Sommer 2020 - NABU Niedersachsen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
NABU Niedersachsen RUBRIK ODER THEMA VOLKSBEGEHREN 25.000 Unterschriften für mehr Artenvielfalt Erste Phase des Volksbegehrens startet A ktuell hält uns die Corona-Pande- dem letztjährigen Haushaltsüberschuss mie, die weltweit bereits so viele zu Derweil werden immer neue Studien bereitgestellt werden. Gespräche mit der beklagende Menschenleben gekostet zum Rückgang der Artenvielfalt publiziert. niedersächsischen Landesregierung zu hat, in Atem. Die Wirtschaft steht in Eine neue Meta-Studie zum weltweiten einer deutlich verbesserten Gesetzgebung Teilen still, Reisen werden auf ein Minimum Rückgang der Insekten, in der 166 Lang- im Naturschutz haben aber bislang nicht begrenzt, Kontakte werden über digitale zeit-Untersuchungen ausgewertet wurden, zu entsprechenden Erfolgen geführt. Da- Hilfsmittel gepflegt. Das ist eine Herausfor- belegt, dass wir uns im Insektenschutz her müssen wir handeln und bringen als derung für uns alle – auch im Naturschutz. keinen Stillstand erlauben können. In Zivilgesellschaft ein Gesetz von Bürgern Die Politik versucht, in noch nie dagewese- Europa, insbesondere in Deutschland, für Bürger ein. Nur wenn jetzt gehandelt ner Geschwindigkeit, schnell Lösungen für sind die festgestellten Rückgänge beson- wird, kann der Kipppunkt noch abgewen- die Notlagen der Menschen zu finden. Das ders stark. Wir brauchen deshalb endlich det werden, durch welchen unumkehrbare sollte eigentlich Hoffnung machen. Hoffnung eine wirksame Gesetzgebung zum Schutz Entwicklungen, die ein Artensterben zur darauf, dass neben der Pandemie die zwei der Insekten, um die Auswirkungen von Folge haben, gestoppt werden können. anderen großen Krisen der Menschheit – der Landnutzung, Zerstörung von Lebensräu- Klimawandel und der Verlust der Artenviel- men und Flächenverbrauch zu begrenzen. Der Verlust der Artenvielfalt macht Fotos: S. 2 Naturgucker/Thomas Becker, Matthias Entelmann, Benjamin Franke, Stella Mielke, S. 3 Frank Hoffmann, Antje Schultner falt – mit gleichem Elan angegangen werden. auch während Pandemien keine Pause. Es geht hier nicht nur darum, die Nur weil nicht darüber geredet wird, Davon ist jedoch in den letzten Jahren Schönheit unserer Heimat zu erhalten, verschwindet ein Problem nicht ein- nichts zu spüren gewesen. Aktuell sieht sondern ganz elementar um unsere Le- fach. Daher hat der Trägerkreis des es für den Erhalt der Artenvielfalt sogar bensgrundlagen. Jede verlorene Art und Volksbegehrens entschieden, in einer noch düsterer aus, als vor der Corona-Pan- jeder gestörte Lebensraum bedeutet einen der Situation angepassten Weise, das demie. Der Natur- und Klimaschutz Verlust an funktionierenden Ökosyste- Volksbegehren mit seinen mehr als könnte zugunsten der Wirtschaft geopfert men, die für uns lebenswichtig sind. Wir 115 Bündnispartnern zu beantragen. werden. Zumindest werden aus Wirt- müssen jetzt handeln, denn jetzt kön- In einer ersten Phase benötigen wir schafts- und ihnen nah stehenden Politi- nen wir noch eine Umkehr erreichen. 25.000 Unterschriften, um die Zulässigkeit kerkreisen Stimmen laut, Umwelt- und des Volksbegehrens offiziell zu beantra- Naturschutzauflagen zu verringern, um Bisher kein ausreichendes Zeichen gen. Diese Unterschriften möchten wir die Wirtschaft damit hochzukurbeln. Es der Politik – wir müssen handeln u.a. mit beigefügtem Unterschriftenbogen wäre allerdings fatal, unserer Umwelt und sammeln. Wir möchten Sie bitten, nur Natur und damit unserer Lebensgrundlage Politische Handlungen wurden aus im Kreis Ihrer Familie – und unter den endgültig den Todesstoß zu geben. Viel- diesen Erkenntnissen jedoch kaum gebotenen Schutzbestimmungen – die mehr müssen wir alle aus der Krise lernen abgeleitet. Erste Erfolge zeichnen sich Unterschriften für mehr Artenvielfalt und unser Wirtschaften in den Einklang allerdings ab. Die Ankün- in Niedersachsen zu sammeln. ◀ mit dem Erhalt der Umwelt bringen. digung des Volksbegeh- rens hat dazu geführt, Auf die Wissenschaft hören dass für den Arten- schutz Mittel aus Nicht erst seit dem Bericht des Welt- biodiversitätsrates (IPBES) aus dem Jahr 2019, wissen die Politiker um den dramatischen Zustand unserer Ökosys- teme. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten sind rund eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Wir haben eine globale Biodiversitätskrise. Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftler wie- sen bereits in der Vergangenheit auf den Verlust der Artenvielfalt hin. 2 N IEDERSAC H SEN Journal
RUBRIK VOLKSBEGEHREN ODER THEMA Wo ist der Bogen erhältlich? Die Unterschriftenlisten bekommt man entweder bei den lokalen Akti- onsbündnissen, den NABU-Gruppen vor Ort, den NABU-Zentren und NA- BU-Regionalgeschäftsstellen oder kann ihn über die offizielle Homepage des Volksbegehrens bestellen. Nur Origi- nalbögen sind gültig, daher auf keinen Fall kopieren! Es werden keine Unter- schriftenlisten in Rathäusern ausliegen. Die Unterschriften müssen gesammelt und an die jeweiligen Einheits- oder Samtgemeinden gesendet werden. Wer darf seine Unterschrift abge- ben? Gültig sind nur Unterschriften von Personen, die mindestens 18 Jahre alt sind, die deutsche Staatsbürgerschaft haben und mit einem Hauptwohnsitz am Tag der Unterschrift seit mindes- tens drei Monaten in einer niedersäch- sischen Gemeinde gemeldet sind. Wie muss der Bogen ausgefüllt Wo kann der Bogen abgegeben wahlleitung weitergeleitet – es dürfen auf werden? werden? keinen Fall ungeprüfte Formulare direkt an das Innenministerium weitergeleitet Es zählen ausschließlich Unter- Das Formular muss entweder per Post werden! Sollten Sie die Adresse Ihres schriften auf dem vom Volksbegehren oder persönlich im Einwohnermelde- Einwohnermeldeamtes nicht parat haben, bereitgestellten Unterschriftenformular amt oder Bürgerbüro der Einheits- oder können Sie den Unterschriftenzettel auch (Kopien sind ungültig!). Die jeweiligen Samtgemeinde abgegeben werden. Wenn gerne an das Büro des Volksbegehrens sen- Zeilen müssen vollständig ausgefüllt in organisierten Aktionen gesammelt den: Volksbegehren Artenvielfalt Nieder- werden (Vorname, Name, Adresse, wird, müssen die unterschriebenen und sachsen, Alleestraße 36, 30167 Hannover. Geburtsdatum, Unterschrift). Zudem komplett ausgefüllten Formulare nach dürfen auf einem Unterschriftenbogen Wohnorten der Unterzeichnerinnen und Was ist sonst noch wichtig? nur Mitglieder derselben Einheits- oder Unterzeichner sortiert und den jeweiligen Samtgemeinde unterschreiben. Gemeinden postalisch oder persönlich zu- Der Bogen darf außerhalb der Zeilen gekommen lassen werden. Die Formulare nicht beschrieben oder markiert wer- werden nach einer Prüfung an die Kreis- den. Ansonsten wird er ungültig. ◀ Info Weitere Informationen unter www.artenvielfalt-niedersachsen.jetzt Sommer 2020 3
NABU Niedersachsen Gemeinsamer Einsatz für unsere Lebensgrundlagen Kiebitz Liebe Mitglieder und Naturfreunde, die Corona-Pandemie beherrscht unseren Alltag und stellt viele Menschen vor enorme Herausforderungen. Es ist gut und wichtig, Gelder für jene zur Verfügung zu stellen, die besonders stark unter den derzeitigen Einschränkungen leiden. Dennoch dürfen andere, fundamentale Krisen nicht aus dem Blickfeld der Politik verschwinden – denn diese bringen die Lebensgrundlage von uns Menschen insgesamt in Gefahr: Wir kämpfen gegen die Auswirkungen des Klimawandels, die sich auch in diesem Jahr bereits mit einer drohenden Dürre bemerkbar machen, und gegen ein weltweites Artensterben. Um sich dem Artensterben entgegenzustellen, setzen der NABU Niedersachsen und über 115 weitere Partner sich dafür ein, das Volksbegehren Artenvielfalt.Jetzt! mit ganzer Kraft fortzusetzen. Denn wir sind noch immer davon überzeugt: Artenschutz ist keine Frage für freiwillige Absichtserklärungen – sondern für das Gesetzesblatt. Jetzt sehen wir den Zeitpunkt zu handeln! Für dieses Volksbegehren benötigen wir ab sofort aber nicht nur Ihre Stimme, sondern weiterhin auch finanzielle Unterstützung – jede Spende hilft! Die bisherige Zustimmung zum Volksbegehren aus der breiten Bevölkerung und die Unterstützung durch bereits zahl- lose Ehrenamtliche in allen Landkreisen und Städten Niedersachsens zeigen deutlich, wie wichtig den Menschen der Erhalt der Artenvielfalt und ihrer eigenen Lebensgrundlagen ist. Doch um den gesellschaftlichen Wandel für ein zu- kunftsfähiges Niedersachsen weiter voran zu treiben, benötigen wir gerade jetzt umso mehr Ihre Unterstützung. Unterstützen Sie uns! Gemeinsam bewahren wir die heimische Natur und unsere Lebensgrundlagen auch für kommende Generationen. Herzlichen Dank! Foto: Thorsten Krüger Dr. Holger Buschmann Inez Schierenberg Landesvorsitzender Landesgeschäftsführerin 4 N IEDERSAC H SEN Journal
PROJEKT Wasserbüffel als Naturschützer len bei dem Projekt nicht nur auf den Erhalt der Arten der Kulturlandschaft ab, sondern auch auf die Förderung von ÖKOLOGISCHE NABU-STATION OSTE-REGION SETZT AUF BEWEIDUNG seltenen und besonders bedrohten Arten. E ine naturschutzgerechte Be- weidung mit Großtieren wie beispielsweise Rindern, Pferden oder enger Zusammenarbeit mit dem Land- kreis Rotenburg, Flächeneigentümern, Landwirten und lokalen Akteuren drei Die Projekte werden naturschutz- fachlich begleitet, um die Effekte der Beweidung zu dokumentieren und Hirschen trägt ganz wesentlich dazu Beweidungsprojekte mit Wasserbüffeln bei Bedarf die Beweidung anzupassen. bei, Landschaften zu pflegen und zu im FFH-Gebiet „Oste mit Nebenbächen“ Neben der Anlage von Dauerquadraten, entwickeln und somit einen erfolgen Untersuchungen unter entscheidenden Beitrag zum anderem zu Amphibien, Spinnen, Artenschutz und zur Artenviel- Heuschrecken und Lauf käfern. falt eines Gebietes zu leisten Dabei zeigten sich bereits nach [vgl. nachfolgenden Gastbeitrag]. nur wenigen Monaten Projekt- laufzeit erste positive Effekte: Um Landschaften natur- und Starker Verbiss von der invasi- artenschutzorientiert zu pflegen ven und damit heimische Arten und zu entwickeln, sollte die verdrängenden „Spätblühenden Beweidung lebensraumspezifisch Traubenkirsche“ (Prunus seroti- ausgerichtet, laufend überprüft na), Zurückdrängung von Suk- und an sich ändernde Situationen zessionsgehölzen, insbesondere angepasst werden. Das heißt, dass Birke auf Magerrasenstandorten, zum Beispiel die in der Ganzjah- und Verjüngung durch Verbiss resbeweidung angestrebte Anzahl der initiieren. Wasserbüffel eignen sich von Heidebeständen. Gleichwohl wurden Tiere pro Hektar oder auch die Wahl der aufgrund ihrer Genügsamkeit, geringer von den Wasserbüffeln vorhandene, zum Weidetierart auf die vorhandene Vege- Trittschäden und der Schaffung sowie Er- Teil zugewachsene Gewässer freigestellt tation abgestimmt werden muss. Auch haltung von Wasserstellen durch Suhlen und vergrößert. Besonders überraschend sollte in Abstimmung mit dem Veteri- in besonderer Weise zur Entwicklung war, dass sich der auf Beweidung ange- näramt möglichst auf eine Zufütterung komplexer Lebensräume. Die Weideflä- wiesene und in Deutschland als stark im Winter verzichtet werden, um die chen im Projektgebiet der ÖNSOR sind gefährdet geltende Behaarte Kurzflügler Flächen nicht zusätzlich mit Nährstoffen geprägt von einem Mosaik aus Grünland, (Emus hirtus) im Projektgebiet einstellte. oder ungewolltem Saatgut anzureichern. Großseggenriedern, Röhrichten, Feucht- Auch konnten erstmals Limikolen auf brachen, Kleingewässern, Bruchwäldern, den Weideflächen beobachtet werden. ◀ 2019 konnte die Ökologische NA- Gehölzgruppen sowie von Trockenrasen Weitere Informationen finden Sie unter BU-Station Oste-Region (ÖNSOR) in und Heiden. Die Projektpartner zie- www.nabu-station-oste-region.com Info Steckbrief Wasserbüffel Biologie: Wasserbüffel gehören wie Rinder zur Familie der Hornträger. Sie wurden vor ca. 4.000 Jahren in Asien domestiziert. Sie sind genügsam, robust, widerstandsfähig und wenig krankheitsanfällig. Aufgrund weniger Schweißdrüsen sind sie jedoch hitzeempfindlich und benötigen daher Wasser- stellen. Im Winter entwickeln sie dichtes Winter- fell und vertragen Temperaturen bis -24 °C. Ihre Lebenserwartung beträgt bis 25/30 Jahre. Gewicht Bulle: 600 bis 1.200 kg, Gewicht Kuh: 500 bis 700 kg Nahrungsspektrum: Ähnelt dem von Rindern, sie können aber gering- wertige zellulosereiche Vegetation, wie Schilf, Rohrkolben, Rohrglanzgras, Binsen, Blätter und Triebe vieler Gehölzarten verwerten. Nutzung: Weltweit als Arbeitstiere, Milch- und Fleischlieferanten. In Deutschland zunehmend in der Landschaftspflege. Lebensweise: Ihr natürlicher Lebensraum liegt im feuchten Offenland, Sümpfen und lichten (Feucht-)Wäldern. Sie durchstreifen ihr Gebiet im Herdenverband, angeführt von einer Leitkuh. Im Sommer suchen sie häufig Gewässer zur Kühlung auf, in denen sie meist stundenlang Fotos: Sarina Pils liegen und schwimmen. Landschaftspflege: Wasserbüffel können insbesondere auf Feucht-und Moorflächen eingesetzt werden, die so nass sind, dass eine Rinder- und Pferde- haltung nicht mehr möglich ist. Sie können dichte Vegetationsbestände öffnen, Pioniergehölze und bestimmte Neophyten zurück- drängen, das Aufkommen dichter Vegetation an und in Gewässern reduzieren, Gewässer durch Suhlen vergrößern und neu anlegen. Sommer 2020 5
NABU Niedersachsen GASTBEITRAG Naturschutz durch extensive Beweidung Die Landschaft, aus der wir bis zu 50 Kilogramm Insektenbiomasse Energieflüsse, insbesondere was den kommen werden können. Eine heute kaum noch Kohlenstoff und Stickstoff anbelangte. abschätzbare Rolle spielte außerdem die Den Einstieg hierzu bildete im ausge- Wenn wir heute den Begriff „extensive Samenverbreitung (Zoochorie) in Darm henden 18. Jahrhundert die sogenannte Beweidung“ hören, denken wir meist an und Fell, an Klauen und Hufen. Durch die verbesserte Dreifelderwirtschaft, bei der den Schäfer aus unserer Kindheit, der damals noch weitgehend zaunlose All- die Brachzelge nicht mehr der Selbst- mit Stock, Schlapphut, zwei struppigen mende wurden so auch Acker- begrünung überlassen, Hunden und einer kleinen Herde durch unkräuter von den Brachzel- sondern mit Luftstick- die Gemarkungen zieht. Intuitiv halten gen und sogar Wirbellose wie stoff-bindenden Legumi- wir das für die am meisten „traditio- z.B. Schnecken über weite Stre- nosen eingesät wurde. So nelle“ Landnutzung, die es in unserer cken vertragen und die Popu- gelang es, Stickstoff in Landschaft je gab. Nur wenig bekannt ist lationen genetisch verbunden den Boden zu bringen und aber die Tatsache, dass bis ins 19. und und durchmischt. Die Wei- seinen bis dahin lokalen, sogar 20. Jahrhundert hinein die aller- detiere mussten damals eher geschlossenen und weit- meisten Dörfer in Mitteleuropa über eine aus- als eingezäunt werden, gehend auf die Dorfge- Rinderherde verfügten. Als Milch- und z.B. von den beiden bestellten markung beschränkten Fleischlieferanten und v.a. als Zugtiere Zelgen der Gemeindeäcker und Kreislauf zu durchbre- vor Pflug und Wagen stellte diese Herde den Gärten. Auch die Futter- chen. Mit diesem protein- quasi das ökonomische Herzstück und wiesen, die v.a. seit dem Hoch- reichen Futter konnten den Motor der vorindustriellen Agrarge- mittelalter auf kamen, wurden die Weidetiere nun nach sellschaft dar und wurde täglich von ei- vor- und nachbeweidet und so und nach eingestallt wer- nem Hirten auf die Dorfweiden, zu denen durch Tritt, Dung und einge- den und mit ihrem Mist vielerorts auch Wald, Trockenrasen und tragene Samen diversifiziert. die Äcker gezielt gedüngt Hutebaum auf einer rumänischen sogar Moore gehörten, getrieben. Dort In dieser ökologischen Funk- Eichenweide werden. Mehr als 100 gestalteten die Rinder, oft gemeinsam mit tionalität unterschied sich Jahre später gelang es, Pferden, Schweinen, Ziegen, Schafen und die vorindustrielle Landschaft mit dem Haber-Bosch-Ver- Gänsen, die Landschaft und förderten prinzipiell nur wenig von der prähisto- fahren Luftstickstoff in Form von die Biodiversität. Augenzeugen dieser rischen Landschaft, die von heute z.T. Kunstdünger zu binden, wodurch der vorindustriellen Landschaft berichten ausgestorbenen Großsäugern wie Mam- Grundstein für die moderne Intensivpro- von einem heute kaum noch vorstellba- muten und Nashörnern gestaltet wurde. duktion gelegt war. Mit den heutigen ren Artenreichtum, nicht nur mit längst Übersee-Importen von billigen eiweiß- ausgestorbenen Arten wie Blauracke, Die großen Umwälzungen im haltigen Futtermitteln (Soja) wurde Schwarzstirnwürger und Schlangenad- 19. und 20. Jahrhundert der einst kostbare Stickstoff vielerorts ler, sondern auch mit riesigen Indivi- endgültig zum Entsorgungsproblem. duenzahlen von Kiebitz, Großtrappe, Im 19. und v.a. 20. Jahrhundert fand Einen ebenso wichtigen Einschnitt be- Doppelschnepfe und vielen anderen. eine tiefgreifende Transformation dieser deutete die Änderung der Energiequelle. Fotos: Herbert Nickel In dieser Landschaft waren der selekti- Situation statt, welche bis heute anhält Mit der Eisenbahn und später dem Trak- ve Fraß der Weidetiere, ihr Tritt und ihre und in der schrittweise die Weidetie- tor, beide durch fossile Brennstoffe betrie- enorme Dungproduktion Schlüsselfak- re als Landschaftsgestalter durch die ben, wurden Rind und Pferd als Zugtiere toren der Biodiversität. Eine einzige Kuh Maschinen ersetzt wurden. Diese Trans- überflüssig. Für das Pferd blieb nur noch produzierte damals mehr als 5 Tonnen formation beinhaltete eine fundamen- die Haltung zu Sport- und Hobbyzwecken, Dung im Jahr, aus denen umgerechnet tale Neustrukturierung der Stoff- und das Rind wurde zum reinen Milch- oder 6 N IEDERSAC H SEN Journal
GASTBEITRAG Fleischproduzenten. Durch den massiven Pferd wieder hinaus der Produkte gefährden Umbruch einstiger Weiden zu Ackerflä- in die Landschaft zu sogar gewachsene Märk- chen wurden nicht nur immense Mengen bringen, kehrt inner- te in ärmeren Ländern. an im Humus gebundenen Kohlenstoff halb kurzer Zeit die Hinzu kommen aber frei, sondern der Maschineneinsatz und Biodiversität zurück. Es auch administrative und die Herstellung von Kunstdünger und existieren zahlreiche Der Göttinger Ökologe und Entomolo- bürokratische Hindernis- Pestiziden erfordern die Verbrennung Erfolgsgeschichten, ge Dr. Herbert Nickel arbeitet, forscht se: So müssen Hecken, immer größerer Mengen fossiler Kohlen- wo auf sogenannten und publiziert in den Bereichen Natur- Hutebäume und andere wasserstoffe. Das verbliebene Grünland Wilden Weiden, also schutz, Weideökologie, Landschaftsge- Biodiversitätselemente wird heute stark gedüngt und bis zu extensiven Ganzjahres- schichte, Insekten- und Vogelkunde. Er auf Weiden mühsam siebenmal im Jahr gemäht oder intensiv weiden mit Robustras- ist Mitglied in den NABU-BFAs „Weide- aus der Förderfläche beweidet. Die Landwirtschaft wurde so sen von Rind und Pferd landschaften und Neue Wildnis“ und herausgerechnet werden, global vom Konservator einer immensen oder auch Wasserbüf- „Entomologie“, arbeitete mit am neuen wodurch der Anreiz zu Menge von unterirdischem Kohlenstoff feln innerhalb weniger Standardwerk zur Beweidung im Natur- ihrer Bewahrung schwin- zu einem großen Emittenten von Koh- Jahrzehnte oder gar schutz „Naturnahe Beweidung und det und ihre Zerstörung lendioxid und anderen Treibhausgasen. nur Jahre die spek- Natura 2000“ (herausgegeben von gefördert wird. Tierärzt- takulärsten Erfolge Margret Bunzel-Drüke und Edgar liche Vorgaben erschwe- Die heutige Krise eintraten und sich die Reisinger www.abu-naturschutz. ren den im Vergleich Bestände seltener Arten de/veroeffentlichungen), gründete zum Schlachthausbetrieb Das Ende der Geschichte ist bekannt: vervielfacht haben, den Förderverein naturnahe Weide- sehr „tierfreundlichen“ Wir befinden uns heute in der sogenann- u.a. von Steinschmät- landschaften in Süddeutschland mit Kugelschuss auf der ten 6. Aussterbekrise, die nach Ansicht zer, Braunkehlchen, (gemeinsam mit Alois Kapfer) und initi- Weide. Die Ohrmarken- aller führenden Experten maßgeblich Kiebitz, Ziegenmelker, ierte eine Resolution deutscher Natur- pflicht und die Pflicht durch die geänderte Landnutzung verur- Turteltaube, und wo schutzakteure zum lnsekten- und Bio- einer alljährlichen sacht wurde, die aber nur im Kontext der sogar regional ausge- diversitätsschwund. Er verfasste außer- Blutuntersuchung ma- beiden vergangenen Jahrhunderte zu ver- storbene Arten wieder dem mehrere Fachbücher über Zikaden. chen es dem Tierhalter stehen ist. Denn in Bezug auf die Biodi- eingewandert sind. unnötig schwer. Und die versität ist die vorindustrielle Weideland- Was also hindert uns häufige Forderung nach schaft die „Mutter“ der Mähwiese, der daran, derartige Lebensräume wieder einer regelmäßigen Parasitenprophyla- Streuobstwiese, des Parks, des Gartens einzurichten und einfach wieder große xe in Form von Entwurmungsmitteln und sogar des Ackers und des Waldes. Tiere auf die Weide zu stellen? Flächen bedroht die Dungfauna und damit eine Daher sind die wenigen Reste his- genug wären da, besonders dort, wo re- zentrale und systemrelevante Kom- torisch alter Weidelandschaften, die gelmäßig Hochwässer wertvollen Acker- ponente natürlicher Lebensräume. wir heute noch haben, seien es unsere boden wegspülen oder wo es zu trocken Alle diese Probleme sind jedoch men- Truppenübungsplätze oder die Puszta, die ist, um eine rentable Landwirtschaft zu schengemacht und können daher auch Extremadura oder auch die Serengeti, die betreiben. Hier wird es leider sehr schnell überwunden werden. Vor allem ist aber Grale unserer Biodi- schwierig – aber eine substanzielle Förderung von – je versität. Die meisten nicht unmöglich. nach Größe der zusammenhängenden Arten hingegen, Das Hauptprob- Fläche – 700 bis 1.000 Euro pro Hektar die es heute bei uns lem ist die Fördersi- nötig, um die Beweidung attraktiv zu nur noch in dichten tuation auf EU-Ebe- machen. Die neue EU-Förderperiode Wäldern gibt, wur- ne, die dafür sorgt, bietet hier die Möglichkeit, die Landwir- den vom Menschen dass eine extensive te wieder stärker mit dem Naturschutz in diese Wälder und naturschonen- zusammenzubringen und ein Stück weit zurückgedrängt, de Landwirtschaft vom Preiskampf des Weltmarktes unab- verlassen diese aber nicht rentabel ist im hängig zu machen. So besteht jetzt eine wieder, wo wir ihnen Vergleich zu einer riesige Chance, die Situation im europäi- den Raum geben. konventionellen schen Artenschutz massiv zu verbessern! Dungkäferdiversität von wenigen Pferdeäpfeln einer Dies gilt nicht nur historisch alten Weide in der Steiermark Hochleistungspro- Dafür muss mehr Geld für die Förderung für Schwarzstorch duktion, welche der extensiven, möglichst ganzjähri- und Rothirsch, sondern auch für mit großem energetischen Aufwand gen Standweide bereitgestellt werden, Fotos: Gernot Kunz, Herbert Nickel Wolf, Wisent und Braunbär. und mit importierten Futtermitteln was bei Umschichtung relativ geringer und Kunstdünger deutlich mehr Ertrag Summen aus der 1. in die 2. Säule und Der Ausweg: Große Pflanzen- produziert. So werden aber die Tiere auch wegen geringerer Hochwasserschä- fresser zurück in die Landschaft in Ställe gesperrt und die Artenvielfalt den nicht einmal mehr kosten würde. reduziert. Die Landschaft verödet, die Und veterinär- und förderrechtliche Im Umkehrschluss macht dies aber Böden erodieren und verlieren ihre Hindernisse müssen beseitigt werden. auch Hoffnung, denn dort, wo es gelingt, Fruchtbarkeit, die flussabwärts gelegenen die Einstallung der großen Pflanzenfres- Talbereiche sind einer größeren Hoch- Herbert Nickel ser rückgängig zu machen und Rind und wassergefahr ausgesetzt und die Exporte Sommer 2020 7
NABU Niedersachsen RUBRIK ODER THEMA IFÖNN-REISEN Im Herbst mit dem NABU Niedersachsen Ungarns Bienenfresser sowie Cornwalls Steilküsten und Gärten erleben Zusatzreisen jetzt buchen Z wei faszinierende Reiseziele stehen im Herbst auf dem Programm der vom NABU Niedersachsen geführten Reisen, werden auf ungarischer wie burgenlän- discher Seite in die Juwele der Natur ein- führen; übernachtet wird im malerischen Programm. Auf der Hin- und Rückreise wird etwas „Kreuzfahrtgefühl“ auf kom- men, denn sie findet per Schiff von Hoek die bereits seit 1998 von der landesver- ungarischen Dorf Hegykö. Auf der Hin- van Holland nach Harwich statt, bevor bandseigenen IfÖNN GmbH durchgeführt und Rückreise findet eine Übernachtung es dann im bequemen Bus weitergeht. werden und bei denen Natur und Kultur in Kelheim an der schönen Donau statt. im Mittelpunkt stehen. Beide können ab sofort gebucht werden! Die zweite diesjäh- rige Zusatzreise wird Die Reise „Steppensee zwischen Alpen vom 8. bis 18. Oktober und Puszta“ soll vom 9. bis 18. Septem- 2020 unter dem Motto ber 2020 stattfinden. Sie führt – unter „Cornwall – Land der der Leitung von Rüdiger Wohlers – an Gärten, Hecken und den Neusiedler See, ein Dorado für alle Steilküsten“ in Groß- Naturbegeisterten! Europas einziger britanniens südwest- lichsten, vom Golfstrom klimatisch verwöhnten Zipfel führen. Die Leitung wird Cornwall- kenner Rüdiger Wohlers haben, der als bislang einziger Deutscher zum „Cornish Bard“ ernannt wurde; zudem wird die Naturpädagogin Heike Neunaber Beide Reisen können ab sofort die Wildpflanzen Cornwalls vorstellen gebucht werden: Tel. 04761 – 70804, und vor Ort bei den Wanderungen auf www.natur-und-reisen.de. der Steilküste und zu jahrtausendealten Steinkreisen Sagen und Märchen erzäh- len. Bei dieser Fahrt wird auch der Vo- Wir reisen klimaschonend: Info Fotos: Jürgen Hicke, Daniel Jacob Steppensee, an dem dann der Vogelzug gelzug erlebbar sein. Besondere Schwer- Bus statt Flug! Melden Sie im Gange sein wird, bietet mit seiner punkte werden Besuche subtropischer sich auch für unseren aktuel- Umgebung, den Trockenrasen, den Au- Gärten sowie die Wanderungen sein, bei len Newsletter an! Auch das Programm wäldern und dem Leithagebirge atembe- denen Cornwalls wilde wie blühende 2021 wird ein Kürze erscheinen. raubende Naturerlebnisse im Reich von Natur hautnah erlebt werden können – „Natur und Reisen“ Bienenfresser, Ziesel und Co. Er weist den „und jenseits von Klischees“, wie Rüdiger Ein Angebot von: Institut für Ökologie und zweitgrößten Schilfgürtel Europas auf. Wohlers betont. Auch ein Besuch auf der Naturschutz Niedersachsen (IfÖNN) GmbH Auch eine Weinverkostung steht auf dem weltberühmten Felsinsel mit Burganlage, Programm. Ausgesuchte Naturführer dem St. Michael´s Mount, gehört zum IMPRESSUM NABU Niedersachsen Journal Redaktion (ViSdP): Philip Foth, Pressesprecher; Gedruckt auf ‚Charisma Silk’ Recyclingpapier. Mitgliederinformation des NABU Niedersachsen e.V., Matthias Freter, Pressereferent, Gina Briehl. Druckauflage: 81.500 Exemplare. Beihefter zur Mitgliederzeitschrift ‚Naturschutz heute‘, Redaktionsschluss für Herbst/2020: 20. Juli 2020 Heft Sommer/2020. Mitarbeit an dieser Ausgabe: Dr. Holger Buschmann, NABU Niedersachsen-Spendenkonto: Herausgeber: Dr. Herbert Nickel, Sarina Pils, Rüdiger Wohlers. Bank für Sozialwirtschaft NABU Niedersachsen e.V., Alleestraße 36, 30167 Hannover, Bildnachweis Titelfoto: NABU/Mareike Sonnenschein; IBAN: DE47 2512 0510 0008 4448 00 | BIC: BFSWDE33HAN Tel.: 0511-91105-0, Fax: -40. www.NABU-niedersachsen.de Grafik: Volksbegehren Artenvielfalt.jetzt E-Mail: info@NABU-niedersachsen.de Layout: Anne Schönhofen, NABU Media. Agentur und Der NABU Niedersachsen im Internet: Landesvorsitzender: Dr. Holger Buschmann Service-GmbH, Bonn www.NABU-niedersachsen.de Landesgeschäftsführerin: Inez Schierenberg Druck: Dierichs Druck + Media GmbH & Co. KG, Kassel. 8 N IEDERSAC H SEN Journal
Sie können auch lesen