Stress mindern, Ängste abbauen
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P SYC H O LO G I E Die psychologische Diagnostik dient dazu, besondere psychische Belastungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Stress mindern, Ängste abbauen Foto: iStock / monkeybusinessimages Viele Patienten, die am Herzen operiert werden müssen, sind seelisch belastet. Die Psychotherapie kann ihnen helfen – auch den Angehörigen. Katharina Tigges-Limmer 36 H E R Z heu te 1 / 2 02 2
P SYC H O LO G I E V or einem herzchirurgischen Eingriff sind Patienten mit unterschiedlichen Gefühlen konfrontiert. Sie hoffen auf körperliche Genesung und eine besse- re Lebensqualität, zugleich erleben sie großen psychischen Stress. Sie haben Angst zu sterben oder schwere Komplika- tionen zu erleiden, und sie fühlen sich ausgeliefert. Diese Ängste sind nicht pathologisch, sondern als realistische »Die Grund Furcht, als „Realangst“ einzuschätzen. lage der Vor einer Bypassoperation beispielsweise, die infolge ver- schlossener Herzkranzgefäße notwendig wird, ist die psy- psycho chische Belastung vor der Operation am größten, danach logischen nimmt sie schrittweise ab. Nach der Operation, belegen die Versorgung meisten Studien, hat sich die Lebensqualität im Vergleich ist ein zum Vorniveau verbessert. Mehrere Studien haben einen Zusammenhang zwischen einer Depression, die vor der vertrauens Bypassoperation bestand, und einem erhöhten Risiko für volles Arbeits Komplikationen und einem weiteren negativen Einfluss auf bündnis, die nachfolgende Lebensqualität festgestellt. Die Depres- eine Allianz sion wird deshalb als ernst zu nehmender unabhängiger Risikofaktor für das Ergebnis nach einer Bypassoperation mit dem betrachtet. Patienten.« Bei Herzklappenerkrankungen hingegen konnte kein wissenschaftlicher Zusammenhang zwischen erhöhtem psychischem Stress und dem Entstehen oder der Ver- schlechterung der Erkrankung festgestellt werden. Vor der Klappenoperation haben die Patienten verglichen mit der Normalbevölkerung jedoch deutlich erhöhte Angstwerte. Nach spätestens sechs Monaten waren diese Ängste bei den meisten Patienten überwunden. In der Rhythmuschirurgie wurden psychische Belastun- gen vor allem bei Patienten untersucht, die einen Defibrilla- tor (ICD) erhalten haben. Nach einer ICD-Auslösung kann es zu Depressionen, Angststörungen oder zu einer posttrau- matischen Belastungsstörung kommen. Der Defibrillator wird als Lebensretter implantiert – Mehrfachauslösungen können jedoch als traumatisierend erlebt werden. Von den Patienten, die mit einem Herzunterstützungs- system versorgt werden müssen, leiden zwei Drittel bereits vor der Implantation unter einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Im Langzeitverlauf kommen weitere Belastungen hinzu. Technische Probleme mit dem Herzunterstützungssystem können zu Stress, zu Schlafstö- rungen und eingeschränkten Tagesaktivitäten führen. Man- che Patienten irritiert es, dass sie ihren Pulsschlag aufgrund des vom Herzunterstützungssystem erzeugten kontinuierli- chen Blutflusses nicht mehr spüren. Insgesamt gilt es, eine sichtbare Maschine im Herzen emotional zu akzeptieren und ins Körperbild zu integrieren. Besonders gefürchtet bei H E R Z h e u t e 1 / 2 02 2 37
P SYC H O LO G I E den Patienten sind Komplikationen, die ihre konzentriert sich auf Lärmvermeidung, struk- Hirnleistung beeinträchtigen könnten. turierte Orientierungsangebote, das Denken stimulierende Aktivitäten und die Einbindung ZWISCHEN HOFFEN UND BANGEN der Angehörigen, die einen wesentlichen posi- tiven Einfluss haben können. Die Herztransplantation ist psychologisch be- Die psychologische Diagnostik im Rahmen sonders gut untersucht. Die wissenschaftlichen einer Herzoperation dient dazu, besondere Daten zeigen: Patienten mit einer unbehandelt psychische Belastungen frühzeitig zu erkennen gebliebenen Depression haben ein größeres und adäquat zu behandeln. Ängste können so Risiko, die Wartezeit auf ein neues Herz nicht umstrukturiert, weitere Belastungen dissoziiert zu überleben. Ihr Risiko, nach der Transplan- (abgespalten) und ein Unterstützungsplan ent- tation zu versterben, ist ebenfalls erhöht. In der wickelt werden. Psychologische Interventionen Zeit des Wartens auf ein Spenderherz äußern können den Patienten dabei helfen, Stress zu die Patienten häufig die Befürchtung, dass das mindern und Ängste abzubauen. Sie können »Nach der eigene kranke Herz vor dem erlösenden neu- Mut machen und innere Kräfte mobilisieren. Operation ist en Herz „aufgeben“ könnte. Sie spüren ihren Die Grundlage der psychologischen Versor- eigenen Leistungsabfall und sind von der Un- gung ist ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis, es psycho gewissheit des Transplantationszeitpunkts be- eine Allianz mit dem Patienten. Sie wird durch logisch lastet. Einige sorgen sich, mit dem gespende- eine patientenzentrierte Kommunikation ge- wichtig, die ten Herzen auch Charakterzüge des Spenders stärkt und zeigt nachhaltig positive Effekte zu übernehmen. Die auf der höchsten Dring- sowohl auf die Zufriedenheit als auch auf die emotionale lichkeitsstufe der Warteliste stehenden Patien- „Adhärenz“, das Einhalten der von Patient und Bewältigung ten beschreiben ein Spannungsfeld zwischen Arzt gemeinsam verabredeten Therapieziele. des Gesamt Todesangst und Lebenshoffnung. Nach der Das dient dem Behandlungserfolg. Elemente geschehens Transplantation kommt die Angst hinzu, dass der patientenzentrierten Kommunikation kom- das Herz abgestoßen werden oder nicht richtig men aus der sogenannten klientenzentrierten Herzope funktionieren könne. Psychotherapie und beinhalten Techniken wie ration zu Eine herzchirurgisch gefürchtete Komplika- „Reaktionen abwarten können“, „Schlüsselaus- forcieren.« tion ist das „postoperative Delir“, ein nach der sagen wiederholen“, das „empathische Spiegeln Operation zeitlich begrenzter Zustand geistiger von Emotionen“ und ein verständnissicherndes Verwirrung mit Orientierungsverlust, Kon- Zusammenfassen. Mit diesen Methoden lassen zentrations-, Merk- und Schlafstörungen, Sin- sich leichte depressive oder ängstliche Sympto- nestäuschungen und Wahnideen. Das Delir ist me im herzchirurgischen Alltag gut auffangen. ein relevante Vorhersagegröße für verlängerte Aufenthalte im Krankenhaus, eine längere Zeit EMOTIONEN BRAUCHEN RAUM auf der Intensivstation, für das Fortbestehen von kognitiven Defiziten, eine verminderte Bei der sogenannten Psychoedukation werden Lebensqualität und eine erhöhte Erkrankungs- Informationen über die Herzerkrankung und und Sterberate. Neben dem operativen Eingriff die Operation, über mögliche psychische Re- selbst können die Ursachen für ein postopera- aktionen und Verhaltensempfehlungen durch tives Delir in der Vorgeschichte des Patienten schriftliches Material ergänzt. Dieses Vorgehen liegen, beispielsweise psychische Vorerkran- erweist sich insbesondere bei der Integration kungen, Missbrauch von Alkohol, Schlafmitteln eines möglichen deliranten Erlebens als hilf- und Psychopharmaka oder Risikofaktoren, die reich; sowohl für die Patienten als auch deren mit dem Aufenthalt auf der Intensivstation ver- Angehörige. bunden sind, etwa Schmerzen, häufige Alarme, In einigen Zentren findet die medizinische ein gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus und Iso- Hypnose Einsatz in der Herzchirurgie. Mit ihrer lation. Die nicht medikamentöse Behandlung Hilfe wird ein besonderer Bewusstseinszustand 38 H E R Z heu te 1 / 2 02 2
P SYC H O LO G I E induziert (Trance) und eine größere Entspan- ren. Der Einsatz von Antidepressiva, Anxioly- nung, mehr innere Ruhe, Gefühle der Sicher- tika, von Tranquilizern (kurzzeitig) sowie von heit und eine bessere Stressbewältigung werden hoch- und niedrigpotenten Neuroleptika ist angestrebt. zudem stets unter Berücksichtigung der Wech- In der klinischen Praxis ist es hilfreich, die selwirkung mit anderen Medikamenten, dem Patienten vor der Herzoperation anzuleiten, die Wirk- und Zielprofil sowie den Nebenwirkun- eigene Ängstlichkeit vor der OP anzunehmen gen abzuwägen. Der Verlauf muss engmaschig – und nicht etwa schamhaft zu verdrängen. Es psychiatrisch begleitet werden. Vorrangig sind tut den Patienten gut, wenn sie sich konkre- die Behandlung der akut vitalen psychischen te und individuelle Ziele für die Zeit nach der Störungen und der psychologische Zugang Operation ausmalen und Belohnungen für die zum Patienten. überstandenen Herausforderungen überlegen. Hilfreich ist es für die Patienten auch, wenn sie WAS HILFT’S? sich die soziale Unterstützung bewusst machen, die sie während der Krise Herzoperation erfah- Die zusammenfassende Betrachtung der aktu- ren haben, wenn sie einen Ort der inneren Ruhe ellen Studienlage zeigt, dass psychotherapeuti- und Gelassenheit imaginieren und sich die ei- sche Interventionen Angst, Depression, psychi- gene emotionale Leichtigkeit und Entlastung schen Stress, den Gebrauch von Schmerzmitteln nach der Operation vorzustellen. und die Zeit bis zur Extubation (Entfernung des Nach der Herzoperation ist es psychologisch Beatmungsschlauches) von herzchirurgischen wichtig, die emotionale Bewältigung des ge- Patienten wirksam reduzieren können. In einer samten Geschehens anzugehen: Eine mögliche Übersichtsarbeit konnte darüber hinaus gezeigt Dr. Katharina psychische Anspannung darf die körperliche werden, dass sich Depressionen und Ängste im Tigges-Limmer ist Genesung nicht stören, sie soll im psychi- Zusammenhang mit einer herzchirurgischen Psychologin und schen System verbleiben und dort bewältigt Operation besser abmildern lassen, wenn die leitet die medi- zinpsychologische werden. Emotionen brauchen Raum für einen psychologischen Interventionen länger andau- Abteilung der Ausdruck: Dies gelingt vor allem, indem man ern und die Patienten nach der Operation von Klinik für Thorax- über emotionale Erlebnisinhalte spricht. Da- erfahrenen Psychologen betreut werden. Eine und kardiovasku- rüber hinaus haben sich im klinischen Alltag Reduktion der Depression zeigte sich besonders läre Chirurgie im ressourcen- und zukunftsorientierte Verfah- bei Bypasspatienten, eine Reduktion der Angst HDZ NRW in Bad Oeynhausen. ren bewährt, mit denen Genesungsziele in eher bei Patienten mit Defibrillator. Kontakt: Erinnerung gerufen und in gangbare Schritte Eine Herzoperation zu bewältigen erfordert KTigges-Limmer@ umgesetzt werden können. Entspannungs vom Patienten große psychische Anpassungs- hdz-nrw.de verfahren, etwa autogenes Training, Selbst- leistungen. Es ist deshalb empfehlenswert, Psy- hypnose oder progressive Muskelrelaxation, chologen in die herzchirurgischen Teams zu Literatur: müssen jeweils an die körperliche Situation integrieren. Wenn ein Patient bereits an einer angepasst werden. Nach der Implantation eines psychischen Störung leidet oder wenn er eine Tigges-Limmer K. Sitzer M. Gummert Herzunterstützungssystems findet eine Fokus- außerordentlich große seelische Belastung im J. (2021): Periope- sierung auf das veränderte Körperbild statt – Zusammenhang mit seiner Herzoperation er- rative Psychological Interventions in nach der Herztransplantation liegt der Schwer- lebt, sollte unbedingt eine psychotherapeu- Heart Surgery. doi: punkt der psychologischen Behandlung auf der tische Versorgung angeboten werden. Auch 10.3238/arztebl. m2021.0116 Organintegration. Angehörige mit hohem Stresserleben sollten Psychoaktive Medikamente werden in der psychologische Hilfe bekommen. Leider muss Ziehm S. et al. Herzchirurgie nur in Ausnahmefällen und zeit- abschließend festgehalten werden, dass sich (2017): Psycho- logical interven- lich begrenzt verabreicht. Sie sollten nur einge- diese wichtige Mitversorgung der Patienten tions for acute setzt werden, wenn der Patient beispielsweise aktuell noch nicht im Vergütungssystem wider- pain after open Foto: privat heart surgery. doi: nach der Operation rasch behandelt werden spiegelt – hier braucht es dringend auch eine 10.1002/14651858. muss, um eine Eigengefährdung zu reduzie- finanzielle Abbildung. CD009984.pub3 H E R Z h e u t e 1 / 2 02 2 39
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