SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen

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SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
4 2009
SENIOREN
  Zeitschrift

             In Frankfurt zuhause –
             Begegnung der Kulturen
             Senioren Zeitschrift
             wird 35 Jahre alt

             Kurioses in der Stadt

         Seniorentelefon 2 12-3 70 70
    www.senioren-zeitschrift-frankfurt.de
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
Grußwort
                                                                                                                                 Liebe
                                                                                                                                 Frankfurterinnen
                                                 Aus dem Inhalt                                                                  und Frankfurter,

                                                                                                                                 wenn Sie zu den Stamm-
In Frankfurt zuhause –                                            Freizeit und Unterhaltung                                      leserinnen und -lesern
Begegnung der Kulturen                                                                                                           der SZ gehören, werden
                                                                  Das ist der Hammer ........................... 50–51           Sie unsere Rubrik „Begegnung der
„Wir haben vergessen                                              Ausflug in den Vogelsberg ............... 52–53                Kulturen“ kennen. Seit vielen Jahren
zurückzukehren“ – Teil 1 ..................... 4 – 8                                                                             berichten wir unter dieser Überschrift
Im Gespräch: mit Helga Nagel ................. 9                  Soziales und Seniorenpolitik                                   über Projekte von und mit älteren Migran-
Porträt: Leben mit und zwischen                                                                                                  tinnen und Migranten, aber auch über
zwei Kulturen ...................................... 10 –11       Patientenverfügung .......................... 54–55            kulturelle Besonderheiten. In dieser Aus-
Arbeitsgruppe:                                                    Besteuerung der Renten ......................... 56            gabe widmen wir der Thematik sogar
„Mit Behinderung leben“ ........................ 11                                                                              den Schwerpunkt. Damit tragen wir der
Zwei goldene Kreuze                                               Früher und Heute                                               Tatsache Rechnung, dass auch in der
für zwei engagierte Frauen ......................12                                                                              älteren Generation die internationale
Laut aber herzlich ......................................13       Mit der 11 vom Römerberg                                       Vielfalt eine immer größere Rolle spielt.
Städtepartnerschaften: Kairo........... 14–15                     nach Höchst ........................................ 58–59     Sie werden überrascht sein, wie viele
Respekt vor der Schöpfung .............. 16–17                    Friedrich Schiller ...................................... 60   spannende Projekte es in Frankfurt be-
Zu Gast in Gottes Haus ............................ 18            Frankfurt und seine Plätze:                                    reits gibt.
Einkaufsführer für Muslime .................... 19                Friedberger Platz ...................................... 61
Interkulturelle Begegnung ...................... 20                                                                              Nicht nur die kulturellen Hintergründe,
Interkulturelle Wochen ........................... 21             Gesundes Leben                                                 auch die Lebensentwürfe der älteren
                                                                                                                                 Frankfurterinnen und Frankfurter wer-
Kultur in Frankfurt                                               Neue Mittwochsreihe im                                         den immer bunter. Um die Angebote der
                                                                  Amt für Gesundheit ........................... 62–63           Altenhilfe noch besser auf die unterschied-
Mahlzeit ............................................... 22–23                                                                   lichen Bedürfnisse abzustimmen, möchte
                                                                  Frankfurt und seine Stadtteile                                 ich jetzt mit Ihnen ins Gespräch kommen:
Das Sozialdezernat informiert                                                                                                    Im November beginnen unsere „Foren
                                                                  Bornheim ............................................ 64–67    Älter werden in Frankfurt“ in den Ein-
Foren Älter werden in Frankfurt ............ 24                                                                                  zugsbereichen der neun Sozialrathäuser.
10 Jahre Frankfurter Programm –                                   Leserecke                                                      Aus meiner Sicht gibt es keine Alterna-
Aktive Nachbarschaft ....................... 24–25                                                                               tive zur Beteiligung der Bürgerinnen und
Theater in der Vorweihnachtszeit /                                Wo war’s – wer war’s? ............................ 68          Bürger an der Willensbildung. Unsere
Sommerreisen 2010 .................................. 26                                                                          Demokratie lebt davon, dass Entschei-
Partizipative Altersplanung .................... 27               Ratgeber                                                       dungsprozesse nachvollziehbar sind.
Aus dem Seniorenbeirat ......................... 29                                                                              Mehr dazu finden Sie auf Seite 24.
                                                                  Tipps und Termine .............................. 70–72
Für Sie gelesen                                                   Beratungs- und Vermittlungsstellen ......73                    Seit 35 Jahren informiert die SZ nun
                                                                  Rätsel und Impressum ............................. 74          schon über wichtige Themen rund ums
Buchtipps .................................................. 28                                                                  Älter werden und unterhält ihre Leser-
                                                                  Freizeit und Unterhaltung                                      innen und Leser mit spannenden Ge-
Aktuelles und Berichte                                                                                                           schichten. Diese gute Tradition wollen
                                                                  Wolfgang Kaus zitiert ............................... 75       wir weiter pflegen. Die Beliebtheit des
35 Jahre Senioren Zeitschrift ...........30–31                                                                                   „Silberblättchens“ ist nicht zuletzt auf
                                                                                                                                 die hohe journalistische Qualität zurück-
Medien für Senioren ................................ 32
Friederike Schlegel arbeitet
am Abbau von Barrieren.........................35
                                                                    35                                                           zuführen. Ich möchte die Gelegenheit
                                                                                                                                 nutzen, mich dafür bei der Redaktion und
In Frankfurt gehen die Uhren langsamer 36                                        1974–2009
                                                                                                                                 allen voran bei der verantwortlichen Re-
Infobörse                                                          Die Senioren Zeitschrift der Stadt Frank-                     dakteurin Jutta Perino zu bedanken. Ich
zum gemeinschaftlichen Wohnen ......... 37                         furt wird 35 Jahre alt. Lesen Sie mehr                        hoffe, liebe Leserinnen und Leser, dass
20 Jahre Senioren Initiative Höchst ...... 39                      dazu auf den Seiten 30 bis 31.                                Ihnen die Lektüre der Jubiläumsausgabe
Seniorengerechte Geschäfte .......... 40–41                                                                                      genauso viel Freude bereitet wie mir.
Café Sagenhaft ......................................... 42         Zum Titelbild:
Stichwort Internet ............................. 46–47              In Frankfurt zuhause fühlen sich viele                       Ihre
Sport zum Ausprobieren ......................... 47                 Menschen – auch, wenn sie woanders
                                                                    geboren wurden. Für das Titelbild zu
Kleine Blumenecke                                                   diesem Schwerpunktthema haben sich                           Prof. Dr. Daniela Birkenfeld
                                                                    freundlicherweise Mitglieder von OASI                        Stadträtin – Dezernentin für Soziales,
                                                                    fotografieren lassen.     Foto: Oeser                        Senioren, Jugend und Recht
Blüten auch im Winter ............................ 43

                                                                                                                                                           SZ 4/ 2009    3
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
Titel: In Frankfurt zuhause – Begegnung der Kulturen

                                    „Wir haben vergessen
                                    zurückzukehren” – Teil 1
                                    (ältere) Menschen mit Migrationshintergrund
                                    in Frankfurt am Main und in Deutschland

                                    Umschlag des Buchs „Mit Koffern voller Träume…“, Ältere Migrantinnen und Migranten erzählen,
                                    herausgegeben vom Amt für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt, Brandes & Apsel Verlag.

Ausländer, Gastarbeiter, ausländische
Mitbürger, Zuwanderer oder Men-
schen mit Migrationshintergrund?
Mit Zahlen und Definitionen, Migra-
tionsgeschichte und- politik, aber auch
mit Erinnerungen und Anekdoten in-
formiert die Senioren Zeitschrift in
dieser und den beiden folgenden Aus-
gaben über Menschen, die in einem
anderen Land geboren wurden und
heute in Deutschland zu Hause sind.

„Wir haben vergessen zurückzukeh-
ren!“ lautet der Titel des sehr sehens-
werten Dokumentarfilms von Fatih Akin
über die Migrationsgeschichte seiner
Familie aus dem Jahr 2000 (über den
Mitschnittdienst des Bayerischen Fern-
sehens zu beziehen). Mit dem Satz
begründet Mustafa Akin, Vater des           Ankunft in Frankfurt. Von „Fremden zu Frankfurtern“ heißt die Dauerausstellung im
preisgekrönten Regisseurs Fatih Akin,       Historischen Museum. Sie befasst sich mit der Geschichte der Menschen mit
dass aus den drei Jahren, die er ur-        Migrationshintergrund.
sprünglich in Deutschland als Arbeiter
verbringen wollte, mehr als 35 Jahre ge-    und dringend benötigte Devisen ins             (1961), Marokko (1963), Tunesien (1965)
worden sind. Und er sinniert weiter:        Land zu holen. Nach der Rückkehr der           und Jugoslawien (1968).
„Hergekommen sind wir in der Kabine         „exportierten Arbeitskräfte“, die nach über-
eines Flugzeugs auf einem Sitzplatz –       einstimmender Vorstellung der Bundes-          In allen Anwerbeabkommen gleich war
zurück kehren wir im Frachtraum der         republik und der Anwerbestaaten nur            die Verpflichtung der Arbeitgeber, für
Maschine in einem Sarg.“                    vorübergehend hier arbeiten sollten,           die Unterbringung der Arbeitskräfte zu
                                            würden diese zusätzlich durch ihr erwor-       sorgen, sie tariflich zu bezahlen und an-
1955, zehn Jahre nach Kriegsende, lag       benes Fachwissen die heimische Wirt-           gemessen einzuarbeiten. Ausländische
die Arbeitslosenquote bei Männern in        schaft modernisieren.                          Arbeitskräfte sollten ohne ihre Familien
der Bundesrepublik Deutschland bei 1,8                                                     („lediggehend“) kommen, mussten ge-
Prozent. Der Lebensentwurf von Frauen       Aus der Vielzahl der Länder, die Arbeits-      sund und sollten nicht älter als 35
sah damals Erwerbstätigkeit in der          kräfte anboten, suchten die deutschen          Jahre sein. Während den Angewor-
Regel nicht oder nur vorübergehend vor.     Behörden zunächst nur europäische              benen aus den späteren EU-Staaten
Die Wirtschaftsprognosen verwiesen          Staaten aus. Die ersten Anwerbeab-             prinzipiell die Möglichkeit des späteren
jedoch auf ein weiterhin starkes Wachs-     kommen erfolgten mit Italien (1955),           Familiennachzugs in Aussicht gestellt
tum, sodass für die Folgejahre mit regio-   Griechenland und Spanien (1960) sowie          wurde, fehlte dieser Passus in den Ab-
nalem Arbeitskräftemangel zu rechnen        Portugal (1964). Diese europäische Aus-        kommen mit der Türkei, Tunesien und
war. Wo sollten die benötigten Arbeits-     wahl ließ sich jedoch auf Dauer nicht          Marokko.
kräfte herkommen?                           durchhalten, da weit weniger Menschen
                                            als erwartet und benötigt kamen. Als           Die von der Bundesanstalt für Arbeit
Gleichzeitig gab es eine Vielzahl von       1961 mit dem Bau der Mauer auch noch           entsandten Anwerbekommissionen wähl-
Ländern, die ein lebhaftes Interesse da-    der Zustrom von Flüchtlingen aus der           ten in den Entsendeländern die Arbeits-
ran hatten, durch die Abgabe von Arbeits-   DDR unterbunden wurde, folgten die             kräfte entsprechend den Anforderungen
kräften ihren Arbeitsmarkt zu entlasten     Anwerbeabkommen mit der Türkei                 der Unternehmen aus und begleiteten

 4   SZ 4/ 2009
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
Foto: privat

So waren die „Gastarbeiter“ in den ersten Jahren teilweise untergebracht.             Consuelo Terraza Navascués (3.v.r.) hat
               Fotos (3): Aufgenommen im Historischen Museum, Frankfurt am Main       1959 als Platzanweiserin im Corso-Licht-
                                                                                      spielhaus in Frankfurt Höchst gearbeitet.
in der Regel auch die Übersiedlung in      land genug verdienen, um zu Hause
die Bundesrepublik Deutschland mit         etwas Eigenes aufbauen zu können.          und Hessen, als Hilfskräfte im Hotel-
Sonderzügen sowie die Verteilung auf                                                  und Gaststättengewerbe sowie in Klini-
die anfordernden Firmen.                   Dabei kamen entgegen der öffentlichen      ken bundesweit, als Näherinnen in der
                                           Wahrnehmung bei weitem nicht nur           Textilindustrie Süddeutschlands und als
Dem Ruf der Anwerbekommissionen            Männer. Häufig entschieden sich Frauen
folgten diejenigen, die in der Heimat      als erste in der Familie, ins Ausland zu    Frauenanteil an Arbeitnehmer-
keine Arbeit fanden oder in der Land-      gehen. Nicht immer waren sie unverhei-      vermittlungen nach ausgesuchten
wirtschaft kein ausreichendes Einkom-      ratet, viele Frauen ließen Ehemann und      Nationalitäten im Jahr 1967:
men mehr erzielen konnten. Andere          Kind(er) zurück. Die Tatsache, dass es
                                                                                       Griechenland:   75,5%
waren neugierig auf Neues oder wollten     bis Ende der sechziger Jahre die soge-
                                                                                       Türkei:         48,2 %
politischer und ethnischer Diskriminie-    nannten Leichtlohngruppen gab, sorgte
                                                                                       Spanien:        44,1%
rung entkommen. Oder sie wollten der       dafür, dass Frauen vor allem für die
                                                                                       Portugal:       40,5%
Armut ihrer Herkunftsregionen entflie-     metallverarbeitende Industrie in Nord-
                                                                                       Italien:         2%
hen und in der Bundesrepublik Deutsch-     rhein-Westfalen, Baden-Württemberg

 Begriffe im Wandel der Zeit
 „Gastarbeiter“ wurden die angeworbenen ausländischen           derung nach auch Auswanderung aus Deutschland gibt. In
 Arbeiter beiderlei Geschlechts in den fünfziger- und sechzi-   Zeiten der Globalisierung wandern immer mehr Menschen
 ger Jahren genannt. Sowohl die Angeworbenen als auch           Ausbildung und Arbeit hinterher und verbringen zum Teil nur
 die deutsche Politik gingen davon aus, dass die „Gastarbei-    kurze Zeiten in einem Land, bevor sie in ein anderes weiter-
 ter“ nur vorübergehend in Deutschland arbeiten würden –        wandern.
 vorzugsweise als an- und ungelernte Arbeitskräfte.
                                                                „Ausländer“ bezeichnet in Deutschland im Gegensatz zu
 „Ausländische Mitbürger“ ist die Bezeichnung, die ab den       „Inländer“ Menschen, die eine andere Staatsangehörigkeit
 siebziger Jahren vor allem auf Betreiben der Kirchen und       besitzen als die deutsche. Spätestens mit den rassistischen
 Wohlfahrtsverbände verwendet wurde, um deutlich zu             Anschlägen der neunziger Jahre wurde jedoch deutlich, dass
 machen, dass Menschen aus dem Ausland nicht nur hier           der Begriff nicht nur beschreibend sondern zunehmend auch
 arbeiten, sondern auch Teil der Gesellschaft sind und somit    ausgrenzend und abwertend verwendet wird.
 Angebote zur gleichberechtigten Teilhabe benötigen.
                                                                „Menschen mit Migrationshintergrund“ ist die politisch
 „Immigranten“ oder „Zuwanderer / Einwanderer“ ist der Be-      korrekte Bezeichnung des neuen Jahrtausends. Gemeint
 griff, mit dem ab den achtziger Jahren Migrantenverbände,      sind damit Menschen mit und ohne deutschen Pass, in
 Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Gruppen dafür      deren Familie mindestens eine Person zugewandert ist:
 stritten, dass Zuwanderung ein unumkehrbarer Prozess und       Flüchtlinge, Aussiedler, binationale Familien und Partner-
 Deutschland de facto zum Einwanderungsland geworden ist.       schaften, Studenten und Arbeitnehmer. Es ist ein techni-
 „Migranten“, also „Wanderer“, ist seit den achtziger Jahren    scher Begriff, mit dem sich kaum eine Person tatsächlich
 gebräuchlich, um deutlich zu machen, dass es neben Zuwan-      identifiziert.

                                                                                                              SZ 4/ 2009     5
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
Titel: In Frankfurt zuhause – Begegnung der Kulturen

Mit Consuelo Terraza Navascués fand im No- Dass auch viele Frauen zum Arbeiten nach Deutschland kamen, war in den
vember 1960 ein Interview mit Mitarbeitern des ersten Jahren kaum bekannt.
Höchster Kreisblattes statt.       Foto: privat                            Foto: aus dem Buch „Mit Koffern voller Träume...”

Arbeiterinnen in der Konserven- und Ge-    Anne von Oswald (Hg.): 50 Jahre Bun-       stättengewerbe auf Helgoland einge-
nussmittelindustrie Niedersachsens ange-   desrepublik, 50 Jahre Einwanderung,        setzt waren, sehr lobend: „Sie waren
worben wurden.                             Campus Verlag Frankfurt 1999, S. 285ff).   überdurchschnittlich arbeitswillig, und
                                           In Frankfurt und Umgebung waren aus-       vor allem achteten sie den Gästen ge-
Zwischen 1960 und 1973 versechzehn-        ländische Arbeitnehmer damals haupt-       genüber stets auf eine sympathische
fachte sich die Zahl der ausländischen     sächlich bei Firmen wie Triumph Adler,     Zurückhaltung und ein einwandfreies
Arbeitnehmerinnen in der Bundesrepu-       VDO, Hartmann & Braun, Farbwerke           Benehmen. Man hat den Eindruck, dass
blik von rund 43.000 auf 706.000, ihr      Hoechst oder Adam Opel AG beschäf-         für diese Frauen und Mädchen, die
Anteil an der Gesamtzahl der ausländi-     tigt. Diese Unternehmen setzten jeweils    von ihrer Heimat her an strenge Sitten
schen Arbeitnehmer verdoppelte sich in     auch einen hohen Anteil weiblicher Be-     und patriarchalisches Denken gewohnt
diesem Zeitraum von 15 auf über 30 Pro-    schäftigter ein.                           waren, solche Korrektheit noch eine
zent (alle Zahlen zur weiblichen Migra-                                               Selbstverständlichkeit ist.“ Fortsetzung
tion sind entnommen: Mattes, Monika:       Die Zeitschrift „Frau und Beruf“ äußerte   folgt in der Senioren Zeitschrift Aus-
Zum Verhältnis von Migration und Ge-       sich im Heft 5 / 6 1963 über spanische     gabe 1 / 2010.
schlecht, in: Jan Motte, Rainer Ohliger,   Arbeiterinnen, die im Hotel- und Gast-                Sabine Kriechhammer-Yagmur

                                                                   Frankfurterinnen und Frankfurter ausländischer
                                                                   Herkunft (Nach: Jahrbüchern des Amts für Wahlen und
                                                                   Statistik der Stadt Frankfurt am Main)
                                                                   1955: 10.340 (1,7%)
                                                                   1965: 52.279 (7,6%)
                                                                   1975: 116.494 (18,1%)
                                                                   1985: 136.579 (22,3%)
                                                                   1995: 187.840 (28,8%)
                                                                   2005: 166.665 (25,4%)
                                                                   2007: 164.281 (24%) davon waren:
                                                                   7.879 zwischen 60 und 65 Jahren alt
                                                                   (24% der Gesamtaltersgruppe)
                                                                   5.940 zwischen 65 und 70 Jahren alt (17%)
                                                                   3.824 zwischen 70 und 75 Jahren alt (14,5%)
                                                                   1.940 zwischen 75 und 80 Jahren alt (10%)
                                                                     965 zwischen 80 und 85 Jahren alt (6,2%)
Türkische und griechische Spezialitäten wurden schon in den
                                                                     531 über 85 Jahre alt ( 4%)
60er Jahren in der Kleinmarkthalle angeboten.

 6   SZ 4/ 2009
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
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In Zeitungsberichten im Wandel der Zeit
Alle Zitate entstammen der Frankfurter
                                             Das kleinste
Rundschau vom 14. Dezember 2005
„Es wird sich bei italienischen Arbeits-
kräften hauptsächlich um Saisonarbeiter
                                             Hörgerät der Welt.
mehr ungelernten Charakters handeln.“
Wirtschaftsminister Ludwig Erhardt 1954
                ✦✦✦✦✦
„Soweit die Süditaliener nicht unser Kli-
ma scheuen, sind sie anpassungsfähiger
                                                                    Das Gerät ist auf Grund
und arbeitswilliger, als erwartet wurde.“
Leitartikel der FAZ, 28. August 1959                                seiner Platzierung im Gehörgang
                                                                    nicht sichtbar.
                ✦✦✦✦✦
„Wir wären froh, wenn wir in unserem                                Zu erhalten bei Hörakustik
Land nicht gezwungen wären, soviel                                  Pietschmann.
Ausländer... zu beschäftigen. Nun sind
Sie aber da, wir brauchen Ihre Hilfe, und
Sie sollen es so gut haben,... wie es ein
                                                HÖREN KÖNNEN IST
Gast erwarten darf. Vergessen Sie nur
                                                 EIN GESCHENK.
nicht, Deutsche denken etwas anders als
Portugiesen, und Portugiesen empfinden
manches anders als Deutsche. Das kann
man nicht ändern.“                                   Wir helfen Ihnen,
Das Handelsblatt vom 11. September 1964             Ihrem Ziel näher zu
begrüßt den einmillionsten Gastarbeiter.                 kommen.
                ✦✦✦✦✦
„Den im Bundesgebiet arbeitenden Ita-
lienern soll mit höflich abgefassten
Handzetteln nahegebracht werden, dass
es in Deutschland verboten und strafbar
                                             hörakustik Jens Pietschmann
ist, Singvögel zu fangen oder zu töten....   Basaltstraße 1
(Dem) Bund für Vogelschutz ist in letzter    60487 Frankfurt/M. Bockenheim
Zeit bekannt geworden, dass italienische
Arbeiter... ihre Speisezettel, heimischem    E-mail: J. Pietschmann@gmx.de
Brauch folgend, durch selbstgefangene
Singvögel bereichern.“
Frankfurter Rundschau, 10. November 1960
                ✦✦✦✦✦
„Eine Reise in den Süden ist für andre
schick und fein, doch zwei kleine
Italiener möchten gern zu Hause sein. /
Zwei kleine Italiener, die träumen von
Napoli, von Tina und Marina, die war-
ten schon lang auf sie. / Zwei kleine
Italiener vergessen die Heimat nie, die
Palmen und die Mädchen am Strande
von Napoli.“                                                  Vereinbaren Sie einfach einen Termin unter:

                                                     069/97 07 44 04
Conny Froboess im deutschen Grand-Prix-
Beitrag 1962 (Text von Georg Buschor)
                ✦✦✦✦✦
„Nachdem ein Bäckermeister in der hes-
sischen Stadt Wächtersbach vom italieni-
schen Gastarbeiter Pietro L.... mit dem
Messer attackiert worden war, weil er den                             Ihr Team:
Schlager ‚Zwei keine Italiener’ gesungen                     Wir hören Ihnen zu.
hatte, forderten die 14 Vereine der Stadt,
                                                   Wir finden die beste Lösung.
die sofortige Ausweisung sämtlicher
                                                          Wir bleiben in Kontakt.
Angehöriger der Familie L... sowie aller
zu dieser Sippe gehörenden Personen.“
Hohlspiegel, Der Spiegel Nr. 48, 1963
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
Titel: In Frankfurt zuhause – Begegnung der Kulturen

Salvatore d’Orio
B
        ockenheim ohne ihn ist unvor-
        stellbar. 36 Jahre lang prägten er
        und seine Frau Francesca mit
ihrem italienischen Lebensmittelge-
schäft, in dem vom feinsten Olivenöl
über erlesene Weine bis hin zum Pane
italiano alles in hervorragender Qualität
zu finden war, das Bild der Leipziger
                                                                                                    So kannte man Salvatore d´Orio
Straße. Seine Sachkenntnis und Freund-
                                                                                                    in seinem Lebensmittelgeschäft.
lichkeit sicherte ihm Kunden weit über
                                                                                                                    Foto: Ungarisch
Bockenheim hinaus.
                                               Die Arbeit auf den Baustellen war schwer     bensmittelgeschäft in der Friesengasse
Stationen des Lebenswegs                       und ungewohnt. Dennoch gelang es             14. Zum 1. April 1977 zog er in die Leip-
von Salvatore d’Orio                           ihm, den Polier von seinen Qualitäten zu     ziger Straße 83 , Ecke Mühlgasse um.
                                               überzeugen, sein Stundenlohn wurde           Mit wachsendem geschäftlichen Erfolg
Geboren wurde er am 15. Dezember               rasch um 50 Pfennige erhöht. Als er          entschied sich Salvatore d’Orio dazu, zu
1933 als jüngster von drei Brüdern in          erneut eine Gehaltserhöhung forderte,        investieren. Er kaufte 1984 zwei Häuser
Solerino bei Siracusa in Sizilien / Italien.   wurde ihm unterstellt, Kommunist zu          in der Florastraße und verpflichtete sich,
Im landwirtschaftlichen Betrieb des            sein und er wurde zum italienischen          sie zu sanieren. An den damit verbunde-
Vaters, dem auch ein Lebensmittel-             Generalkonsulat beordert. Der Vorwurf        nen Belastungen trägt er noch heute.
handel angegliedert war, arbeitete er          erwies sich als haltlos.
bereits früh mit. 1958 heiratete er                                                         Salvatore d’Orio war zufrieden. Zusam-
Francesca. Inzwischen Vater zweier             Der gebürtige Sizilianer fand eine ande-     men mit seiner Ehefrau stand er von
kleiner Söhne, stand er vor dem wirt-          re Firma, bei der er ab November 1961        früh bis spät an der Theke, hatte Kunden
schaftlichen Aus, als die legendäre            tätig war, 3,20 DM pro Stunde verdiente      in ganz Deutschland. Seine Kenntnis fei-
„Sole Leone“ (Löwensonne) mit mör-             und sich bis zum Polier hocharbeitete.       ner Olivenöle ist legendär. Er erinnert
derischen Temperaturen innerhalb von           Wegen berufsbedingter Rückenproble-          sich: „Die Arbeit in meinem Geschäft
vier Tagen 1960 die gesamte Ernte der          me wurde er 1965 zum Industriemecha-         verschaffte mir große Befriedigung, weil
Familie versengte.                             niker umgeschult und arbeitete dann bei      ich vielen intelligenten und freundlichen
                                               der Firma Braun AG bis zu deren Über-        Kunden und Kundinnen begegnet bin.
Salvatore d’Orio wollte auswandern,            nahme durch Gillette. Anschließend           Sie arbeiteten an der Uni oder im Stadt-
prüfte verschiedene Möglichkeiten: USA,        wurde er in der chemischen Schmelze-         teil. Manche Produkte, die sie sich
Australien. Dann erfuhr er, dass in Deut-      rei der Degussa tätig.                       wünschten, waren nicht leicht zu be-
schland Arbeitskräfte gesucht werden                                                        schaffen – aber es hat mir immer Freude
und bewarb sich im Januar 1961 bei der         Salvatore d’Orio wohnte weiter in Wohn-      gemacht, es zu versuchen und schließ-
deutschen Anwerbekommission in Nea-            heimen, schließlich in einer Wasch-          lich erfolgreich zu sein.“
pel. Die Firma Strassing aus Kassel            küche in Sossenheim. Seine Frau war
suchte Rohrleger und Kanalarbeiter und         auch ein Jahr als Arbeiterin in Frankfurt,   Im April 2002 verstarb Francesca nach
entschied sich für ihn und andere              musste aber an einem anderen Ort             44 gemeinsamen Ehejahren völlig uner-
Kollegen aus Siracusa. Als Gruppenlei-         wohnen. Die beiden Söhne besuchten           wartet an Herzversagen. Sie wurde auf
ter war er für die Zugfahrt der Gruppe         in dieser Zeit ein Internat in Italien.      dem Bockenheimer Friedhof beigesetzt.
nach Lörrach verantwortlich. Von dort                                                       Salvatore d’Orio, geschwächt durch
ging es zu fünfzehnt nach Frankfurt wei-       1969 gelang es Salvatore d’Orio nach         harte körperliche Arbeit und die Not-
ter. Im Zug lernte Salvatore d’Orio einen      mehrmonatigen vergeblichen Versuchen,        wendigkeit, sich einer Herz-OP zu unter-
Pfarrer kennen, der italienisch sprach         eine Wohnung zu finden. In der Falk-         ziehen, schloss sein geliebtes Lebens-
und sich anbot, die Gruppe bis Bad Orb,        straße richtete er sich mit gebrauchten      mittelgeschäft nach 36 Jahren im April
wo der Fahrer der Firma am Bahnhof             Möbeln ein Zuhause für sich und die          2007. Noch heute rufen ihn Kunden an
wartete, zu begleiten.                         Familie ein. Er holte Frau und Kinder nach   und fragen, ob er nicht weitermachen
                                               Frankfurt. Die Söhne, bis dahin Internats-   will. „Hätte ich die Kräfte, würde ich wohl
Salvatores d’Orios erste Einsatzstelle         schüler, besuchten zunächst die Sophien-     weitermachen!“ sagt er.
ab dem 17. März 1961 war der Golfplatz         schule und konnten dann auf weiterfüh-
in Niederrad. Mit 15 anderen Arbeitern         rende Schulen wechseln. Beide haben          Frankfurt ist sein Zuhause geworden,
bewohnte er ein Zimmer in der „Arbeiter-       Lehren absolviert und sind heute als Kauf-   die Geschwister in Italien sind tot. Seine
schule“ an der Lehrbaustelle und ver-          leute tätig. Sie leben mit Partnerinnen      Söhne und Enkelkinder leben hier. Und
diente 2,68 DM pro Stunde. Jeden               und Kindern ebenfalls in Frankfurt.          er wird irgendwann neben seiner Frau
Abend las er 15 bis 20 Minuten lang in                                                      auf dem Bockenheimer Friedhof bestat-
einem deutschen Wörterbuch und sagte           1971 erfüllte sich Salvatore d’Orio sei-     tet werden.
die neu erlernten Wörter auf.                  nen Traum: Er eröffnete sein erstes Le-                Sabine Kriechhammer-Yagmur

 8   SZ 4/ 2009
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
Im Gespräch

Zwanzig Jahre
„Multikulti”
Im Juli 1989 richtete der Magistrat der Stadt Frankfurt das Amt
für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) ein. Seine Aufgabe:
das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher
Nationalität, Herkunft und Religiosität zu fördern. Seit 1998
arbeitet Helga Nagel im AmkA, dessen Leitung sie 2002 über-
nahm. Die im Hintertaunus geborene, studierte Germanistin,
Romanistin und Politikwissenschaftlerin war zuvor jahrzehnte-
lang im Bereich Erwachsenenbildung tätig und äußert sich im
Gespräch mit Lore Kämper zu Fragen der Migration.                                                          Helga Nagel Foto: Oeser

SZ: Das AmkA feiert sein zwanzigjähri-       Schritte voran gekommen. Beispielswei-        selber. In dieser Zeit dieses Amt zu
ges Bestehen. Ist es eine der ersten         se, was die Wahrnehmung der Vielfalt in       gründen, das war schon seiner Zeit weit
Institutionen dieser Art?                    dieser Stadt und ihrer Angebote angeht.       voraus. Wenn man sich das Land
Nagel: Es war die allererste Einrichtung                                                   anschaut und überlegt, ab wann das
in der Bundesrepublik überhaupt und ist      SZ: Frankfurt ist ja eine besonders inter-    Thema Integration und Einwanderung
dokumentiert und bekannt geworden            nationale Stadt. Wie viele Nationalitäten     fokussiert wurde, das war erst Ende der
als „Modell Frankfurt“. Bereits meine Vor-   leben denn überhaupt hier?                    Neunziger. Ein wichtiges Merkmal der
gängerin im Amt (Rosi Wolf-Almanasreh        Nagel: Ich kann’s in Prozentzahlen sa-        Frankfurter Politik war, dass man früher
d.Red.) hat bei vielen Gelegenheiten         gen. Etwa 25 Prozent der Gesamtbevöl-         als andere Städte diese Themen als
daran erinnert, dass Frankfurt für andere    kerung sind Ausländer. Das ist ein sehr       Realität wahrgenommen und gestaltet
Städte eine Art Geburtshilfe geleistet       hoher Anteil, der allerdings leicht zurück-   hat. So datiert die Frankfurter Erklärung
hat. Es ist auch immer noch Tradition,       geht. Das hat damit zu tun, dass es           zu Rassismus und Antisemitismus be-
dass zu vielen unserer Projekte Nachfra-     bereits eine große Gruppe von Frank-          reits in die frühen neunziger Jahre. Und
gen anderer Kommunen kommen und              furtern mit deutschem Pass gibt, Spät-        zwei Jahre nach seiner Gründung wurde
dass man sie sehr gern übernimmt.            aussiedler, Eingebürgerte. Sie werden         das Amt offiziell Antidiskriminierungsstelle.
                                             in der Statistik als Deutsche gezählt, Sie
SZ: Zum Beispiel?                            müssen also zu den 25 Prozent noch            SZ: Wir sollten unbedingt noch das The-
Nagel: Ein Beispiel, das nicht nur natio-    einmal rund dreizehn Prozent zählen,          ma ältere Einwanderer ansprechen.
nal, sondern auch international buch-        wenn Sie auf den Anteil an Frankfurtern       Nagel: Ja, hier stehen wir vor großen
stäblich Schule gemacht hat, ist unser       mit dem so genannten Migrationshin-           Herausforderungen, da bekanntlich we-
Programm „Mama lernt deutsch – Papa          tergrund kommen wollen.                       sentlich mehr Ausländer in Deutschland
auch“, das wir uns vor über zehn Jahren                                                    bleiben als erwartet. In unserem Amt
ausgedacht haben.                            SZ: Und wie viele unterschiedliche Na-        gibt es eine eigene Stelle „Alter und
                                             tionalitäten leben hier?                      Migration“, die koordiniert und vermit-
SZ: Ist das Projekt erfolgreich?             Nagel: Etwa 170 bis 175, das ändert           telt. Ich möchte hier den Begriff „kultur-
Nagel: Ausgesprochen erfolgreich.            sich immer wieder mal.                        sensibel“ einbringen, soll heißen, in Al-
                                                                                           tenheimen und -einrichtungen muss der
SZ: Es ist oder war doch sicher gar nicht    SZ: Den größten Anteil stellen wohl die       Service so gestaltet werden, dass man
so einfach, an die „Mamas“ heran zu          Türken?                                       individuell auf die Bedürfnisse der Be-
kommen?                                      Nagel: Das hat damit zu tun, dass Ju-         wohner eingehen kann. Außerdem
Nagel: Eben, und der wesentliche Teil        goslawien in Teile zerfallen ist. So sind     kommt der ambulanten Pflege künftig
des Programms war, andere Zugangs-           die Türken die größte Gruppe, die zweit-      noch größere Bedeutung zu. Es gibt da
wege zu den Frauen zu finden. Wir            größte die Italiener, dann Kroaten, Ser-      bereits gute Beispiele, etwa einen Pfle-
haben da mit Schulen und Kindertages-        ben und die Polen.                            gedienst, gegründet von einer Frankfur-
stätten vor Ort zusammen gearbeitet,                                                       terin mit afghanischen Wurzeln.
und das hat sich sehr bewährt.               SZ: Wie werden Sie denn ihr Zwan-
                                             zigjähriges feiern?                           SZ: Nach zwanzig Jahren nun ein Aus-
SZ: Ziel des Amtes ist es erklärtermaßen,    Nagel: Also, da gibt es eine Publikation,     blick in die Zukunft?
zu informieren, zu beraten, zu vernetzen     in der wir unsere Entwicklung doku-           Nagel: Wir werden wohl künftig anders
und Diskriminierung zu verhindern. Sind      mentieren. Man kann ja wirklich einige        auf das Thema Migration schauen müssen
Sie diesen Zielen näher gekommen             Meilensteine nennen. Man muss sich            und nicht mehr nach Herkunft, Mehrhei-
oder haben Sie sie gar schon erreicht?       zum Beispiel klar machen, dass 1989           ten und Minderheiten unterscheiden, son-
Nagel: Solche Dinge sind ja immer            das Jahr der Wiedervereinigung war,           dern nach sozialen und kulturellen Milieus.
Prozesse, und von Erreichen würde ich        und die Bevölkerung dieser Republik           Jedenfalls dürften wir noch für mindestens
da nie sprechen. Aber natürlich sind wir     beschäftigte sich vorwiegend mit sich         zwanzig weitere Jahre Arbeit haben.

                                                                                                                      SZ 4/ 2009    9
SENIOREN Zeitschrift - In Frankfurt zuhause - Begegnung der Kulturen
Porträt

Leben mit und zwischen zwei Kulturen
                                                                                         Heidemarie Pandey hatte zwar in ihrer
                                                                                         Ehe mit einem indischen Staatsange-
                                                                                         hörigen keine größeren Probleme mit
                                                                                         deutschen Behörden. Aber mit der Er-
                                                                                         ziehung zweier Söhne ihres Mannes,
                                                                                         die bei der Heirat 17 und zehn Jahre alt
                                                                                         waren, hatte sie doch eine nicht geringe
                                                                                         Herausforderung angenommen. 1975
                                                                                         stieß sie zur IAF, weil es sie interessier-
                                                                                         te, wie andere bikulturelle Paare ihr
                                                                                         Leben gestalteten. Dass daraus eine
                                                                                         langjährige ehren- und hauptamtliche
                                                                                         Tätigkeit werden sollte, ahnte sie da-
                                                                                         mals noch nicht.

                                                                                         Kinder werden Deutsche
                                                                                         Als erste „Großtat” konnte sich die IAF,
                                                                                         die heute Verband bikultureller Partner-
                                                                                         schaften heißt, zugute halten, dass sie
                                                                                         zur Änderung des Staatsangehörigkeits-
                                                                                         rechts beigetragen hatte. Endlich konn-
                                                                                         ten in Deutschland geborene Kinder auch
                                                                                         dann Deutsche werden, wenn die Mut-
                                                                                         ter Deutsche war und nicht nur, wie bis
                                                                                         dahin, wenn der Vater die deutsche
                                                                                         Staatsangehörigkeit hatte.

Ein Ehepaar mit bewegter Geschichte: die Pandeys.                            Foto: wdl   Vieles von dem, was die IAF-Gründer-
                                                                                         innen damals bewegte, sind „Dauer-
„Ich bin ein glücklicher Mensch, ich         verwirklichte sich, wenn auch anders        brenner” bis heute: Welchen Status ha-
habe ein Leben ohne Stress” – wenn           als geplant. Nicht Korrespondentin          ben Menschen, die über Drittstaaten
Indu Prakash Pandey seinen Alltag            wurde sie in Indien. Dafür wurde sie        einreisen? Wie sieht es mit der Fami-
beschreibt, versteht man, was er             „Inderin ehrenhalber”, nämlich PIO          lienzusammenführung aus, oder ist der
meint. Arbeit und Leben waren und            (Person of Indian Origin), ein Titel, der   Aufenthalt gesichert?
sind für den heute 85-Jährigen immer         Ehefrauen indischer Staatsbürger zuge-
eine Einheit.                                standen wird. Heute lebt das Paar meh-      Mit den unterschiedlichen Formen des
                                             rere Monate im Jahr in seiner Wohnung       interkulturellen Zusammenlebens be-
Schon als junger Mensch stand für den        in Nordindien am Ufer des Ganges und        schäftigte sich Heidemarie Pandey auch
Mann aus dem indischen Norden fest,          das übrige Jahr in seiner Wohnung in        nach ihrem Ausscheiden aus dem Jour-
dass er Lehrer werden wollte. An unter-      Schwalbach.                                 nalistenberuf, als sie im Alter von 38
schiedlichen Orten in aller Welt hat er                                                  Jahren ein Soziologiestudium begann.
seine Muttersprache Hindi und indische       Als die beiden 1973 heirateten, war ein     In mehreren Büchern zur bikulturellen
Literatur gelehrt. Auch an der Frankfur-     Jahr zuvor die Interessengemeinschaft       Erziehung und interkulturellem Lernen
ter Universität, wo er von 1967 an bis zu    der mit Ausländern verheirateten deut-      fanden ihre eigenen Erfahrungen und
seiner Pensionierung im Jahr 1989 als        schen Frauen (IAF) gegründet worden.        die aus der IAF-Arbeit später ihren Nie-
deutscher Beamter mit indischer Staats-      „Generalpräventiv”, wie es damals hieß,     derschlag.
angehörigkeit tätig war, hat er wissen-      waren zahlreiche Palästinenser aus
schaftliche Arbeit und Lehrveranstaltungen   Deutschland – oft bei Nacht und Nebel –     Indu Pandey war bei den IAF-Aktionen
stresslos bewältigt. Dort lernte er auch     ausgewiesen worden, nachdem arabi-          und- Veranstaltungen immer dabei, häu-
seine Frau Heidemarie kennen, mit der        sche Attentäter die israelische Olympia-    fig als einziger Mann unter Frauen.
er seit 1973 verheiratet ist.                mannschaft in München überfallen hat-
                                             ten. Rosi Wolf-Almanasreh, betroffene       1985 gründete das Ehepaar Pandey ge-
Die frühere Agenturjournalistin hatte        Ehefrau und spätere erste Leiterin des      meinsam das Indische Kulturinstitut in
einen Traum: Korrespondentin in Indien.      Frankfurter Amtes für Multikulturelle       Frankfurt, in dem beide lange Jahre lehr-
Beim Hindi-Unterricht an der Frankfur-       Angelegenheiten, schuf eine Selbsthilfe-    ten. Ebenfalls gemeinsam übersetzten
ter Uni lernte sie dann ihren späteren       organisation, die sich für die Rechte       sie indische Romane. Dabei galt und gilt
Mann kennen. Der Traum von Indien            bikultureller Familien einsetzte.           das Interesse von Indu Pandey vor allem

10 SZ 4/ 2009
Titel: In Frankfurt zuhause – Begegnung der Kulturen

der Literatur von indischen Frauen. In seinem Buch „Die             Was ist das Geheimnis dieser bikulturellen Ehe, die mehr als
Pockengöttin” etwa hat er Fastenmärchen der Frauen von              36 Jahre andauert? „Das gleiche wie bei einer deutsch-deut-
Awadh gesammelt und dann gemeinsam mit seiner Frau ins              schen Ehe”, schmunzelt Heidemarie Pandey. Konflikte er-
Deutsche übersetzt. In mehreren wissenschaftlichen Werken           wachsen ihrer Meinung nach aus Unsicherheiten im Umgang
hat er sich ebenfalls mit Frauenliteratur befasst.                  miteinander. Und die gebe es genauso in deutsch-deutschen
                                                                    Ehen. „Nach so langem Zusammenleben aber hat man Sicher-
Vom Idealbild entfernt                                              heit gewonnen”, so ihre Erfahrung.

Und auf dem Schreibtisch von Heidemarie Pandey wartet               Hat Indu Pandey manchmal Sehnsucht, das Alter ganz in der
ebenfalls ein besonderes Projekt: Sie hat indische Kurz-            Heimat zu verbringen? Er ist zufrieden damit, nur zeitweise in
geschichten zum Thema Alter und Altern gesammelt, die sie           sein Land zurückzukehren. „Die Gesellschaft dort hat sich auch
in deutscher Sprache herausbringen möchte. Denn auch in             verändert”, sagt er. Vieles sei anders als in der Erinnerung.
Indien, so stellt sie bei ihren Aufenthalten dort immer wieder      Und nicht zuletzt wisse er die Annehmlichkeiten des Lebens in
fest, entfernt sich die Realität des Alters immer mehr vom          Deutschland zu schätzen.                     Lieselotte Wendl
vorherrschenden Idealbild der Großfamilie.

„Mit Behinderung leben”                                                                                                                Anzeige

Arbeitskreis „Ältere Migrantinnen und                                     STOP für Osteoporose und HERZTOD ...
Migranten” lädt zum Workshop ein                                                                      Diese Entdeckung hat
                                                                                                     den Nobelpreis verdient!

D
      er Frankfurter Arbeitskreis „Ältere Migrantinnen und
                                                                                                               Dr. Reinhard Hittich
      Migranten” initiiert jährlich Workshops zu aktuellen ge-
      sellschaftlichen Themen. 1997 fand der erste Workshop                                          Doppelsensation für Herz und
unter dem Motto: „Älter werden in der zweiten Heimat                                                 Knochen! Stellen Sie sich vor:
Frankfurt/M.” statt. Die Veranstaltungen sind stets gut besucht.                                     In Ihrem Körper gibt es einen
                                                                                                     Weichensteller, der die Weichen neu
                                                                                                      stellt: Zwingt den Kalk raus aus den
Das Besondere an den Workshops ist, dass nicht über die                                    € 14,90
Migrantinnen und Migranten gesprochen wird, sondern dass
                                                                       G R AT IS                      Arterien und rein in die Knochen!

Fachleute mit Betroffenen und Interessierten zusammen-
kommen. Für das Verständnis und den besseren Dialog unter-            D     ieses gebundene Buch enthüllt auf 56 Seiten die
                                                                            Sensation für gesunde Arterien und Knochen! Arterien-
                                                                      Verkalkung ist der größte Risikofaktor, nicht Cholesterin!
einander stehen in der Veranstaltung Übersetzer zur Verfü-
                                                                         Erfahren Sie alles über das sensationelle Vitamin mit der
gung. Nur so kann gewährleistet werden, dass Interessierte
                                                                      unglaublichen Kraft, die Weichen für Kalk richtig zu stellen.
und Betroffene Informationen bekommen und ihre Wünsche
                                                                         Forscher sind hell begeistert! Die Rotterdam-Studie mit
und Bedürfnisse mitteilen können. Daraus können sich pra-             4.807 Teilnehmern berichtet statistisch klipp und klar:
xisnahe und bedürfnisorientierte Angebote entwickeln, und             1. Risiko fürs Herz halbiert
für die Fachleute werden so auch Handlungsempfehlungen                2. Lebenserwartung erheblich verlängert
deutlicher und transparenter. Die Diskussionsrunden beste-            Herzlichst,                                  Angebot nur
hen aus drei Arbeitsgruppen, die sich aus Fachpersonen, Über-
                                                                                                                          2 Wochen gültig!
setzern und Protokollanten zusammensetzen. Die Ergebnisse
aus den Arbeitsgruppen werden für den späteren Dokumen-               Dr. Reinhard Hittich, Bio-Chemiker
tationsbericht protokolliert.                                         PS: Fordern Sie das neue Buch gratis und unverbindlich an.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Veranstaltung stets eine
                                                                                     
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wichtige Schnittstelle für Fachdienste und Interessierte ist,
um Kontakte herzustellen. Die Geschäftsführung für den Frank-
furter Arbeitskreis „Ältere Migrantinnen und Migranten“ wird
                                                                                    Ja!   Schicken Sie mir gratis und unverbindlich das
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von der Beratungsstelle HIWA wahrgenommen. Der Arbeits-                         Versand: bitte auf Rechnung       liegt in Briefmarken bei
kreis ist seit zehn Jahren tätig und vernetzt alle Angebote in
                                                                     Absender

                                                                                   Frau     Herr
Frankfurt. Zudem vereint er als Multiplikator und Vernetzer
alle Verbände, Vereine und Selbsthilfegruppen sowie die Po-                     Name, Vorname
litik. Sein Augenmerk richtet er auch auf die institutionelle Be-               Str. Nr.
ratung und die Vernetzung.
                                                                                PLZ, Ort
                                                                                An Dr. Hittich Gesundheits-Mittel
 Workshop „Mit Behinderung leben“ am 4. Dezember                                Postfach 500 462, 52088 Aachen
 von 12 bis 15 Uhr im Haus der Jugend, Großer Saal,                             GRATIS Fax 0800 - 310 32 36
 Deutschherrnufer 12, 60594 Frankfurt /M.                                       Aktions-Nr. N91A2039-7

                                                                                                                                    SZ 4/ 2009 11
Titel: In Frankfurt zuhause – Begegnung der Kulturen

Zwei goldene Kreuze für zwei engagierte Frauen
                                                                                            Orientierunglosigkeit und Minderwer-
                                                                                            tigkeitsgefühle.“ Oft fehle ihnen jeder
                                                                                            familiäre und religiöse Halt mitsamt
                                                                                            „sichernden Grenzen und Regeln, Nor-
                                                                                            men und Werten“. Die kriminelle Tat aus
                                                                                            Mangel an Empathie (Einfühlung) mit
                                                                                            Gewaltopfern sei dann Krisensignal und
                                                                                            Hilferuf. Die Gruppenarbeit wirke mit
                                                                                            persönlichkeitsbildender Selbstreflexion
                                                                                            dagegen. Der therapeutischen „Suche
Anna Mangano.                Foto: Hladek     Lala de Brito.                 Foto: privat   nach der Hand des Vaters“ liege die
                                                                                            Hoffnung zugrunde, dass die Hilfe kein

W
          as haben ein Frauenkongress         Caritas und setzt diese Tätigkeit noch in     Tropfen auf dem heißen Stein sei, son-
          und ein Treff für Migrantinnen      Altersteilzeit bis 2011 fort. Ihr Schwer-     dern heile wie ein Tropfen Medizin.
          gemeinsam? Was eine Erzähl-         punkt ist indes ein anderer: jugendliche
runde der ersten „Gastarbeiter“-Gene-         Straftäter italienischer Sprache. Was die     Anna Manganos Job dabei ist zunächst
ration mit ihrem Koffer voller Träume         gebürtige Sizilianerin für ihre Arbeit in     die Jugendgerichtshilfe. Dazu analysiert
mit interkulturellen Nachbarschafts-          der Jugendgerichtshilfe qualifiziert, sind    sie mit Jugendlichen die Vorgeschichte
treffs oder psychosozialer Beratung älte-     das Jurastudium an der Universität            der Straftat, schält das Problem heraus
rer Migranten?                                Catania und die Fachausbildung an der         und spricht mit dem Umfeld, tritt vor
                                              katholischen Fachhochschule Freiburg.         Gericht für den Täter ein, empfiehlt das
All diese Veranstaltungen und Projekte        Ebenso wichtig ist ihr leidenschaftlicher     Jugend- oder Erwachsenenrecht zur An-
haben ihren Ort in Frankfurt. Beteiligt       Einsatz für die Jugendlichen, für die sie     wendung und schlägt Maßnahmen vor –
war in jedem Fall Lala de Brito, portugie-    vor Gericht kämpfte wie eine Löwin.           wie zum Beispiel die Seminarteilnah-
sische Mitarbeiterin im Team Stadtmitte       Wer ihr einmal begegnet ist, den ver-         me. Dass sich die Gewalttaten verschärft
des Caritas-Fachdienstes für Migration:       zaubert ihr freundlich scheues Lächeln.       haben, steht für sie fest. Seit Jahrzehn-
teils als Anlaufstelle, teils als Modera-     Dass es sie nach Deutschland zog, lag an      ten seien Vereinzelung und psychische
torin oder Organisatorin, aber immer als      ihrem Erfahrungsdurst, wie sie erzählt.       Störungen angewachsen: „Das spiegelt
Caritas-Mitarbeiterin mit dem Schwer-         „Dann bin ich einfach geblieben.“ Nach        eine Krise der Gesellschaft.“ Strafen sei
punkt Migranten portugiesischer und           Frankfurt kam sie anfangs durch ein Stu-      da zuwenig, denn die Gesellschaft trage
spanischer Sprache, später besonders          dienpraktikum.                                für viele der Ursachen – zerrüttete
Frauen. Ein Engagement, das ihr Aner-                                                       Familien, selektive Schulstrukturen, die
kennung und zuletzt das Goldene               35 Jahre ist das heute her. Rückblickend      Gewaltneigung verachteter Sonder-
Caritas-Kreuz eingetragen hat. Den Weg        ist die Zeit nur so verflogen. Man denke      schüler – eine Mitverantwortung.
nach Deutschland fand die 1948 gebore-        nur an ihre Diplomarbeit über die Vaterfi-
ne de Brito recht früh. Bis 1971 hatte sie    gur in der Emigration. In Frankfurt knüpfte   Mangano hilft Migranten nicht nur. Sie
in ihrer Heimat, die damals eine Diktatur     sie bis zuletzt daran an und entwickelte      ist auch eine. So sehr sie Sizilien und
war, bereits als Sozialarbeiterin der         mit Karl Wolf, einem Psychoanalytiker         auch Griechenland liebe, sei es für sie
Caritas gearbeitet und musste aufgrund        und Priester, Seminare für Jugendliche,       wichtig gewesen, in Deutschland zu
dieser Arbeit mit armen Barackenbe-           in denen diese erwachsenen Straffälli-        bleiben. Das habe ihren Horizont erwei-
wohnern um ihr Leben, zumindest ihre          gen der Vollzugsanstalt Diez begegne-         tert. „Ich kenne Frankfurt mehr von den
Gesundheit, fürchten. „Ich wollte weg,        ten, wobei insbesondere die schwierige        sozialen Störungen, der Kriminalität,
raus aus Portugal.“ Die Chance, zur Cari-     Vaterrolle von Jugendlichen mit Migra-        den interkulturellen Konflikten her“, gibt
tas nach Mainz und später nach Frank-         tionshintergrund thematisiert wurde.          sie zu, „das hat meinen Blick geprägt.
furt zu gehen, kam ihr also gerade recht.     Ein Ansatz, um den kaum herumzu-              Diese Arbeit frisst deine Energien auf.
Bedauert hat sie diesen Schritt nie:          kommen war, weil die Verunsicherung           Seit ich nur noch in Teilzeit bin, fühle ich
„Das mit der Heimat ist so eine Sache.        durch ein prekäres Verhältnis zum Vater       aber auch einen Entzug der ganzen Welt
Mein Wohnsitz ist und bleibt Frankfurt,       oft den Weg in die Straffälligkeit mit        aus Justiz und Jugendhilfe.“ Was ihr in
auch jetzt in der Teilzeitarbeit – immerhin   sich brachte.                                 Deutschland am ehesten fehle? „Die
hat mein Mann hier zu tun. Seit ich nicht                                                   Sonne – vor allem in den Kontakten. Zwi-
mehr Vollzeit arbeite, reise ich aber wohl    „Es ist nicht so, dass ich hassen will“,      schenmenschliches ist in Sizilien anders,
etwas öfter nach Portugal, wo meine           hieß 2008 eine Ausstellung im Frank-          wärmer. Ich bin froh, geblieben zu sein,
Mutter und die ganze Familie leben, und       furter Haus am Dom, die die Seminare          aber ich habe einen Preis bezahlt. Ich
bleibe etwas länger da.“                      von Mangano und Wolf durch Bilder und         wurde ohne Clan groß und habe hier
                                              Texte der Jugendlichen vorstellte. „Die       keine Familie.“ Und in Zukunft? „Ach, ich
Auch Anna Mangano wurde das Goldene           Lebensgeschichten der Jungen“, so             werde pendeln“, lacht sie: „Frankfurt –
Kreuz des deutschen Caritasverbandes          Mangano damals, „zeigen oft Leere und         Sizilien – und Griechenland.“
verliehen. Seit 1974 arbeitete sie für die    Ohmacht, Freudlosigkeit und Kälte,                                       Marcus Hladek

12 SZ 4/ 2009
Laut, aber herzlich
  Internationaler Seniorentreff erhält
  Altenhilfepreis

  Lauschig geht es zu in der Albanusstraße in Höchst.
  Fachwerkhäuser schmiegen sich aneinander, hier
  und da läuft mal jemand über die Kopfstein gepfla-
  sterte, schmale Straße. Über der Tür der Hausnum-
  mer 3 hängt ein rotes Schild. „Caritas” steht darauf.
  Die Tür steht offen. Wer eintritt, ist mitten drin.
  Mitten im interkulturellen Seniorentreff Oasi.

 Vorbei ist es mit der Lauschigkeit. Hier       Miteinander gestalten                           Bei Oasi lernen sich die unterschiedlich-
herrscht Piazza-Atmosphäre. Laut geht                                                           sten Menschen kennen und unternehmen
es zu. Zumindest freitags. Denn dann            Voneinander lernen, miteinander gestal-         gemeinsam etwas – zum Beispiel einen
ist Frauenfrühstück. In dem knapp 30            ten, die Kultur des anderen verstehen,          Ausflug an den Main.          Foto: Oeser
Quadratmeter großen Raum sitzen                 gemeinsam Spaß haben, das ist das Ziel
Frauen aus Deutschland, Spanien und             von Oasi. „Die Senioren erleben hier            Frankfurt und arbeitete bei den Farb-
Italien zusammen, reden über die Hei-           Gemeinschaft, fühlen sich aufgehoben,           werken als Ausländerbetreuer. Heute,
mat, Freunde und Alltagssorgen, essen           treffen sich auch im Stadtteil wieder”,         im Ruhestand, berät er unter anderem
belegte Brötchen und trinken Kaffee.            beobachtet Rosa Meneses-Grohnwald.              ehrenamtlich bei Oasi Migranten zum
„Hier kann jeder herkommen, egal aus            Das schafft ein soziales Netzwerk,              Thema Rente. „Offiziell“, wie er betont.
welchem Land”, betont Rosa Meneses-             gegen die Isolation, jeder schaut nach          Manchmal ginge es auch darum, zu hel-
Grohnwald vom Höchster Team der                 dem anderen. „Rosa ist mein Schutzen-           fen, wenn jemand eine barrierefreie
Caritas-Fachdienste für Migration.              gel”, flüstert eine Dame am Tisch mit           Wohnung im Parterre sucht oder der
                                                weißem, hochgesteckten Haar. Sie heißt          Partner sich trennt. „Die Leute wissen,
Prompt kommt eine Asiatin zur Tür her-          Carmen Sobieski, ist 75 Jahre alt und           wo sie hinkommen können, zu mir in
ein, schaut sich neugierig um. Rosa Me-         kommt aus Spanien. Ihr deutscher Ehe-           den Garten oder direkt zu Oasi“.
neses-Grohnwald geht auf sie zu, lädt           mann ist vor zehn Jahren gestorben.
sie ein, Platz zu nehmen. Oasi ist eine         Obwohl sie mit ihm lange in Nied ge-            Auch Juan Moral aus Granada hat sich
Einrichtung, die ihresgleichen sucht und        wohnt hat, kann sie kaum Deutsch. Im            bei ihm beraten lassen. 39 Jahre lang
deshalb mit dem Deutschen Altenhilfe-           Treff fand sie Freunde, die sie auch mal        war er bei Lufthansa, Opel und den Farb-
preis ausgezeichnet wurde, der von              zum Arzt begleiten. Carmen Sobieski             werken tätig. „Es ist wichtig, eine An-
einer Treuhandstiftung des Deutschen            nickt dankbar.                                  laufstelle zu haben, wenn man in
Roten Kreuzes vergeben wird. Oasi steht                                                         Deutschland all die Jahre hart gearbeitet
für „offen, aktiv, SeniorInnen, interkultu-     „Früher haben sich die Leute auf der            hat und plötzlich ohne Job dasteht“, sagt
rell”. Den Namen haben die Besucher             Straße getroffen, weil sie nicht wussten,       der Vorruheständler. „Im Treff findet man
selbst gewählt. Für einen Ort, an dem           wo sie hingehen können nach Feier-              Gleichgesinnte und man fühlt sich nicht
sich Menschen unterschiedlicher Natio-          abend”, erzählt Meneses-Grohnwald von           so alt, wie man ist.“
nalitäten seit 2001 treffen können, um          den Anfängen. „Ich dachte, das kann
sich auszutauschen, Karten zu spielen,          nicht sein, nach 40 Jahren Migration”,          Ohne das große ehrenamtliche Engage-
gemeinsam Sport zu treiben, zu essen,           entrüstet sich die quirlige 51-jährige          ment wäre der Treff nicht das, was er
zu malen und Ausflüge zu machen.                Spanierin und schüttelt ihren schwarzen         jetzt ist, betont Rosa Meneses-Grohn-
                                                Lockenkopf. Immerhin läge der Migran-           wald. Finanziert wird Oasi von der Stadt
„Hier fühle ich mich wohl”, sagt Gisela Graf    tenanteil im Stadtteil bei 40 Prozent.          Frankfurt, der Caritas und durch Spenden.
begeistert. Sie ist eine von rund 200 Se-       Schnell war klar: „Wir brauchen einen           Der Raum in der Albanusstraße ist zu klein
nioren, die den Treff regelmäßig aufsu-         Ort, der für alle offen ist, nicht nur zu be-   für die vielen Angebote und Menschen,
chen. Von Beginn an. Durch Zufall kam           stimmten Uhrzeiten.” So haben jetzt fünf        die Oasi aufsuchen. Eine Erweiterung
die 68-Jährige aus Nied dazu. Damals            Ehrenamtliche einen Schlüssel für den           wünscht sich nicht nur Meneses-Grohn-
bot eine Kolumbianerin bei Oasi einen           Treff, damit der Raum auch außerhalb            wald. Die Leiterin des Treffs muss zum
Salsa- und Merenguekurs an. Graf war            der offiziellen Öffnungszeiten genutzt          nächsten Termin. Die Tür bleibt offen. Die
die einzige Deutsche. Im Kurs und im            werden kann.                                    Frauen frühstücken weiter. Judith Gratza
Treff. Das machte ihr nichts aus. „Ich unter-
hielt mich mit Händen und Füßen”, erin-         Einer von ihnen ist Ignazio Contu aus
                                                                                                 Kontakt: Interkultureller Senioren-
nert sie sich und lacht. Graf tanzte nicht      Nied. Der 72-Jährige darf für das Inter-
                                                                                                 treff Oasi, Albanusstraße 3, Höchst,
nur mit den Italienern, Spaniern, Griechen,     view ausnahmsweise am Frauenfrüh-
                                                                                                 Telefon 0 69/ 30 05 97 31.
Türken und Osteuropäern, sondern zeig-          stück teilnehmen. 1959 kam der braun-
                                                                                                 www.caritas-frankfurt.de
te ihnen auch, wie man Plätzchen backt.         gebrannte Mann aus Sardinien nach

                                                                                                                         SZ 4/ 2009 13
Titel: In Frankfurt zuhause – Begegnung der Kulturen

  Fremde Freundin
Kairo, Khan-el-Khalili-Basar.                                                       Zahlreiche Moscheen ragen in der Kairoer Altstadt in den H

S
      ie ist laut, voll und hektisch. Kairo,   Die geschätzten 16 Millionen Einwohner       Neben dem Gegensatz von Arm und
      Al-Qahira, die Siegreiche, ist seit      leben auf engem Raum, etwa so, als          Reich steht der von Tradition und Mo-
      30 Jahren durch eine Freundschafts-      ob die Einwohner Nordrhein-Westfalens       derne und auch der zwischen Muslimen
vereinbarung mit Frankfurt verbunden.          sich auf der Fläche Berlins drängten.       und Kopten. Kairo ist in erster Linie eine
                                               Dem stehen die Bewohner Kairos gelas-       muslimische Stadt. Schätzungsweise
Die Städtefreundschaft zu Kairo und auch       sen gegenüber, sie sind bekannt für ihre    90 Prozent der Bevölkerung sind sunniti-
zu Tel Aviv entstand im historischen Kon-      Freundlichkeit, ihren Humor und ihre Kom-   sche Muslime. Allein schon durch die Al-
text des Camp David Friedensvertrags.          munikationsbereitschaft. Sie beherrschen    Azhar Moschee und die angeschlosse-
Begegnungen zwischen Israelis und              das Chaos mit ihrem Improvisations-         ne Universität ist Kairo der Mittelpunkt
Ägyptern sollten in der Dreiecksbezie-         talent, mit dem sie den Widrigkeiten        des sunnitischen Islam. Die Universität
hung mit Frankfurt erleichtert werden.         des Alltags, wie beispielsweise der         besitzt eine große Autorität in islami-
Anfang Oktober wird der 30. Jahrestag          schlechten Wasser- oder Luftqualität,       schen Rechtsfragen.
mit einer offiziellen Delegation aus           der mangelhaften Stromversorgung und
Frankfurt in Kairo feierlich begangen.         der Wohnungsnot begegnen.                   Moscheen,
                                                                                           Kirchen, Pyramiden
Laut und atemberaubend                         Stadt der Gegensätze
                                                                                           Auf den Programmen der meisten Rei-
Kairo ist nicht nur Ägyptens Hauptstadt,       Wie in vielen Städten in sogenannten        severanstalter stehen die Zitadelle, Alt-
Zentrum des sunnitischen Islam und Af-         Entwicklungsländern gibt es auch in         Kairo, der Khan-el-Khalili-Bazar und das
rikas größte Metropole. Sie ist auch der       Kairo einen großen Gegensatz zwischen       Ägyptische Museum. Des Weiteren ist
Ausgangspunkt der meisten Ägypten-             Arm und Reich. Da gibt es zum Beispiel      in der Regel ein Ausflug zu den Pyra-
reisen. Es lohnt sich, die Attraktionen        das Stadtviertel Manshiet Nasser, dessen    miden von Gizeh geplant. Man kann sich
der Nilmetropole anzuschauen und die           Bewohner, größtenteils koptische Chris-     getrost auf diese „ausgetrampelten“ Tou-
laute, hektische und wimmelnde Stadt           ten, den Müll sortieren, den die Müll-      ristenpfade begeben, sie haben nichts
auf sich wirken zu lassen.                     männer täglich hierher bringen. Organi-     von ihrer Faszination eingebüßt. Vom
                                               scher Müll wird an die Tiere verfüttert,    184 Meter hohen Kairo Tower hat man
Auf einen kleineren Kulturschock muss          wieder verwertbaren versucht man zu         einen unvergesslichen Blick auf das
man sich schon einstellen. Denn der            verkaufen.                                  Häusermeer der Stadt, durchzogen vom
erste Eindruck auf den Durchschnitts-                                                      Nil und von der Wüste umrandet.
europäer ist der eines heillosen Chaos,        Der Durchschnitts-Kairener hat nicht ei-
dessen Ordnung sich höchstens mittel-          nen Job, sondern zwei oder drei: Er ist     Kairos Stadtbild ist geprägt von der Zita-
fristig erschließt.                            beispielsweise tagsüber Lehrer und          delle im islamischen Viertel, einer mit-
                                               fährt abends Taxi. Oder er bekleidet ein    telalterlichen Festung aus dem 12. Jahr-
Es herrscht ein unglaubliches Ver-             Amt im Ministerium und geht nach            hundert. Sie umfasst drei bedeutende
kehrschaos, in dem sich nicht zwei oder        Feierabend klempnern. Es gibt in Aus-       Moscheen und mehrere Museen. Einen
drei Autos parallel in eine Richtung           nahmefällen aber auch immer wieder          Besuch des Khan el Khalili, des größten
drängen, sondern gleich fünf oder              Bilderbuchkarrieren. So startete ein        Bazars im Orient, sollte man sich nicht
sechs. Kommuniziert wird durch Blicke,         heutiger Multimillionär und Inhaber         entgehen lassen. Besonders abends ist
Handzeichen und lautes Hupen – ein             einer beliebten Catering-Kette sein         er ein Erlebnis. Das Café Fishawi ist für
Auto ohne Hupe gilt als nicht ver-             Geschäft mit dem Straßenverkauf von         seinen Tee mit frischen Minzeblättern
kehrstüchtig.                                  Sandwiches.                                 berühmt – eine köstliche Spezialität.

14 SZ 4/ 2009
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