Rentenreport Niedersachsen 2020 - Rente muss für ein gutes Leben reichen!

Die Seite wird erstellt Ulrich Hübner
 
WEITER LESEN
Rentenreport Niedersachsen 2020 - Rente muss für ein gutes Leben reichen!
Rentenreport
Niedersachsen 2020

Rente muss für ein
gutes Leben reichen!
Rentenreport Niedersachsen 2020 - Rente muss für ein gutes Leben reichen!
Rentenreport Niedersachsen 2020 - Rente muss für ein gutes Leben reichen!
Rentenreport Niedersachsen 2020

Rente muss für ein
gutes Leben reichen!

                         Rentenreport Niedersachsen 2020   3
Impressum
    DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt
    Abteilung Sozialpolitik
    Erarbeitet von Janina Mink, Lars Niggemeyer, Sebastian Meise
    Redaktion: Tina Kolbeck-Landau

    Otto-Brenner-Straße 1
    30159 Hannover
    Telefon 0511 12601-0
    bezirk.nds-hb-lsa@dgb.de
    www.niedersachsen.dgb.de
    www.niedersachsen-bremen-sachsenanhalt.dgb.de

    Der DGB Niedersachsen auf FACEBOOK
    www.facebook.com/DGBniedersachsen
    und bei Twitter
    www.twitter.com/dgb_nds

    Hannover, Januar 2020

    Bildnachweise: ©Yuliia – stock.adobe.com (Titel), DGB, Iris Klöpper (S 7)

    Gestaltung und Druck: QUBUS media GmbH

4   Rentenreport Niedersachsen 2020
Inhalt

         Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
         Rentenreport Niedersachsen 2019 – die zentralen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
         Gute Rente? Die Lage in Niedersachsen                                                            . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     10
         Gesetzliche Altersrente – arm trotz Rente? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  12
         Rentenniveau auf dem Sinkflug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  14
         Sorgenkind Erwerbsminderungsrente                                                        . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     15
         Niedrige Löhne, niedrige Renten                                               . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    17
         Rente mit 67? Weit gefehlt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  19
         Rentenpolitische Forderungen des DGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22

                                                                                                                                                                                                   Rentenreport Niedersachsen 2020                                             5
6   Rentenreport Niedersachsen 2020
Vorwort

          Mit dem Rentenreport legt der Deutsche Gewerk-          Altersvorsorge ist trotz staatlicher Förderung
          schaftsbund (DGB) in Niedersachsen einen Bericht        nicht in der Lage, die Lücke zu schließen. Gerade
          zur Situation der Rentnerinnen und Rentner im           Beschäftigte mit niedrigen Einkommen können sie
          Land vor. Aktuelle Daten und Fakten zeigen den          sich schlicht und ergreifend nicht leisten. Außer-
          rentenpolitischen Handlungsbedarf auf. Die de-          dem sind die realen Renditen häufig negativ.
          taillierten Auswertungen belegen, dass es bereits
          heute für viele Ältere schwierig ist, mit ihrer Rente   Um Altersarmut entgegenzuwirken und das
          den Alltag zu bestreiten. Dies gilt besonders für       Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung
          Frauen. Wenn die Politik nicht handelt, werden          zu stärken, braucht es einen Kurswechsel. Die
          künftig noch mehr Menschen nicht mit ihrer Rente        Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2025 war
          auskommen.                                              richtig. Jetzt muss die Politik den nächsten Schritt
                                                                  gehen und dieses dauerhaft auf 50 Prozent
          Neue Umfragen zeigen, dass über drei Viertel der        anheben. Langjährige BeitragszahlerInnen müssen
          Menschen in Deutschland sich um ihre Altersver-         durch eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung
          sorgung Sorgen machen. Das ist kein Zufall. Viele       vor Armut geschützt werden. Außerdem bedarf es
          Beschäftigte müssen nach dem Erwerbsleben               guter Arbeit mit Tarifverträgen und als unterstem
          deutliche Abstriche hinnehmen. In den letzten           Netz einen deutlich höheren gesetzlichen Mindest-
          zehn Jahren hat sich in Niedersachsen die Armuts­       lohn, damit die Menschen von ihrem Einkommen
          quote der Rentnerinnen und Rentner deutlich             leben und Rentenbeiträge zahlen können.
          erhöht: Sie ist von 12,7 Prozent im Jahr 2008 auf
          16,3 Prozent im Jahr 2018 angestiegen. Keine an-        Ein stabiles und ausreichendes gesetzliches
          dere Personengruppe hat eine derart dramatische         ­Rentenniveau ist gerade auch für junge Menschen
          Zunahme der Armut zu verzeichnen.                        von existenzieller Bedeutung für eine gute Ab­
                                                                   sicherung im Alter. Denn nur dann haben sie eine
          Diese Zahlen belegen, dass die Teilprivatisierung        planbare Alterssicherung. Es gibt keinen Interes-
          der gesetzlichen Rente ein Irrweg war. Mit dem           sengegensatz zwischen Jung und Alt. Der techni-
          3-Säulen-Modell sollte neben der staatlichen auch        sche Fortschritt und das Produktivitätswachstum
          die betriebliche und private Altersvorsorge das          ermöglichen wachsenden Wohlstand für alle bei
          Leben im Alter sichern. Doch diese Erwartungen           insgesamt sinkender Lebensarbeitszeit.
          haben sich nicht erfüllt. Die betriebliche Alters­
          sicherung ist viel zu wenig verbreitet. Die private     Eine interessante Lektüre wünscht

                                                                  Dr. Mehrdad Payandeh
                                                                  Vorsitzender des DGB-Bezirks Niedersachsen –
                                                                  Bremen – Sachsen-Anhalt

                                                                                      Rentenreport Niedersachsen 2020    7
Rentenreport Niedersachsen 2020 –
    die zentralen Ergebnisse
    Im Jahr 2018 betrug die durchschnittliche              Bei Neurentnerinnen und -rentnern gibt es
    gesetzliche Altersrente im Rentenbestand in            eine ähnliche negative Entwicklung. Zudem
    Niedersachsen für Männer 1.198 Euro und für            zeigt sich, dass die männlichen Neurentner mit
    Frauen 646 Euro. Das ist zwar nominal mehr als im      1.127 Euro im Jahr 2018 eine geringere gesetz­
    Jahr 2000, real ist jedoch ein Kaufkraftverlust zu     liche Rente erhielten, als diejenigen Rentner, die
    verzeichnen. Im Jahr 2000 lag der durchschnitt­        vor 2018 eine Rente bezogen. Hier spiegeln sich
    liche Zahlbetrag für männliche Bestandsrentner bei     geringere Beitragszeiten und Abschläge, die in
    1.005 Euro. Diese zunächst positive Entwicklung        Kauf genommen werden müssen, wider. Bei
    relativiert sich angesichts eines Kaufkraftverlustes   Neurentnerinnen zeigt sich für das Jahr 2018
    von rund 30 Prozent in diesem Zeitraum. Für den        ein minimaler Anstieg auf 692 Euro gegenüber
    durchschnittlichen männlichen Bestandsrentner          646 Euro bei den Bestandsrentnerinnen. Grund
    bedeutet dies nominal ein Plus von 193 Euro, aber      dafür ist unter anderem die gestiegene Frauen­
    real einen Verlust von rund 108 Euro. Von der          erwerbstätigkeit.
    nominalen Steigerung der durchschnittlichen
    Altersrente für Frauen von 219 Euro bleiben            Bei den neuen Renten wegen verminderter
    kaufkraftbereinigt lediglich 91 Euro übrig.            Erwerbsfähigkeit sinken die durchschnitt­lichen
                                                           kaufkraftbereinigten Zahlbeträge seit der Jahr­
    Auch beim Rentenbestand der Erwerbsmin-                tausendwende deutlich. Bei Männern gibt es
    derungsrentnerinnen erhöhte sich die Rente             sogar nominal einen Rückgang. Im Jahr 2000
    zwar von durchschnittlich 610 Euro im Jahr 2000        waren es noch 815 Euro. Im Jahr 2018 erhielten
    auf 783 Euro im Jahr 2018. Aus dem nominalen           sie hingegen nur noch 776 Euro. Frauen erhielten
    Plus von 173 Euro wurde kaufkraftbereinigt jedoch      596 Euro im Jahr 2000 und im Jahr 2018
    ein Minus von 9 Euro. Noch gravierender ist die        705 Euro. Nach Abzug des Kaufkraftverlustes
    Situation der Erwerbsminderungsrentner.                haben somit auch Neurentnerinnen und Neurent-
    Sie bezogen im Jahr 2000 durchschnittlich              ner, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen,
    849 Euro. Im Jahr 2018 waren es nur noch               weniger Finanzkraft als noch im Jahr 2000,
    804 Euro. Bereits ohne Berücksichtigung der            nämlich durchschnittlich 283 Euro weniger bei
    Kaufkraft sanken die Rentenzahlbeträge, unter          Männern und 69 Euro weniger bei Frauen.
    Berücksichtigung der Inflation sind es 299 Euro
    weniger. Die Zahlbeträge zwischen Männern und
    Frauen nähern sich einander an, armutsfest sind
    sie jedoch für die meisten Betroffenen nicht.

                                                                                                                1 Errechnet auf Basis des
                                                                                                                  Verbraucherpreisindex des
                                                                                                                  Statistischen Bundesamtes.

8   Rentenreport Niedersachsen 2020
Das durchschnittliche Eintrittsalter in die          Immer mehr Menschen kommen bereits heute
Altersrente steigt statistisch bedingt an. Im Jahr   mit ihrer Rente nicht mehr über die Runden. Im
2018 lag es in Niedersachsen bei 64,1 Jahren.        Jahr 2018 bezogen über 112.000 Menschen in
Das sind 0,8 Jahre mehr als noch 2008. Frauen        Niedersachsen Grundsicherung im Alter und
lagen mit 64,2 Jahren über dem durchschnittlichen    bei Erwerbsminderung. Diese Zahl steigt
Renteneintrittsalter der Männer, welches bei         Jahr für Jahr. Im Jahr 2003 waren es noch rund
64 Jahren lag. Bei den Steigerungen sollte nicht     44.700 Menschen, die Grundsicherung im Alter
außer Acht bleiben, dass die Beschäftigten durch     und bei Erwerbsminderung in Niedersachsen
die Rente mit 67 Rentenkürzungen hinnehmen,          bezogen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch
wenn sie früher ausscheiden und für sie nicht die    in der Armutsgefährdungsquote von Rent­
sogenannte „Rente mit 63“ greift. Gleichzeitig       nerInnen und PensionärInnen wider. Diese stieg
wurde das gesetzliche Rentenniveau immer weiter      von 12,7 Prozent im Jahr 2008 auf 16,3 Prozent
abgesenkt. Viele können es sich überhaupt nicht      im Jahr 2018, eine Steigerung von rund 28
leisten, früher aus dem Erwerbsleben auszuschei-     Prozent. Bei kaum einer anderen gesellschaftlichen
den.                                                 Gruppe stieg die Armutsgefährdungsquote im
                                                     selben Zeitraum so dramatisch an.
Im Jahr 2018 lag das Renteneintrittsalter
von Erwerbsminderungsrentnerinnen und                Sinkt das Rentenniveau weiter wie geplant,
-rentnern bei durchschnittlich 52,1 Jahren.          werden zukünftig immer mehr ältere Menschen
Frauen schieden mit 51,6 Jahren, Männer mit          von Altersarmut bedroht sein. Diese Entwertung
52,8 Jahren erwerbsgemindert aus dem Arbeits­        der Lebensleistungen gilt es zu verhindern.
leben aus. Je nach Eintrittsalter in die Erwerbs­    Deshalb brauchen wir einen Kurswechsel in der
minderung müssen die Menschen lebenslang             Rentenpolitik. Um Altersarmut zu vermeiden, muss
Abschläge von bis zu 10,8 Prozent in Kauf            das Rentenniveau stabilisiert und langfristig
nehmen.                                              deutlich erhöht werden. Für den Deutschen
                                                     Gewerkschaftsbund ist deshalb klar:

                                                     Rente muss für ein gutes Leben reichen!

                                                                        Rentenreport Niedersachsen 2020   9
Gute Rente?
     Die Lage in Niedersachsen
     In der Bundesrepublik Deutschland gab es am                      Differenz von 71 Euro in Kauf nehmen. Verglichen
     Stichtag 1. Juli 2018 insgesamt 21 Millionen                     mit einem Neurentner im Jahr 2000, hatten die
     Rentnerinnen und Rentner, das entsprach                          Neurentner im Jahr 2018 einen Kaufkraftverlust
     25,4 Prozent der Gesamtbevölkerung von                           von gut 133 Euro zu verkraften.
     82,9 Millionen Menschen.
                                                                      Frauen beziehen etwas
     In Niedersachsen bezogen rund 1,89 Millionen
                                                                      höhere Renten
     Menschen Rente. Insgesamt entsprach das einem
     Anteil von 23,6 Prozent an der Gesamtbevölke-                    Für Frauen sieht die Durchschnittsrente immer noch
     rung Niedersachsens, die also jünger als der                     mager aus. 2018 erhielten Neurentnerinnen 692 Euro
     Bundesdurchschnitt ist.                                          monatlich. Damit stieg ihre Rente im Vergleich zu

     RentnerInnen (ohne reine Waisenrente, mit Witwenrente) im Vergleich
                                                                   Niedersachsen                              Bundesgebiet

       EinwohnerInnen                                                     7.978.900                               82.887.000

       Rentner                                                              800.944                                 9.015.259

       Rentnerinnen                                                       1.085.638                               12.027.256

       RentnerInnen insgesamt                                             1.886.582                               21.042.515
     Quelle: Statistik der Deutschen Rentenversicherung – Rentner am 01.07.2018 nach Bundesländern; Statistisches Bundesamt;
     Landesamt für Statistik Niedersachsen

     Circa 56 Prozent der Rentenzugänge 2018 in                       langjährigen Rentnerinnen um lediglich 46 Euro.
     Niedersachsen waren Altersrenten. Diese Rente wird               Kaufkraftbereinigt hatten Neurentnerinnen rund
     beim Erreichen der Regelaltersgrenze abschlagsfrei               149 Euro mehr zur Verfügung als im Jahr 2000.
     gezahlt. Knapp 30 Prozent waren Witwen- und
     Waisenrenten und rund 14 Prozent entfielen auf                   Bei Frauen wirken zwei gegensätzliche Entwicklungen
     Erwerbsminderungsrenten. Erwerbsminderungs­                      auf die Rentenhöhe ein. Zum einen ist es positiv, dass
     renten erhalten Erwerbstätige, die nicht mehr oder               die Erwerbsbeteiligung von Frauen anstieg. Durch
     nur noch eingeschränkt arbeiten können.                          die steigende Anzahl von Frauen, die in Vollzeit oder
     Der Vergleich des Rentenbestandes des Jahres 2018                vollzeitnah ab 30 Stunden erwerbstätig sind, hat
     mit dem Rentenzugang 2018, also mit denjenigen,                  sich die durchschnittliche Rentenhöhe der Frauen
     die 2018 erstmals eine Rente bezogen, zeigt den                  mittelfristig erhöht. Gebremst wird diese erfreuliche
     Rückgang der durchschnittlichen Zahlbeträge.                     Entwicklung durch die starke Zunahme prekärer
     Eine Ausnahme hiervon stellen die Altersrenten von               Beschäftigung. Erzwungene Teilzeit, Minijobs und
     Frauen dar. Diese steigen aufgrund der steigenden                die nach wie vor bestehende Lohnlücke zwischen
     Erwerbsbeteiligung von Frauen.                                   Männern und Frauen schwächen den positiven Trend.

     Neurentner erhalten deutlich                                     Außerdem bekamen Frauen, die im Jahr 2018
                                                                      erstmals eine Rente erhielten, im Vergleich zu
     niedrigere Renten
                                                                      Männern durchschnittlich 435 Euro weniger Rente.
     Die durchschnittliche Altersrente für Männer, die vor            Dabei leisten Frauen nicht weniger Arbeit als Männer.
     2018 in Rente gingen, beträgt 1.198 Euro. Männer,                Obwohl ihre Erwerbsbeteiligung steigt, sind sie im
     die seit 2018 eine Rente erhalten, bekommen                      Vergleich zu Männern durchschnittlich weniger in
     hingegen 1.127 Euro. Neurentner müssen eine                      bezahlter Erwerbsarbeit tätig, dafür leisten sie mehr
10 Rentenreport Niedersachsen 2020
Rentenzahlbeträge in Niedersachsen                                                                          unbezahlte Sorgearbeit. Diese gesellschaftliche
                                                                                                            Ungerechtigkeit spiegelt sich in der Rente wider. Die
      Rentenhöhe bis 2018      Rentenhöhe ab 2018
                                                                                                            so erreichten Rentenzahlbeträge von Frauen reichen
      (BestandsrentnerInnen)   (NeurentnerInnen)
                                                                                                            oft nicht für eine eigenständige Absicherung im Alter.

Erwerbsminderungsrente                                                                                      Grundsicherung im Alter
                Frauen
                                                                                                            Frauen und Männer ohne ausreichende Renten-
            783 €                       705 €                                                               ansprüche oder private Vorsorge haben den
                                                                                                            gesetzlichen Anspruch auf Grundsicherung im Alter.
                                                                                                            Sie setzt sich zusammen aus der selbsterworbenen
                                                                                                            Rente und einem Teil aufstockender Sozialleistungen.
                                                                                                            2018 bezogen in Niedersachsen rund 23.000 Männer
                                                                                                            und 31.300 Frauen Grundsicherung im Alter.
Erwerbsminderungsrente                                                                                      2003 waren es noch rund 6.900 Männer und
               Männer                                                                                       17.900 Frauen.
            804 €                       776 €
                                                                                                            Erwerbsminderungsrente
                                                                                                            bleibt Sorgenkind
                                                                                                            Das größte Sorgenkind des Rentensystems ist nach
                                                                                                            wie vor die Erwerbsminderungsrente. Diese Rente
      Altersrente Frauen                                                                                    erhalten Menschen, die aus gesundheitlichen
                                                                                                            Gründen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr
                                                                                                            erwerbstätig sein können. Im Jahr 2018 bezogen
            646 €                       692 €                                                               32.600 Männer und 25.200 Frauen in Niedersachsen
                                                                                                            im Alter ab 18 bis unter das jeweilig geltende Renten-
                                                                                                            eintrittsalter Grundsicherung wegen Erwerbsminde-
                                                                                                            rung. Auch hier stieg die Anzahl seit 2003 deutlich
                                                                                                            an: Damals bezogen nur rund 10.800 Männer und
                                                    Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Rente 2018

                                                                                                            9.000 Frauen Grundsicherung bei Erwerbsminderung.
                                                                                                            Aufgrund von Schamgefühl, Unwissenheit, Angst vor
     Altersrente Männer
                                                                                                            Auseinandersetzungen mit Behörden oder Befürch-
                                                                                                            tungen eines Rückgriffes auf unterhaltspflichtige
                                                                                                            Kinder kann davon ausgegangen werden, dass die
                                                                                                            tatsächliche Zahl der Anspruchsberechtigten deutlich
           1.198 €                     1.127 €                                                              über den offiziellen Angaben liegt.

                                                                                                                                 Rentenreport Niedersachsen 2020     11
Gesetzliche Altersrente –
     arm trotz Rente?
     Arm sind Personen, denen pro Monat weniger                       auch Brüche im Erwerbsverlauf hindern allerdings
     als 1.035 Euro zur Verfügung stehen. Unterhalb                   viele Menschen daran anderweitig Vermögen
     dieser Schwelle ist gesellschaftliche Teilhabe kaum              aufzubauen. Für sie bleibt die gesetzliche Rente
     möglich. Die steigende Altersarmut spiegelt sich                 die entscheidende Einkommensquelle im Alter.
     auch in der Armutsgefährdungsquote von
     RentnerInnen und PensionärInnen wider. Diese                     Es sind große geschlechtsspezifische Unterschiede
     hat sich in Niedersachsen seit 2008 von 12,7 auf                 im Vergleich der abgebildeten Zahlbetragsklassen
     16,3 Prozent im Jahr 2018 erhöht. Ein Anstieg von                feststellbar, die sich auf differenzierte Erwerbs­
     gut 28 Prozent. Bei kaum einer anderen gesell-                   biografien und unterschiedliche Lohnniveaus
     schaftlichen Gruppe stieg die Armutsgefährdungs-                 zurückführen lassen. Während 20,1 Prozent der
     quote im selben Zeitraum so dramatisch an.                       Neurentnerinnen 2018 unter 300 Euro Rente im

     Armutsgefährdung nach soziodemografischen Merkmalen
     in25,0
         Niedersachsen
     20,0                                                                                  17,2       16,8       17,0
                                                                      16,2       16,5                                    16,3
                15,8                            15,5       15,7
                          15,3       15,3
                                                                      16,1                 16,5       16,6       16,7
     15,0                                                                        15,8                                    15,9
                                                           15,2
                                                14,6
     10,0       12,7      12,7        13,1

                 7,6                  7,8        7,6        7,6       8,0                   7,7       7,7         7,7    7,7
                          7,5                                                    7,4
       5,0

       0,0
               2008      2009       2010       2011       2012       2013      2014       2015       2016        2017   2018

                       RentnerInnen und PensionärInnen                          Beschäftigte                 Insgesamt

     Angabe in Prozent, gemessen am Bundesmedian
                                 Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2019; eigene Darstellung

     Mehr als drei Viertel der Frauen                                 Monat erhielten, waren es bei den Männern
                                                                      12,7 Prozent. In der Zahlklasse „über 1.200 Euro“
     erhalten eine Altersrente unterhalb
                                                                      hingegen befand sich lediglich jede siebte Frau,
     der Armutsgefährdungsschwelle                                    aber gut 50 Prozent der männlichen Neurentner.
     Frauen sind von Altersarmut besonders betroffen:
     Die Mehrheit der Zahlbeträge von Frauen, die                     Die niedrigen Renten der Frauen sind das
     2018 erstmals eine gesetzliche Rente erhielten,                  Spiegelbild ihres Erwerbslebens. Die meisten
     lag unter der Armutsgefährdungsschwelle von                      haben ihr ganzes Leben gearbeitet, Kinder erzogen
     1.035 Euro. Für mehr als drei Viertel der Frauen                 und Angehörige gepflegt. Aber niedrige Löhne,
     und rund 42 Prozent der Männer ist das bittere                   prekäre Jobs sowie Preisanstiege und Mietwahn-
     Realität, es sei denn, sie können auf zusätzliche                sinn sorgen dafür, dass ihre Rente trotzdem kaum
     Einkommensarten oder Vermögen zurückgreifen.                     zum Leben reicht. Es gibt deutliche Fehlanreize
     Niedrige Löhne, Zeiten der Arbeitslosigkeit oder                 sowohl am Arbeitsmarkt als auch bei Sozialleistun-

12 Rentenreport Niedersachsen 2020
gen, die diese Entwicklung begünstigen: Die                  setzen noch immer auf das überholte Modell der
                                          Privilegierung von Minijobs, die unzureichende               Altersvorsorge durch den Mann. Deshalb sind
                                          Betreuungsinfrastruktur sowie das Ehegattensplit-            inzwischen viele auf einen Zuverdienst im
                                          ting. Sie alle sorgen nicht für eine eigenständige           Rentenalter angewiesen oder müssen sich bei den
                                          soziale Absicherung von Frauen im Alter, sondern             Tafeln mit Lebensmitteln versorgen.

Neuzugänge der Altersrente in Niedersachsen 2018
Nach Zahlbetragsklassen in Prozent

                Männer                                                      Frauen

                 49,8%                      über 1.200 €                    13,7%

                 15,7%                      900–1.200 €                    15,4%
                                                                                               Armutsgefährdungsschwelle 2018 = 1.035 €*

                                             600–900 €                     22,5%
                  11,3%

                                             300–600 €
                 10,5%                                                      28,3 %

                 12,7 %                     unter 300 €                     20,1 %

* Einpersonenhaushalt bei 60 Prozent des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung, abrufbar
  unter www.amtliche-sozialberichterstattung.de
                                         Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Sonderauswertung

                                                                                                                         Rentenreport Niedersachsen 2020   13
Rentenniveau auf dem Sinkflug

     Die Rentenhöhe wird hauptsächlich von zwei                         deutliche Ausschläge nach oben wie nach unten.
     Faktoren bestimmt: Einerseits durch die eingezahlten               Diese hängen maßgeblich vom Versicherungsver-
     Versicherungsbeiträge (abhängig von Einkommens-                    lauf sowie von den entrichteten Beiträgen ab.
     höhe während des Berufslebens und Beitragsjahren)
     und andererseits durch die jeweils geltende Ren­-                  Bereits heute ist absehbar, dass in Zukunft vielen
     tenformel. Seit den 1980er-Jahren wurde das                        Menschen die Altersarmut drohen würde, selbst
     Rentenniveau immer weiter abgesenkt: Von                           wenn sie lebenslang in die Rentenversicherung
     57,6 Prozent (1980) auf 48,2 Prozent (2019). Bis                   eingezahlt hätten. Ohne rentenpolitische
     2030 darf es auf bis zu 43 Prozent sinken.                         Veränderungen wird es selbst für den sogenann-
                                                                        ten „Eckrentner“ problematisch. Es ist jedoch
     Die Absenkung des Rentenniveaus von 57,6 Pro-                      fraglich, wie viele Beschäftigte künftig überhaupt
     zent auf 48,2 Prozent bedeutet eine Kürzung um                     45 Beitragsjahre erreichen. Warteschleifen
     16,3 Prozent auf 83,7 Prozent des alten Niveaus.                   zwischen Schule und Ausbildung, Brüche in der
     Die gesetzliche Haltelinie bis 2025 hält das                       Erwerbsbiografie durch (Langzeit-)Arbeitslosigkeit
     Rentenniveau auf mindestens 48 Prozent. Nach                       sowie Pflege- und Betreuungszeiten machen das
     2025 kann das Rentenniveau weiter sinken. Eine                     für viele Menschen nicht möglich. Eine Beschäfti-
     Absenkung auf 43 Prozent käme einer Kürzung auf                    gung im Niedriglohnbereich wie auch (unfreiwilli-
     74,6 Prozent des alten Niveaus gleich. Die Standard-               ge) Teilzeitbeschäftigung führen dazu, dass der
     rentenniveaus werden nur für die alten Bundesländer                Durchschnittslohn häufig gar nicht erreicht wird.
     berechnet, schon um die langjährige Vergleichbarkeit
     zu ermöglichen.                                                    Für die Sicherung auskömmlicher Renten sind
                                                                        Korrekturen im Rentenrecht, genauso aber im
     Untenstehender Übersicht liegen völlig gleichmäßige                Arbeitsrecht notwendig, die gegen die Zunahme
     Arbeitsbiografien, d. h. durchschnittliches Arbeitsent-            von prekärer Beschäftigung und gegen Niedrig-
     gelt und volle 45 Versicherungsjahre zugrunde.                     löhne wirken. Denn nur mit guten Löhnen und
                                                                        vernünftigen Rentenversicherungsbeiträgen,
                                                                        erhalten wir die angemessene Grundlage für die
     Der Versicherungsverlauf entscheidet
                                                                        Weiterentwicklung der Rentenauszahlbeträge.
     Bei den hier beschriebenen Zahlen handelt es sich
     um Durchschnittsbeiträge. Somit gibt es teils

     Entwicklung von Einkommen und Standardrentenniveaus seit 1980
     (allgemeine Rentenversicherung, alte Bundesländer)
                                  Ø Jahresentgelt (netto1)                             Standardrente (netto1)                           Rentenniveau in % (netto1)
           1980                             13.124                                               7.562                                                57,6
           1985                             15.454                                                8.870                                               57,4
           1990                             18.306                                              10.071                                                55,0
           1995                             21.918                                              11.822                                                53,9
           2000                             23.340                                              12.356                                                52,9
           2005                             24.389                                              12.821                                                52,6
           2010                             25.632                                              13.232                                                51,6
           2017                             30.661                                              14.772                                                48,2
          2019   2
                                            33.057                                              15.920                                                48,2
     1
         vor Steuern, vgl. § 154 (3) SGB VI
     2
         Ab 2019: Neudefinition der Nettogrößen und des Nettorentenniveaus vor Steuern, vgl. § 154 Abs. 3a SGB VI; Vergleichbarkeit mit Vorjahreswerten eingeschränkt.

     Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Deutsche Rentenversicherung Bund

14 Rentenreport Niedersachsen 2020
Sorgenkind Erwerbsminderungsrente

Wer wegen gesundheitlicher Probleme nur noch           Neuzugänge der Erwerbsminderungsrente in
eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten kann,
                                                       Niedersachsen 2018
bekommt Erwerbsminderungsrente. Der Bezug
dieser Rentenarten ist an strenge Voraussetzungen      Nach Zahlbetragsklassen in Prozent
gekoppelt, insbesondere an folgende: Einen
entsprechenden Antrag stellen darf nur, wer noch
                                                                    Männer                                               Frauen
keinen Anspruch auf eine Regelaltersrente hat. Die
oder der Betroffene wird auch durch Rehabilitation                                    über 1.200 €
nicht mehr gesund und kann täglich weniger als                      13,7%                                                 5,6%
drei Stunden („volle Erwerbsminderung“) bzw. drei
bis unter sechs Stunden („teilweise Erwerbsminde-
rung“) arbeiten. Außerdem müssen Antragstel-
lerInnen mindestens fünf Jahre in der gesetzlichen                                    900–1.200 €
Rentenversicherung versichert gewesen sein und in
                                                                    23,4%                                                 19,9%
den Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung
überwiegend Beiträge gezahlt haben. Bei den                                                  Armutsgefährdungsschwelle 2018 = 1.035 €*
Erwerbsminderungsrenten haben in den letzten
Jahren bestimmte Krankheitsbilder deutlich
zugenommen, allen voran psychische Erkrankun-
gen. Daneben sind Krankheiten des Muskel-
Skelett-Systems und Krebs am häufigsten.
                                                                    27,1%              600–900 €                          35,7%
Alarmierend ist die Höhe der Erwerbsminderungs­
rente nach Zahlbetragsklassen. Mehr als
87 Prozent der Frauen und rund 76 Prozent der
Männer erhalten weniger als 1.035 Euro und liegen
damit unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle.
Nur wenige der Betroffenen erreichen ein Niveau von
über 1.200 Euro. Bei Männern sind es 13,7 Prozent,
                                                                                       300–600 €
bei Frauen lediglich 5,6 Prozent.                                   24,0%                                                29,4%

Leichte Verbesserung der Renten­höhe
bei Erwerbsminderungsrente
Das Rentenpaket aus dem Jahr 2014, durch das die
Zurechnungszeiten um zwei Jahre verlängert sowie
                                                                     11,8%             unter 300 €                         9,3%
eventuelle Einkommenseinbußen vor Erwerbsminde-
rungseintritt abgemildert wurden, führte zu leichten
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente.
Trotzdem trägt die Erwerbsminderungsrente für viele
Menschen nicht zur Armutsvermeidung bei, sondern
                                                                                                    * Einpersonenhaushalt bei 60 Prozent des Medians
bleibt auf einem viel zu niedrigen Stand.                                                             der Äquivalenzein­kommen der Bevölkerung, abruf-
                                                                                                      bar unter: www.amtliche-sozialbericht­erstattung.de
Deshalb braucht es weitere Maßnahmen zur
                                                                                            Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Sonderauswertung
Stärkung der Erwerbsminderungsrenten. Insbeson­
dere müssen die Abschläge abgeschafft werden. Wer
aus gesundheitlichen Gründen nicht oder nur noch
eingeschränkt arbeiten kann, muss in Würde von
seiner Rente leben können.

                                                                                                                   Rentenreport Niedersachsen 2020          15
Männer                                               Frauen
     Die Erwerbsminderungsrenten von Männern              Die Erwerbsminderungsrenten von Frauen sind
     befinden sich nach wie vor auf einem niedrigen       nochmals deutlich niedriger als die von Männern.
     Niveau. Wie in der Grafik zu erkennen ist,           Im Jahr 2018 wurden durchschnittlich 705 Euro
     erhielten Männer im Jahr 2018 durchschnittlich       erreicht. Die nominale Steigerung der Zahlbeträge
     eine Erwerbsminderungsrente von 776 Euro.            von rund 109 Euro für Erwerbsminderungsrentne­
     Trotz der Steigerungen der letzten Jahre konnte      rinnen seit der Jahrtausendwende relativiert sich
     das Niveau der Jahrtausendwende noch nicht           deutlich nach Abzug des Kaufkraftverlustes.
     wieder erreicht werden. Im Vergleich zum Jahr        Bezogen auf das Jahr 2000 ist ein Minus von
     2000 erhalten Männer nominal durchschnittlich        ca. 69 Euro zu verzeichnen.
     39 Euro weniger Erwerbsminderungsrente,
     kaufkraftbereinigt müssen sie sogar mit 283 Euro
     weniger auskommen.

     Entwicklung der Erwerbsminderungerente in Niedersachsen
     Durchschnittlicher Zahlbetrag der Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

     Männer

        815 €          791 €         738 €        703 €        689 €        665 €          655 €        668 €           710 €             776 €

         2000          2001          2003         2005         2007         2009           2011          2013            2015             2018

        596 €         589 €          596 €       584 €        574 €         566 €        569 €         580 €           647 €              705 €

     Frauen
                                                                                                   Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Rente 2018

16 Rentenreport Niedersachsen 2020
Niedrige Löhne, niedrige Renten

                               Die Bundesagentur für Arbeit verkündet regelmäßig                  Frauen sind in weit höherem Maße atypisch
                               einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Dies gilt                   beschäftigt als Männer. Schlechtere Rentenerwar­
                               auch für Niedersachsen. Doch der Beschäftigungs­                   tungen sind die langfristige Folge. Denn wer längere
                               rekord steht auf prekären Füßen! Nur noch 60 Pro-                  Zeit schlecht verdient bzw. nicht durchgängig
                               zent der niedersächsischen Beschäftigten werden                    beschäftigt ist, kann im Alter nur eine niedrige Rente
                               nach Tarifvertrag bezahlt. Das Normalarbeitsverhält-               erwarten. Das gehört zur Logik des Rentensystems,
                               nis ist für viele nicht mehr selbstverständlich.                   das auf den gezahlten Beiträgen aufbaut.
                               Atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Leih- und
                               Teilzeitarbeit sowie geringfügige Beschäftigung (z. B.             Wer nur eine Teilzeitstelle findet, obwohl er bzw. sie
                               Minijobs) nehmen enorm zu.                                         eigentlich für ein ausreichendes Einkommen Vollzeit

Anteile atypischer Beschäftigung an Beschäftigten insgesamt 2018
                                                                       Niedersachsen                                          Bundesgebiet
 Teilzeit (ohne Leiharbeit und Minijobs)                                     24,7 %                                               24,4 %
 Leiharbeit                                                                   2,7 %                                                 2,7 %
 Minijobs (ausschließlich)                                                   15,2 %                                               13,2 %
 Atypische Beschäftigung gesamt                                              42,6 %                                               40,4 %

Quelle: Bundesagentur für Arbeit; eigene Berechnungen

                               Der Anteil atypischer Beschäftigung lag 2018 in                    arbeiten muss und möchte, wer als Leiharbeitneh-
                               Niedersachsen bei 42,6 Prozent und damit sogar                     merIn schlechter bezahlt wird als die fest angestell-
                               über dem Bundesdurchschnitt von 40,4 Prozent.                      ten KollegInnen, wer sich von einer befristeten Stelle
                               Teilzeit war dabei am stärksten verbreitet. Im Jahr                zur nächsten hangelt und auch wer keinen anderen
                               2003 lag der Anteil atypischer Beschäftigung noch                  als einen Minijob findet, hat schlechte Chancen,
                               bei 33,1 Prozent, bis 2018 ist somit ein Anstieg von               Rentenversicherungsbeiträge in einer Höhe einzuzah-
                               28,7 Prozent zu verzeichnen.                                       len, die im Alter für ein auskömmliches Einkommen

                               Entwicklung der atypischen Beschäftigung an
                               Beschäftigten insgesamt                                                                            42,6 %

                                42,0 %
                                                                                                  41,8 %             41,7 %
                                                                                                                                  40,4 %
                                40,0 %                                                                               39,3 %
                                                                                                  38,9 %
                                                                               37,7 %
                                38,0 %
                                                           36,7 %
                                36,0 %
                                                                               34,5 %
                                                            33,9 %
                                34,0 %

                                         33,1%
                                32,0 %
                                         30,1%
                                30,0 %
                                          2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2018

                                                                     Niedersachsen             Deutschland

                               Quellen: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung – Regionale Datenbank
                               „Atypische Beschäftigung“; Bundesagentur für Arbeit; eigene Berechnungen

                                                                                                                           Rentenreport Niedersachsen 2020   17
sorgen. Aber der Anteil solcher unsicheren und meist             Die Einführung des Mindestlohns 2015 konnte hier
     schlecht bezahlten Arbeitsplätze ist hoch.                       ein Stück weit entgegenwirken: Nach jahrelanger
                                                                      Stagnationsphase sind die Löhne der Beschäftigten
     Der Niedriglohnsektor in Deutschland hat sich                    im Niedriglohnsektor erstmals wieder deutlich
     seit dem Jahr 2000 ausgeweitet und sein Niveau                   gestiegen. Doch viele werden um ihren Anspruch auf
     stagniert seit 2012. Fast jeder vierte Beschäftigte              Mindestlohn betrogen. In Niedersachsen sind
     ist betroffen. Dabei sind Frauen mit 29,2 Prozent                212.000 ArbeitnehmerInnen von Mindestlohn­betrug
     stärker von Niedriglöhnen betroffen als Männer                   betroffen. Engmaschige Kontrollen und Dokumen­
     (16,6 Prozent). Die Ausweitung des Niedriglohn­                  tationspflichten sind daher dringend notwendig!
     sektors ist eine Folge der Agenda 2010. Sie förderte
     die Entstehung von prekären und schlecht bezahlten               Außerdem müssen die Tarifbindung und Mitbestim-
     Beschäftigungen, die das gesamtwirtschaftliche                   mung vorangetrieben werden. Denn sobald ein
     Lohngefüge nach unten drücken.                                   Betrieb tarifgebunden ist oder über einen Betriebsrat
                                                                      verfügt, geht die Zahl der Mindestlohn-Betrügereien
                                                                      signifikant zurück.

     Entwicklung des Niedriglohnanteils 1995–2016,
     in % der Beschäftigten

     40            37,2 %                 38,5 %                 37,1 %              38,0 %
                                                                                                        35,0 %
     35
     30
     25                                                                              23,7 %             22,7 %
                                                                 21,4 %
                                          18,7 %
     20            16,6 %
                                                                                     20,8 %             20,3 %
     15                                                          18,4 %
     10                                   14,6 %
                   11,8 %
       5
       0
                   1995                   2000                   2005                2010                2016

                          Deutschland gesamt                  Ostdeutschland             Westdeutschland

     Quelle: IAQ-Report – Niedriglohnbeschäftigung 2016; eigene Darstellung

18 Rentenreport Niedersachsen 2020
Rente mit 67? Weit gefehlt!

            Durchschnittliches Rentenalter steigt                                          64,1 Jahren eine Altersrente, und damit 0,8 Jahre
                                                                                           später als noch 2008. Das durchschnittliche
            statistisch bedingt an
                                                                                           Renteneintrittsalter betrug damals 63,3 Jahre.
            Im langfristigen Vergleich steigt das Rentenzu-
            gangsalter in Niedersachsen an. Das gestiegene                                 Frauen gehen etwas später in Rente
            Renteneintrittsalter ist zum einen auf vermehrte
                                                                                           als Männer
            gesetzliche Eingriffe in den letzten Jahren
            zurückzuführen. Dazu zählen die Einführung und                                 Das Renteneintrittsalter von Frauen lag mit
            Ausweitung von Abschlägen bei vorzeitigem                                      64,2 Jahren leicht über dem durchschnittlichen
            Rentenbeginn ebenso wie die Rente mit 67.                                      Renteneintrittsalter von Männern, das 64 Jahre
            Diese Eingriffe erfolgten mit dem Ziel, den                                    betrug. Es ist jedoch zu beachten, dass es ange-
            Renteneintritt hinauszuschieben. Zum anderen                                   sichts der „neuen“ Mütterrente zu Sondereffekten
            wurde das Rentenniveau immer weiter abgesenkt.                                 kommt. Viele Frauen ab 65 erlangten durch die
            Für viele Menschen stellt sich dadurch die Frage,                              Anerkennung eines weiteren Kindererziehungs-
            ob sie es sich überhaupt leisten können, früher                                jahres pro Kind, das vor 1992 geboren wurde, die
            aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.                                            Wartezeit von fünf Jahren für einen erstmaligen
                                                                                           Rentenanspruch. Bei Männern blieb das durch-
            Im Durchschnitt erhielten Arbeitnehmerinnen                                    schnittliche Renteneintrittsalter in den letzten
            und Arbeitnehmer in Niedersachsen 2018 mit                                     Jahren relativ konstant.

             Durchschnittliches Zugangsalter bei Altersrenten in Niedersachsen
             67,0
                                                                                                                            66,3

             66,0
                                                                                                                                   65,1*
             65,0
                                                                                                                     64,3                  64,3
                                                                                                                                                  64,2   64,2
                                                                                                              64,0
             64,0                                            63,5   63,5                               63,5
                                                      63,4                 63,3   63,2   63,2                 64,0   64,1 64,0                    64,0   64,0
                                        63,2   63,3                                             63,1                               63,9    63,9
                         62,8    62,9
             63,0                                                          63,3   63,3   63,3 63,3     63,2
                                                      63,0 63,1     63,2
                                               62,8
                                        62,5
             62,0        62,1
                                 62,3

             61,0
                      00          01 002 003 004 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016 017 018
                    20          20   2   2  2    2   2   2  2   2    2  2    2   2  2    2  2    2   2

                                                                           Männer                 Frauen

             * Sondereffekte durch „neue“ Mütterrenten 2014 und 2015: Viele Frauen im Alter ab 65 haben durch die Anerkennung eines weiteren
               Kindererziehungsjahres pro Kind mit Geburt vor 1992 die Wartezeit von fünf Jahren für einen erstmaligen Rentenanspruch erlangt.
             Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Sonderauswertung

                                                                                                                       Rentenreport Niedersachsen 2020          19
Rente mit 67 geht an der                                        Statt auf eine an der Lebenswirklichkeit vorbei
                                                                     gehende, immer längere Lebensarbeitszeit zu
     Lebenswirklichkeit vorbei
                                                                     setzen oder sogar die Kopplung des Rentenein-
     Die Zahlen zeigen eines deutlich: Von der gesetz­               stiegsalters an die Lebenserwartung zu fordern,
     lichen Vorgabe der Rente mit 67 Jahren sind wir                 bedarf es eines konsequenten Umbaus der
     weit entfernt. Viele Menschen schaffen es einfach               Arbeitswelt hin zu Guter Arbeit. Dazu gehören die
     nicht, diesen Schwellenwert gesund zu erreichen.                Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung
     Das gesetzliche Renteneintrittsalter entspricht                 unter Einbezug psychischer Belastungen sowie fair
     somit nicht dem reellen Erwerbsaustrittsalter vieler            gestaltete, flexible Übergänge in die Rente und
     Menschen. Hinzu kommt die Beschäftigungssitua­                  darüber hinaus eine kontinuierliche Steigerung bei
     tion Älterer am Arbeitsmarkt. Umso mehr sich die                der Beschäftigung Älterer.
     Beschäftigten ihrem Renteneintritt annähern, umso
     geringer sind die Beschäftigungsquoten Älterer in               Das Absinken des Rentenniveaus bewirkt, dass
     den Betrieben und Verwaltungen. Bundesweit                      eine zunehmende Zahl von Rentnerinnen und
     waren lediglich 22,7 Prozent der 63-Jährigen und                Rentnern arbeiten muss, da ihre Rente nicht zur
     nur 12,1 Prozent der 64-Jährigen im Jahr 2018 in                Sicherung des Lebensstandards oder gar zur
     Vollzeitäquivalenten beschäftigt. Die Stigmatisie-              Deckung des Lebensunterhaltes reicht. Bundesweit
     rung Älterer am Arbeitsmarkt zeigt sich auch darin,             hatte 2018 über eine Million Menschen über
     dass es Ältere deutlich schwerer haben, den                     65 eine ausschließlich geringfügige Beschäftigung.
     Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu finden. Hier
     braucht es ein Umdenken der Arbeitgeber.

     Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im rentennahen Alter 2018
     Beschäftigungszahlen und -quoten zwischen 60 und 64 Jahren am 30.06.2018

                      38,2                                                                                                          40

                                           35,8
     650.000                                                                                                                        35
                642.354 205.114                                   33,2

     600.000                                                                                                                        30
                                    583.780 186.502
     500.000                                                522.831 166.992                                                         25
                                                                                         22,7
                        437.240
     400.000                                                                                                                        20
                                               397.278
                                                                      355.839      350.036 112.518
     300.000                                                                                                                        15
                                                                                                                  12,1

     200.000                                                                                  237.518                               10
                                                                                                            184.865 62.793

     100.000                                                                                                          122.072        5

           0                                                                                                                         0
                    60 Jahre              61 Jahre               62 Jahre               63 Jahre                 64 Jahre

                      Insgesamt          Vollzeitbeschäftigte          Teilzeitbeschäftigte
                      Vollzeitbeschäftigungsquote (rechte Achse, in Prozent)

                                                                                                        Quelle: IAQ; eigene Darstellung

20 Rentenreport Niedersachsen 2020
Zugangsalter in                                                            Aus Mangel an Alternativen rücken die rentennahen
                                                                           Jahrgänge vermehrt in die Erwerbsminderungsrente
Erwerbsminderungsrente steigt
                                                                           nach.
Im Jahr 2018 lag das Renteneintrittsalter bei Erwerbs-
minderung bei durchschnittlich 52,1 Jahren. Damit                          Frauen gehen aktuell durchschnittlich über ein Jahr
stieg das Renteneintrittsalter seit Mitte der 2000er-                      früher in Erwerbsminderungsrente als Männer. Sie
Jahre wieder an, nachdem es zu Beginn der 2000er-                          müssen dabei auch eine längere Zeit mit vergleichs-
Jahre zunächst gesunken war. Der Zeitraum um die                           weise niedriger Rente leben. Je nach Eintrittsalter
Jahrtausendwende war von einer Reihe von                                   sind lebenslang Abschläge von bis zu 10,8 Prozent
Frühverrentungen geprägt. Der Anstieg des Renten-                          hinzunehmen. Angesichts der geringen und weiter
eintrittsalters in den letzten Jahren ist hingegen auf                     sinkenden Erwerbsbeteiligung im rentennahen
die beschriebenen Reformen im Rentenrecht mit dem                          Bereich ab 60 Jahren muss fast jede Rentnerin und
Ziel einer längeren Erwerbstätigkeit zurückzuführen.                       fast jeder Rentner Abschläge in Kauf nehmen.

Durchschnittliches Zugangsalter bei Erwerbsminderungsrenten
in Niedersachsen
                2000                            2005                              2010                           2015
                                                                                                          63,7 63,7                   201863,7
  64,0                                                                                           63,6                63,6     63,6   63,7

                                                                                          63,0                   63,7
                                                                    62,9   62,9 62,9                                                 63,5   63,5
5363,0
                                                       62,7 62,7                                          63,4          63,4* 63,4      52,8
   Jahre
                                               62,2                                                62,7
                                        62,0                                                                      52,2
           52,5                  61,9
  62,0                    61,6
52 Jahre           61,4
           Männer
           60,9                                       61,6   61,5   61,5           61,5   61,5                    51,3
  61,0                                         61,3
                                                                           61,4
                                                                                  51,0
                                 61,0   61,1                                                                                            51,6
51 Jahre                  60,8
                   60,7
           60,5
  60,0
           50,3
50 Jahre
  59,0     Frauen                              50,2
                                                                                  49,7
49 Jahre
  58,0
                                                49,0
           00       01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18
48 Jahre20        20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20

                                                             Männer                  Frauen

                                                                    Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund – Sonderauswertung

                                                                                                          Rentenreport Niedersachsen 2020          21
Rentenpolitische Forderungen des DGB

     Die gesetzliche Rente schwächen und auf private      Dies ist auch finanzierbar und überfordert weder
     Vorsorge setzen – das war Anfang der 2000er-­        die Beschäftigten noch die Unternehmen. Unsere
     Jahre die Idee der Politik. Sie beschloss, das       Forderungen sind mit einem Beitragssatz in den
     Rentenniveau zu senken. Das entlastet zwar die       2040er-Jahren von voraussichtlich 25 Prozent zu
     Arbeitgeber von Sozialabgaben, die Beschäftigten     finanzieren, 1,4 Prozentpunkte mehr als die
     zahlen aber zusätzliche Beiträge für die private     Prognosen bei sinkendem Rentenniveau heute
     Rentenversicherung. Seitdem steigen die Renten       schon ausweisen. Für ein um rund 20 Prozent
     langsamer als die Löhne: Das Rentenniveau ist seit   höheres Rentenniveau müssten die Beschäftigten
     2000 bereits um etwa zehn Prozent gesunken und       also weniger als einen Prozentpunkt mehr Beitrag
     wird – wenn alles bleibt, wie es ist – bis 2045 um   zahlen.
     weitere 13 Prozent sinken. Doch nach 15 Jahren
     zeigt sich: Dieser Plan lässt viele Menschen auf     Um dies zu erreichen müssen auch alle versiche-
     sozialen Abstieg und Armut im Alter zusteuern.       rungsfremden Leistungen voll aus Steuermitteln
     Aktuelle Studien weisen darauf hin (DIW-Wochen-      finanziert werden – beispielsweise die Mütterrente
     bericht 21/22 2019), dass – ohne eine Änderung       oder die Ost-West-Angleichung. Jüngste Berech-
     der Rentengesetze durch das weiter absinkende        nungen der Rentenversicherung zeigen, dass derzeit
     Rentenniveau – die schon jetzt große Altersarmut     eine jährliche Unterdeckung nicht beitragsgedeckter
     in Zukunft noch erheblich steigen wird. Gibt es      Leistungen durch den Bund in Höhe von 30 Mil-
     keinen Kurswechsel, bedeutet das: Auch bei           liarden Euro besteht. Dieser Griff in die Renten-
     durchschnittlichem Einkommen über Jahrzehnte         kasse muss gestoppt werden. Zur Finan­zierung der
     drohen im Alter erhebliche finanzielle Einbußen      notwendigen Leistungsverbesserungen muss die
     und der soziale Abstieg.                             Rentenversicherung außerdem mittel­fristig zu einer
                                                          Erwerbstätigenversicherung weiterentwickelt
     Um diese fatale Entwicklung zu stoppen, schlägt      werden. Dies bedeutet im ersten Schritt eine
     der DGB Niedersachsen – Bremen – Sachsen-An-         Stärkung der Basis an Beitragszahlern durch eine
     halt folgende Maßnahmen vor:                         Ausweitung des Schutzes der Rentenversicherung
                                                          auf Selbstständige und MinijobberInnen.
     Rentenniveau von 50 Prozent statt
     weiterer Rentensenkung                               Grundrente für langjährige
                                                          BeitragszahlerInnen
     Das Rentenniveau ist die wichtigste Stellschraube
     für eine würdige Rente und die Verhinderung von      Neben dem sinkenden Rentenniveau gibt es eine
     Altersarmut. Daher ist es richtig, dass die große    zweite zentrale Ursache für geringe Renten:
     Koalition eine Stabilisierung des Rentenniveaus      Geringe Löhne über lange Zeiträume. Gerade
     auf dem heutigen Stand von 48 Prozent bis 2025       Frauen haben oft über Jahrzehnte nur zu geringen
     beschlossen hat. Dies reicht aber bei Weitem nicht   Stundenlöhnen und in unfreiwilliger Teilzeit
     aus. Nach 2025 soll laut geltendem Recht eine        gearbeitet – oftmals wegen Kindererziehung oder
     weitere erhebliche Senkung der Renten folgen: Im     Pflege. Das sind nicht nur Ausnahmen. Solche
     Jahr 2045 droht ein Rentenniveau von nur noch        Erwerbsbiografien haben Millionen von Menschen
     41,5 Prozent. Diese Armutsspirale muss enden.        und diese Biografien kann man nicht umschreiben.
     Wir brauchen dauerhaft sicherere Renten durch        Die Rente muss auch in diesen Fällen für ein
     eine Erhöhung des Niveaus auf 50 Prozent. Die        menschenwürdiges Leben reichen. Deshalb
     Rente muss wieder für ein Leben im Alter in Würde    müssen geringe Löhne bei langjähriger Versiche-
     reichen und vor sozialem Abstieg schützen.           rungszeit aufgewertet werden. So kann verhindert

22 Rentenreport Niedersachsen 2020
werden, dass Beschäftigte nach einem langen           Arbeitsmarkt in Ordnung bringen
Arbeitsleben im Alter in die Grundsicherung fallen.
Eine Bedürftigkeitsprüfung wäre dabei kontra­         Ziel muss sein, flächendeckend Gute Arbeit zu
produktiv: Es geht darum, die Lebensleistung der      schaffen, denn wer dauerhaft zu Niedriglöhnen
Menschen zu würdigen und sie vor Altersarmut          arbeitet, erhält niedrige Renten. Um dies abzu-
zu schützen – wer jahrzehntelang gearbeitet hat,      wenden, brauchen wir eine Neuordnung des
darf nicht im Alter gezwungen werden, zum             Arbeitsmarktes: Das Normalarbeitsverhältnis zu
Grund­sicherungsamt zu gehen und sein gesamtes        Tarifbedingungen muss wieder Standard sein.
Vermögen zu veräußern.                                Daher muss die Allgemeinverbindlichkeitserklärung
                                                      von Tarifverträgen deutlich vereinfacht werden,
                                                      sodass nicht mehr einzelne Arbeitgeberverbände
Übergänge von der Arbeit in die
                                                      diese blockieren können. Der Mindestlohn muss
Rente besser absichern, Rente mit                     deutlich steigen und oberhalb der Armutsschwelle
65, Betriebsrenten stärken                            liegen: Um eine Rente oberhalb der Grundsiche-
                                                      rung zu erhalten, muss man aktuell bei einer
Besser gestaltete und abgesicherte Übergänge
                                                      wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden
vom Erwerbsleben in die Rente sind unumgäng-
                                                      und 45 Jahren versicherungspflichtiger Beschäf­
lich, da es in vielen Fällen durch Krankheit,
                                                      tigung mindestens 12,63 Euro pro Stunde
Erwerbsminderungen oder Arbeitslosigkeit zu
                                                      verdienen.
regelrechten Entwertungen von Lebensleistungen
kommt. Um solche flexibleren Ausstiege aus dem
                                                      Die Leiharbeit muss endlich wirksam reguliert
Berufsleben vor Erreichen des regulären Renten­
                                                      werden (gleicher Lohn ab dem ersten Einsatztag,
alters zu ermöglichen, muss insbesondere die
                                                      Wiedereinführung des Synchronisationsverbotes
Altersteilzeit wieder gefördert werden. Die
                                                      und eine arbeitsplatzbezogene Überlassungs-
Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten müssen
                                                      höchstdauer). Schluss gemacht werden muss mit
entfallen.
                                                      der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhält-
                                                      nissen; der Missbrauch von Werkverträgen und
Außerdem hat sich die Rente mit 67 als Irrweg
                                                      Solo-Selbstständigkeit muss wirksam bekämpft
erwiesen. Viele Beschäftigte können nicht so lange
                                                      werden. Hierzu braucht es einen klaren gesetz­
gesund arbeiten. Der reguläre Renteneintrittsalter
                                                      lichen Kriterienkatalog sowie Mitbestimmungs-
sollte wieder bei 65 Jahren liegen – wie in fast
                                                      rechte für Betriebsräte. Für alle Formen abhängiger
allen anderen Industriestaaten. Aufgrund des
                                                      Beschäftigung muss die Sozialversicherungspflicht
stetigen Produktivitätswachstums war in der
                                                      ab dem ersten Euro gelten.
Vergangenheit ein späteres Renteneintrittsalter
ökonomisch nicht erforderlich. Durch die Digi­
                                                      Von diesen Verbesserungen würden insbesondere
talisierung sind in der Zukunft noch außerordent­
                                                      Frauen profitieren. Frauen sind wesentlich häufiger
liche Schübe des Produktivitätswachstums zu
                                                      als Männer unfreiwillig mit reduzierten Arbeitszei-
erwarten. Vor diesem Hintergrund ist die Rente
                                                      ten, in unsicheren Jobs sowie im Niedriglohnsektor
mit 67 überholt.
                                                      beschäftigt.

Außerdem brauchen wir eine Stärkung der be-
trieblichen Altersversorgung durch eine leichtere     Gesundheitsschutz endlich ernst
Allgemeinverbindlichkeitsregelung, sodass alle        nehmen
Beschäftigten einer Branche von diesen Regelun-
                                                      Zu beobachten ist eine Fachkräftedebatte auf der
gen profitieren. Dabei ist darauf zu achten, dass
                                                      einen Seite und hohe Zahlen der Erwerbsminde-
sich die Arbeitgeber angemessen an der Finan­
zierung der Betriebsrente beteiligen.

                                                                         Rentenreport Niedersachsen 2020    23
rungsrenten auf der anderen Seite. Das passt nicht   schen Belastungen entgegenzuwirken, brauchen
     zusammen. Für uns als DGB ist klar: Die Anzahl       die Beschäftigten einen größeren Schutz. Die
     der Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner       Gewerkschaften fordern eine Anti-Stress-Verord-
     muss drastisch reduziert werden. Der Schlüssel       nung, die Klarheit für die Betriebe und die
     hierzu ist Gute Arbeit. Besonders im Hinblick auf    staatliche Gewerbeaufsicht schafft. Das gewinnt
     die alternde Gesellschaft – der Anteil der über      auch deshalb an Bedeutung, da durch die
     50-Jährigen wird in den nächsten Jahren stark        Digitalisierung der Gesellschaft die Gefahr der
     ansteigen – muss die Arbeitsgestaltung in den        Überlastung vermutlich noch zunehmen wird.
     Betrieben und Verwaltungen alters- und alternsge-    Außerdem müssen die Kontrollen der staatlichen
     rechter werden. Um dem Phänomen der psychi-          Aufsichtsbehörden deutlich ausgeweitet werden.

24 Rentenreport Niedersachsen 2020
Noch kein Gewerkschaftsmitglied?

Einfach das Beitrittsformular online ausfüllen:
www.dgb.de/service/mitglied-werden

Rechtsschutz, tarifliche Leistungen, Unterstützung bei Tarifkonflikten und Weiterbildung – dies
sind nur vier von acht guten Gründen, Mitglied in einer DGB-Gewerkschaft zu werden. Auf
unserer Website finden Sie weitere überzeugende Argumente, Teil dieser starken Gemeinschaft
zu werden.
www.niedersachsen.dgb.de
www.niedersachsen-bremen-sachsenanhalt.dgb.de
Sie können auch lesen