REMAP: FORSCHUNGS-PLATTFORM FÜR MULTI-ENERGIESYSTEME - DORA 4RI
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14 | FACHARTIKEL AQUA & GAS N o 9 | 2020 ReMaP: FORSCHUNGS- PLATTFORM FÜR MULTI- ENERGIESYSTEME Um fluktuierende Energiequellen ins Energiesystem zu integrieren, sind Flexibilitätsoptionen wie z. B. die Sektorkopplung notwendig. Sogenannte Multienergiesysteme ermöglichen die Sektor- kopplung auf lokaler Ebene. Um die damit verbundenen Herausforderungen besser zu verstehen, entwickeln die ETH Zürich, die Empa und das Paul Scherrer Institut (PSI) zusammen mit industri- ellen Partnern die «Renewable Management and Real-Time Control Platform» (ReMaP). ReMaP baut auf den bestehenden Plattformen der Empa und des PSI auf, erweitert sie und erlaubt es Wis- senschaftlern, Ingenieuren und Technikern aus Universitäten, Hochschulen und Industrie, sowohl Experimente als auch Simulationen durchzuführen. Autoren s. Box auf gegenüberliegender Seite SEKTORKOPPLUNG UND MULTIENERGIESYSTEME Mit dem im Januar 2018 in Kraft getretenen Energiegesetz hat RÉSUMÉ die Schweiz entschieden, schrittweise aus der Nuklearenergie auszusteigen sowie die Nutzung erneuerbarer Energieträger zu ReMaP: fördern, zudem soll in den Sektoren Gebäude, Mobilität und In- UNE PLATEFORME DE RECHERCHE POUR LES SYSTÈMES MULTI-ÉNERGIE dustrie die Energieeffizienz gesteigert werden. Des Weiteren hat L’intégration de sources d’énergie fluctuantes dans le système der Bundesrat im August 2019 beschlossen, dass die Schweiz bis énergétique nécessite des options de flexibilité comme le cou- 2050 netto keine Treibhausgase mehr ausstossen soll. Weil 2018 plage des secteurs. Ce dernier est rendu possible à l’échelle locale rund 36% der Stromproduktion durch Kernkraftwerke und nur par les systèmes multi-énergie. Avec de tels systèmes, il est par 4% durch neue erneuerbare Energien wie Photovoltaik (PV) und exemple possible d’utiliser du courant photovoltaïque pour couvrir Wind geleistet wurden [1], steht das schweizerische Energie- des besoins propres momentanés, d’injecter ce courant dans le system somit vor mehreren grossen Herausforderungen. réseau de distribution ou encore de le stocker dans une batterie ou sous forme de chaleur, d’hydrogène ou de méthane. Afin de mieux KOMPENSATION DURCH ERNEUERBARE ENERGIEQUELLEN comprendre les défis liés aux systèmes multi-énergie, l’EPF de Eine Herausforderung ist, dass der durch Kernkraftwerke produ- Zurich, l’Empa ainsi que le Paul Scherrer Institut (PSI) développent zierte Bandstrom durch den starken Ausbau volatil anfallender la plateforme «Renewable Management and Real-Time Control Sonnen- und Windenergie kompensiert werden muss. Diverse Platform» (ReMaP) conjointement avec les partenaires industriels Studien haben mittlerweile gezeigt, dass der wegfallende Band- smart grid solutions SA, Adaptricity SA, Supercomputing Systems strom durch von PV erzeugten Strom über ein Jahr mehr als kom- SA et National Instruments. La plateforme ReMaP se base sur les pensiert werden kann. Somit kann auch der erwartete Anstieg plateformes existantes de l’Empa et du PSI. Elle les élargit et per- des Stromverbrauchs durch Elektromobilität und Wärmepumpen met aux scientifiques, ingénieurs et techniciens des universités, hautes écoles et de l’industrie de réaliser des expériences ainsi Kontakt: haselbac@ethz.ch que des simulations. Au cours de la première phase du projet qui sera terminée en juin 2021, la plateforme sera non seulement éla- borée, mais elle servira également à la réalisation de neuf projets > S. 21
AQUA & GAS N o 9 | 2020 SEKTORKOPPLUNG | 15 gedeckt werden, die wesentliche Beiträge Entladeleistung und Investitionskosten zur Dekarbonisierung der Transport- und unterscheiden. Speicherseen und Pump- AUTORENLISTE (ALPHABETISCH) Wärmesektoren leisten müssen, wenn bis speicher tragen bereits heute massgeblich Konstantinos Boulouchos, 2050 netto keine Treibhausgase mehr aus- zur Flexibilisierung des Stromangebots Departement für Maschinenbau und Ver- gestossen werden sollen. bei. Batterien werden zunehmend zur fahrenstechnik, ETH Zürich Speicherung von moderaten Energiemen- Alain Brenzikofer, FLEXIBILITÄTSOPTIONEN gen eingesetzt (s. z. B. die EKZ-Batterie in Supercomputing Systems AG Eine weitere Herausforderung ist, dass Volketswil). Um überschüssigen Strom Turhan Demiray, der durch PV produzierte Strom nicht entweder in den Winter zu verlagern Forschungsstelle für Energienetze, nur den jährlichen, sondern auch den oder sonst sinnvoll einzusetzen, sind ETH Zürich augenblicklichen Bedarf decken muss. Power-to-X-(PtX-)Technologien von Inter- Martin von Euw, smart grid solutions AG Dieser weist innerhalb eines Tages, ei- esse. Unter diesen Sammelbegriff fallen Benjamin Flamm, ner Woche und eines Jahres erhebliche Power-to-Gas-(PtG-) und Power-to-Liquid- Departement Informationstechnologie Schwankungen auf. Damit die fluktuie- (PtL-)Technologien, die zuerst durch Elek- und Elektrotechnik, ETH Zürich rende Stromproduktion durch PV stets trolyse Wasserstoff und danach allenfalls Andreas Haselbacher, mit dem Verbrauch in Einklang gebracht Methan und andere Kohlenwasserstoffe Energy Science Center, ETH Zürich werden kann, muss das Energiesystem herstellen, wie auch Power-to-Heat-(PtH-) Philipp Heer, Empa mit Flexibilitätsoptionen ausgerüstet Technologien, die mittels Wärmepumpen Marcel Hofer, Paul Scherrer Institut sein, die es erlauben, Energie zwischen Wärme erzeugen und speichern. PtG- John Lygeros, Tag und Nacht, zwischen Arbeitstagen Technologien werden intensiv am Paul Departement Informationstechnologie und Wochenenden und zwischen Som- Scherrer Institut (PSI) erforscht, weil und Elektrotechnik, ETH Zürich mer und Winter zu verschieben. Eine sie die Kopplung der Strom-, Transport-, D iamantis Marinakis, Flexibilitätsoption ist der Stromhandel Wärme- und Gassektoren ermöglichen Forschungsstelle für Energienetze, mit Nachbarstaaten, wodurch bereits [2]. Wenn die Sektorkopplung auf lokaler ETH Zürich jetzt im Sommer überschüssiger Strom Ebene stattfindet, wie z. B. in Quartieren, Sabine Proll, Supercomputing Systems AG exportiert und im Winter importiert wird. spricht man oft von Multienergiesyste- Christian Schaffner, Eine weitere Flexibilitätsoption, die in Zu- men. Ein Beispiel eines Multienergiesys- Energy Science Center, ETH Zürich kunft zusätzlich an Bedeutung gewinnen tems ist das «vertikale Quartier» NEST Christian Schürch, wird, ist die Energiespeicherung. Es gibt zusammen mit den beiden Plattformen Departement für Maschinenbau und Ver- eine breite Palette an Speichertechnolo- move und ehub an der Empa. Dort kann fahrenstechnik, ETH Zürich gien von unterschiedlicher Reife, die sich z. B. der durch PV erzeugte Strom nicht Andreas Ulbig, Adaptricity AG u. a. durch Effizienz, Kapazität, Lade-/ nur zur Deckung des momentanen Eigen- Fig. 1 Übersicht der ReMaP-Plattform sowie die bei der Empa und dem PSI verfügbaren Umwandlungs- und Speichertechnologien.
16 | INFRASTRUKTUREN AQUA & GAS N o 9 | 2020 bedarfs benützt oder ins Verteilnetz ein- schaftlern, Ingenieuren und Tech- Technikern aus Universitäten, Hochschu- gespiesen werden, sondern er kann auch nikern ausbilden, die notwendig ist, len und Industrie zugänglich gemacht in einer Batterie oder entsprechend um- um das Ziel eines dekarbonisierten werden. gewandelt als Wärme, Wasserstoff oder schweizerischen Energiesystems zu ehub ist die Energieforschungsplattform Methan gespeichert werden. erreichen. der Empa und vernetzt die beiden De- 3. Behörden, Politiker und die breite Be- monstratoren NEST und move. Gemein- NOTWENDIGKEIT EINER völkerung können anhand der Platt- sam stellen diese ein reales Quartier FORSCHUNGSPLATTFORM form den Betrieb und die Vorteile von dar, in welchem Energie erzeugt, trans- Multienergiesystemen erleben. portiert, gespeichert und umgewandelt Multienergiesysteme ermöglichen nicht wird. Über ehub kann das ReMaP-Pro- nur die Sektorkopplung und damit eine Um diese Plattform zu erstellen, haben jekt dieses Experimentalquartier und verstärkte Nutzung erneuerbarer Ener- sich die ETH Zürich, die Empa, das PSI die vorhandenen Technologien für eigene giequellen und die Dekarbonisierung, und die industriellen Partner smart grid Forschungsfragen nutzen. sondern sie bedeuten auch eine Dezent- solutions (SGS) AG und Adaptricity AG zu Das «vertikale Quartier» NEST [3] ist ralisierung der Energieversorgung. Be- einem Konsortium zusammengeschlos- ständig belebt (Fig. 2). Es beinhaltet sonders wenn sich Multienergiesysteme sen. Das Konsortium wird durch weitere Wohnungen, Büros und Freizeitanlagen. stärker verbreiten und Strom, Wärme industrielle Partner, die Supercomputing move [4] ist als Tankstelle der Zukunft und Gas in entsprechende lokale Netze Systems (SCS) AG und die National Inst- konzipiert und bietet die Möglichkeit, eingespiesen werden können, stellt diese ruments, unterstützt. Die Erstellung und Treibstoffe aus erneuerbarer Energie zu Dezentralisierung eine grosse Herausfor- erste Versuche mit der Plattform werden tanken (Fig. 3). Diese Umgebung lässt es derung für das schweizerische Energie- in einer ersten Projektphase von Oktober zu, dass unterschiedliche Nutzungsarten system dar: Jetzt wird z. B. Strom haupt- 2019 bis Juni 2021 vom Bundesamt für von Energie ausgewertet werden können. sächlich durch wenige grosse Kraftwerke Energie, ETH Zürich, ETH Foundation, Mehrere Tausend Messpunkte liefern produziert und über das Übertragungs- Empa, PSI, SGS, Adaptricity AG und Nati- kontinuierlich Daten, die sowohl live und Verteilnetz zu Konsumenten geleitet. onal Instruments mit insgesamt 7,96 Mio. als auch zur späteren Modellierung und Multienergiesysteme stellen diesen Vor- Franken unterstützt. Analyse zur Verfügung stehen. Neben gang auf den Kopf: Durch vergleichsweise Ein wichtiges Merkmal des ReMaP-Pro- Wärmepumpen, Batterien, Solaranlagen kleine lokale Systeme wird Strom lokal jekts ist, dass die Plattform nicht von und Elektrotankstellen stehen auch ein produziert und der Überschuss ins Ver- Grund auf neu erstellt wird. Stattdes- Elektrolyseur und Brennstoffzellen zur teilnetz eingespiesen. Mit anderen Wor- sen baut ReMaP auf den bestehenden Verfügung. ten: «centralized, top-down» wird durch Plattformen ehub der Empa und ESI des Im ReMaP-Projekt stellt das PSI über ei- «decentralized, bottom-up» ergänzt oder PSI auf und verbindet und erweitert sie. nen weiteren Kanal der Forschung und evtl. sogar ersetzt. Um die Auswirkun- Durch ReMaP können ehub und ESI und Industrie seine Expertise sowie die ESI- gen dieser fundamentalen Änderungen die darin integrierten Komponenten wie Plattform (ESI steht für «Energy System besser zu verstehen, ist eine Forschungs- PV-Module, Batterien, Wärmepumpen, Integration») für die Entwicklung von plattform notwendig, die es erlaubt, die Elektrolyseure, Brennstoffzellen u. a., sie- Prozessen zur Energieumwandlung und Interaktion der verschiedenen für zu- he Figur 1, einer breiteren Gemeinschaft Speicherung zur Verfügung (Fig. 4). Die künftige Multienergiesysteme relevanten von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Plattform im 100-kW-Massstab hat den Technologien zu studieren. RENEWABLE MANAGEMENT AND REAL-TIME CONTROL PLATFORM Mit der Renewable Management and Real- Time Control Platform (ReMaP) soll die Untersuchung von zukünftigen Energie- versorgungssystemen, besonders Multi- energiesystemen auf Quartierebene, mög- lich gemacht werden. ZIELE DES ReMaP-PROJEKTS 1. Wissenschaftler, Ingenieure und Tech- niker aus Universitäten, Hochschulen und Industrie können mit der Plattform in Smart Grids eingebettete Technologi- en zur Umwandlung und Speicherung von Energie untersuchen und weiter- entwickeln. 2. Instruktoren können mit der Plattform die nächste Generation von Wissen- Fig. 2 «Vertikales Quartier» NEST an der Empa (© Zooey Braun)
AQUA & GAS N o 9 | 2020 SEKTORKOPPLUNG | 17 lung zwischen Stromnetz und Mobilität über das Speichermedium Wasserstoff in unterschiedlichen Konfigurationen getes- tet werden. STRUKTUR DER PLATTFORM Das Herzstück von ReMaP ist das Control Framework (CFW), siehe Figur 5, das die Kommunikation zwischen Plattformnut- zer, der Hardware an Empa und PSI sowie den Simulationsumgebungen übernimmt. Die Architektur setzt auf ein cloudba- siertes Multi-User-System, welches das Modellieren, Simulieren, Emulieren und Steuern von Multienergiesystemen er- möglicht. Dabei kommt die Venios Energy Platform (VEP) zum Einsatz, welche die geforderten Funktionalitäten dank der Fig. 3 Post-fossile Mobilität demonstriert am move-Demonstrator an der Empa (© Empa) folgenden Attribute erfüllt: – Ein einheitliches Archiv zur Speiche- rung von Daten aus Messungen und Si- mulationen. Dazu verwendet VEP eine NoSQL-Datenbank, welche die Vorteile einer hohen Skalierbarkeit und Flexibi- lität bietet. – Ein einheitliches REST-API (Repre- sentational State Transfer Application Programming Interface), über das alle angeschlossenen Systeme interagieren. – Der Datenimport/-export erfolgt über ein tabellarisches Format. Mittels REST-API kann auf die Daten der Platt- form zugegriffen werden. Prinzipiell kann jede Art von Sensorik an die Plattform angeschlossen werden. – Eine Benutzer- und Rollenverwaltung, die für das jeweilige Projekt individu- ell definiert werden kann. Die gesamte Kommunikation läuft über das REST- Fig. 4 E SI Plattform am PSI (© Mahir Dzambegovic, PSI) API, das den Zugang zu allen anderen Komponenten der Plattform generell Fokus auf Power-to-Gas-to-Power-Pro- Membran) Elektrolyse, H2-, O2- und CO2- einschränken kann (unabhängig ob zessen mit synthetischem Methan und/ Speicher, PEM-Brennstoffzellen, Wirbel- Hardware oder Software). oder Wasserstoff sowie auf Produktions- schicht-Methanisierung, Mikrogasturbi- prozessen für biogenes Methan (Biogas). ne (Blockheizkraftwerk, BHKW) sowie VEP ist eine generische Plattform, welche Das Ziel ist, Biomassen effizient und Anlagen zur hydrothermalen Vergasung typischerweise bei klassischen Netzbe- flexibel in das Energiesystem einzubin- wässeriger Biomasse. Zudem ist das Ge- treibern im Einsatz ist. Die Verwendung den, sowie grosse Energiemengen effi- bäudeleitsystem des PSI an die Steuerung von VEP für den Forschungsbetrieb zient speicherbar zu machen, die dann der ESI-Plattform angebunden. Damit wird durch SCS ermöglicht. SCS hat die bei Bedarf in geeigneter Form wieder kann weitere Infrastruktur wie die Pho- Anforderungen der Projektpartner und bereitgestellt werden können und damit tovoltaikanlagen auf PSI-Gebäuden oder Plattformbenützer/innen ermittelt und zur Lösung grosser Herausforderungen das Wärmenetz zugänglich gemacht gemeinsam mit Venios die Erweiterun- (z. B. saisonale Speicherung oder Sektor- werden. gen von VEP definiert. Ferner schreibt kopplung) im zukünftigen Energiesys- Mit den angebundenen Anlagen am PSI SCS die Software-Komponenten für die tem beitragen. kann bereits heute durch ReMaP die Kom- Anbindung der verschiedenen Systeme Die über ReMaP angebundenen und bination mit den angebundenen Anlagen an VEP. Eine grosse Erleichterung für die grösstenteils vom PSI in Partnerschaften an der Empa erfolgen. So kann z. B. mit Benützer/innen von ReMaP ist hierbei die entwickelten Kernsysteme der ESI-Platt- der Verbindung zum Mobilitätsdemonst- Python-Codebasis, in der gezeigt wird, form sind die PEM (Polymer-Elektrolyt rator move der Empa die Sektorenkopp- wie eigene Untersuchungen (Experiment
18 | INFRASTRUKTUREN AQUA & GAS N o 9 | 2020 und Simulation) durchgeführt werden können. Mithilfe von Beispielen und An- leitungen können Benützer/innen die Vorzüge moderner Software-Entwicklung nutzen und sich gleichzeitig auf ihre For- schung konzentrieren. Wie aus Figur 5 er- sichtlich ist, kann das CFW nicht nur mit den Plattformen an der Empa und dem PSI kommunizieren, sondern es können auch Geräte und Plattformen an anderen Standorten eingebunden werden. Zurzeit ist bereits ein BHKW an der ETH einge- bunden worden. Um Multienergiesysteme zu simulieren, bietet ReMaP das sogenannte Simula- tion Framework (SFW) an. Das SFW baut auf einer modularen Repräsentation der Geräte und Kontrollalgorithmen auf, mit denen Benützer/innen ein im Grunde genommen beliebig kompliziertes Mul- tienergiesystem simulieren können. Um die Modellierung zu vereinfachen, bietet das SFW eine Modellbibliothek an, die es Benutzenden ermöglicht, anhand existie- render Modelle, Kontrollalgorithmen und Fig. 6 Lastflussberechnung und Netzanalyse mit Adaptricity Smart-Grid-Simulator. Fig. 5 Übersicht der Plattformarchitektur.
AQUA & GAS N o 9 | 2020 SEKTORKOPPLUNG | 19 Systeme rasch eine Simulation vorzube- reiten. Wenn die Simulationsresultate darauf hindeuten, dass das untersuchte Multienergiesystem gut funktioniert, ist es möglich, schrittweise ein Modell nach dem anderen durch das vom Modell be- schriebene reale Gerät zu ersetzen. Diese sogenannten Hardware-in-the-Loop-(HIL-) Simulationen können wertvoll sein, wenn es z. B. darum geht, neue Kontrollalgo- rithmen zu testen. Die Plattform wird es möglich machen, nahtlos von einer reinen Simulation zu einem reinen Experiment überzugehen. Für die Simulation von Verteilnetzen wird der cloudbasierte Smart-Grid-Simu- lator des ETH-Spinoffs Adaptricity AG be- nützt. Der Fokus des Simulators liegt auf der Zeitreihen-basierten Netzsimulation mittels Netzmessdaten, um möglichst de- Fig. 7 E in konventionelles BHKW deckt den Wärmebedarf eines Gebäudes, während der Strom nach Mög- tailgetreue und realitätsnahe Analysen lichkeit ebenfalls vor Ort verbraucht wird. Überschussstrom wird ans Netz abgegeben. Ein Dampf- zu ermöglichen (Fig. 6). Insbesondere reformer nutzt einen Teil der Hochtemperaturwärme des BHKW für die Herstellung von Syngas aus aktiv betriebene Verteilnetze mit dezen- Wasser und Methan (Erdgas). traler Energieerzeugung und der Einsatz von Smart-Grid-Technologien, wie regel- bare Transformatoren, Lastmanagement und Energiespeicher, können simuliert, analysiert und betrieblich optimiert wer- den [5, 6]. FORSCHUNGSPROJEKTE Zusätzlich zur Erstellung der Plattform umfasst das ReMaP-Projekt neun For- schungsprojekte. Diese Projekte unter- suchen diverse Aspekte von Multiener- giesystemen. Im Folgenden werden zwei dieser Forschungsprojekte beschrieben. ERWEITERUNG EINES BHKW-PROZESSES Das erste Projekt befasst sich mit BHKW. Mit konventionellen BHKW wird Strom erzeugt und die Abwärme z. B. für die Bereitstellung von Warmwasser und Raumwärme benützt. Durch diese dop- pelte Nutzung ist der Gesamtwirkungs- grad von konventionellen BHKW, bezo- gen auf den unteren Heizwert, mit bis zu 106% bereits recht hoch. Bei BHKW, die auf Verbrennungsmotoren aufbauen, ist ein beträchtlicher Anteil der Abwärme bei Temperaturen von bis zu 700 °C er- hältlich und damit exergetisch gesehen Fig. 8 V ergleich von Experiment (blau) und Simulation (rot) für den Wärmespeicherfüllstand (oben) sowie wertvoll. Deshalb wird untersucht, wie die thermische (Mitte) und elektrische (unten) Leistung des BHKW, alle als Funktion der Zeit. Orange der konventionelle BHKW-Prozess er- ist der jeweilige Bedarf dargestellt. weitert werden kann, damit ein besserer Exergienutzungsgrad erreicht und er zur Ein durch die Abgaswärme betriebener einer elektrischen Leistung kleiner als Stromproduktion nach Bedarf in einem Dampfreformerprozess (Steam Methane 10 kW) gemäss einer Evaluation verschie- künftigen Energiesystem flexibler einge- Reformer, SMR) birgt für stöchiometrisch dener Optionen das grösste Potenzial bzw. setzt werden kann. betriebene Mikro-BHKW (BHKW mit Exergiewirkungsgradsteigerung und Fle-
20 | INFRASTRUKTUREN AQUA & GAS N o 9 | 2020 stunden leisten, die mit einer geeigneten Betriebsstrategie optimal und auf Abruf für die Stromproduktion zu Gunsten des Netzes eingesetzt werden können. Durch Anbinden der BHKW-Anlage an die Plattform kann die mittels Simulationen entwickelte Betriebsstrategie in der Reali- tät getestet werden. Während das BHKW als reale Maschine läuft, wird der Wär- mespeicher weiterhin als zeitgleich lau- fendes Modell mit den gemessenen Daten des BHKW beliefert. Figur 8 zeigt den Ver- gleich von Simulation und Experiment an- hand der konventionellen BHKW-Anlage. Bedarfsdaten für Strom und Wärme sowie die Experimentzeit werden auf die Vorga- bewerte und der Füllstand des Wärmespei- chers auf den durch die vorgängig durch- geführte Simulation ermittelten Wert gestellt, bevor das Experiment gestartet Fig. 9 G emessene und modellierte Temperaturen des Elektrolyseurs (oben) und Eingangsleistung (unten) wird. Die Maschine schaltet erwartungs- als Funktion der Zeit. gemäss aufgrund des Wärmespeicherfüll- standes aus und wieder ein. Der transiente Verlauf der produzierten Wärmeleistung nach einem Wiederanfahren der Anlage kann durch das Computermodell mit nur geringen zeitlichen Abweichungen, die u. a. auf die viel kleinere zeitliche Auflö- sung der Simulation zurückzuführen ist, vorhergesagt werden. Die Resultate zeigen, dass einerseits so- wohl der stationäre Zustand als auch das transiente Verhalten der Maschine durch das Modell gut abgebildet werden und andererseits die Betriebsstrategie in der Simulation und im Experiment dieselben Reaktionen der Maschine bewirkt. Die für das Gesamtprojekt bisher wichtigste Erkenntnis ist, dass die Einbindung ei- ner neuen Anlage in ReMaP und deren Ansteuerung über das CFW funktioniert. OPTIMIERUNG DER H 2-PRODUKTION Im zweiten Projekt wird die Herstellung von Wasserstoff (H2) optimiert, der durch Elektrolyseure aus überschüssigem Strom produziert wurde und der dann sowohl für Raumwärme wie auch für mit Brennstoffzellen ausgerüstete Fahrzeuge Fig. 10 Elektrolyseurleistung und Speicherstand (oben), Wasserstoffbedarf (Mitte), Grosshandelsstrom- benützt werden kann. preis (unten), alle als Funktion der Zeit. Um diesen Umwandlungspfad und dessen wirtschaftliche Optimierung zu untersu- xibilitätsgewinn. Figur 7 zeigt schema- Syngas) verwendet. Dieses Syngas kann chen, wurden mit dem Elektrolyseur am tisch das Prinzip einer SMR-Anlage. Hier- saisonal im Gasnetz gespeichert werden. PSI Versuche durchgeführt. In den Versu- bei wird die Abgaswärme nicht wie üblich Durch diese Prozesserweiterung verrin- chen wurden zuerst der Wirkungsgrad, bei 80 °C für einen Heizprozess, sondern gert sich die nutzbare Wärmeleistung, die thermische Dynamik und das Regel- bei den hohen Temperaturen direkt nach während die elektrische Leistung gleich verhalten des Elektrolyseurs bestimmt. dem Katalysator für die Umwandlung von bleibt und chemische Leistung hinzu- Mit den gesammelten Daten wurden Wasserdampf und Methan in Wasserstoff kommt. Bei gleicher Wärmesenke muss nicht-lineare Modelle und ein optimaler und CO2 (sogenanntes Synthesegas oder eine SMR-Anlage also mehr Betriebs- Regler entwickelt, der danach in Echtzeit
AQUA & GAS N o 9 | 2020 SEKTORKOPPLUNG | 21 für den Betrieb des realen Elektrolyseurs zur naiven Vorgehensweise, den Elektro- von Multienergiesystemen bei. Durch den benützt wurde. Der Regler löst jede Mi- lyseur stets mit konstanter Leistung zu flexiblen Aufbau kann ReMaP mit zusätz- nute ein sog. Mixed Integer Linear Pro- betreiben, zu einer Stromkostenredukti- lichen Komponenten und Plattformen gramming-(MILP-)Problem, um anhand on von rund 8%. erweitert werden. Solche Erweiterungen der zeitabhängigen Elektrizitätspreise und die breite Nutzung von ReMaP, vor mit der Nutzung des Wasserstofftanks SCHLUSSWORT allem durch industrielle Partner, sind die die Kosten, die mit der Deckung eines ge- Hauptziele der zweiten Phase des ReMaP- gebenen Wasserstoffbedarfs verbunden ReMaP ist eine Plattform zur Untersu- Projekts, die im Juli 2021 beginnen wird. sind, zu minimieren. chung von zukünftigen Energieversor- Beispielresultate aus dem Betrieb des gungssystemen, in denen die dezentrale BIBLIOGRAPHIE Elektrolyseurs sind in Figur 9 gezeigt. Der Sektorkopplung eine wichtige Rolle ein- [1] BFE: Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2018 untere Teil der Abbildung zeigt die zeit- nehmen wird. Von besonderem Interesse [2] Kober, T.; Bauer, C. (eds.) (2019): Power-to-X: abhängige Eingangsleistung. Die daraus sind Multienergiesysteme auf Quartier Perspektiven in der Schweiz, Paul Scherrer Institut resultierenden gemessenen und model- ebene. ReMaP baut auf den ehub- und [3] Richner, P. et al. (2017): NEST – A platform for lierten Temperaturen des Elektrolyseurs ESI-Plattformen der Empa und des PSI the acceleration of innovation in buildings. In- sind im oberen Teil durch blaue und rote auf und erlaubt es Wissenschaftlern, formes de la Construcción, 69(548): e222, doi: Linien dargestellt. Die orange Linie zeigt Ingenieuren und Technikern aus Uni- http://dx.doi.org/10.3989/id.55380 die nur anhand der Eingangsleistung vor- versitäten, Hochschulen und Industrie, [4] https://www.aquaetgas.ch/de/aktuell/branchen- hergesagte Elektrolyseurtemperatur, die Multienergiesysteme durch Experimente news/20200408-empa-synthetisches-gas/ gut mit den Messwerten übereinstimmt. und Simulationen zu untersuchen. Da- [5] Koch, S.; Ulbig, A.; Ferrucci, F. (2014): An innovative Beispielresultate, die mit dem optimalen ten aus Experimenten und Simulationen software platform for simulation and optimization of Regler erzielt wurden, sind in Figur 10 dar- werden in einem Archiv gespeichert und active distribution grids for DSOs and smartgrid re- gestellt. Der Regler muss einen bestimm- können für die Entwicklung von Model- searchers. Proceedings of CIRED Workshop, Rome ten Wasserstoffbedarf decken, der von ei- len benützt werden. Ergebnisse aus der [6] Koch, S.; Ulbig, A.; Ferrucci, F. (2014): Eine inno- ner Flotte von Brennstoffzellenfahrzeugen ersten Phase des ReMaP-Projekts, die im vative Simulationsumgebung für aktiv geführte benötigt wird (Fig. 10 Mitte). Der Bedarf Juni 2021 abgeschlossen wird, tragen be- Verteilnetze. Proceedings of 1st OTTI conference kann entweder durch Wasserstoff, der reits jetzt zu einem besseren Verständnis (www.otti.de), Berlin direkt mit dem Elektrolyseur produziert wird, oder durch Wasserstoff, der bereits produziert und in einem Tank zwischen- gespeichert wurde, gedeckt werden. Wel- cher der beiden Pfade wirtschaftlicher ist, > SUITE DU RÉSUMÉ hängt von den Grosshandelsstrompreisen ab (Fig. 10 unten). Mithilfe des Reglers de recherche. Les premiers résultats de ces projets contribuent déjà actuellement à läuft der Elektrolyseur dann mit höheren améliorer la compréhension des systèmes multi-énergie. Commençant en juillet 2021, Leistungen und speichert den Wasserstoff, la deuxième phase du projet ReMaP aura pour priorité l’élargissement de la plateforme wenn die Strompreise niedrig sind, um et de son utilisation par des partenaires industriels. einen zukünftigen Bedarf decken zu kön- nen (Fig. 10 oben). Diese auf Optimierung basierende Methode führt im Vergleich isiflo® Seal Liner Die Lösung für Rohre mit beschädigter Oberfläche. Eine Dichthülse mit zusätzlichen O-Ringen, die das Rohr von innen dichten. Isiflo® SEAL LINER Pat. Pend. Pat. Pend. Seal Liner Import Schweiz: www.hessmetalle.ch
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