SWR2 Glauben 450 JAHRE GALILEO GALILEI
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Glauben 450 JAHRE GALILEO GALILEI EINE SPURENSUCHE IN ROM VON JAN-CHRISTOPH KITZLER SENDUNG 01.11.2014 / 12.05 UHR Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR2 Glauben können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/glauben.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
Musik: John McLaughlin… OT 1 Galileo Galilei, Sprecher1: Ich, Galileo Galilei, Sohn von Vincenzo Galilei aus Florenz, 70 Jahre alt und persönlich vor dem Gericht erschienen, kniend vor Euch, höchst erhabene und ehrwürdige Herren Kardinäle […], mit den geheiligten Evangelien vor Augen, die ich mit meinen Händen berühre, schwöre, stets geglaubt zu haben, gegenwärtig zu glauben und in Zukunft mit Gottes Hilfe glauben zu wollen alles das, was die katholische und apostolische Kirche für wahr hält, predigt und lehret. […] Autor: Der Abschwur Galileo Galileis in Rom war der Höhepunkt einer mehr als schwierigen Beziehung, einer Geschichte voller Widersprüche und Missverständnisse, einer Geschichte von Unterdrückung und Selbstüberschätzung. Sprecher 1 weiter … Ich bin des Verdachtes der Häresie beschuldigt worden, weil ich daran festgehalten und geglaubt habe, dass die Sonne das Zentrum der Welt sei und unbewegt, und dass die Erde nicht das Zentrum sei und sich bewegt. […] Ich Galileo Galilei habe abgeschworen und versprochen, und im Glauben an die Wahrheit habe ich mit eigener Hand dieses Dokument meiner Abschwur unterschrieben, und es Wort für Wort vorgelesen. In Rom, im Kloster der Minerva, an diesem 22. Juni 1633. Autor: Der Konflikt mit der katholischen Kirche hat Galilei, der vor 450 Jahren zur Welt kam, zum Symbol gemacht für eine um die Wahrheit kämpfende Wissenschaft. Und er hat dazu beigetragen, dass die katholische Kirche bis heute von nicht wenigen für wissenschaftsfeindlich gehalten wird. Der Abschwur im Sommer 1633 fand nicht im Vatikan statt, auch nicht im dem Palast, gleich neben dem Petersplatz, in dem heute die Glaubenskongregation ihren Sitz hat und zur Galilei-Zeit die zentrale Inquisitionsbehörde der Katholischen Kirche. Dieser hochsymbolische Moment geschah mitten in Zentrum Roms. 2
Atmo: Vor der Kirche Santa Maria Sopra Minerva Autor: Gleich neben dem Pantheon stand damals und steht heute noch die Kirche Santa Maria sopra Minerva, davor Berninis berühmter Elefant, der einen Obelisken trägt. Es ist die Kirche eines alten Dominikaner-Klosters. Und weil die Dominikaner jahrhundertelang eine wichtige Rolle in der Inquisition gespielt hatten, trafen sich hier die Kardinäle der „Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition“, die 1542 neugegründet worden war. Jeden Mittwoch – auch der 22. Juni 1633, der Tag, an dem Galileo Galilei abschwören musste, war ein Mittwoch, ein normaler Sitzungstag also. Daniele Ols ist heute der Prior, der Vorsteher des Klosters. Früher hat der Franzose in der „Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse“ gearbeitet, einer der Behörden der römischen Kurie. Atmo: Kreuzgang Autor: Jetzt steht er in schwarz-weißer Ordenstracht im Kreuzgang des Klosters, im Hof recken sich mehrere Palmen hoch in den Himmel. Man sagt, es seien die höchsten von Rom. Das Minerva-Kloster war spätestens seit dem 15. Jahrhundert ein wichtiger Ort in der Stadt. Zwei Päpste wurden hier gewählt, Prozessionen begannen hier oder kamen hier an. Bis zur Einnahme Roms 1870 durch italienische Truppen besuchte es der Papst jedes Jahr. Padre Ols erklärt, wie es 1633 war: OT2 Padre Daniele Ols, OP (Sprecher 2): Zu Galileos Zeit gab es diesen Kreuzgang bereits, der im 16. Jahrhundert gebaut wurde. Wenn die Kardinäle Inquisitoren ankamen, gingen sie durch das Tor des Klosters, wo wir hineingekommen sind, dann durchquerten sie hier den Kreuzgang, und stiegen schließlich die Treppe dort in der Mitte des Kreuzgangs hoch. Autor: Der Saal, in dem die Sitzungen stattfanden, gehört heute nicht mehr zum Dominikanerkloster. Man muss zurück auf die Straße und einmal um den Block. 3
Atmo: in der Bibliothek Autor: Dieser recht große Saal ist inzwischen Teil der Bibliothek des italienischen Parlaments. Man sieht noch die alten Deckenfresken. Ansonsten hat sich das Szenario stark verändert. Wo heute ein Lesesaal ist mit schweren Holzmöbeln und Bücherregalen, saßen vor fast 400 Jahren die Kardinäle zusammen. OT3 Daniele Ols, OP (Sprecher 2): In diesem großen Saal stand ein großer Tisch, so ausgerichtet. Ein anderer Tisch war in die andere Richtung ausgerichtet. In der Ecke nahm der Kardinal Platz, der der Sitzung vorsaß. Da waren die Kardinäle, der Angeklagte wurde hereingelassen und einige wenige Privilegierte durften anwesend sein. Nur die ältesten Beiräte durften dabei sein. Autor: Der Abschwur von Galilei vor dem Inquisitions-Gremium war natürlich ein Akt der Erniedrigung. Ein Kniefall, eine erzwungene Absage an das, von dem der große Mathematiker, Astronom und Physiker überzeugt war. Aber im Vergleich zu dem, was die katholische Kirche in dieser Zeit sonst mit Abweichlern veranstalten konnte, war man mit Galileo noch relativ gnädig. 33 Jahre zuvor, im Jahr 1600, hatte man den ehemaligen Mönch Giordano Bruno ein paar hundert Meter von hier auf dem Campo dei Fiori verbrannt. Er hatte unter anderem behauptet, das Weltall sei unendlich und es gäbe eine unendliche Anzahl von Welten. Es gab auch Fälle, wo der Abschwur vor großem Publikum geleistet werden musste. Zum Beispiel nebenan in der Kirche Santa Maria Sopra Minerva. Damit alle gut sehen konnten, wurden dann extra Tribünen aufgebaut. Galilei dagegen durfte im kleinen Kreis abschwören. Padre Ols ist noch wichtig zu betonen, dass Galileo nur für den offiziellen Akt des Abschwörens hierher kam. Die Verhöre, die dem voran gingen, fanden im Palast der Inquisition statt, links vom Petersplatz. 4
OT4 Daniele Ols, OP (Sprecher 2): Jemand wurde mit dem Verhör beauftragt und er durfte auch foltern. Galileo wurde in der Tat die Folter angedroht. Das wurde dann nicht gemacht, aber immerhin... Verhört wurde im Palazzo Sant'Uffizio, dem Sitz der Glaubenskongreation, wo auch die Zellen waren, in denen die Leute festgesetzt wurden. Atmo: Rund um den Petersplatz Autor: 22 Tage wurde Galilei 1633 hier festgehalten, bevor ihm der Prozess gemacht wurde. Ganz in der Nähe, hinter den Vatikanischen Mauern wohnt heute Kardinal Walter Brandmüller. Der 85jährige war bis vor 5 Jahren Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft. Als eine Art Chefhistoriker der römischen Kurie hat er unter anderem ein Buch geschrieben mit dem Titel „Galilei und die Kirche. Ein ‚Fall‘ und seine Lösung“: OT5 Kardinal Walter Brandmüller: Die mit dem Fall befasste Indexkongregation und Inquisitionsbehörde waren nicht in der Lage, sich vom Buchstaben der Bibel zu Lösen und den eigentlichen Sinn zu erfassen. Die Inquisition irrte in der Bibelerklärung und Galilei in der Astrophysik. Autor: Denn Galilei hatte zwar gute Anhaltspunkte für die Theorie des Heliozentrismus, nach der sich die Erde um die Sonne dreht. Aber er hatte noch keine richtigen Beweise. Und: Galilei hatte den Heliozentrismus nicht erfunden. Er baute auf die Theorien des Nikolaus Kopernikus auf. Die so genannte Kopernikanische Wende gilt als der entscheidende Schritt für das neue Weltbild. Sie war aber zunächst nur ein mathematisches Modell, mit dem sich viele Phänomene erklären ließen. Und dabei mathematisch noch recht ungenau. Erst Johannes Kepler kam der Wirklichkeit nahe, indem er Anfang des 17. Jahrhunderts von elliptischen Bahnen der Planeten ausging und diese Erkenntnis 1609 veröffentlichte. Aber physikalisch beweisen ließ sich das noch nicht, sagt Ugo 5
Baldini, der Wissenschaftshistoriker, der in Padua gelehrt hat, dort, wo auch Galilei einige Jahre seinen Lehrstuhl hatte. OT6 Ugo Baldini, Wissenschaftshistoriker (Sprecher 3): Als Newton 1687 seine Philosophiae Naturalis Principia Mathematica veröffentlich hat, hat er nicht nur bewiesen, dass Kepler Recht gehabt hatte, dass also die Zeichnung der Umlaufbahnen von Kepler exakt war, sondern er beweist auch, dass es auf Grundlage der Physik gar nicht anders sein kann. Dementsprechend wird die Geozentrik physikalisch widerlegt. Mit Newton hat es also einen weiteren Schritt gegeben. Autor: Galilei konnte den physikalischen Beweis noch nicht führen, aber er benutzte als einer der ersten ein Fernrohr zur Beobachtung der Sonne, der Planeten und ihrer Monde. Er entdeckte die Sonnenflecken und Mondkrater. Und er hatte Bewunderer und Förderer in Rom – auch in Kirchenkreisen. Insgesamt vier mal war er vor dem Abschwur in Rom – seine Reisen waren regelrechte Triumphzüge durch die Salons und die Hörsäle der Stadt. Seit der Veröffentlichung seiner Schrift „Siderius Nuntius“ – „der Sternenbote“ war er sozusagen ein Star der Wissenschaft – er wurde zum gefeierten Hofmathematiker der Medici in Florenz berufen. Ein Jahr, später, 1611, kam er das erste Mal nach Rom, wo er gebeten wurde, seine Entdeckungen und Erfindungen vorzuführen. Die Kirche war nicht etwa generell wissenschaftsfeindlich. Auch die Päpste interessierten sich für Astronomie. Teil der heutigen Vatikanischen Museen ist der „Turm der Winde“. Papst Gregor XIII. hatte dieses Observatorium Ende des 16. Jahrhunderts bauen lassen, unter anderen um dort Beobachtungen für seine Kalenderreform anstellen zu lassen. Guy Consolmagno ist Jesuitenbruder und gleichzeitig Astronom. Er betreut und erforscht in Castelgandolfo die Meteoriten-Sammlung des Vatikans, die eine der größten der Welt ist, und schaut am Observatorium in Tucson Arizona in die Sterne. Auch er hat sich mit der Zeit Galileis auseinandergesetzt. 6
OT7 Guy Consolmagno, SJ (Sprecher 4): Wer betrieb damals Wissenschaft? Also das, was wir Wissenschaft nennen? Leute an den Universitäten, die meisten von ihnen Priester. Wer waren die, die an den Ergebnissen von Galileos Forschungen interessiert waren? Warum sollte sich die Kirche überhaupt darum kümmern, wie sich die Planeten bewegen? Weil damals die Art darüber, was die Welt zusammen hält, die Idee miteinschließt, dass man in den Bewegungen der Sterne die Bewegungen der Engel wiederfindet. Dass man in der Struktur des Universums auch eine metaphysische Struktur wiederfinden kann. Autor: Auch deshalb stießen die Forschungen Galileis in Rom auf großes Interesse: Kardinal Maffeo Barbarini war sein großer Förderer am Papsthof. 1623 wurde er selbst zum Papst gewählt und nahm den Namen Urban VIII. an. 1611, bei seinem ersten Besuch in Rom, lernte Galilei auch Roberto Bellarmin kennen, den vielleicht bedeutendsten Theologe jener Zeit. Heute ist er in der Kirche Sant’Ignazio beigesetzt, ganz in der Nähe der Minerva. Rechts in einer Seitenkappelle, liegt er im roten Kardinalsgewand unter dem Altar. Als Galileo und er sich trafen, war Bellarmin schon jahrelang Kardinal. Beim Konklave 1605 wäre er selbst beinahe zum Papst gewählt worden. Auch er war der Wissenschaft gegenüber aufgeschlossen, und: Roberto Bellarmin hatte auch Astronomie studiert. Und so glaubte auch er in den Himmelskörpern eine göttliche Ordnung wieder zu erkennen. So schreibt er um das Jahr 1610: OT8 Roberto Bellarmin (Sprecher 1): Mich selbst kam einmal die Neugier an zu erfahren, wieviel Zeit die Sonne brauche, um ins Meer unterzusinken. Beim Beginn ihres Unterganges fing ich an den Psalm Miserere zu beten, und ich war noch kaum zwei Mal damit fertig geworden, so war die Sonne auch schon ganz untergegangen. Sie hatte also in der kurzen Zeit […] einen Raum von weit mehr als siebentausend Meilen durchlaufen. Autor: Die Probleme mit der Astronomie aber, sie begannen dort, wo die Gefahr bestand, erklären zu müssen, dass der Wortlaut der Bibel falsch war. 7
Denn Bibelwort war göttliches Wort. Hier war die Astronomie ein heikles Feld, denn sie stellte das biblische Weltbild infrage, das, wie die Weltbilder aller antiker Kulturen, davon ausgeht, dass die Erde eine Scheibe und der Mittepunkt des Alls sei. Insofern war es für die Vertreter der Kirche zwar akzeptabel, sich als Hypothese vorzustellen, dass die Erde rund sei und sich um die Sonne dreht, man konnte sozusagen inoffiziell von so einem Modell ausgehen, wenn es zum Beispiel Seeleuten zu Navigation nützte, aber man durfte es nicht als absolute Wahrheit verkünden. OT9 Hubert Wolf, Kirchenhistoriker: Wenn Du das nämlich machst, dann widerspricht das, was Du sagst, der Kosmologie der Bibel. Denn im Buch Josua steht: „Sonne, stehe still im Tal von Gibeon! Und die Sonne stand still.“ Also: ich darf naturwissenschaftliche Hypothesen immer vertreten. Das zeigt die Geschichte der Inquisition und des Index in Hinblick auf Naturwissenschaften – ausgehend vom Fall Galileo. Ich darf sie nur nicht in einen Kontrast zur biblischen Offenbarung und zur Glaubenswahrheit bringen. Atmo: rund um den Petersplatz… Autor: Hubert Wolf treffen wir am Petersplatz. Der Kirchenhistoriker und Professor in Münster hat unter anderem als einer der ersten im römischen Inquisitionsarchiv geforscht und über den Index, der die von der Katholischen Kirche verbotenen Bücher auflistet. Der Index Librorum Prohibitorum wurde 1559 eingeführt. Erst nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde er abgeschafft. Über das Verhältnis zwischen der Kirche und den Naturwissenschaften sagt der Index nur wenig aus. Für Hubert Wolf liegt das auch daran, dass die Kirche durch die Jahrhunderte grundsätzlich aufgeschlossen war. Auch Kardinal Bellarmin bemühte sich ganz offensichtlich um den Ausgleich zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Wahrheit der Bibel. Zum Beispiel im Fall des Karmeliters Paolo Antonio Foscarini: er hatte 1615 ein Buch veröffentlicht, in dem er zu beweisen versuchte, dass der Heliozentrismus der Bibel nicht widersprach. 8
Damit eckte er in Rom an und musste seine Thesen vor der Inquisition verteidigen. Bellarmin schrieb ihm im April dieses Jahres einen Brief, der ihm Mut machen sollte: OT11 Kardinal Roberto Bellamin (Sprecher1): Ich halte dafür: wenn es wahrhaft bewiesen würde, dass die Sonne im Mittelpunkt der Welt und die Erde im dritten Himmel steht und dass nicht die Sonne die Erde umkreist, sondern die Erde die Sonne, dann müsste man sich mit großem Bedacht um die Auslegung der Schriften bemühen, die dem zu widersprechen scheinen, und eher sagen, dass wir es nicht verstehen als zu sagen, das Bewiesene sei falsch. Autor: Zu spät. Das Buch Foscarinis war da schon auf dem Index gelandet, die Inquisitionskongregation hatte ein Dekret erlassen, in dem das Kopernikanische Weltbild ein für alle Mal für unvereinbar mit der katholischen Lehre erklärt wurde. Galilei wollte sich damit nicht abfinden. Eigentlich hatte er wohl gehofft, in Foscarini einen Verbündeten zu finden. Deshalb reiste er rund um dessen Prozess wieder nach Rom. Er dachte ganz ähnlich, wie es Bellarmin in seinem Brief formuliert hatte. Schon 1613 hatte er seinem Freund und Schüler, dem Benediktinermönch Benedetto Castelli geschrieben, dass man die Bibel nicht allzu wörtlich nehmen sollte. Der Brief wurde von der Inquisition abgefangen, abgeschrieben und nach Rom geschickt. Er war später ein wichtiges Beweisstück im Prozess gegen Galilei: OT12 Galileo Galilei (Sprecher1): Da es also die Schrift an vielen Stellen […] notwendig macht, eine von der scheinbaren Bedeutung der Worte abweichende Auslegung zu geben, halte ich dafür, dass ihr in Disputen über die Natur der letzte Platz vorbehalten sein sollte […] Denn es ist offensichtlich, dass die natürlichen Wirkungen, die uns durch die Erfahrung der Sinne vor Augen geführt werden oder die wir durch zwingende Beweise erkennen, keineswegs in Zweifel gezogen werden dürfen durch Stellen der Schrift, deren 9
Worte scheinbar einen anderen Sinn haben, weil nicht jeder Ausspruch der Schrift an so strenge Regeln gebunden ist wie eine jede Wirkung der Natur. Autor: Galilei hatte auch seine feste Auffassung über die mangelnde Kompetenz der Theologen, in Fragen der Wissenschaft zu entscheiden. Was er über die Inquisition in Rom dachte wird mehr als deutlich in einem Brief, den er 1615 der Großherzogin Christine von Lothringen schrieb: OT13 Galileo Galilei (Sprecher1): Wenn nun die Theologie, sich nur mit den höchsten göttlichen Problemen beschäftigend, aus Würde auf ihrem königlichen Throne verbleibt, der ihr ihrer hohen Autorität zukommt, und nicht zu den niederen Wissenschaften herabsteigt, vielmehr dieselben, als die Seligkeit nicht betreffend, unbeachtet lässt, so sollten auch die Professoren der Theologie sich nicht die Autorität anmaßen, Dekrete und Verordnungen in Fächern zu erlassen, die sie nicht betrieben und studiert haben. Autor: Das klingt unversöhnlich. Und in der Tat war ein Problem, dass die Kirche mit Galilei hatte, auch dessen aufbrausender, rechthaberischer Charakter. Vermutlich überschätzte er sich in der Annahme, er könne Einrichtungen der Kirche wie die Inquisition von seiner Wahrheit überzeugen. Die Hüter der Glaubenslehre fürchteten den Dammbruch: dass, wenn die Bibel in einem wichtigen Punkt wiederlegt sei, auch andere Glaubenswahrheiten nicht mehr sicher waren. Zu sagen, wie auch Galilei argumentiert hatte, dass die Bibel nicht wörtlich zu verstehen sei, sondern den Glauben und das Weltbild ihrer Entstehungszeit widerspiegelt, ist heute selbstverständlich. Damals war das ein Problem: OT15 Ugo Baldini, Wissenschaftshistoriker (Sprecher 3): Wir müssten sagen, dass es nicht wahr ist, dass Methusalem mit 970 Jahren stirbt. Wir müssten sagen, dass die Sintflut nicht die gesamte Menschheit auslöscht. Wir müssten sagen, dass nicht alle Tiere in der Arche Noah sind. Und unendlich viel andere Dinge. Kurz: Die Kirche meint, wenn das Prinzip durchgeht, dass in der Heiligen 10
Schrift einige Dinge wörtlich zu nehmen sind und andere nicht, dann wird das Heiligtum der Schrift zersetzt. Autor: Hinzukommt, dass die Katholische Kirche in jener Zeit unter besonderem Druck stand. Noch in der Renaissance-Zeit war der Umgang der Kirche mit der Bibel relativ locker. Aber der neu entstehende Protestantismus aus dem deutschsprachigen Raum hatte die die katholische Kirche in die Defensive gebracht. Auch was einen genaueren Umgang mit der Heiligen Schrift anging, sagt Kardinal Brandmüller. OT16 Kardinal Walter Brandmüller: Luther insistiert auf dem Wortlaut der Schrift. Und die Vorwürfe an die katholische Adresse, man habe die Heilige Schrift verraten, haben auf der anderen Seite einen Abwehraffekt zur Folge gehabt, der nun dazu führte, dass man auf katholischer Seite so bibelbuchstabengetreu wie nur möglich zu sein sich bemühte, um diesen Vorwürfen aus Wittenberg entgegenzutreten. Autor: Auch wenn Martin Luther die Regel „sola scriptura“, „allein die Schrift“ zum Maß der Dinge erhoben hatte um zu unterscheiden, was wirklich Verkündigung der Bibel war, und was nur kirchliche Auslegung, Dogma oder Meinung des Papstes. Was die römischen Theologen mit Blick auf diese neue, vom Humanismus geprägte Herangehensweise an die eigene Tradition befürchteten, das drohte ihnen jetzt auch im Bereich der Naturwissenschaft. Kardinal Bellarmin versuchte im Fall Galilei solange es ging, goldene Brücken zu bauen und den Eklat zu verhindern. An Foscarini schrieb er: OT17 Kardinal Roberto Bellarmin (Sprecher1): Ich bin der Meinung, dass Euer Hochwürden und Herr Galilei klug daran täten, sich darauf zu beschränken, von Annahmen zu sprechen, wie ich immer glaubte, dass Kopernikus so gesprochen habe. Indem man von der Annahme spricht, dass die Erde sich bewege und die Sonne still stehe, wird der Schein besser gewahrt, […] es ist 11
bestens gesagt und entbehrt jeglicher Gefahr; und dieses genügt dem Mathematiker. Autor: Doch 1621 stirbt Bellarmin hochbetagt in Rom. Galilei musste sich nun auf mehr Gegenwind einstellen. Aber 1623 keimte wieder Hoffnung auf, als sein alter Förderer Maffeo Barberini zum Papst gewählt wurde. Ihm widmete er die Schrift Saggiatore, in der er sich mit der Bahn von Kometen auseinandersetzt. Urban VIII., wie Barberini sich nannte, empfing Galilei 1624 gleich mehrmals und ermunterte ihn, weiter zu publizieren. Doch es war dessen nächstes großes Werk, das das Fass zum Überlaufen brachte, der „Dialog über die zwei Weltsysteme“. Atmo: Musik vom Anfang... Autor: Darin streiten sich die zwei Hauptfiguren darüber, ob nun die Erde unbewegt im Mittelpunkt des Universums steht oder die Sonne. Und dabei ist ganz klar, auf welcher Seite Galilei steht. In den Augen der Inquisition verstößt dieses Buch gegen die Auflage, über seine Theorien als Hypothesen zu schreiben. OT18 Hubert Wolf, Kirchenhistoriker: Denn da geht es auch wieder darum: eigentlich werden Hypothesen ausgetauscht. In diesem Gespräch zwischen den beiden. Wobei völlig klar ist: derjenige, der für das heliozentrische System argumentiert, der ist brillant. Und der für das geozentrische hypothetisch argumentiert das ist ein Dünnbrettbohrer. Es wird jedem sofort klar, wenn man das liest, wo die Position ist. Das ist keine Hypothese, da wird eine Wahrheit behauptet. Autor: Das Inquisitionsverfahren, das schließlich im Abschwur mündet, versucht Galileo Galilei so lange wie möglich zu verhindern. Aber 1632 wird er nach Rom geladen. In Florenz wütet in diesen Jahren die Pest, Galilei verweist auf sein Hohes Alter, er ist 68, seine schlechte Gesundheit, und er versucht es über 12
seinen alten Gönner, indem er an Francesco Barberini schreibt, der als Kardinalnepot die rechte Hand des Papstes ist. Ihn bittet er, bei den Kardinälen der Inquisition ein gutes Wort für ihn einzulegen. Es nützt nichts, Galilei muss abschwören. Ob er danach tatsächlich gesagt hat „Und sie bewegt sich doch“ – daran gibt es große Zweifel. Gedacht hat er es sicher. Atmo: Musik vom Anfang… Die katholische Kirche hat aus dem Fall gelernt, sagen ihre Vertreter. Aber erst Anfang der 1990er Jahre hielt Papst Johannes Paul II. eine Ansprache, die man als Rehabilitierung Galileis verstehen kann. Jedoch schon in den Jahrhunderten zuvor haben Männer der Kirche die moderne Wissenschaft vorangetrieben, unter anderem auch Astronomen, die bis heute in der päpstlichen Sternwarte in Castelgandolfo forschen. Gregor Mendel war Benediktinermönch, Georges Lemaître, der als Erfinder der Urknall-Theorie gilt, war katholischer Priester. OT21 Kardinal Walter Brandmüller: Dass man das nach wie vor verdrängt, ist eine Folge dessen, dass im Gefolge der Aufklärung ein solcher Gegensatz konstruiert wurde und Galilei quasi als Gallionsfigur einer von Autoritäten unabhängigen Forschung glorifiziert wurde. OT 22 Guy Consolmagno, SJ (Sprecher 4): Wir haben in den letzten 400 Jahren gelernt, dass Galileos Erklärung des Universums auch unvollständig war. Newtons Erklärung des Universums war auch unvollständig. Und vielleicht sieht die Urknall-Theorie in 500 Jahren auch ziemlich dämlich aus. Man will doch nichts davon nehmen, um darauf eine Religion zu begründen… Autor: Aber das Verhältnis von Glauben und Wissenschaft ist, solchen Beteuerungen zum Trotz, nach wie vor schwierig. Seit dem Fall Galilei ist es vergiftet. 13
OT 23 Hubert Wolf: Ich verstehe natürlich den Forscher, der irgendwann an den Punkt kommt und sagt: ich will jetzt aber sagen, was Sache ist. Und das ist der „Dialog der beiden Weltsysteme“. Und insofern war’s natürlich ein Maulkorb. OT25 Ugo Baldini, Wissenschaftshistoriker (Sprecher 3): Die Kirche hoffte, dass die Wissenschaft Fortschritte machen könnte, ohne dabei die traditionellen und fundamentalen Wahrheiten anzufechten. Doch einige dieser Wahrheiten wurden angegriffen und mussten verändert werden. Dies wurde nur mit großer Mühe verstanden, sehr langsam. Autor: Guy Consolmagno, der Jesuit und Astronom hat das Problem zumindest für sich gelöst: OT26 Guy Consolmagno, SJ (Sprecher 4): Es gibt keinen Gegensatz zwischen Glaube und Wahrheit. Die Leute glauben fälschlicherweise, dass Wissenschaft und Religion zwei unterschiedliche Wege sind um an Fakten zu kommen. Aber das ist nicht, was Wissenschaft ausmacht, und das ist nicht, was Religion ist. Religion geht es nicht um die Fakten in der Bibel, Religion geht es darum, was wir aus diesen Fakten machen. Genauso geht es Wissenschaft nicht um die Fakten, die man in einem Buch findet. Es ist die Unterhaltung die wir führen, um den Sinn dieser Fakten herauszufinden. Beide sprechen nicht einfach nur von einer Reihe von Dingen, die man in ein Buch stecken kann. Autor: Galileo Galilei musste dafür bezahlen, dass man das zu seiner Zeit ganz anders sah. 14
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