Selbsthilfeforschung im Bereich der Krebs-Selbsthilfe

 
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Selbsthilfeforschung im Bereich der Krebs-Selbsthilfe
Mensch und Gesundheit

Selbsthilfeforschung im Bereich der Krebs-Selbsthilfe
Lena Binkowski, Dr. rer. medic. Andrea Kiemen, Theresa Baadte, Prof. Dr. phil. Joachim Weis

Hintergrund                                   bezogener Selbsthilfe lassen sich die indi-      re für den deutschsprachigen Raum erst in
                                              viduelle und gemeinschaftliche Selbsthilfe       den Anfängen befindet. Sieht man einmal
In gesundheitsbezogenen Selbsthilfegrup-      unterscheiden. Die individuelle Selbsthilfe      von den Fragen der Grundlagen der
pen (SHG) schließen sich Menschen mit         umf asst sowohl individuelle als auch ge-        Selbsthilf e ab, lässt sich die Erf orschung
unterschiedlichen psychischen oder kör-       meinschaf tliche Handlungsf ormen inner-         der Selbsthilfe im Wesentlichen im Bereich
perlichen Erkrankungen zusammen, um           halb natürlicher sozialer Gebilde (z. B. Fa-     der Versorgungs- und Evaluationsf or-
sich wechselseitig zu unterstützen und        milie), die auf Erfahrungswissen und eige-       schung verorten. Auf gabe der 2017 ein-
sich über krankheitsbezogene Informatio-      nen Ressourcen im Umgang mit der Er-             gerichteten Stiftungsprofessur für Selbst-
nen auszutauschen. Nach einer Definition      krankung und deren Folgeproblemen be-            hilf ef orschung am Universitätsklinikum
der Spitzenverbände der Krankenkassen         ruhen. Eine Vielzahl von Konzepten wie           Freiburg (gef ördert durch die Deutsche
sind SHG f reiwillige Zusammenschlüsse        Patient*innenkompetenz1, Gesundheits-            Krebshilf e) ist es, die verschiedenen As-
von Menschen auf örtlicher oder regiona-      kompetenz, Empowerment, Selbstwirk-              pekte der individuellen und gemeinschaft-
ler Ebene mit dem Ziel, sich gegenseitig in   samkeit oder Krankheitsbewältigung               lichen Selbsthilf e wissenschaf tlich zu un-
der Bewältigung einer Erkrankung oder         (englisch „coping“) lassen sich der indivi-      tersuchen und hierbei sowohl die Prozess-
psychischen Belastungssituation, von de-      duellen Selbsthilf e zuordnen. Gemein-           charakteristika als auch die Wirksamkeit
nen sie entweder selbst oder als Angehöri-    schaftliche Selbsthilfe umfasst individuelle     in den Mittelpunkt zu rücken. Der Schwer-
ge betrof f en sind, zu unterstützen [1].     und gemeinschaf tliche Handlungsf ormen          punkt der Stiftungsprofessur liegt im The-
SHG werden somit nicht von Professionel-      im Rahmen von eigens zu diesem Zweck             menbereich Patient*innenkompetenz und
len (z. B. Ärztinnen und Ärzten, Thera-       geschaf f enen sozialen Strukturen (z. B.        Krebs-Selbsthilfe.
peutinnen und Therapeuten) geleitet,          SHG, Selbsthilfeorganisationen oder -ver-        Im Folgenden werden ausgewählte Berei-
können aber bei Bedarf Experten zu be-        bände), deren Aktivitäten sich auf die ge-       che der Selbsthilf ef orschung im Schwer-
stimmten Fragestellungen zu Rate ziehen.      meinsame Bewältigung von Krankheiten             punkt Onkologie überblicksartig vorge-
Daher gilt die Selbsthilf e-Unterstützung     und/oder psychischen Problemen richten           stellt.
als ein Modell der gegenseitigen Hilfe auf    und darüber hinaus auch gesundheitspoli-
der Grundlage gemeinsamer Erfahrungen         tische Ziele verfolgen [6].                      Struktur und Bedarf
[2].                                          Die Auf gaben der Krebs-Selbsthilf e in
Die geteilte persönliche Erf ahrung bietet    Deutschland sind vielfältig und lassen sich      In Deutschland hat die organisierte Selbst-
Wissen und Informationsaustausch, sozia-      über die Besonderheiten und Schwer-              hilf e, insgesamt gesehen, an Akzeptanz
le Interaktion, emotionale Unterstützung      punktsetzungen einzelner Gruppen und             gewonnen und gilt heute als wichtiger Teil
oder praktische Hilf e sowie Ermutigung       Verbände hinweg wie f olgt zusammen-             psychosozialer Unterstützung von Krebs-
zur Überwindung der Krankheit [3, 4].         fassen:                                          betrof f enen in Ergänzung des prof essio-
Selbsthilfe-Unterstützung kann dabei per-     • Psychosoziale Unterstützung von Be-            nellen Versorgungssystems. Angesichts
sönlich in Präsenz, online oder per Telefon       troffenen und Angehörigen.                   dieser wachsenden Bedeutung und Pro-
erfolgen [5].                                 • Vermittlung von Information und Wis-           fessionalisierung entstehen für die Selbst-
Die gesundheitsbezogene Selbsthilfe ver-          sen über die Erkrankung und deren Be-        hilfe und ihre unterschiedlichen Organisa-
f olgt neben dem Ziel der psychosozialen          handlung durch persönliche Erfahrung         tionsformen neue Chancen, aber auch He-
Unterstützung der Einzelnen in der Bewäl-         und über verschiedene Medien.                rausf orderungen. Die Erf orschung der
tigung der Krankheit und ihrer Folgen         • Vertretung der Interessen von Krebs-           Strukturen der organisierten Selbsthilf e
auch das Ziel der gesundheitspolitischen          erkrankten in sozial- und gesundheits-       und von Fragen des Bedarfs wird von vie-
Einf lussnahme. Im Kontext gesundheits-           politischen Gremien.                         len Fachvertreterinnen und -vertretern
                                              Vor dem Hintergrund der Bedeutung der            sowie von den Betrof f enenverbänden als
 1 Die  Autorinnen und Autoren dieses         gesundheitsbezogenen Selbsthilf e in un-         notwendig angesehen – auch um Heraus-
 Beitrags hatten diesen in gegenderter        serem Gesundheits- oder Sozialsystem             forderungen besser begegnen zu können.
 Form mit „Gendersternchen“ einge-            liegt es nahe, dass das Thema Selbsthilfe        Damit neue zielgruppenspezifische Ange-
 reicht. Dies wurde redaktionell an das       in den vergangenen beiden Jahrzehnten            bote der organisierten Selbsthilf e entwi-
 HÄBL-Layout angepasst, bis auf den           immer wieder auch Gegenstand von For-            ckelt werden können, ist es zudem erfor-
 Begri
   f f        „Patient*innenkompetenz“.       schungsaktivitäten war und ist.                  derlich, sich mit den Bedürfnissen der Be-
 Dessen Schreibweise hat sich sozialwis-      Die Forschung im Bereich der Krebs-              troffenen auseinanderzusetzen.
 senschaf tlich eingebürgert, außerdem        Selbsthilfe stellt hierbei ein breit gefächer-   Eine in jüngerer Zeit durchgef ührte
 ist ein Forschungsprojekt so benannt.        tes Auf gabengebiet dar, das sich jedoch         Struktur- und Bedarfsanalyse zur gesund-
                                              sowohl international als auch insbesonde-        heitsbezogenen Selbsthilf e in Deutsch-

172 | Hessisches Ärzteblatt 3/2021
Selbsthilfeforschung im Bereich der Krebs-Selbsthilfe
Selbsthilfe

land befasst sich mit der Entwicklung, der     bung wird voraussichtlich jetzt, Anf ang                                            wissenschaf tlich evaluiert. Im Rahmen
aktuellen Situation sowie den Perspekti-       2021, beginnen.                                                                     lau
                                                                                                                                     f ender Forschungsprojekte werden
ven der Selbsthilf e [7]. Dabei zeigt sich                                                                                         derzeit Programme wie beispielsweise die
unter anderem, dass Selbsthilf e bei Be-       Wirksamkeit der Unterstützung                                                       isPO-Onkolotsen [15] oder Peer2Me
troffenen und deren Angehörigen zu Ent-        durch Gleichbetroffene                                                              [16], ein Peer Mentoring f ür junge Er-
lastungen f ührt und insgesamt die Infor-                                                                                          wachsene mit Krebs, implementiert und
miertheit der Bevölkerung über Erkran-          Studien zur Überprüf ung der Ef f ektivität                                        wissenschaftlich evaluiert.
kungen, Diagnostik und Behandlungs-             verschiedener Angebote der Krebs-                                                  Auch an der Stiftungsprofessur für Selbst-
möglichkeiten erhöht. Gleichzeitig ist die      Selbsthilf e sind selten und konzentrieren                                         hilf ef orschung wird aktuell in dem For-
Selbsthilf e jedoch auch mit steigenden         sich weitestgehend auf die Identif ikation                                         schungsprojekt ExPEERtise der Frage
Herausf orderungen kon      f rontiert und      von möglichen Wirkfaktoren oder auf die                                            nachgegangen, inwieweit eine Einzelbera-
künf tig auf nachhaltige f inanzielle und       gezielte Überprüfung der durch Selbsthil-                                          tung durch geschulte ehemalige Krebspa-
politische Unterstützung angewiesen. In         fe erreichten Veränderungen, z. B. im Be-                                          tienten zur Unterstützung und Stärkung
der Studie wurden aus dem Bereich onko-         reich des Wissensstandes, der gesund-                                              der Patient*innenkompetenz von Gleich-
logischer Erkrankungen Prostatakrebspa-         heitsbezogenen Lebensqualität oder der                                             betroffenen beitragen kann.
tienten als eine von fünf befragten Unter-      psychischen Gesundheit der Teilnehmen-                                             Ziel des Forschungsprojektes ist die Ent-
suchungsgruppen ausgewählt. Einen stär-         den. Kontrolliert randomisierte Studien                                            wicklung, modellhafte Erprobung in einer
keren Fokus auf Krebsbetroffene legt das        zur Überprüf ung der Ef f ektivität von                                            Region und wissenschaf tliche Evaluation
aktuell lauf ende Projekt „Gesundheits-         Selbsthilfeaktivitäten sind dabei selten; es                                       eines Schulungsprogramms f ür ehemals
kompetenz, Selbsthilf eaktivitäten und         f inden sich überwiegend retrospektive                                              Erkrankte       (sogenannte     Selbsthil
                                                                                                                                                                         f e-
Versorgungserfahrung von Menschen mit           Vergleichs- oder Beobachtungsstudien. So                                           Coaches) zur Einzelberatung und psycho-
Krebs“ von Kof ahl et al. [8]. Die Studie       konnten nicht-randomisierte Vergleichs-                                            sozialen Unterstützung von Gleichbetrof-
untersucht, wie Selbsthilfeaktivitäten und      studien an Patientinnen mit Brustkrebs                                             fenen. Dieses Programm versteht sich als
andere Unterstützungsmöglichkeiten die          zeigen, dass Teilnehmende von SHG, ein-
Gesundheitskompetenz und Krankheits-            schließlich Online-Gruppen, verringerte
bewältigung von Betrof f enen stärken           Angst- und Depressionswerte, höhere Le-
können. Da das Projekt noch nicht abge-         bensqualität sowie ein größeres krank-
schlossen ist, steht eine Publikation der       heitsspezif isches Wissen im Vergleich zu
Ergebnisse noch aus. An der Stiftungspro-       Nicht-Teilnehmenden aufweisen [9–11].
f essur Selbsthilf ef orschung wird der Fra-    Weiterhin konnten Bef ragungen an Pa-
ge nachgegangen, wie die Patient*innen-         tienten mit Prostatakrebs zeigen, dass
                                                                                               Foto: © rikkyal – stock.adobe.com

kompetenz von Krebspatientinnen und             Mitglieder von SHG im Vergleich zu Nicht-
-patienten sowie Überlebenden gestärkt          Mitgliedern mehr über Patientenrechte
und Unterstützungsangebote der organi-          und über die Erkrankung allgemein wis-
sierten Selbsthilf e (weiter-)entwickelt        sen. Dieses Wissen war unabhängig von
werden können. Hierf ür werden im Rah-          Schulbildung und Alter der Patienten oder
men des aktuell lauf enden Forschungs-          der Schwere der Erkrankung [12].
projekts „Krebs-Selbsthilf e & Patient*in-      Eine Form der Selbsthilf e, die in ersten
nenkompetenz: eKSPlore“ die Strukturen          Studien als effektiv nachgewiesen wurde,
der Selbsthilf e untersucht sowie der Un-       ist die Einzelberatung und -begleitung von                                         selbsthilfebasiertes Angebot in Ergänzung
terstützungsbedarf und die Herausforde-         akut Erkrankten durch Gleichbetrof f ene.                                          bestehender prof essioneller psychoonko-
rungen an die individuelle und gemein-          Insgesamt zeigt sich bei der Evaluation                                            logischer Angebote.
schaf tliche Patient*innenkompetenz er-         solcher Programme eine hohe Zufrieden-
mittelt. Darüber hinaus sollen Themen           heit auf Seiten der akut Erkrankten und                                            Digitale Selbsthilfe-Angebote
identifiziert werden, die für die zukünfti-     der gleichbetrof fenen Begleiterinnen und
ge Entwicklung der Krebs-Selbsthilfe be-        Begleiter (z. B. [13]). Die eigene Betrof -                                        In den vergangenen Jahren haben auch di-
deutsam sind. Zielgruppen der Studie            f enheit der Begleitenden wird dabei von                                           gitale Selbsthilf e-Angebote zunehmend
sind die Vertreterinnen und Vertreter von       Patienten in akuter Krankheitssituation als                                        an Bedeutung gewonnen [17, 18]. Das
Selbsthilf eorganisationen auf den ver-         sehr wichtig bewertet und scheint daher                                            Spektrum reicht dabei von digitalen Infor-
schiedenen Ebenen der Bundes- oder              ein wichtiger Wirkfaktor zu sein [14].                                             mationsmöglichkeiten z. B. auf der Websi-
Landesorganisation sowie auf Gruppen-           In Deutschland werden bundesweit derar-                                            te eines Selbsthilfeverbandes bis zu inter-
ebene. Ebenso werden Krebsbetrof f ene,         tige Programme und Besuchsdienste mit                                              aktiven Kommunikationsf ormaten (Live
die nicht in der Selbsthilf e aktiv sind, in    dem Ziel der Begleitung und Unterstüt-                                             Chats, Diskussionsforen, Mailinglisten, So-
die Untersuchung einbezogen. Die                zung von akut Betroffenen durch ehemals                                            cial-Media-Profilseiten etc.), die einen ge-
Durchf ührung der quantitativen Erhe-           an Krebs Erkrankte von Selbsthilfeverbän-                                          genseitigen Austausch zwischen Men-
                                                den angeboten, aber bisher nur selten                                              schen mit ähnlichem Unterstützungsbe-

                                                                                                                                        Hessisches Ärzteblatt 3/2021 | 173
Selbsthilfe

dürfnis ermöglichen [19]. Betroffene kön-                                              nahme an derartigen Gruppen für Thera-         Prozessmerkmalen sowie zur Identif ikati-
nen dabei zeit- und ortsunabhängig mitei-                                              pieentscheidungen sowie f ür das soziale       on von möglichen Wirkfaktoren liegen nur
nander kommunizieren. Insbesondere                                                     Umfeld der Patienten bedeutsam ist [21].       wenige randomisierte Studien zur Über-
wenn Gruppentreffen – wie etwa im Rah-                                                 Nutzerinnen und Nutzer digitaler Formate       prüf ung der Wirksamkeit von Selbsthilfe-
men der Covid-19-Pandemie – nicht in                                                   müssen sich nicht aktiv beteiligen, son-       angeboten vor und diese fokussieren pri-
gewohnter Form stattfinden können, bie-                                                dern können beispielsweise in Online-Fo-       mär die methodisch leichter zu erf assen-
ten digitale Formate Mittel und Wege für                                               ren anonym Beiträge verfassen oder lesen,      den Online-Angebote. Trotz einiger posi-
persönlichen Austausch trotz räumlicher                                                ohne sich selbst als Betroffene zu offenba-    tiver Entwicklungen in jüngerer Zeit ist die
Distanz. Im Rahmen einer kürzlich abge-                                                ren [22]. Eine Studie, in der der subjektive   wissenschaftliche Evidenz noch relativ ge-
schlossenen bundesweiten Be     f ragung                                               Nutzen von Foren u. a. in Abhängigkeit         ring, zugleich der Bedarf an wissenschaft-
wurden die Möglichkeiten und Grenzen                                                   der aktiven Beteiligung untersucht wurde,      lichen Erkenntnissen f ür die Weiterent-
                                                                                       ergab jedoch, dass sich aktiv einbringende     wicklung der Selbsthilfe sehr groß.
                                                                                       Anwender einen höheren subjektiven             Da künf tig mit einem Anstieg bzw. Aus-
                                                                                       Nutzen aus den Angeboten ziehen als pas-       bau digitaler Angebote zu rechnen ist,
                                                                                       sive Beobachter [23].                          wird die wissenschaf tliche Erprobung
                                                                                       Ähnliche Ergebnisse zeigte auch eine           und Begleitung in nächster Zukunft wei-
                                                                                       Längsschnittstudie, in der das Kommuni-        terhin eine wichtige Rolle spielen. Ein be-
                                                                                       kationsverhalten innerhalb von Online-         deutsamer, aber bisher nicht ausreichend
                                                                                       Selbsthil
                                                                                              f egruppen (OSG) untersucht             erforschter Bereich ist zudem die organi-
                                                Foto: © bluedesign – stock.adobe.com

                                                                                       wurde: Eine aktive Auseinandersetzung          satorische und strukturelle Integration
                                                                                       der Patienten mit Emotionen und Gedan-         von Selbsthilfeangeboten in die onkologi-
                                                                                       ken korreliert hier positiv mit psychischem    sche Versorgung sowie deren Optimie-
                                                                                       Wohlbef inden, während das Vermeiden           rung. Wichtige Fragen sind hierbei, in-
                                                                                       von krankheitsbezogenen Gedanken oder          wieweit Patientenvertreter in die neuen
                                                                                       geringerem emotionalen Ausdruck nega-          Strukturen onkologischer Versorgung
                                                                                       tiv korreliert ist [24]. Im Rahmen eines       wie beispielsweise Tumorboards oder in
                                                                                       Reviews zur Wirkung von OSG konnten in         Gremien zur Planung und Durchf ührung
                                                                                       Studien keine Belege dafür gefunden wer-       klinischer Studien integriert werden kön-
 der Digitalisierung in der gesundheitlichen                                           den, dass die Teilnahme an einer OSG im        nen. Forschungsprojekte können hier
 Selbsthilfe untersucht [20]. In der Bef ra-                                           Vergleich zu einer Kontrollgruppe sich po-     durch Modellerprobung bzw. Ef f ektivi-
 gung wurden insgesamt 119 Selbsthilf e-                                               sitiv auf Depressivität, Lebensqualität        tätsstudien Aufschluss geben, ob Patien-
 organisationen aus dem Gesundheitsbe-                                                 oder Angstwerte auswirkt [9].                  ten sich durch integrierte Selbsthilfe-An-
 reich berücksichtigt, davon 15 aus dem                                                Auch die Machbarkeitsprüfung einer nicht       gebote besser betreut f ühlen und
 Bereich Krebs-Selbsthilf e. Die Ergebnisse                                            moderierten OSG bei Frauen mit Brust-          Schnittstellen zwischen stationärer und
 weisen darauf hin, dass Selbsthilfeorgani-                                            krebs zeigte keine signifikanten Verände-      ambulanter Versorgung besser über-
 sationen bereits vielfache Erfahrungen mit                                            rungen bezüglich Distress oder Lebens-         brückt werden können.
 digitalen Medien bzw. Tools gesammelt                                                 qualität nach vier Monaten im Vergleich        Darüber hinaus ist die Entwicklung und Er-
 haben und einzelnen Tools von der Mehr-                                               zur Kontrollgruppe [25]. Die Autorinnen        forschung von Versorgungskonzepten für
 heit der Anwender ein hoher oder sehr                                                 und Autoren schlussfolgern, dass die Mo-       die Krebsüberlebenden (Cancer Survivor)
 hoher Nutzen bescheinigt wird.                                                        deration bei Online-Angeboten eine wich-       ein wichtiges Thema für die Zukunft. Die
 Neben dem Nutzen wird von Problemen                                                   tige Bedeutung für den Erfolg haben kann.      Anzahl der Tumorpatienten, die erf olg-
 wie etwa fehlenden Ressourcen oder Fra-                                               Insgesamt verfügen wir derzeit noch über       reich behandelt wurden oder aber mit ei-
 gen des Datenschutzes berichtet. Bisheri-                                             zu wenig wissenschaf tlich f undierte Er-      ner Krebserkrankung über viele Jahre le-
 ge Forschung im Zusammenhang mit digi-                                                kenntnisse zu den Prozessen und Effekten       ben können, steigt stetig [26]. Je nach Art
 talen Angeboten im Bereich Krebs-Selbst-                                              von Online-Angeboten in der Krebs-             der Erkrankung oder Therapie können
 hilf e konzentriert sich einerseits auf die                                           Selbsthilfe.                                   sehr unterschiedliche psychosoziale Fol-
 Identif ikation von Wirk- und Prozessf ak-                                                                                           gestörungen auf treten, z. B. Fatigue, de-
 toren oder Fragen der Akzeptanz, ande-                                                Ausblick                                       pressive Verstimmungen, Angst vor einem
 rerseits aber auch auf die Ef f ektivität in                                                                                         Rezidiv oder einer Progredienz der Er-
 Bezug auf verschiedene Ergebniskriterien.                                             Wie der Überblick gezeigt hat, konzen-         krankung und/oder kognitive Einschrän-
 Ein aktuelles Review zu Online-Selbsthilfe                                            triert sich die Erforschung der krankheits-    kungen. Diese Probleme stellen hohe An-
f ür Patienten mit Prostatakrebs zeigt,                                                bezogenen Selbsthilfe im Bereich der On-       f orderungen an die Betrof f enen im Hin-
 dass in virtuellen SHG der Inf ormations-                                             kologie auf verschiedene Inhaltsbereiche       blick auf die Integration in den Alltag und/
 austausch sowie das Teilen emotionaler                                                und bef indet sich, insgesamt gesehen,         oder das Berufsleben sowie die Änderun-
 Inhalte und gegenseitige Unterstützung                                                erst in den Anfängen. Neben einigen viel-      gen des Lebenstils. Neben der prof essio-
 eine wichtige Rolle spielen und die Teil-                                             versprechenden Studien zu Struktur- und        nellen Beratung und Behandlung können

174 | Hessisches Ärzteblatt 3/2021
Selbsthilfe

Angebote der Selbsthilf e einen wesentli-       nen und deren wissenschaftliche Evaluati-     sourcen und Freizeitaktivitäten, aber
chen Beitrag hierbei leisten. Der Erf ah-       on stellen hierf ür notwendige Vorausset-     auch Schwierigkeiten im Umgang mit der
rungsaustausch in Selbsthil      f egruppen     zungen dar.                                   emotionalen Reaktion von Betrof f enen
kann eine psychosoziale Unterstützungs-         Die Selbsthilf ef orschung kann hierzu ins-   auf die Diagnose sowie eine f ehlende
quelle für die Bewältigung und Anpassung        gesamt einen wesentlichen Beitrag leis-       Auf klärung und Einbindung bei der Be-
an die geänderte Lebenssituation darstel-       ten, indem sie qualitative und quantitative   handlung der Betroffenen können Fakto-
len. Die modellhaf te Erprobung und wis-        Forschungsmethoden bereitstellt und ge-       ren sein, die die psychische und körperli-
senschaf tliche Evaluation derartiger           meinsam mit den Patientenvertretern           che Überlastung der Angehörigen ver-
Selbsthilfeangebote ist eine wichtige Auf-      Strategien und wissenschaf tlich begrün-      stärken [29].
gabe der zukünf tigen Selbsthilf fe or-         dete Konsentierungsprozesse erarbeitet        Vor diesem Hintergrund sind die Angehö-
schung.                                         und umsetzt.                                  rigen auch eine Zielgruppe für die profes-
Die Beteiligung von Patienten an medizi-                                                      sionellen psychoonkologischen Unterstüt-
nischen Entscheidungsprozessen und an           Einbindung von Angehörigen                    zungsangebote. Wir verfügen jedoch über
wissenschaf tlichen Studien wird von Pa-                                                      noch zu wenig Erkenntnisse, inwieweit
tientenvertretern zunehmend eingef or-          Ein weiteres Thema f ür die zukünf tige       Angehörige auch von Angeboten der
dert und stellt eine neue Herausforderung       Selbsthilf ef orschung ist die Einbindung     Selbsthilf e prof itieren können. Daher ist
für alle Beteiligten in diesen Bereichen dar.   der Angehörigen von Betroffenen im Rah-       die Untersuchung der Rolle der Angehöri-
Innerhalb der Krebsf orschung sorgt das         men der organisierten Selbsthilfe. Je nach    gen in der organisierten Selbsthilf e auch
Konzept der Patientenbeteiligung daf ür,        Krankheitsverlauf und Krankheitsphase         eine wichtige Auf gabe der Selbsthilf ef or-
dass in der Entwicklung medizinischer und       des Betrof f enen f inden sich Angehörige     schung.
technologischer Möglichkeiten f ür Diag-        häuf ig in der Rolle der Unterstützenden                             Lena Binkowski, M. Sc.
nostik, Behandlung und Pflege die Bedürf-       oder Pflegenden und sind mit existenziel-                  Dr. rer. medic. Andrea Kiemen
nisse und Prioritäten der von Krebs be-         len Ängsten, Sorgen und Gef ühlen von                               Theresa Baadte, M. Sc.
troffenen Menschen angemessen berück-           Hilflosigkeit, Kontrollverlust und Überfor-                    Prof. Dr. phil. Joachim Weis
sichtigt werden. Jedoch stellt die Beteili-     derung konfrontiert [27].
gung von Patienten an die engagierten           Zusätzlich zur eigenen körperlichen und        Interdisziplinäres Tumorzentrum – CCCF
Betrof f enen Anf orderungen zum Beispiel       emotionalen Belastung müssen Angehö-             Stiftungsprofessur Selbsthilfeforschung
im Hinblick auf medizinisches Grundwis-         rige krebskranker Menschen of tmals                         Universitätsklinikum Freiburg
sen, Grundlagen klinischer Studien, ver-        komplexe Auf gaben in der Betreuung           Hugstetterstr. 50, 79106 Freiburg, E-Mail:
sorgungsorientierte Kenntnisse sowie            übernehmen und einen hohen Grad an                 andrea.kiemen@uniklinik-freiburg.de
Kenntnisse über den Umgang mit digita-          instrumenteller, sozialer und vor allem
len Medien und Grundlagen der Qualitäts-        emotionaler Unterstützung f ür die Be-
sicherung. Themenspezif ische Seminare          trof f enen selbst leisten [28]. Fehlende       Die Literaturhinweise f inden Sie auf
und Fortbildungen f ür Patientenvertreter       soziale Unterstützung, f amiliäre Konf lik-     unserer Website www.laekh.de unter
und Mitglieder von Selbsthilfeorganisatio-      te, finanzielle Probleme, Verlust von Res-      der Rubrik „Hessisches Ärzteblatt“.

                                                                                                   Hessisches Ärzteblatt 3/2021 | 175
Mensch und Gesundheit

Literatur zum Artikel:

Selbsthilfeforschung im Bereich der Krebs-Selbsthilfe
von Lena Binkowski, Dr. rer. medic. Andrea Kiemen, Theresa Baadte, Prof. Dr. phil. Joachim Weis

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