Rote Listen Sachsen-Anhalt
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Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes 13 Lurche (Amphibia) und für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 14 Kriechtiere (Reptilia) Halle, Heft 1/2020: 345–355 Bearbeitet von Wolf-Rüdiger Grosse, Frank Meyer 13 Lurch- und sechs Kriechtierarten in die Rote Liste und Marcel Seyring aufgenommen. Die wesentliche Datengrundlage der (4. Fassung, Stand: März 2019) zweiten Roten Liste der Lurche und Kriechtiere Sach- sen-Anhalts (Meyer & Buschendorf 2004) bildeten die Einleitung Daten eines ehrenamtlichen Projektes im Zeitraum von 1995 bis 2001 durch den Landesfachausschuss Traditionell werden Lurche und Kriechtiere auch heute Feldherpetologie des Naturschutzbundes Deutsch- noch zu einer Gruppe zusammengefasst, obwohl es lands zur landesweiten und flächendeckenden Kartie- taxonomisch dafür keine Begründung gibt. Trotzdem rung der Herpetofauna Sachsen-Anhalts, veröffent- behält auch die moderne Herpetologie als Wissen- licht in Meyer et al. (2004). Die zweite Rote Liste führte schaftsgebiet diese Gliederung bei. Lurche (Amphibia) 14 Lurch- und fünf Kriechtierarten auf. besitzen sehr komplexe Habitatansprüche. Die meis- ten von ihnen suchen für unterschiedlich lange Zeit Datengrundlagen Gewässer auf, um sich zu reproduzieren und die Larval- entwicklung zu vollziehen. Nach einer Metamorphose Der nunmehr vorgelegten dritten Rote Liste der Lur- schließt sich der Landaufenthalt an. Die Tiere wandern che und Kriechtiere Sachsen-Anhalts liegt der Daten- in den Sommerlebensraum und später im Jahr bezie- fundus der zweiten Herpetofauna Sachsen-Anhalts hen sie das Winterquartier. Zwischen den einzelnen zugrunde (Grosse et al. 2015). Für diese existierte Teillebensräumen finden oft ausgeprägte saisonale eine umfassende Datenbank, die sämtliche histori- Wanderungen mit standort- und artabhängig variab- schen und aktuellen (bis zum Jahr 2014) Funddaten len Distanzen statt. Das komplizierte Gefüge von Habi- von Lurchen und Kriechtieren unseres Bundeslandes tatkomplexen und Verhaltensweisen macht die Lurche vereint. Die Datenbank umfasst insgesamt 75.977 sehr anfällig für vielfältige Beeinträchtigungen wie die für Rasterfrequenzen auswertbare Datensätze (Ein- derzeitigen drastischen Lebensraumveränderungen zelbeobachtungen), wobei 65.792 Datensätze auf oder den Klimawandel. Damit sind sie aber auch ein die Meldung von Amphibien und 10.185 Datensätze Gradmesser des Zustandes unserer Umwelt, wie sie auf Reptilienfundpunkte entfallen. Für die Einschät- der Mensch verändert hat. Die Verbreitungsmuster der zungen der Gefährdungssituationen und der daraus Kriechtiere (Reptilia) orientieren sich weitgehend an resultierenden Einstufung in die dritte Rote Liste den thermoökologischen Gegebenheiten der Land- des Landes wurden die aktuellen Verbreitungsdaten schaft. Eine ausreichend lange Aktivitätsperiode mit aus dem Erfassungszeitraum von 2001 bis 2014 der Möglichkeit des erfolgreichen Abschlusses des herangezogen. Zudem erfolgte eine Beurteilung der Fortpflanzungszyklus muss zum dauerhaften Überle- Bestandsveränderungen anhand eines Vergleiches ben gewährleistet sein. Gerade bei eierlegenden Arten der Erfassungsdaten beider Landesherpetofaunen ist der Erfolg der Fortpflanzung wesentlich von den (Zeiträume: 1990er Jahre bis 2000 und 2001 bis Temperatur- und Feuchteverhältnissen des Eiablage- 2014). Dieser war besonders interessant und natur- platzes abhängig. Zu tiefe Temperaturen verzögern den schutzfachlich relevant, da in beiden Zeiträumen Schlupf und verringern die Chancen der Jungtiere, vor eine nahezu flächendeckende Erfassung feldherpe- der Winterperiode Reserven anzulegen. Die Lebens- tologischer Daten in unserem Bundesland stattfand raumansprüche der Kriechtiere werden in der Kultur- und somit eine gute Vergleichsbasis vorlag. Ein- landschaft in immer geringerem Maße erfüllt, so dass schränkend ist anzumerken, dass die Erfassungen die negativen Folgen von Zerschneidungs- und Isola- zur aktuellen Herpetofauna stark auf die FFH-Arten tionseffekten nicht ausbleiben. fokussiert waren und somit ausgewählte „Nicht- In Deutschland kommen 20 Arten von Lurchen FFH-Arten“, wie z.B. die Waldeidechse oder der vor, von denen 18 in Sachsen-Anhalt anzutreffen sind Feuersalamander, in den Daten des Erfassungszeit- (Günther 1996, Glandt 2014). Von den 14 bundesweit raums 2001 bis 2014 unterrepräsentiert sind. nachgewiesenen Kriechtierarten sind sechs in Sach- sen-Anhalt heimisch. Die erste Rote Liste der Lurche Bemerkungen zu ausgewählten Arten und Kriechtiere Sachsen-Anhalts (Buschendorf & Uthleb 1992) basierte auf den Beobachtungsdaten von 1978 Für die in der vorliegenden Roten Liste aufgeführten bis 1989 aus den Bezirken Halle und Magdeburg der Arten wird im Folgenden näher auf die aktuelle Situ- ehemaligen DDR. Diese wurden im Rahmen der Be- ation in Sachsen-Anhalt sowie die jeweiligen Gefähr- zirksarbeitsgruppen für Feldherpetologie im Kultur- dungsfaktoren und die sich im Vergleich zur zweiten bund der DDR erhoben („Schiemenzdatei“, veröffent- Fassung der Roten Liste (Meyer & Buschendorf 2004) licht in Schiemenz & Günther 1994). Damals wurden ergebenden Änderungen eingegangen. 345
Lurche und Kriechtiere Streichungen aus der Roten Liste ten und Mooren) sowie die verstärkte Prädation durch Schwarzwild und den Waschbären. Durch die sehr Seit Beginn der systematischen Erhebung von her- geringen Individuendichten in den verbliebenen Vor- petologischen Daten wurden immer wieder Funde kommen sind das Fortbestehen der einzelnen Popula- der Europäischen Sumpfschildkröte gemeldet (z. B. tionen und der Austausch zwischen den Vorkommen Buschendorf 1984, Gassmann 1984). Bisher wurde die sehr stark gefährdet. Auf Grund dieser alarmierenden Art als ausgestorben (Kategorie 0) in der Roten Liste Situation wird die Kreuzotter in die Kategorie 1 („vom unseres Bundeslandes geführt (Meyer & Buschendorf Aussterben bedroht“) hochgestuft. 2004). Da es sich bei einem Teil der bisher beobachte- ten Tiere nachweislich um südosteuropäische Exem- Einstufung in die Gefährdungskategorie 2 plare handelte, ist bis dato fraglich, ob die Art jemals in unserem Land autochthon vorkam. Selbst durch Die Kategorie 2 („stark gefährdet“) hat in der vorlie- intensive Recherchen konnte nach wie vor kein Beleg genden neuen Roten Liste den größten Zuwachs er- für ein früheres indigenes Vorkommen der Art erbracht halten, was ein klarer Hinweis auf die sich verschlech- werden, weshalb ein solches nach Einschätzung der ternde Bestandssituation der Lurche und Kriechtiere Autoren nahezu auszuschließen ist. Die Europäische im Land ist. Sumpfschildkröte wird daher in der vorliegenden Roten Liste nicht mehr aufgeführt. Alle Hinweise auf Vorkom- Unter den als „stark gefährdet“ eingestuften Arten men von Sumpfschildkröten sollten dennoch intensiv stellt sich die Situation bei der Kreuzkröte inzwischen verfolgt und festgestellte Tiere nach Möglichkeit mole- als besonders dramatisch dar. Zwar ist sie bei Aus- kulargenetisch getestet werden. wertung der Rasterfrequenz 2001–2014 grundsätzlich noch weiter verbreitet, innerhalb der Populationen Einstufung in die Gefährdungskategorie 1 gab es seit der Veröffentlichung der letzten Roten Liste allerdings gravierende Bestandseinbrüche und zahlrei- Die Kreuzotter ist in Sachsen-Anhalt schon seit che lokale Aussterbeereignisse. Die Kreuzkröte findet langem nicht nur die seltenste, sondern auch die am in Sachsen-Anhalt nahezu keine geeigneten Primär- stärksten gefährdete Reptilienart. Sie ist aktuell nur habitate mehr vor und besiedelt fast ausschließlich noch in 12 Messtischblättern (TK25) nachgewiesen Sekundärstandorte. Dabei sind vor allem die noch aktiv (Westermann 2015a). Trotz intensiver Nachsuche in genutzten und kürzlich stillgelegten Abbaustandorte Regionen bekannter Altvorkommen konnte die Kreuz- (Ton-, Sand-, Kiesgruben, Braunkohletagebaue etc.) otter seit dem Jahr 2001 mit nur noch 32 Nachwei- und militärische Übungsplätze sowie flache, tempo- sen für das gesamte Bundesland bestätigt werden. räre Kleingewässer in agrarisch genutzten Gebieten Immerhin wurden im Kartierzeitraum 1990 –2000 (Acker- und Grünlandsenken) von besonderer Rele- noch 70 Fundmeldungen erfasst, wonach die Art vanz für den Erhalt der Art. Gute Quellpopulationen bereits in der zweiten Fassung der Roten Liste als befinden sich fast nur noch im Bereich von aktiven seltenste Schlangenart Sachsen-Anhalts galt (Meyer & Abbaustandorten. Durch die weitere Intensivierung Buschendorf 2004). Die Gründe für den alarmierenden des Abbaus sowie die Nutzungsaufgabe der Standorte Rückgang der Vorkommen, welcher klar mit einem mit anschließender Flutung (v.a. Kohletagebaue), Ver- bundesweiten Trend korrespondiert, sowie die nur füllung, Aufforstung oder Nutzung als Deponie gehen noch sehr geringen Individuendichten im jüngsten auch aktuell noch zahlreiche dieser für den Erhalt der Erfassungszeitraum seit 2001 sind bisher unbekannt. Art wichtigen Habitate verloren. Der häufig zu beob- Diskutiert werden u. a. Faktoren wie der Klimawandel achtende Besatz von Restgewässern mit Fischen be- (v. a. bezogen auf die Austrocknung von Feuchtgebie- schleunigt die Aussterbeprozesse an solchen Standor- Abb. 1: Habitatverluste durch großflächige Freiflächenphotovoltaikanlagen auf zuvor nutzungsaufgelassenen Konversionsstandorten - hier ehemaliger Militärflugplatz Allstedt (FFH-Gebiet „Borntal, Feuchtgebiet und Heide bei Allstedt“; FFH0135LSA) (Foto: F. Meyer). Abb. 2a, b: Großflächige Aufforstungen sowie Restlochflutungen – wie hier in der Goitzsche bei Bitterfeld – führen in der Bergbaufolgelandschaft zu dramatischen Habitatverlusten, v. a. für die Besiedler von Pioniergewässern wie die Kreuzkröte (Foto: F. Meyer). Abb. 3: Der landesweit an- haltende Rückgang der Hüteschäferei erschwert immer stärker die schutzverträgliche Pflege wertvoller Trockenlebensräume, wovon ins- besondere Zauneidechse und Glattnatter betroffen sind – hier Dissaugraben bei Karsdorf (Foto: F. Meyer). Abb. 4: Die Sukzession ehemaliger Freiflächen stellt einen der Hauptgefährdungsfaktoren für die Kreuzotter dar – hier ehemals individuenreiche, heute vollkommen verwaiste Habitatfläche im nordwestlichen Zeitzer Forst (Foto: F. Meyer). Abb. 5: Die Zerschneidung von Amphibienlebensräumen durch Verkehrswege und der damit einhergehende Tod durch Überfahren ist nach wie vor in allen Landesteilen ein wichtiger Gefährdungsfaktor; Wechselkröte im Gewerbegebiet Queis (Foto: M. Seyring). Abb. 6: Der zunehmende Fischbesatz in Amphibienlaichgewässern stellt für zahlreiche Arten und deren Populationen eine hohe Gefährdung dar; hier: Goldfischbesatz in der Sandgrube Eckberg bei Warnstedt, einem bedeutenden Habitat für Kreuz-, Wechsel- und Geburtshelferkröte sowie den Kammmolch (Foto: A. Westermann). Abb. 7: Ein inzwischen typisches Bild an den Laichgewässern im Frühjahr: Prädation eines Grasfrosches (Foto: W.-R. Große). Abb. 8: Lebensraumverlust durch großflächige Gewerbe- ansiedlungen, hier Gewerbegebiet Halle-Neustadt mit früheren Vorkommen von Kammmolch, Teichmolch, Knoblauchkröte, Wechselkröte und Erdkröte (Foto: F. Meyer). 346
Lurche und Kriechtiere 2 14 1 4 13 3 7 15 5 G 6 17 12 V 8 G 16 11 19 9 V G 20 10 18 Abb. 9: Visualisierung der Gefährdungssituation von Lurchen und Kriechtieren der Fauna Sachsen-Anhalts und ihre Zuordnung zu den Gefährdungskategorien. – 1: Kreuzotter – 2: Kreuzkröte – 3: Rotbauchunke. – 4: Glattnatter. – 5: Geburtshelferkröte. – 6: Wechselkröte. – 7: Moorfrosch. – 8: Kammmolch. – 9: Feuersalamander. – 10: Springfrosch. – 11: Waldeidechse. – 12: Ringelnatter. – 13: Knoblauchkrö- te. – 14: Laubfrosch. – 15: Zauneidechse. – 16: Fadenmolch. – 17: Bergmolch. – 18: Grasfrosch. – 19: Erdkröte. – 20: Kleiner Wasserfrosch. (Layout: A. Stark). ten. Auch im Bereich der agrarisch genutzten Gebiete auch im Bereich der für den Arterhalt essenziellen werden in Folge eines größer werdenden Nutzungs- Abbaustätten dramatisch verschlechtern. Die Koopera- drucks zunehmend die letzten Laichhabitate in Form tion mit den jeweiligen Betreibern sowie artspezifisch von Acker- und Grünlandsenken entwässert oder ver- angepasste Nachnutzungsformen sollten daher in den füllt. Die Situation der Kreuzkröte stellt sich aktuell als Fokus der kurz- bis mittelfristigen Naturschutzarbeit derart dramatisch dar, dass sie in der nächsten Roten gerückt werden. Liste wohl als „vom Aussterben bedroht“ einzustufen Das Vorkommen der Geburtshelferkröte erreicht sein wird, wenn es nicht kurzfristig zur wirksamen Um- in Sachsen-Anhalt seine nordöstliche Arealgrenze. setzung von landesweiten Schutzkonzepten für diese Daraus ergibt sich eine große Verantwortung für den Art kommt. Dabei wird sich die Situation insbesondere Erhalt dieser Art im europäischen Maßstab. Sach- 348
Lurche und Kriechtiere sen-Anhalts Vorkommen beschränken sich seit jeher Erfassungen von FFH-Arten in den Jahren 2009 bis ausschließlich auf den Harz und seine Vorländer. 2013 sowie der zunehmenden Berücksichtigung im Alarmierend sind hier die im letzten Jahrzehnt auch Rahmen von Eingriffsvorhaben in den letzten Jahren in geeigneten Biotopen zu beobachtenden Bestands- verbessert, wobei aber auch ein Erlöschen vieler Vor- rückgänge in fast allen Populationen, die fehlende kommen festgestellt werden konnte. Nachgewiesen Bestätigung zahlreicher früherer Vorkommen und der wurden in fast allen Fällen nur Einzeltiere oder kleine fehlende Lückenschluss zu thüringischen und nie- Populationen, die aufgrund ihrer geringen Größe dersächsischen Vorkommen im Bereich der Landes- schon bedroht sind. Einen Schwerpunktlebensraum grenze. Besorgniserregend sind dabei vor allem die bilden Trockenrasen und Heideflächen, deren Unter- beobachteten Aussterbeprozesse am Arealrand im nutzung und teilweise auch Sukzession empfindliche nördlichen Harzvorland (Raum Quedlinburg), im Ost- Habitatverschlechterungen und -verluste bedingen. harz sowie im Südharz. Oftmals besiedelt die Art aber auch Sekundärhabita- Auch bei der Rotbauchunke verläuft ein Teil der te wie Bahnnebenflächen und andere brach liegende westlichen Arealgrenze durch Sachsen-Anhalt. Im Flächen, die in den letzten Jahren – u. a. durch den Rahmen der Erarbeitung des Artenhilfsprogramms großflächigen Ausbau von Freiflächenphotovoltaikan- Rotbauchunke (Sy & Meyer 2004) und der landeswei- lagen – einem hohen Nutzungsdruck unterliegen und ten Grunddatenerfassungen im Zeitraum 2009 bis zunehmend verschwinden. Auch die Nutzung oftmals 2013 waren eine fortschreitende Verringerung der besiedelter Saumbiotope an Waldrändern durch die Nachweis-Anzahl außerhalb des Elbtals, ein Zurück- Landwirtschaft hat zugenommen. Die bisherige Rote weichen des Arealrandes sowie eine starke Abnahme Liste Sachsen-Anhalts führte die Glattnatter in der der Populationsdichten erkennbar (Meyer & Buschendorf Kategorie G (Meyer & Buschendorf 2004). Aufgrund der 2004). Daher muss die Einschätzung der Rotbauchunke aktuellen Entwicklung in den Verbreitungsschwer- als „stark gefährdete“ Art in Kategorie 2 beibehalten punkten der Art wird sie in Kategorie 2 eingestuft. werden. Wie bei der Kreuzkröte waren auch für die Wech- Einstufung in die Gefährdungskategorie 3 selkröte in den vergangenen zwei Jahrzehnten starke Bestandsrückgänge zu verzeichnen. Eine Hochstufung Der Feuersalamander ist in seinem Schwerpunkt- ihres Gefährdungsstatus ist daher dringend gebo- gebiet in Sachsen-Anhalt, dem Harz, weit verbreitet. ten. Im Rahmen der aktuellen Erfassungen (Grosse & Auch wenn es für die hiesigen Nachweise keine Seyring 2015) wurde etwa die Hälfte aller bekannten genauen Erhebungen zu den Bestandstrends gibt, Fundpunkte (Meyer et al. 2004) trotz gezielter Nach- sind die Zahlen beobachteter Individuen dennoch suchen nicht bestätigt. Beobachtet wurden durchweg rückläufig. Bei den Tieflandvorkommen im Nordwes- kleine bis mittelgroße Populationen, die einem hohen ten und den Vorkommen im Süden Sachsen-Anhalts Aussterberisiko unterliegen. Zudem liegt ein Großteil zeichnet sich zudem ein erschreckender Rückgang so- der Vorkommen in intensiv genutzten Habitaten wie wohl der Vorkommen als auch der Individuenzahlen Ackerlandschaften, Abbaugebieten und Gewerbean- ab (Westermann 2015b). Auf Grundlage der aktuellen siedlungen, wo vergleichsweise wenige Schutzgebiete Kartierungsergebnisse wird die Art als „gefährdet“ liegen. Aufgrund des aktuellen Negativ-Trends in der (in Kategorie 3) eingestuft. Eine besondere Aufmerk- Entwicklung der Vorkommen in den landesweiten Ver- samkeit muss in der Zukunft einem möglichen Befall breitungsschwerpunkten, wird die Art in die Kategorie mit dem in Nordwesteuropa bereits epidemiologisch 2 überführt. auftretenden Hautpilz der Art Batrachochytrium Dieselbe Einschätzung gilt auch für den Moor- salamandrivorans („Bsal“, auch „Salamanderfresser“) frosch, der ursprünglich in Sachsen-Anhalt zu den ver- geschenkt werden. Diese hoch ansteckende und breiteten Arten zählte. Drastische Rückgänge in den zumeist letal verlaufende Infektion wurde zwar in letzten Jahrzehnten verzeichnen die Mittelgebirgs- Sachsen-Anhalt noch nicht nachgewiesen, ist aber in- vor- und Hügelländer. Sehr große Laichgesellschaften zwischen für einige nordwestdeutsche Bundesländer können nur noch in besonders günstig strukturierten belegt. Gewässern in den Schwerpunktvorkommen der Fluss- Die vermeintlichen Neunachweise des Kamm- auen beobachtet werden. Die Mehrzahl der aktuelle- molchs in der aktuellen Erfassungsperiode (2009 bis ren Nachweise bezieht sich auf kleine Rufergemein- 2013) sind nicht als Positivtrend zu interpretieren, schaften und die Beobachtung von Einzeltieren. Der sondern eher einer effizienteren Erfassungsmetho- Moorfrosch wird aus den o. g. Gründen in die Katego- dik, v.a. mittels Reusenfallen, geschuldet. Es ist davon rie 2 hochgestuft. auszugehen, dass die Art früher oftmals übersehen Die Glattnatter zählt in Sachsen-Anhalt zu den wurde. Direkte Bestandstrends können aufgrund der Arten, deren Vorkommen landesweit als instabil unterschiedlichen Methodik in den Erfassungsperio- zu beschreiben sind. Die Kenntnisse über die Ver- den noch nicht abgeleitet werden. Die entdeckten breitung der Art haben sich seit den landesweiten Vorkommen sind aber oftmals nur klein und weisen 349
Lurche und Kriechtiere daher eine hohe Gefährdung auf. Insbesondere ist da- nen Grünlandsäumen zu einer schleichenden Ver- bei der zunehmende Fischbesatz von zuvor fischfreien schlechterung der Habitatqualität. Demgegenüber Laichgewässern als Beeinträchtigung zu erwähnen. steht zwar eine Vielzahl neuerer Nachweise, welche Die Art wird aktuell als „gefährdet“ (Kategorie 3) ein- besonders im Rahmen von Eingriffsvorhaben im Sied- gestuft. lungsbereich große Populationen umfassen. Oftmals Auch die Habitate des Laubfroschs unterliegen – werden diese Vorkommen jedoch unmittelbar nach wie jene des Kammmolchs – inzwischen oftmals ihrer Entdeckung durch die geplanten Vorhaben zer- hohen Beeinträchtigungen durch den Fischbesatz in stört oder stark dezimiert. Wie bei der Glattnatter seinen Laichgewässern. Zudem sind insbesondere in werden von der Zauneidechse vor allem Sekundär- den Lebensräumen außerhalb der Flussauen loka- habitate wie Brachen, alte abgedeckte Deponien, le Bestandsrückgänge der Art zu verzeichnen. Sein besonnte Säume, aufgelassene Abbaustandorte und Status als „gefährdete“ Art (Kategorie 3) wird daher Bahnnebenflächen besiedelt. Diese in der Regel schon beibehalten. lange Zeit stillgelegten Habitate sind in der intensiv Die Knoblauchkröte zählt in Sachsen-Anhalt zu agrarisch oder urban genutzten Landschaft oft zu den verbreiteten Arten, deren Vorkommen jedoch wichtigen Rückzugsräumen der Art mit sehr hohen nachweislich abgenommen haben und landesweit Besiedlungsdichten geworden. In Folge der geziel- als instabil zu beschreiben sind. Die gut an grabfähi- ten Förderung einer Bebauung von industriellen und ge Offenlandstandorte gebundene Art besiedelt in militärischen „Konversionsflächen“ sowie Gewerbe- besonderem Maße die Ackerebenen und Grünland- gebietsbrachen mit Freiflächenphotovoltaikanlagen gebiete unseres Landes. Hier unterliegen ihre Popula- durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gehen tionen immer größer werdenden Beeinträchtigungen seit etwa 5 bis 10 Jahren reihenweise dieser groß- durch die intensivere Landwirtschaft (Pestizideinsatz, flächigen, wichtigen und zuvor wirtschaftlich nicht Bodenbearbeitung, großflächige, nahrungsarme Mo- lukrativen Habitate verloren. Aufgrund dieser negati- nokulturen) und den zunehmenden Nutzungsdruck ven Entwicklungen ist die Zauneidechse weiterhin als auf brach liegende Flächen sowie die Entwässerung „gefährdet“ (Kategorie 3) einzustufen. oder Verfüllung von größeren Ackernassstellen. Die Die Waldeidechse zählt in Sachsen-Anhalt zu Individuenzahlen bei Zaunfängen haben sich in den den nicht allzu häufigen Arten, deren Vorkommen letzten 10 Jahren auf etwa ein Fünftel reduziert. Zu- landesweit als instabil und rückläufig zu beschreiben dem unterliegt nur ein geringer Teil der Vorkommen sind. Die Art kommt in der aktuellen Erhebung nur im Land dem gesetzlichen Gebietsschutz. Die Art wird noch mit einer niedrigen Rasterfrequenz vor, was auf daher in die Kategorie 3 („gefährdet“) hochgestuft. einen drastischen Rückgang hinweist, aufgrund des In den beiden letzten Jahrzehnten haben sich die starken Fokus auf FFH-Arten in der aktuellen Erfas- Kenntnisse über die Verbreitung des Springfroschs sungsperiode (2009 bis 2013) zum Teil aber auch ein wesentlich verbessert, so dass derzeit wahrschein- Erfassungsdefizit sein kann. Nachgewiesen wurden lich alle Vorkommensgebiete bekannt sind. Innerhalb überwiegend nur Einzeltiere oder kleinste Popula- dieser Gebiete ist mit weiteren unentdeckten Vor- tionen, die allein von ihrer Größe her schon bedroht kommen zu rechnen. Die Art ist in der überwiegen- sind. Verglichen mit den Altnachweisen aus dem Harz den Mehrzahl ihrer Vorkommen innerhalb der Wald- (1990 –2000 in Meyer et al. 2004) haben sich dort gebiete aktuell nicht gefährdet. Anders stellt sich sowohl die Vorkommens- als auch die Individuen- die Situation bei den isoliert in intensiv genutzten dichte etwa halbiert. Auf der Grundlage der aktuellen, Ackerflächen liegenden Vorkommen (z.B. Wettelrode negativen Entwicklung der Vorkommen in den Ver- und Pölsfeld) dar. Diese Vorkommen sind durch die breitungsschwerpunkten der Art in Sachsen-Anhalt intensive Landnutzung und Zerschneidung der Teil- ist die Aufnahme der Waldeidechse in die Rote-Liste- lebensräume durch Verkehrsinfrastruktur besonders Kategorie 3 notwendig. gefährdet. Für den Springfrosch erfolgt daher eine Die Ringelnatter zeigt eine starke Bindung an Ge- Hochstufung in die Kategorie 3. wässer und Feuchtgebiete. Durch die fortschreitende Die Zauneidechse, deren Nachweise über das Habitatverschlechterung solcher Lebensräume (feh- ganze Land verteilt sind, ist die häufigste Reptilienart lende Gewässerschutzstreifen, Eintrag von Pestiziden in Sachsen-Anhalt. Die Art ist vor allem in den land- und Nährstoffen) ist sie direkt, aber auch indirekt wirtschaftlich intensiv genutzten Landesteilen nur durch eine schlechtere Nahrungsgrundlage (Lurche) spärlich verbreitet und unterliegt infolge abnehmen- bedroht. Zudem werden Ringelnattern immer öfter der Eignung vieler Habitate einem Rückgang. Selbst Opfer des Straßenverkehrs. Wie schon in der zweiten in Schutzgebieten führt oftmals die Unternutzung Roten Liste der gefährdeten Lurche und Kriechtiere oder Nutzungsaufgabe von Trocken- und Halbtro- Sachsen-Anhalts (Meyer & Buschendorf 2004) wird die ckenrasen, Heiden, offenen Binnendünen und trocke- Ringelnatter in der Kategorie 3 gelistet. 350
Lurche und Kriechtiere Einstufung in die Kategorie G Art schwer einschätzen. Die jüngsten Erfassungen zeigten aber, dass die Art flächendeckend im Harz Der Bergmolch erreicht in Deutschland seine nord- vorkommt. Konkrete, belastbare Daten zu Bestands- östliche Arealgrenze, die im Wesentlichen durch die größen und -veränderungen liegen nicht vor. Für den Vorkommen in Sachsen-Anhalt markiert wird. Von der Fadenmolch erfolgt daher eine Einstufung in die in Sachsen-Anhalt disjunkt verbreiteten Art wurden im Kategorie G. letzten Jahrzehnt zahlreiche Vorkommen im nördlichen Der Kleine Wasserfrosch ist die seltenste Art Harzvorland und in den südlichen Landesteilen nicht der Wasserfrosch-Gruppe in Sachsen-Anhalt. Seine mehr bestätigt. Dies dürfte – wie bei der Waldeidech- Populationen sind überwiegend klein, können ge- se – aber auch in gewissem Maße auf Erfassungsdefi- bietsweise aber auch hohe Individuenbestände um- zite zurückzuführen sein („Nicht-FFH-Art“). Durch das fassen (z.B. Feuchtgebiet Allstedt, Ziegelrodaer Forst). neu entdeckte Vorkommensgebiet im Fläming (Berg & Aufgrund der schwierigen Determination wird die Art Hennig 2010) ergeben sich dennoch keine wesentlichen oft nur als „Grünfrosch indet.“ oder falsch bestimmt. Veränderungen in der MTB-Präsenz. Aussagekräftige An- Dadurch ergeben sich nach wie vor Kenntnisdefizite gaben über Bestandsgrößen und -entwicklungen liegen zur Verbreitung sowie große Wissenslücken zu Be- nicht vor. Die Vorkommen werden jedoch in zunehmen- standsgrößen und -veränderungen der Art. In Folge dem Maße durch den Verlust der Laichgewässer infolge der gezielten Erfassung der Art im Zusammenhang eines verstärkten Ausbaus der Forstwege und durch mit den landesweiten FFH-Kartierungen und dem Fischbesatz in die Stauteiche der Bergbäche bedroht. FFH-Monitoring hat sich der Kenntnisstand seit 2009 Die wenigen, stark voneinander getrennten Vorkommen zwar zunehmend verbessert, zum Status und zur Ver- außerhalb des Harzes weisen eine hohe biogeographi- breitung der Art in Sachsen-Anhalt sind aber dennoch sche Bedeutung auf. Da aufgrund fehlender Informa- vertiefende Erhebungen angezeigt. Eine Gefährdung tionen zu Bestandsgrößen und -veränderungen eine des Kleinen Wasserfrosches ist zumindest in einigen Einstufung in die Gefährdungskategorien 1 bis 3 nicht Teilpopulationen, wie z. B. den Vorkommen im Ziegel- möglich ist, wird der Bergmolch weiterhin in Kategorie rodaer Forst und an den Klebitz-Rahnsdorfer Feldsöl- G gelistet. len im Wittenberger Vorfläming, erkennbar, weshalb Auch der Fadenmolch zählt zu den Arten, die in die Art künftig in der Kategorie G gelistet wird. Sachsen-Anhalt ihre Arealgrenze erreichen. Er weist nur eine lokale Verbreitung mit Schwerpunkt im Einstufung in die Kategorie V Harz und seinen Vorländern auf. Da es in Sachsen- Anhalt keine auf den Fadenmolch konzentrierten In die Vorwarnliste werden die häufigeren und derzeit Erhebungen oder Studien gibt und die Art im letzten noch ungefährdeten Lurcharten eingestuft, für die bei Erfassungszeitraum (2001–2014) kaum gezielt er- gleichbleibenden Trends künftig eine Gefährdung zu fasst wurde, lässt sich die Bestandssituation dieser erwarten ist. Die noch verhältnismäßig häufigen Arten Tab. 1: Übersicht zum Gefährdungsgrad der Lurche und Kriechtiere Sachsen-Anhalts. Gefährdungskategorie Rote Liste Gesamt 0 R 1 2 3 Lurche Artenzahl (absolut) - - - 5 5 10 18 Anteil an der Gesamtartenzahl (%) - - - 27,8 27,8 55,6 Kriechtiere Artenzahl (absolut) - - 1 1 3 5 6 Anteil an der Gesamtartenzahl (%) - - 16,7 16,7 50 83,4 Tab. 2: Übersicht zu den sonstigen Kategorien. Kategorien Sonstige Gesamt Gesamt G D V Lurche Artenzahl (absolut) 3 - 2 5 18 Anteil an der Gesamtartenzahl (%) - - - 27,8 Kriechtiere Artenzahl (absolut) - - - - 6 Anteil an der Gesamtartenzahl (%) - - - - 351
Lurche und Kriechtiere Tab. 3: Änderungen in der Anzahl der Einstufungen in die Gefährdungskategorien im Vergleich der Roten Listen der Lurche und Kriechtiere Sachsen-Anhalts aus den Jahren 2004 und 2020. Rote Liste 2004 Rote Liste 2020 Gefährdungskategorie (AZ = 25) (AZ = 24) (absolut) (%) (absolut) (%) Lurche 0 – Ausgestorben oder verschollen - - - - R – Extrem seltene Arten mit geographischer 3 16,7 - - Restriktion 1 – Vom Aussterben bedroht - - - - 2 – Stark gefährdet 2 11,1 5 27,8 3 – Gefährdet 5 27,8 5 27,8 Gesamt 10 55,6 10 55,6 Kriechtiere 0 – Ausgestorben oder verschollen 1 14,3 - - R – Extrem seltene Arten mit geographischer - - - - Restriktion 1 – Vom Aussterben bedroht - - 1 16,7 2 – Stark gefährdet 2 28,6 1 16,7 3 – Gefährdet 2 28,6 3 50 Gesamt 5 71,4 5 83,4 Erdkröte und Grasfrosch sind als potenziell gefährdet zu Kultur- und Naturlandschaft hinaus müssen konkret betrachten. Die aktuelle Einordnung in die Vorwarnliste wirksame Schutzmaßnahmen auf unterschiedlichen entspricht diesem Ansinnen. Die Populationsstärken der Ebenen ergriffen werden: Erdkröte sind trotz der vielschichtigen Gefährdung der Art noch recht hoch, was vor allem die Zahlen an einigen Weitere Konsolidierung der Datenlage straßenbegleitenden Amphibienschutzanlagen belegen. Dennoch sollte diese Feststellung nicht dazu verleiten, − Abbau von nach wie vor bestehenden Kenntnisdefi- die Gefährdungssituation der Art zu unterschätzen. ziten durch fortgesetzte und teilweise intensivierte Gerade sie muss infolge ihrer Laichplatztreue und der Kartierungen (explizit auch außerhalb der FFH-Syste- Neigung, große Distanzen zwischen den Teillebensräu- matik und -Gebietskulisse), einerseits in bestimmten men zurückzulegen, große Verluste hinnehmen und ist schwächer untersuchten Landesteilen, aber vor allem damit im Vergleich zu anderen Arten überproportional bezogen auf Arten mit anhaltend defizitärer Datenla- von der weiterhin zunehmenden Landschaftszerschnei- ge – Bsp.: Feuersalamander (v.a. Tieflandvorkommen), dung und dem Straßenverkehr bedroht. Der Grasfrosch Fadenmolch, Kleiner Wasserfrosch, Glattnatter. ist zwar von den drei Braunfröschen die häufigste Art in − Neben qualitativen Aussagen zum Vorkommen der Sachsen-Anhalt und auch nach der Erdkröte die zweit- Arten sind insbesondere auch quantitative Erhe- häufigste Amphibienart im Bundesland, die zum Teil bungen und Auswertungen notwendig, um qualifi- deutlich abnehmenden Individuenzahlen der einzelnen zierte Bewertungen der Gefährdungssituation und Reproduktionsgemeinschaften sind aber nicht zu über- der Bestandstrends zu ermöglichen. sehen. Vor allem im Drömling, in den Ackerlandschaf- ten, aber auch in den Hügelländern und Mittelgebirgs- Erstellung und Umsetzung von Artenschutz- vorländern ist bereits heute ein großflächiger Rückgang konzepten des Grasfroschs zu beobachten. − Erarbeitung von Artenhilfsprogrammen/Arten- Gefährdungsursachen und erforderliche schutzsofortprogrammen/Aktionsplänen für die Schutzmaßnahmen am stärksten gefährdeten Arten, also für jene, die bereits „vom Aussterben bedroht“ (Kat. 1) oder be- Die artgruppenspezifisch wirkenden Gefährdungsfak- sonders „stark gefährdet“ sind (Kat. 2), toren sind, einschließlich der allgemein zu ergreifenden − dabei: Erstellung einer landesweiten Übersicht al- Schutzmaßnahmen, übersichtlich bei Glandt (2014) ler noch besiedelten Habitatflächen, des aktuellen dargestellt. Landesspezifische Angaben dazu finden sich Besiedlungsstatus, der flächenspezifisch wirken- zudem in Meyer et al. (2004) und Grosse et al. (2015). den Gefährdungen und vor allem des kurz- und Über den allgemeinen Schutz einer vielgestalti- langfristigen Handlungsbedarfs (Prioritätenlisten), gen, reich strukturierten und wenig fragmentierten 352
Lurche und Kriechtiere − zeitnahe Umsetzung von ersten Anschub-Schutz- Unter den Amphibien werden die zuvor als gefährdet maßnahmen durch unterschiedliche Akteure und (Kategorie 3) eingestuften Arten Wechselkröte und Projektträger, Absicherung einer verstetigten Pfle- Moorfrosch aktuell als stark gefährdet (Kategorie 2) ge und Betreuung der Vorkommen, eingestuft, da bei ihnen im gesamten Verbreitungs- − höchste Priorität: Kreuzotter, Kreuzkröte und Ge- gebiet des Landes zum Teil starke Bestandseinbußen zu burtshelferkröte. verzeichnen sind. Die starken Bestandseinbußen der im Harz vorkommenden Geburtshelferkröte sind beson- Sicherung von Abbaustätten als wertvolle Se- ders alarmierend und sprechen für ein langsames Aus- kundärlebensräume sterben der Populationen am östlichen Arealrand. Die ursprünglich in Kategorie „R“ gelistete Art wird daher in − Herstellung einer Partnerschaft mit der Steine-Er- die Kategorie 2 (stark gefährdet) deutlich hochgestuft. den-Industrie und dem Braunkohlebergbau über Auch bei Springfrosch und Knoblauchkröte zeichnet bestmögliche Sicherung von Habitatflächen an sich eine höhere Gefährdungssituation ab, so dass diese aktiv genutzten Abbaustandorten, beiden Arten künftig als gefährdet (Kategorie 3) gelistet − schutzverträgliche Folgenutzung von Abgrabungen werden. Die bisher ungefährdete Knoblauchkröte wird und Bergbaufolgelandschaften, konzeptionelle damit erstmals in einer Gefährdungskategorie der Roten Abstimmungen, ggf. sogar vertragliche Regelungen Liste Sachsen-Anhalts aufgenommen. Der in Meyer & mit Bergbautreibenden. Buschendorf (2004) in Kategorie „R“ gelistete Faden- molch wurde aktuell in die Kategorie „G“ (Gefährdung Schutz der Herpetofauna in der Agrarlandschaft anzunehmen) überführt. Bei den übrigen Amphibien- arten gab es zwar keine Änderungen hinsichtlich des − Identifizierung von Konfliktschwerpunkten, v.a. Gefährdungsstatus, insbesondere bei den stark gefähr- bezogen auf Populationen von Wechsel- und deten (Kategorie 2) Arten Rotbauchunke und Kreuzkröte Knoblauchkröte, Rotbauchunke und Moorfrosch in sind aber zahlreiche lokale Aussterbeereignisse und intensiv agrarisch genutzten Gebieten, deutliche Bestandseinbrüche festzustellen. Aufgrund − Abstimmungen mit Landwirtschaftsverwaltung der (noch) weiten Verbreitung dieser Arten ist eine und -betrieben, v.a. zur Entwicklung von nutzungs- Höherstufung in Kategorie 1 aber aktuell (noch) nicht freien oder extensiv genutzten Gewässerrand- abzuleiten. Ähnlich verhält es sich mit den Vorkommen streifen, insbesondere in Ackergebieten, und zum von Laub- (Kategorie 3) und Grasfrosch (Kategorie V), die Erhalt feuchter Senken in Äckern und Grünländern bei gleichbleibenden Trends mittelfristig höhergestuft (Implementierung in Greening-Programme etc.), werden müssen. Unter den Amphibien verbleiben mit − Verzicht oder zumindest Minimierung des Dünger- Teichfrosch, Seefrosch und Teichmolch lediglich 3 Arten, und Pestizideinsatzes sowie schonende Bodenbe- die aktuell als ungefährdet eingestuft werden. arbeitung . Bei den Reptilien zeichnet sich eine besonders dramati- sche Lage ab. Nach Streichung der Europäischen Sumpf- Hoheitlicher Gebietsschutz schildkröte, für die es keine Belege eines autochthonen Vorkommens in Sachsen-Anhalt gibt, sind nur noch − Ausweisung von Schutzgebieten (NSG) und -objek- sechs heimische Reptilienarten hinsichtlich ihres Ge- ten (FND, GLB) im Falle von Schwerpunktvorkom- fährdungsstatus zu betrachten. Mit der Neuaufnahme men von Amphibien und Reptilien, an denen ein der bisher als ungefährdet eingestuften Waldeidechse klarer Regelungsbedarf besteht, der bspw. durch sind nunmehr fünf der sechs heimischen Arten (83,4 %) freiwillige Vereinbarungen nicht erreichbar ist (z.B. in einer Gefährdungskategorie gelistet. Lediglich die Herstellung der Fischfreiheit an Kleingewässern). Blindschleiche gilt weiterhin als ungefährdete Art. Bei den Reptilien gab es aber nicht nur hinsichtlich der Vergleich zur der Roten Liste 2004 (Analyse) Anzahl gelisteter Arten, sondern auch der jeweiligen Gefährdungseinstufungen eine deutliche Verschlechte- Im Vergleich zur vorherigen Roten Liste (Meyer & Bu- rung. So gelten die Vorkommen der Glattnatter, für die schendorf 2004) zeigt sich, dass sich die Gefährdungs- in der vorherigen Roten-Liste (Meyer & Buschendorf 2004) situation der Lurche und Kriechtiere in Sachsen-Anhalt aufgrund von Kenntnisdefiziten nur eine Gefährdung innerhalb der vergangenen 15 Jahre zum Teil drastisch angenommen werden konnte (Kategorie G), inzwischen verschlechtert hat. Aktuell weisen zwar – wie zur als stark gefährdet (Kategorie 2). Noch gravierender ist letzten Fassung der Roten Liste – insgesamt 10 Amphi- die Situation bei der Kreuzotter zu bewerten, die bereits bien- (55,6 %) und 5 Reptilienarten (83,4 %) einen Ge- in der letzten Roten-Liste im Jahr 2004 als stark gefähr- fährdungsstatus auf. Hinsichtlich der gelisteten Arten det (Kategorie 2) eingestuft wurde. Die Vorkommen sowie des Gefährdungsstatus gab es jedoch in Folge der Art sind inzwischen vielerorts vollständig erloschen zahlreicher Höherstufungen sowie einzelner Neuauf- bzw. stehen aufgrund sehr geringer Individuenzahlen nahmen und Herabstufungen einige Veränderungen. und bestehenden Beeinträchtigungen kurz vor dem 353
Lurche und Kriechtiere Aussterben. Die Kreuzotter wird daher als erste Art in Danksagung die höchste Gefährdungskategorie „vom Aussterben be- droht“ (Kategorie 1) überführt. Dem Schutz und Erhalt Wir danken Annette Westermann für die wertvollen der verbliebenden Vorkommen durch gezielte habitat- Anregungen und Hinweise sowie die Bereitstellung verbessernde Maßnahmen und eine Beseitigung aller von Fotos. Herrn Dr. Peer Schnitter danken wir für die Beeinträchtigungs- und Gefährdungsfaktoren kommt kritische Durchsicht des Manuskripts. daher oberste Priorität zu. Art (wiss.) Art (deutsch) Kat. Bem. Amphibia Lurche Alytes obstetricans (Laurenti, 1768) Nördliche Geburtshelferkröte 2 ö. A, § FFH IV, BK Bombina bombina (Linnaeus, 1761) Rotbauchunke 2 w. A, § FFH II/IV, BK Bufo bufo (Linnaeus, 1758) Erdkröte V § BA, BK Bufotes viridis (Laurenti, 1768) Wechselkröte 2 w. A, § FFH IV, BK Epidalea calamita (Laurenti, 1768) Kreuzkröte 2 § FFH IV, BK Hyla arborea (Linnaeus, 1758) Mitteleuropäischer Laubfrosch 3 § FFH IV, BK Ichthyosaura alpestris (Laurenti, 1768) Bergmolch G n. A, § BA, BK Lissotriton helveticus (Razoumowsky, 1789) Fadenmolch G ö. A, § BA, BK Pelobates fuscus (Laurenti, 1768) Westliche Knoblauchkröte 3 § FFH IV, BK Pelophylax lessonae (Camerano, 1882) Kleiner Wasserfrosch G § FFH IV, BK Rana arvalis (Nilsson, 1842) Moorfrosch 2 § FFH IV, BK Rana dalmatina (Fitzinger in Bonaparte, 1838) Springfrosch 3 § FFH IV, BK Rana temporaria (Linnaeus, 1758) Grasfrosch V § BA, FFH V, BK Salamandra salamandra (Linnaeus, 1758) Feuersalamander 3 n. A, § BA, BK Triturus cristatus (Laurenti, 1768) Nördlicher Kammmolch 3 § FFH II/IV, BK Reptilia Kriechtiere Coronella austriaca (Laurenti, 1768) Glattnatter 2 § FFH IV, BK Lacerta agilis (Linnaeus, 1758) Zauneidechse 3 § FFH IV, BK Natrix natrix (Linnaeus, 1758) Ringelnatter 3 § BA, BK Vipera berus (Linnaeus, 1758) Kreuzotter 1 § BA, BK Zootoca vivipara (Lichtenstein, 1823) Waldeidechse 3 § BA, BK Nomenklatur nach Glandt 2014. Abkürzungen und Erläuterungen, letzter Nachweis/Quelle (fett) streng geschützte Art: EG-VO Anhang A (EG A), (Spalte „Bem.“) FFH Anhang IV und BA Anlage 1, Kreuz in Spalte 3 FFH – FFH-Richtlinie 92/43/EWG der EU: FFH II – Art § – Gesetzlicher Schutz nach § 7 (2) Nr. 13 u. 14 Bundesna- im Anhang II aufgeführt, * – Prioritäre Art, FFH turschutzgesetz bezüglich Anhang A und B der EG-VO IV – Art im Anhang IV aufgeführt, FFH V – Art im Nr. 338/97, FFH-Richtlinie Anhang IV, Vogelschutz- Anhang V aufgeführt Richtlinie (Europäische Vogelarten) und Bundesarten- BA – Bundesartenschutzverordnung schutzverordnung Anlage 1: § – besonders geschützte BK – Berner Konvention; BK (fett) streng geschützte Art Art: EG-VO Anhang A und B (EG A, EG B), FFH Anhang A – Arealrand IV, Europäische Vogelarten (VR) und BA Anlage 1; § – w. – westlich ö. – östlich Literatur Buschendorf, J. (1984): Lurche und Kriechtiere des Buschendorf, J. & H. Uthleb (1992): Rote Liste der Lurche Bezirkes Halle. – Darstellung des gegenwärtigen und Kriechtiere des Landes Sachsen-Anhalt. – Be- Kenntnisstandes der Verbreitung. – Naturschutz- richte des Landesamtes für Umweltschutz Sach- arb. Bez. Halle Magdeburg 21: 3 –28. sen-Anhalt 1: 16 –18. Buschendorf, J. (1999): Bestandsentwicklung der Buschendorf, J. & F. Meyer (1996): Rote Liste der Amphibien Kriechtiere (Reptilia). – In: Frank, D. & V. Neumann und Reptilien des Landes Sachsen-Anhalt – Einstu- (Hrsg.)(1999): Bestandssituation der Pflanzen und fungskriterien, Novellierungsbedarf und Umsetzung Tiere Sachsen-Anhalts. – Ulmer Verlag: 170 –171. im Naturschutzvollzug. – Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 21: 36 – 45. 354
Lurche und Kriechtiere Gassmann, F.H. (1984): Lurche und Kriechtiere des Meyer, F. & J. Buschendorf (2004): Rote Liste der Lurche Bezirkes Magdeburg. – Darstellung des gegenwär- (Amphibia) und Kriechtiere des Landes Sachsen- tigen Kenntnisstandes der Verbreitung. – Natur- Anhalt. – Berichte des Landesamtes für Umwelt- schutzarb. Bez. Halle Magdeburg 21: 29 –56. schutz Sachsen-Anhalt 39: 144 –148. Glandt, D. (2014): Die Amphibien und Reptilien Euro- Schiemenz, H. & R. Günther (1994): Verbreitungsatlas pas. – Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim. der Amphibien und Reptilien Ostdeutschlands Grosse, W.-R., Simon, B., Seyring, M., Buschendorf, J., Reusch, (Gebiet der ehemaligen DDR). – Natur & Text Ver- J., Schildhauer, F., Westermann, A. & U. Zuppke (Bearb.) lag (Rangsdorf). (2015): Die Lurche und Kriechtiere des Landes Sach- Sy, T. & F. Meyer (2004): Bestandssituation und Schutz sen-Anhalt unter besonderer Berücksichtigung der der Rotbauchunke in Sachsen-Anhalt. Herausge- Arten der Anhänge der Fauna-Flora-Habitat-Richtli- geben vom Landesamt für Umweltschutz Sachsen- nie sowie der kennzeichnenden Arten der Fauna-Flo- Anhalt. – Berichte des Landesamtes für Umwelt- ra-Habitat-Lebensraumtypen. – Berichte des Landes- schutz Sachsen-Anhalt, SH 3: 297 S. amtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 4: 640 S. Westermann, A. (2015a): Kreuzotter. – In: Grosse, W.-R., Grosse, W.-R. & M. Seyring (2015): Wechselkröte. – In: Simon, B., Seyring, M., Buschendorf, J., Reusch, J., Schild- Grosse, W.-R., Simon, B., Seyring, M., Buschendorf, J., hauer, F., Westermann, A. & U. Zuppke (Bearb.) (2015): Reusch, J., Schildhauer, F., Westermann, A. & U. Zuppke Die Lurche und Kriechtiere des Landes Sachsen- (Bearb.) (2015): Die Lurche und Kriechtiere des Anhalt unter besonderer Berücksichtigung der Landes Sachsen-Anhalt unter besonderer Berück- Arten der Anhänge der Fauna-Flora-Habitat-Richt- sichtigung der Arten der Anhänge der Fauna-Flo- linie sowie der kennzeichnenden Arten der Fauna- ra-Habitat-Richtlinie sowie der kennzeichnenden Flora-Habitat-Lebensraumtypen. – Berichte des Arten der Fauna-Flora-Habitat-Lebensraum- Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 4: typen. – Berichte des Landesamtes für Umwelt- 525 –536. schutz Sachsen-Anhalt 4: 269 –290. Westermann, A. (2015b): Feuersalamander. – In: Grosse, W.- Günther, R. (1996) (Hrsg.): Die Amphibien und Reptili- R., Simon, B., Seyring, M., Buschendorf, J., Reusch, J., Schild- en Deutschlands. – Gustav Fischer Verlag, Jena. hauer, F., Westermann, A. & U. Zuppke (Bearb.) (2015): Die Meyer, F. (1999): Bestandsentwicklung der Lurche (Am- Lurche und Kriechtiere des Landes Sachsen-Anhalt phibia). – In: Frank, D. & V. Neumann (Hrsg.)(1999): unter besonderer Berücksichtigung der Arten der Bestandssituation der Pflanzen und Tiere Sachsen- Anhänge der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sowie Anhalts. – Ulmer Verlag: 172–174. der kennzeichnenden Arten der Fauna-Flora-Habi- Meyer, F., Buschendorf, J., Zuppke, U., Braumann, F., Schäd- tat-Lebensraumtypen. – Berichte des Landesamtes für ler, M. & W.-R. Große (Hrsg.)(2004): Die Lurche und Umweltschutz Sachsen-Anhalt 4: 95 –106. Kriechtiere Sachsen-Anhalts. – Laurenti-Verlag, 239 S. Anschriften der Autoren PD Dr. Wolf-Rüdiger Große Dipl.-Biol. Marcel Seyring Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Sammlungen (ZNS) Fachgebiet 43 – Arten- und Biotopschutz, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Staatliche Vogelschutzwarte Domplatz 4 Reideburger Str. 47 06099 Halle (Saale) 06116 Halle (Saale) E-Mail: wolf.grosse@zoologie.uni-halle.de, E-Mail: marcel.seyring@web.de, wolf.grosse@gmx.net marcel.seyring@lau.mlu.sachsen-anhalt.de Dipl.-Biol. Frank Meyer RANA – Büro für Ökologie und Naturschutz Frank Meyer Mühlweg 39 06114 Halle (Saale) E-Mail: frank.meyer@rana-halle.de, frankmeyer.halle@gmail.com 355
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