Tanz mit dem Drachen Die wechselhaften Beziehungen zwischen Myanmar und China - Thomas S. Knirsch / Annabelle Heugas - Konrad-Adenauer-Stiftung
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Quelle: © Ann Wang, Reuters. Tanz mit dem Drachen Die wechselhaften Beziehungen zwischen Myanmar und China Thomas S. Knirsch / Annabelle Heugas Auslandsinformationen online
Die starke Abhängigkeit Myanmars von China war einer der Hauptgründe für den demokratischen Wandel nach 2008. Dennoch ist China heute wieder größter Handelspartner und Investor in Myanmar. Das Land hat eine herausragende geostrategische Bedeutung für China und ist zentraler Bau- stein der Belt and Road Initiative (BRI). Die Beziehungen zu China bleiben auch in Zukunft ein schwieriger Balanceakt zwischen eigenen und fremden Interessen. Mitte Januar 2020 reiste Xi Jinping als erster China mit dem Besuch Xi Jinpings diesem Ziel chinesischer Präsident seit 19 Jahren zu einem nähergekommen? Was bedeutet das Ergebnis zweitägigen Staatsbesuch nach Myanmar. Die des Besuchs für die Zukunft der Beziehungen Bedeutung des Besuchs wurde durch die Tat- zwischen China und Myanmar? Wird Myanmar, sache erhöht, dass beide Länder in diesem Jahr wie viele befürchten, zunehmend wieder zum den 70. Jahrestag der diplomatischen Bezie- „Klientelstaat“ Chinas? hungen begehen. Neben diesem offiziellen Anlass war Hintergrund des Besuchs vor allem Politik zwischen Pragmatismus aber die wirtschaftliche Zusammenarbeit bei- und Misstrauen der Länder. China ist Myanmars größter Han- delspartner. Im Jahr 2018 kamen 25 Prozent Wie so oft hilft bei der Antwort auf Gegenwarts- aller ausländischen Direktinvestitionen aus fragen ein Blick auf die Geschichte. Nur zwei China, 32 Prozent aller Ausfuhren gingen nach Jahre nach seiner Unabhängigkeit von Großbri- China.1 China möchte vor allem erreichen, dass tannien im Jahre 1948 nahm Myanmar, damals die großen Projekte, die zum China-Myanmar noch Birma genannt, Beziehungen zu China Economic Corridor (CMEC) zählen und Teil auf. Die frühe Anerkennung der Volksrepublik der Belt and Road Initiative (BRI, auch bekannt China (Myanmar war das erste nichtkommu- als Neue Seidenstraße) Chinas sind, so bald nistische Land, das dies tat) ist bezeichnend wie möglich realisiert werden. Zu diesen Pro- für die außenpolitische Strategie, die Myanmar jekten zählen: der Tiefseehafen Kyaukphyu im seit seiner Unabhängigkeit verfolgt: eine Politik Indischen Ozean und die dazu gehörende Son- der Neutralität. Die Welt war zwischen einem derwirtschaftszone, eine Eisenbahn und eine westlichen und einem östlichen Block geteilt. Autobahn, die Kunming in der Provinz Yunnan Eine Gruppe von Ländern, zumeist ehemalige über Mandalay mit Kyaukphyu verbinden soll, Kolonien, wollte sich jedoch nicht hinter eine das Projekt New Yangon City und Zonen der der beiden Blöcke stellen. Sie bildeten 1961 die wirtschaftlichen Zusammenarbeit entlang der Bewegung der Blockfreien und Myanmar ist bis Grenze zwischen China und Myanmar. Bereits heute eines ihrer 120 Mitglieder. Myanmars im Jahr 2014 wurde eine über 700 Kilometer Politik der Neutralität geht allerdings dieser lange Erdöl- und Erdgas-Pipeline vom Hafen Mitgliedschaft voraus. Bereits im Jahre 1949 Kyaukphyu in die südwestchinesische Provinz erklärte der erste Premierminister des Landes, Yunnan in Betrieb genommen.2 Das Kyauk- U Nu, dass Myanmar mit allen fremden Län- phyu-Projekt und die damit verbundene Auto- dern befreundet sein müsse: „Unsere winzige bahn und Eisenbahnstrecke sind älter als die Nation darf nicht die Unverfrorenheit besitzen, BRI und spiegeln Chinas langjähriges Bestre- mit irgendeiner Macht zu streiten.“3 Nu unter- ben wider, über Myanmar einen direkten strich, dass sich „eine kleine, schwache Nation Zugang zum Indischen Ozean zu erhalten. Ist wie die unsere […], wie auch immer wir unsere Nr. 22 (Juni 2020) 2
Verteidigung verstärken, niemals erfolgreich im 18. und 19. Jahrhundert. Die Migranten waren alleine verteidigen kann.“4 meistens Händler und Kaufleute. Als die Kom- munistische Partei in China an die Macht kam, Solche „Vorsichtsmaßnahmen“ werden seither erhöhte sich die Einwanderung weiter durch insbesondere gegenüber China getroffen, einem Chinesen, die vor politischer Verfolgung flohen Land, das sechzehnmal größer als Myanmar ist, oder bessere wirtschaftliche Chancen in Myan- und mit dem es eine über 2.000 Kilometer lange mar suchten. Es wird geschätzt, dass Bürger chi- Grenze teilt. Misstrauen und Pragmatismus nesischer Ethnizität gegenwärtig drei Prozent prägten daher schon früh die Beziehungen bei- der Bevölkerung Myanmars ausmachen.6 Aber der Länder. Als Garantie für einen Nichtangriff die tatsächliche Zahl könnte viel höher liegen, unterzeichneten Myanmar und China 1954 eine wenn man die Anzahl der gemischten Ethnien gemeinsame Erklärung, in der sie die chinesi- über mehrere Generationen hinweg und diejeni- schen fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz gen Chinesen in Betracht zieht, die sich zum Teil bekräftigten, auf denen ihre Beziehungen basie- fälschlicherweise als einer der 135 anerkannten ren sollten. Darüber hinaus legten beide Länder ethnischen Gruppen innerhalb Myanmars zuge- 1960 auf diplomatischem Wege Grenzstreitigkei- hörig erklären. Tatsächlich werden die Chinesen, ten zwischen ihnen bei, was Myanmars Befürch- obwohl sie seit mehreren Generationen hinweg tungen vor einer chinesischen Übertretung weiter eine gut integrierte Gruppe innerhalb der Bevöl- beschwichtigte.5 Diese Periode wurde die Pauk- kerung darstellen, nicht als eigenständige ethni- Phaw (oder brüderliche)-Ära genannt. Doch dann sche Gruppe anerkannt. Eine Ausnahme bilden übernahm 1962 das Militär durch einen Putsch die die Kokang, ursprünglich Han-Chinesen, die Macht in Myanmar. Die Beziehungen zwischen bereits im 17. Jahrhundert in die heutige Region dem Militärregime und der Führung Chinas ver- Shan-Staat emigrierten. Die fehlende Anerken- schlechterten sich in den Folgejahren merklich. nung könnte sich bis heute durch eine latente Im Jahr 1967 kam es sogar zu antichinesischen (nationalistische) Abneigung des myanmari- Unruhen in Myanmar. Die Unruhen wurden durch schen Volkes gegenüber den Chinesen im eige- chinesisch-birmanische Studenten ausgelöst, die nen Land erklären lassen sowie einem starken sich, beeinflusst durch die Kulturrevolution in Misstrauen (bis hin zu Neid) gegenüber deren China, weigerten, ihre Mao Tse-tung-Abzeichen Einfluss, Geschäftsaktivitäten und -praktiken. abzunehmen. Bei diesen Unruhen wurden Chine- sen getötet und deren Geschäfte geplündert. Die Während also Myanmar in den späten 1940er Behörden Myanmars hielten die Unruhestifter und 1950er Jahren vornehmlich eine territori- nicht auf. Es wird sogar angenommen, dass sie ale Invasion fürchtete, wird die Gefahr heute vor die Unruhen angefacht hatten, um den Zorn der allem durch Migration und wirtschaftliche Akti- Bevölkerung über die schwache Wirtschaft und vitäten gesehen. Dies führt zu teilweise starken die Krise der Reisproduktion auf die Chinesen in Ressentiments unter den Einheimischen. „Ich Myanmar zu lenken. Dieses Ereignis markierte habe das Gefühl, dass ich nicht mehr in Man- jedenfalls das Ende der Pauk-Phaw-Ära zwischen dalay ansässig bin […] sie [das chinesische Volk] China und Myanmar und belastete die politischen sehen wie die Einwohner aus. Sie haben Geld, und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen bei- also haben sie die Macht.“7 Wie repräsentativ den Ländern für die folgenden Jahre schwer. diese Aussage auch sein mag, man geht davon aus, dass bis zu 50 Prozent der Bevölkerung Frühe Vorbehalte gegenüber Chinesen Mandalays Chinesen sein könnten.8 Antichinesische Ressentiments entstanden Wandelnde Beziehungen ab den 1990ern jedoch schon viel früher in Myanmar, und sind auch heute noch weit verbreitet. Im Laufe der Chinas Beziehungen zu Myanmar nahmen aber- Geschichte hatte es mehrere Migrationswellen mals eine Wende, als 1988 der Studentenaufstand von China nach Myanmar gegeben, insbesondere und die prodemokratischen Demonstrationen in 3 Auslandsinformationen online
Myanmar stattfanden. Die folgende gewaltsame (vornehmlich für die benachbarte südwestchine- Unterdrückung durch das Militär führte zu einer sische Yunnan-Provinz selbst) war. Dies durfte weltweiten Verurteilung. Die USA verhängten als eine klare Botschaft der Distanzierung zu Sanktionen gegen das Land, später folgte die Chinas Führung verstanden werden. Die Annä- EU. Ein Jahr nach Myanmars Demonstrationen herung zwischen der Thein-Sein-Regierung und sah sich China mit seinem eigenen Aufstand auf der US-Administration unter Barack Obama, der dem Tiananmen-Platz konfrontiert. Wie auch Myanmar 2012 einen historischen Besuch abstat- in Myanmar waren die Demonstranten haupt- tete, war ein weiteres deutliches Signal. sächlich Studenten, die einen demokratischen Regimewechsel forderten. Eine gewaltsame Nach der Öffnung des Landes im Jahr 2011 Niederwerfung wurde auch hier von der Regie- hatte sich das Image Myanmars in den Augen rung angeordnet – mit entsprechendem Echo aus der internationalen Gemeinschaft zunächst dem Ausland. Myanmar, international geächtet stark verbessert – die Rechnung Thein Seins und zu einem „Pariastaat“ degradiert, defi- war aufgegangen. Dies änderte sich jedoch 2017 nierte seine Beziehungen zu China in der Folge schlagartig durch die humanitäre Katastrophe im neu. Der Grenzhandel zwischen den Ländern westlichen Teil des Landes, dem Rakhine-Staat, öffnete sich 1989, und 1990 begann Myanmar einem von 14 Teilstaaten bzw. Regionen Myan- auch seine militärische Kooperation mit China mars. Im August 2017 griff eine militante Gruppe auszuweiten. Es war dies der Anfang einer immer der Rohingya (Arakan Rohingya Salvation Army), stärker wachsenden Abhängigkeit von China, die eine nicht anerkannte muslimische Minderheit, durch die schwache Wirtschaft Myanmars weiter die im Rakhine-Staat lebt, mehrere Polizeipos- verstärkt wurde. ten an. Das Militär Myanmars reagierte dar- auf mit teilweise exzessiver Gewalt, was dazu Die starke Abhängigkeit Myanmars von China führte, dass mindestens 700.000 Rohingya war einer der Hauptgründe, weshalb das Mili- nach Bangladesch flohen. Der VN-Hochkommis- tärregime ab 2008 mit der Ankündigung erster sar für Menschenrechte, Zeid Ra‘ad al-Hussein, allgemeiner Wahlen seit 20 Jahren einen politi- bezeichnete diese Krise als „Lehrbuchbeispiel schen Wandel einleitete. Es sollte durch einen für ethnische Säuberung“9. Obwohl auch China Regimewechsel vor allem eines erreicht werden: die Angriffe verurteilte, „unterstützt es Myanmar die verschlossenen Türen zu westlichen Ländern in seinen Bemühungen, den Frieden und die zu öffnen, um auf diese Weise zu verhindern, Stabilität des Staates Rakhine zu sichern“10. Im noch stärker zu einem Klientelstaat Chinas zu Namen der Stabilität in der Region und in Über- werden. Im Jahr 2010 wurde nach fast 50 Jah- einstimmung mit seinen Prinzipien der Nichtein- ren Militärregierung schließlich eine halbzivile mischung weigert sich China daher, Sanktionen Regierung an die Macht gewählt. Ihr Präsident, zu verhängen. Im Jahre 2018 stimmte es gegen der ehemalige General Thein Sein, leitete poli- die Einrichtung eines internationalen Gremiums tische und wirtschaftliche Reformen ein, die auf durch den VN-Menschenrechtsrat, das den Fall eine weitgehende Öffnung Myanmars zielten. eines möglichen Völkermordes in Rakhine hätte Myanmar strebte auch eine Rückkehr zu seiner untersuchen sollen.11 ursprünglichen Außenpolitik der Neutralität an. Jedenfalls beeinflusste dieser Regimewechsel China als Vermittler und Förderer die Dynamik der Beziehungen zum Nachbarn China massiv, denn die westlichen Länder gin- Seit der Unabhängigkeit leidet Myanmar unter gen auf das Angebot ein, die Beziehungen mit dem längsten Bürgerkrieg der Welt, der nun- dem ehemaligen „Pariastaat“ wiederherzustel- mehr bereits 70 Jahre andauert.12 Die Ursachen len. Im Jahr 2011 setzte die Regierung Myanmars der Konflikte mit der birmanischen Armee sind dann das Myitsone-Dammprojekt aus, das das vielfältig, münden aber vornehmlich in Forde- zu jener Zeit größte und umstrittenste Projekt rungen der (teilweise bewaffneten) ethnischen Chinas in Myanmar zur Energieversorgung Gruppen nach Unabhängigkeit oder mehr Nr. 22 (Juni 2020) 4
Autonomie sowie in Auseinandersetzungen um der eigenen wirtschaftlichen Interessen in Myan- die Verteilung der reichlich vorhandenen natür- mar zu suchen sind. Möglicherweise zielt diese lichen Ressourcen aus den ethnischen Gebieten. Strategie aber auch darauf, eine Einmischung der Die Konfliktzonen befinden sich hauptsächlich in USA in die Konflikte zu vermeiden.14 Die Reali- ethnischen Gebieten an den Grenzen des Landes. tät dürfte wohl noch viel komplexer sein: Es wird vermutet, dass ehemalige chinesische Soldaten Obwohl Chinas Außenpolitik von seinen Prinzi- der Volksbefreiungsarmee, die als Söldner arbei- pien der Nichteinmischung diktiert wird, betei- ten, systematisch die Kokang-Armee unterstütz- ligte es sich früh am neu initiierten Friedens- ten. Die chinesische Regierung hingegen erklärte, prozess als Vermittler. Der nach der Unabhän- dass sie keine militärische Hilfe leiste. Was den gigkeit zunächst eingeleitete Friedensprozess Kachin-Konflikt betrifft, so würde die Provinzre- in Myanmar war durch den Militärcoup 1962 gierung in Yunnan offenbar gerne die KIO unter- abrupt gestoppt worden und wurde schließlich stützen; Peking zieht es jedoch weiter vor, das unter der Thein-Sein-Regierung wiederaufge- Prinzip der Nichteinmischung zu respektieren. nommen. China sah wohl vornehmlich seine Darüber hinaus spielen der Drogen- und Men- Grenzsicherheit und wirtschaftlichen Interessen schenhandel in den Grenzgebieten eine große bedroht. Im Jahre 2009 griff erstmals das Mili- Rolle in den Konflikten. Der Handel mit illegalen tär Myanmars die Armee der ethnischen Gruppe Waren über die Grenze Chinas ist in den letzten der Kokang, die Myanmar National Democratic Jahren nicht nur für die Armeen der Rebellen zu Alliance Army (MNDAA), an, was dazu führte, einem Milliardengeschäft geworden.15 dass bis zu 30.000 Kokang und ethnische Chi- nesen in die chinesische Provinz Yunnan fliehen Pragmatismus statt Ideologie mussten.13 Im Jahr 2015 drang dann die Armee unter Aung San Suu Kyi der MNDAA in das Kokang-Territorium im östli- chen Shan-Staat Myanmars ein und lieferte sich Als die Nationale Liga für Demokratie (NLD) schwere Kämpfe mit der Armee. Viele Soldaten nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen 2015 starben, und die Armee vermutet bis heute, dass an die Macht kam, musste China seine Bezie- die Rebellen chinesischen Boden für ihre Vorbe- hungen zur neuen Regierung zunächst behutsam reitung und den Angriff nutzten. Dieser und wei- neu tarieren. Chinas Außenminister reiste nach tere ethnische Konflikte waren somit nicht länger Myanmar, um der N LD-Parteiführerin Aung San nur eine rein innenpolitischen Angelegenheit Suu Kyi kurz nach ihrem Sieg zu gratulieren. Es Myanmars. Als Reaktion auf die Kachin-Unab- blieb zunächst abzuwarten, welche Beziehungen hängigkeitsorganisation (KIO), einem Staat und die NLD, eine Partei, die jahrzehntelang für die einer Ethnie im Nordosten Myanmars im Grenz- Etablierung der Demokratie im Lande gekämpft gebiet zu China, und die folgenden Kämpfe der hatte, zu China entwickeln würde. Es wurde birmanischen Armee in diesem Gebiet organi- jedoch schon bald nach Beginn ihrer Amtszeit sierte China bereits 2013 Friedensgespräche zwi- klar, dass die N LD die Absicht verfolgte, die schen beiden Parteien. Beziehungen zu China wieder zu vertiefen. Aung San Suu Kyi hat sich so bislang auch nicht expli- Seitdem hat China die Rolle des Beobachters zit gegen chinesische Megaprojekte gestellt, die oder Teilnehmers für mehrere Friedensgesprä- von der Thein-Sein-Regierung teilweise aufge- che zwischen der Armee und ethnischen bewaff- geben worden waren. Im Jahr 2019 erklärte sie, neten Organisationen übernommen. Inwieweit dass das Volk Myanmars „[seine] Versprechen diese Rolle Chinas mit dem selbsterklärten Prin- einhalten“ müsse, die sich auf das umstrittenste zip der Nichteinmischung überhaupt kompatibel chinesische Projekt, den Myitsone-Damm, bezie- sein kann, ist allerdings grundsätzlich zu hin- hen.16 Damit entschied sich die NLD-Regierung terfragen. Gemeinhin wird angenommen, dass bereits früh, das Land mit Pragmatismus statt Chinas Anreize zur Hilfe bei der Lösung dieser auf der Grundlage von Ideologien zu führen. Konflikte im Schutz seiner Landesgrenzen und Die Entwicklung dieser großen Projekte wird 5 Auslandsinformationen online
die Steuerzahler allerdings viele Milliarden große Investitionsabkommen, das unterzeich- US-Dollar kosten. Nach dem ursprünglichen net wurde, betraf den Tiefseehafen Kyaukphyu. Entwurf der chinesischen Seite würde der Tief- Der Projektumfang wurde auf 1,3 Milliarden seehafen Kyaukphyu mehr als sieben Milliarden US-Dollar reduziert, während Myanmars Anteil US-Dollar, der Muse-Mandalay-Abschnitt der an diesem Projekt von 15 Prozent auf 30 Prozent Eisenbahn fast neun Milliarden US-Dollar und gestiegen ist. Die Machbarkeitsstudie über das die Stadt New Yangon City über zwei Milliarden Muse-Mandalay-Eisenbahnprojekt, die von der US-Dollar verschlingen. Es gibt noch weitere vor- chinesischen Seite durchgeführt wurde, wurde geschlagene Projekte, die ebenfalls Investitionen während des Staatsbesuchs an die myanmari- in Milliardenhöhe erfordern werden. Das Haupt- sche Seite übergeben. Myanmar hat jedoch nicht problem jedoch ist, dass Myanmar es sich nicht zugesagt, das Projekt auch zu realisieren. Die leisten kann, das für die Entwicklung dieser Pro- Fortschritte bezogen auf die New Yangon City jekte erforderliche Geld zu investieren. Natürlich waren bislang ebenfalls bescheiden. Eine chine- könnte es Darlehen von China aufnehmen, aber sische Firma hat zwar eine Studie durchgeführt, dann müsste es dafür hohe Zinsen zahlen oder aber der Bau hat noch nicht begonnen.18 Es ist andere langjährige Verpflichtungen eingehen. Da daher unwahrscheinlich, dass China mit den diese Projekte Teil der Belt and Road Initiative Ergebnissen zufrieden sein wird. Obwohl Xi Jin- Chinas sind, stehen für deren Finanzierung auch ping darauf drängte, die Fortschritte beim CMEC nicht wirklich alternative Quellen zur Verfügung. zu beschleunigen, gelang es ihm anscheinend Die Regierung ist sehr vorsichtig, erneut in eine während des Besuchs in bilateralen Gesprächen allzu große Abhängigkeit von China und vor nicht, die Projekte tatsächlich voranzubringen. allem in eine Schuldenfalle zu geraten, und hat Lehren aus den Erfahrungen von Ländern wie Sri Größere Fortschritte gab es an der politischen Lanka gezogen. Front, wo Xi Jinping eine Vereinbarung zur Definition der bilateralen Beziehung als Sino- Die Position der gegenwärtigen Regierung Myanmar Community of Common Destiny,19 der unter Führung von Aung San Suu Kyi ist daher höchstmöglichen Form der Kooperation mit klar. Sie unterstützt die Belt and Road Initiative China unter Xi Jinping, erzielen konnte. Dies ist zwar grundsätzlich, aber sie wird die Projekte eine Aufwertung der bereits 2011 vereinbarten auf myanmarischem Boden nur dann durchfüh- „umfassenden strategischen Kooperationspart- ren, wenn sie dem Volk Myanmars auch Vorteile nerschaft“. Die meisten Politiker in Myanmar bringen: Die Projekte müssen der nationalen sind jedoch mit dem Konzept der „Gemein- Entwicklung Vorrang einräumen, die Umwelt schaft eines gemeinsamen Schicksals“ über- nicht schädigen und die soziale Entwicklung des haupt nicht vertraut. In einer gemeinsamen Volkes unterstützen.17 Erklärung während des Besuchs sagte Myanmar diesbezüglich immerhin zu, dass es nicht nur die Auf dem Weg zur Seidenstraße Ein-China-Politik unterstütze, sondern auch die chinesischen Versuche, die Probleme in Bezug Im Jahr 2020 feiern Myanmar und China den auf Taiwan, Tibet und Xinjiang zu lösen. China 70. Jahrestag der bilateralen diplomatischen bekräftigte hingegen, dass es Myanmars Bemü- Beziehungen ihrer Länder. Sie verabschiedeten hungen unterstütze, die Probleme in Bezug auf das bilaterale Kultur- und Tourismusjahr zwi- den Rakhine-Staat zu lösen. Xi Jinping sagte schen Myanmar und China und unterzeichne- auch zu, dass China in den kommenden drei Jah- ten mehrere Wirtschaftsabkommen. Der Besuch ren Wirtschaftshilfe in Höhe von 570 Millionen von Xi Jinping Anfang 2020 blieb dennoch weit US-Dollar für Myanmar bereitstellen werde. Und hinter den Erwartungen der Führung in Peking dann sind da noch die militärischen Beziehun- zurück, denn nur wenige Vereinbarungen im gen. Xi Jinping traf sich mit Oberbefehlshaber Zusammenhang mit großen Investitionen General Min Aung Hlaing. In den Gesprächen wurden tatsächlich unterzeichnet. Das einzig hinter verschlossenen Türen sprachen sie wohl Nr. 22 (Juni 2020) 6
vornehmlich über ethnische bewaffnete Grup- einerseits chinesische Investitionen und bringen pen, die entlang der chinesischen Grenze aktiv gleichzeitig anderen ausländischen Würdenträ- sind. Xi Jinping soll abgestritten haben, Waffen gern gegenüber Besorgnisse über Chinas Inte zu liefern und diesen Gruppen zu erlauben, chi- ressen in Myanmar zum Ausdruck.20 nesischen Boden zu benutzen, um den Interessen Myanmars zu schaden. Während der COVID-19-Pandemie zeigt sich der große Nachbar China als „Helfer in der Not“. Günstige Perspektiven für Chinesische Staatsmedien berichteten Anfang die Zusammenarbeit April 2020, dass ein medizinisches Team zusam- men mit Testkits, 60.000 Masken und 5.500 Sets Insgesamt war Xi Jinping während seines zwei- persönlicher Schutzausrüstung nach Myanmar tägigen Staatsbesuchs nicht in der Lage, außer geschickt worden war.21 Gegen Ende des Monats wenigen Investitionszusagen und einer Verein- half medizinisches Personal der Volksbefreiungs- barung zum Aufbau einer „Schicksalsgemein- armee dem Militär Myanmars beim Bau und der schaft“, signifikante Ergebnisse für China zu Ausstattung eines COVID-19-Testlabors. Diese verhandeln. Dennoch dürften sich die myan- Pandemie gibt China die Chance, sein Engage- marisch-chinesischen Beziehungen in den kom- ment in Myanmar weiter unter Beweis zu stellen: menden Jahren eher günstig entwickeln. Denn China kann Myanmar helfen, Leben zu retten, Myanmar und China können auch bei schwie- während andere Länder wie Japan und Indien, rigen internen Fragen, die auf der internatio- die den Einfluss Chinas in Myanmar ausgleichen nalen Bühne zur Sprache gebracht werden, auf wollen, gegenwärtig vor eigenen Herausforde- die Unterstützung des jeweils anderen zählen. rungen stehen. Andererseits haben zahlreiche Und noch wichtiger: Myanmar hat eine heraus- chinesische Unternehmen, vornehmlich in der ragende geostrategische Bedeutung für China. wachsenden Textilindustrie mit über 400.000 Langfristig hofft China, eine Passage von der Pro- Arbeitsplätzen, durch die C OVID-19-Pandemie vinz Yunnan durch Myanmar hin zum Indischen ihre Produktionsstätten geschlossen und viele Ozean zu sichern, um so das chinesische Hinter- Mitarbeiter entlassen. Dies hat zu großen Protes- land in Richtung Westen besser erschließen zu taktionen vor den Werkstoren und Streikaufrufen können. Zusätzlich könnte so die Militärpräsenz durch die Gewerkschaften geführt. Die antichi- über einen zukünftigen Marinestützpunkt im nesische Stimmung im Land dürfte dadurch eher Golf von Bengalen ausgebaut werden, vermuten wieder befördert worden sein. Sicherheitsexperten. Damit könnte die Abhän- gigkeit Chinas, einen Großteil seiner Im- und Die Beziehungen zwischen Myanmar und China Exporte über die konfliktgeladene Seehandels- bleiben auch in Zukunft ein Balanceakt zwischen route durch das Chinesische Meer und die Straße eigenen und fremden Interessen, Pragmatismus von Malakka laufen lassen zu müssen, zumindest und Realismus, Nähe und Distanz – ein schwieri- reduziert werden. Für China dürfte vor allem ger Tanz mit dem Drachen allemal. Wie Aung San aber entscheidend sein, nicht gegenüber Indien Suu Kyi während ihres Treffens mit Xi Jinping in und den USA ins Hintertreffen zu geraten, da diesem Jahr erklärte, „versteht es sich von selbst, beide Mächte ebenfalls um Einfluss im Golf von dass ein Nachbarland keine andere Wahl hat, als Bengalen konkurrieren. bis zum Ende der Welt zusammenzustehen“22. Myanmar ist jedoch nicht einfach nur Spielball der großen rivalisierenden Nationen. Tatsächlich Dr. Thomas S. Knirsch ist Leiter des Auslandsbüros nutzt Myanmar geschickt die geostrategischen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Myanmar. Interessen rivalisierender Länder als diplo- Annabelle Heugas ist wissenschaftliche Mitarbeiterin matisches Mittel, um von allen Parteien glei- im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in chermaßen Vorteile zu erlangen. So begrüßen Myanmar. zum Beispiel hochrangige Regierungsbeamte 7 Auslandsinformationen online
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