Soziale Arbeit zwischen Geschäft und Auftrag - Der Skandal um die Treberhilfe Berlin sollte zum Umdenken anregen - Nomos eLibrary
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Thema
Soziale Arbeit zwischen
Geschäft und Auftrag
Der Skandal um die Treberhilfe Berlin sollte zum Umdenken anregen
■ Eva Douma
Der Maserati
Soziale Dienste und Einrichtungen müs-
sen wirtschaftlich arbeiten. Allerdings zie- Analog zur »Favela-Tour« in Brasilien
hen sie ihre Daseinsberechtigung vor al- wollte Ehlert den Berlin-Touristen
lem daraus, wie sie mithelfen, gesellschaft- »Rundfahrten durch das soziale Berlin«
liche und individuelle Not zu lindern. bieten. In Lateinamerika können Touri-
sten eine geführte Tour durch einen Slum
Ein schillernder Sozialunternehmer aus buchen. Echte Armut kann auf diese
Berlin gerät in die Presse, weil er mit über- Weise live betrachtet werden. Der (ehe-
höhter Geschwindigkeit in seinem Dienst- malige oder noch aktive) Drogenhändler
wagen – einem Maserati – durch die Ge- führt durch die Blechhütten und erzählt
gend fährt, eine schicke Dienstvilla in gu- von seinen Geschäften. Ein echtes Aben-
ter Lage am See bewohnt und darüber teuer für die, die es mögen. Ein neues Bu-
hinaus im Jahr 2009 ein Jahresgehalt von siness entsteht. Schließlich brauchen die
über 300.000 Euro bezog. Finanziert Touristen nicht nur Favelaführer, sie kon-
wurde das Ganze mit Steuergeldern der sumieren auch und schaffen auf diese
nicht gerade wohlhabenden Stadt Berlin. Weise neue Arbeitsplätze.
Auch wenn viel über den Geschäftsfüh- Ehlert wollte in Berlin Ähnliches auf-
rer der Treberhilfe Berlin Harald Ehlert ziehen. Im dicken Auto sollten Touristen
zu lesen war, so sind Fragen offen: in das Berlin der sozialen Habenichtse ge-
• Handelt es sich tatsächlich um einen führt werden. Zu diesem Zweck wurde
Skandal? Und wenn ja, was genau ist ein Maserati angeschafft. Und weil der
das Skandalöse? Wagen nun »eh da« war, nutzte Ehlert
• Handelt es sich um einen (bedauer- ihn zugleich als Dienstwagen. Schließlich
lichen) Einzelfall oder liegt der Fehler kostet ein Auto, das herumsteht, mehr als
im System und müssen wir künftig mit eines, das fährt. Und Ehlert denkt und
mehr Ehlerts rechnen? handelt gern ökonomisch.
• Und schließlich: Lässt sich aus dem Fall Aber was in lateinamerikanischen
der Treberhilfe etwas für andere Ein- Großstädten funktioniert, funktioniert(e)
richtungen der Sozialen Arbeit lernen? (noch?) nicht in Berlin. Die Touren wur-
Und wenn ja, was? den nicht nachgefragt. Weil die Berlin-
Auch wenn erst nach der Dienstwagen- Touristen doch Scheu haben, sich das
Affäre die Ermittlungsverfahren eingeleitet Elend aus den getönten Scheiben eines
wurden – zumindest in Berlin war das Oberklassewagens anzuschauen? Weil
Meiste schon zuvor bekannt, und es wurde Berlin und die Berliner nicht arm genug
in den letzten Jahren wenig beanstandet. sind und die betreuten Wohneinrichtun-
Die Arbeit der Treberhilfe war in Berlin an- gen der Treberhilfe langweilig sind im
erkannt. Der Geschäftsführer Harald Eh- Vergleich zu den bunten Hütten der Fa-
lert galt als »findiger Sozialunternehmer«. vela? Weil der letzte Kick fehlt? Selbst in
(1) Wirtschaftlich war die Einrichtung sehr Neukölln kann man durchaus ohne Gui-
Dr. Eva Douma studierte Sozial- und erfolgreich. Erst im Frühjahr 2010 wird als des durch die Straßen laufen. Mit Quer-
Verwaltungswissenschaften an der unpassend empfunden, dass Ehlert als Ge- schlägern muss man hier nicht wirklich
Universität Bielefeld und der Hochschule schäftsführer einer Obdachlosenorganisa- rechnen. Der Drogenhandel Berlins wird
für Verwaltungswissenschaften in tion das Geld mit den Ärmsten der Armen selten offen mit der Waffe auf der Straße
Speyer. Nach einer Referententätigkeit verdient und es sich selbst gutgehen lässt. ausgetragen.
beim Paritätischen Landesverband Der aktuelle Vorwurf lautet: persönliche Vielleicht haben die Touristen aber
Hessen machte sie sich 1997 als Bereicherung des Geschäftsführers. auch andere Erwartungen. Berlin hat
freiberufliche Organisationsberaterin Was macht den Fall zum Skandal? Ist nicht das Image von Rio. Kultur statt
und Trainerin selbstständig. es der Maserati als solcher? Das Jahresge- Platte und Suppenküche. Vielleicht war es
Internet http://www.douma.de halt des Geschäftsführers? Die Villa? einfach schlechtes Marketing oder der
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fehlende Wille, die Maseratitouren zu sind. Soweit ist die Miete, die Ehlert für »Manager Magazin« ein Bankgeschäfts-
vermarkten? Was auch immer die Grün- die Dienstwohnung vereinbarte, wahr- führer im Durchschnitt 238.000 Euro im
de dafür waren, dass es mit den touristi- scheinlich orts- und branchenüblich. Zu- Jahr. In der Sozialwirtschaft bekam ein
schen Fahrten ins soziale Berlin nichts dem sollte die Villa vor allem als Ta- Geschäftsführer (Geschäftsführerinnen
wurde, der Maserati war nun schon ein- gungshaus genutzt werden. Und wenn die gibt es nur wenige) im Durchschnitt
mal da und wurde als Dienstwagen durch Villa ohnehin da ist, dann kann Ehlert knapp 66.000 Euro. Das Durchschnitts-
Herrn Ehlert weiterhin genutzt. »Eh-da- auch »eh da« wohnen – wieder ganz öko- gehalt über alle Branchen und Betriebs-
Kosten« entwickelten sich zu »Ehlert- nomisch gedacht. Zunächst wurde die größen hinweg lag damals noch bei circa
Kosten«. Ist das angemessen? Villa aufwändig renoviert und mit Ka- 95.000 Euro (3) Seitdem sind die Ge-
Die Unternehmensberatung Kienbaum min, Sauna und Whirlpool ausgestattet. schäftsführungsgehälter stark gestiegen.
kam im Jahr 2006 in einem Gutachten Schicke Tagungshäuser gibt es in der So- Wie das Wochenmagazin »Focus« vier
zur Treberhilfe zu dem Schluss, dass der zialbranche mittlerweile häufiger. Jahre später berichtet, lag – über alle
Maserati im Wert von 112.000 Euro bei Schließlich will, wer professionell arbei- Branchen hinweg – das durchschnittliche
einer jährlichen Fahrleistung von 35.000 tet, sich auch professionell bilden. Auch Gehalt eines Geschäftsführers im Jahr
Kilometern ein angemessenes Fahrzeug in der Sozialwirtschaft gehören das Bad 2008 bei 280.000 Euro. Die Spanne
sei. Nun spielt in der Welt der Kienbaums auf dem Gang, verstaubte Räume und reichte dabei von 60.000 Euro brutto bis
das Auto eine besondere Rolle. Der knarzende Holzstühle weitgehend der zu 2,7 Millionen pro Jahr. Ein Drittel der
Dienstwagen ist schon für den Juniorbe- Vergangenheit an. Geschäftsführer verdiente bis zu 180.000
rater eine Selbstverständlichkeit. Wer kei- Also alles im grünen Bereich? Nicht Euro, ein weiteres Drittel vereinnahmte
nen hat, ist ein Nichts, ein Versager. Wer ganz. In Caputh fügte es sich so, dass in zwischen 180.000 und 270.000 Euro. Elf
lieber Bahn fährt, sollte trotzdem nicht der Villa gar keine Seminare stattfanden. Prozent bekamen mehr als 500.000 Euro.
auf den Parkplatz (nahe dem Hauptein- Dafür gab es einen Pavillon im Garten. (4)
gang) verzichten. Fein abgestimmt nach Und so steht die Villa faktisch Herrn Eh- Ehlerts Gehalt lag damit zum Schluss
Automarke, Hubraum und Anzahl der lert ganz zur Verfügung. Dafür ist eine im unteren Bereich des obersten Drittels
Auspuffe lässt sich der Stellenwert und Miete von knapp 900 Euro auch in Bran- aller Geschäftsführungsgehälter. Bezogen
die Durchsetzungsfähigkeit der Beschäf- denburg ein echtes Schnäppchen. Und auf die in der Sozialbranche gezahlten
tigten schon auf dem Parkplatz ablesen. was anfangs noch so aussah, als wenn die Geschäftsführungsgehälter war sein Ge-
Autos der Mittel- und Oberklasse gibt es Sache vor allem der Treberhilfe dient, ist halt mehr als überdurchschnittlich. Wer
auch in Vorstandsetagen der Sozialwirt- am Ende nur noch zum Nutzen des Herrn heute als Geschäftsführer der Sozialwirt-
schaft. Und für einen Audi kann man Ehlert. schaft 100.000 Euro erhält – was in Ein-
auch 100.000 Euro ausgeben. Der Mase- zelfällen sein kann –, ist in seiner Branche
rati als Dienstwagen in der Sozialwirt- sehr gut bezahlt. Charakteristisch ist für
schaft ist wohl vor allem stilistisch unan- Das Geschäftsführergehalt Geschäftsführungsgehälter, dass neben ei-
gemessen. nen Grundgehalt vor allem Boni und
Nachdem das Gehalt Ehlerts (322.000 Sonderzahlungen vereinbart werden
Euro im Jahr 2009) über Jahre hinweg (können). Besondere (einmalige) Leistun-
Die Villa am See kein öffentliches Thema war, geriet die gen werden besonders vergütet. Leistung
Zahl Anfang des Jahres 2010 in die soll sich doch lohnen. Und auch in der
Für monatlich 870 Euro Miete be- Schlagzeilen. Als unpassend wird emp- Sozialwirtschaft gilt als erfolgreich, wer
wohnt Ehlert eine 89 Quadratmeter gro- funden, dass der Geschäftsführer einer Geld verdient. Hat Ehlert so Überdurch-
ße Dienstwohnung in einer renovierten Obdachlosenorganisation es sich selbst schnittliches geleistet, dass dies ein Gehalt
Villa inklusive Weinkeller und Nutzung gutgehen lässt. Aber muss der Verant- von mehr als 300.000 Euro rechtfertigt?
von Bootshaus, Steg und Garage – so ver- wortliche einer Einrichtung, die Soziale Wie steht es um die individuelle Leistung
meldet es der »Spiegel« im Frühjahr Arbeit an den Brennpunkten der Gesell- von Herrn Ehlert?
2010. (2) Die Villa liegt in Caputh in schaft macht, in Sack und Asche gehen? Von 2006 bis 2009 verdoppelte sich
Brandenburg. Schöne Villen und Seen Sollte er selbst von Obdachlosigkeit be- die Zahl der Arbeitsplätze der Treberhilfe
gibt es im Umland von Berlin zuhauf. Das droht sein oder darf er ein gutes Leben auf insgesamt 260. An mittlerweile 28
Wohnen ist hier nicht sehr teuer. Der Ber- führen? Was verdienen andere Geschäfts- Standorten bietet die Treberhilfe Hilfean-
liner Wohnungsmarkt ist mit dem in führer? gebote für Obdachlose an. Als Anteilseig-
München oder Frankfurt am Main nicht Die Beurteilung eines Geschäftsführer- ner an der gGmbH übernahm Ehlert
vergleichbar. Günstige Dienstwohnungen einkommens ist von vielen Faktoren ab- Haftungsrisiken in Millionenhöhe. Der
stellen auch andere Träger der freien hängig. Typische Kriterien sind die Bran- Einnahmeüberschuss stieg laut »Tages-
Wohlfahrt ihren Mitarbeitenden zur Ver- che (bei Banken gibt es für dieselbe Arbeit spiegel« innerhalb eines Jahres von
fügung. Das Leben im Pfarrhaus (in der mehr Geld als in der Gastronomie) und 600.000 Euro im Jahr 2008 auf 900.000
Regel im Zentrum des Ortes, gleich bei die Größe des Unternehmens (je mehr Euro im Jahr 2009, der Umsatz von 12
der Kirche gelegen) kostet auch nicht die Umsatz je Beschäftigten ein Unternehmen auf 13 Millionen Euro. (5) Die meisten
Welt. Wer zudem den Immobilienmarkt hat, desto höher ist in der Regel das Ein- der durch die Treberhilfe erbrachten Leis-
in Caputh studiert, sieht, dass hier viele kommen der Geschäftsführung). Im Jahr tungen sind entgeltfinanziert. Überschüs-
schöne Villen für kleines Geld zu mieten 2004 verdiente laut Gehaltsreport des se wurden – so die Website »paperpress
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Blätter der Wohlfahrtspflege 6/2010 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 10.11.2021, 18:35:28. 229
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Jugend- und kommunalpolitischer Presse- Ehlert selbst ist sich keiner Schuld be- Steuern und Sozialabgaben – kommt. Für
dienst Berlin« durch eine – im Vergleich wusst. Er rechtfertigt die Villa, das Auto, die Treberhilfe errechnete Ehlert auf die-
zu anderen Anbietern – überdurch- das gute Gehalt für sich öffentlich. se Weise eine Rendite von 15 Prozent.
schnittliche Auslastung erzielt. (6) Schließlich wolle, müsse er als »Sozial- Der »findige Unternehmer« Ehlert la-
Weder das Gehalt noch das Geschäfts- unternehmer« auch »auf Augenhöhe« gerte 2005 den Geschäftsbetrieb des Ver-
gebaren Ehlerts wurden über Jahre hin- mit seinen Vertragspartnern aus der Wirt- eins in eine gemeinnützige Gesellschaft
weg moniert. Die Firma Kienbaum, die schaft agieren. Sponsorengelder gewänne mit beschränkter Haftung aus. Diese
jährlich die Treberhilfe prüfte, kam zu man nicht im Büßerhemd, sondern als Er- gGmbH gehört zur Hälfte dem weiterhin
dem Ergebnis, dass das (in den vergange- folgsmensch. Dazu gehörten die Insignien bestehenden Verein der Treberhilfe.
nen Jahren stark steigende Gehalt) Eh- des Erfolges (»mein Haus, mein Auto ...«) Während der Verein Mitglied im Paritäti-
lerts durchaus angemessen sei. Nicht nur Und schließlich, wer schwer und profes- schen Wohlfahrtsverband blieb, wurde
die gGmbH Teil des Diakonischen Wer-
kes, das als Tendenzbetrieb den TVöD
nicht anwendet. Durch untertarifliche
Gehälter, flexible Arbeitsverträge, die
Verlagerung von Regie- und Ausfallzeiten
»Soziale Leistungen werden heute wie auf die Mitarbeitenden und durch unbe-
zahlte Mehrarbeitsstunden konnte der
der Bau eines Kanals ausgeschrieben« Anteil der Personalkosten, der in diesem
Bereich üblicherweise bei 80 Prozent
liegt, auf 60 Prozent verringert werden,
wie der Deutsche Berufsverband für sozi-
ale Arbeit publik machte.
Über Jahre hinweg hat Ehlert die Tre-
Kienbaum hatte nichts zu beanstanden. sionell arbeite, könne dies nicht mit berhilfe zu seinem Unternehmen gemacht
Auch der Paritätische Wohlfahrtsver- schlechter Ausstattung, sollte es auch in – auch im wörtlichen Sinne. Der zweite
band, bei dem der Verein der Treberhilfe angenehmer Umgebung tun. Gesellschafter ist Harald Ehlert selbst. Als
Mitglied war, das Diakonische Werk – Zweifelsohne hat Ehlert innerhalb von Anteilseigner gehörten ihm 50 Prozent
u. a. Träger der gGmbH –, der Senat der 20 Jahren ein beachtliches Werk geschaf- der gGmbH. (Die Anteile wurden im
Stadt Berlin, der erheblich zur Finanzie- fen. Aus einem kleinen Verein schuf er ei- Frühjahr auf öffentlichen Druck ver-
rung der Treberhilfe beitrug, sie alle inter- nen »Big Player« der Sozialwirtschaft in kauft.) Der Eigner Ehlert entscheidet über
venierten – zumindest öffentlich – nicht. Berlin. Mit »Kampfpreisen« eroberte die das Gehalt des Geschäftsführers Ehlert.
Fragt man Vorstände und Geschäftsfüh- Treberhilfe den Markt der Berliner Ob- Das hat ein »Geschmäckle«. Aber ein
rer anderer sozialer Einrichtungen, wird dachlosenarbeit. 10.000 Obdachlose gab Vereinsvorstand, der aus Beschäftigten
in der Regel ein Jahresgehalt von bis zu es im Jahr 2008 in Berlin. Um die 3.000 des Vereins besteht, ist auch nicht ganz
100.000 Euro als ein noch angemessenes Obdachlose wurden durch die Treberhil- frei und unabhängig. Insoweit bauen die
Gehalt genannt. Zu fragen bleibt, ob der fe versorgt. 28 Millionen Euro gab der Se- Strukturen der Treberhilfe Berlin durch-
Maßstab Kienbaums der Richtige für die nat im Jahr für die Betreuung und Hilfe aus auf bekannten Strukturen der Bran-
Sozialwirtschaft ist und inwieweit Leis- von Obdachlosen aus. 12 Millionen Um- che auf. In der Privatwirtschaft entschei-
tungsprämien in der Sozialen Arbeit an- satz machte die Treberhilfe vor allem mit det ohnehin jeder Firmeninhaber selbst,
gebracht sind. öffentlichen Zuwendungen und Entgel- wie hoch seine Privatentnahme ist.
ten. Wer wirtschaftlich denkt – und das ist
Noch im Februar 2010 machte Ehlert Herrn Ehlert sicherlich zuzugestehen –,
Einzelfall oder Systemfehler? von sich reden, als er gemeinsam mit der hört mit dem ökonomischen Denken
Kienbaum, Arbeiterwohlfahrt und Dia- nicht automatisch auf, wenn es um ihn
Die Villa, das Geschäftsführergehalt, konie eine Tagung zum »Social Profit« in selbst geht. So innovativ er bei der Ge-
das Geschäftsgebaren des Herrn Ehlert Berlin durchführte. Als »Social Profit« staltung der Berliner Obdachlosenarbeit
werden über Wochen in der Presse bezeichnet Ehlert den Gewinn, den jeder war, so innovativ ist er auch in der Ge-
bundesweit thematisiert. Die Fragen, im Sozialbereich investierte Euro für den staltung der finanziellen Regelungen zu
die sich stellen, sind: Ist Ehlert der be- Staat erwirtschaftet. »Social Profit« ent- seinen Gunsten.
rühmte Ausnahmefall oder liegt der stehe, wenn das in den Sozialbereich »in- Wo Geld der Maßstab für Erfolg ist,
Fehler im System? Wäre der Fall Ehlert vestierte« Geld dem Staat an anderer Stel- wird es akquiriert. Lauter und unlauter.
zu verhindern gewesen oder sehen wir le Ausgaben erspare. So können beispiels- Soziale Arbeit findet dann nicht aus mo-
an diesem Beispiel, was noch auf die So- weise Gefängniskosten durch erfolgreiche ralischen, sondern aus finanziellen Grün-
zialwirtschaft zukommen wird? Ist das Resozialisation vermieden werden. »Soci- den statt. Gemacht wird, was bezahlt
Verhalten von Harald Ehlert die logi- al Profit« entstehe auch, wenn durch die wird. Es lässt sich durchaus trefflich dar-
sche Konsequenz von ökonomischen Soziale Arbeit – beispielsweise die Ver- über streiten, ob der Weg der Wohlfahrt
Denken und Handeln? Ist das alles ganz mittlung von Arbeitslosen in Arbeit – der in die Sozialwirtschaft der richtige ist.
normal? Staat zu neuen Einnahmen – nämlich Wenn allerdings Soziale Arbeit dem Pri-
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mat des wirtschaftliches Denken unter- fen Transparenz und fördern die Gleich-
liegt, dann werden in Zukunft die Ehlerts behandlung. Aber sie beschränken auch
NomosKommentar
mehr werden. Wer primär ökonomisches die Handlungsmöglichkeiten. Und die
Denken fordert, sollte sich nicht wun- besten Leitlinien nutzen nichts, wenn sie
dern, wenn ökonomisch handelnde Ge- nicht durchgesetzt werden.
Gassner | Richter
schäftsführer auch ökonomisch im Hin- Geht es tatsächlich um die Rettung der
blick auf die eigenen wirtschaftlichen Welt – oder zumindest der Obdachlosen Wohn- und
Betreuungsvertragsgesetz
Interessen handeln. Berlins? Soll gute Arbeit für hilfsbedürfti-
Vor Jahren diente Soziale Arbeit weit- ge Menschen geliefert werden? Soll Sozi-
gehend dem »guten Zweck«. Finanziert ale Arbeit nicht nur ein Geschäft sein? Handkommentar
wurde, was »gebraucht« wurde. Politisch Wer diese Fragen aufrichtig mit Ja beant-
wurde entschieden, was notwendig ist. In wortet, für den besteht die begründete
den letzten Jahren entwickelte sich die So- Hoffnung, ethisch handelnde, motivierte
ziale Arbeit zu einem »Business«. Die Or- und qualifizierte Menschen für verant- Nomos
ganisationsstrukturen wurden vor allem wortliche Tätigkeiten zu finden – durch-
unter ökonomischen Gesichtspunkten aus auch für kleines Geld. Der eigene Ge-
weiter professionalisiert. Gemacht wird, haltsverzicht ist aber mit einer höheren Wohn- und Betreuungs-
wofür es Geld gibt. moralischen Zufriedenheit und echter vertragsgesetz
Soziale Leistungen werden heute durch Gestaltungsmöglichkeit zu kompensie- Handkommentar
Kommunen wie der Bau eines Kanals ren. Für wenig Gehalt nur gute Kennzah-
Von Christina Gassner und
ausgeschrieben. Leistungsverträge regeln, len zu liefern, macht und gibt keinen
RA Ronald Richter
welche Leistungen erbracht werden. Wie Sinn.
2011, ca. 250 S., geb., ca. 59,– €,
dies im Detail erreicht wird, ist der unter- Soll Soziale Arbeit primär dem »guten
ISBN 978-3-8329-4871-9
nehmerischen Freiheit der Auftragnehmer Zweck« dienen und nicht nur ein Ge-
überlassen. Die Aufträge werden zumeist schäft sein, dann muss der Fokus (wieder) Erscheint ca. April 2011
nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten weniger auf dem rein wirtschaftlichen Er- Das Wohn- und Betreuungsver-
(der preiswerteste Bieter bekommt den folg und mehr auf der Gestaltung der So- tragsgesetz (WBVG) stärkt den
Zuschlag) an gemeinnützige und immer zialen Arbeit liegen. Hierzu braucht es Schutz älterer, pflegebedürfti-
mehr auch an private Anbieter vergeben. angepasste Organisationsstrukturen, die ger und behinderter Menschen;
Wenn Soziale Arbeit zunehmend nach weniger nach Effizienzkriterien à la Kien- es schützt vor Benachteiligung
den Regeln des Kanalbaus organisiert baum, Berger und McKinsey gestaltet bei Verträgen, die für die Über-
wird, dann sind Organisationsstrukturen sind, sondern sich an den Notwendigkei- lassung von Wohnraum mit
der Kanalbau-Branche die Konsequenz. ten einer effektiven Sozialen Arbeit orien- Pflege- oder Betreuungsleistun-
Niemand zwingt die Stadt Berlin, Sozial- tieren. gen geschlossen werden.
leistungen wie Bauleistungen auszuschrei- Hier liegt durchaus ein großes Entwick-
ben und den Zuschlag der Organisation lungspotential. Die Frage, welche Aus- Der Kommentar erläutert
mit den niedrigsten Preisen zu vergeben. stattung man für die Soziale Arbeit umfassend dieses neue Ver-
Dass Soziale Arbeit heute so ist, wie sie braucht, ist diskussionswürdig und geht braucherschutzgesetz, welches
ist, ist die Folge politischer Entscheidun- über die reine Geldfrage hinaus. Notwen- auf Bundesebene einheitliche
gen für oder gegen etwas. dig ist hierfür allerdings ein erneutes Um- Regelungen zum Heimvertrag
denken in Politik und Sozialwirtschaft. ◆ schafft. Die Schwerpunkte lie-
gen dabei u.a. auf dem Informa-
Was sich aus dem Fall der tionsanspruch der Bewohner,
Anmerkungen der Angemessenheit des verein-
Treberhilfe lernen lässt barten Entgelts, den Anpas-
Wer die Verquickung von persönlichen (1) »Der Spiegel« 15/2010, S. 34. sungsmöglichkeiten des Ver-
Wohltaten (Wohnen, Dienstwagen) und (2) »Der Spiegel« 15/2010, S. 34. trags bei Änderung des Pflege-
Arbeit vermeiden will, braucht klare Leit- (3) Internet http://www.manager-maga- oder Betreuungsbedarfs sowie
linien, die es zudem durchzusetzen gilt. zin.de/koepfe/karriere/0,2828, den Regelungen zur Kündigung
Wer erhält welches Gehalt mit welcher 326277,00.html, Stand 09.11.2004. des Heimvertrages. Berücksich-
Qualifikation? Ab welcher Position hat (4) Internet http://www.focus.de/finan- tig wird zudem das Verhältnis
wer Anspruch auf einen Dienstwagen zen/news/arbeitsmarkt/geschaefts- zu den bereits bestehenden
welcher Größe? Welches Büro in welcher fuehrer-280-000-euro-durchschnitts- Landesheimgesetzen.
Ausstattung steht wem zu? Zu welchem gehalt_aid_342335.html, Stand 21.
Preis ist eine Dienstwohnung zu vergeben 10.2008.
und an wen, nach welchen Kriterien? (5) Tagesspiegel, 22.12.2008.
Welcher Antrag ist mit wie viel Durch- (6) Paperpress Vermerk i.S. Ehlert, Hans-
schlägen zu erstellen und von wem zu be- Harald (Treberhilfe Berlin gGmbH);
scheiden? Leitlinien des Handelns schaf- Internet http://www.paperpress.org.
https://doi.org/10.5771/0340-8574-2010-6-228
Blätter der Wohlfahrtspflege 6/2010 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 10.11.2021, 18:35:28. 231
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.»Ein wichtiges Merkmal eines realistischen und
systemorientierten Unternehmungsbildes
ist die Tatsache, dass eine Unternehmung
nicht jene strenge Rationalität aufweist,
die ihr in der klassischen Betriebswirtschaft unterstellt wird.«
Prof. Dr. Fredmund Malik,
österreichischer Managementberater (geb. 1944)
»Die meisten Fehler machen Unternehmen,
wenn es ihnen gutgeht, und nicht, wenn es ihnen schlechtgeht.«
Alfred Herrhausen (1930–1989), deutscher Bankier
»Sooft etwas Wichtiges im Kloster zu behandeln ist,
soll der Abt die ganze Gemeinschaft zusammenrufen
und selbst darlegen, worum es geht.«
Die Benediktsregel (zugeschrieben Benedikt von Nursia,
italienischer Abt, um 480–547)
»In allem nur dem Vorteil nachgehen bringt viel Ärgernis.«
Konfuzius, chinesischer Philosoph (551–479 v. Chr.)
»Die gegenwärtige Krise ist keine vorübergehende
Unterbrechung des Wirtschaftswachstums,
sondern dessen Ergebnis.«
André Gorz, österreichisch-französischer Philosoph (1923–2007)
»Jeder schließt von sich auf andere und
berücksichtigt nicht, dass es auch
anständige Menschen gibt.«
Heinrich Zille, deutscher Maler (1858–1929)
»Es gibt nicht zwei Sorten von Anständigkeit,
und was ein anständiger Mensch nicht darf,
das darf auch ein anständiger Staat nicht.«
Theodor Fontane, deutscher Schriftsteller ( 1819–1898)
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