be- „die“ Menschen mit Behinderungen nicht Besucherreglung in der Behindertenhilfe hinderungen und ihre Teilhabe am Leben gibt. Ich lege deshalb bei dieser Frage den großzügiger gestalten und hat dies auch ge- in der Gesellschaft in besonderer Weise zu Fokus auf zwei Fragestellungen, die in der tan. beachten. Maßnahmen des Gesundheits- Corona-Krise häufiger Thema waren: Insgesamt sind wir als Gesellschaft routi- schutzes müssen sich stets am Prinzip der Die Corona-Krise hat eine Maskenpflicht nierter geworden in der Anwendung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen mit sich gebracht. Für viele von uns war dies Schutzkonzepte, sodass bei Einhaltung der orientieren und prüfen lassen. Hier haben ein lästiges, aber notwendiges Übel. Men- Regeln auch Besuche in Einrichtungen ver- wir in den vergangenen Monaten auch in al- schen mit Behinderungen können ggf. aus stärkt möglich sein sollten. Freund*innen len Bereich viel gelernt und können in einem behinderungs- oder krankheitsbedingten und Angehörige haben nicht nur für behin- möglichen weiteren Pandemiefall noch dif- Gründen keine Maske tragen. Die einschlä- derte Menschen, sondern für alle Menschen ferenzierter und zielgenauer reagieren. gigen Corona-Verordnungen sehen auch eine herausragende Bedeutung, sodass ich Mit Sorge sehe ich die Entwicklungen auf Ausnahmen von der Maskenpflicht für die- mir erhoffe, dass mit einer zunehmenden dem Arbeitsmarkt. Bereits jetzt mussten sen Personenkreis vor. Dennoch haben et- Selbstverständlichkeit bzgl. der Schutzmaß- viele Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit ge- liche Bürger*innen sich an mich gewandt, nahmen auch zukünftig mehr soziale Kon- hen oder entlassen werden. Bei länger an- da Menschen mit Behinderungen, die keine takte zu Heimbewohner*innen ermöglicht haltenden wirtschaftlichen Einschränkun- Masken tragen konnten, der Zutritt zu Ge- und gehalten werden können. gen ist zu befürchten, dass dieser Trend sich schäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln Diese Erfahrungen können wir für die Zu- noch verstärken wird. Menschen mit Behin- verwehrt wurde. Wir wollen daran arbeiten, kunft nutzen und im Falle einer sog. zweiten derungen können es in dieser verstärkten die bestehenden Ausnahmen bekannter zu Welle hoffentlich differenzierter reagieren Konkurrenzsituation schwerer haben, einen machen. Es muss jeweils abgewogen werden als das früher möglich war. Arbeitsplatz zu erlangen. Hier müssen wir zwischen den schützenswerten Interessen von allen Seiten versuchen, die bestehenden der Beteiligten, also bspw. dem Gesund- Werden aus Ihrer Sicht langfristige Be- Möglichkeiten konsequent zu nutzen, die heitsschutz eine*r Friseur*in, und dem Inte- einträchtigungen für Menschen mit Be- wir haben: angefangen bei der Sensibilisie- resse der oder des Kunden, keine Maske zu hinderungen infolge der Pandemie bleiben? rung der Arbeitgeber*innen über die För- tragen, wenn es nicht möglich ist. Welche sind das? Und was kann die Gesell- derung der Arbeitsverhältnisse bis hin zur Einrichtungen der Altenhilfe und der Be- schaft dagegen tun? möglichst raschen Bewilligung der notwen- hindertenhilfe wurden hinsichtlich der Menschen mit Behinderungen haben – nicht digen Arbeitsplatzausstattung und –assis- Besucherregelung gleichbehandelt. Dies zuletzt angestoßen durch die UN-Behinder- tenz. Hier sind alle beteiligten Akteur*innen war folgerichtig, weil zu Beginn der Coro- tenrechtskonvention – ein höheres Maß an gefragt. na Pandemie niemand wusste, wie sich das gesellschaftlicher Teilhabe erreicht. Es gehört Infektionsgeschehen in den Einrichtungen zur Normalität, dass Menschen mit Behinde- Das vollständige Interview lesen Sie entwickelt. Parallel dazu hat das Sozialmi- rungen angemessene Vorkehrungen einfor- auf der Homepage der BAR nisterium ein tägliches Monitoring in Ein- dern, mit dem Ziel in den unterschiedlichsten (www.bar-frankfurt.de) ● richtungen der Alten- und Behindertenhilfe Bereichen der Gesellschaft - von der Bildung,
VIII Die Rehabilitation • Reha-Info der BAR 4/2018 SCHWERPUNKT – Sehbehinderung (Keine) Zuständigkeitsklärung bei Weiter- bewilligung, einheitliches Leistungsgeschehen Orientierungssätze* ■ Wird im Rahmen eines einheitlichen Leistungsgeschehens die Weiterbewilligung einer zuvor bereits für das ambulante betreute Leistung beantragt, wird die Zuständigkeit für die beantragte Leistung nicht erneut Wohnen zuständig geworden. Seither be- nach § 14 SGB IX geprüft. stand eine im Kern unveränderte Bedarfs- ■ Maßgeblich für die Einheitlichkeit des Leistungsgeschehens ist insbesondere ein im lage und mithin ein einheitliches Leistungs- Kern unveränderter Bedarf. geschehen. Es widerspräche laut BSG dem Grundsatz der Leistungskontinuität, wenn BSG, Urteil v. 28.11.2019, Az.: B 8 SO 8/18 R * Leitsätze oder Entscheidungsgründe des Gerichts bzw. Orientierungssätze nach JURIS, redaktionell abgewandelt und gekürzt die Änderung der örtlichen Zuständigkeit durch einen Umzug zugleich eine bereits bestehende (sachliche) Zuständigkeit be- Sachverhalt und Entscheidungsgründe ab März 2013 erbrachte Fachleistungen ab. endete. Auch eine auflösende Bedingung Die 1969 geborene Klägerin leidet an pa- Die hiergegen gerichtete Klage war in den unterbricht für sich genommen nicht ein ranoider Schizophrenie. Sie lebte zunächst Vorinstanzen erfolgreich, im Wesentlichen ansonsten einheitliches Leistungsgeschehen im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen unter Hinweis darauf, dass durch Weiter- – ebenso wenig wie eine zeitabschnittswei- zu 1 und seit 2008 in K im Zuständigkeits- leitung des Antrags vom 20.12.2012 nach se Bewilligung von Leistungen (vgl. BSG, Ur- bereich des Beigeladenen zu 2. Dort wurde § 14 SGB IX (a.F.) die Zuständigkeit der Be- teil v. 4.4.2019, Az.: B 8 SO 12/17 R). Deshalb sie in ihrer Wohnung ambulant betreut. Die klagten begründet worden sei. Das BSG hat war der Beigeladene zu 1 wegen der bereits Kosten trug der Beigeladene zu 1 als Leis- das Urteil des LSG aufgehoben und die Sa- geklärten Zuständigkeit nicht zur Weiterlei- tung der Eingliederungshilfe nach §§ 53f. che an das LSG zurückverwiesen. tung nach § 14 SGB IX (a. F.) berechtigt, die SGB XII (a. F.). Nach einem mehrmonatigen Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Weiterleitung ging „ins Leere“. stationären Aufenthalt der Klägerin be- Kosterstattung ist hiernach § 15 SGB IX Die zur Rechtslage vor 2018 ergangene Ent- willigte der Beigeladene zu 1 auf entspre- (a. F.), der sich gegen den nach § 14 SGB IX scheidung präzisiert den Umgang mit Wei- chenden Antrag ab Mai 2011 erneut Ein- (a. F.) verantwortlichen Reha-Träger richtet. terbewilligungsanträgen nach § 14 SGB IX gliederungshilfe für das ambulant betreute Vorliegend war dies nach dem BSG der Bei- sowie die Konsequenzen unberechtigter Wohnen. Die letzte Bewilligung erfolgte geladene zu 1. Zwar hat der stationäre Auf- Weiterleitungen. Nicht zuletzt die mit Blick befristet bis 30.6.2013 und unter der auflö- enthalt 2011 das bisherige Leistungsgesche- auf das einheitliche Leistungsgeschehen senden Bedingung, dass die Klägerin aus der hen im Hinblick auf das ambulante betreute angelegten Kriterien „Bedarf“ und „Leis- Betreuung in K. ausscheidet. Ende 2012 zog Wohnen unterbrochen. Denn damit wurde tungsart“ dürften auch im Kontext der aktu- sie nach B. in den Zuständigkeitsbereich der auf eine erheblich geänderte Bedarfslage ellen Rechtslage sowie für andere Leistungs- Beklagten. Einen beim Beigeladenen zu 1 mit einer nach dem Leistungsrecht des SGB trägerbereiche relevant sein. ● am 20.12.2012 gestellten Antrag auf Einglie- XII (a. F.) wesentlich anderen (stationären) derungshilfe für ambulant betreutes Woh- Leistung reagiert. Durch Nichtweiterleitung nen leitete dieser an die Beklagte weiter. Die des 2011 gestellten Antrags ist der Beigela- Beklagte lehnte eine Kostenübernahme für dene zu 1 allerdings nach § 14 SGB IX (a. F.) Impressum Forschungsbeiträge: Dr. Maren Bredehorst, Dr. Teresia der gesetzlichen Krankenversicherung, der Sozialversi- Reha-Info zur Zeitschrift Die Rehabilitation, 59. Jahrgang, Widera. Rechtsbeiträge: Dr. Thomas Stähler, Marcus Schian cherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, der Heft 4, August 2020 Telefon: 069/605018–0 Bundesländer, der Spitzenverbände der Sozialpartner, der Die Reha-Info erscheint außerhalb des Verantwortungsbe- E-Mail: info@bar-frankfurt.de Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und reichs der Herausgeber der Zeitschrift Die Rehabilitation. Internet: http://www.bar-frankfurt.de Hauptfürsorgestellen, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitati- Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) überörtlichen Träger der Sozialhilfe sowie der Kassenärztli- on (BAR) e. V., Solmsstr. 18, 60 486 Frankfurt am Main e. V. ist die gemeinsame Repräsentanz der Deutschen chen Bundesvereinigung zur Förderung und Koordinierung Redaktion: Günter Thielgen (verantwortlich), Bernd Giraud, Rentenversicherung Bund, der Bundesagentur für der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Franziska Fink, Mathias Sutorius; Arbeit, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung,
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