Österreichs Wirtschaft in der Corona-Pandemie - Thomas Czypionka, Martin G. Kocher* und Alexander Schnabl - De Gruyter
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Perspektiven der Wirtschaftspolitik 2020; aop Thomas Czypionka, Martin G. Kocher* und Alexander Schnabl Österreichs Wirtschaft in der Corona-Pandemie https://doi.org/10.1515/pwp-2020-0024 2 Entwicklung der Corona-Krise in Zusammenfassung: Die Corona-Epidemie fand die Welt- Österreich1 gemeinschaft unvorbereitet. Sie zwang die Regierungen zu umfassenden gesundheits- und wirtschaftspolitischen Am 25. Februar wurde der erste Fall mit positivem Test auf Maßnahmen, wodurch innerhalb weniger Wochen eine das SARS-CoV-2 registriert; es handelte sich um eine Frau nicht vorhersehbare Weltwirtschaftskrise enormen Aus- aus Italien, die in einem Hotel in Innsbruck arbeitete und maßes entstand. Die österreichische Regierung reagierte in kurz zuvor ihre Heimat Lombardei besucht hatte. Weitere Europa als eine der ersten und verordnete Mitte März 2020 Einträge des Virus nach Österreich erfolgten vor allem im einen weitgehenden Lockdown. Mit Fokus auf Österreich Zusammenhang mit Skitourismus und Geschäftsreisen. stellen Thomas Czypionka, Martin G. Kocher und Alexan- Nach ersten Reisewarnungen im Februar für China der Schnabl die einzelnen Maßnahmen dar und bewerten und schließlich Italien erfolgten die ersten Reisebeschrän- sie. Zusätzlich nähern sie sich den volkswirtschaftlichen kungen trotz der internationalen Nachrichten erst Mitte Folgen des Lockdowns mittels Einschätzungen von Fach- März. Die große Nähe zu Italien stellte einen wichtigen leuten und einer multiregionalen Input-Output-Analyse Erklärungsfaktor für die dann aber rasche Reaktion auf das auf nationaler, sektoraler, und regionaler Ebene, jeweils Virus dar. Italien ist eng mit Westösterreich verflochten zum Informationsstand 28. April 2020. Demnach wird die und teilweise verstörende Bilder der Situation in nordita- Corona-Krise die österreichische Wirtschaftsleistung im lienischen Intensivstationen taten in Österreich ihre Wir- Jahr 2020 um rund 8,5 Prozent im Vergleich zum Referenz- kung. Zudem ist, im Gegensatz zu Deutschland, die Seu- szenario reduzieren, vorbehaltlich weiterer politischer chenbekämpfung eine Aufgabe des Bundes, wodurch eine Maßnahmen, möglicher Konjunkturpakete oder dem Risi- einheitliche, durchgehende Politikreaktion möglich war. ko einer zweiten Epidemiewelle im Herbst 2020. JEL-Klassifikation: E24, E27, E6 2.1 Einschränkungen des öffentlichen Schlüsselwörter: COVID-19, wirtschaftspolitische Maß- Lebens nahmen, Österreich, Konjunkturprognose Erste Maßnahmen wurden am 11. März 2020 angekündigt, mit dem Verbot von Veranstaltungen im Freien mit mehr 1 Einleitung als 500 bzw. in geschlossenen Räumen mehr als 100 Teil- nehmerInnen. Zu diesem Zeitpunkt waren zwar nur 476 Als eines der ersten Länder in Europa konnte Österreich positiv getestete Fälle bekannt, die Wachstumsrate der seine Lockdown-Maßnahmen zumindest teilweise bereits Fallzahl lag jedoch bei 40 Prozent. Schon am 12. März 2020 nach Ostern lockern. Zu diesem Zeitpunkt war die Wachs- erfolgten weitere Ankündigungen zu Universitäten und tumsrate der Neuinfektionen bereits unter 2 Prozent gesun- Schulen, welche schrittweise auf Fernunterricht umge- ken (BMSGPK 2020). Was hat Österreich also bei der Be- stellt wurden. Die Behörden sprachen zudem eine Empfeh- kämpfung von Covid-19 „richtig“ gemacht? Wie sehr leidet lung aus, Kinder nicht von den Großeltern betreuen zu darunter die Wirtschaft? Welche Unterstützungsmaßnah- lassen. Am Wochenende vom 14. und 15. März 2020 be- men wurden dabei eingesetzt, um Arbeitsplätze zu schüt- schloss der Nationalrat schließlich das erste große Maß- zen und die Verluste der Betriebe abzufedern? nahmenpaket zur Eindämmung der Pandemie. Es trat in der darauffolgenden Woche schrittweise in Kraft. Das Be- Thomas Czypionka, Institut für Höhere Studien, Josefstädter Str. 39, treten öffentlicher Flächen und damit de facto der eigenen 1080 Wien, E-Mail: czypionk@ihs.ac.at Wohnumgebung war den Bürgern nur noch in vier Fällen *Kontaktperson: Martin G. Kocher, Universität Wien und Institut für Höhere Studien, Josefstädter Str. 39, 1080 Wien, E-Mail: kocher@ihs.ac.at Alexander Schnabl, Institut für Höhere Studien, Josefstädter Str. 39, 1 Das Institut für Höhere Studien führt ein Ereignisjournal für den 1080 Wien, E-Mail: schnabl@ihs.ac.at DACH-Raum.
2 Thomas Czypionka, Martin G. Kocher und Alexander Schnabl gestattet: (i) Weg zur Arbeit, (ii) Betreuung anderer Per- mit Geschäfts- statt Schulöffnungen begann. Die Oppositi- sonen, (iii) Einkauf von lebensnotwendigen Gütern und on nahm Anstoß daran, dass die Wirtschaft („Baumärkte“) (iv) Spaziergänge bzw. Joggen/Radfahren, gegebenenfalls wichtiger sei als Kinder. Unter diesem Druck wurden auch mit Haushaltsmitgliedern. bald Maßnahmen für Schulöffnungen angekündigt. Mit der Ausnahme von Lebensmittelgeschäften, Apo- theken, Drogerien und Geschäften des medizinischen Be- darfs wurden sämtliche Ladenöffnungen untersagt. Res- 2.3 Lockerung der Maßnahmen und taurants durften ihre Speisen nur mehr über Lieferdienste Bewertung anbieten. Zusammenkünfte von mehr als fünf Personen waren mit Ausnahmen ebenfalls untersagt. Als eines der ersten Länder in Europa beschloss Österreich die schrittweise Aufhebung des Lockdowns. Bereits nach Ostern konnten Geschäfte mit einer Fläche bis 400 m2 2.2 Gesellschaftliche und politische sowie Baumärkte wieder öffnen, und die Benützung des Reaktionen öffentlichen Verkehrs wurde erweitert. Beide Maßnahmen waren allerdings mit der Pflicht zum Tragen eines Mund- Sicher auch unter dem Eindruck der Meldungen aus Italien Nasen-Schutzes verbunden. Auch Handwerksbetriebe oh- war der Zuspruch zu den Maßnahmen zunächst groß ne maßgeblichen Kundenkontakt konnten ihre Tätigkeit („Rally-to-the-flag“-Effekt). Dies war begleitet durch um- wieder aufnehmen. fangreiche Informationssendungen des öffentlichen Rund- Mit Anfang Mai konnten alle Geschäfte sowie Friseure funks (ORF) sowie öffentlichkeitswirksame Pressekon- ihren Betrieb wiederaufnehmen, die letzten Bewegungs- ferenzen von Kanzler (ÖVP) und Vizekanzler (Grüne). einschränkungen wurden aufgehoben. Für Mitte Mai ist die Auch die Opposition hielt sich mit Kritik zunächst zurück Eröffnung von Restaurants mit Sperrstunde 23 Uhr und und agierte anfangs konstruktiv („Schulterschluss“). weiteren Regelungen zur Personendichte geplant. Eine erste Kontroverse ergab sich im Rahmen der Zahl Am 24. April wurde – nicht zuletzt auch auf Druck der der durchgeführten Tests. Die Opposition verlangte un- Opposition – der Fahrplan für die Schulen präsentiert: Mit geachtet der Material- und Logistikengpässe deren Aus- 4. Mai dürfen Schüler und Schülerinnen der Abschluss- weitung, was schließlich im Kauf von zwei Millionen klassen wieder in die Schule, danach werden Mitte Mai Schnelltests resultierte, deren genaue Güte aber unbe- Volksschulen, AHS-Unterstufen, Neue Mittelschulen und kannt war und deren Einsatzmöglichkeit derzeit unklar ist. Sonderschulen wieder für den Schulbetrieb geöffnet. Der Einen weiteren Angriffspunkt bot die „Stopp-Corona- Rest der Schulen folgt Anfang Juni. In den Schulen herrscht App“ unter der Ägide des Roten Kreuzes. Zwar ist das Rote außerhalb des Klassenzimmers Maskenpflicht. Für das Ab- Kreuz gemeinnützig, und diese Tracing-App war eine der halten von Veranstaltungen soll es Bedingungen und Auf- ersten in Europa. Sie war jedoch von einem privaten Unter- lagen geben. So soll das Zusammenkommen auf bestimmte nehmen programmiert, in der Cloud eines privaten Unter- Personengruppen eingeschränkt werden, was das Total- nehmens gehostet und nicht open-source. Zusätzlich er- verbot des Zusammenströmens ersetzen sollte. wog der Nationalratspräsident, die App verpflichtend zu Österreich profitierte in seiner Reaktion auf die Krise machen, indem ihre Verwendung zur Voraussetzung für von einer Reihe von Faktoren. Die Nähe zu Italien und die zusätzliche Freiheiten werden könnte; eine Idee, die rasch engen Verflechtungen insbesondere nach Südtirol erzeug- wieder verworfen wurde, aber für viel Aufruhr sorgte. ten ein hohes Problembewusstsein. Die Regierung besteht Zuletzt geriet die nicht vollständig transparente Ent- aus einer Koalition von christlich-sozialer ÖVP und den scheidungsstruktur und -grundlage der Regierung in die Grünen, eine noch nie dagewesene Kombination und erst Kritik. Zwar gibt es eine Corona-Taskforce als Beraterstab seit 7. Januar 2020 im Amt. Die Protagonisten mussten des- des Gesundheitsministers; diese ist aber vorwiegend von halb Handlungsfähigkeit und Einigkeit unter Beweis stel- Medizinern besetzt. Im Bereich des Kanzleramts zeichnen len. Hinzu kommt die verfassungsmäßige Aufgabenvertei- vor allem der Think-Tank „Think Austria“ und das mit der lung in Österreich. Das Land ist zwar ein föderaler Staat Präsidentschaftskanzlei und mit dem Kanzleramt verbun- mit neun Bundesländern, der grundsätzlich im Gesund- dene „Future operations clearing board“ als Beratungs- heitswesen unter der Fragmentierung der Kompetenzen organe verantwortlich. Auch im Innenministerium gibt es (Sozialversicherung/Bund vs. Krankenanstalten/Länder) einen permanenten Krisenstab. leidet, in der Seuchenbekämpfung kommen jedoch dem Für Kontroversen sorgte schließlich auch die Abfolge Bund umfangreiche Vollmachten zu, wodurch eine ein- der Maßnahmen zur Aufhebung des Lockdowns, welche heitliche und rasche Durchsetzung der Politik möglich
Österreichs Wirtschaft in der Corona-Pandemie 3 war. Begünstigend wirkte zudem die Tatsache, dass die 3.1 Auswirkungen auf die Weltwirtschaft – zunächst betroffene Bevölkerung nicht der Risikogruppe Annahmen angehörte (Skifahrer, Geschäftsreisende) und dass der Ein- trag in die ältere Bevölkerung aufgrund der Familienstruk- Um der Corona-Pandemie Einhalt zu gebieten, haben die turen länger dauerte als in Italien. Regierungen in aller Welt umfassende Maßnahmen getrof- fen, die vorwiegend den sozialen Kontakt zwischen Per- sonen reduzieren sollen, um die Ansteckungsgefahr zu senken. Dadurch ist die Wirtschaft überall stark beein- 3 Auswirkungen der Pandemie auf trächtigt. Wir übernehmen für die vorliegende Analyse die österreichische Wirtschaft weitgehend die weltwirtschaftlichen Annahmen, die im Rahmen der am 8. April 2020 veröffentlichten Gemein- Im Folgenden schätzen wir die Auswirkungen der gesetz- schaftsdiagnose getroffen wurden, an der das Institut für ten gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung Höhere Studien als Partner des RWI Essen beteiligt ist der Corona-Pandemie auf die österreichische Wirtschaft (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2020). Da sich die national, regional und sektoral auf Basis eines multiregio- Situation in vielen Ländern aber sehr dynamisch ent- nalen Input-Output-Modells zum Stand 28. April 2020 ab.2 wickelt, mussten die Annahmen zum Teil aktualisiert wer- Für die Einschätzung der durch die Corona-Epidemie aus- den. gelösten ökonomischen Krise kann man nicht auf empiri- In der folgenden Tabelle werden die aktuellen Annah- sche Daten, Expertisen oder Erfahrungen aus vorher- men zur Wirtschaftsentwicklung in wichtigen Volkswirt- gehenden Krisen zurückgreifen, aber dennoch müssen schaften mit denen verglichen, die im Rahmen der Ge- solche Abschätzungen erfolgen, damit Regierungen Ent- meinschaftsdiagnose im Herbst 2019 erarbeitet wurden scheidungshilfen für das Schnüren von Hilfsmaßnahmen (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2019). Die Diffe- zur Verfügung haben. Daher bilden hier zum größten renz ist auf die Corona-Pandemie zurückzuführen. Teil Einschätzungen von Fachleuten die Grundlage für die weiteren Berechnungen. Tabelle 1: Annahmen bezüglich der Entwicklung des realen BIP in Für die vorliegende Analyse haben wir das multiregio- ausgewählten Ländern und des Welthandels im Jahr 2020, in Prozent nale Input-Output-Modell des Instituts für Höhere Studien Land GD Herbst 2019 Aktuelle Annahmen eingesetzt. Zusätzlich zu einem nationalen Input-Output- Modell, worin die wechselseitig verknüpften Liefer- und Vereinigte Staaten 1,7 -4,0 Bezugsstrukturen der einzelnen Sektoren einer Wirtschaft China 5,9 1,0 erfasst werden, sind in einem multiregionalen Modell auch Japan 0,6 -2,0 die Verflechtungen zwischen den einzelnen Regionen, in Deutschland 1,1 -4,2 diesem Fall den österreichischen Bundesländern, abgebil- Italien 0,6 -10,8 (GD: -9,8) det. Für regionale Analysen muss daher zusätzlich zu den Frankreich 1,2 -5,8 intraregionalen Verlinkungen abgeschätzt werden, wie Vereinigtes Königreich 1,2 -3,8 (GD: -2,8) groß die interregionalen Verflechtungen sind. So können Schweiz 1,6 -2,3 die direkten, indirekten (entlang der Wertschöpfungsket- Ungarn 3,0 -4,0 ten) und konsum- und investitionsinduzierten Wirkungen nicht nur berechnet, sondern auch regional verortet wer- Tschechien 2,4 -5,9 den. Wir berechnen die Effekte auf Wertschöpfung sowie Slowakei 2,8 -2,5 Steuern und Sozialabgaben, aufgrund der hohen Unsi- Russland 1,8 -2,1 (GD: -1,1) cherheiten und noch unbestimmter Wirkung kürzlich er- Welthandel 0,7 -7,4 weiterter wirtschaftspolitischer Maßnahmen (wie bei- spielsweise die Corona-Kurzarbeit) verzichten wir auf die Quellen: Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2019 und 2020, Czy- übliche Einschätzung der Beschäftigungseffekte. pionka et al. 2020 In den vom Corona-Virus besonders betroffenen Ländern 2 Basis bilden dazu regelmäßige Untersuchungen, die die Autoren sinkt aufgrund der steigenden Arbeitslosenzahlen auch gemeinsam mit ihren jeweiligen Forschungsgruppen am Institut für Höhere Studien seit März 2020 durchführen; diese Analysen werden der Konsum, jedoch vermutlich in einem geringeren Aus- in Form von Policy Briefs auf der Website des Instituts veröffentlicht maß als die Produktion. (vgl. Czypionka et al. 2020).
4 Thomas Czypionka, Martin G. Kocher und Alexander Schnabl 3.2 Sektorale Betroffenheit in Österreich – ihrer Verflechtung entlang der Wertschöpfungsketten indi- Annahmen rekt betroffen, da direkt beeinträchtigte Branchen weniger Vorleistungen verbrauchen und Investitionen jedenfalls Die Corona-Epidemie und die Maßnahmen zur Bekämp- derzeit nicht tätigen. Das im Aggregat niedrigere Einkom- fung dieser belasten die verschiedenen Wirtschaftszweige men durch die höhere Arbeitslosigkeit und die In- in unterschiedlichem – relativen – Ausmaß. Tabelle 2 anspruchnahme der Kurzarbeit verursacht auch ein Absin- stellt die Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsbereiche in ken des heimischen privaten Konsums. Demgegenüber ist Österreich dar. in einigen wenigen Wirtschaftszweigen ein Wertschöp- fungsanstieg zu erwarten, da deren Aktivitäten nun gerade Tabelle 2: Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftszweigen jetzt besonders benötigt werden, beispielsweise die öffent- liche Verwaltung. Wertschöpfung in Besonders betroffen sind der Tourismus, die Kultur- Mrd. Euro wirtschaft, das Veranstaltungswesen und damit verbunde- Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 4,51 ne Branchen. Bereits Mitte März wurden in Österreich Bergbau und Herstellung von Waren 67,93 zuerst teilweise, später vollständig Hotels und Gastrono- Energie, Wasserversorgung, Abfallentsorgung 10,20 miebetriebe in eine Zwangspause geschickt, die nun erst Bau 24,49 mit Mitte Mai stufenweise aufgehoben wird. April und Mai Handel; Instandhaltung und Reparatur von 40,76 sind vergleichsweise schwache Tourismusmonate; daher Kraftfahrzeugen fallen diese Schließungen hier weniger ins Gewicht. Dem- Verkehr und Lagerei 20,23 gegenüber sind die Sommermonate Juli und August übli- Beherbergung und Gastronomie 19,40 cherweise die stärksten Tourismusmonate. Aufgrund der zu erwartenden Verlängerungen der internationalen Rei- Information und Kommunikation 12,68 sebeschränkungen werden aber möglicherweise kaum Erbringung von Finanz- und 14,37 Versicherungsdienstleistungen Gäste in diesem Zeitraum aus dem Ausland nach Öster- reich kommen. Die ausländischen Gäste sorgen jedoch Grundstücks- und Wohnungswesen 35,50 sonst laut Nächtigungsstatistik der Statistik Austria (STAT- Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen 35,24 Cube 2020) für 74 Prozent der touristischen Nächtigungen Dienstleistungen in Österreich. Allein 37 Prozent (die Hälfte der auslän- Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; 17,69 dischen Gäste) kommen aus Deutschland. Sozialversicherung Die Österreicher und Österreicherinnen können nun Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und 43,85 Sozialwesen ebenfalls ihren Urlaub weniger im Ausland verbringen, sondern mehr im Inland, aber die ausländische Nachfrage Kunst, Unterhaltung und Erholung; sonstige 9,83 Dienstleistungen können sie sicher nicht kompensieren. Auch mussten viele Unselbständige bereits jetzt Teile ihres Urlaubs verbrau- Quelle: Statistik Austria 2020 chen, sodass weniger für Reisen im Rest des Jahres übrig- bleibt. Es ist daher ein Preiskampf um die verbliebenen Verschiedene Branchen in Österreich können derzeit auf- Gäste wahrscheinlich und ein deutlicher Umsatzrückgang grund von Beschränkungen nur eingeschränkt aktiv sein, zu erwarten. Dabei sind die einzelnen Bundesländer beispielsweise der Tourismus, Teile des Handels und das unterschiedlich betroffen. Nationale und internationale Kultur- und Veranstaltungswesen. Die Industrie auf der Kongresse haben eine hohe Bedeutung für den Wiener anderen Seite hat vorwiegend durch Unterbrechung der Tourismus; die Absagen oder Verschiebungen dieser Ver- Lieferketten – einerseits durch Beschränkungen im inter- anstaltungen treffen daher die Stadt ganz besonders, auch nationalen Handel und andererseits durch Beeinträchti- außerhalb der Hauptsaison. Hingegen stellen die kommen- gungen der Produktion im Ausland – eingeschränkten Zu- den Monate Hochsaison für den Wandertourismus zum gang zu benötigten Vorleistungsgütern. Wieder andere Beispiel in Tirol dar. Wirtschaftszweige scheinen unmittelbar kaum betroffen, Infolge der zu erwartenden deutlich niedrigeren tou- da sie entweder für die Bereitstellung lebensnotwendiger ristischen Aktivitäten sind auch Reisebüros und Reisever- Güter und Dienstleistungen zuständig sind oder anderwei- anstalter stark betroffen. Aufgrund der Unsicherheiten be- tig Schlüsselsektoren darstellen. Viele Bürotätigkeiten züglich bestehender oder neuer Reisebeschränkungen bis werden wiederum derzeit im Home-Office erledigt. Wenn in die umsatzstarke Sommersaison hinein wird das Neu- auch nicht direkt, sind viele dieser Sektoren jedoch wegen auftragsvolumen voraussichtlich niedrig bleiben. Wie im
Österreichs Wirtschaft in der Corona-Pandemie 5 Tourismus allgemein ist auch bei den Reisebüros und Teil der Konsumnachfrage kurzfristig weg, wie auch die Reiseveranstaltern nur von einer langsamen Erholung aus- Nachfrage nach langlebigen Wirtschaftsgütern, da nun zugehen. weniger investiert wird. Gewisse Aufholeffekte sind wohl Ähnliches ist für die Luftfahrt zu erwarten. Die größte möglich; die Wiedererreichung ungehinderter Produkti- österreichische Fluglinie AUA (Austrian Airlines) hat den onsabläufe und länderübergreifender Lieferketten wird regulären Flugbetrieb bis nunmehr zumindest 17. Mai aber Zeit erfordern. Infolge niedrigerer Produktion wird 2020 eingestellt. Eine vollständige Erholung noch dieses auch der Energiebedarf sinken. Aufgrund der Verflech- Jahr schließen sowohl die IATA (International Air Trans- tungen der Industrie mit den wirtschaftsnahen Dienstleis- port Association) als auch die AUA selbst aus. tungen wird auch dort die Wertschöpfungsleistung zu- Eine große Abhängigkeit von ausländischen Gästen rückgehen. besteht auch im Kultur- und Veranstaltungsbereich. Mu- Das Bauwesen war anfangs massiv von den Maßnah- seen und Bibliotheken können zwar bereits ab Mitte Mai men beeinträchtigt, da fast alle Baustellen zwei Wochen wieder öffnen, jedoch ist anfangs mit einer vergleichswei- geschlossen werden mussten. Aufgrund einer Ende März se niedrigen Auslastung zu rechnen. Demgegenüber dür- abgeschlossen Sozialpartnervereinbarung zum Schutz der fen bis voraussichtlich Ende August 2020 keine Großver- Arbeitenden auf Baustellen konnten jedoch vielerorts Ar- anstaltungen stattfinden; viele Veranstaltungen werden beiten wiederaufgenommen werden. Eng verflochten mit daher abgesagt oder verschoben. Kleinere Veranstaltun- dem Bauwesen ist die Architektur- und Ingenieursbranche gen bis zu zehn Personen sind ab Mai wieder erlaubt. Ab mit entsprechenden Folgen. Anfang Juni können an professionellen Kultureinrichtun- Die geringere Nachfrage vor allem aus der Gastrono- gen die Proben wieder aufgenommen werden, jedoch ist mie, aber auch die niedrigere Industrieproduktion reduzie- ein voller Betrieb dieser Einrichtungen nicht vor Herbst zu ren die Umsätze im Großhandel. Der Einzelhandel war erwarten. Der Veranstaltungs- und Kultursektor wird auch durch Zwangsschließungen der meisten Geschäfte ab Mit- über die verordneten Beschränkungen hinaus beeinträch- te März deutlich beeinträchtigt; ausgenommen waren nur tigt sein, da ausländische Künstler und Künstlerinnen so- Geschäfte, die lebensnotwendige Güter anbieten. Die Ein- wie Gäste aus dem Ausland von den Reisebeschränkungen zelhändler dürfen seit Mitte April wieder nach und nach betroffen sein werden und generell Unsicherheiten beste- öffnen, die Nachfrage in einigen Branchen blieb jedoch hen. zunächst noch hinter den Erwartungen. Aufgrund der ge- Spitzensportler und Spitzensportlerinnen dürfen zwar ringeren Einkommen der Haushalte wird die Nachfrage nach Beschränkungen seit Ende April wieder an Sportstät- nach langlebigen Gebrauchsgütern und nach Luxusgütern ten trainieren; wann wieder Veranstaltungen im Sport- zumindest noch eine gewisse Zeit abgeschwächt sein. bereich stattfinden werden, ist jedoch unklar. Ab Anfang Die Pandemie lässt eine erhöhte Nachfrage nach Leis- Mai können auch Breitensportaktivitäten in manchen tungen des öffentlichen Gesundheitssystems erwarten, Sportarten wieder aufgenommen werden. auch sind derzeit aufgeschobene Gesundheitsdienstleis- Der Personenverkehr ist aufgrund der Ausgangs- tungen nachzuholen. Mit fortlaufender Dauer der Ein- beschränkungen und der Möglichkeit zum Arbeiten im schränkungen, aber auch der Furcht vor Ansteckung und Home-Office massiv eingebrochen. Vor allem im Fernver- Verzicht auf Gesundheitsleistungen kann diese Aufhol- kehr ist auch bis in den Sommer mit einem geringeren möglichkeit aber bald abschmelzen. Gleichzeitig sind Aufkommen zu rechnen. Aufgrund der Einschränkungen private bzw. elektive Gesundheitsdienstleistungen zurzeit in der Industrieproduktion ist aber auch der Güterverkehr eher eingeschränkt möglich. In der öffentlichen Verwal- von einer gesunkenen Nachfrage betroffen, allerdings in tung wird die Wertschöpfung unter anderem aufgrund er- einem deutlich geringeren Ausmaß. Nach der Lockerung forderlicher Mehrarbeit, beispielsweise in der öffentlichen mancher Maßnahmen wird sich die Nachfrage nach Ver- Sicherheit, etwas wachsen. Auch in der Wasserversorgung, kehrsdienstleistungen wieder langsam normalisieren. der Telekommunikation und den damit verbundenen Die Industrie ist durch die geringere Produktion auf Dienstleistungen sowie im Bereich der Rechtsberatung wichtigen Exportmärkten beeinträchtigt, da dies zu einer sind Zuwächse möglich. geringeren Nachfrage führt, insbesondere nach Vorleis- tungsgütern aus Österreich. Auch werden Wertschöp- fungsketten der Industrie gestört, da wiederum Vorleis- tungsgüter nicht nach Österreich geliefert oder gar nicht produziert werden können. Durch die Beschränkungen im Handel, Tourismus und Gastronomie bricht ein
6 Thomas Czypionka, Martin G. Kocher und Alexander Schnabl 3.3 Berechnung der ökonomischen gang), Salzburg (-9,6 Prozent), Vorarlberg (-9,3 Prozent) Auswirkungen für Österreich und Wien (-8,8 Prozent) besonders hoch. Demgegenüber sind die Auswirkungen in Niederösterreich (-7,5 Prozent) In den folgenden Berechnungen berücksichtigen wir den und im Burgenland (-7,6 Prozent) deutlich geringer. globalen Nachfrageeinbruch, die gestörten Lieferketten sowie die Auswirkungen der Eindämmungsmaßnahmen Tabelle 4: Ökonomische Auswirkungen nach Wirtschaftszweigen in Österreich. In Tabelle 3 werden die nationalen Auswir- kungen dargestellt, die sich unter den oben genannten Wertschöpfung in Mio. Euro Annahmen ergeben, basierend auf dem Informationsstand vom 28. April 2020. Berücksichtigt werden dabei jeweils Land- und Forstwirtschaft, Fischerei -296 direkte, indirekte und induzierte Effekte. Bergbau und Herstellung von Waren -7.473 Die Corona-Epidemie verursacht aufgrund der Pro- Energie, Wasserversorgung, Abfallentsorgung -812 duktionsrückgänge und der geringeren Nachfrage aus dem Bau -1.727 In- und Ausland eine Reduktion des Bruttoinlandprodukts Handel; Instandhaltung und Reparatur von -2.523 in Österreich um 33,8 Milliarden Euro und der Bruttowert- Kraftfahrzeugen schöpfung um 30,2 Milliarden Euro. Dies entspricht etwa Verkehr und Lagerei -1.916 8,5 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung. Da- Beherbergung und Gastronomie -7.619 durch werden die verschiedenen Körperschaften der öf- Information und Kommunikation -5.645 fentlichen Hand gemeinsam 10,5 Milliarden Euro weniger Erbringung von Finanz- und -846 an Steuern und Abgaben einnehmen. Vor allem die Ein- Versicherungsdienstleistungen nahmen der Sozialversicherung (-4,5 Milliarden Euro) und Grundstücks- und Wohnungswesen -1.027 an den Bund (-3,6 Milliarden Euro) gehen zurück (gerech- Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen -3.452 net nach Durchführung des Finanzausgleichs zwischen Dienstleistungen Bund, Ländern und Gemeinden). Länder und Gemeinden Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; +108 verlieren 2,1 Milliarden Euro. Sozialversicherung Erziehung und Unterricht, Gesundheits- und -185 Tabelle 3: Ökonomische Auswirkungen – Überblick national – Sozialwesen Informationsstand zum 28. April 2020 Kunst, Unterhaltung und Erholung; sonstige -1.860 Dienstleistungen Bruttoinlandsprodukt (in Mio. Euro) -33.800 Wertschöpfung (in Mio. Euro) -30.200 Quelle: Czypionka et al. 2020 Steuern (in Mio. Euro) -10.900 Tabelle 5: Ökonomische Auswirkungen – regionaler Corona- Quelle: Czypionka et al. 2020 bedingter Wertschöpfungsrückgang 2020 Werden die sektoralen Auswirkungen betrachtet (Tabelle Bundesland Wertschöpfung in Rückgang in Prozent 4), so zeigt sich, dass der Wertschöpfungsrückgang abso- Mio. Euro lut betrachtet am höchsten im Bereich Beherbergung und Burgenland -632 -7,6 % Gastronomie (-7,6 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung) Kärnten -1.504 -7,8 % ist, gefolgt von Herstellung von Waren und Bergbau (-7,5 Niederösterreich -4.217 -7,5 % Milliarden Euro) und vom Groß- und Einzelhandel (-2,5 Oberösterreich -4.884 -8,1 % Milliarden Euro). Relativ betrachtet sind Beherbergung Salzburg -2.577 -9,6 % und Gastronomie (-40,7 Prozent), Kunst, Unterhaltung Steiermark -3.523 -7,7 % und Erholung (-18,7 Prozent) sowie sonstige Dienstleistun- gen (-12 Prozent) am meisten betroffen. Tirol -3.408 -10,7 % Die Auswirkungen der Corona-Krise sind in den ein- Vorarlberg -1.628 -9,3 % zelnen Bundesländern (Tabelle 5) aufgrund der unter- Wien -7.819 -8,8 % schiedlichen Bedeutung der verschiedenen Wirtschafts- Österreich -30.192 -8,5 % zweige verschieden. Aufgrund der hohen Effekte in den Tourismus-, Kultur- und Veranstaltungsbereichen sind die Quelle: IHS 2020 Folgen in Tirol (-10,7 Prozent Bruttowertschöpfungsrück-
Österreichs Wirtschaft in der Corona-Pandemie 7 4 Österreichische Maßnahmen zur freie Dienstnehmer einen Umsatzeinbruch von mindestens 50 Prozent zum Vergleichsmonat des Vorjahres hat (für Linderung der ökonomischen Unternehmen, die bei Antragstellung weniger als ein Jahr Corona-Schäden bestehen, gibt es eine Sonderregelung). Die Förderungen aus dem Härtefallfonds sind nicht rückzahlbare Bar- 4.1 Überblick über das Maßnahmenpaket in zuschüsse. Österreich In einer ersten Phase, die mit Ende März begonnen hat, gibt es eine einmalige Soforthilfe von bis zu 1.000 Österreich hat ein umfangreiches Paket zur Bekämpfung Euro (je nach Nettoeinkommen). In einer zweiten Phase, der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auf- die in der zweiten Hälfte des April gestartet wurde, können gelegt. Nach einer Ankündigung von 4 Milliarden Euro zur Unterstützungsleistungen von bis zu 2.000 Euro pro Monat Linderung der ökonomischen Schäden am 14. März 2020 für maximal drei Monate beantragt werden. wurde das Paket schon am 18. März 2020 auf 38 Milliarden Damit Unternehmen, die zu Beginn der Corona-Krise Euro aufgestockt, was knapp 10 Prozent des österrei- noch Zahlungseingänge haben und einen Umsatzeinbruch chischen BIP entspricht. erst später darstellen können, erfasst werden, ist der drei- Schon bei der Ankündigung wurde kommuniziert, monatige Betrachtungszeitraum um drei Monate verlän- dass die österreichische Bundesregierung und das öster- gert worden (bis 15. September 2020). Innerhalb der ins- reichische Parlament bereit wären, sowohl den Umfang gesamt sechs Monate können drei beliebige Monate für die des Pakets, als auch die Verteilung auf die verschiedenen Beantragung gewählt werden, wobei die drei Monate nicht Teilaspekte des Gesamtpakets anzupassen, sollte sich das zwingend aufeinander folgen müssen. Der Härtefallfonds als Notwendigkeit herausstellen. Relativ rasch wurde der war ursprünglich mit 1 Milliarde Euro ausgestattet und Satz „koste es, was es wolle“ von der Regierung verwen- wurde später auf 2 Milliarden Euro aufgestockt. det. Das Corona-Bekämpfungspaket der österreichischen Regierung (vgl. Kocher und Weyerstrass 2020) besteht hauptsächlich aus (i) einem Härtefallfonds, (ii) dem Coro- 4.1.2 Corona-Hilfsfonds na-Hilfsfonds, (iii) Steuerstundungen, (iv) zusätzlichen Mitteln für den Arbeitsmarktservice (AMS) zur Finanzie- Der Corona-Hilfsfonds4 ist mit 15 Milliarden Euro aus- rung von Beihilfen für Kurzarbeit und (v) zusätzlichen gestattet. Er dient der Unterstützung von Unternehmen, Mitteln für das Gesundheitswesen. die starke Umsatzrückgänge zu verzeichnen haben. Je nach Betroffenheit des Unternehmens, gemessen am Um- satzrückgang im Vergleich zum Vorjahr, kann ein Kredit 4.1.1 Härtefallfonds bis zur Höhe eines Quartalsumsatzes beantragt werden. Ansprechpartner dafür ist die jeweilige Hausbank des Der Härtefallfonds3 dient der Abfederung der Umsatzaus- Unternehmens. Das österreichische Bundesfinanzministe- fälle von Unternehmen, die nicht unter den Corona-Hilfs- rium hat für die Abwicklung die COFAG – Covid-19 Finan- fonds fallen. Dabei geht es vor allem um Ein-Personen- zierungsagentur gegründet, wobei die operative Abwick- Unternehmen (EPU, neue Selbständige), freie Dienstneh- lung bei den Förderinstitutionen und Förderbanken mer nach § 4 Abs. 4 ASVG und Kleinstbetriebe, die weniger Oesterreichische Kontrollbank (für Großunternehmen), als zehn Vollzeitäquivalente beschäftigen. Der Härtefall- Austria Wirtschaftsservice GmbH (Klein- und Mittelbetrie- fonds wurde als erstes ausgestaltet und operativ umge- be) und Österreichische Hotel- und Tourismusbank GmbH setzt. (Tourismusunternehmen) liegt. Ein Härtefall ist laut den Regeln gegeben, wenn (i) der Der Corona-Hilfsfonds ist eine Mischung aus Kredit- Unternehmer bzw. freie Dienstnehmer nicht mehr in der garantie und Zuschuss. Die Kreditgarantie deckt 90 Pro- Lage ist, seine laufenden Kosten zu decken, oder (ii) der zent der Kreditsumme ab; mittlerweile können auch 100 Betrieb des Unternehmers von einem behördlichen Betre- Prozent gewährt werden. Der Kredit muss über fünf Jahre tungsverbot nach dem österreichischen Covid-19-Maßnah- zurückgezahlt werden, wobei eine Verlängerung um wei- mengesetz betroffen ist, oder (iii) der Unternehmer bzw. tere fünf Jahre möglich ist und es begünstigte Kreditzinsen 3 Weitere Informationen: https://www.usp.gv.at/Portal.Node/usp/ 4 Weitere Informationen: https://www.wko.at/service/faq-corona- public/content/home/531707.html. hilfs-fonds.html.
8 Thomas Czypionka, Martin G. Kocher und Alexander Schnabl gibt. Vom Kredit muss dann, wiederum je nach Betroffen- niveau 80 bis 90 Prozent des Lohns abdeckt und sogar eine heit, gemessen am Umsatzrückgang, ein Teil nicht zurück- temporäre Reduktion der Arbeitszeit auf null Stunden er- gezahlt werden. laubt. War man anfangs noch von 100.000 Arbeitnehme- Dieser Zuschuss dient dazu, Fixkosten der Unterneh- rinnen und Arbeitnehmern in Kurzarbeit für etwa drei men abzudecken. Voraussetzung ist ein erwarteter Um- Monate ausgegangen, so befinden sich mittlerweile, Stand satzverlust von mindestens 40 Prozent im Jahr 2020 durch Ende April, rund 1.100.000 Personen in Kurzarbeit, wobei die Corona-Krise und eine Geschäftstätigkeit in Österreich. das Ausmaß der Zeitreduktion unterschiedlich ist. Das ent- Der Zuschuss ist gestaffelt und beträgt: 25 Prozent Ersatz- spricht in etwa einem Viertel der Beschäftigten, wobei leistung (bei einem Ausfall von 40–60 Prozent des Umsat- noch immer eine starke Dynamik in den Anträgen besteht. zes), 50 Prozent Ersatzleistung (60–80 Prozent Umsatzaus- Hatte die Regierung anfangs im März ein Budget von 1 fall) und 75 Prozent Ersatzleistung (80–100 Prozent Milliarden Euro für Kurzarbeit reserviert gehabt, musste es Umsatzausfall). Neben den klassischen Fixkosten eines rasch aufgestockt werden. Die später angekündigten 4 Unternehmens sind auch Wertverlust bei verderblichen Milliarden Euro reichen auch nicht mehr. Insgesamt ergibt und saisonalen Waren zuschussberechtigt, sofern diese sich, Stand Ende April, eine zugesagte Summe von gut 7 während der Covid-19-Maßnahmen mindestens 50 Prozent Milliarden Euro, also knapp 2 Prozent des österreichischen ihres Wertes verloren haben. Es gilt eine Obergrenze von BIP. 120 Millionen Euro. Die Kosten für das Kurzarbeitsmodell sind aufgrund Über Hilfen für Unternehmen, die über diese Ober- der hohen Nachfrage substantiell höher als erwartet. Um- grenze hinausgehen, soll im Einzelfall entschieden wer- gekehrt sind die anderen Töpfe, insbesondere der Corona- den. Für Aktiengesellschaften ist vorgeschrieben, dass Bo- Hilfsfonds bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Da es das ni an Vorstände nur bis maximal 50 Prozent der erklärte Ziel der österreichischen Bundesregierung war, letztjährigen Boni ausgeschüttet werden und keine Divi- einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit im Zuge der dendenzahlungen von 16. März 2020 bis 16. März 2021 aus Corona-Krise zu verhindern, muss die hohe Zahl an Kurz- der Liquiditätshilfe getätigt werden dürfen. arbeitsanmeldungen nicht unbedingt negativ gewertet werden; sie kann auch als Erfolg des Modells interpretiert werden, wobei aber die hohen Kosten nicht vernachlässigt 4.1.3 Steuerstundungen werden dürfen. Nach internen Berechnungen des Instituts für Höhere Das österreichische Bundesfinanzministerium bietet eine Studien ist für Österreich ein Budgetdefizit 2020 von etwa 7 Palette von Möglichkeiten an, die Liquidität von Unterneh- Prozent des BIP zu erwarten. Das würde den Schulden- men zu verbessern. Vorauszahlungen der Einkommen- stand Österreichs relativ zum BIP mit Ende des Jahres auf und Körperschaftsteuervorauszahlungen für 2020 können etwa 80 Prozent steigen lassen, wobei Unsicherheit über per Antrag bis auf null herabgesetzt werden. Der Zeitpunkt die Dauer von Steuerstundungen und möglichen Ausfällen der Entrichtung von Abgaben kann bis 30. September 2020 herrscht. Aufgrund der beispiellos großen Unsicherheit hinausgeschoben beziehungsweise eine Entrichtung in hinsichtlich der relevanten Szenarien, die sich aus der Raten dahin beantragt werden. Anträge auf Stornierung Unsicherheit bei der Entwicklung der Pandemie in Öster- von Säumniszuschlägen können gestellt werden. Verspä- reich wie auch in anderen Ländern speist, ist die tungszuschläge werden nicht verhängt, und die Fristen für Bandbreite plausibler Szenarien für die relevanten makro- die Abgabe von Jahressteuererklärungen wurden er- ökonomischen Aggregate, unter anderem für das Budget- streckt. defizit und den Schuldenstand, aber außergewöhnlich hoch. Österreich ist dabei aufgrund seiner Exponiertheit als kleine, offene Volkswirtschaft, mit zusätzlich einer gro- 4.1.4 Corona-Kurzarbeitsmodell ßen Abhängigkeit von ausländischen Gästen im Touris- mus, besonders betroffen. Umgekehrt findet man aber Die Arbeitskosten von beeinträchtigten Unternehmen wer- auch gute Gründe, warum gerade kleine, offene Volkswirt- den nicht aus dem Corona-Hilfsfonds abgedeckt. Hier soll schaften nach einem Abklingen der Unsicherheit eine be- die Corona-Kurzarbeitsregelung5 greifen, die je nach Lohn- sonders rasche Erholung erfahren könnten. 5 Weitere Informationen: https://www.ams.at/unternehmen/per- sonalsicherung-und-fruehwarnsystem/kurzarbeit.
Österreichs Wirtschaft in der Corona-Pandemie 9 4.1.5 Weitere Maßnahmen effektiv wirksam wird, lässt sich aufgrund der noch weit- gehend anekdotischen Evidenz nicht abschließend beur- Zusätzlich zu den beschriebenen Maßnahmen wird über teilen. Im Moment dreht sich die wirtschaftspolitische Hilfen für Unternehmen, die über die Obergrenze hinaus- Diskussion in Österreich bereits um mögliche Konjunktur- gehen, im Einzelfall entschieden. Das betrifft beispielswei- stützungsmaßnahmen nach der zu Ende gehenden Akut- se die Fluglinie AUA, die im Besitz der Lufthansa ist, aber phase, also um Steuersenkungen und öffentliche Investi- ihren Sitz in Österreich hat. Relevant für größere Unterneh- tionen und Investitionsanreize. Auch hier scheint eine men ist ein angekündigtes Gesetz, das unerwünschte Planung, aber auch eine Einschätzung noch recht früh. Übernahmen aus dem Ausland erschweren soll. Details dazu sollen im Mai vorgelegt werden. Weitere Hilfsmaß- nahmen kommen von Bundesländern, Gemeinden bezie- 5 Fazit hungsweise Städten, Interessensvertretungen, Parafisci (zum Beispiel die Stundung von Sozialversicherungsbei- Österreich reagierte vergleichsweise rasch auf die Corona- trägen durch die Sozialversicherung) etc. Die österrei- Epidemie und traf umfassende gesundheits- und wirt- chische Forderung an die Europäische Union, Teile des schaftspolitische Maßnahmen. Zu den gesundheitspoliti- Beihilfenrechts für die Corona-Krise außer Kraft zu setzen, schen Maßnahmen zählt neben zusätzlichen Mitteln für hat die Kommission abschlägig beschieden. den Gesundheitsbereich ein weitgehender Lockdown, wo- durch die sozialen Kontakte (und damit die Ansteckungs- gefahr) auf ein Minimum beschränkt werden sollten. Als 4.2 Einschätzung des österreichischen Folge konnten und können Teile der wirtschaftlichen Ak- Maßnahmenpakets tivitäten für die Dauer der Maßnahmen nur noch einge- schränkt oder überhaupt nicht mehr ausgeübt werden. Nach anfänglicher Zurückhaltung hat Österreich ein sehr Dem stehen wirtschaftspolitische Maßnahmen gegenüber, breites Set an angebotsseitigen Maßnahmen vor allem zur die vorwiegend die betroffenen Unternehmen und Be- Sicherstellung von Unternehmensliquidität und zur Ent- schäftigten unterstützen sollen. Insbesondere das Kurz- schädigung der Kosten vorgelegt, die sich vor allem an arbeitsmodell wird sehr in Anspruch genommen und trägt jene Unternehmen richten, die durch behördliche Schlie- dazu bei, die Arbeitslosenzahlen begrenzt zu halten und ßungen und Beeinträchtigungen Umsatzausfälle zu ver- einen möglichst raschen Neustart der Wirtschaft zu ermög- zeichnen haben. Der österreichische Nationalrat hat diese lichen. Für eine quantitative Bewertung der Wirkungen der Maßnahmen sehr rasch beschlossen, und die Umsetzung wirtschaftlichen Maßnahmen gibt es jedoch noch keine in die Praxis erfolgte umgehend, was aufgrund der etwas belastbaren Daten. Das Institut für Höhere Studien erwar- zerklüfteten österreichischen Förderstruktur mit verschie- tet für Österreich ein Budgetdefizit 2020 von etwa 7 Prozent denen Förderinstitutionen und Förderbanken nicht ein- des BIP; der Schuldenstand wird auf etwa 80 Prozent des fach war und ist. Die Grundausrichtung der Maßnahmen – BIP klettern. Kreditgarantien, Stundung von Steuern und Sozialver- Nach einem offenbaren Erfolg der Lockdown-Maßnah- sicherungsbeiträgen, Härtefallregelungen und weitere men zur Abwendung eines exponentiellen Ansteigens der Maßnahmen zur Verbesserung der Liquidität – wurde in Infektionsfälle werden diese nun schrittweise zurück- vielen Ländern als Reaktion auf die Krise befolgt (vgl. genommen. Diese Lockerungen werden die Konjunktur Baldwin und Weder di Mauro 2020, Fornaro und Wolf 2020 wieder ankurbeln, aber die Wirtschaftsleistung nicht auf sowie Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2020), zu- Vorkrisenniveau bringen können. Daher wird es zusätzlich sammen mit massiver Unterstützung von Kurzarbeits- ein klassisches Konjunkturprogramm brauchen; es ist in modellen, die zwar weiterentwickelt wurden, aber mit de- Österreich bereits in Vorbereitung. nen schon aus der Finanzkrise Erfahrungen bestanden Vorbehaltlich weiterer politischer Maßnahmen und (Dolls et al. 2010). einer nicht auszuschließenden Rückkehr der Corona-Epi- Zu den Wirkungen der Maßnahmen gibt es noch keine demie im Herbst 2020 sinkt die österreichische Wirt- belastbaren Erkenntnisse. Klar ist, dass das österrei- schaftsleistung im Jahr 2020 – Stand Ende April 2020 – chische Corona-Kurzarbeitsmodell sehr attraktiv ist und durch die Corona-Krise um rund 8,5 Prozent im Vergleich dazu beiträgt, dass die Arbeitslosigkeit nach einem starken zum Referenzszenario vor der Krise; das sind etwa 33,8 Anstieg Mitte März nicht mehr so stark ansteigt. Auch Milliarden Euro. Die öffentlichen Einnahmen werden um Steuerstundungen werden sehr umfangreich in Anspruch 10,9 Milliarden Euro sinken. genommen. Inwieweit der Corona-Hilfsfonds rasch und
10 Thomas Czypionka, Martin G. Kocher und Alexander Schnabl Literaturverzeichnis Fornaro, L. und M. Wolf (2020), COVID-19 Coronavirus and macroeco- nomic policy, CEPR Discussion Paper 14529. Baldwin, R. und B. Weder di Mauro (Hrsg.)(2020), Mitigating the Kocher, M. und K. Weyerstrass (2020), Coronavirus stellt nationale COVID economic crisis: Act fast and do whatever it takes, VoxEU. und internationale Wirtschaftspolitik vor große Herausforderun- org. gen, ÖGfE Policy Brief, im Erscheinen. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumen- Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2019), Industrie in der Rezes- tenschutz – BMSGPK (2020), Amtliches Dashboard COVID-19, sion – Wachstumskräfte schwinden, Gemeinschaftsdiagnose Stand 25. April 2020, online verfügbar unter https://info. Herbst 2019, Berlin. gesundheitsministerium.gv.at/. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2020), Wirtschaft unter Czypionka, T. et al. (2020), Abschätzung der wirtschaftlichen Folgen Schock – Finanzpolitik hält dagegen, Gemeinschaftsdiagnose des Ausbruchs des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) vom Frühjahr 2020, München. 28. April 2020, IHS Policy Brief. STATcube (2020), Statistische Datenbank von Statistik Austria, Näch- Dolls, M., C. Fuest und A. Peichl (2010), Wie wirken die automatischen tigungsstatistik ab 1974 nach Saison, Saison/Tourismusmonat Stabilisatoren in der Wirtschaftskrise? Deutschland im Vergleich nach Bundesland. zu anderen EU-Staaten und den USA, Perspektiven der Wirt- Statistik Austria (2020), Bruttoinlandsprodukt nach Wirtschaftsberei- schaftspolitik 11(2), S. 132–45. chen nominell, Wien.
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