Seminar brief Freie Hochschule der Christengemeinschaft Stuttgart in eigener Trägerschaft ohne staatliche Anerkennung - Priesterseminar Stuttgart
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Johanni 2021 Seminar brief Freie Hochschule der Christengemeinschaft Stuttgart in eigener Trägerschaft ohne staatliche Anerkennung
Über den Die Freie Hochschule der Christengemeinschaft Stuttgart (in eigener Trägerschaft, Über den Die Freie ohne Hochschule staatliche der Christengemeinschaft Anerkennung) ist eine der drei Stuttgart (in eigener Trägerschaft, Priesterbildungsstätten der Chris- Seminarbrief ohne ten staatliche Anerkennung) gemeinschaft. ist eine der drei Die Christengemeinschaft Priesterbildungsstätten ist eine weltweite Bewegung derfür Chris- reli- Seminarbrief giöse Erneuerung – in den inneren und äußeren Umgestaltungen unserer Zeitre-– tengemeinschaft. Die Christengemeinschaft ist eine weltweite Bewegung für ligiöse Erneuerung - in den inneren und äußeren Umgestaltungen unserer Zeit - gegründet für die Menschen, die ein modernes sakramentales Leben suchen. In gegründet für die Menschen, die ein modernes sakramentales Leben suchen. In ihrem Mittelpunkt steht der neue Gottesdienst, die Menschenweihehandlung. Um ihrem Mittelpunkt steht der neue Gottesdienst, die Menschenweihehandlung. Um ihn ihn versammeln versammeln sich sich Menschen Menschen in in freien freien Gemeinden. Gemeinden. Der Seminarbriefwird Der Seminarbrief wirdvon vondenden Studierenden Studierenden des Priesterseminars des Priesterseminars für Freun- für dessen dessen Freunde und Förderer geschrieben. Er richtet sich aber ebenso an Interessierte, de und Förderer geschrieben. Er richtet sich aber ebenso an Interessierte, die auf die diese auf Weise diese das das Weise Priesterseminar kennenlernen Priesterseminar kennenlernen wollen. Unser wollen. Ziel Ziel Unser ist es, istines,ihm das in ihm Studium das undund Studium das das gemeinsame gemeinsameLeben als Teil Leben der Priesterbildung als Teile anschaulich der Priesterbildung anschaulich und miterlebbar und zu machen. miterlebbar Er erscheint zu machen. zweimal Er erscheint jährlich zweimal und kann jährlich undvom kannSekretariat vom Sekredes ta- Priesterseminars bezogen werden. riat des Priesterseminars bezogen werden. Geleitet wird das Priesterseminar derzeit von Xenia Medvedeva und Mariano Kasa- Geleitet wird das Priesterseminar derzeit von Xenia Medvedeva und Mariano netz. Weitere Informationen erhalten Sie im Sekretariat oder auf unserer Webseite. Kasanetz. Weitere Informationen erhalten Sie im Sekretariat oder auf unserer Webseite. Freie Hochschule der Christengemeinschaft e.V. in eigener Trägerschaft ohne staatliche Anerkennung Freie Hochschule Spittlerstraße 15 der Christengemeinschaft e.V. D-70190 in eigenerStuttgart Trägerschaft ohne staatliche Anerkennung Tel. +49 (0)71115/ 166 83 10 Spittlerstraße D-70190 Stuttgart info@priesterseminar-stuttgart.de Tel. +49 (0)7 11 / 166 83 10 www.priesterseminar-stuttgart.de info@priesterseminar-stuttgart.de www.priesterseminar-stuttgart.de 2
Grußwort der Redaktion Liebe Freunde des Seminars, liebe Leser Zum Zeitpunkt dieses Schreibens ist es Mitte April. Letz- Wind weht durch das Haus seit ihrer Ankunft. Ist das te Woche waren die ersten Tulpen und Ranunkeln noch Durchschnittsalter der Studierenden einerseits stark von einer schweren Schneeschicht bedeckt, als das gesunken, so ist andererseits die Zahl der Studierenden zweite Semester dieses Studienjahres begonnen hat. um ein Drittel gestiegen. Beim Frühstück und Mittag- Die Studenten aus dem ersten und zweiten Jahr sind essen hört man die Gesprächsfreude im Speisesaal be- nach sieben Wochen wieder vom Urlaub zurückgekehrt. reits oben im Flur, und bei einem eifrigen Versteckspiel Eine Zeit zum Lernen, Ausruhen, um das Familienleben haben Dozenten und Schüler das Seminargebäude bis zu pflegen, aber auch eine Zeit, um in das tagtägliche in die letzten unbekannten Winkel kennengelernt. Das Leben einzusteigen und mit der Realität von heute kon- ist nun auch notwendig, da unser treuer Hausmeister, frontiert zu werden. Diese Konfrontation verstärkt die Thomas Mahl, nach Schweden ausgewandert ist. Glück- Dankbarkeit, dass wir in dieser Zeit hier am Seminar licherweise wird der neue Hausmeister, Marco Wink, zusammen wachsen, leben und beten können. Anderer- wenn Sie dies lesen, hier ins Seminar einziehen, um seits weckt es in uns auch ein Verantwortungsgefühl, diesen besonderen Ort weiter zu pflegen und zu tragen. dieses Geschenk zu behüten, zu gestalten und zu leben, aus einem Bewusstsein heraus, das sich weit über das Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen dieses Seminar hinaus erstreckt. Seminarbriefes. Neben den Studierenden aus dem ersten und zweiten Im Namen der Redaktion, Jahr sind auch die Studierenden des Berufsorientie- Eline van den Muijsenberg rungssemesters angekommen. Ein ganz neuer frischer Elke Rolfs, Eline van den Muijsenberg, Anna Maria Kempf, Pablo Bosse, Csilla Mahle 3
Inhalt Wege zum Seminar Mein Weg zum Seminar | Lisa van Holsteijn . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Vom Sabbatjahr zum Seminar | Elke Rolfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Der Weg ist das Ziel | Nicolás Martín . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Mein Weg zum Seminar | Gabriella Halvax . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Bilder und Listen Berufsorientierungssemester . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Jahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Jahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Praktikanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Kursprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Referate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Zwischenräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Wege am Seminar Eigen-tl-ich werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Wie entsteht Bleibendes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Erwachen für das Lebendige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Wollen wir jetzt Ping-Pong spielen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Priester werden in einer spannenden Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Interviews Zur Ausstellung von Moni Boerman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Teil II Brückenbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Grußwort der Seminarleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4
Wege zum Seminar Mein Weg zum Seminar Lisa van Holsteijn | 2. Studienjahr Es ist gar nicht so einfach zu sagen, wo mein Weg zum hehandlung. Ich nahm mit neuen Augen und neuen Seminar angefangen hat, und was dazu gehört und Ohren die Gebärden und Worte wahr. Als ich mich auf was nicht. Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer die Worte konzentrierte, erlebte ich staunend, wie sie wird es, dass auch die scheinbar zufälligen Tatsachen, sich mir erschlossen, in mich eindrangen und mich dass ich zum Beispiel in einer Camphill Gemeinschaft auf besondere Art nährten. In dem Moment wollte ich in Schottland aufgewachsen bin, dass ich als Kind in die nichts lieber, als dass dieser goldene Nahrungsstrom Sonntagshandlung gegangen bin, dass ich auf meinen niemals aufhören würde zu strömen. Dieses Erlebnis Reisen in Mittelamerika ein Buch von Dan Brown in die hat sich mir tief eingeprägt, mit der Zeit jedoch wieder Hand gedrückt bekam, dass ich in Honduras viele, für verflüchtigt. mein damaliges Verständnis verrückte, Gottesdienste erlebte, dass ich in Australien in eine Krise kam, und Ich bin dann nach Amsterdam gezogen, um Internati- noch ganz viel anderes, mit meinem Weg zum Seminar onale Beziehungen und Ökonomie zu studieren. Mitten sehr verbunden sind. Ob ich jetzt am Seminar bin, weil in dieser Zeit, im Juni 2017, bekam ich eine Einladung mich diese Erfahrungen hierher geführt haben oder von meinen Eltern zu der Pfingsttagung der Christen- ob ich sie gemacht habe, weil ich ans Seminar kommen gemeinschaft in Den Bosch. Ich sagte zu. Die Erfahrung, sollte, bleibt die Frage. die ich dort machte, schlug ein wie ein Blitz. Ich kann es nur so beschreiben, dass ich dort erlebte: „Hier ist Nach meinem Schulabschluss wollte ich eine neue Wahrheit“. Die Menschen sprechen von Herzen. Sie Sprache und Kultur kennenlernen. Dieser Wunsch hat meinen was sie sagen. Diese Erfahrung und weitere Be- mich nach Honduras geführt. Dort habe ich Englisch gegnungen in der Christengemeinschaft in Australien unterrichtet. Ein Jahr lang in neun staatlichen Grund- und Deutschland führten dazu, dass ich, als sich mein schulen in Bergdörfern, wo ich bei oft 35 Grad Hitze Studienabschluss näherte, wusste, dass wenn ich mei- schweißgebadet immer wieder Hühner und Hunde aus nem Herzen treu bleiben wollte, ich ans Priesterseminar den Klassenräumen jagen musste, und danach ein hal- gehen müsste. bes Jahr lang in einer teuren Privatschule in der Stadt. In dieser Zeit habe ich erlebt, wie ein ganzes Land eine Jetzt bin ich schon im zweiten Studienjahr und freue selbstverständliche Verehrung gegenüber dem Chris- mich immer mehr da zu sein. tentum haben kann; allerdings ein ande- res Christentum als ich es kannte. Auf den Bussen standen Slogans wie „Christus ist der Herr“, die Kinder haben vor dem Fuß- ballspielen gebetet, und fast alle Familien im Dorf, wo ich wohnte, gingen ganz selbstver- ständlich in die Kirche. Ich bin immer wieder in Gottesdienste gegangen, von traditionell katholischen Messen bis hin zu evangeli- schen Rockbands mit schreienden Pfarrern auf beleuchteten Bühnen und vielen Men- schen, die völlig außer sich gerieten. Als ich wieder in Schottland war, hatte ich viele Fragen und wollte da, wo ich aufge- wachsen war, nochmal in die Kirche gehen. Zum ersten Mal ging ich mit einer fragen- den, offenen Haltung in die Menschenwei- 5
Wege zum Seminar Vom Sabbatjahr zum Seminar Elke Rolfs | 1. Studienjahr „Du, schau mal - ich glaube, das könnte dich interes- stand ich erneut vor der Entscheidung, aber diesmal sieren.“ Mit diesen Worten drückte mir meine Tochter dachte ich mir: „Du kannst nicht etwas ablehnen, das Julia einen Flyer in die Hand. Öffentlicher Sommerkurs- du nicht kennengelernt hast.“ Und ich erhoffte mir von Kloster auf Zeit 2020 Thema: „Raus aus den Gewohn- dem Kurs auch Aufschluss darüber, ob und wie ich die heiten. Er-finde dich neu“ .Das las sich doch recht in- Geisteswissenschaft von Rudolf Steiner (den ich sehr teressant und die Dozenten auf den Fotos machten verehrte) mit meinem Glauben an Christus (den ich auch einen sympathischen Eindruck auf mich. Aber die schon viel viel länger kannte – und aus tiefstem Her- Wörter „Priester“seminar und „Christen“gemeinschaft zen liebte) in Übereinstimmung bringen konnte. Rudolf lösten etwas Unbehagen in mir aus. Mit dem Klerus und Steiner mit seiner Anthroposophie hatte seinen Platz in den sogenannten Christen hatte ich übelste Erfahrun- meinem Leben, aber Christus war mein Leben. Welten gen machen müssen, die mich schon in jungen Jahren trennten den Einen vom Anderen. Nichts und nieman- veranlassten, aus der Kirche auszutreten und die Suche den ließ ich auch nur in die Nähe von dem Ort in mir, wo nach einer Gemeinschaft wahrhaftiger Christen aufzu- Christus wohnte. Dass der Impuls, mich für den Som- geben. Meine Verbundenheit mit Christus war jedoch merkurs anzumelden, genau von dem Ort aus gesteuert unantastbar und wurde durch die schmerzvollen Erfah- wurde, davon bin ich inzwischen überzeugt. rungen eher noch vertieft. Es war um die Zeit meines dritten Mondknotens, als in Die Anthroposophie begegnete mir im Alter von 16 sämtlichen Lebensbereichen heftige Turbulenzen und Jahren, und durch meine Beschäftigung mit der Geis- Krisen auftauchten und nach und nach so ziemlich teswissenschaft von Rudolf Steiner, wusste ich von der alles, womit ich mich bis dahin identifiziert hatte, so- Christengemeinschaft, hatte auch immer wieder mal gar bis in die Tiefen meiner religiösen Überzeugungen, überlegt, eine solche Gemeinde zu besuchen, aber der in sich zusammenbrach. Alles war auf dem Prüfstand. Argwohn und die Skepsis siegten jedes mal. Und jetzt Dem fragenden Blick dieses inneren Beobachters hielt nichts mehr stand, dem ich zuvor so viel Be- deutung beigemessen hatte. Mir wurde buch- stäblich der Boden unter den Füßen weggezo- gen und ich fühlte mich wie im Niemandsland. Als dann mein Lebensgefährte schwer erkrankte und starb, wurde eine weitere Zäsur in meinem Leben gesetzt. Ich war an einem Punkt ange- kommen, wo mir mein Körper ganz unmissver- ständlich mitteilte, was der nächste Schritt sein musste. Ich verordnete mir notfallmäßig ein Sabbatjahr. Es folgte eine unermesslich kostba- re Zeit, die mich auf völlig andere Art und Weise herausforderte. Mir erschloss sich zunehmend die Weisheit ungesicherten Lebens. Es folgten mehrere innere und äußere Befreiungsschläge und mir wurde immer bewusster, dass ich nicht wieder zurück konnte. Ich kündigte meinen Arbeitsplatz, nahm hier und da noch ein paar Kursänderungen vor und entschied mich für einen anderen beruflichen Wirkungskreis. Die neue Stelle schien mir wie für mich geschaffen, und weil ich bis zum Arbeitsbeginn noch einige 6
Wege zum Seminar Wochen Zeit hatte, fügte sich dieser Sommerkurs am wenigen Tage am Priesterseminar erlebte, war so anders Priesterseminar gut in meine Pläne ein. Doch – ach, wie als alles, was ich erwartet und/oder befürchtet hatte, anders sollte alles kommen! dass ich mich am Ende dieser wundervollen Woche dafür entschied, noch im selben Jahr, das Studium am Als ich mich anmelden wollte, war der Kurs schon aus- Priesterseminar aufzunehmen. gebucht und ich fast ein wenig erleichtert... als ich zwei Tage später unerwartet doch noch eine Zusage bekam, Neugierig geworden? Selber kommen und sehen! Der wurde es ernst und ich nervös. Ich versuchte, mich mit nächste Sommerkurs 2021 steht schon. Melden Sie sich Gedanken zu beruhigen wie: „Du wirst schnell heraus- nicht zu spät an, sonst könnte es Ihnen gehen wie mir finden, mit wem und was du es da zu tun bekommst... und der Kurs ist dann schon ausgebucht. Was meinen man muss schließlich keinen ganzen Liter Milch trin- Sie? Ich hätte doch kurzfristig noch eine Zusage bekom- ken, um zu merken, dass er sauer ist... und du kannst men? Ja schon- aber ich weiß ja nicht, ob auch Sie einen jederzeit wieder gehen.... im schlimmsten Fall findest du solchen Erdenengel wie meine Tochter in Ihrem Leben bestätigt, dass die Christengemeinschaft doch eine Sek- haben, und wer immer da sonst noch Seine Finger mit te ist und die Leute dort keine wahren Christen sind...“ im Spiel hatte..... Was ich dann aber in diesem Sommerkurs während der 7
Wege zum Seminar Der Weg ist das Ziel Nicolás Martín | 1. Studienjahr Wenn mir die Frage gestellt wird, wie mein Weg zum einige meiner Fragen beantwortet, aber nur, um neue Priesterseminar der Christengemeinschaft war, entsteht aufzuwerfen. Ich kannte das Wunder, einen Sohn zu aus meiner Seele dasselbe Bild mit zwei Seiten: einer haben, Waldorflehrer zu sein und einen Waldorfkinder- Innenseite, einer Außenseite. Die Außenseite ist relativ garten zu gründen, ein Haus zu bauen, ein Orchester leicht zuzuordnen, obwohl sie viele Ecken, Kanten und zu dirigieren und schließlich ein Waldorflehrerseminar Nuancen aufweist. Von außen betrachtet, begann mein zu gründen. Weg zum Seminar vor mehr als zwanzig Jahren, als ich die Christengemeinschaft kennenlernte und mit großen Nachdem ich mehr als zehn Jahre lang vergeblich ver- unbeantworteten Fragen zu ihr kam. Kurze Zeit später sucht hatte, irgendwie an meinem Schicksal zu drehen, stellte sich mir in meinem Bewusstsein die Frage nach um doch endlich hierher nach Stuttgart ans Seminar dem Priestertum als Lebensform, als Möglichkeit, der zu kommen, fügte ich mich ihm schließlich und schloss Welt mit ganzer Kraft aus dem Impuls Christi heraus mit ihm Frieden; ich gab meine Versuche auf, wenn zu dienen. Aber mein Schicksal hatte andere Pläne für auch nicht ohne einen gewissen Schmerz. Ich widmete mich. Meine Suche führte mich auf eine Reise durch die mich fortan ganz der Begleitung neuer pädagogischer vorkolumbianischen Kulturen Amerikas. Dabei erlebte Impulse und der Arbeit mit der Anthroposophie aus ver- ich eine andere Seite des Priestertums, die der Form der schiedenen inneren Beweggründen, aber im Kern ging Christengemeinschaft nicht gleich war, obwohl sie in es mir immer um die Suche nach bzw. die Begegnung ihrer Substanz eng mit ihr verbunden war. mit dem Christlichen, in mir und in der Welt. Als ich von dieser Reise zurückkam, versuchte ich drei- Völlig unerwartet kam dann plötzlich ein Anruf von den mal, zum Priesterseminar nach Stuttgart zu kommen, Priestern der Christengemeinschaft in Buenos Aires: aber anscheinend war es noch nicht der richtige Zeit- „Wir glauben, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die punkt. Also bin ich den Weg der Waldorfpädagogik Frage erneut zu stellen.“ „Nun“, sagte ich vorsichtig. gegangen; als Musiklehrer und Musiker war der Un- Damit begann ein neuer Prozess voller Bestätigungen terricht auch immer ein wesentlicher Bestandteil des durch dasselbe Schicksal, das mich so viele Jahre lang Weges. Die Kinder, die Rednerpulte, die Pentagramme, verleugnet hatte und mich heute dazu bringt, diese die Klassenzimmer, die Runden, die Geschichten waren Zeilen zu schreiben. damals mein Altar, meine Anbetung. Unterwegs wurden Mein Weg zum Seminar war und ist ein Weg zu mir selbst, zu meiner Unruhe, meiner Dunkelheit, meinen Unsicherheiten, meinen Stärken und meinen höchsten Idealen. Mein Weg zum Seminar lehrte mich, dass einen das Schicksal manchmal findet, wenn man aufhört zu suchen. Aber wenn es dich findet, ist das nur der An- fang einer neuen Geburt, die notwendigerweise einen früheren Tod bringt. Tod und Wiedergeburt sind der Weg und sie sind auch das Ziel. 8
Wege zum Seminar Mein Weg zum Seminar Gabriella Halvax | 2. Studienjahr Auf Curacao, einem Schmelzpunkt von Kulturen, bin ich hatte keinen Partner, keine Kinder und die Gesellschaft geboren. Als Kind fühlte ich mich eins mit dem Land, war mir fremd. Ich sehnte mich danach, zu einer sinn- dem Meer, mit meiner Mutter, die mich in die Natur vollen Gemeinschaft beizutragen und suchte Anschluss mitnahm. Als ich sieben Jahre alt war, zogen wir nach an ein Ökodorf. Dort vermisste ich jedoch die spirituelle Holland und ich wurde aus meinem Paradies geworfen, Kohärenz. Gleichzeitig erkannte ich meine tiefe Verbun- in die große graue Stadt Den Haag - eine fremde Welt. denheit mit Curaçao und beschloss, mich dorthin zu Ich ging in die Waldorfschule und erkannte dort wie- orientieren. Gerade als ich gehen wollte, wurde mei- der die Religiösität in der Natur, obwohl sie nicht mehr ne Mutter schwer krank; ich habe mich bis zu ihrem wirklich da war. Beim Theaterspielen fühlte ich mich Tod um sie gekümmert. An ihrem Sterbebett las ich ihr zu Hause, wie in einer Welt ohne Grenzen, der ich eine Sprüche von Steiner vor und verspürte Heimweh nach Stimme geben konnte. Während der Pubertät wurde ich der Kraft des Wortes. Nach ihrem Tod wusste ich, dass jedoch unsicher auf der Bühne - wieder verlor ich ein ich mich zur Anthroposophie bekennen wollte. Ich be- Zuhause. Später entdeckte ich die “ Heilige Bühne” in suchte wieder die Menschenweihehandlungen und eine Form des Tanzes wieder: Flamenco. Es war mir ein gro- Orientierungswoche am Seminar in Hamburg. Plötzlich ßer Wunsch, eine Verbindung zwischen unserer Alltags- kam eine Einladung nach Curaçao. Dort angekommen, welt und jener anderen, wirklichen Welt herzustellen. fühlte ich tatsächlich: Ja, das ist mein Ort, hier kann Meine Mutter brachte mir die Anthroposophie nahe. Ich ich Wurzeln schlagen, aber ... hier gibt es keine Priester- verschlang Carlos Castanedas Bücher über den Einwei- ausbildung! Es war eine heilsame Erfahrung, nun selbst hungsweg eines modernen Schamanen und arbeitete die Wahl für die Überfahrt nach Europa zu treffen, aus parallel mit dem Buch von Rudolf Steiner “Wie erlangt der Erkenntnis heraus, dass das Geistige über allem an- man Erkenntnisse der höheren Welten?” Ich dachte: deren steht. Rückblickend wurde mir bewusst, dass das “Das will ich in meinem Leben: Einweihung!” Spirituelle im Wesentlichen immer der Dreh- und An- Tja ... das waren wilde Zeiten…. Aber bis heute begleitet gelpunkt in meinem Leben war und in aller Bewegtheit mich das Thema Schulung noch immer. meines Lebens die einzige Konstante. Schließlich er- Weil mich die Menschen interessierten, ihre Seelen, ihre kannte ich, dass Christus dieser Dreh- und Angelpunkt Typen, studierte ich Psychologie. Eine Enttäuschung war und dass in Ihm alles, was ich bisher in meinem Le- war es aber, dass die Seele dort keinen Platz hatte. Ich ben an Erfahrungen und Fähigkeiten gesammelt habe, weiß noch, dass ich in dieser Zeit dachte, dass eine seinen Platz finden wird. „christliche Ausbildung“ gut für mich wäre, um das Der Christusweg ist ein offener Weg, um Vertrauen menschliche Miteinander zu kultivieren. Als ich einige zu üben. Wenn ich ein Jahre später meine erste Unterrichtsstunde von einem Leben aus dem Geist “echten” spanischen Flamencotänzer erhielt, war dies wähle, bin ich überall auf im Wesentlichen das erste Mal seit Curaçao, dass ich der Welt zu Hause. Jetzt das Gefühl hatte: Ich bin auf der Erde! Die Seele des in meinem Studium am Tänzers, die zum Vorschein kam, hatte dies in mir ge- Priesterseminar habe ich weckt. Deshalb habe ich nach Abschluss meines Psy- meine “christliche Aus- chologiestudiums alles losgelassen, auch die Anthropo- bildung”, die die Kraft sophie, und mich für den Tanz entschieden. Eigentlich des Wortes, die Anthro- waren die Momente, in denen ich allein in der Stille posophie, den Schmelz- tanzte, die wahrhaftigsten Momente in meinem Leben. tiegel der Kulturen, die Ich fühlte, dass ich etwas berührte, aber es war erst ein Natur, die Schulung und Keim. Schließlich wuchs dieser Keim zu Naturwesen- die heilige Bühne in sich Tanz heran - eine tiefe Begegnung mit der Natur durch vereint. Und all dies in Bewegung. Obwohl ich dabei Erfüllung erlebte, vermiss- einer sinnvollen Gemein- te ich es, Teil einer sinngebenden Beziehung zu sein; ich schaft aus Christus! 9
Bilder und Listen Berufsorientierungssemester 2021 hinten, links nach rechts: vorne, links nach rechts: Jonathan Urheim, 1999 Deutschland/Schweiz Jakob in’t Veld, 2000 Deutschland Violeta Rodenstein, 2001 Argentinien Jonas Marosczyk, 1999 Deutschland Lia Schotte, 2001 Deutschland Clara Gruber, 2002 Deutschland Gabriel Sprich, 2003 Deutschland Falko, 1998 Deutschland 10
Bilder und Listen Studierende des 1. Jahrgangs 2021 hinten stehend, links nach rechts: vorne sitzend, links nach rechts: Noemi Eckinger, 1970 Schweiz Claudia Grabenweger, 1968 Österreich Csilla Mahle, 1970 Ungarn/Deutschland Nicolás Martín, 1976 Argentinien Pablo Bosse, 2001 Deutschland/Spanien Elke Rolfs, 1962 Deutschland Claudia Lask, 1970 Deutschland nicht auf dem Foto: Theresa Wolfesberger, 1999 Österreich 11
Bilder und Listen Studierende des 2. Jahrgangs 2021 hinten sitzend: vorne sitzend, links nach rechts: Eline van den Muijsenberg, 1992 Niederlande Varvara Krupskaia, 1998 Russland Miriam van Osch, 1984 Niederlande stehend, links nach rechts: Trevor Button, 1957 Deutschland Gabriella Halvax, 1971 Niederlande Yumiko Abe, 1969 Japan Lisa van Holsteijn, 1995 Niederlande Anna Maria Kempf, 1999 Deutschland 12
Bilder und Listen Praktikanten 2021 von links nach rechts: María Laura de San Martín, 1985 Argentinien Marina Isabel Chotsourian, 2000 Argentinien Santiago Corigliano, 1995 Argentinien Daniela Grieder, 1965 Schweiz 13
Bilder und Listen Semesterprogramm 2021 Berufsorientierungssemester Grundstudium Vertiefungsstudium 1. Studienjahr 2. Studienjahr 12.04 Menschenkunde „Im Buch des Menschen zu lesen“ „Die Grundimpulse des 16.04 Prof. Dr. Tomáš Zdražil weltgeschichtlichen Werdens.“ Peter Joachim Knörrich 19.04 Zur Bildsprache der Märchen Vorstufen zum 23.04 Moni Boerman Mysterium von Golgatha Laurens Hornemann 26.04 Traumatherapie Bernd Ruf 30.04 3.05 Musik im Kultus Marie-Hélène van Tol 5.05 6.05 Das Evangelium Lukasevangelium Apokalypse 12.05 Xenia Medvedeva, Xenia Medvedeva Mariano Kasanetz Mariano Kasanetz 13.05 Jugendtagung (in Stuttgart) 16.05 17.05 Der Tempel 21.05 Dr. Armin Husemann, Frimut Husemann 24.05 Weltreligionen 28.05 31.05 Der Kompost als Altar Freie Studienwoche 04.06 (Demeterhof) Andreas Höyng 07.06 Geburt Das erste christliche Embryologie 11.06 Dr. Angela Kuck Jahrtausend Dr. Angela Kuck Präsentationen Yaroslava Black der Jahresarbeiten 14.06 Psychologie/ Seelsorge Scholastik und Mystik Hierarchien und die Spiegelung 18.06 Vicke von Behr Joachim Knispel ihrer Wirksamkeit in der Welt Vicke von Behr 21.06 Das moderne Priestertum Liturgie: Elemente des Kultus Liturgie: Elemente des Kultus. 25.06 Georg Schaar Norbert Schaaf Das kultische Wort Norbert Schaaf, Moni Boerman 28.06 Erneuerung des Finanzverhal- Reformation Sinneslehre 02.07 tens – Im Umgang mit Kaufen, Carola Gerhard Mariano Kasanetz Leihen, Schenken Cristóbal Ortín 05.07 Unternehmer heute Der Lebensweg Rudolf Steiners, Gesprächskultur. 09.07 Jürgen Schweiß-Ertl Marco Bindelli Das Beichtsakrament Gisela Thriemer 12.07 Ich und die Welt Gründung der Michaelbriefe 16.07 Xenia Medvedeva, Christengemeinschaft Alexandra Handwerk Mariano Kasanetz Wolfgang Gädeke 14
Bilder und Listen Sommersemester 2021 Referate im Sommersemester 2021, 1. Studienjahr Elke Rolfs - Sonne Hestia, Claudia Grabenweger - Altar Csilla Mahle - Grab Pablo Bosse - Hirten und Könige Nicolás Martín - Kreuz Claudia Lask - Brunnen Theresa Wolfesberger - Tempel Noemi Eckinger - Kelch Jahresarbeiten im Sommersemester 2021 - 2. Studienjahr Eline van den Muijsenberg Varvara Krupskaia „O Mensch, du bist nicht bloß ein irdisches, Das lebendige Wort du bist ein kosmisches Wesen!“ Gabriella Halvax Lisa van Holsteijn Bibel und Weisheit Das Mysterium der Materie Trevor Button Miriam van Osch Die Trinität Geheimnisse des Todes: Was ändert sich in der Welt der Verstorbenen durch das Mysterium von Golgatha? Yumiko Abe Christus und das Wesen der Farbe Anna Maria Kempf Der christliche Aspekt im Hören und Sehen Eine Begegnung mit dem Johannes-Evangelium 15
ZWISCHENRÄUME Csilla Mahle | 1. Studienjahr Nadelöhr Botschaft erleben ich suche noch für mich das Gleichgewicht Urteilsenthaltsamkeit von Entsetzen zur Wahrheit Experiment worin Freiheit besteht GOTT WÜRFELT NICHT von Gehorsam zur Hörsamkeit konkret das Wahrgenommene verwandeln lauschen heilsam Kampf mit der Akzeptanz Bewegung – Widerstand 16
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Wege am Seminar Eigen-tl-ich werden Wieso ans Priesterseminar gehen, ohne Priester werden zu wollen? Studenten des Berufsorientierungssemesters Wir sind eine Gruppe von acht jungen Menschen, die Grundlage, um die Berufsentscheidung mit dem ganzen ans Priesterseminar gefunden haben, obwohl die Idee, Wesen zu treffen und zu tragen. Priester zu werden, für uns nicht im Vordergrund steht. Was hat uns also trotzdem an diesen Ort gebracht? Für diese Prozesse scheint uns das Berufsorientierungs- Wir alle haben in den vergangenen drei Jahren die semester am Priesterseminar der richtige Ort zu sein. Schule abgeschlossen und sind noch auf der Suche Wir spüren, dass wir hier Inhalte bewegen können, die nach unserer Berufung. Die komplexen Umstände der uns als innere Stütze erwachsen und uns Leiter sein heutigen Welt machen es uns schwer, diese Berufung können im weiteren Leben. klar zu sehen. Zwar hat sich in unserem Inneren bereits ein deutliches Gefühl dafür entwickelt, jedoch wissen wir noch nicht, auf welche Art und Weise wir uns mit unseren individuellen Fähigkeiten konkret in der prakti- schen Welt einbringen möchten. Wir kamen mit der Frage, wie wir einen „Orientierungs- sinn“ und einen inneren Kern entwickeln können, der uns dorthin führt, wo wir unsere individuelle Aufgabe finden und praktisch wirken können. Ein Teil dieses Pro- zesses wird sicher darin bestehen, intensiv nach innen zu hören und unsere Durchlässigkeit für alles Geistige zu stärken – ein Teil Menschwerdung. Der Einklang zwischen Denken, Fühlen und Wollen gibt uns womöglich das nötige Vertrauen und eine innere 18
Wege am Seminar Wie entsteht Bleibendes? Jonas Marosczyk | Beruforientierungssemester Immer wieder bewegte mich in der vergangenen Zeit kann. Es ist wie ein Brückenbau, bei dem wir nur die am Seminar die Frage, was ich aus den Unterrichten, eine Seite errichten können und darauf hoffen müssen, den Gesprächen und der eigenen Vertiefung für die Zu- dass sich durch unsere Vorbereitung einer Möglichkeit, kunft mitnehmen werde. die andere Seite vom gegenüberliegenden Ufer her bil- det, und durch diese Zusammenarbeit etwas entsteht, Wir haben eine Fülle an Fragen und Inhalten gemein- was vorher noch nicht da war. Es ist schon leichter, das sam und in eigener Vertiefung bewegt. Durch diese Ergebnis dieses Vorgangs zu beschreiben: Wir sind an- Arbeit sind viele kostbare und inspirierende Momente dere geworden. Unsere Erlebnisse haben uns verwan- entstanden, die mich auf meinem Weg weiterführten, delt. Das aufgenommene Wissen ist verinnerlicht und mein Verständnis vertieften und zugleich neue Fragen veredelt. Oft aber bemerken wir erst rückblickend diese aufwarfen. Doch sind diese Inspirationsmomente alle Verwandlung. wie Geschenke, die in unsere Hände gelegt werden und uns darin frei lassen, wie wir sie weiter pflegen. Dadurch Um noch einmal auf die Ausgangsfrage zurückzukom- entscheiden wir selbst, was in uns weiterlebt und somit men, was das Bleibende und somit das Wesentliche ist, bleibend ist. Zwei Elemente erscheinen mir maßgebend, so kann ich darauf nur antworten, dass es im ersten ob und was sich aus der Arbeit in mir weiterentwickeln Moment sehr von mir selbst abhängt, wohin und wie wird. Zum einen ist es meine Perspektive, mit der ich ich meine Aufmerksamkeit lenke und aus welchem, den Inhalten begegne. Sie bildet sich durch meine in- durch innere Fragen vorbereiteten Grund, ich den In- neren Fragen und der Beziehung zum jeweiligen Thema halten begegne. Dann ist es entscheidend, was ich aus und führt mich so einen ganz bestimmten Weg. So fin- dem Aufgenommenen mache, inwieweit es mir gelingt, det, mehr oder weniger bewusst, eine Auswahl statt, die mich damit auf den Weg zu machen. Wenn ich dann in auf manche Aspekte Licht wirft und andere im Schatten einen Schaffensprozess gekommen bin, ist es wichtig, lässt, für die noch keine innere Frage, noch kein Inte- das Vertrauen aufzubringen, dass durch meine Tätigkeit resse entstanden ist. Das andere Element ist die Ver- ein Entgegenkommen von der anderen Seite ermöglicht innerlichung. Sie ist ein geheimnisvoller Vorgang, der wird. So zeigt sich, dass wir doch zu einem großen Teil wohl nur ein Stück weit beschrieben werden kann, weil selbst die Schöpfer unserer Erlebnisse sind und gleich- er sich zu einem großen Teil im Verborgenen und Un- zeitig entscheiden können, was uns bildet. bewussten vollzieht. Aber sein Gelingen hängt doch wieder stark von meiner inneren Aktivi- tät ab, davon, inwieweit es mir gelingt, Raum und Ruhe zu schaffen, damit das Aufgenom- mene in mir nachklingen kann. So kann eine Verwandlung des Aufgenommenen beginnen. Auf welche Weise ich in mir diese Gelegenheit des Nachklangs und der Verwandlung bilde, ist bestimmt sehr individuell. Jeder mag da, je nach Veranlagung, seine ganz eigene Methode haben. Ganz allein habe ich den Prozess der Verinnerlichung aber nicht in der Hand, viel- leicht ist es sogar nur die eine Hälfte, die in meinen Händen liegt. Für die andere Hälfte sind wir auf die Gnade angewiesen, dass sich durch unsere Bemühung und Vorbereitung etwas von der anderen Seite mit uns verbin- det und so wirklich etwas Neues entstehen 19
Wege am Seminar Erwachen für das Lebendige Anna-Maria Kempf | 2. Studienjahr Wer bin ich? Diese Frage stellte ich meiner Mutter, als im Verweilen? Es ist ein Innenraum, in den ich treten ich sechs Jahre alte war und in die Schule kam. Diese darf, ein Zustand, in dem mir neue Ideen, Erkenntnis- Frage brannte mir im Herzen, denn die anderen Kinder se und Sichtweisen auf die Dinge, die im Alltag oft so schienen das so sicher zu wissen. Da gab es die Evange- schnell und unbewusst vonstatten gehen, kommen lischen; die Anderen konnten mit einer überzeugenden können. Im Verweilen kann der Wille der Welt sich in Sicherheit sagen, sie seien katholisch. Und ich, wer bin meinem Herzen offenbaren; da kann sich ein Raum öff- ich? So war die Frage an meine Mutter. Die Antwort, die nen, in dem mein Ich, mein innerster Wesenskern, einen sie mir gab, erstaunte mich so sehr, dass ich ihre Worte nahrhaften Boden betritt. Ein Raum, in dem die vielen heute noch in meinem Innern klingen höre. Sie meinte: anderen Stimmen in mir verstummen, weil dieser Ort „Du kannst sagen, du bist christlich.“ - Was?! Wie konn- nicht ihr Zuhause ist. Das Ich ist der Herr dieses Rau- te ich das sagen?! Wie kann ich sagen, ich bin christlich, mes. Verweilen - eine aktive Ruhe, in der das Ich spre- wenn ich doch keine Ahnung habe, was das bedeutet! chen kann. Verweile ich in dem Zustand, so kann mir Ich konnte es nicht sagen, aber ich wollte danach su- das Geheimnis der Mitte erfahrbar werden. Da tritt die chen, was es heißt, christlich zu sein. Werde ich jemals Qualität zum Vorschein, die dazwischen steht, zwischen sagen können: „Ich bin Christ?“ Im Außen fand ich je- den hin und her reißenden Extremen, die den Alltag oft denfalls keine zufriedenstellende Antwort. Auch wenn bestimmen. Die Mitte wird zum Ereignis in dem starken ich nicht verstand, so erlebte ich doch ganz stark, dass, Raum zwischen rechts, links, oben, unten, hinten, vorne, wenn ich bei einer Sache verweilte und diese innerlich in dem das Ich zu Hause ist. bewegte, ich eine leise Ahnung von dem Geheimnis der Christuskraft zu bekommen schien, die mich weiter su- Auf der Suche nach einem tieferen Verständnis des chen ließ. Christus-Impulses, übe ich mich im Aufsuchen dieser Räume. Ein halbes Jahr verweilte ich beim Johannes- Was ist das für ein sonderbarer Raum, der sich da öffnet Evangelium, indem ich die Worte in ein Buch abschrieb. Und auch dort begegnete ich dieser geheimnisvol- len Mitte. Es ist die Auf- erweckung des Lazarus, die sich in der Mitte des Evangeliums ereignet. Ich möchte nur kurz versu- chen, eine Beobachtung zu schildern, die mir durch das Abschreiben des Evangeliums zum Erlebnis wurde: Vor dem geheimnisvollen Ereignis der Mitte, der Auferwe- ckung des Lazarus, er- scheinen die sieben Zei- chentaten Christi. Taten, oft Heilungen, mit denen Christus sein Wirken in der Welt offenbart. Ver- tieft man sich in diese, so kann man die Taten als 20
Wege am Seminar Bilder vor dem inneren Auge aufleben lassen. Man wird ge Denken. Es kann nur geschehen, wenn ich die Welt mitgenommen in eine Bilderwelt, wenn Jesus z.B. im in mich hineinlasse und ihr mit meinen Herzenskräften neunten Kapitel dem Blindgeborenen den erdigen Brei begegne. auf die Augen streicht und dieser sich im Teich wäscht und sehend wird. Will ich den Ereignissen, die heute auf der Welt pas- sieren, wirklich mit Herzenswärme begegnen? Will ich Nach dem Ereignis der Mitte im Johannes-Evangelium wirklich sehen, wirklich hören, was diese Zeit von mir verstummt diese reiche Bilderwelt plötzlich. Der Prolog, fordert? Das Johannes-Evangelium zeigt diesen Weg, der als eine eigene Welt für sich erklingt, kann schon den Weg durch die Verwandlung hindurch zum leben- wie ein Hindeuten auf dieses Geschehen erlebt werden. digen Wort, zum Erwachen für die liebende Begegnung In den Abschiedsreden erklingen Worte, zu denen kei- mit dem Lebenden. In diesem Aspekt des Erwachens ne konkreten Bilder, wie etwa, wenn man in die Welt für das wahre Sehen und Hören scheint sich etwas tief der Märchen eintaucht, im Innern erscheinen, und auch Christliches zu offenbaren, etwas, wonach die Welt sich das verstandesmäßige Verstehen versiegt bei den Wor- sehnt und was die Menschen heute so dringend brau- ten, wie sie z.B. im 14. Kapitel erklingen: „Wer mich in chen, um sich und der Welt wieder wahrhaft begegnen Wahrheit liebt, der trägt mein Wort in seinem Wesen, zu können. und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und dauergründend bei ihm wohnen.“ (Kap.14 Vers 23-24). Das innere Schauen der Bilder, wie etwa bei den sieben Zeichentaten, verwandelt sich durch das Ereignis der Mitte im Evangelium und die Welt des lebendigen Wor- tes erscheint. Es kann die Frage entstehen, wie man zu einem Erleben dieser Worte kommen kann, die allein mit dem Verstand nicht mehr zu greifen sind. Was für eine Verwandlung muss da in unserem Innern geschehen, damit die Worte lebendig werden und beginnen im Innern zu sprechen? Es scheint mir so dringlich zu sein, gerade in der heutigen Zeit, in der wir leben, dem Lebendigen in den Dingen nachzuspüren, ja, zu erwachen für das Lebendige. Es braucht Mut, der toten Hülle des Alltagssehens ins Gesicht zu schauen und es zu verwandeln zu einem wirklichen Sehen der Welt, sodass diese zu einem Erlebnis wird; und dass ich mein Hören dahin verwandle, in ein wirkliches Hören, welches offen ist für dasjenige, was die Welt zu mir sprechen will. Das geht nicht allein durch das rein rationale, verstandesmäßi- 21
Wege am Seminar Wollen wir jetzt Ping-Pong spielen? Daniela Grieder | Im Praktikum „Waaas? Wieso wollen Sie denn Pfarrerin werden?“ Ich bereitete mich also intensiv vor, füllte meinen Ruck- fragte mich der aufgeweckte Junge, als ich der 5. Klasse sack mit Geschichten, Erlebnissen, schönen Bildern und im Religionsunterricht vorgestellt wurde. Da kam ich den guten Ratschlägen meines Mentors: Es ginge dar- natürlich kurz ins Schleudern. Was antworte ich da, um, die Seele zu berühren, nicht mit heiligen Themen so auf die Schnelle? Zum Glück sind die Engel in solch zu kommen, sondern Geschichten zu erzählen, in denen wahrhaftigen Momenten gerne zur Stelle. Ich lachte das Religiöse durchscheinen kann. Sie sollen Vertrauen und stammelte etwas von: „...schon so vieles gesehen finden in ihr Schicksal. Und ich möchte immer den Altar im Leben; jetzt gerne mit jungen und alten Menschen mit den 7 Kerzen im Rücken spüren. zu tun zu haben, mit Leben und Tod...“ Ich weiß nicht Meine erste Stunde war in der Adventszeit und mein mehr genau, was ich antwortete, aber der Junge schien Thema die Verkündigung an Maria. Als ich in das Klas- damit zufrieden zu sein. senzimmer trat, spielten die Jungs Fußball und ein stür- Seit nun sechs Monaten bin ich tief in das praktische misches Mädchen war drauf und dran die Adventskerze Wirken in der Gemeinde Basel eingetaucht. Ursprüng- auf dem Lehrerpult in Stücke zu zerpflücken. Als ich lich, als ich vernahm, dass Basel mein Praktikumsort versuchte, sie davon abzuhalten, ignorierte sie mich werden würde, glaubte ich, vor allem in das Thema komplett. Zum Glück habe ich selber Kinder großgezo- ‚Umkreis des Todes‘ einzusteigen. Gerne erinnerte ich gen und hatte den Mut, einen Gang höher zu schalten. mich an den Kurs von Herrn Herzog, der mit viel Erfah- Ich machte ihr klar, dass sie sich zu setzen hätte, aber rung und liebevoll von so vielen Schwellenübergängen ich gäbe ihr ein Stück Wachs zum Spielen. Daraufhin berichtete, die er begleitet hat. Natürlich durfte ich nun schnitt ich ein wenig davon ab und drückte es ihr in auch mehrmals bei Bestattungen ministrieren und das die Hand. Darüber war sie erst mal so verblüfft, dass ganze Geschehen miterleben. Eine sehr berührende und sie sich hinsetzte. Die Kinder waren immer noch unru- schöne Arbeit. Aber sinnigerweise werde ich ebenso an hig und kicherten rum, weil einer der Jungs ein nacktes einer anderen Stelle gebraucht, auch an einer Schwelle, Strichmännchen auf den Tisch gezeichnet hatte. Ich ließ aber am anderen Ende des Lebens: mit Kindern am Ran- mich jedoch nicht beeindrucken, im Gegenteil. Ich fand de oder mitten in der Pubertät. es sehr spannend, ging direkt darauf ein, fand die Kurve Religions- und Konfirmationsunterricht zu geben ist zum Thema Kinderkriegen, zu Marias Empfängnis, zum eine herausfordernde aber äußerst bereichernde Arbeit! Engel Gabriel und wie er in dieser erwartungsvollen Zeit Ich habe keine pädagogische Erfahrung und war selber die frohe Botschaft verkündete. – Auch hier, die Engel nie im Religionsunterricht. Der Kurs am Seminar war helfen immer mit! mir noch warm In diesem Tun und im Eintauchen in die Perikopen lerne in Erinnerung, ich unendlich viel. Mindestens so viel wie die Kinder. In aber wie setze der letzten Stunde hatte ich das Thema ‚Speisung der ich das bloß ins Fünftausend‘. Die Mädchen waren krank und es blieben Tun um? Als ich nur die Jungs. Ich hatte einen Brotkranz eingepackt, diese Handvoll und wir setzten uns in den Wald neben der Schule. Ich F ü n f t k lä ssl e r erzählte, wie Jesus das Brot und die Fische geteilt hat- kennenlernte, te und es für tausende von Menschen reichte. „Krass!“, waren sie äu- sagte der Junge, der sich wunderte, warum ich Pfarre- ßerst unruhig, rin werden wollte. „Schon krass, dass das einfach nicht laut, frech und immer weniger wird! Aber Liebe kann man ja auch ewig hatten über- teilen, oder?“ Und nach dem er genüsslich an dem Brot haupt keine gekaut hatte, sagte er: „Frau Grieder, gehen wir jetzt Lust auf Religi- Ping-Pong spielen?“ onsstunde. Ich wundere mich gar nicht, warum ich Pfarrerin wer- den will... 22
Wege am Seminar Priester werden in einer spannenden Zeit Trevor Button | 2. Studienjahr Die Einladung zu den Priesterweihen in der Gemeinde auch sprach). Heute, nach 99 Jahren Christengemein- Berlin-Wilmersdorf zeigte schon, dass es diesmal an- schaft, scheint der Auftrag des Priesters als Brücken- ders sein würde, denn in dem Brief an die Mitglieder bauer, Geisteskämpfer und Heiler in der Welt wichtiger und Freunde der Gemeinde hieß es : „Deshalb müssen denn je. wir Ihnen schweren Herzens mitteilen, dass in diesem Beeindruckend waren auch die sogenannten Primizen, Jahr eine Teilnahme der Gemeinde an den Priesterwei- die ersten Menschenweihehandlungen, die ein neuge- hen nicht möglich sein wird.“ Also, die Gemeinde muss- weihter Priester hält, umgeben und getragen von Pries- te auf dieses besondere Ereignis verzichten! Wegen des tern aus aller Welt und der Gemeinde. Das wiederholte Verzichts der Gemeinde, durften aber die Studierenden Miterleben der Priesterweihen und Primizen prägte der Priesterseminare in Hamburg und Stuttgart an dem das Bild tief ein: Es handelt sich hier um Geistesleben Fest teilnehmen. Und was für ein Fest das war! Ein Fest auf der Erde, wie es die Menschheit heute so dringend mit viel Freude und einer besonderen Schönheit, trotz braucht. Durch den und im Vollzug eines Sakramentes der Beschränkungen, trotz einer Zeit, die so stark ge- sind die physische und die geistige Welt eins geworden; prägt ist von Trennung, Angst, Unkenntnis, Hass und das Äußerliche ist nicht nur der Schauplatz des Gesche- von Unmenschlichkeiten, die die ganze Menschheit hens sondern gleichzeitig ein inneres geistiges Ereignis, überschwemmen. an dem geistige Wesenheiten teilnehmen und zuschau- Die drei Priesterweihen am 19., 20. und 21. Februar en, und sich, genau wie wir, über ihre Erlebnisse freuen. 2021 waren von drei Vorträgen begleitet, die jeweils am Hier sind Trennung, Angst, Hass und Unmenschlichkeit vorherigen Abend gehalten wurden: „Berufen, eine Brü- überwunden. Hier ist Michael am Werk, der Erzengel, cke zu bauen“ mit Herrn Joachim Knispel; es wurde der der mit uns Erden-Werdenden diese Krankheitskräfte Heilungsauftrag der Priesterweihe geschildert. überwindet. Hier ist Priesterweihe Heilung für die ganze „Gegen den Strom und für das Leben der Welt“ mit Frau Menschheit! Mechtild Oltmann-Wendenburg; sie sprach über die Wir Studierenden vom Priesterseminar Stuttgart möch- Rolle des Priesters als Mitkämpfer von Erzengel Michael ten uns von ganzem Herzen bei der Gemeinde Berlin- bei der Überwindung des Bösen und für das Aufwachen Wilmersdorf dafür bedanken, das wir all das erleben zur Geistestätigkeit auf der Erde. durften! Und am dritten Abend sprach Peter Selg, auf humorvolle und zugleich tiefernste Weise über Rudolf Frieling, den dritten Erzoberlenker der Christengemeinschaft. Da entfaltete sich das Lebensbild eines wahrhaft werdenden Menschen, eines Brückenbauers und Geisteskämpfers. Die drei Tage, an denen jeweils zwei Men- schen zum Priester geweiht wurden (am Freitag: Sven Olav Kalvo und Gabriela Halmagean, am Samstag: Ragnhild Nes- heim und Liza Lillicrap und am Sonntag: Nataliia Shatna und Jan Kirdorf), erlebte ich, vor dem Hintergrund der heutigen Weltlage, als aktueller denn je. Ich hatte den Eindruck, dass jetzt erst recht die Er- neuerung des religiösen Lebens notwen- dig ist (übrigens ein Thema, über das Frau Oltmann-Wendenburg in ihrem Vortrag 23
Interviews Interview mit Moni Boerman Noemi Eckinger | 1. Studienjahr GEGENGEWICHT fern man sie nicht zerstört. Die sprechende Kunst lebt Wie kann ich ganz im Moment und ist mit dem Ende des künstleri- in meinem blauesten Kleid schen Schaffens an die Hörer abgegeben. und riefe ich alle die blühenden Zweige NE: Wie kommt es, dass Du eine zweite Kunstrichtung und alle Nachtigallen zu Hilfe gewählt hast, wo Du in der Sprache nicht nur lehrend sondern auch künstlerisch arbeitest? wie kann ich mit Lachen oder mit Tränen MB: Die Sprachgestaltung ist auch Beruf, das Malen das Gleichgewicht halten ist Ausgleich. Beim Beruf teilt sich das allerdings auf: der anderen Schale Beim Unterrichten gebe ich mehr weiter und arbeite in der die Welt liegt vornehmlich mit dem Hören; künstlerisch arbeite ich eine Nuss aus Blei? als Ensemblemitglied einer Bühnengruppe und spreche Hilde Domin dort für die Eurythmie. Gleichzeitig erarbeite ich regel- mäßig mit einem Sprecher-Kollegen ein Programm... Ein positiver Aspekt von den NE: Wir hatten das Glück, Dich und Deine Kollegen letz- zur Zeit geltenden Corona- ten November auf der Bühne mit dem Programm über Bestimmungen ist, dass wir die Engel wahrzunehmen – ein belebendes und inspi- unser Glück weniger in der rierendes Erlebnis. Ferne suchen, sondern auf Das oben abgedruckte Gedicht von Hilde Domin hattest die Schätze in unserer Nähe Du anlässlich Deiner Vernissage vorgetragen, als Motto aufmerksam werden. Deines Malens – Du malst um den Grauschleier zu lüf- ten – . Hat sich durch die Ausstellung etwas für Dich NE: Liebe Moni, Du trittst verändert? zum dritten Mal in neuem Kleide im Priestersemi- MB: Ich habe erlebt, dass sich das Verhältnis zu meinen nar in Erscheinung: Seit 15 Jahren arbeitest Du als Bildern verobjektiviert hat, dadurch, dass sie gesehen Sprachgestalterin mit uns - fortlaufend wechselnden- werden. Seminarist*innen - dann wurdest Du Seminarleiterin, NE: Bei den Plastiken, so erzähltest Du, stellst Du Fra- welche zum ersten Mal einen künstlerischen Hinter- gen an die Gegenstände - oft erwachst Du am nächsten grund hat und jetzt stellst Du als Malerin bei uns Bilder Morgen und weißt, wie sie zusammengehören, wie ist und Plastiken aus. Du hast mit Deiner Ausstellung hier das beim Malen? im Seminar manche langjährigen Mitarbeiter über- MB: Ich versuche Vorstellungen loszulassen und zu se- rascht und viel von Dir preisgegeben. hen was ist und werden will. Die Kleinplastiken haben MB: Preisgeben hört sich an, als wollte ich nichts von vornehmlich eine Botschaft: Das sind u.a. Gegenstän- mir zeigen, so ist es nicht. Ich wollte mich mit meinem de, die dem Menschen gedient haben. Sind sie entlas- bildnerischen Schaffen einfach niemandem aufdrän- gen. So hatte ich mich zuerst gewehrt als Else – Marie mich fragte ob ich eine Ausstellung machen würde. (lacht) Aber dann wart Ihr so überzeugend… NE: Wir sind froh, dass Du es Dir nochmals überlegt hast und bei uns ausstellst, lieben Dank noch einmal. Ist das Deine erste Ausstellung? MB: Ja. NE: Du arbeitest zweifach künstlerisch – wo liegt für Dich der Unterschied zwischen dem Malen und dem Sprechen? MB: Bilder und Plastiken gehören zur bildenden Kunst, sie bleiben nach dem künstlerischen Akt bestehen, so- 24
Interviews sen, erhalten sie die Freiheit zu etwas ganz Anderem, Neuem zu werden. NE: Gibt es eine Inspirationsquelle, nach der Du arbei- test? MB: Es gibt Themen, Gedichte im Hintergrund, da ver- suche ich, mit der Farbe zu arbeiten. Das ist ein großes seelisches Erlebnis; das ist eigentlich eine Schulung, so wie der Weg der Sprachgestaltung ein Schulungsweg ist. Du begegnest Dir ja fortwährend, Deinen eigenen Vorstellungen, Deinem Festgemauerten. Das kommt schneller aufs Blatt, als Du Dir das wünschen kannst. NE: Wie gehst Du mit einem Pinselstrich um, der Dir WAHL nicht unbedingt gefällt? Ein Mandelbaum sein MB: Ja. Du schaffst Tatsachen - je nach Temperament eine kleine Wolke natürlich; als Choleriker sehr schnell, und versuchst in Kopfhöhe über dem Boden dann damit umzugehen. Wie im Leben, wie im Schick- ganz hell sal. Dann kannst Du schauen, wie Du damit umgehst einmal im Jahr - aber eben auf dem Blatt. Einer im kleinen Stoßtrupp NE: Ein Entwicklungsbeschleuniger? des Frühlings MB: Ja, und eine Reflektionshilfe. Ganz aus freien Stü- keinem zu Leid als sich selber cken und durch die Farben in die Leichte gehoben. im Glauben an einen blauen Tag NE: Dein zweites Gedicht, das Du Dir ausgewählt hast, vor Kälte verbrennen beschreibt den Zustand: « … und nichts ganz recht tun Ein kleiner Mandelbaum sein und nichts ganz verkehrt…» am Südhang der Pyrenäen MB: … Es beschreibt mein Lebensgefühl im Alltag. oder im Rheintal NE: Erreichst Du manchmal beim Malen den Zustand, der bleibt und wächst als säße ein Vogel auf deiner Hand? wo er gepflanzt ist MB: Ja, es gibt Momente, die nah am Wunderbaren Aber entlang gehen sind. bei diesem Mandelbaum NE: Liebe Moni, oder ihn plötzlich sehn ich danke Dir für wenn der Zug das Gespräch. aus dem Tunnel kommt Wir bleiben ge- spannt, womit Lachen und Weinen und die unmögliche wir Dir als nächs- Wahl haben tes begegnen. und nichts ganz recht tun und nichts ganz verkehrt und vielleicht alles verlieren Doch mit Ja und Nein und Für-immer-vorbei nicht müde werden sondern dem Wunder leise wie einem Vogel, die Hand hinhalten Hilde Domin 25
Interviews Interview mit Lisa von Holsteijn „Die Liebe soll getrennte Wesen binden, doch nicht die Eigenheiten töten wollen“ Teil II Brückenbauen Lisa van Holsteijn und Die acht Ausbildungsstätten liegen geografisch so Eline van den Muijsenberg | 2. Studienjahr nahe beieinander, dass sich ein großes Potential für eine Zusammenarbeit ergibt. Campus A wurde vor fast Das Thema Brückenbauen stellt die Frage nach der Ent- acht Jahren von einer Gruppe von Studenten und Do- wicklung einer Verbindung zwischen meiner Welt und zenten gegründet, die erfahren haben, dass alle Aus- der anderen Welt. Als Seminarist an einem bestimmten bildungen aus demselben Impuls stammen und die das Seminar hat man nicht unbedingt eine Ahnung davon, große Bedürfnis haben, sich gegenseitig zu unterstüt- was und wer in der Welt eines anderen Seminars lebt. zen und zu stärken. So entstand aus dieser Initiative Die Welten sind ihm so nahe und doch so unbekannt. die jährlich stattfindende BildungsArt - eine Tagung Um das Thema direkt in die Tat umzusetzen, haben die für alle Studenten, um sich eine Woche lang gegensei- Seminarbriefe Hamburg und Stuttgart eine Brücke ge- tig kennenzulernen und einem Thema zu widmen. Auch baut mit einem zweiteiligen Artikel, wovon Teil I im Mai der Initiativkreis ist hieraus entstanden. Es ist ein Kreis d. J. im Seminarbrief Hamburg erschienen ist. Teil II von Dozenten aus allen Ausbildungsrichtungen, der haben Sie gerade vor sich, und darin erzählt die Stu- sich regelmäßig trifft, um zu sehen, was gemeinsam dentin Lisa van Holsteijn von dem Verbindungsimpuls noch mehr getan werden kann. zwischen den verschiedenen anthroposophischen Aus- Ich erlebe den Campus A als Keim von etwas, das vor bildungen in Stuttgart und ihren eigenen Erfahrungen acht Jahren begonnen hat, und in dem jetzt ein neuer im Brückenbauen. Impuls entstehen will. Schau` zum Beispiel das Pries- terseminar an, wo Mariano Kasanetz und Xenia Med- Lisa, ich kenne dich als Urbrückenbauerin. Du bewegst vedeva vor zwei Jahren mit einem Erneuerungsimpuls dich von Natur aus in verschiedenen sozialen Welten die Seminarleitung übernommen haben. Auch in an- und weißt, wie du, mit großer Begeisterung und in der deren Ausbildungen scheinen sich alte Strukturen zu Zusammenarbeit mit anderen Menschen, Initiativen ändern und Dozententeams zu verjüngen. Und so wird aufbauen kannst, die verschiedene Welten verbinden. auch die BildungsArt 2022 anders aussehen. Ich war So bewegst du dich auch im Campus A, einer Initiative, bei der ersten Vorbereitung im Februar dabei und habe in der acht anthroposophische Ausbildungsseminare in dort eine besondere, erneuernde Stimmung erlebt. Alle Stuttgart zusammenarbeiten, darunter auch das Pries- Anwesenden hatten eine fragende und suchende Hal- terseminar. Kannst du mehr darüber erzählen? tung, und die Dozenten hatten einen Raum geschaf- fen, in dem sie unbefangen zuhören und herausfinden konnten, welche Impulse, Fragen, Anliegen und Wün- sche die Studenten in sich tragen. Diesen Raum habe ich wie eine Schale empfunden, die empfangen kann, was aus der Zukunft entstehen will. Dieser neue Impuls erscheint mir wie die Tätigkeit eines bestimmten Zeitgeistes, der gerade gleichzeitig in ver- schiedene Orte einströmt. Er erfüllt mich mit Hoffnung und Begeisterung, und ich spüre seine gewichtige Be- deutung. Ich bin überzeugt, dass, wenn die anthropo- sophische Bewegung in dieser Zeit überleben will, wir intensiv Brücken bauen müssen; Brücken zueinander, aber auch zu anderen Bewegungen und Organisatio- nen, in denen nach der Menschwerdung gestrebt wird. Was macht es für die Anthroposophie schwer, in dieser Zeit zu überleben? 26
Interviews Heutzutage geht von der materialistischen Weltan- Anthroposophie anderes als ein Weg zur Wahrheit? schauung eine Kraft aus, die enorme Auswirkungen Zum anderen habe ich in diesen Gesprächen auch ge- auf die Gesellschaft, aber auch auf jeden einzelnen lernt, dass ich den Mut haben muss, meinem Wahr- Menschen hat. Von Kindheit an müssen wir uns mit in- heitsgefühl zu folgen, und dass ich wirklich zeigen tellektuellem Denken auseinandersetzen. Dieses Den- muss, was in meinem Herzen lebt. Ich mache mich ken erlaubt nicht, dass sich etwas, das nicht materiell dabei sehr verletzlich, weil ich jemandem den Zutritt gemessen werden kann, als wahr erweisen könnte. Da- in mein innerstes Heiligtum erlaube. Was dort lebt, raus ergibt sich ein Menschenbild, in dem der Mensch ist das, woraus ich bestehe. Dort wohnt die Kraft, die als bloß biologische Maschine ohne beseelten Geist mein Wesen ausmacht. Aber dadurch, dass ich mein angesehen wird. Aus dieser Perspektive ist es leicht, zu Heiligstes öffne und ausdrücke, was dort lebt, entsteht glauben, dass der nächste Schritt der Evolution darin die Möglichkeit, dass Ich von jemand anderem gesehen besteht, dass der Mensch mit der Technologie zu ei- werde, und dadurch werde Ich Wirklichkeit. ner technologischen Maschine verschmilzt. Dies führt Mit dieser offenen, interessierten und von Mut getra- dazu, dass wir die Erfahrung verlieren, dass wir eigent- genen Seelenhaltung kann die Brücke zwischen mir lich Geistwesen sind. Wo ist dann der Sinn des Lebens und dem anderen geschaffen werden. Diese Brücke ist zu finden? die Liebe und sie ermöglicht eine Verbindung, in der wir Rudolf Steiner hat mit der Anthroposophie einen star- beide wirklich Ich sein können. Hierbei erinnere mich ken Weg zum Ausgleich dieser materialistischen Welt- an ein Zitat aus dem zweiten Mysteriendrama von anschauung gebracht. Wenn die Menschen aus dem Rudolf Steiner, das Herr Debus in meine Seele einge- Impuls der Anthroposophie arbeiten wollen aber kein brannt hat: „Die Liebe soll getrennte Wesen binden, Bewusstsein dafür haben, was in ihren Verbündeten doch nicht die Eigenheiten töten wollen.“ Wenn es uns lebt, dann bringt das Wesen der Anthroposophie kei- gelingt, diese Verbindung herzustellen, helfen wir uns nen Fuß auf die Erde. gegenseitig auf unseren individuellen Wegen, um sie Wie bauen wir Brücken, damit dieses Wesen auf der in Freiheit gehen zu können, und um unsere Impulse Erde Fuß fasst? in die Welt zu setzen. Auf diese Weise kann sich eine Meiner Erfahrung nach, sind Offenheit und Interesse Gemeinschaft von Menschen entwickeln, die nach für die Anderen wichtig. Ich habe einen Freund, der Menschwerdung strebt, in dem wahrsten Sinne des Informatik studiert und eine völlig andere Weltan- Wortes. schauung hat. Im letzten Jahr habe ich viele Gespräche mit ihm über den Sinn des Daseins geführt. Ich musste da jemandem die Anthroposophie erklären, der keine Ahnung von ihren Inhalten hat und auch nicht unbe- dingt mit ihnen einverstanden ist. Was ich an diesen Gesprächen so besonders fand, war, dass wir beide ein gegenseitiges Interesse für unsere unterschiedlichen Ansichten hatten, und die Bereitschaft, unsere Welt- bilder einander anzupassen. Ich hatte durch diese Ge- spräche die Möglichkeit, die Anthroposophie mehr zu verinnerlichen. Denn durch seine Fragen an mich, wur- de mir das, was ich selber noch nicht verstanden habe, bewusster, und ich erwischte mich dabei, dass seine Kritik an meinen Aussagen, eine dogmatische Seite an mir zum Vorschein brachte. Diese Offenheit und das beiderseitige Interesse eröffnete einen Weg, gemein- sam ehrlich nach der Wahrheit zu suchen. Und was ist 27
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