Schwerpunkt Inklusion - Forschung - Lehre - Campus - Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Freiburg - Pädagogische Hochschule Freiburg
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Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Freiburg 2017 istockphoto: frimages [I N K L U S I O N ] Schwerpunkt Inklusion Forschung – Lehre – Campus
Editorial „Die Vision von Inklusion kann nur sein, allen Menschen über- all ein gelingendes Leben zu ermöglichen.“ Dieses Zitat ist einem Beitrag der diesjährigen Ausgabe entnommen und soll hier an den Anfang gestellt werden. Seit 2009 sind alle deutschen Bildungs- und Erziehungsinstitutionen verpflichtet, ein integratives Schul- system umzusetzen. Das Thema Inklusion bzw. die verschiedenen Differenzkonzepte umfassen viele unterschiedliche Aspekte und Anders als bei uns, ist in Österreich das Thema Inklusion mitt- Denkrichtungen. Wie stellen sich diese Auseinandersetzungen lerweile ein Schwerpunkt im Studienverlauf. Dort gibt es seit 2016 für eine Pädagogische Hochschule dar? Vor welche komplexen einen „Schwerpunkt Inklusion“, den Studierende wählen und da- Entwicklungsaufgaben sind alle an pädagogischen Prozessen mit als Expert/-innen in den Schulen eingesetzt werden können. Beteiligten gestellt? Doch die Kluft zwischen Ausbildung und schulischer Realität ist derzeit noch groß (S. 16). Es geht zum einen um den Ausbau des Themenfelds Inklusion/ Heterogenität in der Lehrer/-innenbildung und um eine nach- Eine mögliche Kluft zwischen Theorie und Praxis wird in Freiburg haltige Implementierung im Lehrangebot (S. 4). Aber auch die auch durch die gezielte Fort- und Weiterbildung überwunden. An Auseinandersetzung mit Konzepten wie Heterogenität, Inklusi- der Hochschule können diesbezüglich verschiedene Zertifikate on, Intersektionalität, Diversität, Multikulturalität, Interkultura- erworben werden (S. 28 und 30). lität und Transkulturalität ist unerlässlich sowie die Verankerung von Inklusion in den Fachdidaktiken (S. 6). Zum anderen wird in Wie Studierende die Auseinandersetzung im Umgang mit Dif- Zukunft sicher eine Verstärkung der Inklusionsforschung (S. 8) ferenzen bzw. Heterogenität bewältigen, wie sie „inklusive Pro- stattfinden. Jedoch zeigte ein Aktionstag unter dem Motto „Bar- fessionalität“ entwickeln können, zeigen konkrete Beispiele auf rierefreies Studieren beginnt im Kopf“, dass auch ein Blick auf das Seite 24 und 26. Aber auch in einem Projekt mit Flüchtlingsfrauen Spektrum von Studierenden mit Handicaps an der Hochschule und -kindern wurde ein Dialog zwischen den Kulturen entwickelt bitter notwendig ist (S. 26). und vertieft (S. 34). Doch Inklusion ist noch immer ein „schillernder Begriff“, der Der zweite Teil des Heftes informiert über wichtige sehr unterschiedlich – mehr oder weniger breit – definiert wird Ereignisse an der Hochschule. und komplexe Herausforderungen beinhaltet (Stichwort Men- schenrechte und Demokratie) (S. 18). In Lehre und Forschung ist über verschiedene internationale Projekte zu berichten: die internationale Summer School 2016; Fragen werden laut, wie der Weg hin zur inklusiven Schule die Kooperation zwischen Freiburg und Belgorod oder die NMUN- aussehen (S. 10 und 14) und wie Pädagogik zum Gelingen von Konferenz in New York. Eine Untersuchung zum Seniorenstudium Inklusion schon in der frühesten Kindheit (S. 12) beitragen könnte, und ein Bericht über eine Konferenz für studentische Forschung beziehungsweise ob der christliche Glaube und die Religionspäd- geben Einblick in zwei verschiedene Perspektiven des Miteinan- agogik prädestiniert sind, für Inklusion einzutreten (S. 20). derlernens. Campus und darüber hinaus, das heißt beispielsweise die In- szenierung eines Jugendtheaterstücks, eine Performance über Sprache und Macht sowie das Patenschaftsprogramm SALAM. Feierliche Anlässe waren u.a. das 10-jährige Bestehen der Kin- derkrippe PH-Campinis und der Dies academicus. Die Rede des externen Hochschulratsmitglieds Antonio Loprieno, gehalten zur Eröffnung des Akademischen Jahres 2016/2017, dokumentiert Errungenschaften und Entwicklungsstand unserer Hochschule aus der Perspektive der Universität Basel. Die Redaktion
Inhalt Titelthema: INKLUSION 4 Inklusion in der Lehrer/-innenbildung Ein Querschnittsthema im Studienverlauf Andreas Köpfer · Katja Scharenberg · Juliane Leuders · Katja Schneider 6 Differenzkonzepte in Wissenschaft und Bildung Bericht über den Fachtag an der Hochschule Gabriele Sobiech · Uwe H. Bittlingmayer · Sebastian Hartung 8 Inklusion qualitativ erforschen Perspektiven aus drei Forschungsprojekten Paula Bock · Florian Weitkämper · Andreas Köpfer 10 Inklusion im Praxisfeld Schule Anforderungen und Umsetzung Katja Schneider 12 Inklusion: eine Aufgabe für Elementar- und Primarpädagogik Ziele und Umsetzung Norbert Huppertz 14 Inklusive Bildungsangebote Ausgestaltung in den Vorbereitungsdiensten der Staatlichen Seminare für Didaktik und Lehrerbildung in Baden-Württemberg Edgar Denk · Annely Zeeb 16 Der Inklusionsschwerpunkt in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Österreich Historischer Durchbruch oder Weg in die Sackgasse? Simone Stefan 18 Inklusive politische Bildung Inklusion, Menschenrechte und demokratische Prinzipien Jürgen Gerdes 20 Das Individuum im Blick Inklusion aus christlich-theologischer und religionspädagogischer Perspektive – Dispositionen und kritische Anfragen Sabine Pemsel-Maier 22 Inklusionspädagogische Lehre in den Bildungswissenschaften Vorstellung eines Seminarkonzepts mit integrierter Exkursion Saskia Opalinski 24 Inklusion International Eine Summer School 2017 der Auslandsämter der PH FR und der PH FHNW Verena Bodenbender 26 Barrierefreies Studieren beginnt im Kopf Oder: It’s a long way to Tipperary Doris Kocher 28 Pädagogischer Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht Das Hochschulzertifikat – Ein neues studien- und berufsbegleitendes Weiterbildungsangebot Andrea Óhidy 30 Gender- und diversitätssensibles Lehren und Lernen Einblicke in den Start des Basiszertifikats Hochschuldidaktik Yvonne Baum · Marion Degenhardt · Doris Schreck 32 Nachbarschaft verbindet Ein Textilprojekt mit Flüchtlingsfrauen und -kindern Anne-Marie Grundmeier · Dorit Köhler · Eve-Marie Zeyher-Plötz
Inhalt Forschung · Lehre · Campus Lehre und Forschung_________________________________________________________________ Sommersemester 2016 36 Risiko- und Schutzfaktoren bei Alkoholvergiftungen im Kindes- und Jugendalter Wolfram-Keup-Preis für die RiScA-Studie Helga Epp 37 Lernradio PH 88,4 Ein Erfolgsprojekt wird zehn Jahre alt Helga Epp 38 Intergenerationelles Lernen an der Hochschule Eine empirische Untersuchung im Kontext des Seniorenstudiums Sabine Kern 39 Health Literacy in Childhood and Adolescence Kurzbericht über eine internationale Summer School 2016 Uwe H. Bittlingmayer · Eva-Maria Bitzer Verena Bodenbender · Johannes Lebfromm · Diana Sahrai 41 Die Kooperation Freiburg - Belgorod Gemeinsam lehren, lernen und forschen Dennis Strömsdörfer 42 Die Internationale National Model United Nations-Konferenz Interview mit Hans-Peter Burth und Teilnehmenden am politisch-diplomatischen Simulationsprojekt der Vereinten Nationen in New York Helga Epp 44 Konferenz für studentische Forschung Interview mit Lisa Vater Helga Epp 45 Sprache(n) und Macht in unserer Migrationsgesellschaft Ein vielfältiger Angebotskatalog und ein Sommerworkshop Jutta Heppekausen · Sarah Holtkamp auf dem Weg zu einer differenz- und dominanzsensiblen Praxis Nicole Schatz · Ann-Sophie Schmidt ________________________________________________________________________________Wintersemster 2016|2017 47 Lehrer/-innenbildung verbessern durch Kooperation Eine Vertragsunterzeichnung Ulrike Dreher · Martina von Gehlen 48 Publizieren für die Praxis Herausforderungen bei der Rechtesicherheit Timo Leuders Campus und darüber hinaus____________________________________________________________ Sommersemester 2016 50 Weggesperrt Studierende inszenieren ein Jugendtheaterstück Anne Steiner 51 (Noch) außerhalb aller Module und doch unverzichtbar Die Sprechbühne der Pädagogischen Hochschule präsentierte SPRACHT, eine Performance über Sprache und Macht Ursula Elsner 54 Patenschaftsprogramm SALAM Buchpräsentation und Infoveranstaltung Hildegard Wenzler-Cremer
________________________________________________________________________________Wintersemster 2016|2017 55 Dies academicus Eröffnung des Akademischen Jahres 2016/2017 Helga Epp 57 Eine Festrede Zur Eröffnung des Akademischen Jahres 2016/2017 Antonio Loprieno 60 Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie Kinderkrippe PH-Campinis feiert ihr zehnjähriges Bestehen Helga Epp Personalia · Porträts · Würdigungen_____________________________________________________ Sommersemester 2016 62 Erinnerungen an Dorothee Schäfer * 7.7.1927 ✝ 6.6.2016 Siegfried Thiel 63 Zum Tod von Dorothee Schäfer Erste Frauenbeauftragte der Pädagogischen Hochschule Freiburg Traudel Günnel ________________________________________________________________________________Wintersemster 2016|2017 64 Michael Fröhlich im Ruhestand Ein original Freiburger Gewächs Georg Brunner
Schwerpunkt Inklusion Andreas Köpfer · Katja Scharenberg · Juliane Leuders · Katja Schneider Inklusion in der Lehrer/-innenbildung Ein Querschnittsthema im Studienverlauf B ereits in den 1980er und 1990er einen Möglichkeitsraum für Veränderung berg (MWK 2013) ist der Erwerb grund- Jahren wurden in Deutschland in- darstellen. Andererseits besteht das Dilem- legender Kompetenzen für Inklusion bei tegrative Beschulungsformen, in ma bzw. die grundlegende Herausforde- den angehenden Lehrerinnen und Lehrern Baden-Württemberg z.B. in Form rung, zukünftige Lehrerinnen und Lehrer ein wichtiges Ziel. Während Inklusion und von Außen- bzw. Kooperationsklassen, auf Inklusion vorzubereiten – und zwar Heterogenität bislang schon punktuell in eingeführt, um Schülerinnen und Schü- innerhalb eines Bildungssystems, welches den Fächern thematisiert wurden, wird mit lern mit und ohne sonderpädagogischem gerade erst begonnen hat, Inklusion um- der Neugestaltung der Lehramtsstudien- Förderbedarf zunehmend ein gemeinsa- zusetzen, diese aber noch in sehr geringem gänge im Zuge der Lehramtsreform in Ba- mes Lernen zu ermöglichen. Das Überein- Maße abbildet (Schuppener 2014). den-Württemberg die Inklusionsthematik kommen der Vereinten Nationen über die systematisch in die neue Studienstruktur Rechte von Menschen mit Behinderungen Bereiche professioneller Kompetenz aufgenommen, die sich explizit als Quer- (UN-Behindertenrechtskonvention, 2006) schnittsthema durch den Studienverlauf unterstützt diesen Prozess und verpflich- Aus ersten internationalen Vorarbeiten zieht: Im Rahmen der Qualitätsoffensive tet die Vertragsstaaten – unter diesen (European Agency 2012, S. 13ff.) wurde ein Lehrerbildung des Bundesministeriums für auch seit 2009 Deutschland – ein „inte- an Inklusion orientiertes Profil für Lehrkräf- Bildung und Forschung (BMBF) und der gratives [inklusives] Schulsystem auf al- te erstellt, das folgende Bereiche professio- Förderungen durch das Ministerium für len Ebenen“ (UN-BRK, Artikel 24) umzu- neller Kompetenz umfasst: Wertschätzung Wissenschaft, Forschung und Kunst des setzen. Entlang des in der Präambel der der Vielfalt der Lernenden, Unterstützung Landes Baden-Württemberg (MWK) soll Rechtskonvention festgeschriebenen Ver- aller Lernenden, Zusammenarbeit mit an- durch eine stärkere Kohärenz von Fachwis- ständnisses von Behinderung als Benach- deren und persönliche berufliche Weiter- senschaften, Fachdidaktiken und Bildungs- teiligung von Personengruppen, die durch entwicklung. wissenschaften sowie durch interdiszip- Marginalisierung bedroht sind, ergibt sich linäre Lehr- und Curriculumsentwicklung für den schulischen Kontext also der An- Neben Einstellungen zum Unterricht u.a. auch das Themenfeld Inklusion aus- spruch einer zunehmenden Beachtung von in heterogenen Lerngruppen, dem dafür gebaut und nachhaltig in das Lehrange- Inklusions- und Exklusionsprozessen von notwendigen Wissen und dem Erwerb ent- bot für die Studierenden des Lehramts in Schülerinnen und Schülern, bezogen auf sprechender Fähigkeiten geht es dabei auch Kooperation zwischen der Albert-Ludwigs- unterschiedlichste Heterogenitätsdimensi- um die Kooperation mit Eltern, Familien Universität und der Pädagogischen Hoch- onen (u.a. Behinderung/Beeinträchtigung, und anderen Fachkräften sowie die Bereit- schule Freiburg (Freiburg Advanced Center Migrationshintergrund, Religion etc.) (Ain- schaft, sich weiterzubilden. of Education, FACE) verankert werden. scow 2008). Hierzu – darin sind sich z.B. Amrhein Unter Berücksichtigung der geltenden Dies stellt das System Schule vor eine (2011) und Merz-Atalik (2014) einig – be- Vorgaben für die Lehrerbildung durch die komplexe Entwicklungsaufgabe (Werning darf es umfassender inhaltlicher Angebote Rahmenverordnungen des Landes Baden- 2014) und lässt die Frage aufkommen, wo im Rahmen der Lehrer/-innenbildung, z.B. Württemberg und der Ständigen Konfe- sich Stellschrauben zur Veränderung be- zu Inklusiver Pädagogik, Kooperation, In- renz der Kultusminister der Länder in der finden. klusiver Didaktik und Fachdidaktik, inten- Bundesrepublik Deutschland (KMK) orien- siven Praxisphasen in inklusiven Settings tiert sich das Lehrangebot zur Thematik von Dabei wird der Blick auch auf die Lehrer/- sowie einer Verankerung von Inklusion in Inklusion und Heterogenität an der Päda- innenbildung und Professionalisierung an- den Fachdidaktiken entlang eines entwick- gogischen Hochschule Freiburg zukünftig gehender Lehrpersonen gerichtet. Es stellt lungsorientierten Lernbegriffs (Merz-Atalik an den zu erreichenden Kompetenzen, die sich die Frage, wie Lehrpersonen für ein 2014, S. 276). die Studierenden zu einem kompetenten an Inklusion orientiertes Schulsystem aus- und professionellen Umgang mit Vielfalt gebildet werden können. Lehrer/-innenbil- Gemäß den Empfehlungen der Exper- in ihrer späteren Berufstätigkeit befähi- dung kann durch die in ihr stattfindenden tenkommission zur Weiterentwicklung der gen sollen. 4 Professionalisierungsprozesse einerseits Lehrer/-innenbildung in Baden-Württem-
ph·fr 2017 istockphoto: Rawpixel Mit Beginn des Masterstudiengangs für das Lehramt ab dem Wintersemes- ter 2018/2019 wird für alle Studierenden des Lehramts (Primarstufe, Sekundarstu- fe, gymnasiales Lehramt) das Modul „In- klusion und Heterogenität“ im Bereich der Literatur Bildungswissenschaften angeboten, des- Ainscow, Mel (2008): Teaching for Diversity: the next big challenge. In: Michael Connelly/Ming Fang He/ sen strukturelle und inhaltliche Ausgestal- JoAnn Phillion (Hg.): The Handbook of Curriculum and Instruction. London: Sage Publications, S. 240-258. - Amrhein, Bettina (2011): Inklusive LehrerInnenbildung – Chancen universitärer Praxisphasen nutzen. In: tung derzeit durch die FACE-Maßnahme 3 Zeitschrift für Inklusion Online, 3/2011. Verfügbar unter: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklu- „Inklusion und Heterogenität“ konzipiert sion-online/article/view/84/84 [26.9.2016]. - European Agency for Development in Special Needs Education wird. Geplant ist eine Vorlesung mit Be- (2012): Inklusionsorientierte Lehrerbildung. Ein Profil für inklusive Lehrerinnen und Lehrer. Odense: Euro- gleitveranstaltung, in der die Studieren- pean Agency. Verfügbar unter: https://www.european-agency.org/publications/ereports/te4i-profile/te4i- profile-of-inclusive-teachers [30.9.2016]. - Merz-Atalik, Kerstin (2014): Lehrer_innenbildung für Inklusion – den inklusionsrelevante Grundkenntnisse „Ein Thesenanschlag!“ In: Saskia Schuppener/Nora Bernhardt/Mandy Hauser/Frederik Poppe (Hg.): Inklusion (z.B. im Hinblick auf unterschiedliche Ver- und Chancengleichheit. Diversity im Spiegel von Bildung und Didaktik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 266- ständnisse und Zuschreibungen von Be- 277. - Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) (2013): Experten- hinderung, Ursachen und Auswirkungen kommission zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung in Baden-Württemberg. Empfehlungen. Stuttgart: MWK. Verfügbar unter: https://mwk.baden-wuerttemberg.de/de/service/publikation/did/empfehlungen-der- von Bildungsungleichheit und -benach- expertenkommission-lehrerbildung-baden-wuerttemberg [30.9.2016]. - Schuppener, Saskia (2014): Inklusive teiligung sowie inklusionspädagogische Schule – Anforderungen an Lehrer_innenbildung und Professionalisierung. In: Zeitschrift für Inklusion Ansätze zum Umgang mit Heterogenität) Online, 1-2/2014. Verfügbar unter: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/ erwerben werden. | view/220/221 [26.9.2016]. - UN – United Nations (2006): UN-Convention on the Rights of Persons with Disabilities. Verfügbar unter: http://www.un.org/disabilities/convention/conventionfull.shtml [20.9.2016]. - Werning, Rolf (2014): Stichwort: Schulische Inklusion. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. 17(4), 5 S. 601-623.
Schwerpunkt Inklusion Gabriele Sobiech · Uwe H. Bittlingmayer · Sebastian Hartung Differenzkonzepte in Wissenschaft und Bildung Bericht über den Fachtag an der Hochschule nabs istockphoto: ele M itte Juni 2016 fand an der Pä- len, abgewertet, diskriminiert oder sogar Heterogenitätstoleranz dagogischen Hochschule ein von bestimmten Ressourcen/Zugehörig- Fachtag zum Thema „Diffe- keiten ausgeschlossen. Differenzordnun- Am Beispiel laufender Evaluationsfor- renzkonzepte in Wissenschaft gen sind zudem hierarchisch organisiert, schung lieferte Uwe Bittlingmayer mit ei- und Bildung“ statt. Die von Gabriele So- d.h. einige Zugehörigkeiten sind gegen- ner Perspektive auf Inklusion einen weite- biech und Uwe H. Bittlingmayer organi- über anderen privilegiert. ren Einleitungsblock. Er stellte in diesem sierte Veranstaltung befasste sich mit ver- Zusammenhang kurz die selbst entwickel- schiedenen Perspektiven auf Konzepte wie Es ist also davon auszugehen, dass so- te Skala einer Heterogenitätstoleranz vor, Heterogenität, Inklusion, Intersektionalität, ziale Unterschiede aus gesellschaftlichen die als ein Maß von inklusiver Beschulung Diversität, Multikulturalität, Interkulturali- Ungleichheitsstrukturen resultieren, die so- gelten kann. Die präsentierten Ergebnisse tät und Transkulturalität. zialen Konstruktionsprozessen unterlagen aus laufender empirischer Schulforschung und unterliegen. Letztere entstehen durch weisen darauf hin, dass der stärkste Zu- Gabriele Sobiech thematisierte in der Stereotypisierungen, Stigmatisierungen, sammenhang zwischen der Heterogeni- Einführung zunächst den „sozialen“ Essentialisierungen und Defizitzuschrei- tätstoleranz von Schüler/-innen der fünf- Sinn von Differenzordnungen, die häu- bungen. Es reicht allerdings nicht aus, ten Klassen die Zugehörigkeit zu einem fig in einer binären Logik organisiert denjenigen, die der Abwertung und Aus- Bundesland ist, wobei die beiden Bundes- sind, wie „weiß-schwarz“, „Mann-Frau“, grenzung unterliegen, Anerkennung zu er- länder aus Ostdeutschland, Brandenburg „Einheimische/r-Zugewanderte/r oder weisen, indem die negativen Eigenschaften und Sachsen-Anhalt, am schlechtesten ab- Flüchtling“, „behindert-nichtbehindert/ beiseite gestellt werden und stattdessen schneiden, Hessen am besten. normal“. Subjekte werden von klein auf in versucht wird, positive Zuschreibungen zu dieser Ordnung sozialisiert, diszipliniert etablieren (Differenzansatz). Denn dadurch Bittlingmayer argumentierte ferner, dass und normalisiert. Dies hat zur Folge, dass wird vor allem die Konstruktion der Ver- aus theorieorientierter Perspektive in die- jedes Subjekt im Zuge seiner Sozialisation knüpfung von Zugehörigkeiten mit Eigen- sem Zusammenhang spannend ist, dass zugleich aufgefordert wird, sich innerhalb schaftszuschreibungen bestätigt. Ziel muss das Konzept der Inklusion als dialektisches dieser binären Ordnung zu verorten und es demgegenüber sein, eine kritische und Spannungsfeld zwischen kompensatori- (körperlich) darzustellen. Da diese Ordnung dekonstruierende Perspektive gesellschaft- schen Zielen benachteiligter oder beein- auf Eindeutigkeit angelegt ist, werden alle, lichen Normalitätsordnungen gegenüber trächtigter Schüler/-innengruppen einer- die sich nicht entsprechend dieser Logik einzunehmen. Welche Ideen dazu liefern seits sowie andererseits der Anerkennung 6 verhalten und zuordnen können oder wol- nun die unterschiedlichen Konzepte? von Andersheit und Differenz im Sinne ei-
ph·fr 2017 ner Normierungskritik gelten kann. Beide Intersektionalität das Denken in Spaltun- Normen und Zugehörigkeiten. Transkultu- Ziele sind gleichermaßen in den Blick zu gen fördern kann und so eventuell kontra- ralität kann dabei auf Menschenrechten nehmen, was zu einer enormen Anforde- produktiv für die Förderung von Vielfalt ist. bzw. auf Menschenrechtsbildung als nor- rung an die Kompetenzprofile des pädago- mativem Fundament basieren. gischen Personals an Schulen führt. Pluralität von Kulturen Inklusion in den Im Anschluss daran eröffnete die Erzie- Albert Scherr, Leiter des Instituts für Bildungswissenschaften und der hungswissenschaftlerin Katharina Walgen- Soziologie, stellte Multikulturalität, Inter- politischen Bildung bach von der FernUniversität Hagen als kulturalität und Transkulturalität einander einzige Gastrednerin die Vortragsreihe mit gegenüber. Zunächst führte er „Kultur“ als Katja Scharenberg vom Institut für So- einer Gegenüberstellung der Konzepte He- diffusen Containerbegriff ein und zeigte ziologie und Andreas Köpfer vom Institut terogenität, Intersektionalität und Diversi- somit Klärungsbedarf auf. Hiernach fasste für Erziehungswissenschaft – beide haben tät. In Bezug auf das deutsche Schulsystem er Kultur soziologisch, als geteilte Sprach- die „neuen“ Juniorprofessuren für Inklu- sieht Walgenbach Heterogenität als gro- und Symbolwelt, in der die individuelle sion inne – stellten unter dem Titel „In- ße Herausforderung und untrennbar mit Wahrnehmung der Umwelt kulturell über- klusion in Bildungswissenschaften“ den Homogenitätsstrategien verbunden. Hete- formt ist bzw. wird. Kultur kann dabei ein Rahmen und die Datengrundlage eines rogenität kann dabei verschieden gefasst Rahmen sein, in dem sich Individuen bewe- gemeinsamen Forschungsprojekts vor, in werden: evaluativ und deskriptiv, als un- gen, diesen aber nicht wahrnehmen, oder dem sie Ansätze zu Inklusion aus der So- gleichheitskritische oder didaktische Bedeu- Kultur lässt sich als Werkzeugkasten inter- ziologie und den Erziehungswissenschaf- tungsdimension. Die bildungspolitischen pretieren, aus dem sich das selbstreflek- ten miteinander verbinden. Ein wichtiges Gravitationszentren liegen, so Walgenbach, tierte Individuum ermächtigend bedienen Untersuchungsfeld stellen, so Scharenberg in der Leistung und im Lernen. Hauptfragen kann. Durch Kulturen werden Menschen und Köpfer, die Bedingungen für Exklusi- zu Heterogenität drehen sich um das drei- Gruppenzugehörigkeiten zugeschrieben, on dar, durch deren Analyse Inklusion als gliedrige Schulsystem und um das Verhält- was häufig in Anlehnung an National- Konzept an Schärfe gewinnen könne. Kri- nis von Heterogenität und Gleichheit. Soll staaten geschieht. Scherr sieht in diesem tisiert wird, dass fachdidaktische Perspek- einheitliches Wissen vermittelt oder sollen Zusammenhang Schule als eine Homoge- tiven noch nicht ausreichend in den Fokus individuelle Kompetenzen bestmöglich ge- nisierungsanstalt im Rahmen einer natio- gestellt wurden. So wird auch in der Schul- fördert werden? nalistischen Kultur. praxis Inklusion häufig als Top-Down-Stra- tegie wahrgenommen, mit der es sich zu Diversität(-sförderung) hingegen lässt Das Konzept der Multikulturalität geht arrangieren gilt, was dann letztlich dazu sich in zwei theoretische Lager einteilen. zu recht von einer Pluralität der Kultu- führt, dass inklusive Konzepte hinter ihren Auf der einen Seite stehen machtsensible ren aus und sieht diese Vielfalt positiv. Die eigentlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten und auf der anderen affirmative, manage- Probleme des Ansatzes sind jedoch, dass zurück bleiben. mentorientierte Ansätze. Im Kontext von Gruppen feste Identitäten zugeschrieben Bildung erscheint es wichtig, sich nicht zu und Probleme mit Migration als kulturell Jürgen Gerdes, ebenfalls vom Institut für stark an letzteren zu orientieren, in denen bedingt betrachtet werden. Dies führt zur Soziologie, skizzierte „Inklusive politische Vielfalt zu einer „nützlichen Ressource“ und Konstruktion fester kultureller Grenzen, die Bildung“ als Menschenrechtsbildung und einem „Gewinn“ für Bildungsinstitutionen jedoch als fließend zu betrachten sind. Ein warf dabei die Frage auf, wie dies in post- erklärt wird. Diversität liege auf diese Wei- notwendiger, normativer Rahmen, welcher demokratischen Zeiten zu bewerkstelligen se in der Gefahr, Teil neoliberaler Strategi- diesen Problemen entgegenwirken könnte, sei. Hierzu stellte er der viel konstatierten en zu werden. Gleichzeitig gilt es jedoch, fehlt dem Konzept der Multikulturalität. wachsenden Politikverdrossenheit junger ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Menschen die These entgegen, junge Men- beide Ansätze nicht klar voneinander zu Für Scherr schreibt die interkulturelle schen seien gegenwärtig auf einer ande- trennen sind. Pädagogik diese Probleme lediglich um. Er ren Ebene politisch aktiv als auf der des fordert einen Umbau des Konzepts, in dem klassisch-institutionellen Parteiensystems. Intersektionalität nimmt die Verschrän- Differenzerfahrungen als Ausgangspunkte An die Stelle eines zu engen Politikbegriffs kung von verschiedenen Diskriminierungs- für selbstreflexive Bildungsprozesse dienen. sollten politische Expressionen und Aktio- kategorien in den Fokus, z.B. in der Ana- Dabei gilt es, nicht in erster Linie das An- nen Jugendlicher in ihrer Lebenswelt wahr- lyse der Verflechtung von Rassismus und dere, sondern die eigene Reaktion auf das genommen und gedeutet werden. Zugleich Sexismus. Kategorien sozialer Ungleich- Andere zu verstehen. berge diese Vorgehensweise jedoch auch heit lassen sich in diesem Konzept nicht die Gefahr, jegliche Handlung per se als additiv fassen, vielmehr entstehen durch Der Blick auf Transkulturalität zeigt, dass politisch motiviert zu deuten. solche Verschränkungen neue Ungleich- Phänomene wie z.B. Hollywoodfilme oder heitsrelationen. Aber auch Intersektiona- Sportgroßereignisse kulturübergreifend Fachdidaktische Beiträge lität kann durch ihre Anschlüsse an neoli- homogenisierend wirken. Bildung hat in berale Strategien und Konsumkapitalismus diesem Zusammenhang die Zielsetzung der Marianne Schöler, Institut für deutsche kritisch betrachtet werden, kann aber auf Aneignung einer transkulturellen Weltkul- Sprache und Literatur, beschrieb „Diffe- der anderen Seite genau diese Anschlüsse tur. Die dazugehörige Pädagogik thema- renzkategorien im Deutschunterricht“. wiederum kritisch reflektieren. Katharina tisiert subjektive Gemeinsamkeiten und Hierbei ging sie vor allem auf den Umgang Walgenbach arbeitete auch heraus, dass Differenzen im Verhältnis zu kollektiven mit sprachlicher Diversität im Zweitsprach 7
Schwerpunkt Inklusion erwerb ein. Zu häufig werden Fehler der Paula Bock · Florian Weitkämper · Andreas Köpfer Lernenden hier einfach nur kommentarlos und unreflektiert benannt, anstatt kon Inklusion qualitativ struktiv mit diesen umzugehen. Die Lern- sprache basiert auf individuellen Annah- men über das deutsche Sprachsystem und erforschen speist sich aus Regularien der Erstsprache. Konkrete didaktische Konzepte zur Förde- rung, z.B. zum Zweitschrifterwerb, fehlen jedoch bisher. Daraus ergibt sich die For- derung, dass Konzepte aus dem Bereich „Deutsch als Zweitsprache“, z.B. sprach- kontrastierendes Lernen, in den regulären Perspektiven aus drei Forschungsprojekten Deutschunterricht einfließen müssen. D Juliane Leuders, Institut für mathemati- sche Bildung, stellte „Differenzkategorien urch die Ratifizierung der UN-Be- erforscht. Die Erhebungsphase fand von im Mathematikunterricht“ vor. Sie zeigte hindertenrechtskonvention (UN März 2013 bis August 2014 in mehreren vor allem die selten betonte, jedoch ent- 2006) besteht in Deutschland der Beobachtungsetappen statt. scheidende Verbindung von Sprachkom- rechtliche Auftrag, ein „inclusive petenz und herkunftsbedingten Disparitä- education system at all levels“ (Art. 24) Inklusion taucht hier in Praktiken der ten in Bezug auf die Mathematikleistung umzusetzen und Exklusion und Margina- Bebilderung von Schüler/-innen auf. Die auf. Sprache sollte im Kontext von Migra- lisierung in Bezug auf von Behinderungen Kinder mit attestiertem Förderbedarf wer- tion nicht vermieden werden, sondern be- bedrohte Menschen abzubauen, u.a. durch den etwa „Inklusionskinder“ oder „I-Kids“ wusst Gegenstand der Förderung sein. Es Veränderungen im Schulsystem und durch genannt. Von den Lehrkräften wurden sie gilt zu durchschauen, ob sprachliche Hür- gemeinsames Lernen von Kindern mit und teils vor der ganzen Klasse als Problemkin- den z.B. bei Textaufgaben die Ursache von ohne sonderpädagogischem Förderbedarf. der eingeführt oder mit „weißt du übrigens, „falschen“ Ergebnissen sind, welche sich dass … ein Inklusionskind ist“ vorgestellt. im Endeffekt als richtige Rechenwege ab- Zugleich rückt Inklusion zunehmend Zudem erhalten die Kinder immer wieder weichender sprachlicher Interpretationen als Forschungsfeld in den Fokus des er- eine besondere Förderung durch äußere herausstellen. Auch Mathematikunterricht ziehungswissenschaftlichen Interesses. Differenzierung von einem sonderpäda- muss Unterschieden gerecht werden und Anhand dreier qualitativer Forschungs- gogischen Dienst oder Sonderpädagog/- diese ausgleichen sowie Vielfalt zulassen, projekte mit Fokus auf (a) den Umgang innen aus dem Kollegium. Diese wird aller- wertschätzen, anregen und nutzen. von Lehrkräften mit Schüler/-innen, (b) dings auch anderen „leistungsschwachen Kooperationen zwischen Jugendhilfe und Schüler/-innen“ zuteil. Die abschließende Podiumsdiskussion Schule und (c) die Sicht von Schulleiter/- mit dem Prorektor für Lehre und Studium, innen auf inklusive Schulentwicklung Kooperation von Jugendhilfe und Georg Brunner, Andrea Eickhoff Óhidy, In- werden in diesem Beitrag exemplarische Schule stitut für Erziehungswissenschaften, Lupenstellen auf Möglichkeiten der qua- Yvonne Baum, Stabsstelle Gleichstellung, litativ-rekonstruktiven Sozialforschung Im Dissertationsprojekt von Paula Bock und Marion Degenhardt (Moderation), Ab- für Inklusion aufgeführt und erste über- geht es um Kooperationen von Jugendhilfe teilung Hochschuldidaktik, wurde in eine greifende method(olog)ische Fragen auf- und Schule in inklusiven und durch Hete- offene Diskussion umgewandelt. Zur Spra- geworfen. rogenität geprägten Bildungssettings. Im che kam noch einmal, an welcher Stelle der Zuge des Ausbaus von Ganztagesschulen Einsatz der verschiedenen Differenzkon- Soziale Ordnungen in Grundschulen und Kooperationen von Jugendhilfe und zepte als sinnvoll erachtet wird. Soll Viel- Schule sollen möglichst alle Kinder und heit im Sinne eines konstruktiven Umgangs Das Dissertationsprojekt von Florian Jugendliche mehr Bildung, Erziehung und lediglich wahrgenommen und didaktisch Weitkämper interessiert sich dafür, wie Betreuung erfahren. Zugleich sind Koope- darauf reagiert werden oder geht es in ei- in Grundschulen soziale Ordnungen her- rationen von Jugendhilfe und Schule ange- nem bestimmten Kontext beispielsweise gestellt werden und in welcher Relation sichts aktueller Entwicklungen im Kontext um die Analyse von Machtverhältnissen? sie zu sozialen Ungleichheitsverhältnis- von Inklusion von zunehmender Bedeu- sen stehen. Auch wenn das Projekt sich tung. Beide Institutionen – Jugendhilfe Alle Anwesenden waren sich einig, dass für Peerordnungen interessiert, liegt der wie Schule – nehmen auf unterschiedliche ein solcher Fachtag zur konstruktiven Fokus auf den Lehrkräften. Hierfür wer- Weise in ihren Strukturen und durch ihren Diskussionskultur an der Pädagogischen den bundeslandübergreifend verschie- professionellen Auftrag Bezug zu Gleich- Hochschule beitrage, und dass eine ähn- dene Grundschulen in den Blick genom- heit und Differenz. Durch die qualitative liche Veranstaltung baldmöglichst wieder men und diese mithilfe ethnografischer Studie werden Lern- und Bildungsprozes- ausgerichtet werden sollte. | Forschungsstrategien (Breidenstein et al. se von kooperierenden Lehrer/-innen und 2013) in Verbindung mit einem Schüler/- Sozialpädagog/-innen im Umgang mit In- 8 innen-Fragebogen (u.a. zur Demographie) klusion untersucht. Dazu werden die Prak-
ph·fr 2017 tiken der Professionellen sowohl in Wei- gischen Akteur/-innen passiert. Sie richten istockphoto: idildemir terbildungssettings als auch in alltäglicher den Fokus somit darauf, wie das Reform- pädagogischer Praxis ethnografisch und in vorhaben umgesetzt wird, welche Impli- narrativen Interviews rekonstruiert. kationen und ggf. Widersprüche sich für alltägliche pädagogische Praxen daraus Inklusive Schulentwicklung (bereits) ergeben und welche Verständnis- se von Inklusion hierbei virulent sind. Nicht Der Fokus der explorativen Studie zu die normative Frage, ob Inklusion gut oder „Handlungspraktiken Schulleitender im schlecht sei, sondern die analytische Frage Kontext inklusiver Schulentwicklung“ nach dem „Wie“ rückt damit in den Fokus: (Köpfer 2015) richtet sich darauf, zu rekon dem Handeln von Akteur/-innen als wert- struieren, wie Schulleitende in der Schweiz zuschätzende/emanzipierte Subjekte in ih- mit dem Anspruch schulischer Inklusion rer Perspektive auf ihr Handeln und ihre umgehen, welche Orientierungen sie hier- Vorstellung bzgl. Inklusion. in an den Tag legen. Die Studie untersucht folglich das Schulleitungshandeln in ei- Wenngleich der normative Anspruch ner reformorientierten Phase zwischen an Inklusion besteht, Teilhabe zu erhöhen, Inklusionsbemühungen (unter anderem sind die Organisationen und ihre Akteur/- durch die Ratifizierung der UN-Behin- innen in bestehende habituelle Praktiken dertenrechtskonvention in der Schweiz eingelagert, die sich auf bestehende bzw. am 15. April 2014) und an Vergleichbar- tradierte Ordnungen und Kulturen richten. keit orientierten Standardisierungsprozes- Inklusion kommt also nicht „neu“ hinzu, sen (z.B. HarmoS, PISA), das an schulische sondern schließt an bestehende Kulturen Akteur/-innen komplexe und ggf. ambiva- der Aus-/Einschließung (nun mit verän- Literatur lente Anforderungen stellt. Dafür wurden derter gesetzlicher Ausgangslage, also mit Bohnsack, Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialfor- problemzentrierte Experteninterviews mit der verstärkten Anerkennung von Men- schung. Einführung in qualitative Methoden. 9., überarb. u. erw. Aufl. Opladen & Farmington Hills, Schulleitenden unterschiedlicher Schulfor- schen, die Behinderungserfahrungen ma- MI: Budrich. - Breidenstein, Georg/Hirschauer, Ste- men der Nordwestschweiz durchgeführt chen, als Rechtssubjekte) an, in der Schu- fan/Kalthoff, Herbert/Nieswand, Boris (2013): Eth- und mittels der Dokumentarischen Metho- le z.B. an Praktiken der Bebilderung von nografie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz: de der Textinterpretation (Bohnsack 2014; Schüler/-innen (Weitkämper), an Profes- UTB. - Burzan, Nicole (2016): Methodenplurale Forschung. Chancen und Probleme von Mixed Me- Nohl 2012; Sturm 2015) ausgewertet. Die sionalisierungsmodelle und deren Koope- thods. Weinheim: Beltz. - Graf, Erich Otto (2016): Rolle der Schulleitungen – das zeigen die rationsstrukturen (Bock) und Handlungs- Epistemologische und methodische Implikationen Ergebnisse – integriert die Anforderungen spielräume der Steuerung und Leitung, z.B. bei partizipativen Forschungsvorhaben. In: zur Inklusion primär additiv in bestehende durch Schulleitungen (Köpfer). T. Sturm/ A. Köpfer/B. Wagener (Hg.): Bildungs- und Erziehungsorganisationen im Spannungsfeld von selektive Strukturen und Praktiken, ohne Inklusion und Ökonomisierung. Bad Heilbrunn: diese im Sinne eines ganzheitlichen, schul- Die Erforschung von Inklusion im Bil- Klinkhardt, S. 45-60. - Köpfer, Andreas (2015): kulturellen Prozesses zu verändern. dungswesen könnte u.E. eine stärke- Analyse der Handlungspraktiken professioneller re Berücksichtigung der Sicht beteiligter Akteur/-innen im Kontext inklusiver Schulentwick- lung mit der Dokumentarischen Methode am Bei- Perspektiven für die Akteur/-innen im Sinne einer partizipativen spiel Schulleitender aus der Nordwestschweiz. In: Inklusionsforschung Forschung (u.a. Graf 2016) beinhalten, um Zeitschrift für Inklusion-Online, H. 4. - Nohl, Arnd- sich den Sinnstrukturen ihres Handelns bes- Michael (2012): Interview und Dokumentarische Aus diesen exemplarischen Projekten ser anzunähern und anschlussfähige Ver- Methode. 4., überarb. Aufl. Wiesbaden: Springer VS. - Riegel, Christine (2016): Intersektionalität. Bil- der qualitativen Sozialforschung kom- änderungspotenziale eruieren zu können. dung Othering. Bielefeld: Transcript. - Sturm, Tanja men folgende gemeinsame Perspektiven Für die Erforschung dieses komplexen The- (2015): Rekonstruktiv-praxeologische Schul- und für Inklusionsforschung zum Ausdruck: menfeldes bieten sich zudem methoden- Unterrichtsforschung im Kontext von Inklusion. In: Die Projekte interessieren sich dafür, was plurale Forschungszugänge an, die je nach Zeitschrift für Inklusion-Online, H. 4, online verfüg- bar unter http://www.inklusion-online.net/index. mit den Wissensstrukturen, Überzeugun- Erkenntnisinteresse die Gewichtung des For- php/inklusion-online/article/view/321/273 [Zugriff: gen und Handlungspraktiken der pädago- schungsdesigns abwägen (Burzan 2016). | 9 27.9.2016].
Schwerpunkt Inklusion Katja Schneider Inklusion im Praxisfeld Schule Anforderungen und Umsetzung D ie Unterzeichnung der UN-Behin- tiven Beispiel deutlich machen, das so rungen im Schulalltag, was neben etlichen dertenrechtskonvention von 2006 oder ähnlich an Grundschulen zu finden Anstrengungen durchaus Chancen birgt. (Ratifizierung in Deutschland am sein kann: 25 Erstklässler/-innen, davon Kurz: Neben einer pädagogischen Haltung 26.9.2009) und die sich daran an- 16 mit Migrationshintergrund und fünf sind fachliche, diagnostische, didaktische schließende Schulgesetzänderung in Ba- Kinder mit Anspruch auf ein Bildungsan- und kommunikative Kompetenzen gefor- den-Württemberg (2015) haben großen gebot in den Bereichen sozial-emotionale dert (vgl. Fischer et al. 2014). Einfluss auf den schulischen Alltag von Entwicklung, Lernen bzw. Sprache wer- Lehrern und Lehrerinnen. Veränderte Be- den von einem Team (Grundschullehre- Als Institution für die Lehrer/-innen- dingungen im schulischen Alltag erfordern rin und Sonderpädagogin) unterrichtet. bildung versteht sich die Pädagogische auch ein Um- und Überdenken der Lehrer/- Die Sonderpädagog/-innen sind, je nach Hochschule als eine Partnerin auf dem innenausbildung. An der Pädagogischen Stundenzuweisung, mit ca. zehn Stunden Weg zur Inklusion, der nicht erst in der Hochschule ist dieser Prozess bereits im in einer Klasse. Viele Kulturen begegnen Schule beginnen kann, sondern bereits in Gange. Welche Punkte hier eine Rolle spie- sich, die Erwartungen der Eltern sind häufig der Lehrer/-innenausbildung mitgedacht len könnten, und wie ein Umdenken im Be- von individuellen Bedürfnissen und Vor- werden muss. Daraus ergibt sich jedoch rufsalltag des Lehrenden aussehen könnte, stellungen geprägt, die Lernausgangslagen die Fragestellung: Wie können Lehrende soll in einigen Aspekten skizziert werden. und die damit verbundenen Förderbedarfe eine, wie oben beschriebene Situation zu- der Kinder sind als divers zu beschreiben. friedenstellend angehen (und bewältigen), „Unter Inklusion wird die gleichrangige wenn jedes Kind verantwortlich und nach- gesellschaftliche Partizipation aller Men- Visualisiert man ein solches schuli- haltig in seiner Entwicklung begleitet und schen, einschließlich derjenigen mit Be- sches Umfeld, wird deutlich, dass Inklusi- ein hohes Maß an Aktivität und Teilha- hinderung, unter Gewährung dafür not- on spannend – oder mit den Worten von be erreicht werden soll? Was braucht es, wendiger Hilfen verstanden“ (Kullmann/ Werning/Avci-Werning (2016, S. 10) als um am Ende ihrer Ausbildung resiliente, Lütje-Klose/Textor 2014, S. 90). „ein schillerndes Konzept“ zu bezeichnen zufriedene, leistungsfähige, fachlich gut ist. Es lässt Raum für viele Assoziationen: ausgebildete und möglichst dauerhaft ge- Für den schulischen, aber auch päda- Inklusion ist herausfordernd, bietet Chan- sunde Lehrer/-innen in das Schulsystem gogischen Kontext bedeutet dies, dass die cen, fördert Verständnis und Frieden, baut zu bringen? Grenzen zwischen Kindern mit und ohne Barrieren ab, fördert Aktivität und Teilhabe sonderpädagogischem Förderbedarf im eines jeden und kann in der theoretischen Umdenken in der Lehrer/-innen Unterricht aufgehoben werden (sollen), und praktischen Auseinandersetzung damit bildung wohl wissend, dass diese Herangehens- ausufernde Züge annehmen. weise das Unterrichten in inklusiven Klas- Folgende Darstellung kann nur als ein sen für alle an pädagogischen Prozessen Auf dem Weg hin zur inklusiven Schule Ausgangspunkt und Baustein des Umden- Beteiligten sehr anspruchsvoll werden sind alle Beteiligten in ständiger Ausein- kens in der Lehrer/-innenausbildung für lässt. Denn für die Sonder- und Allgemei- andersetzung mit Fragen zur Methodik den produktiven und kollegialen Austausch ne Pädagogik liegt die gemeinsame Ver- und Didaktik im Fachunterricht im Sinne betrachtet werden: antwortung in der Förderung von Aktivität einer individuellen Qualitätssteigerung, Die Arbeit am Aufbau individueller, sich und Teilhabe jedes einzelnen Kindes, d.h. Fragen zur Zusammenarbeit der Professi- kompetent erlebender Lehrerpersönlich- individuelle Ressourcen sollen gestärkt und onen Grund- und Sonderschullehrer/-in- keiten benötigt ein Mehr an dialogischen Barrieren abgebaut werden. nen (und anderer Partner/-innen), Fragen Prozessen, ein individuelles Coaching, um zur Arbeit im Team (sowohl innerhalb ei- persönliche Ressourcen, aber auch Ent- Anforderungsprofile ner Klasse, aber auch klassenübergreifend) wicklungsfelder bzw. Bedarfe konkret oder einer gemeinsamen Grundhaltung angehen zu können, das sich in folgen- Was diese gemeinsame Verantwortung bzgl. Inklusion und nicht zuletzt zum Um- der Schleife (in Anlehnung an Burghardt/ 10 konkret bedeutet, lässt sich an einem fik- gang und Lösen konkreter Herausforde- Brandstetter 2008) darstellen lässt und Illustration: freepik.com
ph·fr 2017 Persönliche Ausgangslage (Erheben von Ressourcen und Bedarfen) Evaluation des persönlichen Kompetenzorientierte Lernzuwachses (bezogen auf Zielformulierung (neu oder die kompetenzorientierte anknüpfend an bereits Zielformulierung) formulierte Zielsetzungen) Fortbildung, Coaching, nnAbb. 1: Seminarangebot … Darstellung eines produktiven und kolle- gialen Austausches in der Lehrer/- innenausbildung eine Kommunikationsgrundlage bieten dell (4C/ID) durch die bestimmte Gestal- könnte (s. Abb. 1). tung von Lernaufgaben erreichen möchte. Auch die Methode des Forschenden Lernens Eigene Ressourcen und Bedarfe werden kann hier als ein Ansatz genannt werden als persönliche Ausgangslage erhoben. (vgl. z.B. Roters/Koch-Priewe/Schneider/ In Abgleich mit notwendigen Kompeten- Thiele 2009). zen werden individuelle Ziele formuliert, die in der Folge die Wahl von Angeboten Vorliegender Artikel versteht sich ohne zur Aus-, Weiter- bzw. Fortbildung, Semi- Anspruch auf Vollständigkeit und im Sin- Literatur narangeboten, Hospitationen, Praktika o.ä. ne einer Qualitätssteigerung der pädagogi- Brandstetter/Burghardt (2008): Individuelle bestimmen. Nach der Auseinandersetzung schen Arbeit im Schulalltag als Ansatz zum Lern- und Entwicklungsbegleitung. Aufgabe und Instrument der Arbeit an Sonderschulen. In: vds, mit dem jeweiligen Bedarf bzw. Ziel fin- Nach- und Weiterdenken. Dies ist zweifels- Landesverband Baden-Württemberg (Hg.): Päda- det eine persönliche Evaluation bzw. ein frei für viele Berufsgruppen bedeutsam, gogische Impulse 3/2008. S. 2-9. – Fischer/Veber/ gecoachtes Zielgespräch statt. Neben der für Lehrkräfte mag es aber in besonderem Fischer-Ontrop/Buschmann (Hg.) (2015): Umgang Frage nach individuellem Lern- und Ent- Maße gelten, denn „Great teachers are mit Vielfalt: Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt. Gemeinsame Empfehlung von Hochschul- wicklungszuwachs kann in diesem Rah- neither born nor made but they may de- rektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz men ein neues Ziel formuliert werden. In- velop.“ (Theo Bergen, Radboud University (2015). –Kullmann/Lütje-Klose/Textor (2014): Eine nerhalb der Lehrer/-innenausbildung sollte Nijmegen). Stellt sich doch „nur“ die Fra- Allgemeine Didaktik für inklusive Lerngruppen. In: die beschriebene Schleife im Sinne einer ge, welcher Rahmen, welche Aufgaben in Amrhein/ Dziak-Mahler (Hg.): Fachdidaktik inklusiv. Auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den persönlichen Entwicklung und Förderung welcher Form und welche Umgebungen für Umgang mit Vielfalt in der Schule. LehrerInnenbil- der Lehrerpersönlichkeit unbedingt di- eine positive Entwicklung förderlich sind! | dung gestalten. Bd. 3. Münster: Waxmann, S. 89- alogisch angelegt sein. Für bereits im 107. – Roters/Schneider/Koch-Priewe/Thiele (Hg.) Schulleben stehende Lehrkräfte könnte das (2009): Forschendes Lernen im Lehramtsstudium: Hochschuldidaktik, Professionalisierung, Kompe- Durchlaufen der beschriebenen Schleife tenzentwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. auch in persönlicher Auseinandersetzung - Textor (2015): Einführung in die Inklusionspäda- hilfreich sein. Wichtig dabei sollte die Ver- gogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. - Van Merrienboer knüpfung von erworbenem Wissen mit /Kirschner (2012): Ten steps to complex learning. A systematic approach to four-component instruc- bestehendem Wissen und dessen Anwen- tional design. New York, NY: Routledge. - Werning dung im Berufsleben sein, wie es bspw. das & Avci-Werning (2016): Herausforderung Inklusion 4-Komponenten-Instruktions-Design-Mo- in Schule und Unterricht. Stuttgart: Klett. 11
Schwerpunkt Inklusion Inklusion: eine Aufgabe Norbert Huppertz für Elementar- und Primar pädagogik Ziele und Umsetzung W as bedeutet Inklusion? Begin- und Nichteuropäer/-innen, Einheimische achten müssen (vgl. dazu Gebhard/ Meurer nen wir mit einem Missver- und Neubürger, Alte und Junge etc. 2010; Huppertz 1998; Mührel/ Birgmeier ständnis, das es auszuräumen 2009). gilt: Inklusion sei eine Sache Damit stellen sich viele Identitäts- und der Sonderpädagogik bzw. beträfe nur die Dazugehörigkeitsfragen, z.B. „Wer oder was Dieses Verständnis gilt vor allem für das Menschen mit Behinderung. Nein: Das gehört zu Deutschland? Wie wird Deutsch- Verhältnis von Theorie und Praxis. So sehr würde gerade dem Wesen von Inklusion land mit der großen Zahl von ‚Geflüchte- meine Wertschätzung der philosophisch widersprechen; denn dann wären ja alle ten‘ sich verändern? …“ Inklusion ergibt und anderweitig theoretisch orientierten „Anderen“ ausgeschlossen. Die Inklusions- ein verändertes Menschenbild: Alle Men- Forschung gilt, so ist doch kritisch darauf idee will aber ja nun gerade niemanden und schen sind gleich – in gewisser Hinsicht; hinzuweisen, dass die Menge an Forschung nichts „ausschließen“ – sondern: Alle und aber auch verschieden – in anderer Hin- und Büchern für die Regale etwas zu groß alles sollen dazugehören. Man könnte fast sicht. Und das ist gut so. „Es ist gut für den geworden ist – vor allem mit Blick auf die meinen, dass ein wenig Comenius anklingt: Menschen, ein Anderer unter Gleichen zu vergleichsweise geringe Veränderung in Omnes omnia omnino. Aber hier besser: sein.“ Wer auch immer diesen Satz zuerst der Wirklichkeit des Lebens: Die Kluft ist Alle sollen in allen Bereichen Zugang zu gesagt haben mag, er hatte recht. zu groß, und „die Theorie“ ist davongeeilt. allem haben – niemand ist ausgeschlossen (lateinisch: excludiert; Inklusion kommt, Dass auch in der Pädagogik Inklusion Die zweite Anmerkung bezieht sich auf wie wohl bekannt, von lateinisch include- fast ausschließlich auf die sonderpädago- die von mir entwickelte und vertretene Le- re: einschließen). gischen Aufgaben im traditionellen Sinne bensbezogene Pädagogik (vgl. dazu Hup- bezogen wird – wie sinnvoll es auch sein pertz 2003; Koelblin 2011; Lechner 2001). Das auszuräumende Missverständnis mag, „mal irgendwo gründlich anzufan- Gerechtigkeit und Weltbürgerlichkeit sowie hat seine Gründe, wobei Terminologie und gen“ –, darf nicht dazu führen, dass in an- Friede, Natur und Nachhaltigkeit sind da- Übersetzungsschwierigkeiten, etwa bei der deren Bereichen die inklusiven Aufgaben bei die großen Werte – phänomenologisch UN-Konvention von 2006, eine Rolle ge- aus dem Blick geraten oder erst gar nicht gefunden – und Ziele einer Allgemeinen spielt haben, wenn z.B. das englische inclu- gesehen werden. Die Vision von Inklusi- Pädagogik, die als theoretische Basis in al- sion mit „Integration“ oder „Eingliederung“ on kann nur sein, allen Menschen überall len Bereichen und Feldern von Erziehung übersetzt wird o.ä. Auch die derzeitigen ein gelingendes Leben zu ermöglichen. Das und Bildung sowie Sozialer Arbeit dienen. Internetdarstellungen zu Inklusion tragen bedeutet eben nicht nur, dass keiner mehr In diesem Verständnis von Pädagogik und das ihrige bei zur Pflege der missverstan- „draußen“ ist, sondern dass alle „dazugehö- Wissenschaft ergibt sich logischerwei- denen Inklusion als Reduzierung auf das ren“ und sich auch dazugehörig fühlen. Der se auch Inklusion; denn: keine Inklusion Leben von Menschen mit Behinderung, Anspruch ist nicht gerade gering. Pädago- ohne mehr Gerechtigkeit; keine Inklusion z.B. wenn auf YouTube „Inklusion“ in 80 gik kann dabei viel zum Gelingen beitragen. ohne mehr Frieden (weniger Kriege); kei- Sekunden erklärt wird oder wenn Ranga ne Inklusion ohne mehr Nachhaltigkeit im Yogeshwar bei „Quarks und Co“ im WDR es Theoretischer Hintergrund Umgang mit der Natur sowie im Konsum-, versucht, und wenn es dabei schlicht heißt: Kauf- und Produktionsverhalten, z.B. bei „Inklusion ist, wenn keiner mehr draußen Zu meinem Verständnis von Inklusions- Kleidung. Inklusion zeigt sich damit als in- ist“. (Gemeint ist die Regelschule.) pädagogik müssen zwei Hintergrundin- tegraler Bestandteil von Lebensbezogener formationen erfolgen, und zwar mit Blick Pädagogik und partial-holistischem Wis- Inklusion in Pädagogik und Erziehungs- auf Partial-Holismus und Lebensbezogene senschaftsverständnis. wissenschaft sowie Sozialer Arbeit und Pädagogik. überhaupt dem gesellschaftlichen Le- Auf den Anfang kommt es an! ben betrifft aber alle: Ausländer/-innen Partial-Holismus als wissenschaftstheo- und Inländer/-innen, Migrant/-innen und retische und forschungsmethodische Posi- Nicht zu vernachlässigen ist die Frage: Nichtmigrant/-innen, Schwule, Lesben, tion meint (verkürzt gesagt), dass wir bei Wie und wann entsteht inklusive Kompe- Christ/-innen, Muslime/-innen, Juden/ allen Denk- und Forschungsaktivitäten im- tenz. Menschen kommen wohl nicht da- Jüdinnen, weitere Religionsanhänger/-in- mer den Teil (lateinisch pars) und (!) das mit ausgestattet auf die Welt. Der Mensch 12 nen, Agnostiker/-innen, Europäer/-innen Ganze (griechisch holon) sehen und be- scheint noch weitgehend „animalisch“
ph·fr 2017 geblieben zu sein – mögen wir ihn auch intentionaler Erziehung und Bildung. Ganz bunte Elefant ist nun wieder akzeptiert wie seit über zweitausend Jahren als animal besonders aber sollten Kindergarten und vorher. Bei dem Bildungsgehalt dieses Bil- rationale verstehen wollen. Insofern führt Grundschule didaktische Einheiten durch- derbuches soll sich den Kindern vermit- nichts an einer inklusiven Sozialisation führen, um die Kinder sich inklusiv bilden teln, dass Andersartigkeit und Vielfalt als vorbei, und diese muss in der frühen und zu lassen. Dabei werden sich entsprechend Bereicherung anzusehen sind, nicht aber frühesten Kindheit beginnen. Die Bedeu- Wissen, Können und Einstellungen vermit- als Defizit; außerdem, dass man zu dem tung der ersten sechs Lebensjahre wurde teln. Inklusive Kompetenz wird dann dazu stehen darf und soll, was und wie man ist, seit PISA 2000 noch einmal neu betont, führen, dass Kinder um Vielfalt und An- und dass jeder ein Recht auf seine Art und wenngleich die Theorie der sensiblen Pha- dersartigkeit wissen, dass sie angemessen Identität hat. Mit Hilfe dieses Bilderbuches sen (primäre Lernmotivation, Einmaligkeit damit umgehen können und dass sie die kann in einer oder mehreren didaktischen usw.) seit Jahrzehnten verbreitet ist: volks- Überzeugung und Haltung haben: Hetero- Einheiten das Thema Inklusion mit Tole- tümlich „Was Hänschen nicht lernt …“ o.ä. genität kann in allen Bereichen des Lebens ranz und Solidarität in Kindergarten oder Heute heißt das Motto: Auf den Anfang Reichtum bedeuten. Der inklusiv gebildete Grundschule gut durchgeführt werden. kommt es an. Mensch verfügt also über das erforderliche Außerdem bietet es sich an, mit „Elmar“ Wissen, das nötige Können und die ent- ein längerfristiges Projekt durchzuführen. Insofern inklusive Kompetenz auch und sprechende Einstellung. Die entsprechenden didaktischen Einhei- vor allem eine Frage von Haltung und Ein- ten wurden praktisch mehrmals erprobt stellung ist, muss besonders auch das so- In der Grundschule werden besonders die und erfolgreich evaluiert. ziale Lernen neu betont werden. Pädago- Fächer Religion und Ethik bzw. die betref- gik und Pädagogische Psychologie waren fenden Fächerverbünde sich im Rahmen Weitere Praxisanregungen bereits vor einigen Jahrzehnten in diesem des Theologisierens und Philosophierens Zusammenhang (theoretisch) weit voran- mit dem Inklusionsphänomen befassen Natürlich gibt es eine ganze Reihe von gekommen: Empathie, Rollenflexibilität, und dazu unterrichten. Andererseits muss anderen methodischen Möglichkeiten, dem Normenflexibilität etc. hatten sich als Fach- Inklusion aber in Kindergarten und Grund- Inklusionsauftrag in Kindergarten bzw. begriffe etabliert. Allerdings müssen wir schule auch ein sog. „Quer-Thema“ sein. Grundschule praktisch nachzukommen, heute erkennen, dass dieses so nicht aus- z.B.: „Mischungen“ bei Spielen und Tän- reicht und um Ziele wie Fremdheitskom- Insofern es sich bei Inklusion wesentlich zen, bei Partner- oder Gruppenarbeiten o.ä., petenz, Anerkennungs- und Respektkul- mit um die großen Fragen der Menschheit Paten- bzw. Partnerschaften zwischen Kin- tur, Erziehung und Bildung zum Weltbürger handelt, z.B. Gerechtigkeit, Verschieden- dern verschiedenster Herkunft und deut- etc. in Theorie und Praxis zu ergänzen ist, heit sowie Natur und Ökologie mit Nach- schen Familien, Einladungen nach Hause, vorausgesetzt, Inklusion im umfassenden haltigkeit – Inklusion kann nicht losgelöst z.B. zum Geburtstag des Kindes oder zu ei- Sinne ist wirklich gewollt. Dann muss die- von globaler und holistischer Perspektive nem Fest, Eltern als Mentoren für einzelne se auf allen Ebenen und in allen Bereichen betrachtet werden, es sei denn, man redu- Kinder oder Familien, integrative Feste in stattfinden, besonders aber in der pädago- ziert sie doch auf diese oder jene körperli- Kindergarten und Schule, Elternbrief oder gisch so fruchtbaren Zeit der frühen und che o.ä. Behinderung – und insofern sich Kindergartenzeitung, z.B. zum Thema „Was frühesten Kindheit. Bildung hauptsächlich in einer säkularisier- Kindergarten oder Schule an Inklusion be- ten Welt ereignet, setzt der Autor bei der reits alles tun“, Sprache und Kultur wür- Eine didaktische Einheit bzw. ein Umsetzung der Inklusionspädagogik sehr digen, z.B. dadurch, dass andere Sprachen Projekt auf das Philosophieren mit Kindern (vgl. in Liedern etc. „vorkommen“, Erarbeitung Huppertz/Barleben 2016). Im Folgenden von Themen und Inhalten, z.B. mit Hilfe Wir können – nein, wir müssen – gera- wird deshalb dazu eine ausgewählte di- des Bilderbuches „Bestimmt wird alles gut“ dezu von einer Inklusionspädagogik bzw. daktische Einheit bzw. Projektidee vorge- von Kirsten Boie und Jan Birck zum Thema -didaktik sprechen. Eine solche sollte, wie stellt, die in Kindergarten oder Grundschule „Flucht“ etc. | gezeigt, früh beginnen und stattfinden, mit Hilfe von Bilderbüchern im Rahmen der also vor allem in Familie, Kindergarten entsprechenden Bildungsbereiche bzw. Fä- Literatur bzw. Krippe, aber auch (und nicht zuletzt) cher durchgeführt werden kann. Gebhard, K./Meurer, M.: Lebensbezogene Pädagogik in der Grundschule. Inklusive Bildung und und Partial-Holismus. Bildung und Forschung für Erziehung ereignet sich dabei einerseits im Ausgangspunkt der vorgesehenen di- ein gelingendes Leben. Oberried 2010. - Huppertz, Alltag, gleichsam situativ und ad hoc, an- daktischen Einheit ist das Bilderbuch „El- N.: Der Lebensbezogene Ansatz im Kindergarten. Freiburg 2003. - Ders. (Hg.): Theorie und Forschung dererseits aber auch in didaktischen Ange- mar“ von David McKee (alternativ evtl. in der Sozialen Arbeit. Neuwied: Kriftel 1998. - boten bzw. im Unterricht, wo es mehr oder „Das Vier-Farben-Land“ von Gina Ruck- Huppertz, N./Barleben, M.: Freude am Philosophie- weniger um inszenierte Bildungsaktivitä- Pauquèt und Ulrike Baier). Elmar ist nicht ren. Didaktische Einheiten für Kindergarten und ten geht. Die Erzieherin im Kindergarten grau, wie es sonst bei Elefanten der Fall Grundschule. Münster 2016. - Koelblin, R.: Ovide Decrolys Pädagogik im Vergleich zur heutigen wird auf die inklusive Bildung in Alltag und ist, sondern bunt kariert. Das gefällt ihm Lebensbezogenen Pädagogik. Frankfurt a. Main Freispiel achten, die pädagogische Fach- eines Tages gar nicht mehr, und er wälzt 2011. - Lechner, J.-J.: Ethik und Pädagogik. Die kraft der Grundschule weiß um das gehei- sich in grauer Farbe, so dass er aussieht philosophisch-anthropologische Ethik Hans Rei- me Curriculum von Schulhof, Pause sowie wie jeder „gewöhnliche“ Elefant. Die üb- ners und ihre Bedeutung für eine Lebensbezogene Pädagogik. Hamburg 2005. - Mührel, E./Birgmeier, von „Schulweg“ oder Heimweg. In der klas- rigen Elefanten aus der Herde sind damit B. (Hg.): Theorien der Sozialpädagogik. Ein Theorie- sischen Pädagogik kannte man demgemäß jedoch nicht einverstanden und wünschen Dilemma? Wiesbaden 2009. - Portmann, R.: Die 50 die Unterscheidung von funktionaler und sich wieder ihren „alten“ Elmar zurück. Der besten Spiele zur Inklusion. München 2013. 13
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