Tanz mit dem Drachen Die wechselhaften Beziehungen zwischen Myanmar und China - Thomas S. Knirsch / Annabelle Heugas - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Tanz mit dem Drachen Die wechselhaften Beziehungen zwischen Myanmar und China - Thomas S. Knirsch / Annabelle Heugas - Konrad-Adenauer-Stiftung
Quelle: © Ann Wang, Reuters.
Tanz mit dem Drachen
Die wechselhaften Beziehungen zwischen Myanmar und China

               Thomas S. Knirsch / Annabelle Heugas

                                                      Auslandsinformationen online
Die starke Abhängigkeit Myanmars von China war einer der
Hauptgründe für den demokratischen Wandel nach 2008.
Dennoch ist China heute wieder größter Handelspartner
und Investor in Myanmar. Das Land hat eine herausragende
geostrategische Bedeutung für China und ist zentraler Bau-
stein der Belt and Road Initiative (­BRI). Die Beziehungen zu
China bleiben auch in Zukunft ein schwieriger Balanceakt
zwischen eigenen und fremden Interessen.

Mitte Januar 2020 reiste Xi Jinping als erster China mit dem Besuch Xi Jinpings diesem Ziel
chinesischer Präsident seit 19 Jahren zu einem   nähergekommen? Was bedeutet das Ergebnis
zweitägigen Staatsbesuch nach Myanmar. Die       des Besuchs für die Zukunft der Beziehungen
Bedeutung des Besuchs wurde durch die Tat- zwischen China und Myanmar? Wird Myanmar,
sache erhöht, dass beide Länder in diesem Jahr   wie viele befürchten, zunehmend wieder zum
den 70. Jahrestag der diplomatischen Bezie- „Klientelstaat“ Chinas?
hungen begehen. Neben diesem offiziellen
Anlass war Hintergrund des Besuchs vor allem     Politik zwischen Pragmatismus
aber die wirtschaftliche Zusammenarbeit bei- und Misstrauen
der Länder. China ist Myanmars größter Han-
delspartner. Im Jahr 2018 kamen 25 Prozent Wie so oft hilft bei der Antwort auf Gegenwarts-
aller ausländischen Direktinvestitionen aus      fragen ein Blick auf die Geschichte. Nur zwei
China, 32 Prozent aller Ausfuhren gingen nach    Jahre nach seiner Unabhängigkeit von Großbri-
China.1 China möchte vor allem erreichen, dass   tannien im Jahre 1948 nahm Myanmar, damals
die großen Projekte, die zum China-Myanmar       noch Birma genannt, Beziehungen zu China
Economic Corridor (­CMEC) zählen und Teil        auf. Die frühe Anerkennung der Volksrepublik
der Belt and Road Initiative (­BRI, auch bekannt China (Myanmar war das erste nichtkommu-
als Neue Seidenstraße) Chinas sind, so bald      nistische Land, das dies tat) ist bezeichnend
wie möglich realisiert werden. Zu diesen Pro- für die außenpolitische Strategie, die Myanmar
jekten zählen: der Tiefseehafen Kyaukphyu im     seit seiner Unabhängigkeit verfolgt: eine Politik
Indischen Ozean und die dazu gehörende Son- der Neu­tralität. Die Welt war zwischen einem
derwirtschaftszone, eine Eisenbahn und eine      westlichen und einem östlichen Block geteilt.
Autobahn, die Kunming in der Provinz Yunnan      Eine Gruppe von Ländern, zumeist ehemalige
über Mandalay mit Kyaukphyu verbinden soll, Kolonien, wollte sich jedoch nicht hinter eine
das Projekt New Yangon City und Zonen der        der beiden Blöcke stellen. Sie bildeten 1961 die
wirtschaftlichen Zusammenarbeit entlang der Bewegung der Blockfreien und Myanmar ist bis
Grenze zwischen China und Myanmar. Bereits       heute eines ihrer 120 Mitglieder. Myanmars
im Jahr 2014 wurde eine über 700 Kilometer Politik der Neutralität geht allerdings dieser
lange Erdöl- und Erdgas-­Pipeline vom Hafen      Mitgliedschaft voraus. Bereits im Jahre 1949
Kyaukphyu in die südwestchinesische Provinz      erklärte der erste Premierminister des Landes,
Yunnan in Betrieb genommen.2 Das Kyauk- U Nu, dass Myanmar mit allen fremden Län-
phyu-Projekt und die damit verbundene Auto- dern befreundet sein müsse: „Unsere winzige
bahn und Eisenbahnstrecke sind älter als ­die    Nation darf nicht die Unverfrorenheit besitzen,
BRI und spiegeln Chinas langjähriges Bestre- mit irgendeiner Macht zu streiten.“3 Nu unter-
ben wider, über Myanmar einen direkten           strich, dass sich „eine kleine, schwache Nation
Zugang zum Indischen Ozean zu erhalten. Ist      wie die unsere […], wie auch immer wir unsere

Nr. 22 (Juni 2020)                                                                              2
Verteidigung verstärken, niemals erfolgreich       im 18. und 19. Jahrhundert. Die Migranten waren
alleine verteidigen kann.“4                        meistens Händler und Kaufleute. Als die Kom-
                                                   munistische Partei in China an die Macht kam,
Solche „Vorsichtsmaßnahmen“ werden seither         erhöhte sich die Einwanderung weiter durch
insbesondere gegenüber China getroffen, einem      Chinesen, die vor politischer Verfolgung flohen
Land, das sechzehnmal größer als Myanmar ist,      oder bessere wirtschaftliche Chancen in Myan-
und mit dem es eine über 2.000 Kilometer lange     mar suchten. Es wird geschätzt, dass Bürger chi-
Grenze teilt. Misstrauen und Pragmatismus          nesischer Ethnizität gegenwärtig drei Prozent
prägten daher schon früh die Beziehungen bei-      der Bevölkerung Myanmars ausmachen.6 Aber
der Länder. Als Garantie für einen Nichtangriff    die tatsächliche Zahl könnte viel höher liegen,
unterzeichneten Myanmar und China 1954 eine        wenn man die Anzahl der gemischten Ethnien
gemeinsame Erklärung, in der sie die chinesi-      über mehrere Generationen hinweg und diejeni-
schen fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz   gen Chinesen in Betracht zieht, die sich zum Teil
bekräftigten, auf denen ihre Beziehungen basie-    fälschlicherweise als einer der 135 anerkannten
ren sollten. Darüber hinaus legten beide Länder    ethnischen Gruppen innerhalb Myanmars zuge-
1960 auf diplomatischem Wege Grenzstreitigkei-     hörig erklären. Tatsächlich werden die Chinesen,
ten zwischen ihnen bei, was Myanmars Befürch-      obwohl sie seit mehreren Generationen hinweg
tungen vor einer chinesischen Übertretung weiter   eine gut integrierte Gruppe innerhalb der Bevöl-
beschwichtigte.5 Diese Periode wurde die Pauk-     kerung darstellen, nicht als eigenständige ethni-
Phaw (oder brüderliche)-Ära genannt. Doch dann     sche Gruppe anerkannt. Eine Ausnahme bilden
übernahm 1962 das Militär durch einen Putsch die   die Kokang, ursprünglich Han-Chinesen, die
Macht in Myanmar. Die Beziehungen zwischen         bereits im 17. Jahrhundert in die heutige Region
dem Militärregime und der Führung Chinas ver-      Shan-Staat emigrierten. Die fehlende Anerken-
schlechterten sich in den Folgejahren merklich.    nung könnte sich bis heute durch eine latente
Im Jahr 1967 kam es sogar zu antichinesischen      (nationalistische) Abneigung des myanmari-
Unruhen in Myanmar. Die Unruhen wurden durch       schen Volkes gegenüber den Chinesen im eige-
chinesisch-birmanische Studenten ausgelöst, die    nen Land erklären lassen sowie einem starken
sich, beeinflusst durch die Kulturrevolution in    Misstrauen (bis hin zu Neid) gegenüber deren
China, weigerten, ihre Mao Tse-tung-Abzeichen      Einfluss, Geschäftsaktivitäten und -praktiken.
abzunehmen. Bei diesen Unruhen wurden Chine-
sen getötet und deren Geschäfte geplündert. Die    Während also Myanmar in den späten 1940er
Behörden Myanmars hielten die Unruhestifter        und 1950er Jahren vornehmlich eine territori-
nicht auf. Es wird sogar angenommen, dass sie      ale Invasion fürchtete, wird die Gefahr heute vor
die Unruhen angefacht hatten, um den Zorn der      allem durch Migration und wirtschaftliche Akti-
Bevölkerung über die schwache Wirtschaft und       vitäten gesehen. Dies führt zu teilweise starken
die Krise der Reisproduktion auf die Chinesen in   Ressentiments unter den Einheimischen. „Ich
Myanmar zu lenken. Dieses Ereignis markierte       habe das Gefühl, dass ich nicht mehr in Man-
jedenfalls das Ende der Pauk-Phaw-Ära zwischen     dalay ansässig bin […] sie [das chinesische Volk]
China und Myanmar und belastete die politischen    sehen wie die Einwohner aus. Sie haben Geld,
und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen bei-     also haben sie die Macht.“7 Wie repräsentativ
den Ländern für die folgenden Jahre schwer.        diese Aussage auch sein mag, man geht davon
                                                   aus, dass bis zu 50 Prozent der Bevölkerung
Frühe Vorbehalte gegenüber Chinesen                Mandalays Chinesen sein könnten.8

Antichinesische Ressentiments entstanden           Wandelnde Beziehungen ab den 1990ern
jedoch schon viel früher in Myanmar, und sind
auch heute noch weit verbreitet. Im Laufe der      Chinas Beziehungen zu Myanmar nahmen aber-
Geschichte hatte es mehrere Migrationswellen       mals eine Wende, als 1988 der Studentenaufstand
von China nach Myanmar gegeben, insbesondere       und die prodemokratischen Demonstrationen in

3                                                                       Auslandsinformationen online
Myanmar stattfanden. Die folgende gewaltsame       (vornehmlich für die benachbarte südwestchine-
Unterdrückung durch das Militär führte zu einer    sische ­Yunnan-Provinz selbst) war. Dies durfte
weltweiten Verurteilung. Die ­USA verhängten       als eine klare Botschaft der Distanzierung zu
Sanktionen gegen das Land, später folgte die       Chinas Führung verstanden werden. Die Annä-
EU. Ein Jahr nach Myanmars Demonstrationen         herung zwischen der Thein-Sein-Regierung und
sah sich China mit seinem eigenen Aufstand auf     der US-Administration unter Barack Obama, der
dem Tiananmen-Platz konfrontiert. Wie auch         Myanmar 2012 einen historischen Besuch abstat-
in Myanmar waren die Demonstranten haupt-          tete, war ein weiteres deutliches Signal.
sächlich Studenten, die einen demokratischen
Regimewechsel forderten. Eine gewaltsame           Nach der Öffnung des Landes im Jahr 2011
Niederwerfung wurde auch hier von der Regie-       hatte sich das Image Myanmars in den Augen
rung angeordnet – mit entsprechendem Echo aus      der internationalen Gemeinschaft zunächst
dem Ausland. Myanmar, international geächtet       stark verbessert – die Rechnung Thein Seins
und zu einem „Pariastaat“ degradiert, defi-        war aufgegangen. Dies änderte sich jedoch 2017
nierte seine Beziehungen zu China in der Folge     schlagartig durch die humanitäre Katastrophe im
neu. Der Grenzhandel zwischen den Ländern          westlichen Teil des Landes, dem Rakhine-Staat,
öffnete sich 1989, und 1990 begann Myanmar         einem von 14 Teilstaaten bzw. Regionen Myan-
auch seine militärische Kooperation mit China      mars. Im August 2017 griff eine militante Gruppe
auszuweiten. Es war dies der Anfang einer immer    der Rohingya (Arakan Rohingya Salvation Army),
stärker wachsenden Abhängigkeit von China, die     eine nicht anerkannte muslimische Minderheit,
durch die schwache Wirtschaft Myanmars weiter      die im Rakhine-Staat lebt, mehrere Polizeipos-
verstärkt wurde.                                   ten an. Das Militär Myanmars reagierte dar-
                                                   auf mit teilweise exzessiver Gewalt, was dazu
Die starke Abhängigkeit Myanmars von China         führte, dass mindestens 700.000 Rohingya
war einer der Hauptgründe, weshalb das Mili-       nach ­Bangladesch flohen. Der VN-Hochkommis-
tärregime ab 2008 mit der Ankündigung erster       sar für Menschenrechte, Zeid Ra‘ad al-Hussein,
allgemeiner Wahlen seit 20 Jahren einen politi-    bezeichnete diese Krise als „Lehrbuchbeispiel
schen Wandel einleitete. Es sollte durch einen     für ethnische Säuberung“9. Obwohl auch China
Regimewechsel vor allem eines erreicht werden:     die Angriffe verurteilte, „unterstützt es Myanmar
die verschlossenen Türen zu westlichen Ländern     in seinen Bemühungen, den Frieden und die
zu öffnen, um auf diese Weise zu verhindern,       Stabilität des Staates Rakhine zu sichern“10. Im
noch stärker zu einem Klientelstaat Chinas zu      Namen der Stabilität in der Region und in Über-
werden. Im Jahr 2010 wurde nach fast 50 Jah-       einstimmung mit seinen Prinzipien der Nichtein-
ren Militärregierung schließlich eine halbzivile   mischung weigert sich China daher, Sanktionen
Regierung an die Macht gewählt. Ihr Präsident,     zu verhängen. Im Jahre 2018 stimmte es gegen
der ehemalige General Thein Sein, leitete poli-    die Einrichtung eines internationalen Gremiums
tische und wirtschaftliche Reformen ein, die auf   durch den VN-Menschenrechtsrat, das den Fall
eine weitgehende Öffnung Myanmars zielten.         eines möglichen Völkermordes in Rakhine hätte
Myanmar strebte auch eine Rückkehr zu seiner       untersuchen sollen.11
ursprünglichen Außenpolitik der Neutralität an.
Jedenfalls beeinflusste dieser Regimewechsel       China als Vermittler und Förderer
die Dynamik der Beziehungen zum Nachbarn
China massiv, denn die westlichen Länder gin-      Seit der Unabhängigkeit leidet Myanmar unter
gen auf das Angebot ein, die Beziehungen mit       dem längsten Bürgerkrieg der Welt, der nun-
dem ehemaligen „Pariastaat“ wiederherzustel-       mehr bereits 70 Jahre andauert.12 Die Ursachen
len. Im Jahr 2011 setzte die Regierung Myanmars    der Konflikte mit der birmanischen Armee sind
dann das Myitsone-Dammprojekt aus, das das         vielfältig, münden aber vornehmlich in Forde-
zu jener Zeit größte und umstrittenste Projekt     rungen der (teilweise bewaffneten) ethnischen
Chinas in Myanmar zur Energieversorgung            Gruppen nach Unabhängigkeit oder mehr

Nr. 22 (Juni 2020)                                                                                4
Autonomie sowie in Auseinandersetzungen um           der eigenen wirtschaftlichen Interessen in Myan-
die Verteilung der reichlich vorhandenen natür-      mar zu suchen sind. Möglicherweise zielt diese
lichen Ressourcen aus den ethnischen Gebieten.       Strategie aber auch darauf, eine Einmischung der
Die Konfliktzonen befinden sich hauptsächlich in    ­USA in die Konflikte zu vermeiden.14 Die Reali-
ethnischen Gebieten an den Grenzen des Landes.       tät dürfte wohl noch viel komplexer sein: Es wird
                                                     vermutet, dass ehemalige chinesische Soldaten
Obwohl Chinas Außenpolitik von seinen Prinzi-        der Volksbefreiungsarmee, die als Söldner arbei-
pien der Nichteinmischung diktiert wird, betei-      ten, systematisch die Kokang-Armee unterstütz-
ligte es sich früh am neu initiierten Friedens-      ten. Die chinesische Regierung hingegen erklärte,
prozess als Vermittler. Der nach der Unabhän-        dass sie keine militärische Hilfe leiste. Was den
gigkeit zunächst eingeleitete Friedensprozess       Kachin-Konflikt betrifft, so würde die Provinzre-
in Myanmar war durch den Militärcoup 1962           gierung in Yunnan offenbar gerne die ­KIO unter-
abrupt gestoppt worden und wurde schließlich         stützen; Peking zieht es jedoch weiter vor, das
unter der Thein-Sein-Regierung wiederaufge-         Prinzip der Nichteinmischung zu respektieren.
nommen. China sah wohl vornehmlich seine            Darüber hinaus spielen der Drogen- und Men-
Grenzsicherheit und wirtschaftlichen Interessen      schenhandel in den Grenzgebieten eine große
bedroht. Im Jahre 2009 griff erstmals das Mili-     Rolle in den Konflikten. Der Handel mit illegalen
tär Myanmars die Armee der ethnischen Gruppe        Waren über die Grenze Chinas ist in den letzten
der Kokang, die Myanmar National Democratic         Jahren nicht nur für die Armeen der Rebellen zu
Alliance Army (­MNDAA), an, was dazu führte,         einem Milliardengeschäft geworden.15
dass bis zu 30.000 Kokang und ethnische Chi-
nesen in die chinesische Provinz Yunnan fliehen     Pragmatismus statt Ideologie
mussten.13 Im Jahr 2015 drang dann die Armee        unter Aung San Suu Kyi
der ­MNDAA in das Kokang-Territorium im östli-
chen Shan-Staat Myanmars ein und lieferte sich      Als die Nationale Liga für Demokratie (­NLD)
schwere Kämpfe mit der Armee. Viele Soldaten        nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen 2015
starben, und die Armee vermutet bis heute, dass     an die Macht kam, musste China seine Bezie-
die Rebellen chinesischen Boden für ihre Vorbe-     hungen zur neuen Regierung zunächst behutsam
reitung und den Angriff nutzten. Dieser und wei-    neu tarieren. Chinas Außenminister reiste nach
tere ethnische Konflikte waren somit nicht länger   Myanmar, um der N ­ LD-Parteiführerin Aung San
nur eine rein innenpolitischen Angelegenheit        Suu Kyi kurz nach ihrem Sieg zu gratulieren. Es
Myanmars. Als Reaktion auf die Kachin-Unab-         blieb zunächst abzuwarten, welche Beziehungen
hängigkeitsorganisation (­KIO), einem Staat und     die ­NLD, eine Partei, die jahrzehntelang für die
einer Ethnie im Nordosten Myanmars im Grenz-        Etablierung der Demokratie im Lande gekämpft
gebiet zu China, und die folgenden Kämpfe der       hatte, zu China entwickeln würde. Es wurde
birmanischen Armee in diesem Gebiet organi-         jedoch schon bald nach Beginn ihrer Amtszeit
sierte China bereits 2013 Friedensgespräche zwi-    klar, dass die N
                                                                   ­ LD die Absicht verfolgte, die
schen beiden Parteien.                              Beziehungen zu China wieder zu vertiefen. Aung
                                                    San Suu Kyi hat sich so bislang auch nicht expli-
Seitdem hat China die Rolle des Beobachters         zit gegen chinesische Megaprojekte gestellt, die
oder Teilnehmers für mehrere Friedensgesprä-        von der Thein-Sein-Regierung teilweise aufge-
che zwischen der Armee und ethnischen bewaff-       geben worden waren. Im Jahr 2019 erklärte sie,
neten Organisationen übernommen. Inwieweit          dass das Volk Myanmars „[seine] Versprechen
diese Rolle Chinas mit dem selbsterklärten Prin-    einhalten“ müsse, die sich auf das umstrittenste
zip der Nichteinmischung überhaupt kompatibel       chinesische Projekt, den Myitsone-Damm, bezie-
sein kann, ist allerdings grundsätzlich zu hin-     hen.16 Damit entschied sich die ­NLD-Regierung
terfragen. Gemeinhin wird angenommen, dass          bereits früh, das Land mit Pragmatismus statt
Chinas Anreize zur Hilfe bei der Lösung dieser      auf der Grundlage von Ideologien zu führen.
Konflikte im Schutz seiner Landesgrenzen und        Die Entwicklung dieser großen Projekte wird

5                                                                        Auslandsinformationen online
die Steuerzahler allerdings viele Milliarden         große Investitionsabkommen, das unterzeich-
US-Dollar kosten. Nach dem ursprünglichen            net wurde, betraf den Tiefseehafen Kyaukphyu.
Entwurf der chinesischen Seite würde der Tief-       Der Projektumfang wurde auf 1,3 Milliarden
seehafen Kyaukphyu mehr als sieben Milliarden        US-Dollar reduziert, während Myanmars Anteil
US-Dollar, der Muse-Mandalay-Abschnitt der           an diesem Projekt von 15 Prozent auf 30 Prozent
Eisenbahn fast neun Milliarden US-Dollar und         gestiegen ist. Die Machbarkeitsstudie über das
die Stadt New Yangon City über zwei Milliarden       Muse-Mandalay-Eisenbahnprojekt, die von der
US-Dollar verschlingen. Es gibt noch weitere vor-    chinesischen Seite durchgeführt wurde, wurde
geschlagene Projekte, die ebenfalls Investitionen    während des Staatsbesuchs an die myanmari-
in Milliardenhöhe erfordern werden. Das Haupt-       sche Seite übergeben. Myanmar hat jedoch nicht
problem jedoch ist, dass Myanmar es sich nicht       zugesagt, das Projekt auch zu realisieren. Die
leisten kann, das für die Entwicklung dieser Pro-    Fortschritte bezogen auf die New Yangon City
jekte erforderliche Geld zu investieren. Natürlich   waren bislang ebenfalls bescheiden. Eine chine-
könnte es Darlehen von China aufnehmen, aber         sische Firma hat zwar eine Studie durchgeführt,
dann müsste es dafür hohe Zinsen zahlen oder         aber der Bau hat noch nicht begonnen.18 Es ist
andere langjährige Verpflichtungen eingehen. Da      daher unwahrscheinlich, dass China mit den
diese Projekte Teil der Belt and Road Initiative     Ergebnissen zufrieden sein wird. Obwohl Xi Jin-
Chinas sind, stehen für deren Finanzierung auch      ping darauf drängte, die Fortschritte beim ­CMEC
nicht wirklich alternative Quellen zur Verfügung.    zu beschleunigen, gelang es ihm anscheinend
Die Regierung ist sehr vorsichtig, erneut in eine    während des Besuchs in bilateralen Gesprächen
allzu große Abhängigkeit von China und vor           nicht, die Projekte tatsächlich voranzubringen.
allem in eine Schuldenfalle zu geraten, und hat
Lehren aus den Erfahrungen von Ländern wie Sri     Größere Fortschritte gab es an der politischen
Lanka gezogen.                                     Front, wo Xi Jinping eine Vereinbarung zur
                                                   Definition der bilateralen Beziehung als Sino-­
Die Position der gegenwärtigen Regierung Myanmar Community of Common Destiny,19 der
unter Führung von Aung San Suu Kyi ist daher       höchstmöglichen Form der Kooperation mit
klar. Sie unterstützt die Belt and Road Initiative China unter Xi Jinping, erzielen konnte. Dies ist
zwar grundsätzlich, aber sie wird die Projekte     eine Aufwertung der bereits 2011 vereinbarten
auf myanmarischem Boden nur dann durchfüh- „umfassenden strategischen Kooperationspart-
ren, wenn sie dem Volk Myanmars auch Vorteile      nerschaft“. Die meisten Politiker in Myanmar
bringen: Die Projekte müssen der nationalen        sind jedoch mit dem Konzept der „Gemein-
Entwicklung Vorrang einräumen, die Umwelt          schaft eines gemeinsamen Schicksals“ über-
nicht schädigen und die soziale Entwicklung des    haupt nicht vertraut. In einer gemeinsamen
Volkes unterstützen.17                             Erklärung während des Besuchs sagte Myanmar
                                                   diesbezüglich immerhin zu, dass es nicht nur die
Auf dem Weg zur Seidenstraße                       Ein-China-­Politik unterstütze, sondern auch die
                                                   chinesischen Versuche, die Probleme in Bezug
Im Jahr 2020 feiern Myanmar und China den          auf Taiwan, Tibet und Xinjiang zu lösen. China
70. Jahrestag der bilateralen diplomatischen       bekräftigte hingegen, dass es Myanmars Bemü-
Beziehungen ihrer Länder. Sie verabschiedeten      hungen unterstütze, die Probleme in Bezug auf
das bilaterale Kultur- und Tourismusjahr zwi- den Rakhine-Staat zu lösen. Xi Jinping sagte
schen Myanmar und China und unterzeichne- auch zu, dass China in den kommenden drei Jah-
ten mehrere Wirtschaftsabkommen. Der Besuch        ren Wirtschaftshilfe in Höhe von 570 Millionen
von Xi Jinping Anfang 2020 blieb dennoch weit      US-Dollar für Myanmar bereitstellen werde. Und
hinter den Erwartungen der Führung in Peking       dann sind da noch die militärischen Beziehun-
zurück, denn nur wenige Vereinbarungen im          gen. Xi Jinping traf sich mit Oberbefehlshaber
Zusammenhang mit großen Investitionen              General Min Aung Hlaing. In den Gesprächen
wurden tatsächlich unterzeichnet. Das einzig       hinter verschlossenen Türen sprachen sie wohl

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vornehmlich über ethnische bewaffnete Grup-          einerseits chinesische Investitionen und bringen
pen, die entlang der chinesischen Grenze aktiv       gleichzeitig anderen ausländischen Würdenträ-
sind. Xi Jinping soll abgestritten haben, Waffen     gern gegenüber Besorgnisse über Chinas Inte­
zu liefern und diesen Gruppen zu erlauben, chi-      ressen in Myanmar zum Ausdruck.20
nesischen Boden zu benutzen, um den Interessen
Myanmars zu schaden.                                 Während der ­COVID-19-Pandemie zeigt sich
                                                     der große Nachbar China als „Helfer in der Not“.
Günstige Perspektiven für                            Chinesische Staatsmedien berichteten Anfang
die Zusammenarbeit                                   April 2020, dass ein medizinisches Team zusam-
                                                     men mit Testkits, 60.000 Masken und 5.500 Sets
Insgesamt war Xi Jinping während seines zwei-        persönlicher Schutzausrüstung nach Myanmar
tägigen Staatsbesuchs nicht in der Lage, außer       geschickt worden war.21 Gegen Ende des Monats
wenigen Investitionszusagen und einer Verein-        half medizinisches Personal der Volksbefreiungs-
barung zum Aufbau einer „Schicksalsgemein-           armee dem Militär Myanmars beim Bau und der
schaft“, signifikante Ergebnisse für China zu        Ausstattung eines ­COVID-19-Testlabors. Diese
verhandeln. Dennoch dürften sich die myan-           Pandemie gibt China die Chance, sein Engage-
marisch-chinesischen Beziehungen in den kom-         ment in Myanmar weiter unter Beweis zu stellen:
menden Jahren eher günstig entwickeln. Denn          China kann Myanmar helfen, Leben zu retten,
Myanmar und China können auch bei schwie-            während andere Länder wie Japan und Indien,
rigen internen Fragen, die auf der internatio-       die den Einfluss Chinas in Myanmar ausgleichen
nalen Bühne zur Sprache gebracht werden, auf         wollen, gegenwärtig vor eigenen Herausforde-
die Unterstützung des jeweils anderen zählen.        rungen stehen. Andererseits haben zahlreiche
Und noch wichtiger: Myanmar hat eine heraus-         chinesische Unternehmen, vornehmlich in der
ragende geostrategische Bedeutung für China.         wachsenden Textilindustrie mit über 400.000
Langfristig hofft China, eine Passage von der Pro-   Arbeitsplätzen, durch die C­ OVID-19-Pandemie
vinz Yunnan durch Myanmar hin zum Indischen          ihre Produktionsstätten geschlossen und viele
Ozean zu sichern, um so das chinesische Hinter-      Mitarbeiter entlassen. Dies hat zu großen Protes-
land in Richtung Westen besser erschließen zu        taktionen vor den Werks­toren und Streikaufrufen
können. Zusätzlich könnte so die Militärpräsenz      durch die Gewerkschaften geführt. Die antichi-
über einen zukünftigen Marinestützpunkt im           nesische Stimmung im Land dürfte dadurch eher
Golf von Bengalen ausgebaut werden, vermuten         wieder befördert worden sein.
Sicherheitsexperten. Damit könnte die Abhän-
gigkeit Chinas, einen Großteil seiner Im- und        Die Beziehungen zwischen Myanmar und China
Exporte über die konfliktgeladene Seehandels-        bleiben auch in Zukunft ein Balanceakt zwischen
route durch das Chinesische Meer und die Straße      eigenen und fremden Interessen, Pragmatismus
von Malakka laufen lassen zu müssen, zumindest       und Realismus, Nähe und Distanz – ein schwieri-
reduziert werden. Für China dürfte vor allem         ger Tanz mit dem Drachen allemal. Wie Aung San
aber entscheidend sein, nicht gegenüber Indien       Suu Kyi während ihres Treffens mit Xi Jinping in
und den ­USA ins Hintertreffen zu geraten, da        diesem Jahr erklärte, „versteht es sich von selbst,
beide Mächte ebenfalls um Einfluss im Golf von       dass ein Nachbarland keine andere Wahl hat, als
Bengalen konkurrieren.                               bis zum Ende der Welt zusammenzustehen“22.

Myanmar ist jedoch nicht einfach nur Spielball
der großen rivalisierenden Nationen. Tatsächlich     Dr. Thomas S. Knirsch ist Leiter des Auslandsbüros
nutzt Myanmar geschickt die geostrategischen         der Konrad-Adenauer-Stiftung in Myanmar.

Interessen rivalisierender Länder als diplo-
                                                     Annabelle Heugas ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
matisches Mittel, um von allen Parteien glei-        im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in
chermaßen Vorteile zu erlangen. So begrüßen          Myanmar.
zum Beispiel hochrangige Regierungsbeamte

7                                                                           Auslandsinformationen online
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     2M5Q9r0 [29.05.2020].
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Nr. 22 (Juni 2020)                                                                                                         8
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