Speicheldiagnostik und die erweiterte ökologische Plaquehypothese - Eine Standortbestimmung

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Speicheldiagnostik und die erweiterte ökologische Plaquehypothese - Eine Standortbestimmung
ZAHNERHALTUNG

Speicheldiagnostik und die
erweiterte ökologische Plaquehypothese –
Eine Standortbestimmung
Lutz Laurisch

   Indizes
   Erweiterte ökologische Plaquehypothese, Speicheltest, Kariesrisiko, Streptococcus mutans,
   Laktobazillen, diagnosebasierte Individualprophylaxe, funktionelle Speichelparameter,
   Kariesrisikodiagnostik

   Zusammenfassung

   Welche Faktoren spielen bei der Kariesentstehung eine relevante Rolle und wie lassen sie sich zum
   Nutzen der zahnmedizinischen Versorgung identifizieren? Die Entstehungshypothesen zur Ätiologie
   und Pathogenese der Karies (Plaquehypothesen) haben sich in den vergangenen Jahrzehnten
   weiterentwickelt. Parallel wurde kontinuierlich nach entsprechend geeigneten Risikoparametern
   gesucht, um im klinischen Alltag das Erkrankungsgeschehen vorhersagen zu können. Mikrobielle
   und funktionelle Speichelparameter werden in diesem Zusammenhang als Bestandteil einer
   Kariesrisikodiagnostik intensiv diskutiert. Die Weiterentwicklung der Plaquehypothesen hat dabei
   zwangsläufig auch Veränderungen in der Interpretation der Befunde zur Folge, die durch eine
   Speicheldiagnostik erlangt werden. Der Artikel fasst die Entwicklungen und Interpretationen der
   Speicheldiagnostik in den letzten Jahrzehnten zusammen und gibt Hinweise dazu, wie die erlangten
   Befunde im Konzept der erweiterten ökologischen Plaquehypothese zu interpretieren sind. Allein die
   Präsenz von Plaque kann nicht die alleinige Diagnose zur Indikation und Durchführung präventiver
   Maßnahmen sein. Eine umfassende Risikodiagnostik und Einbeziehung aller wichtigen Parameter
   sollte immer die Grundlage für die zu planenden Behandlungsmaßnahmen darstellen.

Einleitung                                               sigkeit, da der Patient, der klinisch sichtbare kariöse
                                                         Läsionen hat, auch mit hoher Wahrscheinlichkeit
Individualprophylaxe grenzt sich historisch gesehen      neue Karies bekommen wird.
zur Gruppenprophylaxe ab. Da sich letztere zuerst           Doch genau die Entstehung einer neuen kariösen
in der Zahnheilkunde etabliert hat, wurden mit           Läsion soll durch die Individualprophylaxe ver­
der Einführung der Individualprophylaxe viele Ele­       hindert werden. Hier geht es um die Behand-
mente der Gruppenprophylaxe in die zahnärztliche         lung des Erkrankungsrisikos und nicht um die
Praxis übernommen. Eine dieser übernommenen              Be­handlung der Erkrankung selbst16 (Tab. 1). In­
Strategien ist die Bestimmung der aktuellen Karies­      sofern sind die Kriterien der Deutschen Arbeits­
gefährdung anhand der vorliegenden Kariespräva­          gemeinschaft für Jugendzahnpflege e. V. (DAJ)
lenz – ein Rückschluss aus der vergangenen Karies­       nicht hilfreich. Etwas ausführlicher sind die Defini­
erfahrung auf das gegenwärtige oder zukünftige           tionen der „American Dental Association“ (ADA)88
Risiko. Dies gelingt mit einer relativ hohen Zuverläs­   (Tab. 2).

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Speicheldiagnostik und die erweiterte ökologische Plaquehypothese - Eine Standortbestimmung
Lutz Laurisch

Tab. 1 Kariesrisikoeinteilung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege e. V. (DAJ).

 Alter                                                      dmf(t) bzw. DMF(S)
 bis 3 Jahre                                                dmf(t) > 0
 bis 4 Jahre                                                dmf(t) > 2
 bis 5 Jahre                                                dmf(t) > 4
 6 bis 7 Jahre                                              dmf(t) > 5, D(T) > 0
 8 bis 9 Jahre                                              dmf(t) > 7, D(T) > 2
 10 bis 12 Jahre                                            DMF(S) an Approximal-/Glattflächen > 0

Tab. 2 Kariesrisikodefinitionen der „American Dental Association“ (ADA).

 Niedriges Kariesrisiko bei             Mittleres Kariesrisiko                     Hohes Kariesrisiko
 Jugendlichen
 • keine kariösen Läsionen im letzten   • 1 kariöse Läsion im letzten Jahr         • mehr als 2 kariöse Läsionen im letzten
   Jahr                                 • tiefe Grübchen und Fissuren                Jahr
 • morphologisch günstige Form der      • mittelmäßige Mundhygiene                 • frühere Glattflächenkaries
   Grübchen und Fissuren                • inadäquate Fluoridanwendung              • erhöhte Streptoccocus-mutans-
 • gute Mundhygiene                     • weiße Flecken und/oder approximale         Werte
 • angemessene Fluoridanwendung           Radioluzenzen                            • tiefe Grübchen und Fissuren
 • regelmäßiger Zahnarztbesuch          • unregelmäßiger Zahnarztbesuch            • schlechte Mundhygiene
                                        • kieferorthopädische Behandlung           • keine oder kaum Fluoridanwendung
                                                                                   • weiße Flecken und/oder approximale
                                                                                     Radioluzenz
                                                                                   • häufiger Süßigkeitenverzehr
                                                                                   • unregelmäßiger Zahnarztbesuch
                                                                                   • zu geringer Speichelfluss
                                                                                   • zu lange Babyflaschennahrung oder
                                                                                     zu langes Stillen (Kleinkinder)

Tab. 3 Kariesrisikodefinitionen bei Kleinstkindern laut aktueller Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses [G-BA]
über die Früherkennungsuntersuchungen auf Zahn, Mund- und Kiefererkrankungen (FU-RL).

 Alter bis                                                  dmf(t)
 3 Jahre                                                    dmf(t) > 0
 4 Jahre                                                    dmf(t) > 2
 5 Jahre                                                    dmf(t) > 4
 6 Jahre                                                    dmf(t) > 5

   Die aktuelle Richtlinie des gemeinsamen Bundes­             Wie sollen aber solche strukturierten Prophylaxe­
ausschusses über die Früherkennungsuntersu­chun­            programme aussehen und auf welchen diagnosti­
gen auf Zahn, Mund- und Kiefererkrankungen (FU-RL)          schen Grundlagen sollten sie aufbauen? Insbeson­
definiert das Kariesrisiko bei Kleinstkindern wie in        dere wenn diese „das Ziel der Keimzahlreduktion
Tabelle 3 angegeben24. Gleichzeitig bestätigt aber die      durch geringeren Konsum zuckerhaltiger Speisen“
S2k-Leitlinie zur Kariesprophylaxe bei bleibenden           haben24. Grundsätzlich ist auch zu hinterfragen, ob
Zähnen, dass „insbesondere Patienten mit einem er­          es für die präventiv ausgerichtete Zahnarztpraxis
höhtem Kariesrisiko die Teilnahme an strukturierten         sinnvoll ist, das Kariesrisiko anhand des Karies­
Prophylaxeprogrammen empfohlen werden“ sollte.              befalls in der Vergangenheit zu bestimmen18.

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                                                          Abb. 1 Aufbringen einer Speichelprobe mittels Holzspatel
                                                          auf einen Agar (hier CRT bacteria, Fa. Ivoclar Vivadent,
                                                          Ellwangen).

Eine exakte Diagnose –                                    Entwicklung des Nachweises von
Basis aller zahnärztlichen                                Streptococcus mutans im Speichel
Behandlungen                                              Lange nach der Erstbeschreibung von SM durch
Nachdem Willoughby Dayton Miller seine chemo­             Clarke13 entwickelte Gold einen selektiven Agar zum
parasitäre Theorie der Kariesentstehung vorgestellt       Nachweis von SM. Er setzte einem Mitis-Salivarius-
hatte, beschäftigten sich wissenschaftliche Unter­        Agar Bacitracin (MSB-Agar) hinzu und nutzte so die
suchungen mit der Plaque bzw. dem Biofilm und             Tatsache aus, das SM unempfindlich gegenüber
den darin vorkommenden Bakterien60. Daraus ent­           Bacitra­cin ist. Allerdings ist die Haltbarkeit eines
wickelte sich die unspezifische Plaquetheorie, die        solchen Agars begrenzt, da sich Bacitracin schnell
postulierte, dass Plaque per se kariogen ist. Die un­     abbauen kann25.
spezifische Plaquehypothese sah die Erkrankung als           Zur Übertragung der Keime von der Mundhöhle
ein Zusammenspiel aller Plaquemikroorganismen             auf den Agar entwickelten Köhler und Bratthall die
an, wobei mehr Biofilm auch mehr Erkrankung be­           sogenannte Holzspatelmethode, bei der mittels
deutete. Kariespräventive Strategien zielten daher        „Abklatsch­technik“ Speichel auf einen Nährboden
auf die regelmäßige Plaqueentfernung. Dieses              aufgebracht wurde39 (Abb. 1).
Konzept spiegelt sich auch heute noch in der Tat­            Alaluusua und Jorden entwickelten 1984 einen
sache wider, dass vielerorts der Patient angehalten       Dipslide-Test, bei dem auf einen normalen Mitis-
wird, regelmäßig zu einer professionellen Zahn­           Salivarius-Agar eine Bacitracin-Tablette gelegt wur­
reinigung – als alleinige Leistung – in der Praxis zu     de. Aufgrund der Unempfindlichkeit gegenüber
erscheinen.                                               Bacitracin wuchsen in der bacitracinhaltigen Um­
   Diese unspezifische Plaquetheorie wurde später         gebung um die Tablette – dem sogenannten Hemm­
durch die spezifische Plaquehypothese abgelöst.           hof – ausschließlich SM. Hiermit umging man die
Sie postulierte, dass die bakterielle Zusammenset­        reduzierte Haltbarkeit des Mitis-Salivarius-Bacitracin-
zung der Plaque entscheidend für die Kariesent­           Agars von nur einigen Wochen. Mittels eines Charts
stehung ist und nicht die Plaque per se55,83,82.          konnte die Konzentration an SM im Speichel eva­
Als maßgebliche und wichtigste Keime wurden               luiert werden2 (Abb. 2 bis 5).
Laktobazillen (LB) und Streptococcus mutans (SM)             Laurisch adaptierte den allgemein bekannten
identifiziert. Infolge dessen entwickelten sich verein­   3-Ösen-Strich für den Nachweis von SM auf einer
fachte bakteriologische Untersuchungen – gemein­          Agarplatte. Bei dem sogenannten 3-Ösen-Strich wird
hin als „Speicheltest“ bezeichnet – mit dem Ziel, die     mit einer Öse (1 µl) Speichel nach einer besonderen
Keime auf einfache Art in ihrer Präsenz und Menge         Technik auf einem Agar ausgestrichen. Anhand der
nachzuweisen.                                             „Keimverschleppung“ konnten Rückschlüsse auf
                                                          den SM-Gehalt der Speichelprobe gezogen werden48
                                                          (Abb. 6 und 7).

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Abb. 2 Deutlich sichtbarer Hemmhof.                         Abb. 3 Kein Hemmhof, hohe Koloniedichte an
                                                            Streptococcus mutans (SM).

 a                              b                            a                          b
Abb. 4a und b sowie 5a und b Auswertungschart.

Abb. 6 Nachweis von Laktobazillen
(LB) auf Rogosa-Agar (3-Ösen-Strich).

Abb. 7 Nachweis von SM auf
Mitis-Salivarius-Bacitracin (MSB)-Agar
(3-Ösen-Strich).

   Aufgrund des von Alaluusua et al. nachgewie­s­           Produktion und Vertrieb dieses Testverfahrens wur­
enen Adhärenzvermögens von SM an Glasröhrchen               den vor einiger Zeit eingestellt.
und Plastikstäbchen entwickelten Jensen und Bratthall          Durch weitere Modifikation des Agars ent­-
an der Universität in Malmö den Dentocult SM                wickelte Laurisch 1997 einen hochselektiven Agar
Strip Mutans, der anschließend von Fa. Orion                für SM durch Anhebung der Zuckerkonzentration
Diagnostica in Espoo (Finnland) produziert wurde.           auf 41 %. Dieser wurde zusammen mit einem
Hierbei wurde ein Plastikspatel über die Zunge              Rogosa-Agar zum Nachweis von LB nach einem
gestrichen und anschließend in einem Flüssig­               speziellen Verfahren auf einen folienversiegelten
nährmedium bebrütet. Anhand der Kolonien (blau)             „Double dip“ aufgebracht. Der folienversiegelte
konnte ein Rückschluss auf die im Speichel ent­hal­         „Double dip“ ging zurück auf ein Patent der Fa.
tene Menge an SM gemacht werden28 (Abb. 8 bis 11).          Madaus in Köln. Die Folienversiegelung verlängerte

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Abb. 8 Der Plastikspatel wird über die Zunge gestrichen.   Abb. 9 Durch die leicht geschlossenen Lippen wird der
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Abb. 10 Wenig Nachweis von SM (blaue Kolonien auf          Abb. 11 Viel Nachweis von SM auf dem Plastikspatel.
dem Spatel).

                                                           Vertrieb des Testes eingestellt hat, wird dieser Test
                                                           seit 2018 von der Fa. Aurosan (Essen) als Karies­
                                                           ScreenTest auf der ursprünglichen Produktions­
                                                           maschine von Fa. Madaus produziert32–34,51 (Abb. 12).
                                                              Nach der Gewinnung einer Speichelprobe wird
                                                           dieser mit einer Pipette auf die Nährböden des
                                                           „Double dip“ verbracht. Nach einer Bebrütungszeit
                                                           von 48 Stunden können die Keimzahlen anhand
                                                           eines Chartdiagrammes abgelesen werden (Abb. 13
                                                           bis 15).
                                                              2009 brachte Fa. GC Germany (Bad Homburg)
                                                           Saliva-Check Mutans zum Nachweis von SM unter
Abb. 12 „Double dip“ zum Nachweis von SM und LB,           Verwendung monoklonaler Antikörper auf den
Rogosa-Agar (helle Seite) und SM-modifizierten MSB-Agar    Markt. Das Ergebnis konnte innerhalb von 15 Min.
(dunkle Seite, Abb. mit freundlicher Genehmigung von       abgelesen werden. Allerdings lag die Nachweis­
Fa. Ivoclar Vivadent, Ellwangen).                          grenze bei 500.000 Keimen SM/ml Speichel. Damit
                                                           war das Einsatzgebiet sehr beschränkt. Der Test war
                                                           sowohl in der frühkindlichen Prophylaxe als auch
die Haltbarkeit des MSB-Agars auf über 12 Monate,          bei der Verlaufskontrolle von Patienten im Recall
da sich das Bacitra­cin aufgrund des Luftabschlusses       nicht einsetzbar. Der Vertrieb des Testverfahrens
nicht abbauen konnte. Dieses Nachweisverfahren             wurde inzwischen eingestellt (Abb. 16 und 17).
wurde von Fa. Ivoclar Vivadent (Ellwangen) mit dem            Angeboten wird nur noch der Saliva-Check Buffer
Namen CRT bacteria in der Zahnheilkunde angebo­            (Fa. GC) zur Bestimmung funktioneller Speichel­
ten. Nachdem Ivoclar Vivadent die Produktion und           parameter. Diese umfassen pH-Wert, die Sekretions­

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   Bestimmung bakterieller Speichelparameter mit dem KariesScreenTest

               „Double dip“                           beide Agare                    NaHCO3 auf                 zwei Tage
             entnehmen und                      vollständig mit Speichel            den Boden des           Inkubationszeit bei
              Folie abziehen                            benetzen                   Röhrchens legen                37° C

    mit Auswertungschart              geringe Koloniedichte   hohe Koloniedichte    geringe Koloniedichte      hohe Koloniedichte
         vergleichen                             Streptococcus mutans                               Laktobazillen

Abb. 13 Auswertung der gewonnenen Speichelprobe mit dem vormals als CRT bacteria (Fa. Ivoclar Vivadent,
Ellwangen) vertriebenen KariesScreenTest (Fa. Aurosan, Essen).

Abb. 14 Auswertungschart für LB (von 1.000 bis                   Abb. 15 Auswertungschart für SM (von 1.000 bis
1.000.000, von links).                                           1.000.000, von links).

rate und die Pufferkapazität des Speichels (Abb. 18).            Bedeutung funktioneller
   Seit dem Jahr 2018 gibt es auch den Karies­
                                                                 Speichelparameter
ScreenTest + P (Fa. Aurosan). Dieser gestattet zu­
sätzlich zur Bestimmung der bakteriellen Speichel­               Sekretionsrate
parameter SM und LB auch die Bestimmung der                      Durch die Bestimmung der Speichelfließrate wird
funktionellen Speichelparameter. Erstmal ist somit               erkennbar, ob ausreichend Speichel vorhanden ist.
ein komplettes Diagnostik-Tool zur Bestimmung                    Die natürliche Schutzfunktion des Speichels, die Spül­
subklinischer Risikofaktoren verfügbar (Abb. 19                  funktion, der Verdünnungseffekt bei einer Zucker­
und 20).                                                         aufnahme, der Abtransport und die Verfügbarkeit

QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 72 • Ausgabe 2 • Februar 2021                                                                    123
Speicheldiagnostik und die erweiterte ökologische Plaquehypothese - Eine Standortbestimmung
ZAHNERHALTUNG

                                                           Abb. 16 Saliva-Check Mutans
                                                           (Fa. GC, Bad Homburg)

                                                                  hohes Risiko SM > 500.000

                                                                      niedriges Risiko

                                                           Abb. 17 Auswertungsmöglichkeiten
                                                           innerhalb von 15 Min., Schwellen­
                                                           wert 500.000 CFU/ml.

                                                           Abb. 18 Pufferkapazitätstest Saliva-
                                                           Check Buffer (Fa. GC).

                                                           Abb. 19a bis h KariesScreenTest + P
      a          b   c   d              e                  (Fa. Aurosan) als vollständiges
                                                           Untersuchungs-Tool zur Bestimmung
                                                           bakterieller und funktioneller
                                                           Speichel­parameter: „Double dips“
                                                           zum Nachweis von SM und LB (a),
                                                           Röhrchen zum Sammeln des gewon-
                                                           nenen Speichels mit gleichzeitiger
                                                           Kalibrierung zur Bestimmung der Se­-
                                                           kretionsrate (b), Indikatorlösung zur
                                                           Bestimmung der Pufferkapazität (c),
                                                           1-Milliliter-Pipette zur Aufnahme des
                                                           Speichels aus der Speichelprobe (zur
                                                           Vermischung mit der Testlösung (d),
                                                           Paraffinkapseln zur Speichelstimula-
                                                           tion (e); pH-Wert-Messstreifen zur
                                                           Bestimmung des Speichel-pH-Wer-
                                                           tes (f), pH-Wert-Messstreifen zur
                                                           Bestimmung der Pufferkapazität (g),
                                                           Natriumbikarbonattablette zur Schaf­
                             f     g          h            fung eines mikroaerophilen Milieus bei
                                                           der Bebrütung des „Double dips“ (h).

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Speicheldiagnostik und die erweiterte ökologische Plaquehypothese - Eine Standortbestimmung
Lutz Laurisch

Abb. 20 KariesScreenTest + P
(ehemals CRT bacteria).

von Mineralien für die Remineralisation sowie die                Sehr gute Pufferkapazitäten haben einen pH-
Clearance-Rate hängen von der verfügbaren Spei­               Wert von > 6, gute liegen zwischen 5 und 6 und
chelmenge ab40,41,44,49,50,52. Die Sekretionsrate sollte      schlechte Pufferkapazitäten weisen einen pH-Wert
bei etwa 1 ml/Min. liegen. Werte darunter vermin­             von < 5 auf.
dern die Clearance-Rate und das Remine­ralisations­              Der Natriumbikarbonatgehalt des Speichels ist
potenzial und sind somit kariesbegüns­tigend.                 auch abhängig von der Sekretionsrate. Hohe Se­
                                                              kretionsraten bedingen immer auch gute Puffer­
pH-Wert                                                       kapazitäten21.
Der Ruhe-pH-Wert des Speichels kann mit Indikator-
Testpapier ermittelt werden (z. B. in Saliva-Check Buf­fer,   Veränderung in der Interpretation
KariesScreenTest + P). Der Ruhe-pH-Wert sollte hö­
her oder gleich 7 liegen, vor allem bei freiliegenden         Mit den sich immer weiter entwickelnden Kariesätio­
Wurzeloberflächen, bei denen die De­mineralisation            logiekonzepten veränderte sich auch die Interpreta­
bereits bei einem pH-Wert von 6,7 einsetzt.                   tion der durch das Testverfahren erlangten Daten.
                                                              Die Akzeptanz der spezifischen Plaquehypothese
Pufferkapazität                                               führte dazu, dass das Kochsche Postulat auf die Ka­
Die Pufferkapazität stellt einen entscheidenden               riesgenese übertragen wurde. Mithin glaubte man,
Schutzmechanismus der Mundhöhle gegenüber                     dass der alleinige Nachweis von SM eine zuverläs­
Nahrungs- und Plaquesäuren dar und steht in Be­               sige Aussage machen könnte über das Kariesrisiko
ziehung zur Speichelfließrate. So zeigen sich bei ver­        des Patienten. Diese Meinung wurde jedoch we­niger
ringerter Speichelfließrate reduzierte Pufferkapazi­          in der Wissenschaft vertreten als in den Konzepten
täten21 in Verbindung mit einem entsprechenden                zur Vermarktung des Dentocult SM Strip Mutans-
Kariesbefund.                                                 Testes. Mit der Einführung des Begriffes „Individuel­
   Eine gute Pufferkapazität ist in der Lage, anfallen­       les Kariesrisiko“ hielten jedoch schon früh­    zeitig
de Nahrungs- und Plaquesäuren in der Mundhöhle                Konzepte Einzug, in denen die bakteriellen Speichel­
zu neutralisieren. Für die Stabilität des pH-Wert-            parameter als nur ein Aspekt eines multikausalen
Milieus in der Mundhöhle hat die Pufferkapazität              Geschehens dargestellt wurden43,44,47.
daher eine wichtige Funktion. Eine häufige Zufuhr                 Während sich die Interpretation der aufgefunde­
saurer Nahrungsmittel führt zu einem stärkeren pH-            nen SM-Zahlen im Speichel in Abhängigkeit von der
Wert-Abfall in der Mundhöhle. Die Pufferkapazität             gültigen Kariesgenese änderte, blieb die Interpre­
des Speichels reicht für die Neutralisation dieser            tation der gefundenen LB-Zahlen seit 80 Jahren
größeren Säuremenge nicht mehr aus56,86.                      gleich27.

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Speicheldiagnostik und die erweiterte ökologische Plaquehypothese - Eine Standortbestimmung
ZAHNERHALTUNG

                                                               Damit steht seit 1975 der zahnärztlichen Praxis
                                                            ein geeignetes diagnostisches, wissenschaftlich ab­
                                                            gesichertes Verfahren zur Verfügung, den Konsum
                                                            fermentierbarer Kohlenhydrate des Patienten fest­
                                                            zustellen und vor allem im Rahmen einer Recall­
                                                            betreuung des Patienten wiederholt zu überprüfen.
                                                            Damit besteht eine Möglichkeit, in der Ernährungs­
Abb. 21 Dentocult LB (Fa. Orion Diagnostica, Espoo,         beratung die Compliance des Patienten zu ermit­
Finnland) nach Bebrütung.                                   teln11,27,30,64.
                                                               Seit 1997 ist der Nachweis von LB auf einem
                                                            Rogo­ sa-Agar Bestandteil des „Double dips“ zum
            Modellchart: Laktobazillen                      Nachweis von SM und LB (KariesScreenTest, früher
                                                            CRT bacteria).

                                                            Zur Interpretation der
                                                            Streptococcus mutans-Zahlen
                                            Grad 1
                                                            Die derzeit akzeptierte erweiterte ökologische
                                                            Plaquehypothese berücksichtigt die Tatsache, dass
                                                            auch Karies entstehen kann, ohne dass eine relevan­
                                                            te Menge an SM nachweisbar ist. Damit steht dieses
                                            Grad 2          ökologische Konzept im Widerspruch zur „Infektions­
                                                            theorie“ der spezifischen Plaquehypothese7,14,66,75.
                                                               Von Interesse ist dennoch immer die Erstbe­
                                                            siedelung der kindlichen Mundhöhle in den ersten
                                                            2 Lebensjahren. Die Erstbesiedelung mit SM ist
                                            Grad 3          abhän­gig von der Keimzahl der Mutter bzw. dem
                                                            Mikro­biom der Eltern8,9 oder Pflegepersonen.
                                                            Als Schwellenwert von SM wurde von Berkowitz
                                                            500.000 CFU/ml Speichel ermittelt8.
                                                               Eine Etablierung von SM in der kindlichen Mund­
                                            Grad 4          höhle ist jedoch nur bei ausreichender Nahrungs­
                                                            grundlage in Form von fermentierbaren Kohle­
Abb. 22 Auswertungschart des Dentocult LB.
                                                            hydraten möglich68. Hier ist also in erster Linie die
                                                            Compliance der Eltern gefragt9,12,68.
                                                               Thenisch konnte 2006 in einer systematischen
    Jay ermittelte 1947, dass eine Zuckerreduktion          Übersichtsarbeit bei der Auswertung von 981 Ver­
zur Senkung der LB-Zahlen führte, nachdem er 1944           öffentlichungen zeigen, dass der Nachweis von SM
schon auf die Zusammenhänge zwischen Ernährung              im Speichel im Alter von 2 Jahren eine Verdop­
und Karies hingewiesen hatte26. Kitchin beobachtete         pelung bzw. der Nachweis in der Plaque (Plaque­
das Gleiche bei einer über 3 Jahre laufenden Einzel­        abstrich) eine Vervierfachung des Kariesrisikos be­
fallstudie30. Die Entwicklung des Rogosa-Agars              deutet. Bei Kindern, die mit 30 Monaten einen
durch Rogosa 1951 vereinfachte den Nachweis von             positiven Kariesbefund haben, wurde SM immer
LB71. Larmas entwickelte 1975 dann den dazu pas­            frühzeitig nachgewiesen9,67,68,85.
senden Dipslide zum weiter vereinfachten Nach­                 Allein die Verdoppelung des Kariesrisikos bei
weis. Als Referenz diente wiederum ein Auswer­              Nachweis von SM in der Plaque weist darauf hin,
tungschart45 (Abb. 21 und 22).                              dass es ein Unterschied ist, ob SM nur im Speichel

126                                                   QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 72 • Ausgabe 2 • Februar 2021
Speicheldiagnostik und die erweiterte ökologische Plaquehypothese - Eine Standortbestimmung
Lutz Laurisch

vorhanden ist oder bereits in der Plaque. Im Spei­
chel hat SM zwar keinen direkten Einfluss auf die
Karies­aktivität, gestattet aber Rückschlüsse auf die
SM-Zahlen in der Plaque. Allerdings gibt es hier oft
unerwartete Abweichungen. Diese Abweichungen
können sich aber auch flächenspezifisch an den
Zähnen ergeben. Dies ist abhängig von der Karies­
aktivität an der untersuchten Stelle, wobei die ka­
riesaktiven und die kariesinaktiven Stellen durchaus
nahe beieinander liegen können19,74,76.
   Frühere Untersuchungen der oralen Mikrobiota
stützten sich maßgeblich auf kulturbasierte Metho­
den zur Bestimmung der Keime. Somit ist es auch
möglich, dass verfeinerte DNA- oder RNA-Untersu­
chungsmethoden größere Abweichungen in Zukunft              Abb. 23 Plaqueabstrich bei Kindern.
ergeben könnten. Das ändert aber im vorliegenden
Fall nichts an der Tatsache, dass DNA-Sonden­
methoden oder auch Methoden unter Verwendung
der „Polymerase chain reaction“ (PCR)-Technik er­
neut die Übertragung von Bakterien von der Mutter
auf das Kind bestätigen konnten77.
   Dieser frühe Nachweis von SM im Speichel der
kindlichen Mundhöhle scheint entscheidend zu sein
für die Kariesprävalenz in den folgenden 15 Jahren.         Abb. 24 Plaqueabstrich mehrerer Zähne nach Bebrütung:
Diese ist immer höher als bei späterem Nachweis             Untersuchung auf SM (KariesScreenTest).
von SM in der Mundhöhle. Hierbei ist natürlich auch
zu berücksichtigen, dass sich die dafür mit ursächli­
chen etablierten Ernährungsweisen nur im Laufe der
Zeit verändern lassen20 und manchmal eben über­
haupt nicht1,3,5,15,20,35,36.
   Tenovuo konnte zeigen, dass die generelle Ka­ries­
prävalenz abhängig ist vom Zeitpunkt des ersten
Nachweises von SM in der Plaque der kindlichen
                                                            Abb. 25 Plaqueabstrich mehrerer Zähne nach Bebrütung:
Mundhöhle. Die Untersuchung erfolgte durch den
                                                            Untersuchung auf LB (KariesScreenTest).
Nachweis von Serum-Antikörpern gegenüber SM84.
   Aus einer extrem ungünstigen Ernährungssitua­
tion und anderen die Kolonisation fördernden Ver­           hierauf auch Hefepilze wachsen. Differenzialdiag­
haltensweisen heraus etablieren sich schon früh­            nostisch können diese durch eine positive Katalase­
zeitig hohe Keimzahlen von SM in der kindlichen             reaktion nachgewiesen werden (Abb. 26).
Mundhöhle. Dies wiederum ist immer ein starker                 Da grundsätzlich eine Kolonisierung der kindli­
Risikoindikator für das Auftreten von „Early child­         chen Mundhöhle mit SM nur bei ausreichender
hood caries“ (ECC)17,18,63,70 (Abb. 23 bis 25).             Substratzufuhr möglich ist, zeigt sich die Wichtigkeit
   In Fällen hoher Zufuhr fermentierbarer Kohlen­           der Beratung der Schwangeren bzw. der jungen
hydrate verstärkt Candida albicans das kariogene            Mutter über richtiges Ernährungsverhalten sowie
Potenzial von SM in der Plaque29,72.                        adäquate altersgerechte Zahnpflege und ein darauf
   Da die beim KariesScreenTest verwendeten Agar            abgestimmtes Fluoridierungskonzept. Hier knüpfen
zum Nachweis von SM nicht fungizid sind, können             gleichzeitig aber auch die Ansätze an, rechtzeitig

QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 72 • Ausgabe 2 • Februar 2021                                              127
ZAHNERHALTUNG

                                                        nahmen ein unverzichtbarer Bestandteil der Be­
                                                        handlung sein sollten37,57,69.
                                                           Ein hoher Anteil an LB in der Plaque spricht
                                                        immer für eine mögliche Kariesprogression. Eine
                                                        Analyse der Plaquesituation in einem Approximal­
                                                        raum ist mit Hilfe einer Abstrichtechnik möglich
                                                        (Abb. 27 und 28).
Abb. 26 Aufschäumen der Hefekolonien bei Zusatz von        Diese über Jahrzehnte gewonnenen wissen­
H2O2.                                                   schaftlichen Erkenntnisse bilden teilweise auch die
                                                        Grundlage für die erweiterte ökologische Plaque­
                                                        hypothese (Abb. 29).
                                                           Die homöostatische Situation des gesunden
                                                        Mikro­bioms ist gekennzeichnet durch ein Gleichge­
                                                        wicht von potenziell pathogenen und apathogenen
                                                        Keimen – mit einer ausgeprägten Diversifikation.
                                                        Durch den anhaltenden Verzehr von fermentierba­
                                                        ren Kohlenhydraten kommt es zu einer Vermehrung
                                                        azidogener und säurebildender Keime, die zuneh­
                                                        mend die apathogene Flora verdrängen. Klinisch
                                                        sichtbar (in Abb. 29 hellgrau unterlegt) bleibt die
                                                        konstante Zunahme an Plaque und die insuffiziente
                                                        Mund­ hygiene. Klinisch nicht sichtbar (in Abb. 29
                                                        gelb unterlegt) vermehren sich säurebildende und
Abb. 27 Plaqueabstrich aus dem Approximalraum 26m.      säuretolerante Keime bei stetig in der Plaque ab­
                                                        sinkendem pH-Wert.
                                                           Die Säuretoleranz und die sich daran anschlie­
                                                        ßende Selektion von Non-SM mit niedrigem pH-Wert
                                                        scheinen eine entscheidende Rolle zu spielen für die
                                                        Destabilisierung der Homöostase der Plaque.
                                                           Entsprechend der pH-Wert-Absenkung unter­
                                                        scheidet man eine azidogene Phase (pH-Wert < 6,5
Abb. 28 Ein Nachweis hoher LB-Zahlen im Approximal­     sowie Destabilisierung der Homöostase), eine azi­
raum spricht für eine erhöhte Kariesgefährdung          durische Phase, in der es zu einer weiteren Selek-
(KariesScreenTest).                                     tion azidophiler Keime kommt, und die dysbiotische
                                                        Phase (pH-Wert < 5,5)80.
                                                           In dieser sauren Umgebung können SM und an­
das Biom der Mutter bzw. der Eltern durch einen         dere säurebildende Bakterien, insbesondere auch
„Speicheltest“ zu klassifizieren und damit das Über­    LB, durch übermäßiges Wachstum die Läsionsent­
tragungsrisiko zu definieren. So führen präventive      wicklung fördern, indem sie ein Milieu aufrechter­
Therapien der Eltern zu einer Reduktion karies­         halten, das durch einen anhaltend niedrigen pH-
relevanter Keime – in diesem Fall insbesondere von      Wert gekennzeichnet ist. LB und SM verdrängen so
SM – und verringern so das Übertragungsrisiko38.        die wenig Säure produzierenden Non-SM, welche
   In der Regel lässt sich SM bei Kariespatienten im­   die anfängliche pH-Absenkung initiierten. Die Plaque
mer in höheren Anteilen nachweisen als bei karies­      wird nun von starken Säurebildnern bei abnehmen­
freien Patienten. Da hohe Keimzahlen die weitere        der Diversifikation dominiert79. Daher können hohe
Kariesprävalenz begünstigen, wird klar, dass neben      Anteile von SM und LB als Biomarker für Stellen
konservierenden Maßnahmen präventive Maß­               mit besonders schnellem Kariesverlauf angesehen

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Lutz Laurisch

                                              Gleichgewicht kommensaler und
                                         apathogener Keime mit pathogenen Keimen,
                                            hohe Diversifikation des Mikrobioms
                                                                                                                                                   homöostatischer
                                                                                                                                                      Zustand

                                                                                                                                 Vermehrung                         hochfrequenter
                                                                                                                              pathogener Keime                          Konsum                                                                              intraoraler
                                                                                                                                                                    fermentierbarer                                                                           Befund
   zunehmende Keimvermehrung säuretoleranter Keime und Veränderung von Speichelqualitäten

                                                                                                                                                                     Kohlenhydrate
                                                                                                                                 Vermehrung
                                                                                                                                säurebildender
                                                                                                                              pathogener Keime,
                                                                                                                                 Verdrängung
                                                                                                                                 apathogener
                                                                                                                                    Keime

                                                                                                                               Selektionsvorteil

                                                                                                                                                                          anhaltender Konsum fermentierbare Kohlenhydrate
                                                                                                                                 azidogener/
                                                                                                                                 kariogener
                                                                                                     S. Gordoni                Bakterien durch
                                                                                                      S. Oralis                kontinuierliches

                                                                                                                                                                                                                            vermehrte Plaqueakkumulation
                                                                                                       S. Mitis                 Absinken des
                                                                                                    S. Salivarius                pH-Wertes                                                                                                                 zunehmende
                                                                                                  Actinomyces spp                                                                                                                                           schlechte
                                                                                                   Veillonella spp                                                                                                                                         Mundhygiene
                                                                                                                               azidogene Phase,
                                                                                                                               Vermehrung von
                                                                                                  S. Mutans (EPS)               Säurebildnern
                                                                                                     S. Sobrinus
                                                                                                   Laktobazillen
                                                                                                                              azidurische Phase
                                                                                                                              (Anreicherung von
                                                                                                    ungünstiger                 SM und LB auf
                                                                                                 Speichel-pH-Wert,                Kosten der
                                                                                                    ungünstige                   Normalflora)
                                                                                                  Pufferkapazität,
                                                                                                  Veränderung der
                                                                                                   Sekretionsrate

                                                                                                    insuffiziente
                                                                                                  Speichelqualität
                                                                                                   und -quantität

                                                                                                                                                    dysbiotischer
                                                                                            Übergewicht hochazidophiler Bakterien,                    Zustand
                                                                                                  Verlust der Diversifikation,
                                                                                                     hohe Kariesaktivität

Abb. 29 Die erweiterte ökologische Plaquehypothese nach Laurisch, modifiziert nach Conrads14, Marsh58 und Zijnge89.

QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 72 • Ausgabe 2 • Februar 2021                                                                                                                                                                                                          129
ZAHNERHALTUNG

werden4,14,79. Letztlich entsteht ein dysbiotischer          Es ist zu sehen, dass die Risikokriterien sowohl
Zustan­d, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die       klinische als auch subklinische Risikoparameter um­
Diversifikation des Mikrobioms verloren gegangen         fassen. Zusätzliche Faktoren sind insbesondere die
ist und azidogene und azidurische Keime in der           funktionellen Speichelparameter. Befunde zwischen
Plaque dominieren.                                       hohem Karies- und keinem Kariesrisiko unterschei­
    Die erweiterte ökologische Plaquehypothese           den sich in der Anzahl und Schwere der einzelnen
unter­streicht wiederholt die bekannte Tatsache,         Risikoparameter. Die Zwischenbefunde nach Axels­
dass es zu einer Vermehrung kariesrelevanter Keime       son sind in Tabelle 5 wiedergegeben.
beim regelmäßigen Konsum fermentierbarer Koh­                König definierte die einzelnen Risikobereiche,
lenhydrate kommt23,62.                                   indem er für 4 Parameter – nämlich den Zahn-
    Die Rolle von SM erschöpft sich nicht in der         status, die Speichelsekretion, die Ernährungssitua­
Säure­bildung alleine: Er ist Hauptproduzent bei der     tion und die Mikroorganismen – einzelne Risiko­
Bildung von extrazellulären Polysacchariden und          bewertungen aufstellte41 (Abb. 30 bis 33).
damit der Garant für ein ungestörtes „Quorum sen­            Das Cariogram10,73 ergänzt die bisher erklärten Ri­
sing“ in der Plaque, da die von ihm gebildete Matrix     sikoparameter durch weitere Risikoparameter und
das zahnaufliegende Biotop vor den natürlichen Ab­       das existierende Fluoridierungskonzept. Es ist ein
wehrfunktionen der Mundhöhle – Sekretionsrate            Verfahren, das bereits Ende der 1990er-Jahre u. a.
und Pufferkapazität – schützt42,83.                      von Bratthall vorgestellt wurde, und ermöglicht eine
    Das bedeutet, dass SM für das Kariesrisiko und       Interpretation und gewichtete Analyse der verschie­
die Kariesaktivität immer noch eine Schlüssel­           denen an der Kariesentstehung beteiligten Faktoren10.
position inne hat. Darüber hinaus sorgt er für die       Das Cariogram bietet die idealen Voraussetzungen
Aufrechterhaltung des sauren Milieus, in dem wie­        für ein systematisiertes Vorgehen: Es illustriert gra­
derum LB das System überwuchern können. Tat­             fisch das Kariesrisiko bzw. die Chance, neue Karies
sächlich sind LB in der Lage, bis zum pH-Wert von 3      in Zukunft zu vermeiden. Das Cariogram kann im
Säure zu produzieren, während SM bei einem pH-           Internet heruntergeladen werden, allerdings steht es
Wert zwischen 4 und 5 die Säureproduktion einstellt.     nur in der englischsprachigen 64-Bit-Version zur
LB – selbst nicht am Plaqueaufbau aktiv beteiligt –      Verfügung. Die mobile Version ist auch als App ver­
nutzen so das von SM geschaffene pH-Milieu, um           fügbar.
die Kariesprogredienz voranzutreiben. Daher sind             Die Abbildung 34 erklärt alle im Cariogram er­
sie auch in aktiven kariösen Läsionen entsprechend       hobenen Risikoparameter. Nach entsprechender
präsent54,59,78,87.                                      Gewichtung zeigt die grüne Fläche die Wahrschein­
    Es ist zu sehen, dass die erweiterte ökologische     lichkeit an, dass keine neue Karies zu erwarten ist.
Plaquehypothese Elemente der unspezifischen und          In der abschließenden, digital erstellten Risikoer­
spezifischen Plaquetheorie enthält, aber beides mit      mittlung werden einzelne Risikofaktoren in Kom­
klinischem Verlauf und präventivem Verständnis           plexen zusammengefasst (Tab. 6).
besser in Einklang bringt. Für das Verständnis ist           Anhand der dunkelblauen Flächen ist deutlich zu
wichtig, dass man nicht nur weiß, welche Keime           erkennen, welche Bedeutung bakterielle Speichel­
vorhanden sind, sondern dass man sich auch darü­         parameter für die Risikodiagnostik haben. Von
ber im Klaren ist, was diese Keime bewirken31,79.        daher ist es einleuchtend, dass die Vorhersage­
    Da aber die Anzahl von SM und LB nicht der ein­      wertigkeit von Ergebnissen der Cariogram-Software
zige Prädiktor für Karies ist, kommt es in der Risiko­   höher ist, wenn Speichelparameter und die Anzahl
diagnostik darauf an, weitere Faktoren zu ermitteln53.   der SM ermittelt und in die Auswertung mit ein­­-
Verschiedene Konzepte ergänzten daher schon früh­        be­zogen werden65.
zeitig bakterielle Speichelparameter durch klini­            Alle vorgestellten Konzepte ermitteln eine stati­
sche43,50,44. 1990 fasste Axelsson den damaligen         sche Situation des Mundmilieus zum Zeitpunkt der
Kenntnisstand in einem Risikokonzept zusammen,           Untersuchung. Die dynamische Komponente der
welches in Tabelle 4 abgebildet ist                      Veränderungen im Biotop Mundhöhle wird dadurch

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Lutz Laurisch

                       Mikroorganismen                                              Ernährungssituation
  4,0                                                          4,0
  3,5                                                          3,5
  3,0                                                          3,0
  2,5                                                          2,5
  2,0                                                          2,0
  1,5                                                          1,5
  1,0                                                          1,0
  0,5                                                          0,5
  0,0                                                          0,0
              Karies            Parodontitis   Erosion                     Karies          Parodontitis       Erosion

         Plaquemenge  Viele säuretolerante Organismen               Zuckergehalt             Frequenz
         grambewegliche Organismen                                   Gehalt an freien Säuren

Abb. 30 Bedeutung der Mikroorganismen.                      Abb. 31 Bedeutung der Ernährungssituation.

                       Speichelsekretion                                                Zahnstatus
  4,0                                                          4,0
  3,5                                                          3,5
  3,0                                                          3,0
  2,5                                                          2,5
  2,0                                                          2,0
  1,5                                                          1,5
  1,0                                                          1,0
  0,5                                                          0,5
  0,0                                                          0,0
              Karies            Parodontitis   Erosion                     Karies          Parodontitis       Erosion

         reduzierte Menge                                            Engstand                 retentive Füllungen/Kronen
         reduzierte Pufferung                                        Demineralistionen        Zahnstein

Abb. 32 Bedeutung der Speichelsekretion.                    Abb. 33 Bedeutung des Zahnstatus.

Tab. 4 Risikokonzept nach Axelsson6. Die subklinischen Risikoparameter sind gelb markiert.

 kein Kariesrisiko                                          hohes Kariesrisiko
 SM negativ                                                 SM-Werte > 500.000 ml/Min.
 hervorragende Mundhygienegewohnheiten                      sehr schlechte Mundhygienegewohnheiten
 niedrige LB-Werte                                          LB-Werte > 100.000 ml/Min.
 sehr niedriger DMF- beziehungsweise DMF-T-Index            sehr hoher DMF-T-Wert mit bukkalen/lingualen DFS
 keine aktive initiale Karies                               sehr viel initiale Karies
 ausreichende Speichelsekretion                             Speichelsekretionsrate < 0,7 ml/Min.
 geringer Konsum klebriger, zuckerhaltiger Produkte         starker Konsum klebriger, zuckerhaltiger Produkte
 Pufferkapazität mit einem pH-Wert > 5,5                    Pufferkapazität mit einem pH-Wert < 4,5

QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 72 • Ausgabe 2 • Februar 2021                                                          131
ZAHNERHALTUNG

Tab. 5 Zwischenbefunde des Risikokonzeptes nach Axelsson6. Die subklinischen Risikoparameter sind ebenfalls gelb
markiert.

 geringes Kariesrisiko                                          Kariesrisiko
 SM positiv                                                     SM positiv
 gute Mundhygienegewohnheiten                                   schlechte Mundhygienegewohnheiten
 niedrige LB-Werte                                              hohe LB-Werte
 niedriger DMF- beziehungsweise DMF-T-Index                     hoher approximaler DMF
 wenig initiale Karies                                          viel initiale Karies
 Speichelsekretionsrate > 1 ml/Min.                             Speichelsekretionsrate 1 ml/Min.
 geringer Konsum klebriger, zuckerhaltiger Produkte             starker Konsum klebriger, zuckerhaltiger Produkte
 Pufferkapazität mit einem pH-Wert < 5,5                        Pufferkapazität mit einem pH-Wert < 5

Tab. 6 Risikoermittlung anhand der einzelnen Risikofaktoren Ernährung, Bakterien, Empfänglichkeit und Umstände.

 Ernährung                       Bakterien                      Empfänglichkeit                    Begleitumstände
 Frequenz der                    Plaquemenge und qualitative    Resistenz der Zahnsubstanz         kariöse Zahnschäden in der
 Nahrungsaufnahme und            Zusammensetzung der            (Fluoridierung) und Qualität       Vergangenheit und genereller
 Zusammensetzung der             Plaque (Anzahl SM/LB)          des Speichels (Sekretionsrate,     Gesundheitszustand
 Nahrung                                                        Pufferkapazität, Speichel-pH-
                                                                Wert)
 Die Fläche ist im Cariogram     Die Fläche ist im Cariogram    Die Fläche ist im Cariogram        Die Fläche ist im Cariogram
 dunkelblau dargestellt.         rot dargestellt.               hellblau dargestellt.              gelb dargestellt (Abb. 35 bis 37).

nicht erfasst. Eine wiederholte Risikoanalyse im Sin­           Keimen mit einer großen Diversifikation. Für die
ne eines Monitoring nach Durchführung präventiver               Entste­hung einer pathogenen Plaque ist in erster
Maßnahmen ermöglicht jedoch eine dynamischere                   Linie nicht der Genotyp der Bakterien, sondern der
Interpretation61,81.                                            Phänotyp entscheidend. Dieser entwickelt sich aus
                                                                den individuellen Gegebenheiten, die einen poten­
Schlussfolgerungen                                              ziell kariogenen Keim zu einem kariogenen Keim
                                                                werden lassen können. Dieser Vorgang ist für die
Die Bedeutung und Interpretation von Speichel-                  präventiven Konzepte der Zahnarztpraxis von Be­
tests bzw. der Bestimmung bakterieller und funk­                deutung, da dieser Vorgang reversibel ist, wenn es
tioneller Risikoparameter hat sich in Abhängigkeit              gelingt die azidogenen bzw. azidurischen Be­­-
von der aktuell gültigen Kariesätiologie im Laufe der           din­gungen in der Plaque zu verändern. Leider liegt
Zeit verändert. Die erweiterte ökologische Plaque­              hier der Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie
hypothese enthält Elemente der unspezifischen und               gerade in einem Bereich, der oft am schwierigsten
spezifischen Plaquetheorie, bringt aber den klini­              zu verändern ist: in der Ernährungssituation20.
schen Verlauf und unser präventives Verständnis in                 SM ist aufgrund seiner ausgeprägten Fähigkeit
einen besseren Einklang. Für dieses Verständnis ist             zur Bildung extrazellulärer Polysaccharide ein ent­
wichtig, dass man nicht nur weiß, welche Keime da               scheidender Bestandteil der Plaque, der zudem das
sind, sondern dass man sich auch darüber im Klaren              saure pH-Milieu für die LB schafft. Ein Nachweis die­
ist, was diese Keime bewirken. Die Plaque besteht               ser Keime in der Plaque ist mit einer hohen Karies­
aus potenziell pathogenen und aus apathogenen                   aktivität an dieser Stelle verbunden. Ein Nachweis

132                                                       QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 72 • Ausgabe 2 • Februar 2021
Lutz Laurisch

                                                                                         0 = kariesfrei
    0 = keine Erkrankungen
                                                                                         1 = besser als der Durchschnitt
    1 = geringen Ausmaßes
                                                                                         2 = normal für diese Altersgruppe
    2 = schweren Ausmaßes (Diabetes,
                                                                                         3 = schlechter als der Durchschnitt
         umfangreiche Medikation)
                                                                                         Konsum fermentierbarer Kohlenhydrate
    0 = sehr geringe Frequenz    (max. 3 ZI)
                                                                                         0 = sehr wenig           (LB Klasse 1)
    1 = geringe Frequenz         (max. 5 ZI)
                                                                                         1 = wenig                (LB Klasse 2)
    2 = moderate Frequenz        (max. 7 ZI)
                                                                                         2 = moderater            (LB Klasse 3)
    3 = hohe Frequenz            (> 7 ZI)
                                                                                         3 = hoher                (LB Klasse 4)
    Anzahl MS im Speichel (KariesScreenTest)                                             0 = extrem gute Mundhygiene
    0 = SM Kl 0 (< 10.000 CFU/ml)                                                        1 = gute Mundhygiene
    1 = SM Kl 1 (> 10.000 CFU/ml)                                                        2 = moderate Mundhygiene
    2 = SM Kl 2 (> 100.000 CFU/ml)                                                       3 = schlechte Mundhygiene
    3 = SM Kl 3 (> 500.000 CFU/ml))
                                                                                         0 = gutes Fluoridierungskonzept
    Sekretionsrate (KariesScreenTest + P)                                                (regelmäßig fluorihaltige Creme, F-Gel, F-Spülung)
    2 ml/Min. sehr gut                                                                   1 = Fluoridierungskonzept
                                                                                         (regelmäßig fluoridhaltige Creme, weniger F-Gelee, Spülung)
    1 bis 2 ml/Min. gut
                                                                                         2 = nur fluoridhaltige Creme
    < 1ml/Min. ungünstig
                                                                                         3 = keine Fluoridzufuhr
    < 0,7 ml/Min. Hyposalivation
                                                                                         Pufferkapazität (PK) (KariesScreenTest + P)
    0 = besser als erwartet                                                              pH > 6,0 sehr gute PK
    1 = wie zu erwarten war                                                              pH > 5,0 gute PK
    2 = schlechter als zu erwarten war                                                   pH < 5,0 ungünstige PK
    3 = sehr schlecht, viel Karies zu erwarten                                           pH < 4,0 extrem schlechte PK

Abb. 34 Ermittelte Risikoparameter im Cariogram.
                                                                    tatsächliche Chance, neue Karies zu vermeiden
                                                                    Diät
                                                                    Bakterien
                                                                    Empfänglichkeit
Abb. 35 Kennzeichnung der zusammengefassten
                                                                    Begleitumstände
Risikofaktoren mit entsprechenden Farben.

                                                                                                          15 %
                                                                                  19 %

                     76 %                                                                                                      13 %

                                                           6%

                                                      9%                         29 %
                                                                                                                24 %

                                                 6%
                                          4%

Abb. 36 Geringes Kariesrisiko: Die Wahrscheinlichkeit,          Abb. 37 Hohes Kariesrisiko: Die Wahrscheinlichkeit, dass
dass keine Karies auftritt, beträgt 76 % (grüne Fläche).        keine Karies auftritt, beträgt nur 13 % (grüne Fläche).

QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 72 • Ausgabe 2 • Februar 2021                                                                                   133
ZAHNERHALTUNG

der Keime im Speichel in hoher Anzahl korreliert                 bestimmen. Damit allein ist es aber nicht getan. Die
nicht unbedingt mit der Kariesaktivität an be­                   viel entscheidendere Frage ist die nach dem Warum.
stimmten Zahnflächen, gibt aber deutliche Hinweise               Nur aus der Beantwortung dieser Frage können sich
darauf, dass das Mundhöhlenbiotop sich nicht in                  adäquate, dem wissenschaftlichen Kenntnisstand
einem homöostatischen Zustand befindet. Die                      entsprechende präventive Therapien ergeben.
Abstrich­technik gibt uns allerdings genauere Infor­                Risikodiagnostik unter Einbeziehung klinischer und
mationen über die vermutete Kariesaktivität an der               subklinischer Risikoparameter ermöglicht eine diag­
entsprechenden Zahnfläche.                                       nosebasierte Prävention. Das wiederum ist nicht nur
   Ein guter Speichel-pH-Wert sowie eine gute                    eine medizinische Notwendigkeit, sondern beein­
Sekre­tionsrate und Pufferkapazität sind ebenfalls               flusst auch den Erfolg unserer präventiven Bemü­
wichtige Faktoren einer homöostatischen Situation.               hungen positiv22,46,90.
Daher können bakterielle und funktionelle Speichel­                 Das Vorhandensein von Plaque – Schlüsselbe­
parameter ein wichtiger Bestandteil der Kariesrisiko­            fund der unspezifischen Plaquetheorie – sollte nicht
diagnostik sein. Sie sind auch in allen hier zitierten           die alleinige Grundlage einer Diagnostik sein, auf die
Risikokonzepten ein integraler Bestandteil. Ihre                 wir unsere präventiven Leistungskonzepte gründen.
Wichtigkeit resultiert nicht nur aus ihrer Bedeutung
in der Diagnostik. Darüber hinaus geben uns wieder­              Hinweis
holte Untersuchungen subklinischer Risikopara­
meter im Recall auch frühzeitig objektivierbare Hin­             Der Autor ist Entwickler des von Fa. Ivoclar Vivadent
weise auf sich verändernde Risikoparameter sowie                 bis 2018 produzierten und vertriebenen CRT bacte­
die Compliance des Patienten.                                    ria. In Zusammenarbeit mit der Fa. Auro­san hat er
   Aufgrund der Multikausalität der Erkrankung ist               das Nachfolgeprodukt KariesScreenTest bzw. den
es unverzichtbar, die relevanten Risikoparameter zu              KariesScreenTest + P entwickelt.

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Lutz Laurisch

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QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 72 • Ausgabe 2 • Februar 2021                                                          135
ZAHNERHALTUNG

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