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Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik Nr. 2/2020 | 03. März 2020 In dieser Ausgabe Aktuelles aus dem iwp ... beleuchten Christoph Oslislo und Clemens Der neue Band 143 der Recker das aktuelle Gesetzesvorhaben der Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik Bundesregierung zu fairen Verbraucherverträ- „Ein dynamischer Bottom-Up-Ansatz in der in- gen. Die Autoren heben insbesondere Umver- ternationalen Klimaschutzpolitik - teilungswirkungen zwischen unterschiedlichen Innovationsorientierte Vorreiterstrategien“ Verbrauchergruppen sowie die zunehmende von Adrian Amelung ist erschienen. Relevanz von Preisvergleichsplattformen her- Im Rahmen der Lehrerfortbildung am 16.03.20 vor. „Wirtschaftspolitische Herausforderungen der Gegenwart“ geben Dozenten der Wirt- schafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakul- tät der Universität zu Köln „aus erster Hand“ Einblicke in aktuelle wirtschaftswissenschaft- liche Themenfelder und Forschungsbereiche. Zur Anmeldung senden Sie bitte eine E-Mail mit Ihrem Namen und dem Namen Ihrer Schu- le an Herrn Christoph Oslislo (oslislo@wiso.uni-koeln.de). Am 23.03.2020 von 17:00 bis 18:00 Uhr findet die KinderUni-Vorlesung „Was bedeutet es, in Deutschland arm zu sein?“ statt. Diese Veran- Quelle: https://pixabay.com/ staltung beschäftigt sich kindgerecht mit der Thematik Armut in Deutschland. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 1
Faire Verbraucherverträge und Preisvergleichsplattformen Von Clemens Recker und Christoph Oslislo Ob beim Strom-, DSL- oder Handyvertrag: Lange Laufzeiten und automatische Vertragsverlängerungen sind für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ein immer wiederkehrendes Ärgernis. Die Bundesregie- rung diskutiert daher aktuell, ob zulässige Mindestlaufzeiten sowie automatische Verlängerungen im Sin- ne eines besseren Verbraucherschutzes stärker reguliert werden müssen. Allerdings kämen die geplanten Maßnahmen zur Förderung fairer Verträge nicht allen Verbraucherinnen und Verbrauchern gleicherma- ßen zugute. Zudem muss zum Schutz vor unbeabsichtigt eingegangenen teuren Verträgen auch der zu- nehmenden Relevanz von Onlineplattformen und den damit verbundenen veränderten Möglichkeiten der Vertragsgestaltung Beachtung geschenkt werden. Mit den sog. Cashbacks etabliert sich hier längst eine alternative Anbieterstrategie, die das Problem aus Verbraucherschutzperspektive noch verschärfen könnte. Faire Verbraucherverträge fördern – das ist das faireren Bedingungen erfolgen, sondern auch Ziel eines im Januar vorgelegten Referentenent- die Vertragsinhalte faireren Regelungen unter- wurfs des Bundesministeriums der Justiz und liegen sollen. Neben einem verbesserten Schutz für Verbraucherschutz.1 Die Position der Ver- vor aufdringlicher und heute bereits unerlaub- braucherinnen und Verbraucher gegenüber den ter Telefonwerbung sowie einer Verkürzung der Unternehmen soll verbessert werden, indem maximalen gesetzlich zulässigen Kündigungs- zukünftig nicht nur der Vertragsschluss unter frist von drei Monaten auf einen Monat, sollen Vertragslaufzeiten strenger reguliert werden. Konkret sollen die zulässige Mindestlaufzeit auf 1 Eine Langversion dieses Kommentars wird als Diskussi- ein Jahr und automatische Vertragsverlängerun- onspapier veröffentlicht. Dieses Forschungsprojekt wurde gen auf jeweils maximal drei Monate beschränkt durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (MKW NRW) im Rahmen des werden. Zum einen soll damit die Wahlfreiheit Kompetenzzentrums Verbraucherforschung NRW (KFW der Verbraucherinnen und Verbraucher erhöht NRW) gefördert. Das KVF NRW ist ein Kooperationspro- werden, indem sie nicht mehr gegen ihren Wil- jekt des MKW NRW mit der Verbraucherzentrale Nord- len zu lange an Verträge gebunden werden, rhein-Westfalen e.V. mit dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes zum anderen führe die momentane Regelung, Nordrhein-Westfalen (MULNV). die Vertragslaufzeiten von zwei Jahren und au- Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 2
tomatische Vertragsverlängerungen von einem automatischer Vertragsverlängerung ange- Jahr zulässt, zu erheblichen Beschränkungen boten. Zur Kundengewinnung sind bei neuen des Wettbewerbs (BMJV 2020). Der Referente- Vertragsabschlüssen aus Verbraucherperspek- nentwurf „Gesetz für faire Verbraucherverträ- tive attraktive Nachlässe in Form einmaliger ge“ soll nach einer ersten Konsultationsphase Bonuszahlungen oder befristeter Rabatte auf zeitnah in das Gesetzgebungsverfahren gehen. den monatlichen Vertragspreis üblich. Diese Vergünstigungen laufen spätestens mit dem Das Justizministerium erweist mit diesem Vor- Ende der Mindestvertragslaufzeit aus. Wenn haben allerdings nicht allen Verbraucherinnen Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Lauf- und Verbrauchern einen Gefallen. Erst die heute zeitvertrag nicht rechtzeitig vor Vertragsende üblichen automatischen Vertragsverlängerun- proaktiv kündigen, sind sie in den meisten Fäl- gen bei laufenden Verträgen ermöglichen Ver- len für weitere zwölf Monate an den Vertrag tragsangebote mit besonders günstigen Kondi- gebunden und zahlen während dieser Zeit die tionen während der ersten Mindestlaufzeit, von bereits ursprünglich vereinbarte volle monat- denen Wechselkunden regelmäßig profitieren. liche Grundgebühr ohne Rabatte oder andere Im Zuge des Regulierungsvorhabens würden Vergünstigungen. diese lukrativen Angebote voraussichtlich vom Markt verschwinden. Diese Perspektive macht Viele Verbraucherinnen und Verbraucher organi- das Thema auch aus Verbraucherschutzpers- sieren ihre laufenden Verbraucherverträge nicht pektive zunächst uneindeutig. In der Abwägung optimal und sind träge in ihrem Kündigungsver- zwischen den einzelnen Verbrauchergruppen halten. Nicht selten entstehen auf Basis einer sieht die Bundesregierung allerdings ein beson- verbraucherseitigen Trägheit und einer anbie- deres Schutzbedürfnis der trägen Verbrauche- terseitig klug durchdachten Vertragsgestaltung rinnen und Verbraucher, die eine rechtzeitige langfristige Vertragsverhältnisse, durch die An- Kündigung versäumen und dann aufgrund der bieter mit langjährigen Bestandskunden hohe effektiven Preissteigerung nach einer automa- Überschüsse erwirtschaften können. Weniger tischen Verlängerung langfristig deutlich mehr träge Verbraucherinnen und Verbraucher, die für ihre Verträge zahlen. regelmäßig ihre Verbraucherverträge aufkündi- gen und Zeit und Aufwand in Vertragswechsel Überraschenderweise spielen Preisvergleichs- investieren, profitieren indes durch diese Art plattformen in der aktuellen Debatte noch kei- der Vertragsgestaltung von den lukrativen An- ne große Rolle. Vor dem Hintergrund der wach- fangsrabatten, die hinsichtlich dieser Verbrau- senden Anzahl von Onlineabschlüssen generell chergruppen aus Anbietersicht lästige Mitnah- und der zunehmenden Verbreitung von Dienst- meeffekte darstellen. leistern, die nicht nur Preise vergleichen, son- dern auch bei dem Abschluss neuer sowie der Damit führt die gegenwärtige Vertragsgestal- Verwaltung bestehender Verbraucherverträge tung vieler Verbraucherverträge zu einer Um- unterstützen, liegt allerdings die Befürchtung verteilung zwischen mehr oder eben weniger nah, dass der aktuelle Fokus der Debatte auf die trägen Verbrauchergruppen. Verbraucherschüt- Regulierung von Vertragslaufzeiten zu eng ge- zer wollen insbesondere die trägen Verbrauche- fasst sein könnte. rinnen und Verbraucher besser schützen. Diese seien gegenwärtig bei automatischen Vertrags- Das Problem verlängerungen zu lange an zu teure Verträge Im Regelfall werden Verbraucherverträge, wie gebunden, die sie unter diesen Umständen in beispielsweise in der Telekommunikations- dieser Form eigentlich nie hätten abschließen branche, in befristeten Laufzeitverträgen mit wollen. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 3
Ein Beispiel Mindestlaufzeit reduzieren – umgelegt auf 24 Monate – die Grundgebühr innerhalb der Min- Abbildung 1 zeigt exemplarisch ein aktuelles destvertragslaufzeit, wodurch sich ein monat- Vertragsangebot aus dem Mobilfunkbereich. licher Durchschnittspreis von 6,24 € ergibt. Die Die Preisentwicklung folgt dabei einem üblichen volle vertraglich vereinbarte Grundgebühr von Muster bei Laufzeitverträgen: Mit einer Min- 24,99 € zahlen die Verbraucherinnen und Ver- destvertragslaufzeit von 24 Monaten bewegt braucher erst ab dem 25. Vertragsmonat, sofern sich das Vertragsangebot im maximal gestatte- der Laufzeitvertrag nicht aktiv gekündigt wur- ten Rahmen des aktuellen Telekommunikations- de. Das entspricht in diesem Fall einem sprung- gesetzes. Im Fall einer verpassten Kündigung haften Preisanstieg um 300 Prozent (Abbildung bis spätestens drei Monate vor dem jeweiligen 2). Vertragsende verlängert sich der Vertrag immer wieder um weitere 12 Monate. Einmalige Auszahlungen als Lockmittel zu Ver- tragsbeginn sowie monatliche Nachlässe und Gutschriften von Seiten des Vertragsanbieters und der Vermittlungsplattform während der Abbildung 2 : Preisanstieg nach automatischer Ver- tragsverlängerung Das Problem ist real Tatsächlich sind viele Verbraucherinnen und Verbraucher von den Preissteigerungen nach automatischer Vertragsverlängerung betroffen. Laut einer aktuellen bevölkerungsrepräsentati- ven Umfrage der Verbraucherzentralen haben 28 Prozent der Befragten ab 18 Jahren noch nie ihren Festnetztelefon-, Mobilfunk- oder ihren In- ternetanschluss aktiv gekündigt und neu abge- schlossen. Diese Gruppe besteht überwiegend aus Personen im Alter von 50 Jahren und älter und dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit heute Abbildung 1 : Ein Beispielangebot für einen Handyver- überdurchschnittlich hohe Gebühren zahlen. trag auf einer Onlineplattform Dagegen gaben nur 19 Prozent der Befragten Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 4
an, dass sie in den vergangenen 24 Monaten ih- Verbraucher das „Kleingedruckte“ nicht voll- ren Mobilfunkanbieter aktiv gekündigt und ge- ständig verstehen bzw. verarbeiten können.3 wechselt haben (Verbraucherzentralen 2019). Ausgangspunkt verhaltensökonomischer Er- Für den Bereich der Mobilfunkverträge haben klärungsansätze sind Abweichungen von öko- laut einer anderen Umfrage 29 Prozent der in- nomischen Standardannahmen an individuelle ländischen Verbraucherinnen und Verbraucher Präferenzen und an die individuelle Erwartungs- einen Mobilfunkvertrag, der älter als drei Jahr bildung der Verbraucherinnen und Verbraucher. ist (Finanztip 2017).2 Zum einen werden in diesem Kontext übermä- Erklärungsansätze ßig gegenwartsfokussierte Präferenzen in Kom- bination mit einer Tendenz zur Selbstüberschät- Die verhaltens- und industrieökonomische Li- zung diskutiert: Viele Verbraucherinnen und teratur liefert eine Reihe theoretischer Erklä- Verbraucher sind ungeduldig hinsichtlich nut- rungen sowie jeweils empirische Evidenz für zenstiftender Ereignisse, während sie Tätigkei- die Frage, warum Kündigungen trotz effekti- ten, die mit Kosten verbunden sind tendenziell ver Preissteigerungen ausbleiben. Traditionel- aufschieben (O‘Donoghue & Rabin 1999, Della- len ökonomischen Erklärungsansätzen zufolge Vigna & Malmendier 2006). So könnte auch die wäre die Trägheit von Verbraucherinnen und Kündigung von bestehenden Verträgen so lange Verbrauchern auf rationale Kosten-Nutzen-Ab- prokrastiniert werden bis die Kündigungsfrist wägungen zurückführen, im Rahmen derer abgelaufen ist. Ein anderer verhaltensökonomi- hohe Transaktionskosten eines Vertragswech- scher Erklärungsansatz basiert auf der Annah- sels oder Lock-In-Effekte des bestehenden Ver- me, dass Individuen unterschiedlich aufmerk- trags dazu führen, dass ein Vertragswechsel aus sam sind. Die grundsätzliche Idee hinter diesem Verbraucherperspektive schlichtweg nicht loh- Erklärungsansatz liegt darin, dass aufmerksame nend erscheint. Ein alternativer Erklärungsan- Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Verträ- satz basiert auf der Annahme, dass Verbrauche- ge tendenziell rechtzeitig aufkündigen, wäh- rinnen und Verbraucher nicht immer in der Lage rend unaufmerksame Verbraucherinnen und sind, alle relevanten Vertragsdetails zu überbli- Verbraucher dazu neigen, die fristgerechte Kün- cken und zu verstehen. Diese Annahme ist umso digung schlichtweg zu vergessen (Handel 2013, plausibler, je komplexer Verbraucherverträge Tasoff & Letzler 2014, Ericson 2014). gestaltet sind. Komplizierte Kündigungsmoda- litäten, komplexe Konditionen für Preisände- Die Beantwortung der Frage, warum Kündigun- rungen und Bonusauszahlungen sowie unter- gen so häufig ausbleiben, ist aus Verbraucher- schiedliche relevante Zeitpunkte und -intervalle, schutzperspektive für Regulierungsfragen von die es nach Vertragsabschluss verbrauchersei- großer Relevanz, da sie zentral für die Effekti- tig zu beachten gilt, erhöhen dabei jeweils die vität verschiedener Regulierungsansätze ist. Wahrscheinlichkeit, dass Verbraucherinnen und Beispielsweise würden Verbraucherinnen und Verbraucher nicht von einer Verkürzung der ge- setzlich maximal erlaubten Kündigungsfrist pro- 2 Es ist nicht eindeutig, wie die Befragten die Frage nach einem „Vertragswechsel“ interpretieren. Die relativ geringen Wech- selraten lassen nicht zwingend den Schluss zu, dass 70 bis 80 Prozent der Befragten hohe Preise in Altverträgen zahlen, 3 Folgende Formulierung aus dem Referentenentwurf legt da auch Bestandskundinnen und -kunden von einem erneu- nahe, dass dieser Erklärungsansatz auch dem Justizminis- ten Rabatt auf die Grundgebühr profitieren, wenn sie ihren terium plausibel erscheint: „Vielen Verbrauchern wird erst Vertrag vor Ende der Mindestvertragslaufzeit zunächst kün- bewusst, dass ihr Vertrag eine Verlängerungsklausel enthält, digen, dann allerdings als Folge anbieterseitiger Rückgewin- wenn sich der Vertrag gegen ihren Willen verlängert hat.“ nungsangebote auf einen Anbieterwechsel verzichten. (BMJV 2020, S. 23) Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 5
fitieren, wenn sie die Klausel zur automatischen den, die auch nach der Mindestvertragslaufzeit Vertragsverlängerung gar nicht wahrgenom- im Vertrag verbleiben. Um in der Gesamtkalku- men oder nicht verstanden haben. lation über alle Verbrauchertypen hinweg keine Verluste zu erzielen, müssen die allen einge- Das Anbieterkalkül räumten Rabatte in der Summe geringer ausfal- Sowohl die theoretische Literatur als auch len als die Erlöse aus hohen Preisen nach auto- empirische Beobachtungen zeigen, dass pro- matischer Vertragsverlängerung. Johnen zeigt fitmaximierende Vertragsanbieter im Fall von in einem theoretischen Modell, dass ein ge- trägen Verbraucherinnen und Verbrauchern an- winnmaximierender Vertragsanbieter aufgrund fänglich attraktiv erscheinende Lockangebote dieses Trade-offs im Monopolfall eine Strategie in Kombination mit hohen Preisen nach einer mit nicht-maximalen anfänglichen Rabatten späteren automatischen Vertragsverlängerung bevorzugen würde, im Wettbewerb allerdings – eine Strategie sog. Backloaded Pricings – zur zu höheren Anfangsrabatten gezwungen wird Gewinnsteigerung nutzen können (DellaVigna (Johnen 2018). Im theoretischen Fall des voll- & Malmendier 2004) bzw. im Wettbewerb als kommenen Wettbewerbs würden dementspre- Strategie zur Neukundengewinnung womög- chend maximal hohe Anfangsvergünstigungen lich auch nutzen müssen (Johnen 2018). gewährt. Die Folge wäre eine maximale Um- verteilung zwischen den Verbrauchertypen, die Aus Anbieterperspektive ist Backloaded Pricing durch automatische Verlängerungen in Verträ- bei trägen Verbrauchergruppen lukrativ, wenn gen bleiben und denjenigen Verbraucherinnen Verbraucherinnen und Verbraucher ihre eigene und Verbrauchern, die ihre Verträge zum Ende Kündigungswahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Mindestlaufzeit kündigen. Den Anbietern des Vertragsabschlusses unterschätzen und hingegen verbliebe kein bemerkenswerter Ge- hohe Anfangsrabatte dementsprechend über- winn, da sich solche Gewinne in der Konkurrenz mäßig positiv gewichten – kurz: einem sog. Swit- zwischen Anbietern nicht sichern ließen. ching Error unterliegen. Wird die Kündigung (wider Erwarten der Verbraucherinnen und Ver- Die Rolle von Preisvergleichsplattformen braucher) verpasst, kann der Vertragsanbieter Bei dem Vertrieb von Verbraucherverträgen aus diesem speziellen Vertrag einen Überschuss kommt Preisvergleichsplattformen eine zuneh- erzielen. Allerdings können auch weniger träge mende Bedeutung zu. Vergleichsplattformen Verbrauchertypen von den Lockangeboten pro- können den Verbraucherinnen und Verbrau- fitieren. Vertragsanbieter müssen folglich damit chern dabei helfen, sich einen relativ vollstän- rechnen, dass Verträge mit hohen Anfangsra- digen Überblick über Angebote und Preise batten auch von jenen Verbraucherinnen und der Vertragsanbieter zu verschaffen (Bundes- Verbrauchern gewählt werden, die rechtzeitig kartellamt 2019, S. 59, 95). Dazu sortieren die kündigen und somit keine höheren Gebühren Plattformen verfügbare Verbraucherverträge nach automatischer Vertragsverlängerung zah- standardmäßig anhand eines sogenannten Ef- len. fektivpreises. Dieser Effektivpreis bildet den nur Damit sehen sich Vertragsanbieter bei der op- auf die Mindestvertragslaufzeit gerechneten timalen Vertragsgestaltung einem Trade-off monatlichen Durchschnittspreis ab, der neben gegenüber: Während hohe Anfangsrabatte an der monatlichen Grundgebühr auch langfristi- alle Verbrauchertypen ausgeschüttet werden ge Vergünstigungen sowie anfängliche Rabatte müssen, können Überschüsse zur Gegenfinan- seitens der Vertragsanbieter sowie mögliche zierung dieser Rabatte der Tendenz nach nur Aktionsgutschriften der Plattform berücksich- mit den trägen Verbrauchertypen erzielt wer- tigt. Über die reine Auflistung hinaus vermitteln Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 6
Preisvergleichsplattformen für die Vertragsanbie- rinnen und Verbraucher allzu lange in Altverträgen ter Verträge, die Nutzerinnen und Nutzer direkt verharren. Hierfür spricht auch die auf großen Platt- auf der Plattform abschließen können. Die Platt- formen verbreitete Option des Kündigungswe- formen erhalten dafür üblicherweise eine Provisi- ckers, mit deren Hilfe sich Nutzerinnen und Nutzer on von den Anbietern, die sich nach Recherchen an auslaufende Verträge erinnern lassen können. des Kartellamts je nach vermitteltem Vertrag zwi- In dieses Bild passen auch die Unmutsbekundun- schen wenigen Euro und mehreren hundert Euro gen vieler Vertragsanbieter, die das Bemühen der bewegt (Bundeskartellamt 2019). marktführenden Plattformen um möglichst viele Kündigungen und provisionsbasierte Neuvermitt- Der Markt für die Vermittlung von Verträgen lungen zunehmend mit Argwohn betrachten, da über Telekommunikationsdienstleistungen und ihnen auf diese Weise das lukrative Geschäft mit Energielieferungen wird von zwei großen Platt- potentiellen Langzeitkunden erschwert wird. formanbietern dominiert. Check24 sowie die zur Verivox GmbH gehörenden Plattformen Verivox Droht eine Verschärfung des Problems? und Preis24 vermitteln zusammen über 90 Pro- Allerdings lässt sich hieraus noch nicht schließen, zent aller jährlich vermittelten Verbraucherver- dass das verbraucherschutzpolitische Ziel – der träge. Nach einer aktuellen repräsentativen Be- Schutzträger Verbraucherinnen und Verbraucher völkerungsumfrage hat mit gut 85 Prozent der vor übermäßig teuren Verträgen – durch die zu- Gesamtbevölkerung der Großteil der inländischen nehmende Verbreitung der Plattformen auto- Internetnutzerinnen und -nutzer bereits Preisver- matisch erreicht wird. Vielmehr lässt diese Beob- gleichsplattformen genutzt. Ungefähr ein Drit- achtung zunächst Zweifel an der Effektivität der tel der befragten Nutzerinnen und Nutzer gibt bisher diskutierten Vorhaben mit Fokus auf die an, Verbraucherverträge bereits direkt über eine Regulierung der Vertragslaufzeiten zu. Stattdes- Plattform abgeschlossen zu haben (WIK-Consult sen liegt die Vermutung nah, dass plattformseitig GmbH 2018). gewährte Rabatte – sogenannte „Cashbacks“ – in Auf einer Vergleichsplattform stehen die Ver- Zukunft an Relevanz gewinnen werden und folg- tragsanbieter in einem intensiven Wettbewerb lich auch in den Fokus des Verbraucherschutzes um einen möglichst günstigen Effektivpreis – mit rücken sollten. entsprechend hohen effektiven Preissteigerun- Cashbacks sind Anfangsrabatte in Form von Ein- gen nach einer verpassten Kündigung. Langfristig malzahlungen, mit der Plattformen Verbrauche- (also über 24 Monate hinausgehend) günstigere rinnen und Verbraucher zu Neuabschlüssen von Angebote, die auf hohe Anfangsrabatte verzich- Verbraucherverträgen bewegen wollen. Sie liegen ten, sind im Ranking aufgrund der voreingestell- im Telekommunikations- oder Energiebereich in ten Suchkriterien schwieriger auffindbar. Träge der Regel zwischen 50 und 230 Euro (Bundeskar- und sich selbst überschätzende Verbraucherinnen tellamt 2019, S. 104). Diese Auszahlungen sind al- und Verbraucher würden folglich aufgrund des in- lerdings an die proaktive Einreichung der ersten tensiven Wettbewerbs auf Plattformen zunächst Monatsrechnung während eines befristeten Zeit- schlechter gestellt werden, da sich die auf Platt- fensters gekoppelt. In der Wirkweise handelt es formen zu erwartende Situation dem Modellfall sich bei den Cashbackoptionen aus Anbietersicht des vollständigen Wettbewerbs annähert. um einen alternativen Weg, um aus dem Vertrags- geschäft mit trägen Verbraucherinnen und Ver- Da das Geschäft der Plattformen allerdings zu ei- brauchern gezielt Überschüsse zu generieren. nem großen Teil auf regelmäßigen Neuabschlüs- sen von Verbraucherverträgen beruht, ist davon Bei der Ermittlung des Effektivpreises werden auf auszugehen, dass es nicht im langfristigen Interes- Plattformen nicht nur seitens der Anbieter selbst se der Plattform sein kann, dass träge Verbrauche- gewährte Rabatte, sondern gleichermaßen platt- Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 7
formseitig gewährte Vergünstigungen berück- minent gelistetes Vertragsangebot womöglich sichtigt. Um die Effektivpreise eigener Vertrags ausgewählt haben. angebote zu senken, könnten Vertragsanbieter Ein weiterer in der aktuellen Debatte bisher un- daher über die ausgehandelte Vermittlungspro- beachteter Aspekt, der hier zwar nicht diskutiert vision auch auf möglichst hohe Cashback-Ver- wurde, sich in Zukunft allerdings als zunehmend sprechen seitens der Plattform hinwirken. relevant herausstellen kann, liegt in der Samm- Im Wettbewerb um einen möglichst günstigen lung personenbezogener Daten seitens der Effektivpreis kann es aus Sicht der Vertrags- Plattformen. Bei der Suche nach Angeboten, anbieter dabei durchaus sinnvoll sein, das für bei der Vertragsanbahnung und während der anfängliche Rabattzahlungen zur Verfügung Vertragslaufzeit offenbaren Verbraucherinnen stehende Budget in höhere Provisionen an die und Verbraucher eine Vielzahl von Informatio- Plattform zu investieren, damit die eigenen Ver- nen, durch die sich im Zeitverlauf auch Muster träge von der Plattform mit höheren Cashback- zum individuellen Kündigungsverhalten oder Versprechen gelistet werden. Während eigene zur individuellen Abrufwahrscheinlichkeit der anbieterseitig gewährte Rabatte auf die Grund- Cashbacks – kurz: zur individuellen Trägheit – gebühr in jedem abgeschlossenen Verbraucher- herauslesen lassen. Auf Basis dieser Daten neh- vertrag fällig werden, müssen Cashbacks an die men die technisch ohnehin bereits problemlos Verbraucherinnen und Verbraucher nur ausge- umsetzbaren Möglichkeiten zur individuellen schüttet werden, wenn diese nach Vertragsab- Preisdiskriminierung zu, wodurch nicht nur trä- schluss nochmals selbst aktiv werden und die ge, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit alle erste Monatsrechnung binnen einer gesetzten Verbraucherinnen und Verbraucher schlechter Frist einreichen. Das führt nach Recherchen des gestellt würden. Kartellamts dazu, dass weniger als ein Drittel der Verbraucherinnen und Verbraucher diese Fazit für den Verbraucherschutz Vorteile tatsächlich einlöst (ebd., S. 104), was Die aktuell diskutierte Verkürzung automati- entsprechend hohe Cashbackoptionen und auf scher Vertragsverlängerungen würde den Scha- diese Weise die teilweise extrem günstigen Ef- den einer verpassten Kündigung verringern, fektivpreise auf Plattformen im Vergleich zum Verbleibzeiten in teuren Verträgen möglicher- Direktvertrieb erklären kann. weise verkürzen und unterm Strich träge Ver- Eine Tendenz hin zu mehr konditionierten Cash braucherinnen und Verbraucher so zunächst back-Optionen kann grundsätzlich träge, ver- besser stellen.4 In diesem Fall könnten Vertrags gessliche oder überforderte Verbraucherinnen anbieter aus dem Vertragsgeschäft mit diesen und Verbraucher zusätzlich schlechter stellen Verbrauchergruppen weniger Überschüsse zur – insbesondere dann, wenn diese neben einer Gegenfinanzierung der Anfangsrabatte im Neu- verpassten Kündigung auch den fristgerechten kundengeschäft erzielen. Da diese anfänglichen Abruf der Cashback-Option verpassen. Wäh- Vergünstigungen allerdings insbesondere auf rend diese Verbrauchertypen in einer Welt ohne Cashback-Optionen zumindest in der Anfangs- 4 Dieses Argument gilt allerdings nur dann, wenn der ge- zeit sicher von anfänglichen Rabatten auf die ringere finanzielle Nachteil einer jeweils nur dreimonatigen Grundgebühr oder Einmalzahlungen seitens Verlängerung bei trägen – weil prokrastinierenden – Ver- der Vertragsanbieter profitieren, zahlen sie in braucherinnen und Verbrauchern letztendlich nicht zu einer diesem Fall jetzt zusätzlich bereits während der noch längeren Verweildauer in Altverträgen führt („Auf- schieberitis“). Jede einzelne ausbleibende Kündigung wäre Mindestvertragslaufzeit deutlich mehr als den für sich genommen erst einmal weniger folgenschwer, was Effektivpreis, auf dessen Grundlage sie ein pro- jeweils zu einem weiteren Aufschub verleiten könnte. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 8
Preisvergleichsplattformen weiterhin von zen- DellaVigna, Stefano, and Ulrike Malmendier traler Bedeutung für das Neukundengeschäft (2004). „Contract design and self-control: Theo- sind, werden die im Wettbewerb stehenden ry and evidence.“ The Quarterly Journal of Eco- Vertragsanbieter nach Alternativen suchen und nomics 119.2: 353-402. möglicherweise verstärkt auf konditionierte DellaVigna, Stefano, and Ulrike Malmendier Cashback-Optionen setzen. Das Problem, das (2006). „Paying not to go to the gym.“ ameri- die Verbraucherschutzpolitik mit dem Geset- can economic Review 96.3: 694-719. zesentwurf adressieren möchte, verlagert sich Ericson, Keith M. Marzilli (2014). „Consumer in- so womöglich nur nach vorn: Aus verbraucher- ertia and firm pricing in the Medicare Part D pre- schutzpolitischer Perspektive schutzwürdige scription drug insurance exchange.“ American Verbraucherinnen und Verbraucher stünden Economic Journal: Economic Policy 6.1: 38-64. bei verpassten Fristen bereits innerhalb der Finanztip (2017). „Fast jeder dritte Mobilfunk- Mindestlaufzeit vor dem Problem ungewollt vertrag ist älter als drei Jahre und damit oft zu hoher Gebühren, während aufmerksame und teuer“. https://www.finanztip.de/presse/pm-fi- gut organisierte Verbraucherinnen und Verbrau- nanztip-mobilfunkvertrag-st/ Abgerufen am cher anstelle von anfänglichen Rabatten auf die 21.01.2020. Grundgebühr künftig wohl vermehrt von höhe- Handel, Benjamin R. (2013). „Adverse selection ren Cashbacks profitieren können. and inertia in health insurance markets: When Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der nudging hurts.“ American Economic Review zunehmenden Verbreitung von Vergleichsplatt- 103.7: 2643-82. formen bei der Vermittlung von Verbraucher- Johnen, Johannes (2018). „Automatic‐renewal verträgen kann es sich lohnen, die Dimension contracts with heterogeneous consumer iner- der plattformseitig gewährten Cashbacks beim tia.“ Journal of Economics & Management Stra- „Gesetz für faire Verbraucherverträge“ mit zu tegy 28.4: 765-786. berücksichtigen. Ein möglicher Ansatz könnten O‘Donoghue, Ted, and Matthew Rabin (1999). Auflagen bei der gängigen Bildung des Effekti- „Doing it now or later.“ American economic re- vpreises als Standard-Rankingkriterium sowie view 89.1: 103-124. bei der transparenten Darstellung aller Bedin- gungen sein, unter denen bestimmte Rabatte Tasoff, Joshua, and Robert Letzler (2014). „Ever- ausgezahlt werden. Generell gilt, dass für eine yone believes in redemption: Nudges and over- optimism in costly task completion.“ Journal of sinnvolle Diskussion verbraucherschutzpolitisch Economic Behavior & Organization 107: 107-122. motivierter Regulierungsmaßnahmen weitere Erkenntnisse über die Ursachen verbrauchersei- Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein e.V., tiger Trägheit gesammelt werden müssen. Nur Vertragsende – Probleme bei Kündigung und auf diese Weise kann die Effektivität einzelner Anbieterwechsel im Telekommunikations- Maßnahmen fundiert eingeschätzt werden. markt, Untersuchung der Verbraucherzentra- len, 2019, https://www.marktwaechter.de/sites/ Literaturverzeichnis default/files/downloads/dmw-kuendigung-an- bieterwechsel-tk-markt.pdf (Abgerufen am Bundeskartellamt (2019). „Sektoruntersuchung 21.01.2020) Vergleichsportale“. WIK-Consult GmbH (2018). „Vergleichsportale Bundesministeriums der Justiz und für Verbrau- in Deutschland“. https://www.wik.org/filead- cherschutz (2020), RefE: Entwurf eines Geset- min/Studien/2018/2017_CHECK24.pdf (Abgeru- zes für faire Verbraucherverträge, Stand: 24. fen am 21.01.2020) Januar 2020 Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 9
IMPRESSUM Autorenkontakt: Herausgeber: Redaktion und V.i.S.d.P.: Clemens Recker Institut für Wirtschaftspolitik Dr. Steffen J. Roth Tel.: +49 (0)221 470-6527 an der Universität zu Köln Tel. 0221 / 470-5348 clemens.recker@wiso.uni-koeln.de Pohligstraße 1 steffen.roth@wiso.uni-koeln.de 50969 Köln Christoph Oslislo Tel. 0221 / 470-5347 Tel.: +49 (0)221 470-5351 Fax 0221 / 470-5350 oslislo@wiso.uni-koeln.de iwp@wiso.uni-koeln.de www.iwp.uni-koeln.de Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2020 www.iwp.uni-koeln.de | 10
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