SARS-COV-2 SOWIE COVID-19 UND NEUROLOGISCHE ERKRANKUNGEN - KLINIKEN KÖLN
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COVID-19 Bildquelle: © stock.adobe.com | Vink Fan Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung State of the Art SARS-CoV-2 sowie COVID-19 und neurologische Erkrankungen Volker Limmroth Klinik für Neurologie am Klinikum Köln-Merheim, Köln Mit Beschreibung der ersten Infek- ratory syndrome coronavirus 2“ (SARS- hochrangigen Journalen oft durch keinen tionsfälle im Dezember 2019 in Wu- CoV-2) konfrontiert waren, schon früh- Review-Prozess liefen, um eine schnelle han/China wurde relativ schnell klar, zeitig auf. Es gibt daher zahlreiche Fallbe- Publikation zu ermöglichen. Inzwischen dass SARS-CoV-2 im Wesentlichen richte aus den Epizentren der SARS-CoV- sind jedoch die ersten größeren Fallseri- schwerste respiratorische Symptome 2-Erkrankung wie Wuhan, Straßburg, en mit neurologischen Ausfällen publi- verursachen kann, viele Patienten Norditalien, aber auch aus London und ziert worden, die auf validem Datenma- aber auch unter neurologischen und verschiedenen amerikanischen Groß- terial beruhen und auch durch reguläre neuropsychiatrischen Symptomen städten. Die Definition neurologischer Review-Prozesse gelaufen sind. leiden. SARS-CoV-2 ist kein neurotro- bzw. neuropsychiatrischer Symptome er- pes Virus per Definition, kann das ZNS folgte allerdings nicht einheitlich. SARS-CoV-2 und das jedoch direkt und indirekt schädigen. Ein Großteil der neurologischen und Sofern unspezifische Symptome wie Nervensystem neuropsychiatrischen Symptome ent- Kopfschmerzen, Müdigkeit, Abgeschla- Mit der im Verlauf des Jahres 2020 dras- steht jedoch als sekundäre Folge der genheit, Schwindel oder Übelkeit mit in tisch steigenden Zahl von mit SARS-CoV- Infektion und/oder längerer intensiv- die Auswertung genommen wurden, er- 2 infizierten und erkrankten Menschen medizinischer Behandlungen. Bis gaben sich bei mehr als 80 % der jeweili- weltweit stieg auch die Zahl der Berichte jetzt sind nicht alle neurologischen gen Fallserien neurologische oder neuro- über neurologische und neuropsychiatri- Symptome ätiologisch verstanden. psychiatrische Symptome. Wurden je- sche Symptome. SARS-CoV-2 nutzt wie Diese Übersicht soll den derzeitigen doch ausschließlich konkrete fokal-neu- auch das früher bereits aufgetretene Wissensstand zu neurologischen und rologische Ausfälle und nachgewiesene SARS-CoV den Angiotensin-converting- neuropsychiatrischen Symptomen in strukturelle Schädigungen des periphe- enzyme-2(ACE2)-Rezeptor, um in eine Verbindung mit SARS-CoV-2-Infek- ren oder Zentralnervensystems erfasst, Zelle zu gelangen. Da ACE2-Rezeptoren tionen wiedergeben. war der Anteil von Patienten mit neuro- im menschlichen Gehirn auf Gliazellen logischen oder neuropsychiatrischen und Neuronen exprimiert werden, ent- Neurologische und neuropsychiatrische Symptomen deutlich geringer. Ergän- fachte sich zu Beginn der Pandemie die Symptome fielen den ärztlichen Kolle- zend muss berücksichtigt werden, dass Diskussion, ob die Einnahme von ACE- gen, die bereits Anfang 2020 mit den ers- in der Frühphase der Pandemie Manu- Hemmern oder auch Angiotensin-Rezep- ten Infektionen des „severe acute respi- skripte zu den ersten Fallserien selbst in tor-Blockern (AR-Blocker) die Infektion 22 Limmroth V. SARS-CoV-2 sowie COVID-19 … Kompendium ZNS 2020; 22–28
Merke Die Tatsache, dass bisher – anders als erwartet – keine eindeutigen Hinweise dafür vorliegen, dass immunsuppri- mierte Patienten besonders schwere Verläufe aufweisen, könnte ein indirek- ter Hinweis dafür sein, dass Immunsup- pressiva exzessive Zytokinsynthesen unterdrücken und damit möglicherwei- se für die zweite Phase der Infektion einen gewissermaßen „protektiven“ Effekt haben [9]. Ein dritter Schädigungsmechanismus könnte durch die primäre Immunantwort selbst im Sinne einer „unintended host immune response“ nach der akuten In- ▶ Abb. 1 Exemplarisch sei hier der Fall eines 57-jährigen COVID-19-Patienten dargestellt, fektion entstehen. Klassische klinische der aufgrund seiner Hypoxie und Dyspnoe 30 Tage beatmet werden musste. Als vaskuläre Beispiele auf neurologischem Fachgebiet Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung Risikofaktoren bestanden eine arterielle Hypertonie, ein grenzwertiger Diabetes Typ 2, eine sind das Guillain-Barré-Syndrom (GBS Adipositas und ein Nikotinkonsum mit etwa 25 Packyears. Bei Extubation war eine deutlich oder AIDP) und das Miller-Fisher-Syn- prolongierte Aufwachphase mit weiter bestehender Desorientierung auffällig. Das MRT des drom, über die inzwischen mehrfach bei Kopfes zeigte umfangreiche, insbesondere periventrikulär gelegene Signalalterationen. COVID-19-Patienten berichtet worden ist [10, 11]. Allerdings ist dieser Mecha- als solche, aber insbesondere die Ent- gung diskutiert, die als „Eintrittspforte“ nismus infektiologisch bei verschiedenen wicklung neurologischer Symptome be- ins zentrale Nervensystem (ZNS) mit der Erregern bekannt und wäre nicht unbe- einflussen könnte. Folge direkter enzephalitischer Entzün- dingt COVID-19-spezifisch. dungen dienen könnte [4, 5]. Diese The- Merke se ist bisher jedoch nicht belegt. Der vierte Schädigungsmechanismus Inzwischen zeigten mehrere valide könnte indirekt durch die systemischen Studien, dass die Einnahme von ACE- Darüber hinaus konnten die bisher publi- Effekte der Erkrankung selbst verursacht Hemmern oder AR-Blockern weder die zierten Liquoranalysen bei mit SARS- werden. Ein hoher Prozentsatz von Pa- Entwicklung von COVID-19 bzw. den CoV-2 infizierten Patienten, die schwere tienten, die längere Zeit intensivmedizi- Verlauf begünstigt oder verschlechtert Verläufe mit neurologischen Symptomen nisch betreut werden müssen, weist im noch vor der Infektion oder der Erkran- entwickelten, weder SARS-CoV-2 per Verlauf ihrer Grunderkrankung neurolo- kung selber schützt [1–3]. PCR (polymerase chain reaction) noch gische Sekundärerkrankungen des zen- eine intrathekale Antikörpersynthese tralen und auch peripheren Nervensys- Potenzielle Schädigungs- nachweisen [6, 7]. Allerdings wurden in tems auf, wie Enzephalopathien oder kleinen Berliner Kohorten intrathekale Critical-illness-Neuropathien oder -Myo- mechanismen neuronale oder gliale Autoantikörper do- pathien. Ein Großteil der bisher berichte- Grundsätzlich könnte das Virus nach der- kumentiert [7]. ten neurologischen Syndrome scheint zeitiger Vorstellung das Nervensystem aus diesem Mechanismus zu resultieren. über 4 potenzielle Mechanismen schädi- Der zweite und aus heutiger Sicht we- Nicht unwahrscheinlich ist schließlich gen, die sich theoretisch auch überlap- sentlich plausiblere Schädigungsmecha- auch, dass sich insbesondere der zweite pen könnten. Zum einen könnte die virale nismus kommt sekundär durch die im und vierte Mechanismus bei zahlreichen Schädigung der Nervenzellen über einen Verlauf der Erkrankung hyperstimulative Patienten überlappen. direkten Kontakt verursacht werden, immunologische Antwort in Form einer ähnlich der Herpes-simplex-Enzephalitis. toxischen Zytokin-Ausschüttung („cyto- Allerdings gibt es bisher, von wenigen kine storm“) [1] zum Tragen. Zytokine Neurologische Symptome Einzelfallberichten abgesehen, keine Hin- als Folge einer immunologischen Aktivie- Die erste große Fallserie aus China [12] weise darauf, dass das Virus direkt in das rung können vielfältige Effekte haben, mit 1099 bestätigten COVID-19-Patien- zentrale oder auch periphere Nerven- die Blut-Hirn-Schranke überwinden und ten beschrieb allgemeine klinische Cha- system eindringt und dieses schädigt. sind mit akut nekrotisierenden Enzepha- rakteristika, u. a. auch neurologische/ Die häufig beobachtete Anosmie in der lopathien assoziiert, die bereits verein- neuropsychiatrische Symptome, analy- Frühphase der SARS-CoV-2-Infektionen zelt berichtet worden sind [8]. sierte diese allerdings nicht im Detail. wurde in diesem Zusammenhang als Zei- Demnach wiesen 13,6 % der Patienten chen einer Bulbus-olphactorius-Schädi- Kopfschmerzen, 38,1 % eine Fatigue- Limmroth V. SARS-CoV-2 sowie COVID-19 … Kompendium ZNS 2020; 22–28 23
COVID-19 Symptomatik, 14,9 % Myalgien und V. a. unklare enzephalopathische Symp- oder Psychosen litten, jedoch keine Arthralgien und 1,4 % „zerebrovaskuläre tome erhielten, zeigten sich leptomenin- eindeutigen Auffälligkeiten in der Erkrankungen“ auf. Die Prävalenz der geale Anreicherungen. Bei 11 dieser Pa- Kernspintomografie des Kopfs oder Symptome war im Wesentlichen unab- tienten war eine bifrontale Hypoperfu- in der Liquordiagnostik zeigten hängig von der Schwere des Verlaufs. sion in der entsprechenden Gewichtung ▪ inflammatorische ZNS-Syndrome Nur die zerebrovaskulären Ereignisse nachweisbar, und 2 Patienten zeigten (12/43) einschließlich Enzephalitis waren bei den schweren Verläufen knapp kleinere Ischämien. Die Untersuchungen (2/12 para- oder postinfektiös), akuter doppelt so häufig wie bei den leichten konnten jedoch nicht klären, welcher die- disseminierter Enzephalomyelitis Verläufen (2,3 vs. 1,2 %). ser kernspintomografischen Befunde pri- (9/12) mit Hämorrhagien (5/9), mär mit der SARS-CoV-2-Infektion, mit Nekrosen (1/9), Myelitiden (2/9) oder Mao et al. [13] veröffentlichten die erste einer Critical-illness-Enzephalopathie einer isolierten Myelitis (1/9) Kohorte mit einer detaillierten Charakte- oder auch mit Entzugssymptomen nach ▪ zerebrale Ischämien (8/43) assoziiert risierung neurologischer und neuropsy- Absetzen und Ausschleichen der sedie- mit prothrombotischen Zuständen, chiatrischer Symptome. Von den ersten renden Medikation assoziiert werden insbesondere Thromboembolien 214 zwischen Mitte Januar und Mitte Feb- konnte. Die im Übrigen nur bei wenigen ▪ periphere neurologische Störungen ruar in Wuhan komplett erfassten, an Patienten (n = 7) durchgeführte Liquor- wie Guillain-Barré-Syndrome (7/8) „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) diagnostik blieb unergiebig. Der Nach- und einem Fall einer sonstigen zentral- erkrankten Patienten, zeigten 36,4 % weis des Virus im Liquor durch RT-PCR nervösen Plexopathie der Arme (1/8) (78 Patienten) neurologische Symptome. gelang bei keinem Patienten. ▪ sonstige zentralnervöse Störungen Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung Davon wiesen 46 % (36 Patienten) Be- (5/43). nommenheit, 35 % (28 Patienten) Kopf- Eine weitere Fallserie aus Wuhan [14] un- schmerzen, 19 % (16 Patienten) eine tersuchte bei insgesamt 221 konsekutiv Merke veränderte Bewusstseinslage und 7,6 % bestätigten COVID-19-Fällen von Januar Die Autoren des Berichts aus dem Na- (6 Patienten) akute vaskuläre Ereignisse bis Februar 2020 akute zerebrovaskuläre tional Hospital, Queen Square, London, wie zerebrale Ischämien auf. Bei einem Ereignisse (ZVE) und verglich klinische weisen darauf hin, dass die neurologi- weiteren Patienten kam es zu einem epi- Aspekte, Therapie und Verlauf mit schen Komplikationen der SARS-CoV-2- leptischen Anfall. Interessanterweise war COVID-19-Patienten ohne zerebrovasku- Infektion Ähnlichkeiten mit früheren auch das periphere Nervensystem bei läre Ereignisse. Insgesamt erlitten knapp Coronavirus-Epidemien haben, insbe- einigen Patienten betroffen. So berichte- 6 % (13 Patienten) zerebrale Ischämien sondere mit dem „severe acute respira- ten 29 % (23 Patienten) Geschmacks- (5 %), Sinusvenenthrombosen (0,5 %) tory syndrome“ (SARS) von 2003 sowie oder Geruchsstörungen. Bei dieser Fall- oder intrazerebrale Blutungen (0,5 %). Er- mit dem „middle east acute respiratory serie sollte berücksichtigt werden, dass wartungsgemäß waren Patienten mit syndrome“ (MERS) von 2012. Die da- Symptome wie Benommenheit oder ZVE ca. 20 Jahre älter als Patienten ohne maligen Fälle umfassten Enzephalopa- Kopfschmerzen häufig mit anderen ZVE (71,6 ± 15,7 vs. 52 ± 15,3 Jahre) und thien, Enzephalitiden und sowohl ischä- Symptomen wie hohem Fieber einhergin- wiesen signifikant häufiger klassische mische wie hämorrhagische Schlagan- gen und sich daher Symptomgruppen Risikofaktoren wie Hypertonus, Diabetes fälle durch Hyperkoagulopathien, Sep- nicht selten auch gegenseitig begünsti- oder bereits andere Ereignisse in der sis sowie Vaskulitiden und GBS [16]. gen und Prävalenzen damit anstiegen. Anamnese auf. Auch die Mortalität war Allerdings waren die Zahlen der damals höher als in der Gruppe ohne ZVE. infizierten Patienten deutlich geringer Ein kurzer Bericht aus Straßburg [6] über als in diesem Jahr mit SARS-CoV-2. 58 konsekutive, zwischen Anfang März Ein kurzer Review [15] von insgesamt und Anfang April stationär aufgenomme- 6 Fallserien (darunter auch die beiden Neurologische ne Patienten beschrieb bei 14 % (8 Patien- oben referierten) erbrachte keine weite- ten) neurologische Symptome bei Auf- ren spezifischen Aspekte. Vorerkrankungen nahme, aber bei 69 % (40 Patienten) neu- Eine amerikanische Arbeitsgruppe [17] rologische/neuropsychiatrische Sympto- Ein ausführlicher Bericht aus dem Natio- analysierte insgesamt 22 Studien, von me im Verlauf der stationären Behand- nal Hospital, Queen Square, London, be- denen 19 retrospektiv neurologische lung – insbesondere Agitation und Ver- richtet über eine Serie von 43 an COVID- Komplikationen im Rahmen von COVID- wirrtheitszustände, die aber am ehesten 19 erkrankten Patienten mit neurologi- 19 untersuchten, aber auch den Verlauf im Zusammenhang mit der intensivme- schen oder neuropsychiatrischen Symp- der Erkrankung bei Patienten mit bereits dizinischen Behandlung standen. Darü- tomen [11]. Anhand von klinischen, neu- vorbestehenden neurologischen Erkran- ber hinaus wiesen 67 % (39 Patienten) dif- roradiologischen, neurophysiologischen kungen. Aus den Veröffentlichungen wa- fuse Zeichen von Schädigungen kortiko- und paraklinischen Befunden wurden 5 ren von insgesamt 4014 stationär behan- spinaler Bahnen wie gesteigerte Muskel- Diagnosegruppen erstellt: delten Patienten 322 (8 %) zu identifizie- eigenreflexe, Fußklonie oder Pyramiden- ▪ Enzephalopathien (10/43), wobei die ren, die bereits an einer neurologischen bahnzeichen auf. Bei 8 von 13 Patienten, Patienten überwiegend unter neuro- Vorerkrankung litten. Das Hauptproblem die zerebrale Kernspintomografien bei psychiatrischen Symptomen wie Delire der Auswertung war jedoch die Hetero- 24 Limmroth V. SARS-CoV-2 sowie COVID-19 … Kompendium ZNS 2020; 22–28
COVID-19 genität der Daten, da unterschiedliche re Komorbiditäten entscheidender für gesetzt werden sollten [20]. Bis auf ein- Scores, Definitionen und Schwerpunkte den klinischen Verlauf zu sein als eine zelne Abweichungen waren die Empfeh- genutzt und gesetzt wurden. zuvor verabreichte Immuntherapie. lungen deckungsgleich und änderten an den prä-COVID-19 geltenden Therapie- Insgesamt waren Kopfschmerzen das am Für andere neurologische Indikationsbe- algorithmen wenig. häufigsten in allen 22 Studien erwähnte reiche liegen von Einzelfallberichten ab- Symptom. Als Vorerkrankungen bestan- gesehen derzeit noch keine Auswertun- Merke den u. a. zerebrale Ischämien, epilepti- gen größerer Kohorten vor. Als völlig unbedenklich (very low risk) sche Anfälle, Enzephalitiden, Zustand hinsichtlich Neueinstellung und Thera- nach Koma oder Bewusstlosigkeit, zere- Merke piefortsetzung gelten Interferonpräpa- brale Ödeme, Zustand nach intra- Die bisherigen Kohortenstudien geben rate, Glatirameracetat und Terifluno- zerebralen Blutungen oder Subarachnoi- zurzeit keine Hinweise darauf, dass mid. Als unbedenklich (low risk) werden dalblutungen, Migräne, Neuropathien Patienten mit neurodegenerativen Er- Dimethylfumarat und Natalizumab ein- oder Myasthenia und Demenz oder neu- krankungen, anderen neurologischen gestuft. Als vertretbar (intermediate rokognitive Erkrankungen. Vier Studien Erkrankungen oder demenziellen Ent- risk) werden die S1P-Modulatoren konnten dabei eindeutig zeigen, dass wicklungen häufiger von COVID-19 be- (Fingolimod, Siponimod, Ozanimod, Patienten mit COVID-19, die auf einer troffen sind. Für den jeweiligen Verlauf Ponesimod) und Cladribin eingestuft. Intensivstation behandelt werden muss- erscheinen wie bei anderen Erkrankun- Als risikoreich (high risk) werden Mito- ten, im Durchschnitt älter und männ- gen auch im Wesentlichen vaskuläre xantron und Alemtuzumab gesehen, Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung lichen Geschlechts waren sowie eine be- Risikofaktoren und Komorbiditäten und von Neueinstellungen wird abge- reits vorhandene Komorbidität, insbe- entscheidend zu sein. raten. sondere zerebrovaskuläre Erkrankungen, aufwiesen. Statistisch gesehen war die COVID-19: Konsequenzen Eine Stellungnahme der American Acade- Mortalität bei Patienten, die unter my of Neurology liegt inzwischen auch COVID-19 eine Pneumonie entwickelt auf die Therapie für die Behandlung von Epilepsien vor. hatten, höher, wenn sie bereits an einer Eine aktuelle Arbeit [19] analysiert die Hierbei ändern sich die therapeutischen zerebrovaskulären Erkrankung litten. Schlaganfallversorgung in Frankreich, Algorithmen nicht. Besondere Beach- Italien und Deutschland in den ersten tung sollte lediglich möglichen medika- Aus Italien liegen Fallserien zu Multiple- Monaten der COVID-19-Pandemie. In mentösen Interaktionen zwischen einzel- Sklerose(MS)-Patienten vor, die an Italien und Frankreich war die Versor- nen Antikonvulsiva und Virustatika bzw. COVID-19 erkrankten. Die größte Fallse- gung von Schlaganfallpatienten nicht Antibiotika geschenkt werden [21], rie [18] berichtet über 232 MS-Patienten, mehr flächendeckend gewährleistet und ebenso wie der Vermeidung stationärer von denen 57 positiv auf SARS-CoV-2 ge- nur in einigen Zentren gesichert. Haupt- Aufnahmen und Vorstellungen in Notauf- testet waren und 175 Patienten ohne Vi- grund für diese Unterversorgung war die nahmen. rusnachweis, die aber klinische Sympto- Umwandlung vieler Stroke-Units zu me für COVID-19 aufwiesen. Aus dieser COVID-19-Stationen. In Deutschland Kohorte erkrankten 10 Patienten (4 %) konnte die Schlaganfallversorgung wie- COVID-19 und Neurologie schwer bis kritisch. Von diesen 10 Patien- derum aufgrund des späteren und dann ten verstarben 5 Patienten, wovon wie- milderen Verlaufs in den Stroke-Units – das Fazit derum 4 unter vaskulären Risikofaktoren fast überall aufrechterhalten werden. ▪ SARS-CoV-2 ist kein neurotropes Virus, wie Diabetes mellitus, arterieller Hyper- Allerdings zeigte sich in allen 3 Ländern kann jedoch schwere Schäden im zen- tonie oder anderen Komorbiditäten wie die Tendenz, dass Patienten mit tran- tralen wie peripheren Nervensystem Hepatitis oder Tuberkulose litten. Nur ei- sient-ischämischen Attacken (TIAs) oder insbesondere bei längerer Erkrankung ner dieser Patienten war zuvor mit einer nur milden Initialsymptomen nicht oder verursachen. Immuntherapie (Rituximab) behandelt erst verspätet vorstellig wurden, weil sie ▪ Die mit Abstand häufigsten Symptome worden. Die 4 anderen verstorbenen den primären Gang in eine Notaufnahme auf neurologischem und neuropsychi- Patienten hatten keine Immuntherapie verhindern wollten. atrischem Gebiet sind Kopfschmerzen, erhalten. Alle 5 schwer erkrankten Pa- Anosmie, Fatigue (auch nach über- tienten, die überlebten, hatten eine Bereits frühzeitig meldeten sich verschie- standener Erkrankung) und Myalgien. Immuntherapie erhalten (2-mal Ocrelizu- dene Arbeitsgruppen und Kommissionen Schwere Symptomkomplexe wie zere- mab, Glatiramer, Fingolimod, Natalizu- von Fachgesellschaften, die zur Verwen- brale Ischämien, Sinusvenenthrombo- mab), litten jedoch von 1 Fall mit Adiposi- dung der einzelnen Immuntherapeutika sen, Enzephalopathien, Enzephalitiden tas abgesehen unter keinen vaskulären in der Therapie der MS Stellung bezogen. oder auch epileptische Anfälle werden Risikofaktoren und waren im Durch- Dabei wurde insbesondere dargestellt, deutlich seltener berichtet und bewe- schnitt ca. 10 Jahre jünger als die 5 ver- mit welchen Medikamenten auch wäh- gen sich statistisch im unteren einstel- storbenen Patienten. Trotz der geringen rend der Pandemie Neueinstellungen er- ligen Bereich. Fallzahl erschienen auch hierbei vaskulä- folgten bzw. bestehende Therapien fort- 26 Limmroth V. SARS-CoV-2 sowie COVID-19 … Kompendium ZNS 2020; 22–28
COVID-19 ▪ Zerebrale Ischämien und Sinusvenen- Korrespondenzadresse SARS-CoV-2. N Engl J Med 2020; 382: 2574–2576. doi:10.1056/NEJMc2009191 thrombosen entstehen offensichtlich durch eine sekundär erhöhte koagulo- [11] Paterson RW, Brown RL, Benjamin L et al. Prof. Dr. Volker Limmroth The emerging spectrum of COVID-19 neu- pathische Grundaktivität im Rahmen Klinik für Neurologie am Klinikum rology: clinical, radiological and laboratory der Infektion oder auch septischer Zu- Köln-Merheim findings. Brain 2020: awaa240. stände. Ostmerheimer Straße 200 doi:10.1093/brain/awaa240 51109 Köln ▪ Patienten, die vaskuläre Komplikatio- [12] Guan WJ, Ni ZY, Hu Y et al. Clinical charac- LimmrothV@kliniken-koeln.de nen wie zerebrale Ischämien erleiden, teristics of coronavirus disease 2019 in Chi- weisen in den meisten Fällen bereits na. N Engl J Med 2020; 382: 1708–1720. Literatur doi:10.1056/NEJMoa2002032 vaskuläre Komorbiditäten auf und sind im Durchschnitt älter. [13] Mao L, Jin H, Wang M et al. Neurologic ma- nifestations of hospitalized patients with ▪ Eine englische Studie weist darauf hin, [1] Mehra MR, Desai SS, Kuy S et al. Cardiovas- coronavirus disease 2019 in Wuhan, China. dass die Charakteristika neurologi- cular disease, drug therapy, and mortality JAMA Neurol 2020; 77: 1–9. doi:10.1001/ in COVID-19. N Engl J Med 2020; 382: e102. scher Syndrome den klinischen Cha- jamaneurol.2020.1127 doi:10.1056/NEJMoa2007621 rakteristika früherer Pandemien wie [14] Li Y, Li M, Wang M et al. Acute cerebrovas- [2] Reynolds HR, Adhikari S, Pulgarin C et al. SARS-CoV 2003 oder MERS 2012 äh- cular disease following COVID-19: a single Renin-angiotensin-aldosterone system neln. center, retrospective, observational study. inhibitors and risk of COVID-19. N Engl J Stroke Vasc Neurol 2020; 2: svn-2020- ▪ Bei länger erkrankten, intensivmedizi- Med 2020; 382: 2441–2448. doi:10.1056/ 000431. doi: 10.1136/svn-2020-000431 nisch behandelten oder beatmeten NEJMoa2008975 Elektronischer Sonderdruck zur persönlichen Verwendung [15] Asadi-Pooya AA, Simani L. Central nervous Patienten zeigen sich in etwa 10 % [3] Mancia G, Rea F, Ludergnani M et al. Renin- system manifestations of COVID-19: a sys- der Fälle enzephalopathische Verände- angiotensin-aldosterone system blockers tematic review. J Neurol Sci 2020; 413: and the risk of COVID-19. N Engl J Med rungen, die nicht primär ischämisch, 116832. doi:10.1016/j.jns.2020.116832 2020; 382: 2431–2440. doi:10.1056/ sondern eher entzündlich-degenerativ NEJMoa2006923 [16] Tsai LK, Hsieh ST, Chang YC. Neurological sind und deren pathophysiologische manifestations in severe acute respiratory [4] Gandhi S, Srivastava AK, Ray U et al. Is the Mechanismen noch nicht vollständig syndrome. 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Der Autor gibt an, dass kein Interessenkon- Guillain-Barré Syndrome associated with flikt besteht. 28 Limmroth V. SARS-CoV-2 sowie COVID-19 … Kompendium ZNS 2020; 22–28
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