Stellungnahme 8 Punkte für mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft - Bitkom

 
WEITER LESEN
Stellungnahme
8 Punkte für mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft
04.11.2021
Seite 1

1 Ausgangslage

Insbesondere Ausgründungen aus Hochschulen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen haben das Potenzial entscheidenden Fortschritt zu bringen,
Innovationen zu treiben und die drängenden gesellschaftlichen und ökologischen
Herausforderungen zu bewältigen. Wissenschaftseinrichtungen müssen daher ihre
Forschungstätigkeiten und das vorhandene Potenzial stärker nutzen, um durch
technologiebasierte Ausgründungen noch mehr zum Gründungsgeschehen beizutragen.
Ausgründungen aus der Wissenschaft sind derzeit noch zu selten, denn die
Gründungsraten in der Wissenswirtschaft sind seit Jahren rückläufig oder entwickeln sich
verhalten. So haben im Jahr 2020 3,5% weniger Forscherinnen und Forscher ein
Unternehmen ausgegründet als im Vorjahr, während die Gesamtgründungszahlen von
Startups im selben Jahr um 12,5% gestiegen ist.1 Dabei ist Deutschland weltweit einer der
Topstandorte für Spitzenforschung: Aufgrund der hohen F&E-Ausgaben, zahlreicher
wissenschaftlicher Publikationen und der großen Zahl an Patentanmeldungen lag
Deutschland 2019 bei der Innovationsfähigkeit im globalen Vergleich nach wie vor auf
dem ersten Platz.2 Das Potenzial und die finanziellen Mittel sind also da. Doch warum ist
der erfolgsversprechende Transfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft in Form von
wissensbasierten Startups so selten?

2 Status Quo

Aus einer Wissenschaftskarriere zu Gründen stellt für viele Forscher und Forscherinnen
eine große mentale Überwindung dar. Nicht selten ist der Schritt in die Gründung mit
großen persönlichen und wirtschaftlichen Risiken verbunden. Auch treten häufig
Zielkonflikte zwischen kommerzieller und akademischer Verwertung von
Forschungsergebnissen zu Tage. In Wissenschaftseinrichtungen werden Ausgründungen
und Ausgründungserfolge nicht mit klassischen Wissenschaftskennzahlen, wie
Publikationen oder den Erwerb von Drittmitteln, gleichgesetzt. So sind sie weniger
angesehen und respektiert. Wichtig ist also, dass auf der anderen Seite institutionelle und
strukturelle Hürden abgebaut werden.

Auch in den Wissenschaftseinrichtungen selbst tauchen Zielkonflikte zwischen
kommerzieller und akademischer Verwertung von Forschungsergebnissen auf. Oftmals
existieren in den Direktionsebenen noch Bedenken gegenüber Ausgründungen. Ähnlich
verhält es sich in außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Der besonders wichtige
Transfer von IP („Intellectual Property“; Geistiges Eigentum) und die IP-Verhandlungen

1 Hannah Krolle (15.09.2021): Forschungsinstitute hemmen Start-ups bei der
Ausgründung
2 World Economic Forum (2019): The Global Competitiveness Report 2019
Stellungnahme
8 Punkte für mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft
Seite 2|5

gestalten sich oft problematisch, u.a. aufgrund mangelnder Transparenz. Fehlt den
Startups das Recht, die Patente zu nutzen, sind sie handlungsunfähig. Und selbst bei
erfolgreicher Übertragung, fallen meist hohe Abschlags- und Lizenzzahlungen an. Oft sind
die Hochschulen und Forschungseinrichtungen außerdem mit bis zu 25% an den
Unternehmen beteiligt. Voraussetzungen, die nachfolgende Investitionen von
Wagniskapitalgebern erschweren oder sogar unmöglich machen. Ihnen gegenüber sitzen
Hochschulen, in deren Wahrnehmung die Lizenzeinnahmen oftmals die einzige
Messgröße sind, um die eigenen Ausgaben für z.B. Patentanmeldung zu rechtfertigen.
Daneben existieren weitere strukturelle Hürden, die sich in teilweise langwierige
Verhandlungen über Lizenzverträge zwischen Gründenden und den verantwortlichen
Transferstellen von Universitäten und Forschungseinrichtungen bemerkbar machen.
Zuletzt liegt auf Seiten der Institutionen gegenüber den Ausgründenden ein erheblicher
Erfahrungsvorsprung in Sachen Patent- und Lizenzverträgen. Diese
Informationsasymmetrie schwächt die Gründungswilligen zusätzlich.

Weiterhin haben Ausgründungen aus der Wissenschaft von Beginn an einen höheren
Kapitalbedarf und längere Forschungs- und Entwicklungszyklen als Startups, die sich
bspw. im E-Commerce bewegen. Häufig sind die Laufzeiten von Wagniskapitalfonds aber
kürzer als diese Entwicklungszeiträume. Mit der Folge, dass das Kapitalangebot für
Wissenschaftsausgründungen zu knapp ist. Auch das Einwerben von staatlichen
Forschungsgeldern und Fördermitteln ist für Startups oft zu bürokratisch und
entsprechend arbeits- und zeitintensiv. Diese fehlende Verfügbarkeit von passenden
Kapitalgebern sowie zugänglichen Förderprojekten stellt technologieintensive
Gründungen vor erhebliche Herausforderungen.

3 Vorschläge

Ausgründungen sind eine entscheidende Säule des Innovationsstandorts in Deutschland.
Daher muss der Technologie-Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft in Form von
technologieintensiven und wissensbasierten Startups gestärkt werden. Durch diese 8
Vorschläge kann mehr Gründungsideen der Schritt aus der Wissenschaft in die Wirtschaft
gelingen:

Herausforderung I: Fehlende Verankerung von unternehmerischem Denken und
Gründungskultur an Universitäten und Forschungseinrichtungen

1. Proaktivere Rolle der Hochschulen: Unternehmerisches Denken und Gründungskultur
müssen frühzeitig als fester Bestandteil von akademischen Einrichtungen,
fachübergreifend und insbesondere in MINT-Studiengängen, verankert und das
Bewusstsein dafür erhöht werden. Gründungsförderung und -begeisterung sollte unter
Professorinnen und Professoren sowie Hochschul- und Institutsleitung eine zentrale Rolle
spielen. Sie müssen als Entrepreneurship-Promotoren agieren. Hochschulen und
Stellungnahme
8 Punkte für mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft
Seite 3|5

Forschungseinrichtungen sollten Instrumente wie die Einführung von Entrepreneurship
Education im Lehrplan, mehr Raumangebot und Ausstattung für Startups oder
Gründungsberatungsangebote, flächendeckend umsetzen. Insbesondere sollten
Technologie-Transfer-Offices, die auf die Besonderheiten bei Ausgründungen spezialisiert
sind, weiter etabliert werden. Eine strukturierte und intensive Begleitung von
gründungsinteressierten Forscherinnen und Forschern sollte somit als festes Angebot der
Hochschule verankert sein. Verschiedene Formate, wie das Präsentieren von
Erfolgsgeschichten oder Role-Model-Vorträge, können Forscherinnen und Forscher zum
Gründen motivieren.

2. Unternehmensgründung als Karriereweg: Unternehmertum sollte bereits in der Schule
oder mindestens aber an den Hochschulen sichtbarer werden, sodass Ausgründen als
Karriereweg stärker in den Fokus gerät. Innerhalb der Hochschulen und
Forschungseinrichtungen sollte der Fokus von den etablierten akademischen
Erfolgskennzahlen weggelenkt werden. Es sollten Anreizsysteme entwickelt werden, die
Ausgründungen, Transferleistungen und Ausgründungsunterstützungen in solche
Kennzahlen miteinbeziehen. Dazu gehört beispielsweise, dass Ausgründungsbegleitungen
durch Professorinnen und Professoren wie die Betreuung von Abschlussarbeiten
behandelt werden. Weiterhin soll der Ausbau von Gründerzentren und Inkubatoren
unmittelbar an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen gefördert werden.

3. Ausarbeitung von alternativen Gründungsformen: Um Zielkonflikte sowohl bei
Forschern und Forscherinnen also auch in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen
zu verringern, sollten alternative Gründungsformen entwickelt und angeboten werden.
Flexible und individuell anpassbare Arbeitszeitmodelle, wie Gründungssemester oder
Gründungs-Sabbaticals, sollten Einzug halten, um benötigte Freiräume für
unternehmerische Ideen zu schaffen. Das „Gründen ohne Gründende“ – die
technologische Basis stammt dabei aus der Hochschule, die Forscherinnen und Forscher
bleiben in ihrem akademischen Umfeld und ein Gründungs- oder Management-Team mit
jeweiliger Branchenkenntnis übernimmt den Business Case – stellt eine Alternative zu
klassischen Ausgründungswegen dar.3 Wichtig sind auch Rückkehrstrategien und -
optionen. Solche Angebote stellen ein Sicherheitsnetz für die Forscher und Forscherinnen
dar. Sie senken die Ausgründungs-Hemmschwelle und minimieren das persönliche Risiko.

Herausforderung II: Gründungsfreundlichere Konditionen an Wissenschaftseinrichtungen
durch Abbau von strukturellen und institutionellen Barrieren

4. Effiziente, transparente und faire Lizenz- und IP-Verhandlungen: Die Verhandlungen zu
IP und Lizenzverträgen (Term Sheets) zwischen Hochschulen und Forschungsinstitutionen
finden nicht auf Augenhöhe statt. Daher sollte für alle Transferstellen die Verpflichtung

3   Bertelsmann Stiftung (2021): Innovative Start-ups in der Initialphase fördern
Stellungnahme
8 Punkte für mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft
Seite 4|5

gelten, von Beginn an transparente Term Sheets anzubieten. Es soll eine Ausarbeitung von
fairen und transparenten Richtlinien stattfinden. Außerdem könnten Anreize geschaffen
werden, die es für Hochschulen und Forschungseinrichtungen attraktiver machen, den
Unternehmen ein Verkaufsangebot der Patente zu machen. So kann gewährleistet
werden, dass die Ausgründungen unmittelbar handlungsfähig sind und einen besseren
Zugang zu Wagniskapital haben. Weitere denkbare Lösungsansätze sind
umsatzabhängige (wächst das Unternehmen, profitiert auch die Institution; anstelle von
fixen Zahlungen) und staatlich begrenzte Lizenzzahlungen. Auch das
Beteiligungsmanagement an Hochschulen muss transparenter und gerechter gestaltet
werden.

5. Entbürokratisierung: Um den Gründungsprozess zu beschleunigen und die Dauer der
Lizenzverhandlungen zu verkürzen, könnte die Einführung von Semi-Standard-
Lizenzverträgen helfen. Sie beinhalten standardisierte Vereinbarungen mit flexiblen,
individuell anpassbaren Modulen. Diese könnten einheitlich an allen Hochschulen und
Forschungseinrichtungen entwickelt und beispielsweise per Verordnung implementiert
werden. Weiterhin wäre es hilfreich, wenn Gründungsförderungen generell unabhängiger
von den Wissenschaftseinrichtungen agieren könnten. Um Konflikte bei Ausgründungen
zu vermeiden, könnten niederschwellige Vermittlungsinstanzen eingerichtet werden, die
auf Startups spezialisiert sind. Durch die Besetzung mit Vertreterinnen und Vertretern aus
Wissenschaft, Gründenden und Expertise im IP-Recht, könnte diese Stelle im Konfliktfall
neutral und fundiert schlichten. Zu erwägen wäre, ob die Schiedsstelle des Deutschen
Patent- und Markenamts (DPMA) hierfür eine Vermittlungsfunktion übernehmen könnte.
Grundsätzlich sollte Startups mehr niederschwellige Rechtsberatung, insbesondere zu den
Term Sheets, zur Verfügung stehen.

Herausforderung III: Ausbau eines attraktiven Forschungs- und Innovationsökosystems

6. Vernetzung und Austausch vertiefen: Der frühe und kontinuierliche Austausch zwischen
der Wissenschaft und der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft muss weiter ausgebaut
werden. Wir begrüßen Initiativen wie „Young Entrepreneurs in Science“ und den bisher
durchaus vorhandenen Aufbau von Netzwerken durch staatliche Instanzen. Für Startups,
aber auch insbesondere für Ausgründungen, ist in den ersten Phasen das Netzwerk für das
weitere Wachstum entscheidend, denn die Abstimmung, Vernetzung und Vermittlung
sind essenziell. Die Unterstützung für Cluster- und Netzwerkaktivitäten sowie Initiativen,
die Ausgründungen fördern, sollte daher weiter intensiviert werden.

7. Ausbau der Unterstützungsleistungen des Staates: Um den Start für Startups zu
erleichtern, sollten weitere Investitionen in z.B. Beratung und Infrastruktur fließen.
Außerdem sollte der EXIST-Forschungstransfer weiterentwickelt und ausgebaut werden,
um gezielte Unterstützung leisten zu können. Bei der Einwerbung von Forschungsgeldern
und Fördermitteln, die zur weiteren Forschung und zur Entwicklung des Business Case
Stellungnahme
8 Punkte für mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft
Seite 5|5

notwendig sind, sollte entbürokratisiert werden. Eine staatliche Beratungsstelle für
öffentliche Anträge könnte bei der arbeits- und zeitintensiven Antragseinreichung bei
Förderungsprojekten unterstützen.

8. Schließung von Finanzierungslücken: Wir begrüßen die bisherigen Aktivitäten im
Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien des BMF. Die einzelnen Module fördern
sowohl den Ausbau bestehender Finanzierungsinstrumente als auch die Entwicklung
neuer Instrumente für Wachstumsfinanzierungen. So hat der DeepTech Future Fonds für
technologieintensive Gründungen eine lange Finanzierungslaufzeit, die die üblichen
Finanzierungszeiträume im VC-Markt übersteigt. Eine Stärkung des DeepTech Fonds
schafft somit Finanzierungsperspektiven für technologieintensive Startups. Die
Investitionen des Zukunftsfonds müssen zügig sowie frühzeitig und kontinuierlich
evaluiert werden. Die Voraussetzung, dass ein privater Lead-Investor mit mindestens 30%
zu gleichen Konditionen wie der Zukunftsfond investieren muss, sollte geprüft werden.
Investitionen mit einem höheren Risikograd, insbesondere für High- und Deep-Tech
Unternehmen aus der Forschung, sollten stärker gefördert und mobilisiert werden, da hier
der Erfolg bzw. der Business Case gar nicht oder erst langfristig ersichtlich ist. Der private
Wagniskapitalgeber „Earlybird“ startete dahingehend zuletzt einen neuen 75-Millionen-
Euro Fonds, der eigens auf technologie- und wissensbasierte Unternehmensgründungen
ausgerichtet ist und ein wichtiges Zeichen in dieser Thematik setzt.

Bitkom vertritt mehr als 2.600 Unternehmen der digitalen Wirtschaft, davon gut 1.800 Direktmitglieder. Sie
erzielen allein mit IT- und Telekommunikationsleistungen jährlich Umsätze von 190 Milliarden Euro,
darunter Exporte in Höhe von 50 Milliarden Euro. Die Bitkom-Mitglieder beschäftigen in Deutschland mehr
als 2 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zu den Mitgliedern zählen mehr als 1.000 Mittelständler,
über 500 Startups und nahezu alle Global Player. Sie bieten Software, IT-Services, Telekommunikations- oder
Internetdienste an, stellen Geräte und Bauteile her, sind im Bereich der digitalen Medien tätig oder in
anderer Weise Teil der digitalen Wirtschaft. 80 Prozent der Unternehmen haben ihren Hauptsitz in
Deutschland, jeweils 8 Prozent kommen aus Europa und den USA, 4 Prozent aus anderen Regionen. Bitkom
fördert und treibt die digitale Transformation der deutschen Wirtschaft und setzt sich für eine breite
gesellschaftliche Teilhabe an den digitalen Entwicklungen ein. Ziel ist es, Deutschland zu einem weltweit
führenden Digitalstandort zu machen.

Ihre Ansprechpartner
                      Sabine Fey                                                       Julius Weber
                      Startups                                                         Referent Startups
                      T 030 27576-575                                                  T 030 27576-113
                      s.fey@bitkom.org                                                 j.weber@bitkom.org

Albrechtstraße 10 | 10117 Berlin | www.bitkom.org
Sie können auch lesen