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Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege STI auf Tour: Report zu sexuell übertragbaren Krankheiten in Bayern 2019
STI auf Tour: Report zu sexuell übertragbaren Krankheiten in Bayern 2019
Inhalt Vorwort 7 1. Sexuell übertragbare Krankheiten: Darüber sprechen, sich und andere schützen! 8 2. Sexuell übertragbare Krankheiten: Was steckt dahinter? 13 2.1. Viren als Erreger 13 2.2. Bakterien als Erreger 18 2.3. Erkrankungen durch Parasiten 21 2.4. Neu auftretende und sonstige Erreger 22 3. Wer, wann, wo? – Epidemiologie 27 3.1. Durch Viren übertragene Erkrankungen 27 3.2. Durch Bakterien übertragene Erkrankungen 34 3.3. Durch Parasiten übertragene Erkrankungen 38 3.4. Erkrankungen durch neu auftretende und sonstige Erreger 40 4. Sex, Drogen, Reisen – Wo sind die Gefahren? 48 4.1. Übertragung durch intime Kontakte 48 4.2. Andere Übertragungswege von STI 49 4.3. Mangelnde Hygiene als Gefahr 50 4
5. Wie schütze ich mich und andere? 51 5.1. Wissen schützt 51 5.2. Kondome schützen 51 5.3. Prophylaxe schützt vor HIV – PrEP und PEP 52 5.4. Impfen schützt 52 5.5. Kenntnis über den eigenen Status schützt 53 6. Aufklärung, Beratung & Tests 54 6.1. Information und Aufklärung 54 6.2. Beratung 55 6.3. Besondere Herausforderungen in der Präventionsarbeit 55 6.4. Tests auf STI – den eigenen Status kennen 56 7. Information, Beratung und Begleitung – in Bayern und darüber hinaus 59 7.1. Medizinische Versorgung 59 7.2. Persönliche Beratung und Unterstützung – auch anonym 59 7.3. Informationen 60 7.4. Testangebote 61 Abkürzungen 62 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 64 5
Vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, stehen mit Blick auf das Ansteckungsrisiko in einem inneren Zusammenhang. Denn Perso- nen, die mit einer STI infiziert sind, haben ein deutliches erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infi- zieren. Umgekehrt steigt bei HIV-Infizierten die Wahrscheinlichkeit, sich mit anderen Ge - schlechtskrankheiten anzustecken. Trotz dieser realen Gefahren sind STI keine anonyme und unbeherrschbare Bedrohung, denn wir alle können uns ein gutes Stück weit absichern – zum Beispiel durch die Verwen- wenn es um das Thema „Gesundheit“ geht, dung von Kondomen, die nicht nur Schutz vor haben die meisten von uns schnell bestimmte HIV, sondern auch vor vielen anderen STI bie- Bilder im Kopf. Oft denken wir spontan an all- ten. Auch Impfungen schützen – zum Beispiel tägliche Beschwerden wie eine leichte Erkäl- gegen Humane Papillomviren (HPV) oder tung, Heuschnupfen oder einen verstauchten Hepatitis A und B. Daneben bleibt die Aufklä- Fuß oder aber es geht um die allseits bekann- rung über die verschiedenen Infektionen und ten schweren Krankheiten wie Krebs oder ihre Übertragungswege ein herausragend Demenz. wichtiger Baustein in der Prävention von STI. Sexuell übertragbare Infektionen (STI) fristen in Mit unserem aktuellen Schwerpunktthema der öffentlichen Wahrnehmung dagegen ein STI/HIV möchten wir als Bayerisches Gesund- Schattendasein. Das hängt auch damit zusam- heitsministerium daher einen Schweinwerfer men, dass sie eines der letzten echten gesell- auf diese Erkrankungen richten. Da kein Kind schaftlichen Tabuthemen sein dürften. Denn mit dem Wissen über STI auf die Welt kommt, obwohl der Umgang mit Sexualität im 20. Jahr- wenden wir uns mit unserer Kampagne vor hundert deutlich liberaler geworden ist, spre- allem an Jugendliche und junge Erwachsene. chen wir über Erkrankungen, die beim Vor allem sie möchten wir über soziale Medien Geschlechtsverkehr übertragen werden kön- wie Youtube, Instagram oder Tellonym errei- nen, meistens lieber nicht – schon gar nicht in chen. Unser Ziel ist es, junge Menschen auf- Gesellschaft, aber vielleicht nicht einmal beim klären, zu informieren und sie vor allem auch zu Arztbesuch. Dabei ist die Abwesenheit von STI motivieren, untereinander offen über Themen ein wichtiger Teil unserer Gesundheit insge- wie „safer sex“ oder Tests auf Geschlechts- samt. krankheiten zu reden. Ich bin überzeugt: In die- sem Fall ist Reden schon mehr als die halbe In den 80er und 90er Jahren brachte man STI Miete. vor allem mit dem HI-Virus in Verbindung. Dank besserer Therapiemöglichkeiten – aber auch Ihre durch intensive Aufklärung – hat AIDS in den Köpfen vieler Menschen viel von seiner Bedroh- lichkeit verloren. Und dennoch bleibt Aufklä- rung eine Daueraufgabe – nicht nur bei AIDS, Melanie Huml MdL sondern auch bei den vielen anderen und teil- Bayerische Staatsministerin für weise weit weniger bekannten STI. Was vielen Gesundheit und Pflege nicht bewusst ist: AIDS und die übrigen STI 7
1. Sexuell übertragbare Krankheiten: Darüber sprechen, sich und andere schützen! Sexualität ist ein Teil unseres Lebens mit vielen verschiedenen Aspekten. Es geht um menschliche Begegnung, um Nähe, um Ängste, manchmal im Wortsinn um „Berührungs- ängste“, um sexuelle Erfahrungen und natürlich auch um sexuell übertragbare Krankheiten. Dieses Thema steht meist nicht im Vordergrund, aber mit Blick auf sexuell übertragbare Krankheiten bedeutet Wissen Schutz für sich und andere, ebenso wie das Darübersprechen. Allerdings fehlt es oft an Wissen, wie Studien zeigen1. In Deutschland ist es wie in vielen Ländern im fenen selbst schuld? Ist ihre Erkrankung Aus- 20. Jahrhundert zu einer weitgehenden Libera- druck eines verantwortungslosen Lebenswan- lisierung der Sexualmoral und des Sexualver- dels? Gerade weil es hier um ein privates, sehr haltens gekommen. In den Medien ist Sex all- sensibles Thema geht und vieles in der eige- gegenwärtig, es gibt vielfältige Beratungsan- nen Verantwortung liegt, sind Information und gebote rund um das Sexualverhalten und in Offenheit besonders wichtig. Sexuelle Gesund- den Schulen unterstützen sexualpädagogische heit, dabei insbesondere auch der Schutz vor Angebote die Heranwachsenden dabei, ihre sexuell übertragbaren Krankheiten, hängt in sexuelle Identität zu entwickeln, respektvoll großen Teilen davon ab, was in der Forschung mit Partnerinnen bzw. Partnern umzugehen als „Sexual Health Literacy“ (etwa: „sexuelle oder sich über Verhütungsmethoden und Fami- Gesundheitskompetenz“) bezeichnet wird. lienplanung zu informieren. Dennoch gibt es Damit ist die Fähigkeit gemeint, mit dem richti- rund um die Sexualität nach wie vor Tabuthe- gen Wissen richtig zu handeln. Dazu gehören men, über die man nicht gerne spricht. Die Basisinformationen über die Erkrankungen sexuell übertragbaren Krankheiten gehören selbst, die Übertragungswege und die Mög- dazu. Sie sind bei den Betroffenen mit Scham lichkeiten, sich zu schützen oder im Erkran- und Angst verbunden und bei Dritten wecken kungsfall ärztlich behandeln zu lassen. sie schnell Abwehrreaktionen: Sind die Betrof- Sexuell übertragbare Krankheiten Sexuell übertragbare Erkrankungen oder Infektionen, auch STD (sexually transmitted dis eases) bzw. STI (sexually transmitted infections) genannt, bezeichnen eine Gruppe von Krank- heiten, die vorwiegend durch sexuelle Kontakte übertragen werden. Sie können von Bakte- rien, Viren oder Parasiten verursacht werden und mitunter zu einer schwerwiegenden und chronischen Beeinträchtigung der Gesundheit führen. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge stecken sich weltweit täglich mehr als eine Million Menschen mit einer STI an.2 Zwei Umstände erschweren die Eindämmung von STI: Sie werden übersehen und daher nicht behandelt, weil die häufig milden, unspezifischen Symptome nicht wahrgenommen werden oder erst lange Zeit nach der Übertragung auftreten. Sie werden in der Partnerschaft oder beim Arztkontakt nicht angesprochen, weil sie in der Gesellschaft mit Scham behaftet sind. 1 vgl. z. B. Haversath et al. (2017) Sexualverhalten in Deutschland. Deutsches Ärzteblatt 114 (33–34): 545–550.; von Rüden U. (2017) AIDS im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland 2016. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln. 2 WHO: Sexually transmitted infections (STIs). www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/sexually-transmitted-infections-(stis), letzter Zugriff: 12.07.2019 8
1. Sexuell übertragbare Krankheiten: Darüber sprechen, sich und andere schützen! In Deutschland fehlen zu sexuell übertragbaren amt zufolge in Bayern gut 300 Krankenhausfälle Krankheiten allerdings vielfach belastbare durch Infektionen, die vorwiegend durch Daten.3 Soweit dies anhand der eingeschränk- Geschlechtsverkehr übertragen werden. ten Datenlage beurteilbar ist, haben die Neu erkrankungszahlen bei Syphilis in den vergan- Eine Erhebung der Bundeszentrale für gesund- genen Jahren zugenommen, HIV, Chlamydien heitliche Aufklärung (BZgA) zeigt, dass die und Gonorrhö sind dagegen eher gleichgeblie- Bekanntheit der sieben häufigsten STI (Chlamy- ben, bei anderen wie Herpes genitalis ist der dien, Feigwarzen, Trichomoniasis, Herpes, Trend nicht bekannt.4 Hepatitis, Syphilis und Gonorrhö) in der über- 16-jährigen Allgemeinbevölkerung in Deutsch- In Bayern gab es im Jahr 2017 nach Angaben land eher gering ist (siehe Abbildung 1) und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern rund auch nicht mit deren Häufigkeiten korr eliert. 40.000 gesetzlich versicherte Patientinnen und Während rund die Hälfte der Befragten Syphilis Patienten mit der ambulanten Diagnose einer und Gonorrhö kannte, lag die Bekanntheit der oder mehrerer sexuell übertragbarer Krankhei- weiteren abgefragten STI bei unter 15 %.5 ten. Pro Jahr gibt es dem Statistischen Bundes- Abb. 1.1: Bekanntheit von STI bei Über-16-Jährigen, Deutschland 2016 Syphilis 49 % Gonorrhöe 48 % Chlamydien 14 % Hepatitis 12 % Herpes 12 % Kondylome (Feigwarzen) 6% Trichomoniasis 1% 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % Datenquelle: BZgA 2016 Haversath et al. (2017) Sexualverhalten in Deutschland. Deutsches Ärzteblatt 114 (33–34): 545–550. 3 Robert Koch-Institut (Hrsg) (2015): Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. 4 Berlin; Haversath et al. (2017) Sexualverhalten in Deutschland. Deutsches Ärzteblatt 114 (33–34): 545–550. von Rüden U. (2017): AIDS im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland 2016. 5 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln. 9
Oft verursachen STI keine Schmerzen oder kokken) können unbehandelt Unfruchtbarkeit, andere offenkundige Symptome und bleiben Fehlgeburten oder Erkrankungen des Neuge- deshalb unbemerkt, unbehandelt und werden borenen verursachen. Manchmal kumulieren unwissentlich weitergegeben. Zu den häufigs- Infektionsrisiken. So erhöht sich beispielsweise ten Symptomen von STI zählen ungewöhnli- das Risiko einer HIV-Infektion, wenn im Bereich cher Ausfluss aus Harnröhre oder Scheide, der Genitalschleimhäute entzündliche Verän- manchmal mit auffallendem Geruch, schmerz- derungen vorliegen. Umgekehrt weisen HIV-In- hafte oder schmerzlose genitale Geschwüre, fizierte ein erhöhtes Risiko auf, sich mit ande- Juckreiz, Schwellungen in der Leistengegend ren sexuell übertragbaren Krankheiten anzuste- oder dem äußeren Genitalbereich und Unter- cken. Verschiedene Gruppen haben für den bauchschmerzen. Manche Beschwerden oder Erwerb unterschiedlicher STI besondere Risi- Folgeprobleme treten erst nach einigen Mona- ken, z. B. Männer, die Sex mit Männern haben ten oder Jahren auf. Informiert zu sein kann (MSM) für Syphilis und HIV, jüngere Frauen für helfen, dass die Betroffenen Erkrankungen Chlamydien und HPV.9 frühzeitig bemerken und ärztliche Hilfe suchen. Es können jedoch auch weitere Organe oder Grundsätzlich gilt: Der beste Schutz vor STI ist die Gesundheit allgemein beeinträchtigt sein, die Verwendung eines Kondoms.10 Gegen z. B. bei HIV/AIDS oder Hepatitis. Daneben füh- manche Infektionen (beispielsweise HPV und ren Scham, Ängste sowie ein geringes Wissen Hepatitis A und B) kann man sich mit einer über sexuell übertragbare Infektionen und teil- Impfung schützen. Viele STI wie z. B. die bak- weise unzureichende Anbindung betroffener teriell verursachten sind medizinisch gut behan- Menschen an das Gesundheitssystem dazu, delbar. Für andere gibt es keine spezifische dass Infektionen nicht oder erst in einem fort- Therapie (z. B. HPV) oder es wird eine akute geschrittenen Stadium diagnostiziert werden.6 Infektion nicht behandelt, mit Ausnahme schwerer Verläufe (z. B. Hepatitis B). Einige STI Unbehandelt können STI schwerwiegende Fol- sind behandelbar, aber nicht heilbar (z. B. HIV, gen wie Krebs oder Unfruchtbarkeit nach sich Herpes genitalis). Eine frühzeitige Erkennung ziehen. Beispielsweise sind chronische Infekti- und Behandlung ist von großer Bedeutung. onen mit Humanen Papillomviren (HPV) der Insbesondere bei wechselnden Partnern ist es wichtigste Auslöser für Krebsvorstufen und angezeigt, sich regelmäßig auf Geschlechts- Gebärmutterhalskrebs bei Frauen. Beim Mann krankheiten testen zu lassen. Wer vermutet, ist ungefähr ein Drittel der Peniskarzinome mit sich angesteckt zu haben oder sich ohne kon- einer HPV-Infektion vergesellschaftet.7 Die kreten Verdacht durchchecken lassen möchte, Entstehung des Analkarzinoms ist in etwa kann sich an seinen Arzt oder seine Ärztin 85 % der Fälle mit einer Infektion durch HPV wenden. Hausärzte und -ärztinnen, Hautärzte assoziiert.8 Eine Infektion mit Hepatitis-B- und und -ärztinnen, Frauenärzte und -ärztinnen -C-Viren kann zu Leberzirrhose führen und oder Urologen und Urologinnen sind fachkun- stellt ein Risiko für die Entwicklung von Leber- dige Ansprechpartner, die beraten und unter- krebs dar. Eine unbehandelte Syphilis kann suchen, Tests wie Abstriche, Urin- und Blutun- schwere bis lebensbedrohliche Folgen haben, tersuchungen durchführen, behandeln oder eine unbehandelte HIV-Infektion zum Vollbild impfen – je nachdem, was notwendig ist. Nied- AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) rigschwellige oder anonyme Testangebote führen. Andere Infektionen (Chlamydien, Gono- können in Kapitel 6 nachgelesen werden. Bundesministerium für Gesundheit (2016) Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren 6 Infektionen. Hakenberg, O. et al. (2018) Diagnostik und Therapie des Peniskarzinoms. Dtsch Arztebl Int 2018; 115(39): 646–52. 7 Raptis D. et al. (2015) Differentialdiagnose und interdisziplinäre Therapie des Analkarzinoms. Dtsch Arztebl Int 2015; 112(14): 243–9. 8 Bremer V. et al. (2017) Sexuell übertragbare Infektionen in Deutschland. Die aktuelle epidemiologische Lage. Bundesgesundheitsbl 9 2017. 60: 948–957. 10 Hutterer C. Mehr Wissen über sexuell übertragbare Infektionen. Informationsbroschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 10
1. Sexuell übertragbare Krankheiten: Darüber sprechen, sich und andere schützen! Aufklärungskampagnen, wie die Liebesle- Beim Umgang mit sexuell übertragbaren ben-Kampagne der Bundeszentrale für gesund- Krankheiten gibt es in Europa auch im Bereich heitliche Aufklärung (BZgA), richten sich an die der Vorsorge große Differenzen: In Deutsch- Allgemeinbevölkerung und zielen auf die Sensi- land berichten der EMIS-Studie zufolge 28 % bilisierung, Aufklärung und Aktivierung ab (Nut- der befragten homosexuellen Männer von zung von Kondomen sowie Motivation zum einem STI-Check in den letzten 12 Monaten. Arztbesuch bei Verdacht auf eine STI).11,12 Zum Vergleich: In Großbritannien waren es 44 %, in Frankreich 40 %.13 Der Begriff Geschlechtskrankheiten ist veraltet und ungenau. Sexuell übertragbare Erkran- kungen können auch oder ausschließlich an anderen Körperteilen als dem Genitalbereich Symptome verursachen, wie beispielweise die HIV-Infektion oder die Hepatitis B. In diesem Bericht wird daher bewusst auf den Begriff „Geschlechtskrankheiten“ verzichtet. Der Themenschwerpunkt Sexualität und Verantwortung gehören zusam- „Sexuell übertragbareErkrankungen“ men – dieses Bewusstsein nimmt zu. In den vergangenen 30 Jahren hat die Kondomver- Der Themenschwerpunkt „Sexuell übertrag- wendung besonders in der nachwachsenden bare Erkrankungen“ des Bayerischen Staats- Generation stark zugenommen. Die regelmä- ministeriums für Gesundheit und Pflege ßige Verwendung von Kondomen hat sich bei richtet sich vor allem an Jugendliche und den 16- bis 20-jährigen sexuell Aktiven von junge Erwachsene. Sie sind in einem Alter, in 34 % im Jahr 1988 auf 76 % im Jahr 2016 mehr dem Sexualität erkundet wird, sexuelle Verhal- als verdoppelt. Im Jahr 2016 gaben 85 % die- tensmuster und auch der Umgang mit den ser Altersgruppe an, immer, häufig oder gele- gesundheitlichen Risiken geprägt werden. In gentlich Kondome verwendet zu haben. Ledig- dieser Lebensphase wechseln zudem die lich 3 % haben keine Erfahrung mit Kondomen. Sexualpartner häufiger, sodass Jugendliche Der Anteil Jugendlicher, die zwar Erfahrungen und junge Erwachsene zu den vulnerablen mit Kondomen haben, sie aber nicht verwen- Gruppen für STI gehören. Einer Erhebung der den, sank von 41 % im Jahr 1988 auf 12 % im Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Jahr 2016. Mehr als 90 % der heterosexuellen zufolge weist rund ein Fünftel der 15-Jährigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen spre- bereits Geschlechtsverkehr-Erfahrung auf, bei chen in der Beziehung über Verhütung. Wenn den 17-Jährigen mehr als die Hälfte. Im Alter noch keine sexuellen Aktivitäten erfolgt sind, von 20 Jahren waren vier von fünf jungen wird die Verhütungsfrage von 70 % angespro- Erwachsenen bereits sexuell aktiv. Allerdings chen.15 sieht etwa ein Drittel der 14- bis 25-Jährigen Informationsbedarf bei sexuell übertragbaren Medien mit intensiver HIV/STI-Aufklärung wer- Krankheiten. Der Anteil der Befragten, die den von den 16- bis 20-Jährigen häufiger mehr über sexuell übertragbare Krankheiten genutzt als von der Gesamtbevölkerung. Rund wissen möchten, beträgt 30 % bei den Jun- ein Viertel dieser Altersgruppe gab an, durch gen/Männern und 38 % bei den Mädchen/ Broschüren erreicht zu werden. Frauen.14 Bremer V. et al. (2017) Sexuell übertragbare Infektionen in Deutschland. Die aktuelle epidemiologische Lage. Bundesgesundheitsbl 11 2017. 60: 948–957. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). www.liebesleben.de, letzter Zugriff: 12.07.2019 12 The EMIS Network. EMIS 2010: The European Men-Who-Have-Sex-With-Men Internet Survey. Findings from 38 countries. European 13 Centre for Disease Prevention and Control, Stockholm 2013. Bode H, Heßling A (2015) Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14–25-Jährigen. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 14 Köln. Bode H, Heßling A (2015) Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14–25-Jährigen. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 15 Köln. 11
Mit personal-kommunikativer HIV/STI-Präven- immer wichtigere Rolle ein. Im Jahr 2016 tion durch Vorträge und Informationsveranstal- gaben 40 % der 16- bis 20-Jährigen an, sich in tungen wurde im Jahr 2016 (meist in der den letzten zwölf Monaten im Internet über Schule) knapp ein Drittel dieser, für die Präven- HIV und STI informiert zu haben und der Trend tion relevanten, Gruppe erreicht. Hinsichtlich zur gezielten Nutzung des Internets für Infor- der Information über STI nimmt das Internet mationen über HIV/STI setzt sich fort.16 bei Jugendlichen erwartungsgemäß eine Die Kampagne des Bayerischen Staats- ministeriums für Gesundheit und Pflege Der Jahresschwerpunkt „Sexuell übertragbare Krankheiten“ des Bayerischen Staatsministe- riums für Gesundheit und Pflege schließt an die Ergebnisse der Studien zum Informations- verhalten junger Menschen Brief/- 3 - an. Jugendliche und junge Erwachsene werden über soziale Medien (Instagram, YouTube, Facebook) angesprochen. Unter dem Motto „STI auf Tour“ Weitere Motive für Kondombriefchen Brief/- 3 - können sie miteinander ins Gespräch kommen und ihr (Risiko-)Verhalten reflektieren. Ziel der Kampagne Weitere Motiveist es, das Bewusstsein für das Thema HIV/AIDS und andere sexuell übertragbare für Kondombriefchen Infektionen (STI) zu schärfen und über Schutzmöglichkeiten aufzuklären. Zusätzlich können Fragen der Zielgruppe anonym mithilfe einer App („Tellonym“) von Experten beantwortet werden. Motive für die Schmuckplakate: Brief/- 3 - Motive für die Schmuckplakate: Weitere Motive für Kondombriefchen Motive für die Schmuckplakate: Brief/- 2 - Zunächst stelle ich Ihnen den Look der Werbemittel vor. Es wird Postkar- ten, Kondombriefchen, Schmuckplakate und Eindruckplakate geben. Motive für die Eindruckplakate Motive für die Postkarten: Motive für die Eindruckplakate Motive für die Eindruckplakate Datei: 2019/60586/Entwurf Infoschreiben an Kooperationspartner Druck:31.05.2019 14:20:00 Datei: 2019/60586/Entwurf Infoschreiben an Kooperationspartner Druck:31.05.2019 14:20:00 Motive für die Kondombriefchen (Vor- und Rückseite): Datei: 2019/60586/Entwurf Infoschreiben an Kooperationspartner Druck:31.05.2019 14:20:00 von Rüden U. (2017) AIDS im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland 2016. Bundeszentrale für gesundheitli- 16 che Aufklärung, Köln. 12
2. Sexuell übertragbare Krankheiten: Was steckt dahinter? 2. Sexuell übertragbare Krankheiten: Was steckt dahinter? Ursache für sexuell übertragbare Krankheiten können Viren, Bakterien oder Parasiten sein. So vielfältig die Erreger selbst sind, so vielfältig sind auch die Übertragungswege und die Symptome. Wird die Infektion rechtzeitig erkannt, kann sie geheilt oder zumindest kontrol- liert werden. Den effektivsten Schutz stellt die Vorbeugung dar – beispielsweise durch Hygi- ene, durch Safer Sex oder durch Impfungen. Die Krankheitsverläufe der Infektionen können sehr variabel sein, können symptomatisch oder asymptomatisch ablaufen. Auch die Inkubati- onszeiten, also die Zeit zwischen der Ansteckung und dem Auftreten der ersten Symptome, können sehr unterschiedlich sein. Das folgende Kapitel stellt die wichtigsten Erreger sexuell übertragbarer Krankheiten mit ihren Charakteristika dar. STI machen nicht vor Ländergrenzen halt – durch vermehrte Auslands- und Fernreisen, Fluchtbewegungen und Migration können bestimmte Erreger auch für andere Länder an Bedeutung zunehmen. 2.1. Viren als Erreger Lebens mindestens einmal mit dem HPV infi- zieren. Simultaninfektionen mit mehreren Sub- Erregersteckbrief – Humane Papillomviren typen und transiente Infektionen sind häufig.17 (HPV) Weltweit variiert das Vorkommen von HPV je nach Region sehr stark. Das Erregerreservoir Erregercharakteristik sind Epithelzellen der Schleimhaut und der ver- Humane Papillomviren (HPV) sind unbehüllte, hornenden Haut, die von Humanen Papillomvi- relativ kleine Viren. Bisher sind 176 verschie- ren infiziert werden können. In Gewebeproben dene Typen beschrieben worden, davon kön- bei Gebärmutterhalskrebserkrankungen wur- nen ca. 40 HPV-Typen genitale Infektionen ver- den HPV nachgewiesen. Diese Krebsart ist die ursachen. Es gibt zahlreiche Subtypen, einige dritthäufigste Krebserkrankung bei Frauen sind mit klinischen Erkrankungen assoziiert. Es weltweit. wird zwischen Hochrisiko- (high risk, HR) und Niedrigrisiko- (low risk, LR) Typen unterschie- Übertragung den, je nach ihrem Potential invasiven Krebs Eine Übertragung von HPV findet durch direk- auszulösen. 12 HR-HPV-Typen (16, 18, 31, 33, ten Haut- oder Schleimhautkontakt statt, also 35, 39, 45, 51, 52, 56, 58, 59) gelten als krebs auch bei sehr engem Körperkontakt. Bei Sexu- erregend, der HPV-Typ 68 als wahrscheinlich alkontakten sind vaginale, anale oder orale krebserregend. Neben dem Gebärmutterhals- Übertragungen trotz Kondombenutzung mög- krebs können HR-HPV-Typen auch an der Ent- lich. wicklung von bösartigen Tumoren der Scheide, der Schamlippen, des Penis, am Anus oder im Inkubationszeit Mund-Rachenraum beteiligt sein. LR-HPV-Ty- Nach einer Infektion mit HPV dauert es zwi- pen verursachen zum Beispiel gutartige War- schen zwei Wochen und acht Monate, bis sich zen (Feigwarzen, Condylomata acuminata). Warzen bilden. Bei Infektion mit HR-HPV-Ty- pen können sich in einem Zeitraum von drei bis Vorkommen und Erregerreservoir sechs Jahren Krebsvorstufen entwickeln. Aus Das Robert Koch-Institut (RKI) berichtet, dass diesen Vorstufen entsteht über einen Zeitraum sich die meisten Menschen im Laufe ihres von 10 bis 30 Jahren Krebs. Robert Koch-Institut. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HPV/Papillomaviren_node.html, letzter Zugriff: 12.07.2019. 17 13
Dauer der Infektiosität impfung dar. Kondome oder Femidome können HPV ist während einer bestehenden Infektion das Risiko einer Übertragung vermindern, aber übertragbar. nicht sicher davor schützen. Zur Vorbeugung von HPV-assoziierten Krebserkrankungen gibt es Klinik außerdem Vorsorgeuntersuchungen, die zum Die Infektion ist durch eine hohe Spontanhei- Ziel haben, Frühstadien zu erkennen. lungsrate gekennzeichnet. Ca. 80–90 % der HPV-Infektionen heilen in einem Zeitraum von Impfung bis zu zwei Jahren aus. Die HPV-Infektion kann Es gibt in Deutschland zwei zugelassene Impf- jedoch auch über Jahre persistieren. Eine wei- stoffe, ein Impfstoff gegen HPV 16 und 18 und terbestehende HPV-Infektion mit krebserre- ein Impfstoff gegen HPV 16,18,31,33,45,52,58. genden HR-HPV-Typen birgt das Risiko, sich Die Ständige Impfkommission (STIKO) emp- fortschreitend, bis hin zu Gebärmutterhals- fiehlt eine Impfung gegen Humane Papillomvi- krebs zu entwickeln. Die durch LR-HPV-Typen ren (HPV) für alle Mädchen und Jungen im hervorgerufenen, flachen bis leicht erhabenen, Alter von 9–14 Jahren. Spätestens bis zum weichen Feigwarzen (Condylomata acuminata) Alter von 17 Jahren sollen versäumte Impfun- sind ungefährlich und allenfalls störend, wenn gen gegen HPV nachgeholt werden. Die voll- sie größer werden. ständige Impfserie sollte vor dem ersten Sexu- alkontakt abgeschlossen sein. Diagnostik Feigwarzen sind meistens Blickdiagnosen und Erregersteckbrief – Hepatitis-B-Virus für einen Arzt oder eine Ärztin in aller Regel gut (HBV) zu erkennen. Nicht selten sind sie Zufallsdiag- nosen. Andere durch HPV hervorgerufene Ver- Erregercharakteristik änderungen sind (im Frühstadium) nur durch Das Hepatitis-B-Virus (HBV) ist ein kleines, Labormethoden nachweisbar. Bei der ärztli- behülltes DNA-Virus. Es befällt ausschließlich chen Untersuchung werden Abstriche zur zyto- Leberzellen. Weltweit sind neun verschiedene logischen Untersuchung, d. h. zur Untersuchung Genotypen bekannt. auf Zellveränderung und/oder für den Nachweis von HPV-DNA entnommen. Als Früherken- Vorkommen und Erregerreservoir nungsprogramm ist in Deutschland ein Gebär- Die Hepatitis-B-Infektion ist die häufigste mutterhalskrebs-Screening etabliert. Für andere Infektionskrankheit überhaupt. 240 Millionen Krebsarten (z. B. der Vagina, des Penis oder des Menschen weltweit haben eine aktive Infek- Anus) existieren keine strukturierten Krebsfrü- tion und sind damit infektiös. Jedoch sind die herkennungsprogramme. meisten davon nicht diagnostiziert.18 Es gibt Länder, z. B. in Afrika oder Asien, mit Therapie hohen Fallzahlen. Deutschland gehört zu den Es gibt keine spezifische Therapie gegen HPV. Ländern mit geringem Vorkommen von Hepati- Feigwarzen können mit verschiedenen Metho- tis-B-Infektionen. den lokal therapiert werden z. B. mit Salben oder Lösungen, Hitze- oder Kälteanwendungen oder Übertragung Abtragung. Krebsvorstufen werden chirurgisch Ungeschützte Sexualkontakte sind in Deutsch- entfernt. Zur Therapie eines Karzinoms stehen land der bedeutendste Übertragungsweg. Kon- chirurgische Methoden, Strahlen- und Chemo- takt mit infektiösem Blut kann auch bei kleins- therapie zur Verfügung. ten Verletzungen der Haut oder Schleimhäute zu Infektionen führen, insbesondere auch bei Prophylaxe unhygienischem Tätowieren, Piercen, Ohr- Die effektivste Prophylaxe stellt die Schutz lochstechen oder gemeinsamer Benutzung Cornberg M, Manns MP (2015) Hepatitis A, B, C, D, E: Trotz gleicher Namen viele Unterschiede. Dtsch Arztebl; 112(23): [4]. 18 14
2. Sexuell übertragbare Krankheiten: Was steckt dahinter? von Nagelscheren. Bei berufsbedingten Nadel- tiv, danach die Antigennachweise. Dies kann stichverletzungen oder bei Nadeltausch unter jedoch mehrere Wochen dauern. Antikörper Drogengebrauchenden kann das Virus übertra- können auch erst sieben Monate nach Infektion gen werden. Das Übertragungsrisiko von Blut nachweisbar werden. oder Blutprodukten ist in Deutschland heutzu- tage äußerst gering. Weltweit spielt die Über- Therapie tragung der Infektion von der Mutter auf das Eine akute Infektion heilt in der Regel auch Kind unter der Geburt eine bedeutende Rolle. unbehandelt von selbst aus. Zur Therapie sehr In Deutschland kommt das nur sehr selten vor. schwerer Verläufe oder einer chronischen Hepatitis B stehen verschiedene antivirale Inkubationszeit Medikamente zur Verfügung. Die Inkubationszeit liegt zwischen 45 und 180 Tagen. Prophylaxe Zur Prophylaxe steht eine effiziente Impfung zur Dauer der Infektiosität Verfügung. Schutzhandschuhe oder Kondome/ Ansteckungsgefahr besteht, solange das Virus Femidome bieten Schutz vor einer Übertragung. nachweisbar ist. Das Übertragungsrisiko hängt Kontaminierte spitze Gegenstände müssen stark von der Virusmenge und der Art des Kon- sicher entsorgt werden. Bei ungeimpften Perso- taktes ab. Bei chronischen Infektionen kann nen müssen bei Verletzungen mit möglicher- über Jahrzehnte Ansteckungsgefahr bestehen. weise virushaltigem Material schnell Maßnah- men ergriffen werden. Dies beinhaltet die Gabe Klinik von Impfstoff und Immunglobulin. Zu Beginn einer akuten Infektion treten unspezi- fische Symptome wie Appetitlosigkeit, Gelenk- Impfung und Immunität schmerzen, Unwohlsein, Übelkeit, Erbrechen Die Impfempfehlungen der STIKO beinhalten und Fieber auf. Ein Drittel der Patienten entwi- eine Hepatitis-B-Grundimmunisierung im Säug- ckelt im weiteren Verlauf eine akute Leberent- lings- und Kleinkindalter und das Nachholen der zündung mit Gelbsucht, ein Drittel der Patienten Grundimmunisierung bis dahin noch ungeimpf- erkrankt ohne Gelbsucht. Bei einem Drittel ver- ter Kinder und Jugendlicher möglichst vor der läuft die akute Infektion ohne Symptome. In Pubertät, spätestens aber bis zum 18. Lebens- sehr seltenen Fällen kommt es zu schweren jahr. Alle zehn Jahre sollte erneut eine Auffri- Verläufen mit akutem Leberversagen. Bei schung erfolgen. Nach einer ausgeheilten Hepa- Erwachsenen heilt die Erkrankung in mehr als titis-B-Infektion ist man lebenslang geschützt. 90 % der Fälle aus. Bei Kindern und abwehrge- schwächten Menschen kommt es meistens Erregersteckbrief – nicht zur Ausheilung. Heilt die Infektion nicht Humanes Immunodefizienz-Virus (HIV) aus, kommt es zu einer chronischen Hepati- tis-B-Infektion, in deren Folge eine Leberzirr- Erregercharakteristik hose oder Leberzellkrebs entstehen können. Das Humane Immunodefizienz-Virus (HIV) ist ein behülltes RNA-Virus, mit einer Größe von Diagnostik etwa 100 nm und somit mit dem bloßen Auge Es stehen Bluttests zum Nachweis von HBV- nicht sichtbar, jedoch mit Hilfe der Elektronen- DNA, von Antigenen (HBs-Antigen und HBe-An- mikroskopie darstellbar. tigen), sowie von Antikörpern (Antikörper gegen HBs, HBc und HBe) zur Verfügung. Zur Beurtei- Vorkommen und Erregerreservoir lung der Lebererkrankungen werden Leberen- Einzig bekanntes Reservoir für HIV ist der zyme sowie der Fibrose-Status der Leber Mensch. Weltweit sind seit Ausbruch der bestimmt. Als erster Parameter nach einer Erkrankung ca. 39 Millionen Menschen in Folge Ansteckung wird der HBV-DNA-Nachweis posi- der HIV-Infektion an AIDS verstorben. 15
Übertragung Klinik Die HIV-Infektion ist eine sexuell übertragbare Meist ein bis sechs Wochen nach einer HIV-In- Krankheit, kann jedoch auch durch Blut oder fektion können bei einem Teil der Infizierten Blutprodukte übertragen werden. Wenn nachfolgende Symptome auftreten: Fieber, Samenflüssigkeit in Scheide, Darm oder Mund Abgeschlagenheit, Lymphknotenschwellung, aufgenommen wird, können die darin enthalte- Hautausschlag, Muskel-, Gelenkschmerzen, nen Viren eine Infektion verursachen. Auch Durchfall etc. Nach ein bis zwei Wochen ver- angetrocknete virustragende Körperflüssigkei- schwinden diese teils schwach ausgeprägten ten können nach Einbringen in den Körper (z. B. Symptome. Sie werden oft sogar übersehen. Injektion mit gebrauchter Spritze, kontami- Das symptomfreie Stadium der HIV-Infektion nierte Sexspielzeuge etc.) ein Infektionsrisiko kann viele Jahre andauern. Es kann begleitet darstellen. Neben Blut, Sperma und Vaginalse- sein von Lymphknotenschwellungen, Haut- und kret ist auch eine HIV-Übertragung von der Schleimhautveränderungen oder Magen-Darm- Mutter auf das Kind während der Geburt sowie Beschwerden. Früher oder später entwickelt durch die Muttermilch möglich. HIV wird nicht sich daraus fast immer ein schwerer Immunde- über Tröpfcheninfektion, Speichel, Tränenflüs- fekt, bekannt als AIDS (Acquired Immune Defi- sigkeit, durch Insektenstiche oder über Nah- ciency Syndrom). AIDS endet unbehandelt rungsmittel oder Trinkwasser übertragen. immer tödlich. Harmlose Umweltkeime bzw. die körpereigenen Mikroorganismen verursa- Inkubationszeit chen bei den Immungeschwächten schwere Die Inkubationszeit ist mit einem Zeitraum von Krankheitsbilder wie Lungenentzündungen, bis zu 15 Jahren sehr variabel. Bei einem Teil Abszesse, Entzündungen der Augen, des der Infizierten tritt bis sechs Wochen nach der Gehirns und Darms sowie typische Tumore Infektion ein unspezifisches akutes Krankheits- (z. B. Kaposi-Sarkom). bild auf. Danach folgt ein symptomfreies oder symptomarmes Stadium der HIV-Infektion, Diagnostik dass Monate bis Jahre andauern kann. Studien Zwischen Ansteckung und Diagnose vergehen haben gezeigt, dass bei unbehandelten Infizier- in Deutschland durchschnittlich fünf bis sieben ten zehn Jahre nach der Infektion etwa die Jahre. Mit einem HIV-Test kann sechs Wochen Hälfte mit schweren Immundefekten erkrankt nach einem Kontakt eine HIV-Infektion mit gro- sind. ßer Sicherheit ausgeschlossen werden. Ist der Test reaktiv, muss der Verdacht auf HIV immer Dauer der Infektiosität durch weitere Testverfahren bestätigt werden, Jeder unbehandelte Infizierte ist lebenslang da auch falsch positive Testergebnisse vorkom- potenziell ansteckungsfähig. Die Infektiosität men. Kommerzielle, CE-zertifizierte HIV-Schnell- hängt von der Anzahl der Viruspartikel („Virus- tests sind ebenfalls erhältlich. Eine Übersicht last“) in den Körperflüssigkeiten ab. Die Akut- bietet die Homepage des Paul-Ehrlich-Instituts: phase der HIV-Infektion zeichnet sich durch https://www.pei.de/hiv-selbsttests. eine sehr hohe Viruslast mit einhergehender Diese bieten allerdings bei einem negativen hoher Infektiosität aus. Danach nimmt die Testergebnis erst zwölf Wochen nach einem Viruslast ab, steigt aber mit zunehmendem Kontakt eine ausreichende Ergebnissicherheit. Immundefekt wieder an. So bleiben unbehan- delte Infizierte lebenslang infektiös, auch im Therapie symptomfreien Stadium. Bei zuverlässiger Ein- HIV ist nicht heilbar, jedoch stehen mehrere nahme einer effizienten, medikamentösen Medikamente, sogenannte Inhibitoren, zur Ver- Therapie (Viruslast unter der Nachweisgrenze) fügung, die in den Vermehrungszyklus des sind Infizierte nicht ansteckend. Virus eingreifen und bei korrekter Einnahme und Wirkung den Krankheitsverlauf und die Ansteckungsfähigkeit verhindern. 16
2. Sexuell übertragbare Krankheiten: Was steckt dahinter? Im Jahr 2015 wurden die Therapieleitlinien zunehmen.19 Hierfür können zwei Gründe ver- dahingehend verändert, dass eine Therapie antwortlich sein. Zum einen führt ein Rückgang eingeleitet wird, sobald eine HIV-Diagnose orolabialer HSV-1-Infektionen im Kindesalter gestellt wurde, unabhängig davon, ob weitere dazu, dass diejenigen, denen HSV-1-Antikörper Laborparameter einen Immundefekt anzeigen. beim sexuellem Debüt fehlen, anfälliger für genitale HSV-2-Infektionen sind (fehlende Prophylaxe Kreuzprotektivität).20 Zum anderen ist HSV-1 Das Kondom oder das Femidom sind die wich- bei jungen Erwachsenen zunehmend auch für tigsten Verhütungsmaßnahmen zum Schutz Genitalherpes verantwortlich.21 Eine höhere vor einer HIV-Infektion. Inzidenz der HSV-2-Infektion wurde auch bei Bei Kontakt zu infektiösen Körperflüssigkeiten Männern beobachtet, die Sex mit Männern (Blut, Sperma, Vaginalsekret) HIV-infizierter hatten, bei denen HIV-Positive mehr als dop- Personen steht eine Postexpositionspro- pelt so häufig von einer HSV-Infektion betrof- phylaxe (PEP) zur Verfügung. Sie sollte bald- fen waren als HIV-Negative.22 Patienten und möglichst, jedoch spätestens 72 Stunden nach Patientinnen, die wegen einer anderen sexuell Kontakt eingenommen werden. übertragbaren Krankheit einen Arzt konsultie- Auch retrovirale Inhibitoren als Prä-Exposi- ren, haben auch häufiger eine HSV-2-Infektion tions-Prophylaxe (PrEP) zur Vorsorge vor einem (z. B. Prostituierte oder Männer, die Sex mit Risiko-Kontakt sind verfügbar. Männern haben (MSM)). Impfung Übertragung Derzeit ist keine Impfung verfügbar. Genitalherpes wird durch oralen, vaginalen oder analen Sexualkontakt übertragen. Erregersteckbrief – Genitalherpes Inkubationszeit Erregercharakteristik Erste Symptome können vier bis sieben Tage Der Genitalherpes (Herpes genitalis) wird nach Sexualkontakt auftreten und bis zu drei durch das Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) Wochen bestehen. Danach bleiben die Viren oder Typ 2 (HSV-2) hervorgerufen. Beide Erre- im Körper und können immer wieder Genital- ger sind empfindlich gegenüber Desinfektions- herpes verursachen. mitteln und Umwelteinflüssen, wie Austrock- nung, starke Hitze oder Kälte. Dauer der Infektiosität Die Infektiosität bleibt lebenslang bestehen. Vorkommen und Erregerreservoir Herpes-simplex-Viren (HSV) sind weltweit ver- Klinik breitet, das Erregerreservoir ist der Mensch. Genitalherpes verläuft meist mild oder symp- Das Herpesvirus ist sehr ansteckend. tomlos. Es können sich Bläschen oder Pusteln Die meisten genitalen HSV-Infektionen in Bay- bilden, die bis zu drei Wochen bestehen. Auch ern werden durch den Subtyp HSV-2 verur- Lymphknotenschwellungen, Fieber sowie sacht, während HSV-1-Infektionen typischer- schmerzhafte Entzündungen im Genitalbereich weise eher Lippen und Mund betreffen (orola- sind möglich. bial) und während der Kindheit erworben Die Viren verbleiben lebenslang in den regiona- werden. Studien haben gezeigt, dass genitale len Nervenzellen und können so immer wieder HSV-Infektionen bei jungen Erwachsenen Beschwerden auslösen, z. B. bei Fieber, durch UV-Licht, Stress oder bei Verletzungen. Copen CE, et al. (2012) Prevalence and timing of oral sex with opposite-sex partners among females and males aged 19 15–24 years: United States, National Health Statistics Reports, No. 56. Bradley H. et al. (2014) Seroprevalence of herpes simplex virus types 1 and 2 — United States. J Infect Dis; 20 209(3):325–333. Roberts CM et al.(2003) Increasing proportion of herpes simplex virus type 1 as a cause of genital herpes infection in 21 college students. Sex Transm Dis; 30(10):797–800. Russell DB et al. (2001) Seroprevalence of herpes simplex virus types 1 and 2 in HIV-infected and uninfected homose- 22 xual men in a primary care setting. J Clin Virol. Oct;22(3):305–13. 17
Diagnostik Inkubationszeit Falls erforderlich könnten Genitalabstriche, Die Inkubationszeit beträgt ein bis drei Wochen Bläscheninhalt oder Blut auf den Erreger unter- für die Erstinfektion. sucht werden. Dauer der Infektiosität Therapie Aufgrund asymptomatischer Verlaufsformen Zur Therapie stehen der antivirale Wirkstoff der Infektionen ist keine Aussage zur exakten Aciclovir und andere antivirale Medikamente Dauer der Ansteckungsfähigkeit möglich. zur Verfügung. Sie dienen dazu, die Ausbrei- Sexuelle Kontakte dürfen erst wieder nach tung der Viren in den infizierten Hautstellen zu Abschluss einer erfolgreichen Behandlung verhindern. Eine vollständige Heilung der Infek- einer genitalen Chlamydien-Infektion erfolgen. tion ist nicht möglich, da die im Zellkern der Nervenganglien persistierenden Viren nicht Klinik erreicht werden können. Etwa 50 % der Männer und 80 % der Frauen haben bei urogenitalen Chlamydien-Infektio- Prophylaxe nen keine Symptome und kommen daher als Je nach Sexualpraktik schützt der Gebrauch unwissentliche Träger in Frage. Bei Frauen von Kondomen, Femidomen oder Lecktüchern kann nach der Infektion des Gebärmutter- vor einer Übertragung. halses oder der Harnröhre schmerzloser eitri- ger Ausfluss auftreten. Unter Umständen wan- Impfung und Immunität dert die Infektion auch weiter und befällt auch Derzeit ist kein Impfstoff zur Bekämpfung des die Schleimhaut der Gebärmutter, die Eileiter Genitalherpes verfügbar. Da es keine Heilung und gegebenenfalls auch das Bauchfell und die gibt, gibt es auch keine Immunität. Leberkapsel. Wird eine solche Entzündung, genannt PID (Pelvic Inflammatory Disease), 2.2. Bakterien als Erreger nicht behandelt, kann sie Verklebungen und Vernarbungen im Bauchraum bis hin zum Funk- Erregersteckbrief Chlamydia trachomatis tionsverlust der Eileiter zur Folge haben mit der Konsequenz einer erworbenen Unfruchtbar- Erregercharakteristik keit. Beim Mann treten als klinische Zeichen Bei Chlamydia trachomatis (Serotypen D-L) Brennen und Schmerzen beim Wasserlassen handelt es sich um intrazellulär lebende Bakte- sowie eitriger Ausfluss aus der Harnröhre auf. rien. Die infektiöse, extrazelluläre Vermeh- Kommt es zu einer aufsteigenden Infektion, rungsform dient der Übertragung der Infektion. die Prostata oder Nebenhoden betreffen, tre- ten sehr starke Schmerzen auf. Je nach sexuel- Vorkommen und Erregerreservoir ler Gewohnheit kann sich die Infektion auch in Chlamydia trachomatis (Serotyp D-L) ist welt- Form einer Bindehautentzündung, Rachenent- weit verbreitet und eine der häufigsten sexuell zündung oder Enddarmentzündung darstellen. übertragenen Infektionen. Der Erreger kommt Die Erkrankung kann sich auch auf die Gelenke ausschließlich beim Menschen vor. ausbreiten und dort Entzündungen und Schmerzen verursachen. Neugeborene kön- Übertragung nen sich beim Durchtritt durch den Geburtska- Die Übertragung erfolgt durch direkten nal mit Chlamydia trachomatis infizieren. Meist Schleimhautkontakt, z. B. beim Geschlechts- kommt es dann zu einer Bindehautentzündung verkehr (oral, genital, anal) oder beim Geburts- oder beim Verschlucken von Scheidensekret vorgang. Chlamydien werden häufig zusam- auch zu einer schweren Lungenentzündung. men mit anderen sexuell übertragbaren Erre- gern (Gonokokken, HIV, Syphilis- oder Hepatitiserregern) übertragen. 18
2. Sexuell übertragbare Krankheiten: Was steckt dahinter? Diagnostik schien sie fast schon der Vergangenheit anzu- Der Nachweis von Chlamydia trachomatis gehören. In den letzten Jahren war allerdings erfolgt in der Regel aus Urin- oder Abstrichpro- wieder eine Zunahme der Erkrankungszahlen ben. zu beobachten. Einziges Erregerreservoir ist der Mensch. Da Syphilis-Geschwüre an Penis, Therapie Vagina, After oder Mund die Übertragung einer Eine spezifische Antibiotikatherapie ist verfüg- HIV-Infektion begünstigen, liegt nicht selten bar. Auch Sexualpartnerinnen und -partner (alle eine Syphilis Ko-Infektion bei HIV-infizierten innerhalb der letzten 60 Tage) sollten zur Ver- Patientinnen und Patienten vor (80 % der meidung eines „Ping-Pong-Effekts“, d. h. einer HIV-Infizierten haben Antikörper gegen Syphili- erneuten Infektion der Partnerin oder des Part- serreger, 15 % der Syphilispatienten haben ners oder einer Weiterverbreitung immer mit- gleichzeitig HIV). Eine gleichzeitige Syphilis behandelt werden. kann den Verlauf der HIV-Infektion ungünstig beeinflussen. Prophylaxe und Screening Kondome oder Femidome schützen vor einer Übertragung Übertragung. Der Erreger wird am häufigsten durch sexuelle In Deutschland haben alle gesetzlich kranken- Kontakte übertragen. Mikroverletzungen der versicherten Frauen bis zum abgeschlossenen Schleimhaut und Haut sind als Eintrittspforten 25. Lebensjahr einmal pro Jahr Anspruch auf ausreichend. Geschlechtsverkehr mit einem eine Urin-Screeninguntersuchung auf Chlamy- infizierten Sexualpartner führt in einem Drittel dien. Die Screeninguntersuchung kann auch im der Fälle zu einer Infektion. Während einer Rahmen der Mutterschaftsvorsorge, der Emp- Schwangerschaft kann eine infizierte Schwan- fängnisregelung oder im Rahmen eines gere die Syphilis-Infektion auf ihr ungeborenes Schwangerschaftsabbruchs durchgeführt wer- Kind übertragen. Seltene Ereignisse sind Über- den. Infizierte Schwangere sollten vor der Ent- tragungen der Infektion durch kontaminierte bindung behandelt werden. Nadeln oder Gegenstände. Syphilis wird häufig zusammen mit anderen Erregern sexuell über- Impfung und Immunität tragbarer Infektionen (HIV, Gonokokken, Eine verlässliche Immunität ist aufgrund der Chlamydien, Hepatitis) weitergegeben. Vielzahl von Serotypen nicht erreichbar. Auch nach einer ausgeheilten Infektion ist eine Inkubationszeit Neuinfektion möglich. Eine wirksame Impfung Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich gegen Chlamydia trachomatis ist nicht verfüg- 14–24 Tage und ist abhängig von der Menge bar. der übertragenen Erreger. Erregersteckbrief Syphiliserreger Dauer der Infektiosität (Treponema pallidum) Hochinfektiös sind die Patienten im Stadium der Primärsyphilis, infektiös im Stadium der Erregercharakteristik Sekundärsyphilis. Im Stadium der Tertiärsyphi- Treponema pallidum ssp. pallidum ist ein sexu- lis besteht trotz schwerwiegender klinischer ell übertragbares Bakterium, das die Erkran- Krankheitssymptome keine Infektiosität mehr. kung Syphilis (Lues) verursacht. Auch bei Kindern mit unbehandelter, bei der Geburt übertragener Syphilis im Frühstadium Vorkommen und Erregerreservoir besteht Ansteckungsgefahr. Bis zur Entdeckung des Penicillins war die Syphilis sehr verbreitet. Durch die Möglichkeit Klinik der medikamentösen Behandlung, nahm die Nur bei etwa der Hälfte der Infizierten findet Infektion sehr stark ab. In den 1990er-Jahren man klinische Symptome. Bei den symptoma- 19
tisch Betroffenen finden sich etwa drei Wochen Impfung und Immunität nach der Infektion schmerzlose Geschwüre an Eine ausgeheilte Syphilis hinterlässt keine Scheide, Penis, After oder im Mund, die wie- Immunität. Eine wirksame Impfung gegen der verschwinden (Primärsyphilis). Bei einem Syphilis ist nicht verfügbar. Teil der Betroffenen treten nach etwa zwei Monaten Fieber und Hautausschläge auf Erregersteckbrief Gonokokken (Sekundärsyphilis); im Spätstadium sind unbe- (Neisseria gonorrhoeae) handelt lebensbedrohliche Schäden an Gehirn und Nerven, Blutgefäßen und Skelett möglich Erregercharakteristik (Tertiärsyphilis). Bei Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken) han- delt es sich um sexuell übertragbare Bakterien, Diagnostik die die Gonorrhö (umgangssprachlich „Trip- Die Diagnostik der Syphilis erfolgt neben einer per“) verursachen. klinischen Untersuchung in der Regel aus dem Blut über Antikörpernachweise. Nach dem Vorkommen und Erregerreservoir Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht eine Hauptsächlich sind junge Menschen zwischen nicht-namentliche Meldepflicht für Neuinfekti- 15- und 25 Jahren, darunter vor allem Männer, onen mit Syphilis. die Sex mit Männern haben, betroffen. In Deutschland besteht seit 2001 keine Melde- Therapie pflicht mehr, sodass die Dunkelziffer vermut- Eine wirksame Antibiotikatherapie ist verfüg- lich hoch ist. Rund 50 % der Frauen und etwa bar. Durch den raschen Erregerzerfall im Rah- 10 % der Männer mit urogenitaler Gonorrhö men der Therapie kann es zu einer toxischen, haben keine Beschwerden und kommen daher systemischen Reaktion mit Schüttelfrost, Fie- als unwissentliche Überträger in Frage. Auch ber und Kopfschmerzen kommen, die behan- eine symptomlose Erregerbesiedlung des delbar ist. Bei diagnostizierter Syphilis-Infek- Rachens und Enddarms sind wichtige Faktoren tion sollten alle in Frage kommenden Sexual- bei der Weiterverbreitung der Gonorrhö. partnerinnen und Sexualpartner mitberaten, untersucht und gegebenenfalls behandelt wer- Übertragung den (bei primärer Syphilis: alle der letzten drei Die Übertragung erfolgt ausschließlich durch Monate; im Falle von sekundärer oder latenter direkten Schleimhautkontakt, z. B. beim Frühsyphilis: alle der letzten ein bis zwei Jahre). Geschlechtsverkehr (oral, genital, anal) oder beim Geburtsvorgang. Gonokokken besiedeln Prophylaxe die Zellen der weiblichen und männlichen Harn- Kondome oder Femidome können eine Über- röhre, des Gebärmutterhalses, des Enddarms tragung verhindern. Zu beachten ist, dass bei und der Bindehaut. Gonokokken werden häu- bestehendem Syphilis-Geschwür im Mundbe- fig zusammen mit anderen sexuell übertragba- reich eine Übertragung auch durch oralen Kon- ren Erregern (Chlamydien, Syphilis, HIV, Hepa- takt wie z. B. beim Küssen oder oraler Genital- titis) übertragen. stimulation möglich ist. Für homosexuelle Für Neugeborene spielt die schwere Gonokok- Männer mit häufig wechselnden Partnern wer- ken-Bindehautentzündung durch eine Infektion den regelmäßige Screening-Untersuchungen über den Geburtskanal eine wichtige Rolle. empfohlen. Bei diagnostizierter Syphilis-Infek- tion sollten alle in Frage kommenden Sexual- Inkubationszeit partner untersucht und gegebenenfalls behan- Die Inkubationszeit beträgt einen bis 14 Tage. delt werden. Das Screening auf Syphilis ist ein fester Bestandteil in der Schwangerenvorsorge Dauer der Infektiosität in Deutschland. Infizierte Schwangere sollten Solange eine (symptomatische oder asympto- vor der Entbindung behandelt werden. matische) Infektion besteht, gilt der Erkrankte 20
2. Sexuell übertragbare Krankheiten: Was steckt dahinter? als ansteckungsfähig. Bei Infektion sollten dome) schützen vor einer Übertragung. Zu Sexualkontakte daher bis zum Therapieende beachten ist, dass bei bestehender Rachen-Go- ausbleiben. Die Gonorrhö ist sehr infektiös, bei norrhö eine Übertragung auch durch oralen Kon- fünf ungeschützten sexuellen Kontakten takt (oral – oral und oral – genital) möglich ist. kommt es zu mindestens einer Infektion. Infizierte Schwangere sollten vor der Entbindung behandelt und geheilt werden. Eine Untersu- Klinik chung auf Gonokokken ist bislang aber kein fes- Beim Mann kommt es in bis zu 90 % der Fälle ter Bestandteil der Schwangerenvorsorge. zu einer Harnröhrenentzündung (Urethritis) mit Juckreiz, eitrigem Ausfluss und Schmerzen Impfung und Immunität beim Wasserlassen. Bei aufsteigender Die Gonorrhö hinterlässt keine Immunität, so Gonorrhö kann eine Prostata- oder Nebenho- dass man mehrfach an einer Gonorrhö erkran- denentzündung folgen. Bei Frauen sind Mut- ken kann. Eine wirksame Impfung gegen termund und Gebärmutterhals die häufigsten Gonokokken ist nicht verfügbar. Infektionsorte. Gelbrahmiger eitriger Ausfluss, Schmerzen beim Wasserlassen und Zwischen- 2.3. Erkrankungen durch blutungen können auftreten. Die aufsteigende Parasiten Gonokokken-Erkrankung der Frau kann u. a. zu Eileiterentzündung, chronischer Unterleibsent- Erregersteckbrief Trichomonas vaginalis zündung und langfristigen Folgen wie Unfrucht- barkeit, Bauchhöhlenschwangerschaft und Erregercharakteristik chronischen Unterleibsschmerzen durch Ver- Trichomonas vaginalis gehört zu den Parasiten. klebungen im Bauchraum führen. Die schwere Es handelt sich um einen Einzeller (Protozoon) und lebensbedrohliche, sogenannte dissemi- mit Geißeln zur Fortbewegung, der beim Men- nierte (gestreute) Gonokokkeninfektion mit schen vor allem die Trichomoniasis (Scheiden- Hautblutungen und Erregerstreuung über die entzündung), auch Trichomonadenkolpitis Blutbahn ist eine seltene Komplikation. genannt, bei der Frau und eine symptomarme Harnröhrenentzündungen bei beiden Ge- Diagnostik schlechtern hervorrufen kann. Der Erreger wird mittels mikroskopischer, molekularbiologischer und kultureller Verfah- Vorkommen und Erregerreservoir ren mit Antibiotikaresistenztestung aus gynä- Trichomonas vaginalis ist weltweit verbreitet. kologischen und urologischen Abstrichen Nach Schätzungen der WHO sind Trichomona- nachgewiesen. Gonokokken und Chlamydien den für fast die Hälfte aller behandelbaren können parallel in Urin und Abstrichproben sexuell übertragbaren Erkrankungen verant- getestet werden. wortlich. Häufig liegt parallel eine Infektion mit anderen sexuell übertragbaren Erregern wie Therapie Gonokokken oder Chlamydien vor. Die Erkran- Eine spezifische Antibiotikatherapie ist verfüg- kung ist in Deutschland nicht meldepflichtig. bar. Die Kombination verschiedener Wirkstoffe Erregerreservoir ist ausschließlich der Mensch. ist wegen zunehmender Antibiotikaresisten- zen, insbesondere bei im asiatischen Raum Übertragung erworbenen Infektionen notwendig. Wie bei Es ist davon auszugehen, dass Infektionen fast allen sexuell übertragbaren Erkrankungen müs- ausschließlich durch sexuelle Kontakte sen die Sexualpartner mitbehandelt werden, um zustande kommen. Die Erreger können aber einem „Ping-Pong-Effekt“ vorzubeugen. auch außerhalb des Schleimhautmilieus in feuch- ter Umgebung kurzfristig überleben. Da die Prophylaxe Mehrzahl der Infizierten keine Symptome zeigt, Schutzmaßnahmen (z. B. Kondome oder Femi- erfolgt die Übertragung häufig unwissentlich. 21
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