Sigmund Gastiger, Cornelia Kricheldorff (Hg.) Soziale Arbeit in Gerontologischen Arbeitsfeldern mit Kindern in prekären Lebenslagen - Methoden und ...

Die Seite wird erstellt Silvester Witte
 
WEITER LESEN
Sigmund Gastiger, Cornelia Kricheldorff
                                 (Hg.)

                     Soziale Arbeit in
     Gerontologischen Arbeitsfeldern
 mit Kindern in prekären Lebenslagen

          Methoden und Konzepte der Sozialen
         Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten
© 2011 Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau
www.lambertus.de
Umschlaggestaltung: Nathalie Kupfermann, Bollschweil
Druck: Franz X. Stückle, Druck und Verlag, Ettenheim
ISBN 978-3-7841-2030-0
Inhalt

Vorwort

Cornelia Kricheldorff
Handlungsfeld Soziale Arbeit in gerontologischen Arbeitsfeldern
und im Gesundheitswesen

Matthias Hugoth
Handlungsfeld Soziale Arbeit mit Kindern in prekären Lebenslagen

Die Autoren
Vorwort
Dieses und die folgenden Lernbücher der Reihe „Skills“ befassen sich mit
dem Thema „Handlungskonzepte und Methoden der Sozialen Arbeit in
verschiedenen Arbeitsfeldern“. Dabei werden zunächst die aktuellen Be-
dingungen und Fragen im jeweiligen Arbeitsfeld kurz beleuchtet und dann,
auf der Basis von exemplarischen Fallbeschreibungen, schrittweise be-
arbeitet.

Es würde den Rahmen des Vorworts sprengen, wollte man an dieser Stelle
aufwändig diskutieren, was wir unter Sozialer Arbeit verstehen. Deshalb
folgen wir der These von Klüsche (1999), nach der er Soziale Arbeit für
die Bearbeitung von gesellschaftlich und professionell als relevant angese-
henen Problemlagen (Klüsche I: 23) zuständig sieht. Er konkretisiert diese
Definition, indem er innerhalb der Sozialen Arbeit, die Entstehung und
Bearbeitung von Problemlagen unter mindestens vier Aspekten erfasst:

1. unter dem der Klienten/Klientinnen
2. unter dem der Gesellschaft
3. unter dem der Profession und
4. unter dem der Institutionen oder Organisationen, in denen Hilfe geleistet
und koordiniert wird (Klüsche II: 22).

Diese Bezugspunkte der Sozialen Arbeit charakterisieren deren professio-
nelles Arbeiten in den unterschiedlichen Handlungsfeldern (Klüsche II:
a.a.O.).

Es gibt freilich unterschiedliche Modelle, wie Soziale Arbeit betrachtet
werden kann. Die Skills-Reihe setzt auf die zentrale Rolle von Handlungs-
konzepten und Methoden, im Sinne von Galuske (2009). Welches Ver-
ständnis von Sozialer Arbeit dem zugrunde liegt und was danach inhaltlich
kennzeichnend für die Soziale Arbeit ist, erläutert Galuske in fünf zentra-
len Punkten (Galuske: 37ff.).

1.   Soziale Arbeit ist (fast) allzuständig, d. h. wenig spezialisiert, im
     Gegensatz zu anderen helfenden Berufen. Auf der Ebene der Alltags-
     intervention wird deutlich: Alles, was das Alltagsleben an Problemen

                                                                          5
Methoden und Konzepte der Sozialen Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern

     hergibt, kann zum Gegenstand sozialarbeiterischer/ sozialpädagogi-
     scher Intervention werden (Galuske: 37).
2.   Sozialarbeiter haben kein Monopol auf ihre Tätigkeitsfelder. Was ist
     ihr Proprium, wodurch sie allein für die Fallbearbeitung zuständig
     sind (Galuske: 39)?

3.   Sie haben Schwierigkeiten, besondere Kompetenzansprüche zu be-
     haupten und verständlich zu machen bei Problemen des täglichen Le-
     bens, die nach Laienauffassung eigentlich keiner spezifischen Fähig-
     keit oder eines Experten bedürfen (Galuske: a.a.O.)

4.   Als personenbezogene Dienstleistung braucht die Soziale Arbeit die
     Klienten. Der Erfolg ist nur im Arbeitsbündnis mit dem Klienten zu
     erzielen. Dabei ist ein wichtiges Ziel: die Autonomie der Lebenspra-
     xis der Klienten zu respektieren, obwohl diese Autonomie häufig be-
     schädigt ist (Galuske: 47).

5.   Soziale Arbeit bewegt sich meist innerhalb politischer und/oder büro-
     kratischer Strukturen (die das Jugendamt, das Sozialamt, den Freien
     Träger, überhaupt das Gemeinwesen kennzeichnen) und damit in
     einem ausdifferenzierten Rechtsrahmen. Professionelle Hilfe kann
     meist nur unter Ausschöpfung sozialrechtlicher Ansprüche geleistet
     werden und fast immer nur, wenn die Hilfe durch Bund, Land oder
     Gemeinde finanziert wird (Galuske: a.a.O.).

Trotz dieser Diffusität des Gegenstandes der jeweiligen Intervention (s.o.
1-3) und der Rahmenbedingungen für die Soziale Arbeit lässt sich doch als
Grundkonsens festhalten, dass ihre zentrale Aufgabe die professionelle
Bearbeitung sozialer Problemlagen ist (Lüssi: 79).

Daneben nimmt auch die präventive Soziale Arbeit einen immer breiteren
Raum ein. So ist beispielsweise die Armutsprävention ein entscheidender
Schritt zur Befähigung und zur Verbesserung der Teilhabechancen (Rogg:
24, Neher: 11). Soziale Arbeit als politischer Impulsgeber hilft aber auch,
im Sozialstaat die Befähigungsgerechtigkeit zu verwirklichen und Partizi-
pation zu ermöglichen.

Für die Soziale Arbeit ist also der Umgang mit sozialen Problemen zentral,
die fast immer von komplexer Natur sind. Eine „Lösung“ ist typischerwei-
se „imperfekt“, also „unvollständig“, „unvollkommen“, „unabgeschlos-
6
Vorwort

sen“ (Lüssi: 135). Immer bleibt, wie überhaupt bei komplexen Problemen,
„etwas übrig“, sie sind nach der Beschäftigung mit ihnen nicht einfach
„verschwunden“. Wir sprechen deshalb besser nicht von der Lösung sozia-
ler Probleme, sondern von ihrer Bearbeitung (s.o.).

Alexander der Große tat sich da leichter:
Er war auf seinem Marsch nach Asien an Phrygien interessiert, dem Tor
Asiens. Aber es war ein Problem zu lösen, an dem schon die führenden In-
tellektuellen seiner Zeit gescheitert waren: Am Streitwagen des Königs
Gordios war ein Knoten angebracht; wer ihn lösen konnte, dem gehörte
Phrygien und dann die Welt. Der Rest der Geschichte ist bekannt. Alexan-
der durchschlug den Knoten mit dem Schwert und seither ist der „gordi-
sche Knoten“ oder was Alexander mit ihm machte, der Urbegriff für eine
abgekürzte Lösung eines sonst schier unüberwindlichen Problems.

Die Bearbeitung komplexer Probleme in der Sozialen Arbeit dauert in der
Regel etwas länger, sie ist nicht einfach und in den meisten Fällen auch
nicht endgültig. Schon in der Problemformulierung erahnt man dessen
Dimension und die Intensität der erforderlichen Bearbeitungsüberlegun-
gen.
Methodenkompetenz ist deshalb die Fähigkeit, die dem jeweiligen Pro-
blem angemessene Methode einzusetzen.

Dabei meint Methode nicht nur die Beantwortung der Frage welche Hand-
lungsschritte wie sinnvoll erfolgen können, sondern auch was erreicht
werden soll und warum. Das heißt, zur Methode gehört auch die Sorge um
die Interventionsziele (Galuske: 26,27).

Der Methodenbegriff hat sich erweitert. Zu den drei „Klassikern“: Soziale
Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit kamen in-
zwischen vielfältige Handlungskonzepte und Methoden hinzu, die sich
zum großen Teil aus der Fachpraxis der Sozialen Arbeit heraus entwickelt
haben. Es gibt zahlreiche Versuche ihrer Systematisierung – eine sehr
überzeugende bietet Galuske (2009) an, der zwischen direkten und indi-
rekten Methoden unterscheidet und damit auch einen Bezugsrahmen für
professionsbezogene Ansätze und Methoden schafft, die nicht unmittelbar
auf die Adressaten Sozialer Arbeit zielen, sondern auf deren Rahmenbe-
dingungen gerichtet sind (Sozialmanagement, Soziale Planung) oder das
eigene Handeln reflektieren und bewerten (Supervision, Evaluation).

                                                                       7
Methoden und Konzepte der Sozialen Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern

Wir können also inzwischen von einer Methodenvielfalt (Schmidt-
Grunert: 50) in der Sozialen Arbeit insgesamt sprechen, während für die
einzelnen Arbeitsfelder die unterschiedlichen Handlungskonzepte und Me-
thoden jeweils mehr oder weniger relevant sind. Für Studierende ist aber
eine konkrete und auf die Fachpraxis bezogene Auseinandersetzung mit
dieser Methodenvielfalt notwendig, die eine Methodenintegration erfor-
dert. Diese muss im Studium vermittelt und sichergestellt werden.

Dieses und die nachfolgenden Bücher bleiben deshalb bei der begriffli-
chen – lediglich beschreibenden – Erweiterung der Handlungskonzepte
und Methoden nicht stehen. Sie gehen ganz praktisch von konkreten
Arbeitsfeldern aus. Die Auseinandersetzung mit Handlungskonzepten und
Methoden erfolgt also jeweils bezogen auf ein Praxisfeld der Sozialen
Arbeit. Dabei werden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede deutlich;
es geht also um exemplarisches Lernen unter Bezugnahme auf die Voraus-
setzungen und Bedingungen in spezifischen Arbeitsfeldern. Den Anfang
machen die Soziale Arbeit in gerontologischen Arbeitsfeldern und im Ge-
sundheitswesen sowie Soziale Arbeit mit Kindern in prekären Lebensla-
gen. Beides sind Praxisfelder, die eher nicht im Mainstream der Sozialen
Arbeit stehen, aber auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen und Pro-
blemlagen zielen. Der demografische Wandel und die damit verbundenen
Herausforderungen für den Einzelnen und die Gesellschaft bilden den Re-
ferenzrahmen für das erste Arbeitsfeld, das zunehmend relevante Thema
Kinderarmut ist der Bezugspunkt für das zweite Arbeitsfeld, das jeweils
fallbezogen vorgestellt wird.

Dabei liegt der Akzent auf dem didaktischen Bemühen. Der Hauptunter-
schied zur späteren beruflichen Tätigkeit liegt freilich darin, dass die
„Fallbeschreibungen“ unter didaktischen Gesichtspunkten ausgewählt sind
und damit feststehen, während im Zuge des künftigen professionellen
Handelns der relevante Sachverhalt samt Fragestellung erst erarbeitet wer-
den muss. Das bedeutet, jede Fallbeschreibung im Studium bildet nur mo-
dellhaft das Prozesshafte der beruflichen Wirklichkeit ab. Sie ist häufig
nur eine Momentaufnahme. Das ist freilich das Schicksal aller vorgegebe-
nen Fallkonstellationen (auch der rechtlichen). Das wertet sie keineswegs
ab. Sie sind didaktisch unverzichtbar.

Professionelles Handeln verlangt Entscheidungen – häufig innerhalb einer
bürokratischen Institution (Jugendamt/Sozialamt) und gilt vor allem für

8
Vorwort

institutionalisierte Probleme in den Arbeitsfeldern, in denen es bereits
vorgebahnte Lösungswege gibt.

In diesem und den nachfolgenden Büchern werden also nicht allgemein
Methoden und Konzepte vorgestellt und/oder beliebige Probleme in Fall-
beschreibungen eingebettet. Sondern handlungsfeldorientiert werden theo-
riebegründete Handlungskonzepte wie auch Methoden der Sozialen Arbeit
aufgenommen, zu denen als spezifische Handlungskompetenzen auch
Skills („Fertigkeiten“, bestimmte Problemlösungstechniken, Muster) gehö-
ren, die für die Soziale Arbeit insgesamt konstitutiv sind.

Es kommt entscheidend auf eine Strategie in der Bearbeitung an, auch
unter dem Aspekt der interdisziplinären Fallbearbeitung. Diese ist in der
Praxis der Sozialen Arbeit zwar noch nicht hinreichend verankert, es gibt
aber vielversprechende Ansätze, beispielsweise im Case Management.
Wichtig ist es uns aufzuzeigen, dass trotz der unterschiedlichen Fragestel-
lungen und Bedingungen in den jeweiligen Handlungsfeldern Sozialer
Arbeit, doch ein Transfer, eine möglichst verallgemeinerungsfähige Be-
arbeitungsstrategie sichtbar wird, die wir mit dem Anspruch des exempla-
rischen Lernens verbinden.

Freiburg im April 2011

Sigmund Gastiger                             Cornelia Kricheldorff

                                                                          9
Methoden und Konzepte der Sozialen Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern

Literatur (Vorwort):
Michael Galuske (2009): Methoden der Sozialen Arbeit: Eine Einführung.
Weinheim: Juventa

Peter Gomez/ Gilbert Probst (1999): Die Praxis des ganzheitlichen Pro-
blemlösens: Vernetzt denken – unternehmerisch handeln –
persönlich überzeugen. 3. Auflage. Bern: Haupt

Wilhelm Klüsche I (1999): Ein Stück weitergedacht ... Beiträge zur Theo-
rie und Wissenschaftsentwicklung der Sozialen Arbeit. Freiburg i.Br.:
Lambertus

Wilhelm Klüsche II (2007): Analyse von Modulhandbüchern in
Bachelorstudiengängen der Sozialen Arbeit. In: Studium des Sozialen, hg.
von Peter Buttner, Berlin 2007, S. 221 -309

Peter Lüssi (2008): Systemische Sozialarbeit. Praktisches Lehrbuch der
Sozialberatung. 6. Auflage. Bern: Haupt

Peter Neher (2010): Der Einsatz für Menschen am Rande – ethische
Orientierungen. In: Halbhuber-Gassner, Lydia/ Nickolai, Werner/ Wich-
mann Cornelius (Hg.): Achten statt ächten in Straffälligenhilfe und
Kriminalpolitik. Freiburg i.Br. 2010, S.11-17

Gertrud Rogg (2007): Alle Kinder befähigen, das Buch zur Initiative.
Freiburg i.Br.: Lambertus

Marianne Schmidt-Grunert (1997): Soziale Arbeit mit Gruppen,
eine Einführung. Freiburg i.Br. :Lambertus

Nikolaus Sidler I (1989): Am Rande leben – abweichen – arm sein.
Konzepte und Theorien zu sozialen Problemen.
Freiburg i.Br.: Lambertus

Nikolaus Sidler II (1999): Problemsoziologie. Eine Einführung.
Freiburg i. Br.: Lambertus

Hans Ulrich/Ulrich Probst (1995): Anleitung zum ganzheitlichen Denken
und Handeln, ein Brevier für Führungskräfte. 4. Auflage. Bern: Haupt

10
Handlungsfeld Soziale Gerontologie
Soziale Arbeit mit älteren und alten Menschen und ihren
Angehörigen

Die Soziale Gerontologie begreift sich als wissenschaftlich
fundierte und gleichzeitig anwendungsorientierte Teildisziplin
der Gerontologie, die vor allem Fragen der sozialen Bezie-
hungen im Alter, die gesellschaftliche Teilhabe älterer und al-
                                            Handlungsfeld
ter Menschen sowie die Sicherung ihrer Bedürfnisse in den
Blick nimmt. Selbstbestimmung und Autonomie sind dabei
wichtige Wertorientierungen. Die Ausweitung der Lebens-
                                            Soziale Arbeit
phase Alter, vom so genannten jungen Alter, mit dem die Pha-
            in gerontologischen
se der notwendigen    Neuorientierung nachArbeitsfeldern
                                             Beruf und Familie
beschrieben wird, bis hin zum sehr hohen Alter, das geprägt
                         und im Gesundheitswesen
ist von einem zunehmenden Hilfe- und Unterstützungsbedarf,
führt zu einer zunehmenden Differenzierung in der Sozialen
Altenarbeit. Insgesamt kann konstatiert werden, dass die So-
ziale Arbeit mit älteren und alten Menschen und ihren Ange-
hörigen, ein Handlungsfeld der Cornelia        Kricheldorff
                                 Sozialen Arbeit  ist, das sich in
den letzten Jahrzehnten stark verändert hat, vielfältiger wurde
und ein deutlich breiteres Profil entwickeln konnte. Dabei hat
ein mehrfacher Paradigmenwechsel stattgefunden, vom be-
treuten Alter, über das aktive Alter, bis zum gestalteten
Soziale Arbeit mit älteren und alten
Menschen und ihren Angehörigen
Cornelia Kricheldorff

1 Einleitung

Die Soziale Gerontologie begreift sich als wissenschaftlich fundierte und
gleichzeitig anwendungsorientierte Teildisziplin der Gerontologie, die vor
allem Fragen der sozialen Beziehungen im Alter, die gesellschaftliche
Teilhabe älterer und alter Menschen sowie die Sicherung ihrer Bedürfnisse
in den Blick nimmt. Selbstbestimmung und Autonomie sind dabei wichti-
ge Wertorientierungen und es geht zentral um die Frage von Lebensquali-
tät und -zufriedenheit (Rupprecht 2006), unter den jeweils gegebenen Vo-
raussetzungen und Bedingungen des individuellen Alterns, im Sinne einer
differenziellen Gerontologie.

2 Soziale Gerontologie und die Praxis der Sozialen
Altenarbeit
Die Bedeutung der Sozialen Gerontologie für die Praxis der sozialen Al-
tenarbeit entwickelt sich vor dem Hintergrund des demografischen Wan-
dels: Die Anzahl der Älteren nimmt deutlich zu, die der Jüngeren rapide
ab, was zu deutlichen Verschiebungen in der Gesellschaft führt (Statisti-
sches Bundesamt 2008: 42). Nach der 11. koordinierten Bevölkerungsvo-
rausberechnung des Statistischen Bundesamtes (2006) sollen es im Jahr
2050 doppelt so viele ältere wie jüngere Menschen sein. Es ist zu erwar-
ten, dass die Zahl der über 65-Jährigen bis zum Ende der 2030er Jahre et-
wa um die Hälfte von aktuell knapp 16 Mio. auf circa 24 Mio. steigt, da-
nach wird sie leicht zurückgehen. Die Bevölkerung ab 80 Jahren nimmt
dagegen unablässig zu: von 3,7 Mio. im Jahr 2005 auf 10 Mio. im Jahr

12
Soziale Arbeit in gerontologischen Arbeitsfeldern und im Gesundheitswesen

2050 (Statistisches Bundesamt 2006: 5f.). Damit wird die Zahl der 80-
jährigen und älteren Menschen beinahe dreimal so hoch sein wie heute.
„Mit dieser sehr starken Zunahme der ab 80-Jährigen wird voraussicht-
lich auch die Zahl der Pflegebedürftigen zunehmen“ (ebd.: 23). Denn,
auch wenn das allgemeine Lebensrisiko von Pflegebedürftigkeit im Alter
sich nicht grundsätzlich erhöht hat, so hat der demografische Wandel doch
mit seiner wachsenden Zahl an hochaltrigen Menschen in den Jahren 1991
bis 2002 zu einem relativen Anstieg der Pflegebedürftigen um etwa 29
Prozent geführt (Schneekloth/ Wahl 2005: 227).

Generationenbeziehungen müssen vor dem Hintergrund dieses umfassen-
den gesellschaftlichen Wandels also neu gedacht werden, sie brauchen
neue Formen und Bedingungen. (Beck-Gernsheim 1993 und 2002; Bert-
ram 2000). Wenn Generationensolidarität auch für die Zukunft sicherge-
stellt werden soll – und ohne ein Miteinander von Jung und Alt gibt es
keine funktionierende Gesellschaft – muss das Unterstützungspotenzial in
den Familien, aber verstärkt auch in Nachbarschaften und Wohnquartieren
gezielt gefördert werden (Kricheldorff 2008: 237ff.).

Die Ausweitung der Lebensphase Alter, vom so genannten jungen Alter,
mit dem die Phase der notwendigen Neuorientierung nach Beruf und Fa-
milie beschrieben wird, bis hin zum sehr hohen Alter, das geprägt ist von
einem zunehmenden Hilfe- und Unterstützungsbedarf, führt zu einer zu-
nehmenden Differenzierung in der Sozialen Altenarbeit. Insgesamt kann
konstatiert werden, dass die Soziale Arbeit mit älteren und alten Menschen
und ihren Angehörigen ein Handlungsfeld der Sozialen Arbeit ist, das sich
in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat, vielfältiger wurde und ein
deutlich breiteres Profil entwickeln konnte.

Es hat ein mehrfacher Paradigmenwechsel stattgefunden, vom betreuten
Alter, über das aktive Alter, bis zum gestalteten Alter, was heute die domi-
nierende fachliche Orientierung darstellt. Dabei geht es um Fragen der
Sinnfindung im Alter und die Vorstellung von einem Biografisierten Al-
tern (Schweppe 2002: 331), bei dem es um Lebensgestaltung im Sinne von
Reflexion und eines begreifbaren Kontinuums im Leben geht. Dabei wird
der alternde Mensch, vor dem Hintergrund seiner unter biografischen Be-

                                                                            13
Methoden und Konzepte der Sozialen Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern

dingungen erworbenen Ressourcen und Kompetenzen, als Gestalter seiner
Umwelt gesehen (vgl. auch Staudinger 2003). Altern kann damit zur He-
rausforderung und zur neuen Chance werden. Dieses aktuell dominierende
Verständnis von Sozialer Altenarbeit entspricht dem der Sozialen Arbeit
insgesamt, mit einer starken Ausrichtung auf Lebenswelten (Thiersch
2005) und Ressourcenorientierung im Sinne von Empowerment (vgl. Her-
riger 2006). Dies gilt zumindest für die frühen Jahre der inzwischen stark
ausgeweiteten Altersphase, die oft länger ist als Kindheit und Jugend zu-
sammen.

Vor dem Hintergrund des beschriebenen Paradigmenwechsels entstanden
und entstehen für die Soziale Altenarbeit neue Aufgaben und Handlungs-
felder, beispielsweise im Bereich der Engagementförderung und Bürgerbe-
teiligung, bei der Entwicklung neuer Wohnformen und der Gestaltung för-
derlicher Lebenswelten (BMFSFJ 2007; Kremer-Preiß & Stolarz 2003),
die die Begegnung und Kommunikation zwischen den Generationen mög-
lich machen (Maier/ Sommerfeld 2005). Praktische Beispiele dafür sind
Stellen im Quartiermanagement, Moderation und Mediation in der Pro-
zessbegleitung für gemeinschaftliche und generationsübergreifende Wohn-
formen, Koordinations- und Vernetzungsaufgaben in Seniorenbüros, Frei-
willigenzentralen, Tauschbörsen und in Mehr-Generationen-Häusern (Kri-
cheldorff 2010a).

Neben diesen eher neuen Tätigkeitsbereichen und -profilen entstehen aber
auch vielfältige Beratungsanliegen für die Fragen und Probleme, die das
neue Altern mit sich bringt, die weit über das eigentliche Feld der Sozialen
Altenarbeit hinausreichen. Modernisierung, Pluralisierung und Individua-
lisierung verändern Lebenslagen im Alter, traditionelle Familienmuster
und -bezüge werden auch im Alter brüchiger. So sind beispielsweise ange-
sichts steigender Scheidungszahlen auch ältere Paare vermehrt eine Ziel-
gruppe für die Ehe- und Familienberatung (vgl. Beck-Gernsheim 1993:
160). Sie sind eine zunehmende Größe in der Suchtberatung (vgl. Have-
mann-Reinecke et al. 1998) und in anderen „klassischen“ Feldern Sozialer
Arbeit, die so zunehmend mit Fragen des Alterns befasst sind.

14
Soziale Arbeit in gerontologischen Arbeitsfeldern und im Gesundheitswesen

3 Fallbeispiel

Beschreibung der Ausgangssituation

Frau Bauer, heute 65 Jahre alt, ist vor 3 Jahren vorzeitig aus dem Schul-
dienst ausgeschieden, nachdem sie insgesamt mehr als 1 Jahr vorher
krankgeschrieben und anschließend zu einer Anschlussheilbehandlung in
einer Rehabilitationsklinik war. Bis auf eine 6-jährige Unterbrechung,
nach der Geburt ihrer beiden Kinder, hat Frau Bauer seit dem Abschluss
ihres Studiums an der Pädagogischen Hochschule immer als Lehrerin ge-
arbeitet. Der Beruf war ihr sehr wichtig – besonders der regelmäßige und
intensive Kontakt zu Kindern und Jugendlichen hatte für sie immer einen
hohen Stellenwert. Deshalb hat sie auch, als ihre eigene Familie und die
flügge werdenden Kinder sie nicht mehr so dringend wie vorher brauch-
ten, zusätzliche Aufgaben an der Schule übernommen. Zum Beispiel baute
sie eine jahrgangsübergreifende Theater-AG auf, die bei Schülern und El-
tern sehr beliebt war. Einmal im Jahr entwickelte sie, gemeinsam mit den
Kindern und Jugendlichen, ein eigenes Stück, das dann im Rahmen des
Schulfestes, aber auch öffentlich aufgeführt wurde. Frau Bauer war dabei
als Regisseurin und Theaterpädagogin tätig, aber auch für die Beschaf-
fung der Kostüme und Requisiten zuständig. Ein Stück weit konnte sie so
ihren alten Jugendtraum verwirklichen, denn sie hatte eigentlich immer
Schauspielerin werden wollen. Dass sie dann aber doch den Beruf der
Lehrerin ergriffen hatte, lag einerseits an ihren Eltern, die mit der Schau-
spielerei nicht einverstanden waren, andererseits erschien ihr letztlich
aber auch selbst der mit dem Lehramt verbundene Beamtenstatus sehr si-
cher und attraktiv.

In den letzten Berufsjahren hatte sich die Situation an der Schule sehr ver-
ändert. Das Kollegium war nach dem Ausscheiden einiger älterer Kolle-
ginnen und Kollegen stark verjüngt - auch der alte Rektor, der ihre Arbeit
immer sehr anerkannt hatte, ging in Pension. Frau Bauer fühlte sich im-
mer weniger wertgeschätzt. Mit den Schülern, die sie als immer schwieri-
ger werdend empfand, war sie zunehmend überfordert. Sie fühlte sich häu-
fig ausgelaugt und erschöpft, die Theater-AG führte sie schließlich nicht
                                                                            15
Methoden und Konzepte der Sozialen Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern

weiter. Morgens musste sie sich oft zum Aufstehen zwingen. Am liebsten
hätte sie sich verkrochen und ihr wurde immer schneller alles zu viel –
eindeutige Zeichen eines Burn-out-Syndroms. Hinzu kamen oft starke
Kopf- und Rückenschmerzen, schließlich ein Bandscheibenvorfall, der die
lange Krankheitszeit nach sich zog.

Frau Bauer war mehr als 31 Jahre verheiratet. Ihr Mann, der sich in der
Pharmaindustrie mit viel Ehrgeiz eine sehr gut bezahlte Position erarbei-
tet hatte, starb vor 5 Jahren überraschend an einem Herzinfarkt. Erst kurz
vorher hatte er sein Berufsleben beendet und bezog gerade mal 8 Monate
seine Rente. Seitdem lebt Frau Bauer alleine in ihrer geräumigen Eigen-
tumswohnung in einem sehr bürgerlichen Stadtteil in Freiburg. Der Sohn
hat BWL studiert und seit einigen Jahren eine attraktive Stelle in Südame-
rika. Er besucht die Mutter ein- bis zweimal jährlich. Ansonsten sind sie
per Mail und Skype in Verbindung. Die Tochter lebt mit ihrer Familie,
dem Ehemann und den beiden 8 und 10 Jahre alten Enkeln in Nord-
deutschland. Sie ist als Erzieherin halbtags tätig und mit Beruf und Fami-
lie zeitlich sehr stark eingebunden. Der Kontakt zur Mutter war immer
sehr eng, aber auch sie schafft es nicht häufiger als ihr Bruder, zur Mutter
nach Freiburg zu kommen. Vor allem die Tatsache, dass die Enkel so weit
entfernt von ihr aufwachsen, schmerzt Frau Bauer sehr. Materiell ist sie
gut abgesichert. Die Eigentumswohnung ist schuldenfrei und sie erhält,
neben einer Witwenrente, inzwischen auch ihre eigene Pension. Frau
Bauer könnte sich also das Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten
und genießen.

Tatsächlich fühlt sie sich aber häufig sehr allein und sie sieht in ihrem Le-
ben keinen wirklichen Sinn mehr. Nur wenn die Kinder und Enkel zu Be-
such kommen, blüht sie auf. Ansonsten zieht sie sich sehr stark zurück und
hat wenig soziale Kontakte.

16
Sie können auch lesen