Seminarvortrag: EPR-Paradoxon, Bell'sche Ungleichung, Verschränkung - Institut für ...

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Seminarvortrag: EPR-Paradoxon, Bell'sche Ungleichung, Verschränkung - Institut für ...
Seminarvortrag: EPR-Paradoxon, Bell’sche
                 Ungleichung, Verschränkung
                                           David Rug
                Universität Heidelberg, Quantenmechanik-Seminar \ G Wolschin
                             Philosophenweg 12, 69120 Heidelberg
                                      (Dated: 9. Mai 2019)

Dieser Artikel befasst sich mit dem Phänomen der Verschränkung, dem darauf aufbauenden EPR-
Paradoxon und der damit verbundenen Bell’schen Ungleichung. Ziel ist es, die Essenz dieser
Begriffe zu erklären um deren Implikationen auf das Fundament der Quantenmechanik zu
betrachten und dabei einen groben Überblick über die Debatte der Interpretation der
Quantenmechanik zu geben.

1. Einleitung

Die Entdeckung der Quantentheorie, Anfang des 20. Jahrhunderts stellte viele fundamentale
Intuitionen auf einmal in Frage. Darunter der bis dahin als allgemein gültig angesehene
Determinismus. Diese Tatsache bereitete Albert Einstein neben anderen Physikern
Kopfschmerzen. Seine Ablehnung des Indeterminismus drückte er in Zitaten wie: „Gott würfelt
nicht“ [1] und „Ist der Mond da, wenn man nicht hinschaut?“ [2] aus. Erwin Schrödinger soll etwa
zur selben Zeit gesagt haben: „Wenn es bei dieser verdammten Quantenspringerei bleiben soll, so
bedaure ich, mich mit der Quantentheorie überhaupt beschäftigt zu haben“ [3]. In seiner
Bemühung den Indeterminismus der Quantenmechanik zu widerlegen veröffentlichte Einstein
zusammen mit Boris Podolsky und Nathan Rosen 1935 das sogenannte „Einstein-Podolsky-
Rosen-Paradoxon“. Dieses sollte die Unvollständigkeit der Quantentheorie zeigen und den damit
verbundenen Bedarf von sogenannten „versteckten Parametern“ um diese zu einer
vollständigeren Theorie zu ergänzen. 1964 zeigte jedoch John W. Bell mit seiner „Bell’schen
Ungleichung“, dass diese nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen existieren können.

2. Das Phänomen der Verschränkung

Immer dann, wenn zwei Teilsysteme miteinander Wechselwirken und es verschiedene,
aufeinander abgestimmte Möglichkeiten gibt, wie sie sich danach verhalten, spricht man von
Verschränkung. Die Teilsysteme sind in sofern verschränkt, dass eine Messung an einem
Freiheitsgrad des einen Systems, den Wert des Freiheitsgrads des anderen Systems festlegt.
Ein anschauliches Beispiel dazu ist die Kollision zweier Teilchen:

Dabei sind die Trajektorien der beiden Teilchen nach dem Zusammenstoß insofern aufeinander
abgestimmt, dass sich diese immer auf einer Geraden voneinander weg bewegen. Da wir
aufgrund der Heisenbergunschärfe jedoch die genaue Lage dieser Gerade nicht bestimmen

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können, gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie sich das Gesamtsystem nach der
Wechselwirkung verhalten kann.

Etwas mathematischer bezeichnen wir einen Zustand genau dann als verschränkt, wenn dieser
nicht separabel ist. Das bedeutet er lässt sich nicht in ein direktes Produkt faktorisieren.[4]
Um das ganze präziser zu definieren, betrachten wir zwei Teilsysteme A,B. Deren Hilberträume
bezeichnen wir mit ℋA und ℋB mit der jeweiligen Basis { | ai⟩} und { | bj⟩}. Der Hilbertraum des
Gesamtsystems AB ist gegeben durch das Tensorprodukt der einzelnen Hilberträume:

                                        ℋAB = ℋA ⊗ ℋB
Dessen Basis ist gegeben durch:
                                           | ai bj⟩ = | ai⟩ ⊗ | bj⟩

Jeder reine Zustand    | ψ⟩ϵℋAB ist dann gegeben durch:

                                                         ∑
                                                | ψ⟩ =          ci, j | ai bj⟩
                                                         i, j
Damit können wir Separabilität präziser definieren als:

                        | ψ⟩ ϵ ℋAB separa bel ⇔ | ψ⟩ = | ψA⟩ ⊗ | ψB⟩
Wir wollen nun einige Beispiele betrachten.
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Für den Zustand einer Superposition aller möglicher Orientierungen zweier Spin- -Teilchen gilt:
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          1                                                                      1
| ψ1⟩ =       ( | ↑ ⟩ | ↑ ⟩ − | ↓ ⟩ | ↓ ⟩ + | ↑ ⟩ | ↓ ⟩ − | ↓ ⟩ | ↑ ⟩) =             ( | ↑ ⟩ + | ↓ ⟩)( ↑ ⟩ − | ↓ ⟩)
          2                                                                      2
Dieser ist also Seperabel, da er sich als direktes Produkt zweier reiner Zustände aus den
jeweiligen Hilberträumen der einzelnen Teilchen schreiben lässt.
Für den Zustand:
                                            1
                                | ψ2⟩ =         ( | ↑ ⟩ | ↓ ⟩ − | ↓ ⟩ | ↑ ⟩)
                                            2
finden wir jedoch keine solche Zerlegung. Das bedeutet, dass dieser verschränkt ist.

3. Das EPR-Paradoxon

Aufgrund der besseren Verständlichkeit und der einfacheren Realisierbarkeit werden wir nicht das
Original EPR-Paradoxon, sondern die Neuformulierung von 1957 von D. Bohm und Y. Aharonov
                                                                                1
diskutieren. Diese betrachtet ein Molekül mit Gesamtspin Null, das in zwei Spin- -Atome, A und
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B, zerfällt. [5]
Die Gesamtwellenfunktion ist dann gegeben durch:

                                                1
                                | ψ AB⟩ =           ( | ↑ A ⟩ | ↓B ⟩ − | ↓A ⟩ | ↑B ⟩)
                                                2
Die Teilchen werden nun auf so eine Weise voneinander weg bewegt, dass der Gesamtspin nicht
beeinflusst wird. Nachdem sie weit genug voneinander entfernt sind, dass sie nichtmehr
miteinander interagieren können, wird der Spin an Teilchen A gemessen. Da der Gesamtspin nach
wie vor Null ist, kann man so direkt darauf schließen, dass der Spin von Teilchen B
entgegengesetzt zu dem von Teilchen A orientiert ist. In anderen Worten: die Spins sind korreliert.
Entscheidend ist nun die Tatsache, dass die Messung an Teilchen A ein zufälliges Ergebnis liefert.
Da die beiden Teilchen eine beliebige Distanz zwischen sich haben können und die Messungen an
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beiden Teilchen nahezu gleichzeitig ausgeführt werden können und die Korrelation weiterhin
bestehen bleibt, bedeutet das, dass eine Art instantane Wechselwirkung zwischen ihnen
stattfindet. Dies widerspricht offensichtlich dem Grundprinzip der SRT, das besagt, dass die
Lichtgeschwindigkeit die obere Grenze für jegliche Geschwindigkeit darstellt. Die Autoren des
Original Papers schlossen aus dieser Tatsache, dass die Quantenmechanik keine vollständige
Beschreibung der Realität liefert: „While we have thus shown that the wave function does not
provide a complete description of the physical reality, we left open the question of whether or not
such a description exists. We believe, however, that such a theory is possible.“ [6]
Auf dieser Grundlage postulierten sie den Bedarf von sogenannten „versteckten Parametern“, die
vor der Trennung der Teilchen schon deterministisch festlegen würde, was die Messung für ein
Ergebnis hätte. Auf diese Weise wäre das EPR-Paradoxon gelöst, da keine überlichtschnelle
Wechselwirkung nötig wäre um die Korrelation zu erklären.

4. Die CHSH-Ungleichung

Seit J. Bell 1964 die Bell’sche Ungleichung formulierte gab es viele Neuformulierungen, die
experimentelle Realisierbarkeit und besseres Verständnis als Ziel hatten. Darunter gilt die CHSH-
Ungleichung als eine der am besten verständlichsten. Diese wurde 1969 von J. Clauser, M. Horne,
A. Shimony und R. Holt entwickelt. Da diese die Bell-Ungleichung auf eine beliebige Observable
verallgemeinert ist sie besonders zugänglich für experimentelle Überprüfung. („[Experiments]
involving correlated spin particles, has not been performed, nor does it appear to be easily
realizable.“)[7]
Vor dem Betrachten der Ungleichung gilt es noch zwei Prinzipien zu klären:

1. Lokalität: Messungen sind unabhängig von kausal zusammenhangslosen Regionen.[8]

2. Realismus: Es existiert eine physische Realität unabhängig von Messungen.[9]

Anschaulich besagt das Lokalitätsprinzip, dass keine instantane Fernwirkung erlaubt ist und das
Prinzip des Realismus, dass, analog zur klassischen Physik, (versteckte) Parameter existieren, mit
deren Hilfe man das Ergebnis einer Messung vorhersagen könnte.
Um die CHSH-Ungleichung herzuleiten betrachten wir ein Spiel. Teilnehmer dieses Spiels sind
Alice und Bob. Jede Runde erhalten diese jeweils ein Objekt von einer Quelle. Wir nehmen an,
dass es sich bei der Quelle um eine Münzfabrik handelt und die Objekte folglich Münzen sind.
Jede Runde wird eine blaue, quadratische und eine rote, runde Münze produziert. Des Weiteren
setzen wir voraus, dass eine Liste von Parametern λ existiert, die alle Informationen darüber trägt,
welche Münze jeder der Spieler in jeder Runde erhält. Immer wenn Alice und Bob ihre jeweilige
Münze erhalten, treffen sie eine Entscheidung, ob sie die Form oder die Farbe der Münze messen.
Die Variable für die Eigenschaft, die sie messen wollen bezeichnen wir für Alice mit P,Q und für
Bob mit R,S. Wir legen fest, dass die Variablen P,R für die Messung der Farbe der jeweiligen
Münze steht und die Variablen Q,S für die Messung der Form. Zudem gilt, dass die Ergebnisse

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der Messung dieser Eigenschaften binärer Natur sind, also -1 oder 1 annehmen können. Die
Zufallsvariable von Alice bezeichnen wir dabei mit X und die von Bob mit Y
Die Variable, für die Alice sich entscheidet nennen wir a ϵ {P,Q}, die, für die sich Bob entscheidet
b ϵ {R,S}. Diese sind korreliert über den Erwartungswert der Messung:

                                             ∫Λ
                                E(a, b) =         X(a, b, λ)Y(a, b, λ)ρ(λ | a, b)d λ
Dabei betrachten wir zuerst den allgemeinsten Fall, indem wir Alice’ Ergebnis X von Bobs
Entscheidung b abhängig machen und umgekehrt. Zudem haben die Entscheidungen der Spieler
einen Einfluss auf die Liste λ.
Nun wollen wir die beiden zuvor definierten Prinzipien einarbeiten. Gemäß dem Lokalitätsprinzip
hängen die Ergebnisse der beiden Spieler nicht mehr von der Entscheidung des jeweils anderen
ab:

                                        X(a, b, λ) → X(a, λ)
                                        Y(a, b, λ) → Y(b, λ)

Das Prinzip des Realismus arbeiten wir ein indem wir die Liste der Parameter λ nicht mehr von
a, b abhängig machen:

                                        ρ(λ | a, b) → ρ(λ)
Damit können wir den Erwartungswert erneut definieren:

                                             ∫Λ
                                E(a, b) =         X(a, λ)Y(b, λ)ρ(λ)d λ

Zum herleiten der CHSH-Ungleichung betrachten wir nun eine ganz spezielle Summe:

                         CHSH = E(P, R) + E(Q, R) + E(P, S ) − E(Q, S )
Einsetzen ergibt:

                    ∫Λ
       CHSH =            [X(P, λ){Y(R, λ) + Y(S, λ)} + X(Q, λ){Y(R, λ) − Y(S, λ)}]ρ(λ)d λ

Da die Zufallsvariablen X und Y jeweils nur die Werte ± 1 annehmen können gilt für den Ausdruck
in eckigen Klammern:
                                        −2 ≤ [ . . . ] ≤ 2
Aufgrund der Normierung der Wahrscheinlichkeitsverteilung ergibt sich für den gesamten
Ausdruck:
                                            | CHSH | ≤ 2
Dies ist die sogenannte CHSH-Ungleichung. Wichtig zu bemerken ist an dieser Stelle, dass deren
Herleitung rein mathematisch war.
Nun wollen wir überprüfen ob diese mit der QM kompatibel ist. Dazu nehmen wir an, dass Alice
                               1
und Bob jetzt jeweils ein Spin- -Teilchen pro Runde erhalten, analog zur Situation aus Abschnitt
                                 2
3. Wir betrachten also wieder den Zustand:

                                        1
                            | ψ AB⟩ =        ( | ↑ A ⟩ | ↓B ⟩ − | ↓A ⟩ | ↑B ⟩)
                                         2

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Die möglichen Eigenschaften, die sie messen können sind gegeben durch:

P : σ zA
       1
Q:        (σ zA + σ xA)
        2
      B
R : σz
     1
S:       (σzB − σxB )
       2

Dabei gilt σ zA ≡ σ zA ⊗ I B, das bedeutet die Operatoren wirken jeweils nur auf Alice oder Bobs
Teilchen.
Nun wollen wir wieder die einzelnen Summanden bestimmen. Die Erwartungswerte ergeben sich
zu:

E(P, R) = ⟨ψ AB | σ zA ⊗ σzB | ψ AB⟩ = − 1
                      1                                        1
E(Q, R) = ⟨ψ AB |        (σ zA + σ xA) ⊗ σzB | ψ AB⟩ = −
                       2                                         2
                             1                                 1
E(P, S ) = ⟨ψ AB | σ zA ⊗        (σzB − σxB ) | ψ AB⟩ = −
                               2                                2
                      1                    1
E(Q, S ) = ⟨ψ AB |       (σ zA + σ xA) ⊗        (σzB − σxB ) | ψ AB⟩ = 0
                       2                     2
Einsetzen ergibt:

                                                          1
                            | CHSH | = | (−1 − 2 *             ) | ≈ 2,4142 ≰ 2
                                                           2
Somit verletzt die QM die CHSH-Ungleichung. Da wir diese jedoch rein mathematisch hergeleitet
haben bedeutet das, dass der Einzige Fehler in den Annahmen liegen kann. Wir haben somit also
gezeigt, dass die Natur nicht beiden Prinzipien (Lokalität & Realismus) zugleich unterliegen kann.
Folglich muss jede ernstzunehmende Theorie der Realität mindestens eines dieser Prinzipien
fallen lassen.

                                                                                                   5
5. Experimentelle Überprüfung

Seit der Formulierung der Bell’schen Ungleichung 1964 gab es zahlreiche Experimente, die diese,
oder andere, aus ihr hergeleiteten, Ungleichungen überprüfen sollten. Wir wollen nun ein
Experiment genauer betrachten, dass sich explizit mit der CHSH-Ungleichung befasst. Dieses
wurde 1998 von Dr. Gregor Weihs an der Universität Wien im Zuge seiner Dissertation
durchgeführt. [10]

Der Aufbau lässt sich in drei Hauptbereiche unterteilen: Die Quelle und die jeweilige
Empfängerstation Alice und Bob.
Die Quelle erzeugt Photonenpaare, die über ihre Polarisation miteinander verschränkt sind, indem
ein Lichtstrahl durch einen Doppelbrechenden Kristall geleitet wird.

Die so produzierten Photonen werden jeweils über ein Glasfaserkabel zur jeweiligen
Empfängerstation geleitet.

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Dort durchlaufen diese zuerst einen Modulator und treffen danach auf einen Polarisator. Je
nachdem, wie das Photon polarisiert ist, wird es entweder auf den grünen oder auf den roten
Detektor geleitet. Zudem ist ein Zufallsgenerator verbaut, der die Rolle der „freien“ bzw.
„zufälligen“ Entscheidung des Spielers erfüllt. Generiert dieser eine „0“, so wird der Modulator so
angesteuert, dass dieser die Photonen so moduliert, dass diese später vom Polarisator auf ihre
Polarisation entlang der Achse von 0° getrennt werden. Wird eine „1“ generiert, so wird auf
Polarisation entlang einer Achse von 45° geprüft.
Sowohl die Detektoren als auch der Zufallsgenerator sind mit einem Computer verschalten, der
bei jeder Detektion die gemessene Polarisation (+/-) und die Stellung des Zufallsgenerators (1/0)
in einer Liste speichert. Da wir nicht an einzelnen Photonen interessiert sind, sondern an
Photonenpaaren und die Detektoren bei weitem nicht jedes eintreffende Photon detektieren,
können wir nicht einfach die Listen der beiden Empfängerstationen Eintrag für Eintrag vergleichen.
Was wir benötigen ist der Zeitpunkt, zudem jede Detektion stattgefunden hat. So können wir
später identifizieren, welches Proton von Alice zu welchem von Bob korrespondiert. Dies
erreichen wir mit einem „Rubidium Frequenzstandard“.
Die Durchführung des Experiments ergab folgende Werte:

In der ersten Zeile und Spalte der Tabelle sind die Zählungen für die jeweilige Kombination von
Polarisation und Zufallsvariable aufgetragen. In der großen Zähle wurden dann die Anzahl

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Koinzidenzen, also die identifizierten Teilchenpaare, aufgetragen. Aus diesen Werten wurden die
einzelnen Summanden der CHSH Summe ( E(0,0), E(0,1),…) ermittelt.
Aufstellen der Summe ergab:

                                     | CHSH | = 2,73 ± 0,02

Dies verletzt die CHSH-Ungleichung um fast 30 σ ! Daraus lässt sich schließen, dass die Natur
mit einer überwältigenden Wahrscheinlichkeit nicht lokal und realistisch zu gleich ist.

6. Interpretationen der Quantenmechanik

Nun wollen wir einen Blick darauf werfen, welche Interpretationen der QM die Menschen sich
überlegt haben und in welchem Bezug diese zu den, durch die Bell’sche Ungleichung ermittelten,
Rahmenbedingungen stehen.

6.1 Kopenhagen Interpretation

Die Kopenhagen Interpretation, auch Standard Interpretation genannt, wurde 1927 von Nils Bohr
und Werner Heisenberg während ihrer Zusammenarbeit in Kopenhagen entwickelt. Sie ist die
erste abgeschlossene und in sich konsistente Interpretation der QM. Zentral für diese ist, dass der
Wahrscheinlichkeitscharakter von Messungen nicht Ausdruck der Unvollständigkeit der
Quantentheorie ist, sonder deren Indeterministischen Charakter widerspiegelt. Sie unterteilt die
Natur in einen klassischen und einen quantenmechanischen Bereich. Der quantenmechanische
Bereich beginnt da, wo die Wechselwirkungen in der Größenordnung des Planck’schen
Wirkungsquantums h liegen. Begriffe, wie Ort und Impuls ergeben in diesem Fall keinen Sinn
mehr. Des Weiteren wird der Wellenfunktion keine Realität im unmittelbaren Sinne zugeschrieben
sonder sie dient lediglich als Mittel der Vorhersage. Die einzigen Elemente der Realität sind
demnach die Ergebnisse von Messungen.

6.2 Many-Worlds-Interpretation

Die MWI wurde erstmals 1957 von Hugh Everett formuliert. Sie folgt komplett natürlich aus dem
sogenannten Everett-Postulat: [11]

           „Alle isolierten Systeme entwickeln sich gemäß der Schrödingergleichung“

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint ist dies ein folgenschwerer Satz. Aus ihm
folgt:

Korollar 1: Das gesamte Universum entwickelt sich gemäß der Schrödingergleichung, da dieses
als isoliertes System gilt

Korollar 2: Die Messung an einer Superposition kann kein definiertes Ergebnis haben, da der
Kollaps der Wellenfunktion das Everett Postulat verletzt.

Dies hat zur Folge, dass jedes indeterministische Event zu einer Aufspaltung in mehrere parallele
Universen führen muss. Diese nichtdeterministischen Events werden somit also durch die
derterministische Schrödingergleichung beschrieben. Insgesamt handelt es sich bei der MWI also
um eine deterministische Interpretation, jedoch nicht in Bezug auf die einzelnen Universen,
sondern in Bezug auf das Multiversum, der Menge aller Universen.

                                                                                                  8
6.3 Bohmian Mechanics

   Bohmian Mechanics, auch deBroglie-Bohm-Formalismus genannt, wurde 1920 von Louis
   deBroglie begonnen und 1952 von David Bohm wiederaufgegriffen und ausformuliert. Zentral bei
   diesem Formalismus ist, dass es keinen Welle-Teilchen Dualismus gibt, sondern sowohl die
   Wellenfunktion, als auch einzelne Teilchen nebeneinander existieren. Die Existenz von Teilchen hat
   zur Folge, dass deren Ort und Impuls zu jeder Zeit scharf definiert ist. Die Heisenberg-Unschärfe
   ist somit nicht fundamental gegeben, sonder nur eine Folge der Tatsache, dass wir nicht mit
   beliebiger Genauigkeit messen können. Zwischen der Wellenfunktion und den Teilchen findet eine
   Wechselwirkung statt, wodurch die Trajektorie der Teilchen beeinflusst wird. („Pilot-Wave-Theory“)
   Der Formalismus ist in der Lage die Ergebnisse der QM zu reproduzieren, z.B. das
   Doppelspaltexperiment:

Abb.8 : Quelle: https://www.researchgate.net/figure/Trajectories-of-the-Bohmian-dynamics-in-the-two-slit-experiment-Each-line-corresponds-to_fig1_324435934

   Hier gibt die Position im jeweiligen Spalt vor, wie sich die Trajektorie des Teilchens ergibt. Somit
   entsteht exakt dasselbe Interferenzmuster, wie es experimentell beobachtet wird. Das ganze
   Experiment ist somit deterministisch.

   6.4 Interpretationen im Vergleich

   Nun wollen wir die verschiedenen Interpretationen im Bezug auf die zuvor ermittelten
   Rahmenbedingungen vergleichen.

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Die Kopenhagener Interpretation ist dabei die radikalste in dem Sinne, dass sie nicht nur eines der
beiden Prinzipien ablehnt, sondern gleich beide zugleich. Sie ist nicht-lokal, denn sie löst das
EPR-Paradoxon durch den instantanen Kollaps der Wellenfunktion, der annehmbar ist, da dieser
eben keine unmittelbare Realität zugeschrieben wird. Darüberhinaus lehnt sie die Existenz von
„versteckten Parametern“ ab und ist somit auch nicht-realistisch.
Die MWI ist eine lokale Theorie, da sie keine instantane Fernwirkung benötigt um das EPR-
Paradoxon zu lösen. Hier wird keine Information vom einen zum anderen Teilchen übertragen,
vielmehr bedeutet die Tatsache, dass man z.B. Spin-up misst, dass man sich in dem Universum
befindet, in dem das andere Teilchen Spin-down hat. Eine bessere Beschreibung des Vorgangs
wäre, dass nicht Information übertragen wird, sondern an zwei Orten gleichzeitig entsteht.
Des Weiteren ist die MWI nicht-realistisch, in dem Sinne, dass sie keine versteckten Parameter
benötigt. Jedoch ist an dieser Stelle wichtig anzumerken, dass Vertreter der Theorie der
Wellenfunktion, im Gegensatz zur Kopenhagen Interpretation, eine unmittelbare Realität
zuschreiben.
Bohmian Mechanics ist nicht-lokal, da die Wellenfunktion durch die Randbedingungen, gegeben
durch das gesamte Universum, gegeben ist und mit den Teilchen wechselwirkt. Somit liegt eine
instantane Fernwirkung vor. Sie ist jedoch eine der wenigen Interpretationen, die es schafft,
versteckte Parameter zu integrieren und somit den Realismus zu erhalten.

7. Fazit

Über ein Jahrhundert nach der Entwicklung der Quantentheorie ist diese immer noch nicht
vollständig verstanden. Dies drückt sich in der Anzahl rivalisierender Interpretationen aus. Es ist
schlichtweg ein Fakt, dass viele quantenmechanische Phänomene sich nicht intuitiv erklären
lassen. Ein möglicher Grund dafür ist, dass wir durch Evolution nicht darauf vorbereitet wurden
Intuitionen für mikroskopische Naturgesetze zu haben. Möglich ist jedoch auch, dass hinter der
QM eine intuitivere Theorie steckt und wir weiter forschen müssen, bis wir diese gefunden haben.
Eine schöne Analogie dazu ist Newtons Gravitations-Theorie. Diese wurde um 1700 formuliert,
konnte sehr präzise Vorhersagen treffen und wurde ebenfalls für ihre unnatürliche Fernwirkung
kritisiert. Erst 200 Jahre später, als dann Einstein mit der GRT herauskam, konnten wir endlich
verstehen, warum das Gravitationsgesetz die Form hat, die es hat.
Vielleicht trifft dasselbe auf die QM zu und es benötigt ein weiteres Jahrhundert an Arbeit, bis wir
diese endlich vollständig verstehen.

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Literaturnachweise

• [1]-[5]: F. Schwabl: Quantenmechanik (QM1), Springer Verlag, Berlin & Heidelberg, 2007, S.
  398,399 (Fußnote)

• [6]: A. Einstein, B. Podolsky, N. Rosen: Can quantum-mechanical description of physical reality
  be considered complete?, Phys. Rev. 47, 777–780 (1935)

• [7]: J. Clauser, M. Horne, A. Shimony, R. Holt: Proposed Experiment to test local Hidden-
  Variables Theories, Phys. Rev. 23, 880 (1969)

• [8],[9]: M. Sarovar: Lecture: Chem/CS/Phys191: Qubits, Quantum Mechanics, and Computers,
  2014, lecture 11 URL= S. 4

• [10]: G. Weihs: Dissertation: Ein Experiment zum Test der Bell’schen Ungleichung unter
  Einsteinscher Lokalität, S.29-50 (1998) URL=

• [11]: M. Tegmark: Many Worlds in Context. Massachusetts Institute of Technology (Cambridge/
  USA) 2009

• [12]: J.S. Bell: On the Einstein Podolsky Rosen Paradoxon, Phys. Vol. 3, 195 (1964)

• [13]: D. Bohm, Y. Aharonov: Discussion of Experimental Proof for the Paradox of Einstein, Rosen
  and Podolsky, Phys. Rev. 108, 1070 (1957)

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