Solarfassaden - optimal, nicht maximal
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
14 Bilder: Johannes Marburg ENERGIE Die zwei wuchtigen Ersatzbauten im Heuwinkel setzen ein markantes Zeichen mitten in Allschwil. Dass sich hinter den dunkelblauen G lasfassaden PV-Zellen befinden, lässt sich nur aus kurzer Distanz erkennen. Graphis Bau- und Wohngenossenschaft ersetzt Siedlung im Heuwinkel in Allschwil (BL) Solarfassaden – optimal, nicht maximal Die Graphis wollte eine nachhaltige Verdichtung, die Standort gemeinde einen hohen Anteil an erneuerbarer Energie. Und der Architekt entwarf markante Neubauten. Mitten in Allschwil lässt sich nun respektable Solararchitektur besichtigen – aber auch bezahlbarer und klimafreundlicher Wohnraum. Von Paul Knüsel Wo ist die Schweiz am sonnenreichsten? Nor- voltaikanlagen auf dem Dach und an den Fas- malerweise führen Orte im Süden wie Locarno saden wird still und abgasfrei Strom produziert. oder das Engadin das jährliche Schönwetter- Die Bau- und Wohngenossenschaft Graphis hat Ranking an. Neuerdings drängt sich aber der hier eines der grössten Vorhaben realisiert, die Nordwesten nach vorne: Von Januar bis De- es derzeit in der Schweizer Solararchitektur zu zember 2020 wurden in der Agglomeration Ba- besichtigen gibt. «Wir haben uns mehrere sel die drittmeisten Sonnenstunden gezählt. Mehrfamilienhäuser mit PV-Fassaden ange- Ob der Klimawandel daran schuld ist, kann schaut und für unsere eigene Umsetzung etwas man nur vermuten. Dagegen lässt sich bewun- Grosses und Dezentes gewünscht», erklärt der dern, wie gut die Grenzregion darauf vorberei- stellvertretende Graphis-Geschäftsführer und tet zu sein scheint. Bauchef Michael Tschofen. WOHNEN JUNI 2021 Mitten in Allschwil warten an der Heuwin- kel- und der Pappelstrasse zwei markante, im Ein Zeichen setzen März bezogene Wohnhäuser sehnlichst darauf, Am Standort selber wirkt der Wandel zwischen möglichst viel Energie aus diesem Sonnen- alt und neu überdeutlich. Zuerst der Sprung im reichtum zu ziehen. Mit grossflächigen Photo- Massstab: Hoch und wuchtig prägen beide Ge-
15 ENERGIE Bei der Planung setzte die Graphis nicht auf maximalen Solarertrag, sondern auf eine gute Gestaltung und Funktionalität. Die dunklen Module set- zen sich deutlich von den hellen Fensterkolonnen ab. nossenschaftsbauten das vorstädtische Heu- schiedenen Städten in der ganzen Deutsch- winkelquartier mit seiner grünen Struktur und und Westschweiz über 1200 Wohnungen be- den traditionellen Wohnhäusern mit Giebel- sitzt, am nachhaltigen Bauen interessiert. «Bis- dach und Putz an den Wänden. Drei ebensol- lang konzentrierten wir uns auf ökologische che, knapp 70-jährige Gebäude hat die Genos- und langlebige Materialien», so Tschofen. Das senschaft durch zwei Mehrfamilienhäuser er- spreche generell für eine hinterlüftete Fassade; setzt und dabei architektonisch und technisch am Heuwinkel-Ersatzneubau ist diese nun erst- auf moderne Mittel gesetzt. Die Baukörper ha- mals solar verkleidet. Ein weiteres Kriterium ben eine äusserst kompakte Form und ein dun- war die zurückhaltende Gestaltung. Die Verant- kelblaues Glas an den Fassaden. Die fünf Eta- wortlichen würden sogar häufig gefragt, wo sich gen inklusive Attikageschoss bieten neu Platz denn jetzt die Photovoltaik verstecke, sagt er. für 65 statt der bisherigen 48 Genossenschafts- Das Rätsel löst sich erst, wenn man ganz nah wohnungen. an die verglasten Aussenwände tritt: Hinter Der Ersatzneubau beansprucht wenig diesen verbergen sich die PV-Zellen mit silber- Grundfläche mehr als seine Vorgänger. Bäume nen Streifen auf schwarzem Grund. Aber mit und Sträucher darum herum blieben weitge- jedem Schritt zurück verschwimmt das typi- hend stehen. Zwar haben sich die Mietzinse sche, nicht überall beliebte Design zugunsten erhöht. Laut Tschofen bleibe man jedoch zehn einer matten, farbig bedruckten Fassade. Dem Prozent unter dem Quartierniveau. Für eine Architekten Jakob Steib war sehr daran gelegen, knapp hundert Quadratmeter grosse Vierein- «die Solarmodule nicht plakativ, sondern de- halbzimmerwohnung werden 2200 Franken zent zu zeigen». Diese ziehen sich jeweils wie netto pro Monat verlangt, zusätzlich 280 Fran- dunkle vertikale Bahnen über drei der vier ken Nebenkosten. Hauswände und setzen sich deutlich von den hellen Fensterkolonnen ab. Die trennenden Li- Strenge Energievorschriften senen wurden bis in einen Zentimeterbereich Der Standort ist so nicht nur baulich und sozial optimiert, um den Schattenwurf auf darunter- verdichtet, sondern auch energetisch fast au liegende PV-Module zu verringern. tark: «Die PV-Anlagen am Gebäude produzie- ren etwa achtzig Prozent des Eigenbedarfs», Solarmodule harmonisch integrieren bestätigt der Graphis-Bauchef. Einen wesentli- Dagegen tritt das Solarkleid auf den nach Wes- chen Anstoss dazu gaben die örtlichen Baure- ten gerichteten Balkonschichten gestalterisch geln: Die Gemeinde Allschwil verlangt, Neu- in den Hintergrund. Auch die mineralischen WOHNEN JUNI 2021 bauten mindestens zu fünfzig Prozent mit er- Gebäudesockel mildern die visuelle Wirkung neuerbarer Energie zu beheizen. Auf einen der Solarhülle ab. So gehen zwar wertvolle Kilo- derart hohen Anteil wird ausserhalb von Basel wattstunden Strom verloren, doch wichtiger ist noch nirgends gepocht. Aber auch von sich aus die Langlebigkeit: Helle Zementplatten schüt- ist die gemeinnützige Bauträgerin, die in ver- zen die Fassade dort, wo Kinder spielen oder
16 ENERGIE Die Fassadenfarben finden sich im Innern der luftigen Wohnungen wieder. Die beiden neuen Gebäude umfassen insgesamt 65 Wohnungen, 17 mehr als ihre Vorgängerbauten aus den 1950er-Jahren. Velos zu parkieren sind. «Unser Anliegen war, Verhandlungen mit der Standortgemeinde lo- die Photovoltaik weder aufzusetzen noch anzu- tete man zudem die Verdichtungsmöglichkei- hängen, sondern in die Aussenhülle zu integ- ten aus. Daraus entstand ein Quartierplan mit rieren», erklärt Architekt Steib. einem Geben und Nehmen: Die grösseren Bemerkenswert daran ist nicht nur das diffe- Häuser halten sich an bestehende Abstände, renzierte Resultat, sondern auch das Vorgehen. währenddem der gemeinsame Vorplatz für die Entgegen der Lehrbuchmeinung, die Photovol- Quartierbevölkerung geöffnet wird. Als das taik bereits beim Entwerfen zu berücksichti- Zürcher Architekturbüro von Jakob Steib mit gen, kam hier die Idee zum solaren Bauen erst diesem städtebaulichen Dreh den Wettbewerb WOHNEN JUNI 2021 im Nachhinein hinzu. Vor sieben Jahren be- gewann, trug die gezeichnete Fassade noch gann die Genossenschaft, den Ersatzneubau zu dunklen Schiefer. Eine solare Verkleidung ord- planen. Nach dem Grundsatzentscheid gegen nete die Genossenschaft aber nachträglich an, eine Erneuerung informierte die Verwaltung um die lokalen Energievorschriften zu erfüllen. die Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort. In «Ohne die Wohnsiedlung in ein Kraftwerk ver-
Wohnen/Essen/Küche Du/WC 17.4 m² Entrée 4.1 m² 7.8 m² Balkon Du/WC 17 6.3 m² 4.1 m² wandeln zu wollen», sagt PV-Planer Matthias ENERGIE Roos. Trotz anfänglicher Skepsis den Ände- Entrée Zimmer rungswünschen gegenüber lobt der Architekt 4.1 m² 14.2 m² im Nachhinein die gestalterischenReduit Freiheiten WM/TU An- schluss Zimmer 12.3 m² Zimmer 12.4 m² Zimmer 12.4 m² 2.2 m² beim Planen und in der Ausführung. Bei der Umsetzung hilft, dass inländische PV-Herstel- ler auf vielfältige Farb- und Formatwünsche Entrée Reduit Bad/WC 7.1 m² Flur eingehen und entsprechende Muster 2.5 m² liefern 4.8 m² 2.9 m² Du/WC Du/WC können. WM/TU An- schluss 4.7 m² 4.7 m² Zimmer Bad/WC WM/TU WM/TU 14.9 m² 5.0 m² An- schluss An- schluss Wohnen/Essen/Küche Reduit Seltene Grossformate Treppenhaus Lift 43.8 m² 3.4 m² Solares Bauen im Grossformat ist selten. Zwar Entrée 5.2 m² eignen sich hohe Fassaden bestens für die Strom produktion, weil sie kaum beschattet Zimmer Balkon Zimmer Zimmer werden. DennochBalkon lässt sich die Zahl der Hoch- 8.2 m² Wohnen/Essen/Küche 34.1 m² 12.6 m² 8.7 m² 15.4 m² 15.3 m² häuser mit PV-Fassade in der Schweiz an einer Bild: zVg. Alle Angaben sind Circaangaben. Änderungen bleiben vorbehalten. Hand abzählen. Und unter den jüngsten Bei- spielen befinden sich ausschliesslich Bürobau- ten. Pionierarbeit im Wohnungsbau leistete je- Grundrissbeispiel einer 4 1/2-Zimmer-Wohnung mit 107 Quadratmetern. doch die Zürcher Baugenossenschaft Zurlin- den, als sie vor knapp zehn Jahren die zwei fünfzig Meter hohen Wohnblocks der Überbau- soll der solare Ersatzneubau mitten in Allschwil ung Sihlweid erneuerte und dafür ein PV-Kleid auch ökonomisch tragbar sein. entwarf (siehe auch Seite 12). Ein wichtiges Die schwarze Null, die Bauherrschaften üb- Merkmal der damals europaweit beachteten licherweise im jährlichen Energiesaldo anstre- Innovation war, dass die gute Gestaltung der ben, will die Graphis in der Finanzbuchhaltung Solarfassaden Vorrang erhielt vor einer Ertrags- bilanzieren. «Die Rechnung geht auf, wenn wir 1:100 0 1 www.im-heuwinkel.ch 2 5m maximierung. Der örtliche Eigenbedarf wird die nächsten dreissig Jahre eigenen Strom ver- denn auch nur zur Hälfte gedeckt. kaufen können», sagt Tschofen. An den PV-Fas- Auch im Heuwinkel ist die SolararchitekturPRIVERAsaden sollte22es AG | Mühlemattstrasse nicht | 4104 Oberwil | Tliegen, +41 58 715 60ihre Lebensdauer 70 | info@im-heuwinkel.ch | www.privera.ch nicht auf Höchstleistung getrimmt: Die PV-An- ist für mindestens diese Zeitspanne garantiert. lagen an den Fassaden und auf dem Dach lie- Auch für die rund hundert Heuwinkel-Bewoh- fern so viel Strom, wie die Erdwärmepumpe nerinnen und -Bewohner verheisst dies Gutes: zum Heizen und für das Warmwasser jährlich Sie selber beziehen Ökostrom – selbst produ- liefern muss. Kommt es zu zwischenzeitlichen ziert oder aus dem öffentlichen Netz – und be- Produktionslücken, hat die Genossenschaft mit zahlen dafür nicht mehr als für Normalstrom. dem lokalen Energieversorger den Bezug von «Für die Genossenschafter sind die Solarhäu- Ökostrom aus dem öffentlichen Netz verein- ser kostenneutral», bestätigt der Graphis-Bau- bart. Was jedoch generell für eine PV-Rundum- chef. Auch eine interne Quersubventionierung hülle spricht: «Nach Nord und Ost orientierte gebe es nicht. «Dank der nachhaltigen Bauwei- Vertikalflächen erzeugen Strom auch bei diffu- se haben wir eine bessere Gewähr, dass uns der sem Licht; davon gibt es hier mehr als genug», Unterhalt in den nächsten Jahrzehnten finanzi- erklärt Roos, Inhaber der Planungsfirma CIPV. ell kaum belasten wird», erklärt Tschofen. Mit dem Resultat, dass die Fassaden gemäss Prognose mehr als doppelt so viel Strom erzeu- gen wie das knapp vierhundert Quadratmeter grosse Solardach. Baudaten Bauträgerin: Energie/Photovoltaik: Schwarze Null bei Amortisation Graphis Bau- und Wohngenossenschaft, Zertifizierung nach Minergie-A-Eco und Bei der technischen Gebäudeausstattung hielt Bern Minergie-P-Eco PV-Fassade: 2500 m2 sich die gemeinnützige Bauträgerin zurück: Architektur: (Leistung: 330 kWp; geschätzter Jahres- Auf eine Stromspeicherung vor Ort wird ebenso Jakob Steib Architekten AG, Zürich ertrag: 150 000 kWh/a) verzichtet wie auf Ladestationen für Elektroau- Baumanagement: PV-Dach: 370 m2 tos. «Ein Nachrüsten ist aber einfach möglich», ffbk Architekten AG, Münchenstein (Leistung: 74 kWp; geschätzter Jahreser- trag: 70 000 kWh/a) sagt Tschofen. Und auch um einen Zusammen- Fassadenplanung: schluss zum Eigenverbrauch zu betreiben, GFT Fassaden AG, St. Gallen Baukosten (BKP 1 bis 5): wäre die erforderliche Technik installiert. Doch Bauingenieur: 28,74 Mio. CHF total die Genossenschaft betätigt sich vorerst lieber Schmidt + Partner Bauingenieure AG, davon BKP 2 (Gebäude): 22,91 Mio. CHF Basel 5624 CHF/m2 HNF als Energiehändlerin denn als Selbstversorge- WOHNEN JUNI 2021 rin: Sie verkauft den selbst erzeugten Strom und Umfang: Mietzinsbeispiele: amortisiert damit die teure Solararchitektur. 2 MFH, 65 Wohnungen, 3 Einzelzimmer, 2 ½-Zimmer-Wohnung, ca. 52 m2: Auf das Dreieinhalbfache beziffert Roos den Gemeinschaftsraum, Gerätehaus, Ein- 1400 CHF plus 150 CHF NK stellhalle (45 Parkplätze), Quartierplatz 4 ½-Zimmer-Wohnung, ca. 100 m2: Mehraufwand für Material und Montage der mit Brunnen (20 Besucherparkplätze) 2200 CHF plus 280 CHF NK Solarfassade im Vergleich zu Schiefer. Dennoch
Sie können auch lesen