Robert Bothner - in seiner Zeit für unsere Zeit - in seiner Zeit für unsere Zeit
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Lose Folge zum Sammeln - Nr. 33 - Dezember 2020 Robert Bothner - in seiner Zeit für unsere Zeit Wer sich mit der Nachrichten manipulieren Geschichte Botnangs kann. Umso erstaunlicher beschäftigt, wird immer sein Bemühen, die Wirk- wieder aufs Neue über- lichkeit so abzubilden wie rascht, wie viele - weit sie sich ihm darstellte. über Botnang hinaus - bekannte Menschen hier Urlaub, Wandern und Berg- ihre Wurzeln haben. touren waren in den An- fängen des 20. Jahrhun- Einer von ihnen ist der derts nur Adeligen oder Fotomeister Robert großbürgerlichen Familien Bothner (1899-1967). möglich. Ihn stellen wir in diesem Die Naturfreunde wollten Heft vor, beschreiben mit ihren Häusern und das Botnang der Jahr- Heimen preiswerte hundertwende vom 19. Übernachtungsmöglich- zum 20. Jahrhundert keiten für Arbeiterfamilien und möchten Interesse schaffen. für sein fotografisches Daher erklärt sich Robert Werk in einer Ausstel- Bothners besonderes lung im Bezirksrathaus Interesse für das Römer- Botnang im Februar steinhaus. Ein grüner 2021 wecken. Roter. Robert Bothner in seiner Zeit für unsere Preiswerter Wohnraum ist ein Schlagwort aus Zeit: An seinem Leben und Werk lässt sich unserer Zeit. Der Bau- und Wohnungsverein sehr gut zeigen, welche gegenwärtigen Fra- hatte um die Jahrhundertwende diesen Wohn- gen und Probleme bereits zu seiner Zeit ver- raum für die arbeitende Klasse zur Verfügung handelt wurden. gestellt. Robert Bothner lebte, frisch verheira- tet, in solch einer Wohnung in Westheim. Von “friday for future” redete man in den 20-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Robert Bothner begegnet uns als politischer, noch nicht. Doch die Jugendbewegung und sozial denkender und handelnder Mensch, der die Reformpädagogik brachen die festgezerr- die Wirklichkeit realistisch wahrnahm. ten Strukturen der damaligen Gesellschaft auf Er wusste immer zwischen Ideologie, Propa- und es entstand ein ganz neues Verhältnis zur ganda und Eigeninteresse zu unterscheiden. Natur und sozialem Miteinander der Men- Und er gehörte sicher auch zu denen, die ihre schen. Lektion aus der Geschichte gelernt haben. Hier könnte er heute für viele zum Vorbild Den Begriff “fake news” kannte Robert Both- werden, die wieder dem rechten Gedankengut ner nicht. Doch er wusste nur zu gut, wie nachhängen oder der DDR wieder manch gute man mit Bildern Meinungen beeinflussen und Seite abgewinnen möchten.
Botnang um die Jahrhundertwende tembergs noch üblich - mit fortlaufender Nummer. Die Bebauung Beginnend im Ortszentrum zählte man strahlenför- mig nach außen. Später erbaute Häuser erhielten Botnang hatte in Robert Bothners Geburtsjahr dann die Nummern die dran waren. So kam es, dass (1899) rund 2.900 Einwohner. Sie lebten meist in das Elternhaus von Robert Bothner die Nummer kleinen Ein- oder Zweifamilienhäusern. Keines hatte 255 in der Friedhofstraße hatte. mehr als 3 Stockwerke. Diese verteilten sich auf Im Adressbuch von 1913 sind die Häuser bereits mit wenige Straßenzüge: von der Kirche Richtung Straßennamen und Hausnummern versehen. Westen die Solitudestraße (seit 1938 Eltinger Straße); Richtung Osten die Feuerbacher Straße (seit 1957 Furtwänglerstraße); Richtung Norden die Die Sozialstruktur Himmerreichgasse (seit 1913 Himmerreichstraße); Richtung Süden die Stuttgarter Straße (seit 1912 Das Leben in Botnang war von der wirtschaftlichen Alte Stuttgarter Straße) und parallel die Garten- Not in der kleinen - noch selbständigen - Gemeinde straße (seit 1938 Franz-Schubert-Straße); dazu geprägt. Mitte des 19. Jahrhunderts wandten sich noch die Hummelbergstraße (seit 1899). Als Quer- immer mehr Botnanger der Fabrikarbeit zu. Weitere verbindungen gab es die Querstraße (seit 1938 Fro- Arbeiterfamilien zogen nach Botnang. Sie arbeite- bergstraße); Schulstraße (seit 1938 Schumann- ten in Stuttgart aber auch noch in den damals selb- straße); Rosenstraße (seit 1936 August-Halm- ständigen Orten Cannstatt, Untertürkheim oder Straße); Karlsstraße (seit 1899 Klinglerstraße); Feuerbach. Um die Jahrhundertwende betrug der Bergstraße (seit 1932 Zumsteegstraße); die Talstraße (seit 1938 Griegstraße) und die Friedhofstraße (seit 1938 Flotowstraße). Vor 300 Jahren wurde es üblich, die Häuser einer Straße linksseitig mit ungeraden und rechtsseitig mit gera- den Nummern zu zäh- len. Ein deutscher und ein französischer Bau- meister machten zwar zeitgleich, aber völlig Botnang um 1922 unabhängig voneinan- der, den Vorschlag, die Häuser in der genann- ten Art zu zählen. Wann sich aber in Botnang diese Zähl- weise durchsetzte, ist nicht bekannt. Im Jahr 1807 wurde die Gebäudebrandver- sicherung erlassen. Sie schrieb vor, dass jedes Gebäude mit einer Nummer zu versehen sei. Die Nummerierung der Gebäude erfolgte Ortsplan aus dem Jahr 1922 damals - wie in vielen kleinen Orten Würt- 2
Beim Pfarrhaus Solitude-Straße gegen die Kirche gesehen Die Solitudestraße (oben links und oben rechts) - um 1926 fotografiert von Robert Bothner. Und so sah die Eltingerstraße dann noch in den 50ern aus (links). Reine landwirtschaftliche Anwesen gab es mangels ausreichender Flächen nur wenige. Doch hatte na- hezu jede Botnanger Familie ein “Gütle” (und hielt dort auch Kleinvieh). Trotz der Nähe zu Stuttgart siedelten sich in Bot- nang zunächst keine Industriebetriebe an, wie etwa im nahegelegenen Feuerbach oder in den anderen Orten im Neckartal. Hauptgrund dafür war die klei- ne und begrenzte Markung. Die Wälder rings um Botnang waren entweder Staatswald oder gehörten der Stadt Stuttgart (siehe auch “Botnanger Heimat”, Nr. 28-2012: “Vom Staubsauger zum Brillengestell”). Dazu kam auch noch der beschwerliche Weg nach Stuttgart. Vom Botnanger Sattel ging es steil berg- ab bis zur Gäubahn. Auf der Höhe der Forststraße wurde die Gäubahn mit einem schienengleichen Bahnübergang gequert, weiter steil bergab ging es Anteil der Bevölkerung, die von der Industriearbeit in den Stuttgarter Westen. abhängig war, rund 75 %. Die Wirtschaftsstruktur im Ort selbst war vor allem Kommunalpolitische durch Wäschereien, Gärtnereien und kleine Hand- werksbetriebe geprägt. Daneben gab es in ausrei- Probleme chendem Maße Lebensmittelgeschäfte, Milchläden, Bäckereien und Metzgereien. Das alles waren Fami- 1. Die Bürgermeisterwahl 1897 lienbetriebe, die nahezu ohne fremde Arbeitskräfte auskamen. Im Adressbuch von 1913 wurden 23 Schultheiß Wilhelm Baumgärtner ging nach 27 Wirtschaften gezählt, die meisten von ihnen wur- Amtsjahren aus gesundheitlichen Gründen in den den im Nebenerwerb geführt (siehe auch “Botnan- Ruhestand. Die Neuwahl wurde auf den 31. Mai ger Heimat” Nr. 14: “Botnanger Wirtschaften”). 1897 festgelegt. Wahlberechtigt waren alle Männer 3
über 25 Jahren. Es kandidierten Wilhelm Baumgärt- Quellwasserversorgung. Gebaut wurde die Pump- ner (Junior), der Sohn des amtierenden Schultheißes station in der Brunnengasse (heute: Casa Pompa in und der Schultheiß Christian Eicheler aus Hohen- der Kauffmannstraße); dazu gehörte auch ein 18 gehren (Oberamt Schorndorf). Meter hoher Schornstein, der für den Betrieb einer Um die Kandidatur des jungen Baumgärtner gab es Dampfmaschine für die Wasserpumpe nötigt war. eine größere Auseinandersetzung. Dem scheidenden Schultheiß wurde in einem Flugblatt viel Schmäh- Weiter wurde auf dem Gebiet der heutigen Sport- liches nachgesagt. Das Ganze gipfelte im Vorwurf, halle in der Kauffmannstraße eine neue Brunnen- dass er sein Amt vererben wolle. Aus diesem Grund stube gegraben und ein Wasserreservoir 70 m höher habe er mit Hilfe des ihm ergebenen Gemeinderates gelegen an der Ecke Aspenwald-/Vaihinger Land- vorher die Stelle gar nicht öffentlich ausschreiben straße gebaut (siehe auch “Botnanger Heimat” Nr. lassen. Erst durch öffentlichen Druck erreichte man 3-1982: “Die alte Botnanger Quellwasserversor- dann noch - wenn auch kurzfristig - eine Ausschrei- gung”). Gleichzeitig verlegte man im Ort die nöti- bung. Mit Christian Eicheler konnte immerhin ein gen Rohrleitungen. 1903 konnten die ersten Häuser Gegenkandidat aufgestellt werden. Der 31-jährige an die Wasserversorgung angeschlossen werden. Verwaltungsbeamte stammte aus Hohenstaufen (Oberamt Göppingen), war verheiratet und hatte 1905 bot der Verein erste Häuser zur Vermietung einen zweijährigen Sohn. Eine Delegation von Bot- an. Die Wohnungen ließen sich aber trotz niedriger nangern hatte an seiner bisherigen Wirkungsstätte Mieten schlecht vermieten. Die fehlende Straßen- nur Gutes über ihn erfahren. So war es nicht ver- bahnanbindung machte Botnang als Wohngebiet wunderlich, dass das Wahlergebnis eindeutig aus- nicht attraktiv. Der Verein verzichtete auf den Wei- fiel. Eicheler erhielt 242 Stimmen, der Sohn des terbau. alten Schultheiß 147. Acht Stimmberechtigte hat- Der Name Westheim geht auf die Lage der Siedlung ten nicht gewählt. von Stuttgart aus gesehen zurück. Und so kam es, dass im Süden Botnangs das Westheim liegt (siehe Ein Neuanfang der kommunalen Verwaltungsarbeit auch “Botnanger Heimat” Nr. 7-1986: “Die Kolonie hatte begonnen. Das war auch dringend notwendig, Westheim”). da der geplante Bau des Westheimes einige kommu- nalpolitische Entscheidungen erforderte. 3. Die Eingemeindung 2. Der Bau der Kolonie Westheim Von 1895 bis 1905 wuchs die Bevölkerung von 2576 auf 3823 Einwohner. Die damit verbundene 1866 wurde von wohlhabenden und einflussreichen Bürgern Stuttgarts unter der Federführung von Eduard Pfeiffer der “Verein für das Wohl der arbei- tenden Klasse” gegründet. Neben verschiedenen sozialen Projekten hatte der Verein sich vor allem den Bau von Wohnraum für Arbeiter auf die Fahnen geschrieben. Der Verein beschloss am Rande Stutt- garts drei Kolonien zu bauen. Im Osten, Süden und Westen Stuttgarts sollten drei neue “Wohnheime” entstehen. Im Süden und Osten ging die Entwicklung rasch voran und bereits 1891 konnten die ersten Woh- nungen bezogen werden. In Botnang kaufte der Verein 25.000 qm Fläche zwischen der heutigen Beethoven-, Hummelberg- und Lortzingstraße, um dort eine Siedlung mit 200 Häusern zu errichten. Nach dem Wechsel im Amt des Schultheiß musste zuerst der endgültige Verlauf der neuen Stuttgarter Straße (heute: Beethovenstraße) festgelegt werden. Und dann drängte der Verein auf eine moderne Wasserversorgung. Jahrhundertelang versorgten sich die Botnanger mit Trinkwasser aus den zahlreichen gegrabenen Brun- nen. Wo möglich, grub man sich auf dem eigenen Grundstück einen Brunnen, sonst musste man an einem öffentlichen Brunnen sein Trinkwasser holen. Das Nutzwasser für Gärtnereien, die Wäschereien und Bleichereien besorgte man sich aus den Bach- Ein alter Winkel läufen. Metzger-, Buberles-, Sommerhalden- und Knaupenbach boten genug sauberes Wasser. 1899 begann man mit dem Bau einer “zeitgemäßen” 4
große Zahl von Kindern, machte den Bau eines neu- ges Angebot über finanzielle und technische Hilfe. en Schulhauses erforderlich. Diese Ausgaben konnte das selbständige Botnang nicht allein stemmen. Die Stadt Stuttgart sorgt für: Die Stadt Stuttgart und das Königreich Württem- berg beteiligten sich mit großen Summen an den 1) den Straßenbahnanschluss Kosten. Weitere Ausgaben standen an: der Ausbau 2) notwendigen Straßenbau der Wasserversorgung, Anschluss an das Stuttgarter 3) Anschluss Botnangs an das Gas- und Stromnetz Gas- und Stromnetz, und damit verbunden eine 4) Beleuchtung der Straßen Botnangs Straßenbeleuchtung mit Gaslaternen. Natürlich 5) Hilfe beim Bau eines Schulhauses auch die Straßenbahnverbindung und der dazuge- 6) Jährlichen Zuschuss von 10.000 Mark zu den hörige Straßenbau. Schulkosten 7) Amtshilfe allgemeiner und technischer Art Es war abzusehen, dass das 1905 eingeweihte neue Schulhaus nicht ausreichen würde. An eine Kanali- Einzige Gegenleistung: Botnang verzichtet auf wei- sation und Kläranlage konnte die kleine Botnanger tere Eingemeindungsanträge und wird auch nicht Gemeinde erst gar nicht denken. Das schon im 19. beim Innenministerium wegen einer Zwangseinge- Jahrhundert arme Botnang konnte den Anforderun- meindung vorstellig. gen des 20. Jahrhunderts nicht mehr gerecht wer- den. In einer Bürgerversammlung am 5. Mai 1904 Ganz offensichtlich ging es bei der Diskussion über wurde die Eingemeindung nach Stuttgart gefordert. die Eingemeindung nicht um das Geld. Man wollte Das Gut der kommunalen Selbstverwaltung wurde die Botnanger nicht wegen ihrer Armut, sondern der blanken Not geopfert. man wollte sich auch die vielen roten Genossen vom Leibe halten. Am 15. Juni 1905 stellte der Botnanger Gemeinde- rat den Antrag auf Eingemeindung an die Stadt Die Frage der Eingemeindung ruhte während des Stuttgart. Der Stuttgarter Stadtrat lehnte ab. Da- 1. Weltkriegs. Danach lag sie wieder neu auf dem raufhin stellten die Botnanger einen zweiten Antrag Tisch. Die Stadt Stuttgart wollte immer noch nicht. und drohten gleichzeitig beim Innenministerium Erst unter dem Druck des Innenministeriums kam es einen Antrag auf Zwangseingemeindung zu stellen. am 1. April 1922 zur Eingemeindung. 4524 Botnan- Trotz dieses Druckmittels lehnte die Stadt Stuttgart gerinnen und Botnanger wurden Stuttgarterinnen auch diesen Antrag ab. Um die Zwangseingemein- und Stuttgarter (siehe auch “Botnanger Heimat” dung zu verhindern machte sie aber ein großzügi- Nr. 19-1997: “Gnädig aufgenommen”). An der Kirche, vom Rathaus gesehen Beim Adler-Eck 5
Robert Bothner: Leben und Werk Robert Bothner wurde am 19. August 1899 in Bot- Tod seiner Mutter am 9. Juni 1909. Sie starb im nang, in der Friedhofstraße, Gebäude 255, geboren. Alter von 35 Jahren, kurz vor seinem 10. Geburts- Sein Vater Eduard, von Beruf Zimmermann, stamm- tag. Sein Vater heiratete am 5. August 1910 wieder. te aus einem alten Botnanger Geschlecht. Die Kinder brauchten eine Mutter. Seine zweite In der Beschreibung des Gemeindebezirks aus dem Frau Klara Bräuninger stammte ebenfalls aus Bot- Jahr 1888 von Schultheiß Baumgärtner wird ein nang. Aus dieser Ehe ging 1914 der Sohn Eugen Zimmermann Bothner aus Magstadt genannt, der hervor. Der Erzählung nach soll Robert kein gutes 1724 nach Botnang zuzog. So gehört Robert Both- Verhältnis zu seiner neuen Mutter gehabt haben. ner zu einer Familie, die bereits auf eine sehr lange Die allgemeine Schulpflicht endete nach sieben Geschichte in Botnang zurückblicken konnte. Seine Schuljahren. Robert war damals 13 Jahre alt. Sehr Mutter, Marie Lusie Heppeler (Eheschließung am jung, um mit dem “Ernst des Lebens” zu beginnen. Pfarrstraße mit Rathausturm in Stuttgart 1927 (oben). Rotunde der Carls-Akademie, ehemaliger Speisesaal, später Hofbibliothek, 1927 (oben rechts). Marktplatz bei Nacht, Lichtfest im November, 1928 (rechts)) 27. Mai 1899) stammte ebenfalls aus Botnang und brachte in die Ehe ihre 3-jährige Tochter Pauline mit. Zu seiner Halbschwester hatte Robert immer ein gutes Verhältnis. Sie wurde später auch die Patin seines Sohnes Werner. 1903 kam die Schwester Elsa, 1904 der Bruder Theodor und 1906 die Schwester Hedwig zur Welt. Mit 6 Jahren wurde Robert 1905 eingeschult. Er ging in das neue Schulhaus (Ecke Franz-Schubert-Straße/ Schumannstraße). Mit der Einweihung dieses Schulhauses (1903) war es mög- lich, in Botnang Jahrgangsklassen zu unterrichten. Das war zu dieser Zeit noch nicht überall selbstverständlich. Ein schwerer Schicksalsschlag war der 6
Die Königstraße vom Bahnhofsturm, 1932 (oben links), die Villa Berg, 1930 (oben) und Schloß Horneck mit der Neckarstaustufe des Architekten Paul Bonatz,1936 (links). linger in Stuttgart (Ecke Lange Straße und Calwer Straße). Was den Ausschlag für diese Lehre gab, wissen wir heute nicht mehr. Diese Ausbildung vereinigte Physik und Chemie miteinander. Physik: wegen einem grundlegenden Wissen in Optik, das notwendig war um die richti- gen Objektive auszuwählen und die beste Belichtungszeit einzustellen. Che- mie: war nötig, um die belichteten Plat- ten und Filme entsprechend zu entwik- keln. Dazu kam ein Gespür für Motive, sowie Licht- und Schattenwirkungen. Seine Ausbildung wurde 1917 durch die Teilnahme am 1. Weltkrieg unterbrochen. Im November 1918 kam er unversehrt aus dem Krieg zurück und konnte seine Ausbildung zum Fotograph abschließen. Als Fotomeister begann er am 1. Novem- Die meisten Botnanger Jugendlichen sollten mög- ber 1926 seine Tätigkeit bei der Württembergischen lichst rasch Geld verdienen, um den Familienhaus- Bildstelle GmbH (heute das Landesmedienzentrum halt zu entlasten. Das hieß für die Jungen Hilfsar- Baden-Württemberg). beitertätigkeiten in den Fabriken und für die Mäd- chen Hausangestellte bei reichen Stuttgarter Fami- In den 20er Jahren unternahm er ausgedehnte lien oder eine Arbeit als Strickerin oder Näherin in Reisen. Mit einer Plattenkamera 9 x 12 brachte er den Textilfabriken. bemerkenswerte fotographische Erinnerungen mit. Österreich, Italien, Schweiz und Frankreich waren Es war durchaus nicht selbstverständlich, dass die seine Ziele. Es war sicher nicht immer einfach mit Jugendlichen eine Lehre beginnen durften. Doch Plattenkameras und Stativ den Ätna zu erklimmen Roberts Vater, selbst ein Handwerksmeister, legte oder im Tiefschnee beim Skifahren, mit dieser Aus- darauf wert. Und so begann er im Herbst 1912 eine rüstung unter dem schwarzen Tuch zu fotografie- Lehre als Fotograf in dem Fotogeschäft Oscar Hirr- ren. Mit Freunden, unter anderem auch Hermann 7
Umgelter, tauschte er sich über seine Reisen und UdSSR 1941 Bilder aus. Fotos aus Paris, Marseille, Neapel und Fotografien, die Palermo eröffneten vielen Botnangern den Horizont Robert Bothner wäh- über die eigene Heimat hinaus. Und wenn dann rend des Russland- Hermann Umgelter Motive aus derselben Region feldzugs der deut- zeigte, fand das Fachsimpeln gar kein Ende mehr. schen Wehrmacht Fotograf und Maler zollten sich gegenseitig Respekt aufnahm: für die richtig eingefangene Charakterisierung und Ein 93-jähriger Greis die fein nachempfundene Stimmung (siehe auch bittet um Lebens- “Botnanger Heimat” Nr. 12, 1990: “100 Jahre Her- mittel (rechts). mann Umgelter”). Drei Frauen am Fluß Düna bei Witebsk in In den 20er Jahren entstand auch eine Bildreihe mit Weißrussland (Mitte). Botnanger Motiven. Hier hat er unwiederbringliche Eine Junkers JU 52- Stimmungen festgehalten. Sie spiegeln etwas von 3m “Erna” vor dem dem wieder, was den Charme und die Einzigartig- Flug von Smolensk keit unseres Stadtbezirkes ausmacht. In dieser Zeit nach Warschau hat er sich auch der Ortsgruppe Botnang des Tou- (unten) ristenverein Naturfreunde ange- schlossen. Dort lernte er seine Frau Helene, geborene Leibbrand, kennen. 1929 heirateten die bei- den und wohnten zunächst in der Stuttgarter Str. 56 (heute Beet- hovenstraße), ab 1931 wird die Himmerreichstraße 32 als Adresse genannt (beide Angaben aus “Aufstieg - Mitteilungsblatt des Gaus Württemberg”, Ausgabe April 1929 und “Arbeiter-Wande- rer - Organ der oppositionellen Naturfreunde Württemberg”, Novemberausgabe 1931). Die kleine Fotoabteilung der würt- tembergischen Bildstelle legte 8
Zerstörtes Stuttgart 1946 durch ihren jungen Mitarbeiter Robert Wie viele deutsche Großstädte war Stuttgart Ziel von Luftan- Bothner bereits Ende der 20iger Jahre griffen. Die Bilder zeigen von oben nach unten den Schloßplatz den Grundstock für das Landesbild- mit der Linie 18 nach Botnang, die Reste der Stiftskirche und archiv. Es standen dafür nur sehr spär- des Fruchtkastens (im Hintergrund der Rathausturm) sowie den liche Mittel aus der öffentlichen Hand Nordflügel des Neuen Schlosses und das Kunstgebäude. zur Verfügung. Die Fotoabteilung muss- te durch Lohnarbeit das für diese Auf- gabe notwendige Geld selbst erwirt- schaften. Doch die Arbeit wurde stän- dig ausgebaut. Und allmählich entwik- kelte sich an den Schulen das Interesse an Lichtbildreihen. In der Zeit der Welt- wirtschaftskrise Ende der 20er und An- fang der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es auch in der würt- tembergischen Bildstelle Kurzarbeit und wirtschaftliche Not. Auseinandersetzungen zwischen brau- nen und roten Seilschaften und viele Demonstrationen bestimmten das Zeit- geschehen. Dann kam es zur Naziherr- schaft. Die neuen “braunen” Macht- haber bestimmten nun das Geschehen in der Bildstelle. Am 1. Mai 1933 mar- schierten alle Mitarbeiter unter der Anführung des neuen Chefs geschlos- sen zur Kundgebung auf den Stuttgar- ter Marktplatz. Obwohl es bald in Deutschland wieder wirtschaftlich auf- wärts ging, merkte Robert Bothner in seinen persönlichen Erinnerungen an: “die Arbeitsbeschaffung, die vor allem der Rüstung diente, wirkte sich aus. Mir wurde schon damals klar, dass der Krieg systematisch vorbereitet wurde” (Robert Bothner, autobiographischer Text mit dem Titel: 37 Jahre im Dienst der Landesbildstelle). Die Arbeit der Bildstelle wurde plötzlich systemrelevant. Die nationalsozialisti- sche Führungselite erkannte die Bild- stelle als wesentliche Erziehungs- und Beeinflussungsmöglichkeit der Jugend. Bilder, die die Liebe zur Natur und volksgenössische deutsche Kunst zeigten, Bilder die wirtschaftliche und neue deutsche gesellschaftliche Ent- wicklungen dokumentierten und die Vergangenheit und Gegen- wart gegenüber stellten, wurden ein wesentlicher Bestandteil der pädagogischen Arbeit der 30er Jahre. Das neu geschaffene Reichsmini- sterium für Erziehung und Unter- richt ordnete im ganzen Deut- schen Reich die Gründung von staatlichen Bildstellen an. Die Württembergische Bildstelle GmbH diente überall als Vorbild 9
und ihre Mitarbeiter mussten im ganzen Deutschen Zerstörtes Heilbronn 1946 Reich Aufbauhilfe leisten. Bei Luftangriffen wurde rund 60% des Heilbronner In diese Zeit fiel der Erwerb des neuen Dienststel- Stadtgebietes zerstört. Robert Bothner dokumentierte lengebäudes in der Rotenbergstraße 111. Das Ge- die Schäden 1946. Blick durch einen Torbogen und der bäude gehörte der Anthroposophischen Gesell- Fleinertor-Brunnen mit Kilianskirche. In Vordergund schaft. Die Anthroposophie und die Naziideologie Schienen der Trümmerbahn, wie sie in vielen Städten waren unvereinbar. Deshalb wurden die Anthropo- zum Einsatz kam. Unten eine Schülerspeisung 1947. sophische Gesellschaft und später auch die Waldorfschulen verboten. Das Gebäu- de wurde beschlagnahmt und der Bild- stelle überlassen. Das eröffnete der Foto- abteilung viel Platz und neue Möglich- keiten. Es wurde sogar eine neue Lehr- dunkelkammer eingerichtet. So konnte die Bildstelle eigene Fotokurse durchfüh- ren. Vor allem Lehrer und Mitarbeiter der Volksbildungsstätte (so wurden im 3. Reich die Volkshochschulen genannt) nutzten das neue Angebot intensiv. Am 25. Juli 1939 heiratete Robert Both- ner zum zweiten Mal, Pauline Münderle aus Stuttgart-Hedelfingen und zog nach Stuttgart-Wangen. Sohn Werner wurde in Stuttgart-Bad Cannstatt, Sohn Alb- recht in Stuttgart-Hedelfingen geboren. Die Weichen der Deutschen Politik wur- den längst auf Krieg gestellt. Robert Bothner, der nie Mitglied in der NSDAP war und dem 3. Reich stets fremd gegen- überstand, wusste schon genau, auf was das alles hinauslaufen würde. Die Mehr- heit der Deutschen jubelte bedingungslos Adolf Hitler zu, der sehr bald zum Toten- gräber des Deutschen Reiches und der Deutschen Kultur werden sollte. Robert Bothner wurde Ende August 1939 zur Wehrmacht einberufen, zur Luftwaf- fe. Dort war er als Fotograph als Kriegs- berichterstatter tätig. Nur wenige Tage nach der Einberufung begann am 1. Sep- tember 1939 mit dem Überfall auf Polen der 2. Weltkrieg. Durch seine Aufgaben und dank seines fotographischen Kön- nens kam er zu den wichtigsten Kriegs- schauplätzen. Er fotografierte bei wichti- gen Ereignissen, Konferenzen und Trup- penaufmärschen. Seine Bilder zeigen die Menschen in ihrer Not und ihrer Stärke, Städte und Land- schaften vor und nach den Angriffen, Zustände und Ereignisse teilweise drama- tischer Art, aber immer in einfühlsamer Form, nie reißerisch oder gar propagandi- stisch. “Am Ende des zuletzt totalen Krieges stand der totale Zusammenbruch und auch der totale Trümmerhaufen der neu- en Landesbildstelle. Der Weg ins Groß- deutsche Reich endete in Trümmern ohnegleichen, in Blut, Hunger und Trä- 10
Kunst und Architektur nen, in der Zerstörung des Reiches und Professor Alfred Lörcher bei der Arbeit und seine Skulptur der Teilung Deutschlands. Mit der “Die Trinkende” (aufgenommen 1953 und 1949). Heimkehr aus dem Krieg kamen furcht- Mitte rechts: Das Treppenhaus der Stuttgarter Musikhochschule bare Jahre der Entbehrung, der Kälte (1957). Die Rohrbach-, heute Friedensbrücke, bei Leonberg wurde im zerstörten Dienstgebäude, die Er- 1938 als Teil der Reichsautobahn gebaut. Robert Bothners Foto innerung an das Backsteinschleppen, stammt aus dem gleichen Jahr. die Unterernährung“ (autobiographi- scher Text). Robert Bothner kam als Unbelasteter aus dem Krieg und blieb der Landes- bildstelle treu, trotz manch verlocken- der Angebote aus der Privatwirtschaft. In dieser Zeit hat er eine einzigartige Sammlung von mehr als 50.000 Auf- nahmen aus Natur und Kunst, Wirt- schaft und Gesellschaft, aus Vergan- genheit und Gegenwart geschaffen. Viele seiner Bilder wurden in wissen- schaftlichen, literarischen und künstle- rischen Werken, in Lehr- und Heimat- büchern, Kunstführern und in Wand- kalendern veröffentlicht. Besonders hervorzuheben sind seine systemati- schen Aufnahmen farbiger Kirchenfens- ter, sakraler und profaner Baudenkmä- ler, sowie die hervorragende Dokumen- tation mittelalterlicher Kunst. Zudem hat Robert Bothner seine tech- nischen und künstlerischen Fähigkeiten der Lehrerschaft und interessierten Menschen aller Herkunft in begeister- ten Vorträgen und Kursen zur Verfü- gung gestellt. Auf seine stille und be- scheidene Art konnte er vielen Men- schen zum Sehen und echten Schauen verhelfen. In dem Bildband “Maultaschen und Motoren” (Herausgegeben von Claus Peter Hutter, 2014 im Emonsverlag) sind postum zahlreiche Beispiele seiner fotografischen Arbeit veröffentlicht. Hohe Wertschätzung genoss Robert Bothner bei namhaften Vertretern der Wissenschaft, Kunst, Literatur und Politik, mit denen er in der Landeskun- de und Heimatforschung intensiv zu- sammenarbeitete. Darüber hinaus hat er nie den Kontakt zu den “normalen” Menschen in Botnang oder Wangen und natürlich auch zu den vielen Naturfreunden verloren. Am 30. Sep- tember 1963 ging Robert Bothner in den Ruhestand. 1964 wurde ihm vom damaligen Bun- despräsidenten Heinrich Lübke das Bundesverdienstkreuz am Band verlie- hen. Er starb am 20. Juni 1967 im Alter von 68 Jahren. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Stuttgart-Wangen. 11
Robert Bothner - der Naturfreund Robert Bothner trat Anfang der 20iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zusammen mit einigen Freunden der Ortsgruppe Botnang der Naturfreun- de, Gau Schwaben, bei. Die Ortsgruppe Botnang wurde am 25. Mai 1913 aus dem Zusammenschluss der Touristenvereine “Edelweiß” und “Alpenrose” gegründet. Der Grün- dung unmittelbar vorausgegangen war ein Vortrag Robert Bothner (Mitte) und Botnanger des Gauobmanns Steiner vom Gau Schwaben. 50 Naturfreunde um 1920 Mitglieder aus den beiden Wandervereinen schlos- sen sich zu der neuen Ortsgruppe Botnang, des Touristenvereins Naturfreunde (Gau Schwaben) brüder in den raucherfüllten Räumen der Gastwirt- zusammen. Willi Dreher wurde der 1. Obmann, das schaften beim Kartenspiel und Trinkgelage ihre Vereinslokal war das “ Waldhorn” in der Vaihinger Freizeit verbrachten und wusste, dass der Kampf um Landstr. 4. Das Gebäude steht heute noch und ist die neuen Menschlichkeitsideale mit den Sklaven von außen nahezu unverändert. des Bierglases, der Spielkarten und der Kegelbahnen nicht geführt werden kann ... auf unseren Wander- Die Naturfreunde wurden 1895 in Wien gegründet. fahrten wollt ich die Freunde einführen in die Ge- Damals prägten noch die Monarchien das allgemei- heimnisse der vielgestalteten Natur. Sie sollten ne politische Bewusstsein in Europa. Es gab das erfahren, was uns die Bäume und die Blumen, was deutsche Kaiserreich, die österreich-ungarische uns Käfer und Falter, der schroffe Fels und der Donaumonarchie, die englischen und spanischen Bachesrand zu sagen haben.” (Georg Schmiedel, König- und Kaiserreiche. Die reichen industriellen 1920; Welche Gedanken haben mich bei der Grün- und adeligen Schichten vergnügten sich auf Bällen dung unseres Vereins geleitet? Rückblick und Aus- und in den schönsten Ferienregionen Europas und blick. Abgedruckt in “Berg frei - Mensch frei - Welt der Alpentourismus war am Entstehen, während die frei!” Eine Chronik der internationalen Naturfreun- Arbeiterschaft im unvorstellbaren Elend hauste. Die de). Forderung “8 Stunden Arbeit, 8 Stunden frei und Mit seinem Engagement für die Naturfreunde und 8 Mark dabei” galt damals noch als revolutionär. seinen konsequenten reformpädagogische Ansatz Ein 12 bis 16-stündiger Arbeitstag war die Regel. hat Schmiedel in der damaligen Gesellschaft kaum Anerkennung gefunden und in seinem Berufsleben Der Gründer der Naturfreunde, Georg Schmiedel manche Nachteile in Kauf nehmen müssen. Er ist (1855 - 1929) ein Wiener Lehrer, schrieb damals: z. B. sehr viel später als seine Kollegen Oberlehrer “Ich nahm mit Bedauern wahr, dass unsere Arbeits- geworden. Der Bau des Römerstein-Hauses 1926 und 1927 12
Wandern und Schauen Eine Ausstellung in der Halle des Botnanger Liederkranz. Ausgewählte Fotografien und rechts ein Modell des Römersteinhauses. 10 Jahre nach Gründung in Österreich entstanden 1905 Um die Bindungen der Naturfreunde zur Arbeiter- zeitgleich Naturfreundegruppen in bewegung sicherzustellen und sich von anderen Zürich und München. Von München aus Wander- und Touristenvereinen (die häufig einen breitete sich die Idee im ganzen deutschen Reich deutschnationalen Hintergrund hatten), abzugren- aus. In Stuttgart kam die Bewegung 1910 an, in zen, verabschiedeten die deutschen Naturfreunde Botnang 1913. Mit dem Beginn des 1. Weltkrieges 1923 die Leipziger Entschließung, in der sie sich zu (Sommer 1914) endete die Aufbauphase. Das Ende den Zielen der Arbeiterbewegung bekannten. des Krieges (November 1918) brachte gleichzeitig das Ende der Monarchie in Deutschland mit sich. Aus der Leipziger Entschließung: Die Weimarer Republik eröffnete der Naturfreunde- “Der Touristenverein Naturfreunde ist die interna- bewegung viele neue Möglichkeiten. Neue Orts- tionale Wanderorganisation des arbeitenden Volkes. gruppen wurden gegründet. Es entstanden Fach- Sie strebt eine sogenannte sozialistische Kultur an. gruppen, damals noch Sektionen genannt. Im kultu- Es ist daher die Pflicht aller Glieder des Vereines, die rellen Bereich: Foto, Naturschutz, Bildungsarbeit, Tendenz des Vereins in unzweideutiger Weise zu Musik und Volkstanz. Im sportlichen Bereich: Berg- betonen. Bei der Aufnahme neuer Mitglieder ist steigen, Skilauf, Wassersport. Viele andere Sport- darauf zu achten, dass dem Klassenstandpunkt des arten wurden in enger Anlehnung mit den Arbeiter- Vereines Rechnung zu tragen ist. Angehörigen bür- sportvereinen ausgeübt. Um 1920 bildeten sich gerlicher Parteien ist die Aufnahme zu verweigern.” auch die ersten Jugendgruppen, damals noch mit (“Berg frei - Mensch frei - Welt frei”; Seite 123). der Selbstverpflichtung Alkohol und Nikotin zu mei- Dieses Selbstverständnis prägte auch die Botnanger den. Ortsgruppe. Die Vereinstätigkeit blühte nach dem Gleich nach dem Kauf der alten Ziegelhütte begann der Für den Transport von Bauhelfern und -helferinnen Abriss der Scheune und eines weiteren Nebengebäudes. wurde mitunter auch ein LKW ausgeliehen. 13
In kürzester Zeit war der Umbau vollbracht. Robert Bothner und seine Frau Helene im Bild oben links vor der Eröffnung des Hauses im August 1927. 1. Weltkrieg rasch auf. Mehrmals im Monat wurden Wanderungen angeboten. Gemeinschaftsabende dienten der kulturellen und naturkundlichen Bil- dung. (Festschrift: “Die Naturfreunde Stuttgart- Botnang 1913 - 2013”, Seite 6). Eine Jungen- und eine Mädchengruppe wurden gegründet. Das Man- dolinenorchester unter der Leitung von Otto Both- ner - einem Vetter von Robert Bothner - zog viele Musikbegeisterte an. Natürlich gab es eine Foto- gruppe. Sie wurde von Robert Bothner geleitet. Er war auch für die Fotoabteilung des Gaus Schwaben sowie dem “Seltbachhaus” bei Urach (Festschrift, verantwortlich. Seite 10). Die Naturfreunde hielten viele Kontakte zu den an- Schon Weihnachten 1926 konnte noch im Rohbau deren Arbeitervereinen, der Arbeiterwohlfahrt, dem die 1. Sonnenwende im eigenen Haus gefeiert wer- homöoapathischen Verein und dem Konsumverein. den. Die offizielle Einweihung fand im August 1927 So gab es in Botnang ein großes Netzwerk von statt. Ein Sonderzug brachte etwa 600 Teilnehmer Menschen und Organisationen, die der Arbeiterbe- nach Oberlenningen (Festschrift Seite 11). Unter wegung nahestanden. Dazu gehörte auch der Ver- den Klängen einer Schalmaienkapelle aus Metzin- band für Freidenkertum und Feuerbestattung. Die gen wanderte ein langer Zug in Richtung Albhoch- dort gepflegte Jugendweihe war hier für viele fläche. Der Vorsitzende der Naturfreunde Botnang Arbeiterfamilien eine Alternative zu Konfirmation Alfred Renz konnte dann fast 2000 Besucher begrü- oder Firmung. ßen, darunter die Sängerinnen und Sänger des Chores “Freiheit” mit ihrem Vorsitzenden Paul Han- Zu der Naturfreunde-Idee von Arbeitertouristik selmann, zahlreiche Vertreter anderer Naturfreun- gehörte auch das Bestreben, eigene Heimstätten debezirke, die Vorsitzenden der Botnanger SPD Zim- und Wanderstützpunkte für sozial Schwächere zu mermann und des Turnerbundes Ehnis sowie den errichten. Orte, an denen Fragen der Arbeiterbewe- Landtagsabgeordneten der KPD Fischer (Festschrift gung diskutiert, eigene Texte vorgetragen und Seite 11). naturkundliche Bildung erworben werden konnten. Natürlich wurden auch preiswerte Übernachtungs- Was die Mitglieder damals leisteten kann nicht möglichkeiten zur Verfügung gestellt. hoch genug geschätzt werden: Nach einer langen Nach der Inflation 1923 folgte ein wirtschaftlicher und harten Arbeitswoche - samstags wurde seiner- Aufschwung und die Botnanger Gruppe diskutierte zeit bis 12:00 Uhr gearbeitet - eine schwere und den Erwerb eines eigenen Hauses. Bei einer Ver- umständliche Anfahrt sowie Knappheit an Bau- steigerung erwarb man im Frühjahr 1926 eine auf- material und Geld. Robert Bothner war damals mit gelassene Ziegelhütte bei Donnstetten auf der Len- dabei. Und er hat nicht nur hart gearbeitet, sondern ninger Alb. Der Platz hatte für die Naturfreunde auch viel fotografiert: Es gab bei der Gaulichtbild- eine gewisse strategische Bedeutung: Für Wanderer stelle zwei ausleihbare Lichtbildvorträge über: “Die war die Lage bestens geeignet als Zwischenstation Entstehung eines Naturfreundehauses” (25 Bilder) zwischen den beiden Naturfreundehäusern “Bosler und “Umbau der Donnstettener Ziegelhütte zum Haus” bei Gruibingen und der “Rohrauer Hütte” Naturfreundehaus”. 14
Zum 15. Jahr der Vereinsgründung fand 1928 in der nierte Reichsleitung verlangte von den ausgeschlos- Liederkranzhalle eine Ausstellung unter dem Motto senen Ortsgruppen die Herausgabe ihrer Häuser. “Wandern und Schauen” statt. Die meisten Bilder Die Botnanger Gruppe, überwiegend von KPD Mit- hatte Robert Bothner beigesteuert und den Aufbau gliedern geprägt, sah darin einen nicht akzeptablen der Ausstellung geleitet. Sein Freund Hermann Um- Versuch der Enteignung und der politischen Gän- gelter stellte dort mehrere seiner Bilder aus. gelung. Die Mehrheit unter der Leitung von Alfred Renz und Fritz Schwarz schloss sich den “Arbeiter- Beim Hausdienst auf dem Römersteinhaus taucht wanderern” und damit der “Roten Sporteinheit” an. der Name von Robert Bothner und der seiner Frau Zu den Ausgeschlossenen gehörte auch Robert immer mehr und regelmäßig auf. Bis zur Enteig- Bothner. Neugegründet wurde der “Verein der Na- nung des Hauses durch die Nazis war er dem Römer- turfreunde für Ferienheime Botnang” dem das Haus stein treu verbunden. Auch für den Naturfreunde übertragen wurde. Jahreskalender hatte Robert Bothner viele Foto- Robert Bothner war sein Leben lang ein sozial grafien beigesteuert. 1930 mahnte allerdings die engagierter und politisch wacher Mensch. Warum Reichsleitung an: In seinen Bildunterschriften er sich damals doch den stärker kommunistisch “käme eine zu geringe klassenkämpferische Haltung geprägten “Arbeiterwanderern” und opositionellen zum Ausdruck”. Ästhetische Aspekte waren dem Naturfreunden anschloss, lässt sich nur vermuten. Bildbericht über eine Queralpenfahrt im Juli und September 1950 von Robert Bothner Oben eine Foto- Fotomeister zur Freude der Nachwelt aber schon reportage aus damals wichtiger als die platte Propaganda. 1950, rechts eine der vielen Titel- Natürlich ging auch an den Naturfreunden die seiten der Ver- Spaltung zwischen den politischen Parteien nicht einszeitschrift für spurlos vorüber. Naturfreunde gab es in der SPD, die Robert nach deren Spaltung auch in der linkssozialisti- Bothner ein Foto schen USPD und in der KPD. Dieser Konflikt und die zur Verfügung stellte. zunehmende Orientierung der Botnanger KPD an der Politik der von Stalin beherrschten KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) bestimm- ten das Verhältnis der politischen und kulturellen Organisationen der Linken in Botnang. Bei der 3. Reichsversammlung der Naturfreunde 1930 in Dresden wurde ein Unvereinbarkeitsbe- schluss mit der Mitgliedschaft in der KPD und der Rotsport gefasst. Aufgrund dieses Beschlusses ver- loren die deutschen Naturfreunde auf einen Schlag ca. 200 Ortsgruppen. Die sozialdemokratisch domi- 15
Ein Grund war dafür sicher das Römersteinhaus. In den Ausgaben des monatlichen Vereinsblatts Hier schlug sein Herzblut und für dieses Haus woll- “Aufstieg” jener Zeit finden sich zahlreiche Auf- te er auch weiterhin Verantwortung übernehmen. nahmen von Robert Bothner. Überliefert sind auch Sicher fühlte er sich seinen alten Freunden unab- grundsätzliche Abhandlungen zur Fotoarbeit: hängig aller politischen Prägungen verbunden. 1957 - Rechtsfragen der Fotografie Die Vereinsarbeit wurde politscher und das hieß da- 1958 - Farben in der modernen Fotografie mals auch zugleich militanter. “Zum Schutz vor Übergriffen der SA”, so die Begründung, entstand Zum 50. Jahrestag der Gründung der Stuttgarter eine Schützenabteilung (Festschrift Seite 7). Naturfreunde fand 1960 eine große Ausstellung in Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten im den Hallen des Messegeländes auf dem Killesberg Frühjahr 1933 wurden die Naturfreunde insgesamt statt. Die meisten der gezeigten Fotoarbeiten verboten, Funktionäre verhaftet, das Vermögen be- stammten von Robert Bothner. Im April 1976 erin- schlagnahmt. So auch das Haus auf der Alb. nerte die Ortsgruppe an ihn mit einer Ausstellung “Der Verein der Naturfreunde für Ferienheime ist auf ausgewählter Werke im Bürgerhaus Botnang. Anordnung der Oberamtes Urach aufgelöst, sein Ver- mögen zugunsten des Landes Württemberg eingezo- Robert Bothner war sein ganzes Leben der Natur- gen” (Festschrift, Seite 12). Das Haus wurde der freundebewegung verbunden und sie verdanken ihm Stadt Tübingen für nationalsozialistische Verbände, viel, nicht zuletzt die fotografische - aber wenig insbesondere der Hitlerjugend und dann der aufgearbeite - Dokumentation ihrer Geschichte. Keppler-Oberschule zur Verfügung gestellt. Manche Mitglieder der Naturfreunde wanderten in Robert Bothner die KZs und Strafbatalione der NS - nicht alle über- 1899 -1967 lebten. Andere hielten Kontakt zueinander und tra- fen sich zum Wandern und Skilaufen, andere zogen 13.08.1899 geboren im sich in die innere Emigration zurück oder flohen ins damals noch selbst- Ausland. Da es - aus verständlichen Gründen - über ständigen Botnang diese Zeit kaum Unterlagen gibt, wissen wir über 1905-1912 Volksschule die Aktivität Robert Bothners aus dieser Zeit nichts. Botnang Mit seinem Umzug nach Stuttgart-Wangen beende- 1912 Fotografenlehre te er offiziell seine Mitgliedschaft bei den Botnan- bei der Firma Oskar ger Naturfreunden und schloss sich der dortigen Hirrlinger (Lange Straße, Ortsgruppe an. Seine Söhne berichteten, dass sie Stuttgart) nach 1945 und der Rückerstattung des Hauses 1917-1918 Teilnahme mehrmals mit ihrem Vater noch auf dem Römer- am 1. Weltkrieg stein waren. Jetzt aber als Gäste! 1920 Mitglied der Naturfreunde 1926 -1963 Württembergische Bildstelle GmbH Er wurde 1948 Landesfotoleiter in Württemberg. 1926 -1927 Bau und Einweihung des Naturfreunde- Nach dem Mannheimer Bundeskongress rückte er hauses Römerstein 1955 an der Seite des neuen Vorsitzenden Fritz 1939 -1945 Teilnahme am 2. Weltkrieg Rück in die Bundesleitung des Verbands auf und 1939 Umzug nach Stuttgart-Wangen wurde 1956 Bundesfotoleiter. Zusammen mit dem 1960 Ausstellung der Naturfreunde in den Messehallen Offenbacher Willi Buckpesch und unter dem Motto auf dem Stuttgarter Killesberg mit zahlreichen “Mehr Profil!” sorgten die Württemberger Emil Fotografien von Robert Bothner Birkert, Lilo Weindl, Fritz Helmstädter und Ludwig 1964 Bundesverdienstkreuz am Bande Becker dann auch für den Umzug der Bundesge- 20.06.1967 verstorben in Stuttgart-Wangen schäftsstelle von Nürnberg nach Stuttgart. Impressum Textquellen: “37 Jahre im Dienst der Landesbild- - Botnanger Heimat Nr. 3/1982, 7/1985, stelle”, Archiv Landesmedienzentrale Arbeitskreis Botnanger Heimatgeschichte: 12/1990, 14/1992, 19/1997, 28/2012 Baden Württemberg Fritz Egelhof, Waldemar Grytz, Gisela Häbich, - A. Gestrich u.a. “Aufwiegler, Rebellen, Bildquellen: Peter Hart, Doris Jetter, Günther Köck, Jochen saubere Buben”, Veröffentlichung des - Landesmedienzentrale Baden-Wütttemberg Kretschmaier, Susanne Krüger-Eisenblätter, Archivs der Stadt Stuttgart Bd. 83, - Archiv der Naturfreunde Württemberg Mina Smakaj, Juergen R. Spingler Herausgeber Paul Sauer, 1994 - Familie Werner Bothner, Mainz - Beschreibung des Gemeindebezirks Grafische Gestaltung und Satz: Bothnang von Schultheiß Baumgärtner, Der Arbeitskreis bedankt sich beim Bürger- Waldemar Grytz Stuttgart Lithos Verlag 1984 (Nachdruck) verein Botnang, dem Bezirksbeirat Botnang Herausgegeben vom Arbeitskreis Botnanger - ”Berg frei - Mensch frei -Welt frei” und der Familie Werner Bothner, Mainz Heimatgeschichte Chronik der internationalen Naturfreunde, Druck: (Kontaktanschrift: Bezirksamt Botnang, B. K. Lampasiak, L. Gruber, M. Pils, Innovation Aschenbroich, Stuttgart Klinglerstr. 7, 70195 Stuttgart) mit finanziel- ISBN 3-9502060-0-0 ler Unterstützung durch den Bürgerverein - Festschrift “Die Naturfreunde Stuttgart- Alle bislang erschienenen Heimatblätter kön- Botnang und den Bezirksbeirat Botnang Botnang 1913-2013”, Hrsg. W. Grytz nen beim Bezirksamt zum Preis von 15,00 - Robert Bothner autobiografischer Text: Euro erworben werden. 16
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