SGDV Nationale Hautkrebskampagne 2019: Mediendossier - "FAQ's" zur UV-Strahlung / Sonnenschutz - Derma.ch
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SGDV Nationale Hautkrebskampagne 2019: Mediendossier ANHANG 1 «FAQ’s» zur UV-Strahlung / Sonnenschutz Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber Feb-2019
Nationale FAQs Hautkrebskampagne 2019 Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber Sachverständiger Sonnenschutz SGDV, Nationale Hautkrebskampagne 2019 1. Welchen Sonnenschutzfaktor (SPF) sollte ich wählen? Die Wahl des idealen SPF hängt vom Hauttyp, dem Urlaubsziel und der Jahreszeit ab: Je heller die Haut, je höher über dem Meeresspiegel, je näher das Urlaubsziel am Äquator und je sommerlicher die Jahreszeit ist, desto höher sollte die Wahl für einen bestimmten SPF ausfallen. Generell gilt aber, dass man sich bei Freizeitaktivitäten – Gärtnern, Sport im Freien etc. – mit Sonnenschutzprodukten mit einem SPF von mindestens 30 eincremt. 2. Kann ich durch erneutes Eincremen meinen Sonnenschutz verlängern? Die Schutzwirkung wird nie verlängert. Mit dem gewählten SPF legen Sie einen bestimmten Sonnenschutz für sich fest, z.B. SPF 30 > hoher Sonnenschutz und mit SPF 50+ > sehr hoher Sonnenschutz. Erneutes Eincremen erhält lediglich den gewählten Sonnenschutz. Der Sonnenschutz lässt sich nur erhöhen, wenn man ein Produkt mit einem höheren SPF wählt. 3. Werde ich mit einem hohen SPF überhaupt braun? Sonnenschutzprodukte mit sehr hohem Sonnenschutz blockieren die UV Strahlen nie komplett. Es wird immer ein geringer Anteil der Strahlung in die Haut eindringen und eine Bräunung hervorrufen. Die natürlichen Sonnenschutzmechanismen der Haut wie Verdickung der Hornschicht und Pigmentierung kommen erst nach einigen Tagen der Bestrahlung zum Tragen. Es ist deshalb wichtig, sich zu Beginn der Ferien besonders sorgfältig vor der Sonnen zu schützen. Es ist nicht sinnvoll, bei den ersten Anzeichen der Bräunung (Pigmentierung) auf Produkte mit geringerem SPF zu wechseln. Die Haut braucht bei hoher Strahlenbelastung immer zusätzlichen Schutz, denn die aufkommende Bräunung kann die Strahlenbelastung nie kompensieren. Trotz des weitverbreiteten Wunsches nach schöner Ferienbräune ist sie ein Zeichen einer Hautschädigung. Es gilt der Grundatz: Gesunde Bräune gibt es nicht! Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber, Sachverständiger Sonnenschutz, SGDV, Nationale Hautkrebskampagne 2019
Nationale FAQs Hautkrebskampagne 2019 4. Wie sicher ist ein wasserfestes Sonnenschutzmittel? Die Wasserfestigkeit wird bei uns meist nach europäischen Richtlinien geprüft. Das Sonnenschutzprodukt wird auf dem Rücken von freiwilligen Probanden aufgetragen, die sich anschliessend zweimal 20 Minuten in einem Whirlpool aufhalten. Nach dieser Zeit muss das applizierte Produkt noch 50% der ursprünglichen Schutzleistung aufweisen. Bei extra wasserfesten Produkten muss diese Schutzleistung sogar nach viermal 20 Minuten Aufenthalt im Whirlpool noch gegeben sein. Es handelt sich bei diesem Leistungsparameter um einen sehr technischen Wert, der die Wirklichkeit mangelhaft abbildet. Der Aufenthalt im Wasser ist im Vergleich zur gesamten Sonnenexpositionszeit meist relativ kurz und der Abrieb durch Spritzwasser sehr viel grösser als im Whirlpool. Da sich nach Aufenthalt im Wasser, nach dem Schwitzen oder gar nach dem Abtrocknen die Sonnenschutzleistung stark vermindert, sollte man sich grundsätzlich nach sollen Aktivität erneut eincremen, um den gewählten Sonnenschutz aufrecht zu erhalten. 5. Welches sind die Hauptursachen für Sonnenallergien? Der Begriff Sonnenallergie wird meist von Laien für Hautveränderungen wie juckende Pusteln, Bläschen oder Quaddeln verwendet, die sich nach einem Aufenthalt in der Sonne gebildet haben. Hinter dieser Selbstdiagnose können sich eine Vielzahl möglicher lichtbedingter Hautveränderungen oder -erkrankungen verbergen. Auslöser für diese Hautveränderungen sind häufig die tief in die Haut eindringenden UVA- Strahlen. Bestimmte Hilfstoffe, die zur Herstellung der Sonnenschutzprodukte verwendet werden, können diese Reaktionen begünstigen oder gar verstärken. Erwägen Sie den Wechsel des Produktes und stellen sie sicher, dass das gewählte Sonnenschutzprodukt einen ausreichenden UVA-Schutz liefert (UVA Logo). Stellt sich keine Änderung ein, ist ein Arztbesuch notwendig. 6. Warum ist die Haut von Kindern in der Sonne besonders gefährdet? Bei Kindern sind bestimmte Zellen in der sich noch formenden Haut der UV-Strahlung mehr ausgesetzt als beim Erwachsenen. Kinder und Jugendliche sollten davor bewahrt werden einen Sonnenbrand zu erleiden. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Anzahl an Sonnenbränden und dem Riskio später im Leben an Hautkrebs zu erkranken. Neben dem Meiden der Sonne zur Mittagszeit, dem Aufsuchen von Schatten, dem Tragen von UV-dichten Kleidern und Hut sollten unbedingt Produkte mit sehr hohem Sonnenschutz (SPF50+) verwendet werden. 7. Wie wähle ich ein Sonnenschutzprodukt aus? Entscheiden Sie sich zuerst für einen bestimmten SPF. Stellen Sie sicher, dass das gewählte Produkt auch im UV-A Bereich schützt – erkennbar am UVA Logo (schwarzer Kreis in dem UVA steht). Wählen Sie unbedingt ein Produkt das Ihnen kosmetisch zusagt, d.h. das Sie sich gerne auf die Haut auftragen. Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber, Sachverständiger Sonnenschutz, SGDV, Nationale Hautkrebskampagne 2019
Nationale FAQs Hautkrebskampagne 2019 Denken Sie daran, dass Kinder manchmal besonders heikel sind. Die Wahl der Sonnenschutzgrundlage (Lotion, Gel, etc.) hat keinen Einfluss auf die Sonnenschutzleistung. Es gilt jeweils die auf der Verpackung deklarierte Sonnenschutzleistung. Bei dünnflüssigen Produkten hat man die Tendenz besonders wenig Produkt aufzutragen. Die deklarierte Schutzleistung (SPF) wird dann oft nicht erreicht. 8. Wieviel Produkt muss ich für unsere Familie für die Ferien einkaufen? An folgendem Beispiel lässt sich das ganz grob illustrieren: 10 tägiger Aufenthalt am Strand von 2 Erwachsenen und 2 Kindern. Die Haut, die eingecremt werden soll, ist beim Erwachsenen 1 m2 und beim Kind 0.5m2 – zusammen also 3 m2. Um die deklarierte Sonnenschutzleistung zu erhalten, sind 2mg/cm2 aufzutragen, d.h. also 60gr (Erwachsene je 20gr, Kinder je 10gr) Sonnenschutzmittel pro Tag oder 600gr für den ganzen Aufenthalt. Nicht gerechnet ist, dass man sich von Zeit zu Zeit wieder eincremen sollte, um die Schutzleistung aufrecht zu erhalten. In der Realität nehmen die meisten Urlauber zuwenig Sonnenschutzmittel mit in die Ferien. 9. Wann und wieviel Sonnenschutzmittel muss ich auftragen? Grundsätzlich sollte man sich vor der Sonnenexposition mit Sonnenschutzmittel eincremen. Oft wird empfohlen sich 20-30 Minuten vor der Exposition einzucremen. Dies ist insofern sinnvoll, da das Produkt in dieser Zeit auf der Haut «antrocknen» kann und sich dann besser auf der Haut hält. Die Aussage, dass die Produkte erst nach 20-30 Minuten wirken ist falsch. Sie wirken sofort – nur hat sich das Produkt noch nicht auf der Haut «verfestigt» und geht deshalb leicht wieder verloren. Die Praxis hat gezeigt, dass man sich in der Regel zuwenig Sonnenschutzprodukt aufträgt (1 anstatt 2mg/cm2) und damit die auf der Verpackung deklarierte Leistung nicht erreicht wird. Darüber hinaus werden oft viele - auch exponierte – Stellen vergessen. Praktischerweise sollte man sich 2mal vor der Exposition eincremen. Damit bringt man die 2mg/cm2 auf die Haut und die Chance, eine nicht eincremte Stellen doch noch zu behandeln, steigt. 10. Wie lange sind Sonnenschutzprodukte haltbar? Sonnenschutzprodukte können entweder mit einem Verfalldatum oder mit einem kleinen geöffnetem Cremetopf mit Angabe einer Zahl und einem Buchstaben (z.B. 12M) gekennzeichnet werden. Die 12 steht für die Anzahl der Monate, das "M" für die Einheit Monat. Das Produkt kann folglich nach Anbruch noch 12 Monate verwendet werden. Bei Produkten aus dem Massenhandel wird die Haltbarkeit häufig nur mit diesem Cremetopf deklariert. Die Haltbarkeitsangaben gelten allerdings nur dann, wenn die Produkte sachgemäss gelagert werden. Die Lagerung in einem Auto, das mehrfach über Stunden in der Sonne steht oder das mehrfache Einfrieren im Winter, kann das Produkt erheblich schädigen. In der Regel wird dies vom Konusmenten schnell bemerkt. Die Creme scheidet sich oder riecht schlecht. Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber, Sachverständiger Sonnenschutz, SGDV, Nationale Hautkrebskampagne 2019
Nationale FAQs Hautkrebskampagne 2019 11. Ab wann kann man Sonnenschutzmittel bei Babies verwenden? Viele Hersteller bieten Sonnenschutzprodukte bereits für Kinder ab dem ersten Lebensjahr an. Hautärzte empfehlen, Babies und Kleinkinder bis zu drei Jahren grundsätzlich NICHT der direkten Sonne auszusetzen. 12. Was bedeutet der SPF genau? Die drei Buchstaben SPF wie wir sie alle auf den Sonnenschutzprodukten finden sind die Abkürzung für den englischen Begriff Sun Protection Factor (Sonnenschutzfaktor). In den 1970iger Jahren wurde dieser Leistungsparameter entwickelt und popularisiert. Dabei wurden unter freiem Himmel Menschen mit und ohne Sonnencreme der Sonne ausgesetzt. Die Zahl nach der Abkürzung gab an wieviel mal länger man mit einem Sonnenschutzprodukt an der Sonne sein konnte ohne «rot» zu werden. Heute wird der Sonnenschutzfaktor für jedes Produkt unter streng kontrollierten Laborbedingungen an freiwilligen Probanden bestimmt. Der Faktor ist das Verhältnis zwischen der Zeit bis zu einer ersten Rötung der Haut, die mit Sonnenschutzmittel geschützt ist, und der Zeit bis zu einer ersten Rötung der Haut, die nicht geschützt ist. Letzteres nennt man die Eigenschutzzeit. Die Eigenschutzzeit ist abhängig vom Hauttyp. Hellhäutige Menschen haben eine kürzere, dunkelhäutige Menschen haben eine längere Eigenschutzzeit (5-30 Minuten). Ein Produkt mit einem SPF 50 ist doppelt so stark wie ein Produkt mit SPF 25 oder 5 mal so stark wie ein Produkt mit SPF 10. Der YouTube Beitrag illustriert diesen Sachverhalt https://www.youtube.com/watch?v=8cc8qRr7oMQ. 13. Kann ich mit meiner persönlichen Eigenschutzzeit und dem gewählten SPF die Zeit berechnen während der ich unbeschadet in der Sonne sein kann? Theoretisch bedingt JA, praktisch definitiv NEIN. Die Messung des SPF erfolgt unter streng kontrollierten Bedingungen im klinischen Versuchslabor ohne mechanischen Abrieb des Produkts oder Verlust durch Wasserkontakt. Die Eigenschutzzeit wird im Labor genau bestimmt. Die meisten Menschen schätzen ihre Eigenschutzzeit falsch ein – meist zu hoch. Es ist deshalb streng davon abzuraten seine Eigenschutzzeit mit dem Sonnenschutzfaktor zu multiplizieren, um die Zeit, die man vermeintlich unbeschadet an der Sonne sein kann, zu berechnen. Der SPF soll nur dazu dienen zwischen Produkten mit sehr hohem (SPF 50+), hohem (SPF 30, 50), mittlerem (SPF 15,20, 25) und niedrigem Schutz (SPF 6, 10) zu unterscheiden. 14. Was bewirken UV-Strahlen? UVB-Strahlen dringen bis tief in die Epidermis (Haut) und sind Ursache für Sonnenbrand, DNA-Schäden in den Zellen und die Entwicklung von Hautkrebs. UVA-Strahlen dringen bis ins Bindegewebe ein und sind Ursache für chronische Lichtschäden (z.B. Hautalterung). Ausserdem sind sie verantwortlich für die Bildung freier Radikale und lichttoxischer und lichtallergischer Reaktionen. Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber, Sachverständiger Sonnenschutz, SGDV, Nationale Hautkrebskampagne 2019
Nationale FAQs Hautkrebskampagne 2019 15. Kann ich im Solarium meine Haut auf die Sonne vorbereiten? Nein. In den meisten Solarien wird UVA-Bestrahlung verabreicht. Sonnenbrände werden durch UVB- Strahlen verursacht. Die im Solarium erworbene Bräune vermag die Strahlenbelastung in der Natur nicht zu verringern. 16. Sind Sonnenschutzprodukte mit Nanopartikel gefährlich? Nanopartikel absorbieren und reflektieren die UV-Strahlung. Wenn Sonnenschutzmittel Nanopartikel enthalten, muss dies auf dem Produkt deklariert werden. Hinter der Bezeichnung des Nanopartikels (z.B. Titandioxid) steht in Klammern der Begriff (nano). Als Nanopartikel werden Partikel bezeichnet, die kleiner als 100 Nanometer (nm) sind. 1nm entspricht einem milliardstel Meter. Der Grössenunterschied zwischen einem Nanometer und einem Meter entspricht in etwa dem Grössenunterschied zwischen einer Blattlaus (Grösse 6–7 mm) und der Entfernung zwischen Zürich und New York (6'300 km). Nanopartikel sind also sehr klein. Immer wieder wird jedoch die Befürchtung geäussert, dass diese kleinen Teilchen die Haut durchdringen könnten. Der oberste Teil unserer Haut – die Hornschicht – so jedoch aufgebaut, dass die kleinen Teilchen nicht durch die Haut eindringen können. Etwas weiteres verhindert das Eindringen der Partikel zusätzlich. Wenn das Sonnenschutzprodukt mit den Nanopartikeln auf der Haut «antrocknet», d.h. alle flüchtigen Bestandteile (z.B. Wasser) verdunstet sind, sind die Partikel in einem dünnen, aber sehr dickflüssigen Film auf der Haut «gefangen». Letzteres ist auch dann von Bedeutung, wenn die Hornschicht geschädigt ist. Sonnenschutzprodukte mit Nanopartikel können als sicher bezeichnet werden. 17. Sind teure Produkte besser? Die Leistungsparameter von Sonnenschutzprodukten werden nach internationalen, standardisierten Verfahren bestimmt. Die deklarierten Werte müssen vom Produzenten garantiert werden und sind Preis unabhängig. Teurere Produkte sind manchmal kosmetisch angenehmer und bieten «Zusatzleistungen» wie Feuchtigkeitspflege, antioxidative Wirkung etc. an. Die Messung dieser Zusatzleistungen ist nicht genormt, wie dies bei der Strahlenschutzleistung der Fall ist. Sie muss auch nicht garantiert werden. Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber, Sachverständiger Sonnenschutz, SGDV, Nationale Hautkrebskampagne 2019
SGDV Nationale Hautkrebskampagne 2019: Mediendossier ANHANG 2 PUBLIKATIONEN UV-STRAHLUNG (Surber Ch. et al.) zur 019 • Surber Ch, Braun R. Sonnenschutz. Swiss Medical Forum 2017;17(25):544-555 Published under the copyright license “Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0)”. No commercial reuse without permission. emh.ch/en/emh/rights-and-licences/. • Surber Ch: Zu viel Sonne meiden, Kleidung tragen, Schutzmittel verwenden UV-Schutz: Korrekte Beratung als Aufgabe des Hautarztes. Der Deutsche Dermatologe 2011;4:230-234 Copyright (© Springer Medizin Verlag); Hinweis: Inhalte des Beitrags sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne eine weitere Lizenzierung nicht weiterverwendet dürfen. Feb-2019
ÜBERSICHTSARTIKEL 544 Altes und Neues zu wiederkehrenden Fragen Sonnenschutz Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber a,b , Prof. Dr. med. Ralph P. Braun b a Dermatologische Klinik, Universitätsspital Basel; b Dermatologische Klinik, UniversitätsSpital Zürich Der Sommer steht vor der Tür und damit steigt auch die Sonnenexposition primär a r tic le empfindlicher und/oder nicht an Sonne gewöhnter Haut – «Outdoor»-Aktivitäten, Peer Reiselust sowie der Wunsch nach «gesunder» Bräune tragen ihren Teil dazu bei. Zu- re v ie we d dem werden zahlreiche Erkrankungen direkt oder indirekt durch die Sonnenstrah- lung beeinflusst. Gründe genug, das Thema Sonnenschutz genauer zu beleuchten. Einführung Bei der exogenen Photoprotektion geht es in erste Linie darum, die Strahlung im Ultraviolett(UV)-Bereich (UV Der Sonnenschutz ist alljährlich im Frühling ein stark 290–400 nm) des Sonnenlichtes zu reduzieren. Neue- beachtetes Thema in den Print-Medien sowie im In ren Datums sind Schutzkonzepte für den Infrarot(IR)- ternet in Blogs und auf YouTube. Verschiedene Unter- Bereich (IR 760–4000 nm). Für die exogene Photopro- suchungen haben gezeigt, dass die Qualität der ver- tektion stehen im UV-Bereich des Sonnenlichtes knapp breiteten Information unzureichend ist. So sind je nach 30 von Behörden zugelassene Filter zur Verfügung, die Medium 20–30% der Aussagen zum Sonnenschutz in einer Vielzahl unterschiedlicher Formulierungen mangelhaft oder irreführend [1–3]. Besonders die Leis- angeboten werden. Umgangssprachlich wird bei Son- tungsmerkmale von Sonnenschutzprodukten werden nenschutzprodukten häufig zwischen Produkten mit häufig nicht oder nicht richtig verstanden. «physikalischen» und «chemischen» Filtern unterschie- Nachfolgender Beitrag soll einige Grundlagen des exo- den. Diese Unterscheidung ist etwas unglücklich, da genen und endogenen Sonnenschutzes erläutern und einerseits alle Filter chemische Substanzen sind und die Bedeutung des topischen Sonnenschutzes für den andererseits die Begriffe positiv (physikalisch) respek- Schutz vor Hautkrebs und Hautalterung sowie vor pri- tive negativ (chemisch) konnotiert sind. Produkte mit mären und sekundären Lichtdermatosen diskutieren. physikalischen Filtern werden dann gelegentlich und Ein separater Abschnitt ist der Wichtigkeit des Sonnen- fälschlicherweise auch als «natürliche» oder «nicht schutzes für Kinder gewidmet. Die Leistungsmerkmale chemische» Produkte vermarktet. Auch die Unterschei- sowie unerwünschten Wirkungen von Sonnenschutz- dung zwischen Produkten mit anorganischen Filtern mitteln werden erörtet und abschliessend der regulato- (früher oft als physikalische Filter bezeichnet) und Pro- rische Status von Sonnenschutzprodukten und deren dukten mit organischen Filtern (früher oft als chemische Bedeutung für die Vermarktung erläutert. Filter bezeichnet) greift zu kurz. Mit den anorganischen Filtern sind Zinkoxid und Titandioxid gemeint, die als Mikro- und Nanopartikel in Sonnenschutzprodukte Sonnenschutz von aussen eingearbeitet werden. Da es aber auch einen sehr guten (exogene Photoprotektion) nanopartikulären organischen Filter gibt (Tinosorb®M), Die drei Säulen der exogenen Photoprotektion umfassen ist auch die Unterscheidung zwischen anorganischen (1) den begrenzten Aufenthalt in der Sonne, (2) das Tra- und organischen Filtern ungeeignet. Die Filter in nicht gen von Kleidung und Sonnenbrille sowie (3) die An- lösliche und lösliche Substanzen aufzuteilen, ist nach wendung von Sonnenschutzmittel (geordnet nach Wir- unserer Meinung die einfachste und korrekte Art. Die kung!). In weiten Kreisen der Bevölkerung wird jedoch Wirksamkeit der nicht löslichen Filter beruht auf Refle- als Mittel der ersten Wahl das Auftragen von Sonnen- xion, Streuung und Absorption des Lichtes. Die Wirk- schutzprodukten auf die Haut genannt. Auf dieses samkeit der löslichen Filter beruht auf der Absorption Missverständnis sollte in der ärztlichen Beratung im- von UV-Strahlung durch konjugierte Doppelbindun- mer wieder hingewiesen werden und die grosse Bedeu- gen im Filtermolekül. Die aufgenommene Energie wird tung des begrenzten Aufenthalts in der Sonne und des in Form von Wärme und Fluoreszenzlicht wieder frei Tragens von Kleidung und Sonnenbrille hervorge gegeben. Je nach Absorptionsspektrum der Filter spricht Christian Surber hoben werden. man von UVA-, UVB- oder Breitbandfiltern. Klinisch SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(25):544–555 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel 545 relevante exogene Photoprotektion muss sich heute Schutz vor UV-A bisher weit weniger Beachtung ge- über die gesamte Breite der relevanten Wellenlängen schenkt. Dieses Leistungsmerkmal kann entweder mit (290–400 nm) erstrecken. Daher werden immer meh- einem speziellen Logo (Abb. 1) oder mit einer Zahl («per- rere UV-Filter mit unterschiedlichen Absorptionsma- sistent pigment darkening» [PPD]) ausgelobt werden. xima kombiniert. Sowohl die Bedeutung, aber auch die Notwendigkeit, Die Schutzleistung von Sonnenschutzprodukten ist sich im UV-A-Bereich zu schützen, sowie die entspre- dem Konsumenten von heute vor allem über den auf chenden Kennzeichnungen sind in der Bevölkerung der P ackung angegebenen Licht- oder Sonnenschutzfak- weitgehend unbekannt. tor (LSF, SSF, SPF [«sun protection factor»]) bekannt und Seit einigen Jahren werben einzelne Sonnenschutz bezieht sich vorwiegend auf den Schutzeffekt gegen mittelanbieter mit IR-Schutz-Konzepten. IR-Strahlung UVB-Strahlen. Die Angabe des SPF hat vor allem in den ist energieärmer als ultraviolettes Licht, dringt aber im USA und Asien zu einem Wettlauf der SPF geführt. Pro- Vergleich zum UV-Licht tiefer in die Haut ein – und duktanbieter überbieten sich mit immer höheren SPFs zwar unabhängig vom Hauttyp. Dort soll sie die Kolla- und in einigen Ländern ist die magische Grenze von 100 genstruktur schädigen und dadurch die Hautalterung überschritten worden. Theoretisch und praktisch ist die beschleunigen. Steigerung der Schutzleistung innerhalb bestimmter re- Die oben genannten Leistungsmerkmale werden später alistischer Grenzen möglich. Höhere SPF werden vor al- im Artikel genauer dargestellt. lem durch höhere Filtermengen erreicht. Bei Produkten Topischer Sonnenschutz wird heute immer öfter auch mit SPF 50+ ist die Filterkonzentration nicht selten über für die Tageskosmetik propagiert. Positive Langzeit 25% (Gewicht/Gewicht). Behörden gewisser Regionen effekte sind durchaus denkbar. Häufig fehlt aber die der Erde (Europa, Australien) sind dazu übergegangen, offizielle Deklaration eines UV-B- und UV-A-Schutzes Sonnenschutzprodukte gemäss ihrer Schutzleistung in auf den Tageskosmetikprodukten. Der Konsument er- Schutzkategorien einzuteilen (niedrig → SPF 6, 10; mit- hält somit keine klare Information über die Schutzleis- tel → SPF 15, 20, 25; hoch → SPF 30, 50; sehr hoch → 50+). tung. Untersuchungen haben auch gezeigt, dass gerade Diese durchaus sinnvolle Vereinfachung wird von Kon- der UV-A-Schutz in Tageskosmetikprodukten häufig sumenten und Produktanbietern nur teilweise über- ungenügend ist [4]. Patienten, die auf einen zuverläs nommen und die Schutzkategorie kaum als Ent sigen Sonnenschutz angewiesen sind, sollten korrekt scheidungskriterium beim Kauf eines Produktes gekennzeichnete Sonnenschutzprodukte verwenden rücksichtigt. Zusätzlich wird dieser Trend durch be und auf Tageskosmetik mit integriertem Sonnenschutz Konsumentenschutzorganisationen unterstützt, die SPF- (ohne klare Kennzeichnung) verzichten. Testmessungen statt Kategorie-Testmessungen durch- führen und so die Bedeutung des SPF anstelle derjenigen Sonnenschutz von innen der Schutzkategorie hochhalten. Heute ist der SPF neben (endogene Photoprotektion) der kosmetischen Akzeptanz nach wie vor eine der wichtigsten Kaufkriterien für den Konsumenten. Von grossem Interesse ist der systemische Sonnen- Obwohl die negativen Folgen der UV-A Exposition durch- schutz, der den gleichmässigen, verlustfreien Schutz des aus bekannt sind – unter anderem Hautalterung, För ganzen Körpers zum Ziel hat. derung der Hauttumorgenese – und die Gesamtexposi- tion weit grösser ist als bei UV-B, wurde dem topischen «Sonnenschutz aus der Küche» (Nahrungs- oder Nahrungsergänzungsmittel) Man liest immer wieder Folgendes in Unterhaltungs- journalen oder im Internet: «Tomate statt Creme? Wer gerne Pizza oder Pasta isst, hat zukünftig noch einen weiteren guten Grund, italienisches Essen zu geniessen: Gerichte mit Tomatenmark liefern einen hervorragen- den Sonnenschutz» oder «Astaxanthin (Carotinoid aus der Xanthophyll-Klasse) kann unsere Haut von innen heraus vor Sonnenbrand schützen, sodass man mit Abbildung 1: Das offizielle Logo, das den ausreichenden UV- Astaxanthin länger in der Sonne bleiben kann» [3, 5]. A-Schutz deklariert [35, 36]. Daneben existieren auch Logo- Dies ist gefährlich denn hier wird dem Laien eine Si- Nachahmungen, die den UV-A-Schutz eher vortäuschen. cherheit vorgegaukelt. Der Hinweise, dass man dann so- Angaben auf Packungen «mit UV-A-Schutz» oder «mit Breit- bandschutz» garantieren den Schutz, wie er in [35, 36] defi- gar länger an der Sonne sein kann, ist unserer Meinung niert ist, nicht unbedingt. nach geradezu fahrlässig [5]. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(25):544–555 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel 546 Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten Sonnenschutz auf Rezept [6, 7] die tatsächlich den Nachweis erbringen, dass bei- Für Patienten mit sehr lichtempfindlicher Haut ist ein spielsweise Carotinoide synthetischen Ursprungs oder gleichmässiger, verlustfreier und vor allem zuverlässi- auch als Teil von Nahrungsmitteln – teilweise mit Vita- ger Schutz des ganzen Körpers von grösstem Interesse. minen und anderen Stoffen kombiniert und ergänzt – Afamelanotid – ein Analogon des Alpha-Melanozyten die Lichtempfindlichkeit der Haut beeinflussen. In einer stimulierenden Hormons – war die letzten Jahren im Metaanalyse zeigen Köpcke und Krutmann [8], dass Fokus der Wissenschaft. Phase-II- und -III-Untersu- Betakaroten vor Sonnenbrand schützen kann und die chungen bei Lichturtikaria, Vitiligo, erythropoetischer Schutzwirkung deutlich von der Einnahmedauer vor Protoporphyrie, polymorpher Lichtdermatose (PLD) der Sonnenexposition abhängig ist. Ein Minimum von und in der Prävention von aktinischer Keratose bei Or- zehn Wochen ist erforderlich! Man geht davon aus, gantransplantierten sind abgeschlossen [11, 12]. Seit 2012 dass der Wirkmechanismus der Carotinoide in der vertreibt Clinuvel AG in Baar das Produkt unter dem Fähigkeit besteht, freie Sauerstoffradikale zu neutra Namen SCENESSE® (16 mg Afamelanotid-Implantat) für lisieren ist [9]. die prophylaktische Behandlung bei Patienten mit der Da man eine sehr grosse Menge dieser Nahrungs- oder seltenen, genetisch bedingten Erkrankung erythropoe- Nahrungsergänzungsmittel einnehmen muss, die Ein- tische Protoporphyrie, die zu einer absoluten Lichtun- nahmetreue der Konsumenten oder Patienten unsicher verträglichkeit der Haut der betroffenen Patienten und die resultierende Schutzwirkung gering ist, muss führt. Das Produkt hat den Orphan-Drug-Status und man von einem systemischen Sonnenschutz durch wird teilweise von Krankenkassen übernommen. Nahrungs- oder Nahrungsergänzungsmittel grundsätz- Der Wirkstoff wird auch von Menschen mit Tanorexie lich und dringendst abraten. erworben, um den Gehalt an Melanozyten in der Haut zu erhöhen. Er ist unter dem Namen «Barbie Drug» re- «Der Sonnenschutz aus dem Urwald» lativ leicht über das Internet erhältlich [5]. Gestützt auf Erfahrungen indigener Völker werden Die konzeptionellen Vorzüge des systemischen Sonnen- häufig Pflanzenextrakte mit vielfältigen Wirkungen schutzes sind unbestritten. Für bestimmte Patienten- angepriesen. So soll beispielsweise ein Extrakt der gruppen stellt der Einsatz von Afamelanotid sicher Farnpflanze – Polypodium leucotomos – entzündliche einen grosser Fortschritt dar. Von einem etablierten Erkrankungen der Haut mildern. Seit Ende der 1990er- endogenen Schutzkonzept, das auf Nahrungsmittel Jahre berichten diverse Arbeiten über die topische und oder Nahrungsergänzungsmittel basiert, sind wir heute systemische Wirkung dieses Farnextraktes, Sonnen- weit entfernt. Dies gilt für den Schutz der lichtbeding- schäden und phototoxische Reaktionen zu verhindern ten Hautalterung wie auch für den Schutz vor Sonnen- oder zu mildern [10]. Der Extrakt soll unter anderem brand und Hautkrebs. die lokale Entstehung von freien Sauerstoffradikalen verhindern sowie die Bildung von Pyrimidindimeren, Schutz vor Hautkrebs und Hautalterung Entzündungen, den Abbau von Langerhans-Zellen oder Apoptosis nach UV-Bestrahlung vermindern. Im Zusammenhang mit Sonnenschutz taucht immer Der Charakter der anfänglich enthusiastischen Anprei- wieder die Frage auf, ob nun der Schutz vor Hautkrebs sungen hat sich seit der Einführung gemässigt. Das Pro- und Hautalterung durch Sonnenschutzprodukte erwie- dukt HELIOCARE™, wie es in den USA vertrieben wird, sen sei. Dass topisch aufgetragener Sonnenschutz vor wirbt auf der Packung mit «Natural Anti-Aging Supple- Sonnenbrand und bestimmten UV-bedingten Zellschä- ment with Antioxidant Effects on the Skin». Gleichzeitig den schützt, wurde bereits vor Jahrzehnten nachgewie- aber wird mit einer Fussnote darauf hingewiesen: sen [13]. Nur ganz wenige Langzeitstudien belegen, dass «These statements have not been evaluated by the Food die regelmässige Anwendung von topischen Sonnen- and Drug Administration. This product is not intended to schutzmitteln vor Hautkrebs und Hautalterung schützt diagnose, treat, cure, or prevent any disease». In Vor [14–16]. Die Daten dieser gross angelegten Studien stam- trägen oder in Presseberichten wird die Sonnen- men allesamt aus den 1990ger-Jahren. Die Sonnen- schutzwirkung mit 2–3 SPF angegeben, das heisst für schutzmittel aus jener Zeit sind jedoch mit der Schutz- einen Menschen des Hauttyps 1 mit einer Eigenschutz- leistung und dem Schutzcharakter der heutigen Mittel zeit von zehn Minuten die Erhöhung auf 20–30 Minu- nur bedingt vergleichbar. Heutige Produkte liefern ein ten. Im Vergleich dazu: Bei der Anwendung eines topi- deutliches Mehr an Schutzleistung (heute SPF 50+, da- schen Sonnenschutzproduktes mit SPF 50 erhöht sich mals maximal SPF 20). Damalige Produkte lieferten bei korrekter Anwendung die Schutzzeit auf theoretisch auch keinen ausreichenden und stabilen UV-A-Schutz. 500 Minuten [5]. Vor diesem Hintergrund darf man davon ausgehen, SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(25):544–555 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel 547 dass ein Schutz vor Hautkrebs und Hautalterung heute sprungs sein können (z.B. PLD [idiopatisch] oder photo- besser nachweisbar wäre. Allerdings lassen sich heut- toxische Reaktion). Umgangssprachlich wird die PLD zutage solche Studien kaum mehr organisieren (z.B. auch Licht- oder Sonnenallergie genannt. PLD gehört keine Plazebogruppe möglich) und finanzieren. Die zu den häufigsten Lichtdermatosen (bis 20% der Bevöl- deutlich verbesserte Schutzleistung und der breitere kerung) und manifestiert sich im Frühjahr auf primär Schutzcharakter moderner Sonnenschutzmittel haben nicht an Sonne gewöhnter Haut. Die Mallorca-Akne allerdings bei besonders Sonnenhungrigen dazu ge- (Acne aestivalis) ist eine Sonderform der PLD. Die Ent- führt, die Sonnenexposition weiter zu erhöhen. stehung wird häufig mit den lipophilen Bestandteilen von topischen (Sonnenschutz-)Produkten in Verbindung gebracht. Der systematisch-experimentelle Nachweis Primäre und sekundäre Lichtdermatosen für diese Aussage ist beim Menschen allerdings noch Zahlreiche Erkrankungen werden direkt oder indirekt nicht erbracht worden. Neben diesen primären Licht- durch die Sonnenstrahlung beeinflusst. Sie können dermatosen, bei denen elektromagnetische Strahlung durch UV-Strahlung induziert werden, exazerbieren der entscheidende pathogenetische Faktor ist, existie- oder aber abheilen [17]. Akute und chronische Hautreak- ren sekundäre Lichtdermatosen, die durch Sonnen- tionen, die mit der Sonnenstrahlung zusammenhän- strahlung induziert werden können, jedoch grundsätz- gen, reichen vom Sonnenbrand über phototoxische und lich eine andere Genese haben. Dies sind häufig photoallergische Erkrankungen bis zu den benignen internistische und rheumatologische Erkrankungen, und malignen chronischen Lichtschäden der Haut. wie etwa das auf Enzymdefekten beruhende Xeroderma Primäre Lichtdermatosen beruhen auf einer qualitativ pigmentosum (XP), oder die Autoimmunerkrankungen abnormen Reaktion gegenüber Sonnen-/UV-Strahlung. Lupus erythematodes (LE). Durch die Anwendung von Sie entstehen durch Vermittlung von photosensibili- topischen Sonnenschutzprodukten kann Menschen sierenden Substanzen, die endo- oder exogenen Ur- mit PLD (Abb. 2) oder auch kutanem LE (Abb. 3) sehr ein- Abbildung 2: Prävention der polymorphen Lichtdermatose durch ein Sonnenschutzprodukt unter standardisierten photodia gnostischen Bedingungen [18]. a) Plazebo: Der Patient zeigt eine positive Reaktion auf UV-A- sowie UV-A-/UV-B-, aber nicht auf UV-B-Provokation. Dies verdeutlicht die Bedeutung der UV-A-Strahlung sehr eindrücklich. b) Verum: Durch ein Sonnenschutz- produkt mit ausreichendem UV-A-Schutz kann die Reaktion verhindert werden. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(25):544–555 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel 548 [26–29]. Vor diesem Hintergrund sollte das konsequente Vermeiden von Sonnenbränden im Kindes- und Jugend- alter von Eltern mit aller höchster Priorität beachtet werden. Darüber hinaus sollten sich Kinder und Jugend- liche mit mehr als 50 Nävi regelmässig von einem Dermatologen untersuchen lassen. Die Einhaltung von Sonnenschutzmassnahmen bei Kindern und Jugendli- chen obliegt in erster Linie den Erziehungsbeauftragten (Eltern, Lehrer, Betreuer). Leider ist diese oft lücken- haft. Auffällig ist auch, dass mit einsetzender Puber- tät – vor allem bei Mädchen und jungen Frauen – das Interesse für die Bräunung der Haut einsetzt. In ver- schiedenen Studien wird berichtet, dass Sonnenbrände in Kauf genommen werden, um dafür braun zu werden [30]. Aufklärung ist hier besonders wichtig. Abbildung 3: Induktion und Prävention von spezifischen Hautläsionen (links, ohne Sonnenschutzprodukt) beim Lupus erythematodes (rechts, Anwendung eines Sonnen- Sonnenschutz und seine Leistungs schutzproduktes mit sehr hohem Schutz gegen UV-B und UV-A 20 Minuten vor Bestrah- merkmale lung) 17 Tage nach einer Photoprovokationstestung unter standardisierten Bedingungen [19]. Heutigen Konsumenten ist das Leistungsmerkmal «Sonnenschutzfaktor» – das alle Sonnenschutzpro- drücklich geholfen werden [18, 19]. Nebst konsequentem dukte auszeichnet – weitgehend bekannt und zu einem Meiden von Sonnenlicht ist insbesondere bei XP-Pa entscheidenden Kaufkriterium geworden. Der SPF be- tienten, aber auch bei LE-Patienten die tägliche An schreibt den Schutz vor allem vor UV-B-Strahlung. We- wendung von topischem Sonnenschutz ein absolutes niger Beachtung findet der Schutz vor UV-A-Strahlung. Muss [20]. Seit einigen Jahren wird von einigen Sonnenschutz- mittelanbietern neu auch der Schutz vor IR-Strahlung propagiert. Die Eigenschaft eines Sonnenschutzmittels, Sonnenschutz bei Kindern auch nach Wasserkontakt und im Wasser zu schützen, und Jugendlichen ist für viele Eltern ein wichtiges Kaufkriterium. Im fol- Beim Sonnenschutz für Kinder herrscht immer wieder genden Abschnitt sollen die Leistungsmerkmale UV- grosse Verunsicherung. Dabei wird die besondere Ver- B-, UV-A- und IR-Schutz sowie die Wasserresistenz von letzlichkeit der kindlichen Haut hervorgehoben. Diese Sonnenschutzmitteln erklärt und diskutiert werden. ist im Vergleich zu Erwachsen bei Kindern durch Daran anschliessend werden Vor- und Nachteile ver- Unterschiede im strukturellen Aufbau der Haut gut schiedener Formate (Cremen, Lotionen, Gele, Sprays, begründet (z.B. Dicke des Stratum corneum, erhöhte etc.) von Sonnenschutzmitteln erläutert. Exposition von Stammzellen in der Basalmembran) [21, 22]. Kein Unterschied besteht bei der minimalen UV-B-Schutz Erythemdosis [23]. Schon im ersten Lebensjahr ist die Der SPF ist der Quotient aus der Erythemschwellenzeit Hautbräunung durch die Sonne möglich. Die ma mit Sonnenschutz und der Erythemschwellenzeit ximale Konzentration des schützenden Melanins in ohne Sonnenschutz. Der Schutz bezieht sich vor allem der Haut wird ab dem zweiten Lebensjahr erreicht. Da auf die UV-B-Strahlung. Leider gibt es viele falsche Vor- Bräunung der Haut immer von DNA-Schädigungen be- stellungen dazu, was diese Zahlen tatsächlich aus gleitet wird, darf man davon ausgehen, dass letztere sagen. Beispielsweise wird oft angenommen, dass sich bereits im ersten Lebensjahr entstehen können [24, 25]. die Schutzleistung von SPF 15 auf SPF 30 respektive Eine direkte Sonnenexposition der Haut von Kindern SPF 60 nicht verdoppelt respektive vervierfacht, da der unter 2–3 Jahren sollte deshalb vermieden werden. Epi- prozentuale Anteil an herausgefilterter (absorbierter) demiologische Studien legen nahe, dass neben der UV-Strahlung lediglich um 5% steigt. Das hiesse: Die Empfindlichkeit der Haut gegenüber der Sonne (Photo- Schutzleistung verbessert sich bei steigendem SPF nur typ) und der Anzahl von Nävi (Muttermale), die Anzahl unwesentlich. Die Schutzleistung bezieht sich jedoch erlittener Sonnenbrände im Kindes- und Jugendalter nicht auf die durch das Sonnenschutzprodukt absor- das Risiko stark erhöhen, im späteren Leben an Haut- bierte Strahlung, sondern auf die Strahlung, die tat- krebs, insbesondere an einem Melanom, zu erkranken sächlich in die Epidermis/Dermis eindringt. Bei SPF 15 SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(25):544–555 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel 549 dringen ca. 6,7%, bei SPF 30 etwa 3,3% und bei SPF 60 loren. Diesen Umständen kann man nur damit begeg- rund 1,7% der UV-Strahlung in die Epidermis/Dermis nen, indem man sich vor der Sonnenexposition zwei- ein – dies entspricht einer Verdoppelung beziehungs- mal einstreicht (nur so werden die notwendigen weise Vervierfachung der Lichtschutzleistung (Abb. 4). ca. 2 mg/cm2 erreicht) und sich nach dem Abtrocknen Trotz Aufklärung in den Fach- und Laienmedien [31, 32] oder heftigem Schwitzen wieder eincremt. Das Nach- hält sich das Missverständnis hartnäckig [33]. cremen verlängert die Expositionszeit nicht, sondern Der SPF wird für jedes Produkt experimentell an frei- erhält bestenfalls den gewählten Sonnenschutz (SPF) willigen Probanden in klinischen Untersuchungszen aufrecht. tren bestimmt. Die Bestimmungen erfolgen nach ge- nau festgelegten Regeln und Normen [34]. Der SPF gibt UV-A-Schutz an, um wievielmal sich die Eigenschutzzeit der Haut Aus dermatologischer Sicht ist es ebenfalls wichtig, gegenüber der UV-Strahlung verlängert. Die Eigen- sich gegenüber UV-A-Strahlung zu schützen. Es stehen schutzzeit ist abhängig vom Hauttyp. Beim Hauttyp I unterschiedliche Methoden zur Messung dieser Schutz- beträgt sie 5–10 Minuten, das heisst theoretisch, dass leistung zur Verfügung. Die älteste Methode ist der sich bei der Anwendung eines Sonnenschutzproduktes «australische Standard», bei dem mindestens 90% der mit SPF 50 der Schutz auf 250–500 Minuten erweitert. UV-A-Strahlung (320–360 nm) absorbiert werden müs- Dieser Schutz wird im Alltag allerdings nicht erreicht. sen. Es handelt sich um eine reine In-vitro-Methode. Drei Gründe sind hierfür zu nennen. Die notwendigen Die Photostabilität der Filter in der Formulierung so- 2 mg/cm2, die bei der experimentellen SPF-Bestimmung wie die Reaktionen der Haut oder Wechselwirkungen verwendet werden müssen, werden vom Konsumen- der Grundlage mit der Haut werden hier nicht berück- ten selten erreicht. Bei Applikation von Sonnenschutz- sichtigt. Die Reaktion der persistierenden Hautbräu- produkt bleiben schlecht erreichbare Hautareale häufig nung («persistent pigment darkening» [PPD]) ist eine unbehandelt. Darüber hinaus geht Sonnenschutz leider wenig verwendete In-vivo-Methode. Analog zur produkt durch mechanischen Abrieb (abwischen von Bestimmung des UV-B-Schutzes wird der UV-A-Schutz- Schweiss, sich trocknen nach dem Baden) wieder ver} faktor aus dem Quotienten des minimalen UV-A-PPD Abbildung 4: Die Angabe der Schutzleistung bezieht sich auf die Strahlung, die bei aufgetragenem Sonnenschutz in die Epidermis/Dermis eindringt (im Bild rot) und für die Entstehung des Erythems verantwortlich ist. Bei SPF 15 erreichen ca. 6,7% der UV-Strahlung die Epidermis/ Dermis, bei SPF 30 ca. 3,3% und bei SPF 60 (SPF 50+) rund 1,7%. Dies entspricht einer Verdop- pelung bzw. Vervierfachung der Lichtschutzleistung (s. dazu auch die YouTube-Sequenz: http://www.youtube.com/ watch?v=8cc8qRr7oMQQ) [31, 32]. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(25):544–555 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission. See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
Übersichtsartikel 550 mit und ohne Sonnenschutzmittel errechnet. Als Be- Beim IR-Schutz handelt es sich um die Neutralisierung zugsgrösse dient hier die Pigmentierung und nicht das eines durch IR-Strahlung neu entstandenen körper Erythem [35]. Heute werden meist In-vitro-Methoden eigenen schädigenden Agens (reaktive Sauerstoffradi- zur Bestimmung der UVA-Schutzleistung verwendet kale), während es beim UV-Schutz um die Absorption [36]. In diesem Messsystem wird eine definierte Menge eines schädigenden exogenen Agens (Photonen) geht. Sonnenschutzprodukt auf ein «Hautäquivalent» (eine Es gibt auch keine IR-Filtersubstanzen, die sich in Son- definiert aufgeraute Kunststoffplatte) aufgetragen und nenschutzprodukte einarbeiten lassen! Verkürzt heisst spektrometrisch (320–400 nm) vor und nach einer das: Beim IR-Schutz handelt es sich um eine Schadens- spezifischen Bestrahlungsdauer analysiert. Dabei wird begrenzung und beim UV-Schutz um eine Schadens- die Transmission, also diejenige Lichtmenge, die durch verhinderung. Aufgrund der bisher vorliegenden Daten die Plastikplatte dringt, bei jeder einzelnen Wellen- sind die Bedeutung und der Nutzen des topischen IR- länge gemessen, integriert und schliesslich ein UV-A- Schutz noch unklar. Schutzfaktor (UVA-PF) berechnet. Ein entsprechendes UV-A-Logo (Abb. 1) signalisiert, dass ein UV-A Schutz Wasserresistenz vorliegt, der mindestens ein Drittel des ausgewiesenen Die Testung der Wasserresistenz erfolgt nach genorm- SPF (UV-B-Schutz) beträgt. ten Methoden an freiwilligen Probanden in klinischen Untersuchungszentren [40]. Das Kriterium «wasser Infrarot(IR)-Schutz resistent» ist erfüllt, wenn der SPF nach zwei 20-minüti- In den vergangenen Jahren wurde viel über den IR- gen Wasserbehandlungen im Whirlpool mindestens Schutz berichtet [37] und einige Sonnenschutzmittelan- 50% der ursprünglichen Schutzleistung auf trockener bieter werben mit IR-Schutz-Konzepten. IR-Strahlung Haut beträgt, das heisst ein Produkt mit SPF 50 muss ist energieärmer als ultraviolettes Licht, dringt aber im nach der Wasserbehandlung mindestens einen SPF 25 Vergleich zum UV-Licht tiefer in die Haut ein – und erreichen. Das Kriterium «extra wasserresistent» ist zwar unabhängig vom Hauttyp. Dort schädigt sie die erfüllt, wenn diese Schutzleistung auch noch nach vier Kollagenstruktur und beschleunigt dadurch die Haut 20-minütigen Wasserbehandlungen erreicht wird. Ent- alterung. Bei der IR-bedingten Hautschädigung spielen scheidend für das Verbleiben eines Sonnenschutzmit- die Mitochondrien eine besondere Rolle. Die IR-Strah- tels auf der Haut sind produktspezifische Eigenschaften lung bewirkt in den Mitochondrien die Bildung von der Gesamtformulierung – Ingredienzien der Grund- reaktiven Sauerstoffradikalen, die ihrerseits eine «retro- lage spielen hier eine entscheidende Rolle. Umgangs- grade Signaltransduktion» auslösen. Die Signaltrans- sprachlich wird anstelle des Begriffs «wasserresistent» duktion führt letztlich dazu, dass die Expression des En- viel häufiger der Begriff «wasserfest» respektive «extra zyms Matrixmetalloproteinase-1 (MMP-1, Kollagenase-1) wasserfest» verwendet. Diese im Alltag verwendeten gesteigert wird, was zu einem Abbau von Kollagen in der Begriffe suggerieren dem Verbraucher, dass ein Appli- Haut und damit zur beschleunigten Hautalterung führt. zieren von Sonnenschutzprodukten nach dem Baden Ob der IR-induzierte erhöhte oxidative Stress auch mit nicht unbedingt nötig sei. Da sich die meisten Menschen einer gesteigerten Kanzerogenität einhergeht, ist zur- nach dem Baden abtrocknen und damit die Schutzwir- zeit noch unklar. Verschiedene Gruppen haben spe kung nochmals drastisch vermindern, ist ein erneutes zielle Mischungen unterschiedlicher Antioxidantien Auftragen von Sonnenschutzmittel unabdingbar. kreiert, welche die durch kurzwelliges IR-Licht entstan- denen reaktiven Sauerstoffradikale in Hautzellen und Wahl eines Sonnenschutzmittels deren Bestandteilen neutralisieren sollen. Diese Effekte Die Auswahl an topischen Sonnenschutzmitteln mit sind in zahlreichen In-vitro-Systemen an sich gut do- ihren unterschiedlichen Formaten (Cremen, Lotionen, kumentiert. In der bisher einzigen klinischen Studie ist Gele, Schäume, Sprays und Puder) ist riesig und unüber- diese Wirkung allerdings bescheiden [38]. Die bisheri- sichtlich. Für den Anwender sollten zwei Kriterien bei gen Daten werden auch infrage gestellt, da die experi- der Wahl im Vordergrund stehen. Einerseits die drei mentell eingesetzte IR-Strahlenmenge, die IR-Strahlen- Leistungsmerkmale – Sonnenschutzfaktor (SSF oder SPF), menge, die ein Sonnenhungriger am Strand oder ein ausreichender UVA-Schutz (gekennzeichnet mit dem Arbeiter bestimmter Berufsgruppen (Glasbläser, Eisen- UVA-Logo) sowie gegebenenfalls die Wasserresistenz – arbeiter) abbekommen, bei Weitem übertrifft [39]. Eine und andererseits die angenehme Haptik (Format) des Normierung der Schutzleistung wie beim SPF oder Sonnenschutzmittels. Nur die drei oben genannten beim PPD ist nicht etabliert. Aus diesen Gründen stellt Leistungsmerkmale sind standardisiert und behördlich sich die Frage, ob ein topischer IR-Schutz überhaupt ei- genormt. Weitere Leistungsmerkmale (befeuchtend, nen Sinn ergibt. antioxidativ etc.) werden ebenfalls erwähnt, sind aber SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(25):544–555 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. 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Übersichtsartikel 551 häufig nicht oder nur schlecht belegt. Die deklarierten Vitamin D und Sonnenschutz Leistungsmerkmale gelten immer für das entspre- In den letzten Jahren hat sich unser Wissen über die Be- chende Produkt und sind unabhängig vom Format. deutung des Vitamin-D-Stoffwechsels für den mensch- Nach dem Motto «nur Sonnenschutzmittel, die man lichen Organismus wesentlich erweitert. Es gilt als ge- anwendet, wirken» sollten Patienten und Konsumen- sichert, dass Vitamin-D-Mangel mit einem erhöhten ten dazu motiviert werden, selbst durch Probieren das Risiko für Erkrankungen des Knochen- und Kalzium- für sie angenehmste Sonnenschutzmittel (Format) zu stoffwechsels einhergeht [41]. Das erhöhte Risiko für finden. Zurzeit erfreuen sich Sprays grösster Beliebt- zahlreiche weitere Krankheiten wie kardiovaskuläre heit. In den Augen der Autoren weist dieses Format Erkrankungen sowie Krebs-, Infektions- und Autoim- allerdings einige Nachteile auf. Da Sprays oft leicht- munkrankheiten wird derzeit diskutiert [42]. Es hat sich flüchtige Hilfsstoffe enthalten, «trocknet» das Produkt ebenfalls gezeigt, dass der Vitamin-D-Mangel europa- lokal sehr schnell ein, dabei wird der Schutz oft weit ein endemisches Ausmass angenommen hat. Ak- unregelmässig. Ausserdem geht ein grosser Teil des tuelle Zahlen belegen, dass in Mitteleuropa mehr als Produkts an die Umgebung verloren und erreicht die die Hälfte der Bevölkerung an Vitamin-D-Defizienz Haut gar nicht. (25(OH)-D3-Serumkonzentration
Übersichtsartikel 552 gend und die Beurteilung stützte sich nicht immer auf gen, dass deren Auftreten durch Erhöhung der Vita- die relevante 25(OH)-D3-Konzentration im Serum. Die min-D-Konzentration verhindert werden kann [64]. Untersuchungen weisen, gemessen an heutigen Stan- dards, auch viele methodische Schwächen auf [52–54]. Nanopartikel und Sonnenschutz Zwischen 1995 und 2008 wurden weitere Arbeiten publi- Der Begriff «nano» kommt aus dem Griechischen und ziert, die über den Einfluss der Langzeitanwendung von bedeutet «Zwerg». Ein Nanometer (nm) ist ein Milli- Sonnenschutzmittel auf die Vitamin-D-Produktion in ardstel eines Meters (10-9). Ein DNS-Strang ist ca. 2,5 nm, grösseren Untersuchungskollektiven berichten [55–61]. ein Proteinmolekül ca. 5 nm, ein Erythrozyt 7000 nm In diesen Studien wurde bei regelmässiger Anwendung und ein menschliches Haar 80 000 nm dick. Meist von Lichtschutzmitteln (SPF
Übersichtsartikel 553 dass nanopartikuläre UV-Filter die Hornschicht nicht Stratum corneum ein. Aufgrund dieser Eigenschaften durchdringen und somit weder lebende Hautzellen ist es unmöglich, dass die Filter in tiefere hydrophilere noch die systemische Zirkulation erreichen. Die Mor- Schichten penetrieren. Im Markt der Sonnenschutz- phologie der Hautbarriere (Räume zwischen Horn- produkte spielt das «Ansehen» eines Sonnenschutzfil- schichtzellen, Schweissdrüsenöffnungen oder Haar- ters in der Bevölkerung ebenfalls eine grosse Rolle. schaft) bietet keinen Raum für das Eindringen von Werden bestimmte Eigenschaften von Filtern oder an- Nanopartikeln. Die Freisetzung von Nanopartikeln aus deren Substanzen von der Presse aufgenommen und einem auf der Haut «angetrockneten» Sonnenschutz- kritisch – zu Recht oder zu Unrecht – hinterfragt, ver- mittel ist ebenfalls unmöglich. Durch die kontinuier schwinden die Substanzen ziemlich schnell aus den liche Abschilferung von Hornschichtzellen kommt es Produkten, um keinen Wettbewerbsnachteil zu erlei- auch nicht zur Akkumulation in den obersten Haut- den. Die Pressenkampagnen können manchmal auch schichten. Unbehandeltes Zinkoxid und Titandioxid hexenjagdartige Formen annehmen und wissenschaft- zeigen photokatalytische Aktivität, die zur Entstehung liche Argumente verlieren ihren Wert [71–73]. von freien Radikalen führen kann. Um dies zu verhin- dern, werden die Zinkoxid- und Titandioxid-Partikel Medizinprodukte und Sonnenschutz mit Silikon-, Silizium- oder Aluminiumverbindungen «ummantelt» [67]. Dieses Qualitätsmerkmal wird aller- Im Gegensatz zu den USA oder Australien, wo Sonnen- dings selten deklariert, auch besteht dafür keine schutzprodukte als Arzneimittel eingestuft sind, werden Pflicht. diese Produkte in Europa und der Schweiz als Kosme- Nationale und internationale Kommissionen haben tika oder kosmetische Mittel deklariert. Erstmals in wiederholt die diversen Bedenken überprüft und kein der Schweiz (2007) und später in ganz Europa wurden öffentliches Gesundheitsrisiko festgestellt. In zahlrei- neu gewisse Sonnenschutzmittel auch als Medizinpro- chen wissenschaftlichen Untersuchen wurde belegt, dukte beworben. Was steckt hinter dieser Kategorie dass Nanopartikel von Sonnenschutzprodukten auf der Medizinprodukte und welchen Nutzen bieten solche Hautoberfläche verbleiben und die Haut nicht durch- Produkte? Ein Blick in die aktuelle Gesetzgebung hilft dringen. Wegen ihres enormen Nutzens wäre ein Ver- hier weiter. In der Schweiz werden Medizinprodukte zicht auf partikuläre Filter unverantwortlich [68–70]. im Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinpro- dukte (812.21, Heilmttelgesetz, HMG) geregelt. Sie sind Sonnenschutzfilter als hormonaktive Stoffe definiert als Produkte, «die für die medizinische Ver- Aufgrund ihrer chemischen Strukturverwandtschaft wendung bestimmt sind … und deren Hauptwirkung mit Sexualhormonen gerieten gewisse UV-Filter in den nicht durch ein Arzneimittel erreicht wird». Das Verdacht, im menschlichen Körper Hormonwirkung schweizerische und europäische Gesetz regelt hier zu entfalten. In In vitro- und Tierstudien konnten für eine ungeheuer grosse Produktklasse. Das Regelwerk einzelne UV-Filter tatsächlich östrogene Effekte nach- ist dementsprechend umfangreich und komplex. Stark gewiesen werden, wobei diese schwach und die ver- verkürzt sind Medizinprodukte zur Anwendung für wendeten Filterdosen unrealistisch hoch waren. Trotz folgende Zwecke bestimmt: Erkennung, Verhütung, der seit Jahrzehnten weltweit verbreiteten Verwendung Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krank- von Sonnencreme gibt es bisher keinerlei Hinweise, heiten; … und deren bestimmungsgemässe Hauptwir- das UV-Filter im Menschen zu klinisch relevanten Stö- kung im oder am menschlichen Körper weder durch rungen der Hormonhomöostase führen. Die Frage, wel- pharmakologische oder immunologische Mittel noch che Bedeutung die Sonnenschutzfilter neben vielen metabolisch erreicht wird. anderen Substanzen wie Konservierungsmittel, hormo- Von dieser Gruppe lassen sich kosmetische Mittel nelle Verhütungsmittel und Arzneimittel, die unter- abgrenzen. Kosmetische Mittel sind in der Lebensmit- dessen in fast allen Flüssen, Seen und an Meeresküsten tel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV; SR nachweisbar sind, auf unsere Gesundheit haben, ist 817.02) definiert als Stoffe oder Zubereitungen, die dazu noch weitgehend unklar. Darüber hinaus lässt sich bei- bestimmt sind, äusserlich mit den verschiedenen Teilen spielsweise der Sonnenschutzfilter – Benzophenone-3 des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, (wird in der Schweiz kaum eingesetzt) – seit mehr als Nägel, Lippen und intime Regionen) oder mit den zehn Jahren im Urin der meisten US-Bewohner nach- Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Be- weisen. Sonnenschutzfilter der letzten Generation – rührung zu kommen, und zwar zu dem ausschliessli- wie sie heute häufig eingesetzt werden – sind sehr lipo- chen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu phil, weisen ein grösseres Molekulargewicht auf und parfümieren, ihr Aussehen zu verändern oder den Kör- dringen deshalb nur in die alleroberste Schicht des pergeruch zu beeinflussen oder um sie zu schützen SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(25):544–555 Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. 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