Reisen in Corona-Zeiten: Überraschungen nicht ausgeschlossen - Thaihom

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Reisen in Corona-Zeiten: Überraschungen nicht ausgeschlossen - Thaihom
Reisen in Corona-Zeiten:
    Überraschungen nicht
    ausgeschlossen

    © Thaihom Enterprises und Josef Burri 2021
    Stand: 28.02. 2021

Die Vorstellung, dass Reisen beschwerlich sein soll, würden wir früheren Zeiten zuord-
nen, als es vielleicht noch ein Abenteuer war, von Zürich nach Bern oder von München
nach Oberstammheim zu gelangen. Bis vor kurzem kauften wir ein Ticket nach New
York, stiegen am nächsten Tag ins Flugzeug und spazierten abends bereits auf der
Wallstreet. Nicht die Propheten des ökologischen Untergangs, sondern ein Virus hat das
alles verändert. Wir bleiben zu Hause und pflegen unser Gemüt in der Einsamkeit unse-
rer Zweierbeziehungen. Ähnliches passiert in Thailand, aber einiges ist anders: Same
same, but different. Hier hat das Virus einen schweren Stand. Wenn es doch einmal zu-
packt, dann schreitet Vater Staat energisch ein und bringt seine stärkste Waffe in Stel-
lung: die Bürokratie. Dass dabei Überraschungen nicht ausbleiben, macht die Sache
angenehmer als sie tatsächlich ist.
Reisen in Corona-Zeiten: Überraschungen nicht ausgeschlossen - Thaihom
Eine Reisebescheinigung

Die Provinz Chonburi, mit dem Wagen rund anderthalb Stunden südöstlich von Bangkok,
figurierte im Januar 2021 auf einer roten Liste, als das Virus nachweislich ein paar Dutzend
Menschen befiel (bei einer Bevölkerungszahl von 1,7 Millionen Einwohnern). Die Regierung
verfügte Reisebeschränkungen. Die Bewegungsfreiheit war zwar nicht wirklich einge-
schränkt. Aber wer aus anderen Provinzen einreiste, musste mit einer Kontrolle rechnen. Al-
lenfalls drohte die Rückweisung oder der Aufenthalt in der Zwangsquarantäne. Eine sichere
Rückkehr in die eigene Provinz war nur gestattet, wer vor Antritt der Reise eine Bescheini-
gung im Regierungsgebäude einholte (in unserem Fall bei der Stadtverwaltung von Pattaya).
Da der Geburtstag unserer hochbetagten Mutter bevorstand (sie lebt in einer anderen Provinz
rund 60 Kilometer westlich von Bangkok), wollten wir die Gelegenheit nutzen, um ihr für
zwei Tage Gesellschaft zu leisten. Davor war ein Abstecher nach Takhli (Provinz Nakhon
Sawan) vorgesehen, wo wir mit dem Roti-Verkäufer vom Bahnhofplatz befreundet sind und
auch sonst ein paar Leute kennen.

Um sicher zu gehen, dass wir bei der Rückkehr keine bösen Überraschungen erleben, begaben
wir uns also rechtzeitig vor Antritt der Reise in die City Hall, um das ominöse Papier einzu-
holen. Wie so häufig in Thailand waren wir nicht die einzigen, die alles richtig machen woll-
ten. Immerhin hatte sich die Stadtverwaltung vorgesehen. Schon beim Eingang, aber noch an
der (mehr oder weniger) frischen Luft waren Stühle und Tischchen installiert, alles im vor-
schriftsgemässen Abstand. Hier durften wir uns hinsetzen, natürlich mit der Maske vor dem
Gesicht, und je drei Seiten Formulare ausfüllen. Dienstbare Geister bemühten sich um uns
und erklärten, wie die einzelnen Positionen der Formulare zu verstehen seien, was darauf
schliessen lässt, dass die Fragen vielleicht nicht so präzis formuliert waren. Jedenfalls mühten
sich auch Einheimische damit ab, die des Thailändischen mündlich und schriftlich durchaus
mächtig sind. Nach rund einer halben Stunde waren wir soweit: Die Unterschriften waren am
richtigen Ort platziert, und unsere ungefähre Reiseroute war nach Rückfragen bei mehreren
Auskunftspersonen der Stadtverwaltung notiert. Nun folgte der Kontrollreigen mit drei oder
vier Stationen, wo wir unsere ausgefüllten Formulare vorweisen mussten. Irgendwann hört
der Antragsteller auf zu zählen und möchte den anforderungsreichen Parcours einfach hinter
sich bringen. Was genau kontrolliert wurde, entzog sich unserer Kenntnis. Aber am Schluss
hatten wir zwei Reisewilligen je ein unterschriebenes Dokument in Händen, das wir sorgfältig
                                                          aufbewahrten und in die Reiseunterla-
                                                          gen legten.

                                                                So fuhren wir also ein paar Tage spä-
                                                                ter wohlgemut Richtung Norden ins
                                                                unscheinbare Provinzstädtchen Takhli,
                                                                das sich immerhin durch einen Bahn-
                                                                hof, eine rätselhafte Reiterstatue ge-
                                                                genüber dem Bahnhof und einen Mili-
                                                                tärflughafen auszeichnet. Letzterer
                                                                spielte eine wichtige Rolle während
                                                                des Vietnam-Kriegs und diente der
                                                                US-amerikanischen Luftwaffe als
                                                                Stützpunkt. Heute wird er ausschliess-
                                                                lich von der thailändischen Air Force
                                                                betrieben. In Takhli ist das Wirkungs-
                                                                feld unseres Freundes Montri: Früher
                                                                war er Schauspieler. Irgendwann war

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er für die Rolle des jugendlichen Liebhabers nicht mehr zu gebrauchen, und so hängte er die
Schauspielerei an den berühmten Garderobennagel, obwohl er noch heute als Senioren-Model
durchgehen würde. Während sechs Tagen in der Woche betreibt er einen Roti-Stand am
Bahnhofplatz von Takli. (Roti sind eine Art Omelette, die nicht viel kosten und bei jung und
alt als Zwischenverpflegung beliebt ist.) Samstags bleibt sein Roti-Stand verwaist. Denn das
ist sein freier Tag, den sich der Kleinstunternehmer zugesteht. Dann macht er mit Freunden
einen Ausflug in die nähere oder weitere Umgebung und stürzt sich abends ins Nachtleben
der Kleinstadt.

Schmeichelhafte Polizeikontrolle

Bevor wir an diesem Tag unseren Ausflug starten, gehe ich auf Fotopirsch am Bahnhofplatz
von Takhli. Zwei offensichtlich unterbeschäftigte Polizisten lungern ebenfalls am Bahnhof
herum und kontrollieren Passagiere, die auf einen Zug warten, der niemals zu kommen
scheint. Als Ausländer falle ich hier natürlich auf, und einer der Polizisten fragt höflich nach
meinem Vornamen und wo ich herkomme und ob er ein Foto mit mir machen dürfe. Sein
Kollege zückt die Handy-Kamera, und so werde ich per Bild mit einem jungen Polizisten
verewigt. Sein Verhalten schmeichelt mir eher als dass es mich belästigt : Ich erinnere mich
an frühere Zeiten, als es für einen Jungsoldaten vom Land noch ein Ereignis war, einem wild-
fremden Ausländer über den Arm zu streichen, um zu spüren, wie sich weisse Haut anfühlt.

Die Erleuchtung kam mir erst Stunden später, und zwar auf unserem Ausflug zu zwei Tem-
peln in der (tempelreichen) Gegend. Wir waren die einzigen Besucher, ungewöhnlich für ein
Kloster in Thailand, vor allem an einem Samstag. Offenbar fürchteten sich die Menschen vor
grösseren Menschenansammlungen, obwohl hier schon seit Monaten kein Corona-Fall mehr
zu verzeichnen war. So genossen wir denn die prächtige Aussicht von einem Tempelhügel mit
einem Fussabdruck, der angeblich Buddha hinterlassen hatte, für uns ganz alleine. Und da
kommt manch einer ins Sinnen und Nachdenken.

Die Begegnung mit dem jungen Polizisten: Oh ich naiver Ausländer! Ich bin in eine Polizei-
kontrolle geraten, ohne es überhaupt zu merken. Es wird für den Polizisten ein leichtes gewe-

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sen zu sein, mich in der Datenbank der Immigrationsbehörde mit Vornamen, Herkunftsland
und Bilderkennung eindeutig zu identifizieren. Die Begegnung war keineswegs so harmlos
und unabsichtlich, wie ich mir das zunächst ausgemalt hatte. Ein Ausländer, der sich in
Corona-Zeiten im Land bewegt, macht sich verdächtig, trotz Quarantäne und dreimaligem
negativem Corona-Test. Die Bestätigung erfolgte abends sozusagen auf dem Fuss.

Die Reiterfigur

                                              Der Name "Takhli" ist abgeleitet von "Tikhli", was Polo-
                                              Feld bedeutet. Dazu ist in Thailand eine Volkserzählung
                                              weitherum in zahlreichen Varianten bekannt. König Phra
                                              Phuttha Loetla Naphalai Rama II. (Regierungszeit: 1809
                                              bis 1824) schrieb über diese Figur sogar einen ganzen
                                              Roman und nannte einen der Schauplätze Tikhli.
                                              Hauptcharakter ist ein Königssohn, der gülden schimmert,
                                              dessen "goldenes Wesen" vom König aber nicht erkannt
                                              wird. Eine Nebenfrau des Königs intrigiert gegen Tikhli,
                                              um ihren eigene Sohn zum Thronerben zu machen, und so
                                              wird der erste Königssohn verstossen.

                                            Diese Version erzählt die Geschichte des Königssohnes
                                            Sang, geboren in einer Muschel. Später wird er von der
                                            Mutter getrennt und wächst bei einer Riesin auf. Er stielt
                                            deren magischen Gegenstände und erhält in einem Zau-
                                            berteich sein goldiges Aussehen. Mit seinen magischen
                                            Kräften entflieht er der Riesin und gelangt in ein König-
                                            reich, versteckt sein Gesicht aber unter einer hässlichen
                                            Maske. Trotz seines abstossenden Gesichtes verliebt sich
eine Prinzessin in ihn und wählt ihn zu ihrem künftigen Gatten. Das ärgert ihren Vater, König Samon.
Sang meistert jedoch alle Herausforderungen seines künftigen Schwiegervaters. Schliesslich entblösst
er seinen goldigen Körper und seine königliche Herkunft und erweist sich so als würdig, die Königs-
tochter zu heiraten.

Rockmusik statt Tango

Unser Freund, der Roti-Verkäufer vom Bahnhofplatz, fragte mich am Abend zuvor, ob ich
Gesellschaftstänze wie Tango, English Waltz oder Rumba kenne. Die Frage überraschte mich.
Ja klar, prahlte ich los, obwohl ich so ziemlich ahnungslos bin, welche Tanzschritte da ausge-
führt werden müssen. Ich hätte mir im Traum nie vorstellen können, dass die Frage einen rea-
len Hintergrund hatte. So standen wir anderntags vor einem Nightclub, wo eben solche Tänze
en vogue waren – in der thailändischen Provinz im 21. Jahrhundert! Wahrscheinlich auch eine
Folge der viralen Invasion, die manchen Unternehmer der kleinstädtischen Unterhaltungs-
Szene zu alternativen Geschäftsideen zwang. Allerdings hatte unser Freund die Rechnung
ohne den Wirt gemacht. Der zeigte auf mich und verweigerte den Eintritt in seinen Club: Sei-
ne Gäste wünschten keine potentiell gefährlichen Ausländer. Ich wusste nicht, ob ich lachen
oder weinen sollte. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich einer Diskriminierung als weis-
ser Europäer ausgesetzt. Wie froh war ich aber, dass ich mich nicht wegen meiner Tanz-
Schwächen blossstellen musste.

Dafür nahm ich ein paar Gehörschäden in einem Rock-Schuppen in Kauf. Wobei "Schuppen"
eigentlich nicht ganz der richtige Ausdruck ist: Der Besitzer hatte seine nach aussen abge-
schlossene Karaoke-Bar in ein Open-Air-Restaurant verwandelt, um sich den Corona-Regeln
anzupassen, offensichtlich mit wenig Erfolg. Eine sechsköpfige Band war gerade zu einer

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Probe verabredet, als wir eintrafen. Wir waren die einzigen Gäste, und so machte der Besitzer
kurzerhand seinen Laden auf. Aus der angesagten Übungsrunde wurde ein richtiges Konzert
mit engagierten, aus Leibeskräften singenden und spielenden Rock-Musikern, die an diesem
Abend alles gaben, was sie zu bieten hatten. Wir waren hingerissen, natürlich in gebührendem
Abstand. Wir haben dem Betreiber, der seit Tagen oder Wochen wegen Corona am Hunger-
tuch nagte, den Abend gerettet, denn nebst uns trafen noch ein paar weitere Gäste ein, wohl
angelockt von den Klangeruptionen der jungen Rockmusiker. Der Abend wurde für alle ein
voller Erfolg. Am Schluss haben wir uns mit Musikern und Service-Angestellten verbrüdert.
Dass sich nicht mehr ganz junge Gäste mit ganz jungen Menschen zwanglos vergnügen, so
etwas ist wohl nur dank Corona und nur in Thailand möglich. Dem Virus sei dank!

A propos Corona: Das Dokument, das wir vor unserer Abreise mühsam bei der Stadtverwal-
tung beschafft hatten, wollte auf der ganzen Reise kein Mensch sehen. Wir hatten es immer-
hin dabei, für alle Fälle!

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