Selbsthilfeforschung im Bereich der Krebs-Selbsthilfe
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Mensch und Gesundheit Selbsthilfeforschung im Bereich der Krebs-Selbsthilfe Lena Binkowski, Dr. rer. medic. Andrea Kiemen, Theresa Baadte, Prof. Dr. phil. Joachim Weis Hintergrund bezogener Selbsthilfe lassen sich die indi- re für den deutschsprachigen Raum erst in viduelle und gemeinschaftliche Selbsthilfe den Anfängen befindet. Sieht man einmal In gesundheitsbezogenen Selbsthilfegrup- unterscheiden. Die individuelle Selbsthilfe von den Fragen der Grundlagen der pen (SHG) schließen sich Menschen mit umf asst sowohl individuelle als auch ge- Selbsthilf e ab, lässt sich die Erf orschung unterschiedlichen psychischen oder kör- meinschaf tliche Handlungsf ormen inner- der Selbsthilfe im Wesentlichen im Bereich perlichen Erkrankungen zusammen, um halb natürlicher sozialer Gebilde (z. B. Fa- der Versorgungs- und Evaluationsf or- sich wechselseitig zu unterstützen und milie), die auf Erfahrungswissen und eige- schung verorten. Auf gabe der 2017 ein- sich über krankheitsbezogene Informatio- nen Ressourcen im Umgang mit der Er- gerichteten Stiftungsprofessur für Selbst- nen auszutauschen. Nach einer Definition krankung und deren Folgeproblemen be- hilf ef orschung am Universitätsklinikum der Spitzenverbände der Krankenkassen ruhen. Eine Vielzahl von Konzepten wie Freiburg (gef ördert durch die Deutsche sind SHG f reiwillige Zusammenschlüsse Patient*innenkompetenz1, Gesundheits- Krebshilf e) ist es, die verschiedenen As- von Menschen auf örtlicher oder regiona- kompetenz, Empowerment, Selbstwirk- pekte der individuellen und gemeinschaft- ler Ebene mit dem Ziel, sich gegenseitig in samkeit oder Krankheitsbewältigung lichen Selbsthilf e wissenschaf tlich zu un- der Bewältigung einer Erkrankung oder (englisch „coping“) lassen sich der indivi- tersuchen und hierbei sowohl die Prozess- psychischen Belastungssituation, von de- duellen Selbsthilf e zuordnen. Gemein- charakteristika als auch die Wirksamkeit nen sie entweder selbst oder als Angehöri- schaftliche Selbsthilfe umfasst individuelle in den Mittelpunkt zu rücken. Der Schwer- ge betrof f en sind, zu unterstützen [1]. und gemeinschaf tliche Handlungsf ormen punkt der Stiftungsprofessur liegt im The- SHG werden somit nicht von Professionel- im Rahmen von eigens zu diesem Zweck menbereich Patient*innenkompetenz und len (z. B. Ärztinnen und Ärzten, Thera- geschaf f enen sozialen Strukturen (z. B. Krebs-Selbsthilfe. peutinnen und Therapeuten) geleitet, SHG, Selbsthilfeorganisationen oder -ver- Im Folgenden werden ausgewählte Berei- können aber bei Bedarf Experten zu be- bände), deren Aktivitäten sich auf die ge- che der Selbsthilf ef orschung im Schwer- stimmten Fragestellungen zu Rate ziehen. meinsame Bewältigung von Krankheiten punkt Onkologie überblicksartig vorge- Daher gilt die Selbsthilf e-Unterstützung und/oder psychischen Problemen richten stellt. als ein Modell der gegenseitigen Hilfe auf und darüber hinaus auch gesundheitspoli- der Grundlage gemeinsamer Erfahrungen tische Ziele verfolgen [6]. Struktur und Bedarf [2]. Die Auf gaben der Krebs-Selbsthilf e in Die geteilte persönliche Erf ahrung bietet Deutschland sind vielfältig und lassen sich In Deutschland hat die organisierte Selbst- Wissen und Informationsaustausch, sozia- über die Besonderheiten und Schwer- hilf e, insgesamt gesehen, an Akzeptanz le Interaktion, emotionale Unterstützung punktsetzungen einzelner Gruppen und gewonnen und gilt heute als wichtiger Teil oder praktische Hilf e sowie Ermutigung Verbände hinweg wie f olgt zusammen- psychosozialer Unterstützung von Krebs- zur Überwindung der Krankheit [3, 4]. fassen: betrof f enen in Ergänzung des prof essio- Selbsthilfe-Unterstützung kann dabei per- • Psychosoziale Unterstützung von Be- nellen Versorgungssystems. Angesichts sönlich in Präsenz, online oder per Telefon troffenen und Angehörigen. dieser wachsenden Bedeutung und Pro- erfolgen [5]. • Vermittlung von Information und Wis- fessionalisierung entstehen für die Selbst- Die gesundheitsbezogene Selbsthilfe ver- sen über die Erkrankung und deren Be- hilfe und ihre unterschiedlichen Organisa- f olgt neben dem Ziel der psychosozialen handlung durch persönliche Erfahrung tionsformen neue Chancen, aber auch He- Unterstützung der Einzelnen in der Bewäl- und über verschiedene Medien. rausf orderungen. Die Erf orschung der tigung der Krankheit und ihrer Folgen • Vertretung der Interessen von Krebs- Strukturen der organisierten Selbsthilf e auch das Ziel der gesundheitspolitischen erkrankten in sozial- und gesundheits- und von Fragen des Bedarfs wird von vie- Einf lussnahme. Im Kontext gesundheits- politischen Gremien. len Fachvertreterinnen und -vertretern Vor dem Hintergrund der Bedeutung der sowie von den Betrof f enenverbänden als 1 Die Autorinnen und Autoren dieses gesundheitsbezogenen Selbsthilf e in un- notwendig angesehen – auch um Heraus- Beitrags hatten diesen in gegenderter serem Gesundheits- oder Sozialsystem forderungen besser begegnen zu können. Form mit „Gendersternchen“ einge- liegt es nahe, dass das Thema Selbsthilfe Damit neue zielgruppenspezifische Ange- reicht. Dies wurde redaktionell an das in den vergangenen beiden Jahrzehnten bote der organisierten Selbsthilf e entwi- HÄBL-Layout angepasst, bis auf den immer wieder auch Gegenstand von For- ckelt werden können, ist es zudem erfor- Begri f f „Patient*innenkompetenz“. schungsaktivitäten war und ist. derlich, sich mit den Bedürfnissen der Be- Dessen Schreibweise hat sich sozialwis- Die Forschung im Bereich der Krebs- troffenen auseinanderzusetzen. senschaf tlich eingebürgert, außerdem Selbsthilfe stellt hierbei ein breit gefächer- Eine in jüngerer Zeit durchgef ührte ist ein Forschungsprojekt so benannt. tes Auf gabengebiet dar, das sich jedoch Struktur- und Bedarfsanalyse zur gesund- sowohl international als auch insbesonde- heitsbezogenen Selbsthilf e in Deutsch- 172 | Hessisches Ärzteblatt 3/2021
Selbsthilfe land befasst sich mit der Entwicklung, der bung wird voraussichtlich jetzt, Anf ang wissenschaf tlich evaluiert. Im Rahmen aktuellen Situation sowie den Perspekti- 2021, beginnen. lau f ender Forschungsprojekte werden ven der Selbsthilf e [7]. Dabei zeigt sich derzeit Programme wie beispielsweise die unter anderem, dass Selbsthilf e bei Be- Wirksamkeit der Unterstützung isPO-Onkolotsen [15] oder Peer2Me troffenen und deren Angehörigen zu Ent- durch Gleichbetroffene [16], ein Peer Mentoring f ür junge Er- lastungen f ührt und insgesamt die Infor- wachsene mit Krebs, implementiert und miertheit der Bevölkerung über Erkran- Studien zur Überprüf ung der Ef f ektivität wissenschaftlich evaluiert. kungen, Diagnostik und Behandlungs- verschiedener Angebote der Krebs- Auch an der Stiftungsprofessur für Selbst- möglichkeiten erhöht. Gleichzeitig ist die Selbsthilf e sind selten und konzentrieren hilf ef orschung wird aktuell in dem For- Selbsthilf e jedoch auch mit steigenden sich weitestgehend auf die Identif ikation schungsprojekt ExPEERtise der Frage Herausf orderungen kon f rontiert und von möglichen Wirkfaktoren oder auf die nachgegangen, inwieweit eine Einzelbera- künf tig auf nachhaltige f inanzielle und gezielte Überprüfung der durch Selbsthil- tung durch geschulte ehemalige Krebspa- politische Unterstützung angewiesen. In fe erreichten Veränderungen, z. B. im Be- tienten zur Unterstützung und Stärkung der Studie wurden aus dem Bereich onko- reich des Wissensstandes, der gesund- der Patient*innenkompetenz von Gleich- logischer Erkrankungen Prostatakrebspa- heitsbezogenen Lebensqualität oder der betroffenen beitragen kann. tienten als eine von fünf befragten Unter- psychischen Gesundheit der Teilnehmen- Ziel des Forschungsprojektes ist die Ent- suchungsgruppen ausgewählt. Einen stär- den. Kontrolliert randomisierte Studien wicklung, modellhafte Erprobung in einer keren Fokus auf Krebsbetroffene legt das zur Überprüf ung der Ef f ektivität von Region und wissenschaf tliche Evaluation aktuell lauf ende Projekt „Gesundheits- Selbsthilfeaktivitäten sind dabei selten; es eines Schulungsprogramms f ür ehemals kompetenz, Selbsthilf eaktivitäten und f inden sich überwiegend retrospektive Erkrankte (sogenannte Selbsthil f e- Versorgungserfahrung von Menschen mit Vergleichs- oder Beobachtungsstudien. So Coaches) zur Einzelberatung und psycho- Krebs“ von Kof ahl et al. [8]. Die Studie konnten nicht-randomisierte Vergleichs- sozialen Unterstützung von Gleichbetrof- untersucht, wie Selbsthilfeaktivitäten und studien an Patientinnen mit Brustkrebs fenen. Dieses Programm versteht sich als andere Unterstützungsmöglichkeiten die zeigen, dass Teilnehmende von SHG, ein- Gesundheitskompetenz und Krankheits- schließlich Online-Gruppen, verringerte bewältigung von Betrof f enen stärken Angst- und Depressionswerte, höhere Le- können. Da das Projekt noch nicht abge- bensqualität sowie ein größeres krank- schlossen ist, steht eine Publikation der heitsspezif isches Wissen im Vergleich zu Ergebnisse noch aus. An der Stiftungspro- Nicht-Teilnehmenden aufweisen [9–11]. f essur Selbsthilf ef orschung wird der Fra- Weiterhin konnten Bef ragungen an Pa- ge nachgegangen, wie die Patient*innen- tienten mit Prostatakrebs zeigen, dass Foto: © rikkyal – stock.adobe.com kompetenz von Krebspatientinnen und Mitglieder von SHG im Vergleich zu Nicht- -patienten sowie Überlebenden gestärkt Mitgliedern mehr über Patientenrechte und Unterstützungsangebote der organi- und über die Erkrankung allgemein wis- sierten Selbsthilf e (weiter-)entwickelt sen. Dieses Wissen war unabhängig von werden können. Hierf ür werden im Rah- Schulbildung und Alter der Patienten oder men des aktuell lauf enden Forschungs- der Schwere der Erkrankung [12]. projekts „Krebs-Selbsthilf e & Patient*in- Eine Form der Selbsthilf e, die in ersten nenkompetenz: eKSPlore“ die Strukturen Studien als effektiv nachgewiesen wurde, der Selbsthilf e untersucht sowie der Un- ist die Einzelberatung und -begleitung von selbsthilfebasiertes Angebot in Ergänzung terstützungsbedarf und die Herausforde- akut Erkrankten durch Gleichbetrof f ene. bestehender prof essioneller psychoonko- rungen an die individuelle und gemein- Insgesamt zeigt sich bei der Evaluation logischer Angebote. schaf tliche Patient*innenkompetenz er- solcher Programme eine hohe Zufrieden- mittelt. Darüber hinaus sollen Themen heit auf Seiten der akut Erkrankten und Digitale Selbsthilfe-Angebote identifiziert werden, die für die zukünfti- der gleichbetrof fenen Begleiterinnen und ge Entwicklung der Krebs-Selbsthilfe be- Begleiter (z. B. [13]). Die eigene Betrof - In den vergangenen Jahren haben auch di- deutsam sind. Zielgruppen der Studie f enheit der Begleitenden wird dabei von gitale Selbsthilf e-Angebote zunehmend sind die Vertreterinnen und Vertreter von Patienten in akuter Krankheitssituation als an Bedeutung gewonnen [17, 18]. Das Selbsthilf eorganisationen auf den ver- sehr wichtig bewertet und scheint daher Spektrum reicht dabei von digitalen Infor- schiedenen Ebenen der Bundes- oder ein wichtiger Wirkfaktor zu sein [14]. mationsmöglichkeiten z. B. auf der Websi- Landesorganisation sowie auf Gruppen- In Deutschland werden bundesweit derar- te eines Selbsthilfeverbandes bis zu inter- ebene. Ebenso werden Krebsbetrof f ene, tige Programme und Besuchsdienste mit aktiven Kommunikationsf ormaten (Live die nicht in der Selbsthilf e aktiv sind, in dem Ziel der Begleitung und Unterstüt- Chats, Diskussionsforen, Mailinglisten, So- die Untersuchung einbezogen. Die zung von akut Betroffenen durch ehemals cial-Media-Profilseiten etc.), die einen ge- Durchf ührung der quantitativen Erhe- an Krebs Erkrankte von Selbsthilfeverbän- genseitigen Austausch zwischen Men- den angeboten, aber bisher nur selten schen mit ähnlichem Unterstützungsbe- Hessisches Ärzteblatt 3/2021 | 173
Selbsthilfe dürfnis ermöglichen [19]. Betroffene kön- nahme an derartigen Gruppen für Thera- Prozessmerkmalen sowie zur Identif ikati- nen dabei zeit- und ortsunabhängig mitei- pieentscheidungen sowie f ür das soziale on von möglichen Wirkfaktoren liegen nur nander kommunizieren. Insbesondere Umfeld der Patienten bedeutsam ist [21]. wenige randomisierte Studien zur Über- wenn Gruppentreffen – wie etwa im Rah- Nutzerinnen und Nutzer digitaler Formate prüf ung der Wirksamkeit von Selbsthilfe- men der Covid-19-Pandemie – nicht in müssen sich nicht aktiv beteiligen, son- angeboten vor und diese fokussieren pri- gewohnter Form stattfinden können, bie- dern können beispielsweise in Online-Fo- mär die methodisch leichter zu erf assen- ten digitale Formate Mittel und Wege für ren anonym Beiträge verfassen oder lesen, den Online-Angebote. Trotz einiger posi- persönlichen Austausch trotz räumlicher ohne sich selbst als Betroffene zu offenba- tiver Entwicklungen in jüngerer Zeit ist die Distanz. Im Rahmen einer kürzlich abge- ren [22]. Eine Studie, in der der subjektive wissenschaftliche Evidenz noch relativ ge- schlossenen bundesweiten Be f ragung Nutzen von Foren u. a. in Abhängigkeit ring, zugleich der Bedarf an wissenschaft- wurden die Möglichkeiten und Grenzen der aktiven Beteiligung untersucht wurde, lichen Erkenntnissen f ür die Weiterent- ergab jedoch, dass sich aktiv einbringende wicklung der Selbsthilfe sehr groß. Anwender einen höheren subjektiven Da künf tig mit einem Anstieg bzw. Aus- Nutzen aus den Angeboten ziehen als pas- bau digitaler Angebote zu rechnen ist, sive Beobachter [23]. wird die wissenschaf tliche Erprobung Ähnliche Ergebnisse zeigte auch eine und Begleitung in nächster Zukunft wei- Längsschnittstudie, in der das Kommuni- terhin eine wichtige Rolle spielen. Ein be- kationsverhalten innerhalb von Online- deutsamer, aber bisher nicht ausreichend Selbsthil f egruppen (OSG) untersucht erforschter Bereich ist zudem die organi- Foto: © bluedesign – stock.adobe.com wurde: Eine aktive Auseinandersetzung satorische und strukturelle Integration der Patienten mit Emotionen und Gedan- von Selbsthilfeangeboten in die onkologi- ken korreliert hier positiv mit psychischem sche Versorgung sowie deren Optimie- Wohlbef inden, während das Vermeiden rung. Wichtige Fragen sind hierbei, in- von krankheitsbezogenen Gedanken oder wieweit Patientenvertreter in die neuen geringerem emotionalen Ausdruck nega- Strukturen onkologischer Versorgung tiv korreliert ist [24]. Im Rahmen eines wie beispielsweise Tumorboards oder in Reviews zur Wirkung von OSG konnten in Gremien zur Planung und Durchf ührung Studien keine Belege dafür gefunden wer- klinischer Studien integriert werden kön- der Digitalisierung in der gesundheitlichen den, dass die Teilnahme an einer OSG im nen. Forschungsprojekte können hier Selbsthilfe untersucht [20]. In der Bef ra- Vergleich zu einer Kontrollgruppe sich po- durch Modellerprobung bzw. Ef f ektivi- gung wurden insgesamt 119 Selbsthilf e- sitiv auf Depressivität, Lebensqualität tätsstudien Aufschluss geben, ob Patien- organisationen aus dem Gesundheitsbe- oder Angstwerte auswirkt [9]. ten sich durch integrierte Selbsthilfe-An- reich berücksichtigt, davon 15 aus dem Auch die Machbarkeitsprüfung einer nicht gebote besser betreut f ühlen und Bereich Krebs-Selbsthilf e. Die Ergebnisse moderierten OSG bei Frauen mit Brust- Schnittstellen zwischen stationärer und weisen darauf hin, dass Selbsthilfeorgani- krebs zeigte keine signifikanten Verände- ambulanter Versorgung besser über- sationen bereits vielfache Erfahrungen mit rungen bezüglich Distress oder Lebens- brückt werden können. digitalen Medien bzw. Tools gesammelt qualität nach vier Monaten im Vergleich Darüber hinaus ist die Entwicklung und Er- haben und einzelnen Tools von der Mehr- zur Kontrollgruppe [25]. Die Autorinnen forschung von Versorgungskonzepten für heit der Anwender ein hoher oder sehr und Autoren schlussfolgern, dass die Mo- die Krebsüberlebenden (Cancer Survivor) hoher Nutzen bescheinigt wird. deration bei Online-Angeboten eine wich- ein wichtiges Thema für die Zukunft. Die Neben dem Nutzen wird von Problemen tige Bedeutung für den Erfolg haben kann. Anzahl der Tumorpatienten, die erf olg- wie etwa fehlenden Ressourcen oder Fra- Insgesamt verfügen wir derzeit noch über reich behandelt wurden oder aber mit ei- gen des Datenschutzes berichtet. Bisheri- zu wenig wissenschaf tlich f undierte Er- ner Krebserkrankung über viele Jahre le- ge Forschung im Zusammenhang mit digi- kenntnisse zu den Prozessen und Effekten ben können, steigt stetig [26]. Je nach Art talen Angeboten im Bereich Krebs-Selbst- von Online-Angeboten in der Krebs- der Erkrankung oder Therapie können hilf e konzentriert sich einerseits auf die Selbsthilfe. sehr unterschiedliche psychosoziale Fol- Identif ikation von Wirk- und Prozessf ak- gestörungen auf treten, z. B. Fatigue, de- toren oder Fragen der Akzeptanz, ande- Ausblick pressive Verstimmungen, Angst vor einem rerseits aber auch auf die Ef f ektivität in Rezidiv oder einer Progredienz der Er- Bezug auf verschiedene Ergebniskriterien. Wie der Überblick gezeigt hat, konzen- krankung und/oder kognitive Einschrän- Ein aktuelles Review zu Online-Selbsthilfe triert sich die Erforschung der krankheits- kungen. Diese Probleme stellen hohe An- f ür Patienten mit Prostatakrebs zeigt, bezogenen Selbsthilfe im Bereich der On- f orderungen an die Betrof f enen im Hin- dass in virtuellen SHG der Inf ormations- kologie auf verschiedene Inhaltsbereiche blick auf die Integration in den Alltag und/ austausch sowie das Teilen emotionaler und bef indet sich, insgesamt gesehen, oder das Berufsleben sowie die Änderun- Inhalte und gegenseitige Unterstützung erst in den Anfängen. Neben einigen viel- gen des Lebenstils. Neben der prof essio- eine wichtige Rolle spielen und die Teil- versprechenden Studien zu Struktur- und nellen Beratung und Behandlung können 174 | Hessisches Ärzteblatt 3/2021
Selbsthilfe Angebote der Selbsthilf e einen wesentli- nen und deren wissenschaftliche Evaluati- sourcen und Freizeitaktivitäten, aber chen Beitrag hierbei leisten. Der Erf ah- on stellen hierf ür notwendige Vorausset- auch Schwierigkeiten im Umgang mit der rungsaustausch in Selbsthil f egruppen zungen dar. emotionalen Reaktion von Betrof f enen kann eine psychosoziale Unterstützungs- Die Selbsthilf ef orschung kann hierzu ins- auf die Diagnose sowie eine f ehlende quelle für die Bewältigung und Anpassung gesamt einen wesentlichen Beitrag leis- Auf klärung und Einbindung bei der Be- an die geänderte Lebenssituation darstel- ten, indem sie qualitative und quantitative handlung der Betroffenen können Fakto- len. Die modellhaf te Erprobung und wis- Forschungsmethoden bereitstellt und ge- ren sein, die die psychische und körperli- senschaf tliche Evaluation derartiger meinsam mit den Patientenvertretern che Überlastung der Angehörigen ver- Selbsthilfeangebote ist eine wichtige Auf- Strategien und wissenschaf tlich begrün- stärken [29]. gabe der zukünf tigen Selbsthilf fe or- dete Konsentierungsprozesse erarbeitet Vor diesem Hintergrund sind die Angehö- schung. und umsetzt. rigen auch eine Zielgruppe für die profes- Die Beteiligung von Patienten an medizi- sionellen psychoonkologischen Unterstüt- nischen Entscheidungsprozessen und an Einbindung von Angehörigen zungsangebote. Wir verfügen jedoch über wissenschaf tlichen Studien wird von Pa- noch zu wenig Erkenntnisse, inwieweit tientenvertretern zunehmend eingef or- Ein weiteres Thema f ür die zukünf tige Angehörige auch von Angeboten der dert und stellt eine neue Herausforderung Selbsthilf ef orschung ist die Einbindung Selbsthilf e prof itieren können. Daher ist für alle Beteiligten in diesen Bereichen dar. der Angehörigen von Betroffenen im Rah- die Untersuchung der Rolle der Angehöri- Innerhalb der Krebsf orschung sorgt das men der organisierten Selbsthilfe. Je nach gen in der organisierten Selbsthilf e auch Konzept der Patientenbeteiligung daf ür, Krankheitsverlauf und Krankheitsphase eine wichtige Auf gabe der Selbsthilf ef or- dass in der Entwicklung medizinischer und des Betrof f enen f inden sich Angehörige schung. technologischer Möglichkeiten f ür Diag- häuf ig in der Rolle der Unterstützenden Lena Binkowski, M. Sc. nostik, Behandlung und Pflege die Bedürf- oder Pflegenden und sind mit existenziel- Dr. rer. medic. Andrea Kiemen nisse und Prioritäten der von Krebs be- len Ängsten, Sorgen und Gef ühlen von Theresa Baadte, M. Sc. troffenen Menschen angemessen berück- Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Überfor- Prof. Dr. phil. Joachim Weis sichtigt werden. Jedoch stellt die Beteili- derung konfrontiert [27]. gung von Patienten an die engagierten Zusätzlich zur eigenen körperlichen und Interdisziplinäres Tumorzentrum – CCCF Betrof f enen Anf orderungen zum Beispiel emotionalen Belastung müssen Angehö- Stiftungsprofessur Selbsthilfeforschung im Hinblick auf medizinisches Grundwis- rige krebskranker Menschen of tmals Universitätsklinikum Freiburg sen, Grundlagen klinischer Studien, ver- komplexe Auf gaben in der Betreuung Hugstetterstr. 50, 79106 Freiburg, E-Mail: sorgungsorientierte Kenntnisse sowie übernehmen und einen hohen Grad an andrea.kiemen@uniklinik-freiburg.de Kenntnisse über den Umgang mit digita- instrumenteller, sozialer und vor allem len Medien und Grundlagen der Qualitäts- emotionaler Unterstützung f ür die Be- sicherung. Themenspezif ische Seminare trof f enen selbst leisten [28]. Fehlende Die Literaturhinweise f inden Sie auf und Fortbildungen f ür Patientenvertreter soziale Unterstützung, f amiliäre Konf lik- unserer Website www.laekh.de unter und Mitglieder von Selbsthilfeorganisatio- te, finanzielle Probleme, Verlust von Res- der Rubrik „Hessisches Ärzteblatt“. Hessisches Ärzteblatt 3/2021 | 175
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