"Tätigkeitsverbot wegen Schweinegrippe" - Fallbearbeitung im Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrecht
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ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” Professor Dr. Yvonne Dorf, Brühl* „Tätigkeitsverbot wegen Schweinegrippe“ Fallbearbeitung im Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrecht THEMATIK Rechtsschutz gegen Dienstausübungsverbot SCHWIERIGKEITSGRAD mittel BEARBEITUNGSZEIT 4 Stunden HILFSMITTEL Gesetzestexte Hinweis: Im Mittelpunkt der vorliegenden Klausurbearbeitung steht die Prüfung eines Anfechtungs- widerspruchs, den ein beamteter Hochschullehrer gegen das ihm von seiner Hochschule auferlegte Tätigkeitsverbot aufgrund seiner Infektion mit dem Schweinegrippevirus erhebt. Neben Fragen der Ver- waltungsaktsqualität der hochschulischen Maßnahmen und einer ausführlichen Erörterung der Fristen- ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN problematik greift die Fallbearbeitung in der Begründetheitsprüfung Fragen der Verfassungsmäßigkeit des Infektionsschutzgesetzes sowie der Rechtmäßigkeit der einzelnen Maßnahmen auf. Die Klausur war im Wintersemester 2009/2010 Laufbahnprüfungsklausur an der Fachhochschule des Bundes für öffent- liche Verwaltung (FH Bund). Der Bezug des Sachverhalts zur FH Bund ist frei erfunden. & SACHVERHALT Weltweit sind inzwischen mehrere zehntausend Menschen an der Influenza H1N1, auch als Schweinegrippe bezeichnet, erkrankt, die durch ein neuartiges Influenzavirus verursacht wird. Über zehntausend Menschen sind schon an dem Virus gestorben. In Deutschland steigt die Zahl der Schweinegrippe-Erkrankungen ebenfalls wöchentlich dramatisch an und auch bundesweit sind schon mehrere Todesopfer zu beklagen. Die Schweinegrippe gilt als übertragbare Krankheit. Aufgrund der rasanten Ausbreitung der Schweinegrippe hat die Weltgesundheitsorganisati- on (WHO) gemäß ihrem Pandemieplan die höchste Pandemiephase, die Phase 6 ausgerufen. Jede Phase (1 – 6) ist verschiedenen pandemischen Perioden zugeordnet. Phase 6 greift, wenn eine zunehmende und anhaltende Übertragung eines Virus in der Allgemeinbevölkerung fest- zustellen ist. Der Bund hat einen Nationalen Pandemieplan erarbeitet, der die Grundsatz- planungen für das Vorgehen und Handeln im Falle eines massiven Grippeausbruchs in der Bundesrepublik Deutschland enthält. In ihm sind für jede von der WHO festgelegte pande- mische Periode Maßnahmen während einer der 6 Phasen vorgesehen. Im Nationalen Pande- mieplan ist mit Blick auf die empfohlenen Anordnungen auf das ordnungsgemäß erlassene Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infekti- onsschutzgesetz – IfSG) vom 20.06.2000 Bezug genommen. Mit dem Schweinegrippevirus haben sich zwischenzeitlich auch einige Bedienstete der Fach- hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (FH Bund) infiziert. So wird auch beim beamteten, hauptamtlich Lehrenden Z durch seinen Vertrauensarzt die Infektion mit dem Schweinegrippevirus festgestellt. Hierüber informiert Z unverzüglich die FH Bund. Da ihm das zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten im IfSG vorgesehene berufliche Tätigkeits- verbot bekannt ist, bittet er gleichzeitig um „Freistellung“ von einem möglichen Tätigkeits- verbot. Hierzu trägt er vor, dass er im laufenden Semester einen Kurs unterrichte, der, was zutrifft, nur wenige Wochen vor der Laufbahnprüfung stehe. Mit diesem Kurs habe er im Fach Verwaltungsrecht und Staatsrecht noch zahlreiche Übungsfälle zur Vorbereitung auf die Laufbahnprüfungsklausur zu besprechen. Auch hätte der Kurs ein Anrecht darauf, dass Z die bereits geschriebene Probeklausur mit dem Kurs bespreche und das klausurtaktische Vorgehen in der Laufbahnprüfung intensiv einstudiere. Hierzu habe er bislang aufgrund seiner Lehr- verpflichtungen in anderen Kursen an der FH Bund noch keine Gelegenheit gehabt. Ergän- zend weist Z noch darauf hin, dass er von seinem Vertrauensarzt von nun an wöchentlich untersucht werde und ohne Aufforderung durch seinen Arzt die FH Bund regelmäßig über den Verlauf seiner Krankheit unterrichten werde. Der an der FH Bund in Fragen der Schweinegrippe rechtmäßig eingesetzte beratende Schweinegrippeausschuss erörtert noch am gleichen Tag (28.01.2010) intensiv und unter Berücksichtigung der Argumente des Z dessen „Antrag“ und nimmt eine Risiko-Nutzen- Abwägung vor. Seine Erwägungen leitet er unmittelbar an der Präsidenten der FH Bund weiter, der sich – da auch ihm eine sofortige Entscheidung notwendig erscheint – hiermit sogleich umfänglich befasst. Mit Schreiben vom 28.01.2010, das noch am gleichen Tag zur Post aufgegeben wird, wird Z vom Präsidenten der FH Bund unter Bezugnahme auf das IfSG untersagt, ab sofort bis zur vollständigen Genesung seine Tätigkeit als Hochschullehrer an der * Die Verfasserin ist Hochschullehrerin an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. 116 2/2011
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” FH Bund auszuüben. Gleichzeitig wird dem Z auch auferlegt, seinen Krankheits-/Gesund- heitszustand ab sofort wöchentlich vom zuständigen Amtsarzt untersuchen zu lassen. Das Schreiben ist umfassend, vor allem unter Hinweis auf die Übertragbarkeit der Krankheit und damit die erhebliche Infektionsgefahr einer Vielzahl von Menschen, begründet und mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Dem Z wird im Schreiben auch die Einrichtung eines Telearbeitsplatzes zu Hause angeboten. So könne er zumindest einem Teil seiner Verpflichtungen als Hochschullehrer wie z.B. seiner Forschungstätigkeit nachkommen; auch hätte er so die Möglichkeit, weiterhin per EMail mit den Studierenden in Kontakt zu bleiben. Im Übrigen weist der Präsident im Schreiben darauf hin, dass sich der Fachkollege V, der selbst schon des Öfteren Kurse auf die Laufbahnprüfung vorbereitet hat, bereit erklärt habe, den Laufbahnprüfungs-Kurs bis zur Laufbahnprüfung in den bislang von Z unterrichte- ten Fächern zu übernehmen. Am 27.02.2010 verfasst Z ein von ihm eigenhändig unterschriebenes, an den Präsidenten der FH Bund adressiertes Widerspruchsschreiben mit dem Ziel, vom Tätigkeitsverbot sowie der ebenfalls angeordneten Untersuchungsverpflichtung befreit zu werden. Das Widerspruchs- ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN schreiben faxt Z am Morgen des 28.02.2010 an die FH Bund. Laut dem Sendeprotokoll erfolgt die Übermittlung ordnungsgemäß. Das Original wirft Z noch am selben Tag in einen Brief- kasten. Im Widerspruchsschreiben weist Z darauf hin, dass das Tätigkeitsverbot eine völlig überzogene Maßnahme darstelle, vor dessen Festsetzung er auch noch einmal hätte angehört werden müssen. Gleiches gelte für die angeordnete Untersuchungspflicht beim Amtsarzt, der im Übrigen auch nicht mehr oder weniger feststellen könne als sein Vertrauensarzt. Die Mitarbeiter und Studierenden an der FH Bund könnten sich doch überall den Schweinegrip- pevirus einfangen. In seiner Familie habe er bislang auch noch niemanden angesteckt und diesen Personen käme er schließlich viel näher als anderen. Im Übrigen halte er als Staats- rechtler das im IfSG geregelte berufliche Tätigkeitsverbot nicht mit den im Grundgesetz garantierten Grundrechten für vereinbar. Das Fax wird in der FH Bund erst am 01.03.2010 ausgedruckt, da es am 28.02.2010 an Papier im Faxgerät fehlte. Das Original-Widerspruchsschreiben geht in der FH Bund am 30.03.2010 ein. Z erfährt aus dem Kollegenkreis von dieser „Panne“ und ist nun besorgt über die Erfolgsaussichten seines Widerspruchs, den er jedenfalls für begründet hält. Im Übrigen fragt sich Z schon jetzt, ob denn als spätere Klage die Anfechtungs- oder die Verpflichtungs- klage die statthafte Klageart ist. Begutachten Sie, ob der Widerspruch des Z Aussicht auf Erfolg hat. Es ist auf sämtliche im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen, ggf. in einem Hilfsgut- achten, einzugehen. Auszug aus dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) vom 20.07.2000 (in leicht abgeänderter Fassung) 1. Abschnitt Allgemeine Vorschriften § 1 Zweck des Gesetzes (1) Zweck des Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen früh- zeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. (2) (…) § 2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes ist 1. Krankheitserreger ein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheiten verursachen kann, 2. Infektion die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im mensch- lichen Organismus, 3. übertragbare Krankheit eine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Men- schen übertragen werden, verursachte Krankheit, 4. Kranker eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist, 5. Krankheitsverdächtiger eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen, 6. Ausscheider eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein, 7. Ansteckungsverdächtiger eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheits- verdächtig oder Ausscheider zu sein, (…) 2/2011 117
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” 5. Abschnitt Bekämpfung übertragbarer Krankheiten § 28 Schutzmaßnahmen (1) Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Unter den Voraus- setzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten … (2) (…) § 31 Berufliches Tätigkeitsverbot Die zuständige Behörde kann Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausschei- dern die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagen. Satz 1 gilt auch für sonstige Personen, die Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr einer Weiterverbreitung besteht. § 70 Zuständige Behörde (1) Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern obliegt der Vollzug dieses Gesetzes den ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN jeweiligen Dienststellen. (2) (…) Grundordnung der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung (GO-FH Bund) – Bek. d. BMI vom 15.01.2008 (Auszug) – § 1 Errichtung, Rechtsstellung und Zulassung (1) Für die Ausbildung der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten des gehobenen nichttechnischen Diens- tes ist die Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung als nichtrechtsfähige Körperschaft und ressortübergreifende staatliche Einrichtung des Bundes zuständig (…). (2) Mitglieder der Fachhochschule sind 1. die Präsidentin oder der Präsident, 2. die Fachbereichsleiterinnen und Fachbereichsleiter (die Dekaninnen und die Dekane), 3. die hauptamtlich Lehrenden, 4. die nebenamtlich Lehrenden, 5. die Studierenden, 6. die sonstigen Beschäftigten. (…) (5) Die Fachhochschule ist dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern zugeordnet. Ihr Sitz ist Brühl (Regierungsbezirk Köln). § 10 Aufgaben der Präsidentin oder des Präsidenten der Fachhochschule (1) Die Präsidentin oder der Präsident der Fachhochschule 1. leitet die Fachhochschule (…), soweit nicht die Zuständigkeit anderer Organe gegeben ist; (…) 5. ist Dienstvorgesetzte bzw. Dienstvorgesetzter oder Vorgesetzte bzw. Vorgesetzter der hauptamtlich Lehrenden, der Fachbereichsleitung, der sonstigen Beschäftigten der Fachhochschule (…) (2) (…) & LÖSUNG Der Widerspruch des Z hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist. A. ZULÄSSIGKEIT DES WIDERSPRUCHS I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs Verwaltungsrechtsweg Die Frage, ob auch für das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein muss, ist umstritten. Hinweis: Ein Teil der Literatur (vgl. etwa Kopp/Ramsauer VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 79 Rn. 11; Stelkens/ Bonk/Sachs/Stelkens/Kallerhoff VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 79 Rn. 29) lehnt dies unter Bezugnahme auf § 79 VwVfG ab. § 79 VwVfG erklärt grundsätzlich die Vorschriften der VwGO für alle förmlichen Rechts- behelfe für anwendbar, unabhängig davon, ob für die folgende Klage der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Die Gegenansicht (vgl. etwa Knack/Busch VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 79 Rn. 13; Brühl JuS 1994, 153 (154); differenzierend Pietzner/Ronnellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 12. Aufl. 2010, § 30 Rn. 5) stellt darauf ab, dass das Widerspruchsverfahren als Vorverfahren für Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nur zulässig sein könne, wenn auch schon für den Widerspruch der Weg zu den Verwaltungsgerichten dem Grunde nach eröffnet ist. aufdrängende Der Streit könnte jedoch dahingestellt bleiben, wenn der Verwaltungsrechtsweg jedenfalls Sonderzuweisung eröffnet ist. Auf das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit gem. § 40 I 1 VwGO analog kommt es dann nicht mehr an, wenn eine sog. aufdrängende Sonderzuweisung zum Verwaltungsrechtsweg besteht. Nach § 126 I Bundesbeamtengesetz (BBG), der auf den Wider- spruch in Beamtenstreitsachen analog anzuwenden ist, ist für alle Klagen aus dem Beamten- verhältnis der Verwaltungsrechtsweg gegeben (vgl. Wagner/Leppek Beamtenrecht, 10. Aufl. 2009, Rn. 269 mit A1 und A30). 118 2/2011
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” Da es vorliegend um einen Widerspruch des beamteten Hochschullehrers Z hinsichtlich der Rechtmäßigkeit eines gegen ihn vom Dienstherrn erlassenen beruflichen Tätigkeitsverbots geht, greift § 126 I BBG analog. Die allgemeine Regelung des § 40 I VwGO ist darüber hinaus nicht anwendbar. Damit ist der Verwaltungsrechtsweg nach der aufdrängenden Sonderzuwei- sung des § 126 I BBG analog eröffnet. II. Statthaftigkeit des Widerspruchs Vorverfahren in Gem. § 68 I 1, II VwGO ist der Widerspruch nur statthaft, wenn es sich dabei um eine Beamtenstreitigkeiten Sachurteilsvoraussetzung für eine mögliche spätere Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage handelt (Wolff/Decker/Decker VwGO/VwVfG, 2. Aufl. 2007, Vor § 68 VwGO Rn. 7; Weides Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 3. Aufl. 1993, § 16; Brühl JuS 1994, 153 [154]). Abweichend von § 68 VwGO bestimmt jedoch § 126 II BBG, dass in Beamtenstreitig- keiten immer ein Vorverfahren statthaft ist – unabhängig davon, ob sich die spätere Klage gegen einen Verwaltungsakt richtet oder nicht. ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN Hinweis: Vgl. Wagner/Leppek a.a.O. Rn. 272 mit dem Hinweis darauf, dass der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 126 II BBG letztlich in dem besonderen Dienst- und Treueverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten sowie dem Lebenszeitprinzip bestehe. Der Dienstherr solle in jedem Fall die Möglichkeit einer behördeninternen Überprüfung von Entscheidungen haben. Der Widerspruch des Z ist damit statthaft. Die Statthaftigkeit ergäbe sich, da ein Ausschluss nach § 68 I 2 VwGO vorliegend nicht besteht, im Übrigen auch unmittelbar aus § 68 VwGO, wenn es sich bei dem angeordneten Tätigkeitsverbot sowie der Untersuchungspflicht um Verwaltungsakte handeln würde. Da Z sich dem Sachverhalt zufolge bereits jetzt fragt, ob als spätere, auf den Widerspruch folgende Klageart die Anfechtungs- oder die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart ist, ist es angezeigt, diese Rechtsfrage des Z und damit auch die Frage der Verwaltungsaktsqualität hier zu prüfen. 1. Das berufliche Tätigkeitsverbot Tätigkeitsverbot als Fraglich ist, ob es sich bei dem auferlegten Tätigkeitsverbot um einen belastenden Verwal- Maßnahme einer Behörde tungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG handelt. Gemäß § 35 S. 1 VwVfG ist ein Verwaltungs- akt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittel- bare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Das Tätigkeitsverbot stellt eine einzelfallorien- tierte Regelungsmaßnahme auf Grundlage des dem öffentlichen Recht zuzurechnenden IfSG Behörde gem. § 1 IV VwVfG dar. Das Verbot müsste auch von einer Behörde angeordnet worden sein. Behörde im funk- tionellen Sinn gem. § 1 IV VwVfG ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (vgl. Maurer Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 21 Rn. 32). Das Tätigkeitsverbot wurde auf der Grundlage der Beratungen des Schweinegrippeausschusses vom Präsidenten der FH Bund festgesetzt. Die FH Bund selbst ist gem. § 1 I GO-FH Bund eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und somit Teil der Staatsverwaltung. Sie ist gem. § 1 V GO-FH Bund dem Geschäftsbereich des BMI zugeordnet. Nach § 70 I IfSG ist sie als zuständige Dienststelle für den Vollzug des IfSG zuständig. Diese Aufgabe hat der Präsident als Leiter der FH Bund und Dienstvorgesetzter der hauptamtlich Lehrenden (vgl. § 10 GO- FH Bund) vorgenommen. Er hat nach außen hin in eigener Zuständigkeit und im eigenen Namen die konkrete Verwaltungsmaßnahme getroffen. Somit fungiert er als Behörde im funk- tionellen Sinn (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz a.a.O. § 1 Rn. 236, 240 f.; Maurer a.a.O. § 21 Rn. 32 f.; Burgi in: Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 8 Rn. 29). Hinweis: Der Schweinegrippeausschuss selbst ist hier nicht als Behörde aufgetreten; er übt lediglich eine beratende und nicht nach außen gerichtete Tätigkeit aus; vgl. hierzu Kopp/Ramsauer a.a.O. § 1 Rn. 52. Außenwirkung im Zweifelhaft könnte noch sein, ob es sich beim Tätigkeitsverbot um eine Regelung mit un- Beamtenverhältnis mittelbarer Rechtswirkung nach außen handelt, da Z als Beamter als Teil des Verwaltungs- apparates anzusehen ist. Eine Regelung ist eine rechtsverbindliche Anordnung, die auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist (vgl. Maurer a.a.O. § 9 Rn. 6). Eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen liegt im Gegensatz zu einer verwaltungsinternen Maßnahme vor, wenn die konkrete Regelung über den verwaltungsinternen Bereich hinausgreifend Pflichten oder Rechte für außerhalb der Verwaltung stehende Rechtspersonen begründet (Vgl. Maurer a.a.O. § 9 Rn. 23). Bei Anordnungen und Weisungen im Beamtenverhältnis ist nicht mehr aus der Rechtsstellung des Beamten zu folgern, dass sie stets Verwaltungsinterna bleiben. Solche Maßnahmen sind vielmehr dann auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet, wenn sie im Einzelfall eine Rechtsfolge für den Beamten als natürliche Person setzen sollen. Maßgeblich ist also eine interpersonale Wirkung und somit die Frage nach der Berührung der 2/2011 119
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” (Grund)Rechtssphäre des Beamten (vgl. BVerwGE 60, 144 [145 f.]; 81, 258 [259 f.]; 98, 334 [335]; Schwerdtfeger Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 13. Aufl. 2008, Rn. 209 ff.; Wagner/Leppek a.a.O. Rn. 252 mit Beispielen in Rn. 255). Eine innerdienstliche Weisung liegt vor, wenn sie den Beamten als Glied des Verwaltungsorgans trifft. Ein Verwaltungsakt liegt vor, wenn er sich an ihn als selbstständige Person richtet (vgl. Maurer a.a.O. § 9 Rn. 25). Hinweis: Als Kontrollfrage bietet sich die Frage an, ob die Maßnahme den Beamten als „austauschbaren“ Amtswalter trifft, d. h. ob sie in dieser Form bspw. auch an den Urlaubsvertreter, den Vertreter im Amt oder den Nachfolger hätte ergehen können (z.B. Bearbeitung von Akten in einer bestimmten Reihenfolge) – dann liegt eine Weisung vor. Vgl. hierzu auch Wagner/Leppek a.a.O. Rn. 251 mit Beispielen in Rn. 254. Zur Abgrenzung von verwaltungsinternen Maßnahmen von solchen mit Außenwirkung wurde nach der früher herrschenden Meinung zwischen Maßnahmen im Grundverhältnis und Maßnahmen im Betriebs- verhältnis unterschieden (vgl. grundlegend hierzu Ule VVDStRL 15 [1957], 133 [151 ff.]). Diese Unter- scheidung geht aber von dem überholten „besonderen Gewaltverhältnis“ aus. ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN Z wird durch das Tätigkeitsverbot nicht lediglich in seiner innerdienstlichen Stellung, sondern als selbständige Rechtsperson (in persönlicher Hinsicht) betroffen. Es ist ihm aufgrund der Anordnung nicht möglich, die FH Bund zu betreten und dort seiner Arbeit nachzugehen. Dies berührt ihn in seinen persönlichen Verhältnissen. Folglich kommt dem Tätigkeitsverbot Au- ßenwirkung zu. Das berufliche Tätigkeitsverbot erfüllt somit als behördliche Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls mit Außenwirkung alle Voraussetzungen des § 35 S. 1 VwVfG. Abgrenzung Anfechtungs-/ Gegen das Tätigkeitsverbot könnte als Klageart die Anfechtungsklage gem. § 42 I Alt. 1 Verpflichtungswiderspruch VwGO die statthafte Klageart sein. Dazu müsste es um die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts gehen. Fraglich könnte dies insoweit sein, als Z gleichzeitig mit der Informa- tion über seine Schweinegrippeinfektion die FH Bund um „Freistellung“ von einem möglichen Tätigkeitsverbot gebeten hat. Das Begehren des Z könnte daher darauf gerichtet sein, einen Freistellungsbescheid zu erhalten. Allerdings ist zu beachten, dass Z zwischenzeitlich ein berufliches Tätigkeitsverbot auferlegt wurde. Sein Ziel ist es nun, eine ihn belastende Maß- nahme, die ihn im Vergleich zu seiner Situation vor Erlass des Schreibens vom 28.01.2010 schlechter stellt, zu beseitigen. Es geht Z nicht (mehr) um den Erlass einer ihn begünstigenden Regelung, sondern um die Rückkehr zum status quo ante (vgl. Hufen Verwaltungsprozess- recht, 7. Aufl. 2008, § 14 Rn. 13, § 15 Rn. 6 ff.). Z will wieder so gestellt sein, wie vor Erlass des Tätigkeitsverbots. Die durch das Schreiben vom 28.01.2010 verschlechterte Rechtssituation soll wiederhergestellt werden. Damit kommt als nachfolgende Klageart nicht eine Verpflich- tungsklage gem. § 42 I Alt. 2 VwGO, sondern die Anfechtungsklage als statthafte Klageart in Betracht. Somit handelt es sich bei dem von Z gegen das Tätigkeitsverbot eingelegten Widerspruch um einen Anfechtungswiderspruch nach § 68 I 1 VwGO. Haupt- und Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass gegen die mit dem Tätigkeitsverbot verbunde- Nebenbestimmung ne Nebenbestimmung der Befristung gem. § 36 II Nr. 2 VwVfG („ab sofort bis zur voll- ständigen Genesung“) ein isoliertes Vorgehen seitens des Z nicht angedacht und auch nicht angezeigt ist. Nebenbestimmungen hängen vom Bestand der Hauptregelung ab. Wird der Haupt-Verwaltungsakt beseitigt, erlischt somit auch die Nebenbestimmung (vgl. Kopp/Rams- auer a.a.O. § 36 Rn. 6; Detterbeck Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2010, Rn. 656). Die Befristung enthält keine eigene Sachregelung, sondern begrenzt lediglich die Hauptregelung in zeitlicher Hinsicht. Von einer isolierten Anfechtung allein der Befristung hätte Z ohnehin keinen Nutzen, ist doch mit der Befristung jedenfalls garantiert, dass er nach vollständiger Genesung wieder seine Tätigkeit in der FH Bund ausüben darf. 2. Die wöchentliche Untersuchungspflicht beim Amtsarzt Untersuchungspflicht als Die einseitig verbindliche Festsetzung der Untersuchungspflicht erfüllt ebenfalls inhaltlich alle selbständiger VA Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG, insbesondere greift sie in die persönliche Rechtssphäre von Z ein und hat damit Außenwirkung (vgl. zur Außenwirkung der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gem. § 48 BBG OVG Lüneburg DVBl. 1990, 882 ff.). Bei dieser zusätzlichen Sachregelung handelt es sich nicht etwa um eine Nebenbestimmung in Form einer Auflage gem. § 36 II Nr. 4 VwVfG. Eine Auflage ist nach dem Gesetzeswortlaut („Begünstigten“) nur bei einem begünstigenden VA zulässig (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens a.a.O. § 36 Rn. 82, 111; Detterbeck a.a.O. Rn. 651 ff.; Kopp/Ramsauer a.a.O. § 36 Rn. 29). Um keine Auflage, sondern vielmehr in der Regel um einen selbstständigen Verwaltungsakt handelt es sich bei Geboten oder Verboten, die im Zusammenhang mit einem belastenden Verwaltungsakt er- gehen. In der Sache stellt die Untersuchungsverpflichtung daher eine selbständige zusätzliche Anordnung dar, für die im Weiteren auch die Voraussetzungen der speziellen Ermächtigungs- grundlage und nicht etwa die des § 36 VwVfG vorliegen müssen. Daher ist auch für die von Z 120 2/2011
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” begehrte Aufhebung der ihn belastenden Untersuchungsverpflichtung als nachfolgende Kla- geart die Anfechtungsklage nach § 42 I VwGO die statthafte Klageart und damit der Anfech- tungswiderspruch nach § 68 I 1 VwGO auch der statthafte Widerspruch. III. Widerspruchsbefugnis Rechtsverletzung Eine gesetzliche Regelung für die Widerspruchsbefugnis existiert nicht. Dennoch rechtfertigt die Tatsache, dass § 70 I 1 VwGO vom „Beschwerten“ spricht und der Verwaltungsgerichtsordnung Popularklagen grds. fremd sind, eine Widerspruchsbefugnis zu fordern (vgl. Hufen a.a.O. § 6 Rn. 20). Als Maßstab dient § 42 II VwGO analog. Danach müsste Z geltend machen, möglicher- weise in einem eigenen Recht durch die Verwaltungsakte verletzt zu sein; eine Verletzung dürfte nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Vorliegend ist Z Adressat von belastenden Verwaltungsakten. Nach der Adressatentheorie ist der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts stets klagebe- fugt, weil er zumindest in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG verletzt sein könnte (vgl. Kopp/ Schenke VwGO, 16. Aufl. 2009, § 42 Rn. 69 m.w.N.; Hufen a.a.O. § 14 Rn. 60). ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN IV. Widerspruchsfrist Berechnung der Zu prüfen ist im Folgenden, ob Z den Widerspruch gegen das Tätigkeitsverbot und die Unter- Widerspruchsfrist suchungspflicht fristgerecht eingelegt hat. Aufgrund der ordnungsgemäßen Rechtsbehelfs- belehrung ist die einmonatige Widerspruchsfrist des § 70 I 1 VwGO zu Grunde zu legen. Für die Berechnung der Widerspruchsfrist kommt zum einen die verwaltungsprozessuale Lösung in Betracht, die über § 57 II VwGO i.V.m. § 222 ZPO die §§ 187 ff. BGB zur Anwendung bringt. Hinweis: Vgl. zu dieser Ansicht, die das Widerspruchsverfahren primär als verwaltungsgerichtliches Verfahren betrachtet, da es Sachurteilsvoraussetzung für die Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage ist Kopp/Schenke a.a.O. § 70 Rn. 8 m.w.N. Nach anderer Ansicht, die einen verwaltungsverfahrensrechtlichen Lösungsansatz verfolgt, ist über § 79 VwVfG die Vorschrift des § 31 VwVfG anzuwenden, der ebenfalls den Weg in die §§ 187 ff. BGB weist (vgl. hierzu Hufen a.a.O. § 6 Rn. 28; Schmitt Glaeser/Horn Verwaltungs- prozessrecht, 15. Aufl. 2000, Rn. 197). Hinweis: Von den Vertretern dieser Ansicht wird insbesondere geltend gemacht, dass § 70 II VwGO gerade nicht auf § 57 II VwGO verweist und der Bundesgesetzgeber aus kompetenzrechtlichen Gründen (s.a. Art. 84 GG) das Widerspruchsverfahren in der VwGO nur soweit habe regeln dürfen, als es sich um eine Prozessvoraussetzung handelt. Wichtigste Folge ist, dass § 31 III VwVfG für das Ende der Frist an einem Sonntag, gesetzli- chen Feiertag oder Sonnabend unmittelbar zur Anwendung kommt, es eines „Umwegs“ über § 193 BGB somit nicht Bedarf. Da im praktischen Ergebnis die Frage der Berechnung der Widerspruchsfrist keine Auswirkungen hat, kann der Streit über den „richtigen“ Lösungs- ansatz dahingestellt bleiben. Die Monatsfrist beginnt nach § 70 S. 1 VwGO mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Ist in der jeweiligen Sachmaterie keine bestimmte Bekanntgabeart vorgeschrieben, liegt die Bekanntgabeart im Ermessen der Behörde (Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens a.a.O. § 41 Rn. 18 m.w.N.). Laut Sachverhalt ist das Schreiben an Z noch am 28.01.2010 per einfachem Brief zur Post aufgegeben worden. Für diesen Fall begründet die Bekanntgabevorschrift des § 41 II VwVfG eine 3-Tages-Fiktion, wonach der schriftliche Verwaltungsakt drei Tage nach der 3-Tages-Fiktion des § 41 II Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Dabei bleibt der dritte Tag nach herrschender VwVfG Auffassung selbst dann maßgebend, wenn es sich bei diesem Tag um einen Sonntag, Samstag oder gesetzlichen Feiertag handelt. Die Vorschriften des § 193 BGB bzw. § 31 III VwVfG können insoweit nicht herangezogen werden, da sich diese Normen nur auf das Fristende und nicht auf den Fristbeginn beziehen und es sich im Übrigen bei § 41 II VwVfG um eine gesetzliche Fiktion handelt (vgl. hierzu OVG Lüneburg NVwZ 2007, 78; Kopp/Ramsauer a.a.O. § 41 Rn. 44; Pietzner/Ronnellenfitsch a.a.O. § 33 Rn. 9; Schenke Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2009, Rn. 674 a; a.A. Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens a.a. O. § 41 Rn. 133; Knack/Henneke/Ruffert Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2010, § 41 Rn. 35). Hinweis: Der BFH sieht mit Blick auf die Dreitages-Vermutung des § 122 II Nr. 1 AO nach st. Rspr. im Fall eines Sonntags, Samstags oder Feiertags den darauffolgenden Werktag als den dritten Tag an und spricht sich für das Vorliegen einer Fristenregelung aus, vgl. zuletzt BFH Beschluss vom 23.01.2008, VII B 169/07 m.w.N. auf seine Rspr. 2/2011 121
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” Beginn und Ende der Demzufolge gilt die Bekanntgabe im vorliegenden Fall mit dem 31.01.2010 als erfolgt, obwohl Monatsfrist es sich hierbei um einen Sonntag handelt. Die Bekanntgabe wird dabei als ein in den Lauf eines Tages fallendes Ereignis i.S.d. § 187 I BGB angesehen, sodass die Widerspruchsfrist nach § 187 I BGB am 01.02.2010 um 0.00 Uhr beginnt. Gem. § 188 II Alt. 1 BGB endet die Monatsfrist mit Ablauf desjenigen Tages, welcher durch seine Benennung dem Tag der Bekanntgabe entspricht. Fehlt wie hier im nächsten Monat der dem der Bekanntgabe entsprechende Tag, endet die Frist nach § 188 III BGB mit dem Ablauf des letzten Tages des Monats, im vor- liegenden Fall somit am 28.02.2010 um 24.00 Uhr. Fristwahrender Widerspruch Fraglich ist, ob der von Z per Fax am 28.02.2010 an die FH Bund eingereichte Wider- per Fax spruch fristgerecht eingelegt wurde. Der Sendebericht weist zwar eine ordnungsgemäße Übermittlung des Schreibens am 28.02.2010 aus, doch wurde das Schreiben vom Faxgerät der FH Bund wegen Papiermangels am 28.02.2010 erst am 01.03.2010 ausgedruckt. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass der Widerspruch des Z nicht als fristwahrend gilt. Vielmehr gilt die Frist von Z mit Übermittlung des ausweislich des Sendeprotokolls ord- nungsgemäß übermittelten Widerspruchs als gewahrt, da der Widerspruch jedenfalls in elek- ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN tronischer Form rechtzeitig bei der Hochschule eingegangen ist und Z auf den Ausdruck des Schriftsatzes beim Empfänger-Faxgerät keinen Einfluss hat (vgl. Decker a.a.O. § 60 VwGO Rn. 9). Hinweis: Zu beachten ist, dass die fristwahrende Übermittlung eines Schreibens mittels Telefax aus- weislich des Sendeprotokolls keinen Fall der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 60 VwGO darstellt. Diese Problematik würde sich erst dann stellen, wenn ein fristwahrender Schriftsatz wegen Störung des Telefaxgeräts der Behörde (bspw. weil es nicht empfangsbereit war) nicht rechtzeitig gesendet werden konnte und deshalb das Sendegerät eine Fehlermeldung produzierte. Vgl. zu den Mängeln des Telefax-Empfangsgeräts auch Kopp/Schenke a.a.O. § 81 Rn. 9 m.w.N. Mit Übermittlung des Widerspruchs am 28.02.2010 per Telefax hat Z somit die Widerspruchs- frist (noch) gewahrt. Auf den Eingang des Original-Widerspruchsschreibens bei der Hoch- schule kommt es somit nicht mehr an. Das am 03.03.2010 bei der Hochschule eingegangene Widerspruchsschreiben wahrt die Monatsfrist nicht mehr. V. Form der Widerspruchseinlegung Schriftform Die ordnungsgemäße Widerspruchseinlegung erfordert gem. § 70 I VwGO die Schriftform. Diese wird nach inzwischen allgemeiner Rechtsauffassung auch durch ein vom Widerspruchs- führer eigenhändig unterschriebenes Fax gewahrt (vgl. BVerfG NJW 2001, 3473; Kopp/Schen- ke a.a.O. § 70 Rn. 2 und § 81 Rn. 9 m.w.N.; Hufen a.a.O. § 6 Rn. 23). Damit erfüllt das von Z mit eigenhändiger Unterschrift per Fax am 28.02.2010 übermittelte Widerspruchsschreiben das Formerfordernis. Der Widerspruch wurde auch bei der zuständi- gen Behörde, hier dem Präsidenten der FH Bund als Ausgangsbehörde, eingelegt und ent- spricht somit dem Formerfordernis des § 70 I 1 VwGO. Hinweis: Da im vorliegenden Fall gem. § 73 I Nr. 2 VwVfG die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundesbehörde (das BMI) ist, ist die FH Bund gleichzeitig auch Widerspruchsbehörde. VI. Beteiligten- und Handlungsfähigkeit Z ist als natürliche Person gem. § 79 i.V.m. § 11 Nr. 1 Alt. 1 VwVfG beteiligtenfähig. Als geschäftsfähige Person ist Z nach § 79 i.V.m. § 12 I Nr. 1 VwVfG auch handlungsfähig Die FH Bund ist als juristische Person des öffentlichen Rechts nach § 79 i.V.m. § 11 Nr. 1 VwVfG beteiligtenfähig und handelt nach § 79 i.V.m. § 12 I Nr. 3 VwVfG durch ihren gesetzlichen Vertreter. VII. Zwischenergebnis Somit ist der Widerspruch des Z zulässig. B. BEGRÜNDETHEIT DES WIDERSPRUCHS Analog § 113 I 1 VwGO ist der (Anfechtungs-)Widerspruch des Z begründet, wenn das berufliche Tätigkeitsverbot und die Untersuchungspflicht rechtswidrig sind und Z in seinen Rechten verletzen. Darüber hinaus ist der Widerspruch auch dann begründet, wenn die Ver- waltungsakte ausschließlich oder zusätzlich unzweckmäßig sind, vgl. § 68 I 1 Var. 2 VwGO. I. Ermächtigungsgrundlage Verfassungsmäßigkeit des Zunächst müsste eine Ermächtigungsgrundlage für das berufliche Tätigkeitsverbot und die IfSG Untersuchungspflicht bestehen. Der Präsident der FH Bund stützt seine Maßnahmen auf das IfSG. Es fragt sich jedoch, ob das IfSG selbst verfassungsmäßig ist. Zweifel könnten wegen 122 2/2011
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” einer möglichen Unvereinbarkeit des im IfSG geregelten beruflichen Tätigkeitsverbots mit den Grundrechten bestehen. 1. Verstoß gegen die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 I GG Art. 12 I GG schützt neben der Wahl des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte den Beruf. Der Begriff „Beruf“ ist weit auszulegen. Es handelt sich dabei um eine auf eine gewisse Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient oder dazu beiträgt (vgl. BVerfGE 7, 377 [397]; 110, 304 [321]; 111, 10 [28]; 115, 276 [300]; BVerwGE 96, 136 [140]; 96, 293 [296]; 96, 302 [307]; 97, 12 [22]; vgl. auch Ipsen Staatsrecht II Grundrechte, 13. Aufl. 2010, Rn. 635 m.w.N.). Daher kann das Verbot, bis zur vollständigen Genesung die Tätigkeit als Hochschullehrer auszuüben, durchaus den Schutzbereich des Art. 12 I GG betreffen. Ein Ein- griff ist jede nicht unerheblich belastende staatliche Maßnahme, die dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich des Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht oder erschwert (vgl. zum [erweiterten] Eingriffsbegriff Pieroth/Schlink Grundrechte Staatsrecht II, 26. Aufl. 2010, Rn. 253 ff.; Epping Grundrechte, 4. Aufl. 2009, Rn. 379 ff.; Sodan/Sodan Grund- ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN gesetz, Vorb. Art. 1 Rn. 47 ff). Das im IfSG geregelte berufliche Tätigkeitsverbot bezweckt gerade die Einstellung der bisher ausgeübten Tätigkeit und kann daher den Betroffenen im Einzelfall intensiv in seiner beruflichen Tätigkeit berühren, weshalb von einem Eingriff in die Eingriff in die Berufsfreiheit Berufsfreiheit auszugehen ist. Fraglich ist, ob ein solcher Eingriff gerechtfertigt ist. Dann müsste er durch die Schranken des Art. 12 I GG gedeckt sein. Anders als der Wortlaut es hergibt, enthält Art. 12 I GG einen einheitlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit, was zur Folge hat, dass auch der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 I 2 GG ein einheitlicher und somit auch auf die Gewähr- leistungen des Satzes 1 auszudehnen ist (vgl. hierzu auch Pieroth/Schlink a.a.O. Rn. 877, 914). Beim Gesetzesvorbehalt des Art. 12 I 2 GG handelt es sich um einen sog. einfachen Gesetzes- vorbehalt in Form eines Regelungsvorbehalts (vgl. Pieroth/Schlink a.a.O. Rn. 914 mit Rn. 235 sowie zur Typologie der Gesetzesvorbehalte Rn. 263 ff.; vgl. auch Epping a.a.O. Rn. 389, der darauf hinweist, dass das BVerfG mittlerweile den Regelungsvorbehalt wie einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt behandelt). Danach kann die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Das in die Berufsfreiheit eingreifende IfSG ist ein formelles Bundesgesetz, das dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 I 2 GG der Form nach entspricht und laut Sachverhaltsangabe auch ordnungsgemäß erlassen wurde. Das in die Berufsfreiheit eingreifende IfSG müsste jedoch auch durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein und auch im Übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. 3-Stufen-Theorie Da ein Unterschied besteht, ob der Betroffene bereits daran gehindert wird, einem Beruf (weiterhin) nachzugehen oder ob er lediglich in der Ausübung seines Berufs eingeschränkt wird, hat das BVerfG, um den unterschiedlichen Intensitätsstufen der Eingriffe gerecht zu werden, in seinem „Apotheken-Urteil“ die sog. Drei-Stufen-Theorie entwickelt (vgl. BVerfGE 7, 377 [402 ff.] – Apotheken-Urteil; vgl. hierzu auch Ipsen a.a.O. Rn. 652 ff.; Epping a.a. O. Rn. 395 ff.; Pieroth/Schlink a.a.O. Rn. 916 ff.). Unterschieden wird danach, ob ein Eingriff in die Berufsausübung (1. Stufe) oder in die Berufswahl vorliegt, wobei bei der Berufswahl wiederum zwischen subjektiven (2. Stufe) und objektiven (3. Stufe) Zulassungsvoraussetzun- gen unterschieden wird. Im vorliegenden Fall liegt ein Eingriff in die Berufsausübung, in die Art und Weise („Wie“) der beruflichen Tätigkeit und damit ein Eingriff auf der 1. Stufe vor. Nach der Drei-Stufen-Theorie werden die Anforderungen an die Rechtfertigung des Eingriffs mit steigender Stufe höher. Eingriffe auf der 1. Stufe sind dann gerechtfertigt, wenn der Schutz eines Gemeinschaftsgutes sie verlangen und das eingesetzte Mittel zu dieser Zweckerreichung geeignet, erforderlich und angemessen ist (was einer klassischen Verhältnismäßigkeitsprüfung entspricht) (vgl. Epping a.a.O. Rn. 403 ff.; Ipsen a.a.O. Rn. 672; vgl. auch Pieroth/Schlink a.a.O. Rn. 925). Das berufliche Tätigkeitsverbot verfolgt einen legitimen Zweck, nämlich den Schutz und die Sicherung der Volksgesundheit. Hinweis: Vgl. BVerfGE 7, 377 (414) – Apotheken-Urteil, in dem das Gericht die Sicherung der Volks- gesundheit als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut aufgeführt hat, das damit sogar zur Rechtfer- tigung auf der 3. Stufe dient. Zur Erreichung dieses Zwecks ist ein berufliches Tätigkeitsverbot zur Verhinderung der Ver- breitung übertragbarer Krankheiten auch geeignet und stellt auch das mildeste Mittel dar. Im Rahmen der Angemessenheit ist zu beachten, dass die Norm auf der Rechtsfolgenseite keine zwingende Rechtsfolge normiert, sondern die Entziehung im Falle der tatbestandlichen Vo- raussetzungen ins Ermessen der zuständigen Behörde stellt. Infolgedessen kann in jedem Einzelfall den materiellen Anforderungen des Art. 12 GG auf der Ebene der Ermessensaus- übung Rechnung getragen werden. Somit ist die Vorschrift verhältnismäßig. Ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit scheidet aus. 2/2011 123
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” 2. Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 III GG Tätigkeitsverbot als Das im IfSG normierte berufliche Tätigkeitsverbot könnte möglicherweise gegen die Wissen- Beeinträchtigung der schaftsfreiheit aus Art. 5 III GG verstoßen. Der Umfang der Gewährleistung wird vom Wissenschaftsfreiheit BVerfG dahingehend bestimmt, dass jeder, der in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist – vorbehaltlich der Treuepflicht gemäß Art. 5 III 2 GG – ein Recht auf Abwehr jeder staatlichen Einwirkung auf den Prozess der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse hat (BVerfGE 35, 79 [112 f.]; vgl. auch Pieroth/Schlink a.a.O. Rn. 672 ff.). Das berufliche Tätigkeitsverbot gem. § 31 IfSG kann, soweit es gegenüber Personen aus- gesprochen wird, die im Bereich von Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig sind, wie vor allem Hochschullehrer, die wissenschaftliche Betätigung beeinträchtigen. Eine Rechtfertigung des Tätigkeitsverbots folgt gleichwohl aus kollidierendem Verfassungsrecht. Hinweis: Ein Rückgriff auf die Schranken des Art. 5 II GG scheidet nach dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift aus, vgl. BVerfGE 30, 173 (191 f.) – Mephisto. Eingriffe in die Grundrechte des Art. 5 III GG können jedoch durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN kollidierendes Verfassungs- So hat der Staat die Schutzpflicht für die menschliche Gesundheit gem. Art. 2 II 1 Alt. 2 GG recht (vgl. zum Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit Epping a.a.O. Rn. 102 ff.; Pieroth/ Schlink a.a.O. Rn. 420, 433; Ipsen a.a.O. Rn. 257 ff.). Ihn trifft die Verpflichtung, die körper- liche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen und – weitergehend – für ihre Gesundheit zu sorgen (vgl. Ipsen a.a.O. Rn. 258 mit Hinweis auf BVerfGE 56, 54 [78]; 77, 170 [214]; 85, 191 [212]; 115, 25 [44 f.]; vgl. auch Pieroth/Schlink a.a.O. Rn. 433 ff.). Dem entspricht das berufliche Tätigkeitsverbot gem. § 31 IfSG, mit dem Kranken die Aus- übung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagt werden kann mit dem Ziel, andere vor einer Übertragung der Krankheit zu schützen. Dabei ist mit den Regelungen des IfSG auch ein verhältnismäßiger Ausgleich der kollidierenden Verfassungsgüter erreicht. Denn zum einen ist gem. § 28 IfSG vorgesehen, dass die notwendigen Schutzmaßnahmen nur zu treffen sind, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Und zum anderen stellt § 31 IfSG das berufliche Tätigkeitsverbot auch noch einmal ausdrücklich ins Ermessen der zuständigen Behörde, sodass in jedem Einzel- fall die kollidierenden Verfassungsgüter auf der Ebene der Ermessensausübung zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden können. Auch im Hinblick auf Art. 5 III GG ist somit davon auszugehen, dass der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. 3. Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 I GG Das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG wird vom spezielleren Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG hier verdrängt (vgl. hierzu Epping a.a.O. Rn. 567 ff. m.w.N.). Damit lässt sich festhalten, dass die Regelungen des IfSG inhaltlich mit den im Grundgesetz garantierten Grundrechten vereinbar sind. Auch im Übrigen ist kein Verfassungsverstoß erkennbar. Eine verfassungsmäßige Ermächtigungsgrundlage liegt damit vor. II. Formelle Rechtmäßigkeit des Bescheids 1. Zuständigkeit Der Bescheid, mit dem Z verboten wird, bis zur vollständigen Genesung seine Tätigkeit als Hochschullehrer an der FH Bund auszuüben, und mit dem ihm gleichzeitig die Pflicht auf- erlegt wird, seinen Krankheits-/Gesundheitszustand ab sofort wöchentlich vom zuständigen Amtsarzt untersuchen zu lassen, wurde vom Präsidenten der FH Bund als zuständiger Behörde erlassen. 2. Verfahren Anhörungspflicht Bedenken hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen wegen eines möglichen Anhörungsmangels. Gem. § 28 I VwVfG muss die Behörde, bevor sie durch Ver- waltungsakt in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit geben, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Z hatte sich zwar im Rahmen der Information der FH Bund zu einer „Freistellung“ von einem möglichen Tätigkeitsverbot geäußert. Die Regelung des § 28 I VwVfG setzt jedoch voraus, dass sich der Beteiligte zum gesamten, aus Sicht der Behörde entscheidungserheblichen Sachverhalt, einschließlich wesentlicher Rechts- fragen, äußern können muss (vgl. Maurer a.a.O. § 19 Rn. 20; Pünder in: Ehlers, a.a.O. § 14 Rn. 29; Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Kallerhoff a.a.O. § 28 Rn. 42). Z hätte daher vor Erlass der Entscheidung des Präsidenten die Gelegenheit gegeben werden müssen, sich umfassend zu allen Sach- und Rechtsfragen, einschließlich der Auffassung der Behörde, zu äußern. Von der Anhörungspflicht bestehen jedoch Ausnahmen. § 28 II VwVfG 124 2/2011
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” führt hierzu fünf Regelbeispiele auf, bei deren Vorliegen auf die Anhörung verzichtet werden kann. So kann gem. § 28 II Nr. 1 Var. 2 VwVfG von der Anhörung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Im vorliegenden Fall wird offenbar zum Wohl und zum Schutz der Gesundheit anderer eine sofortige Ent- scheidung mit Blick auf Z für erforderlich gehalten. Eine weitere Tätigkeit des Z in der Hochschule könnte zu einer Infizierung einer unbestimmten Anzahl von Menschen führen und damit das öffentliche Interesse gefährden. Eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Anhörung im vorliegenden Einzelfall nach den Umständen aber tatsächlich nicht geboten war, vor allem was die Anordnung der wöchentlichen amtsärztlichen Untersuchungspflicht anbelangt, oder möglicherweise sogar ein Anhörungsverbot nach § 28 III VwVfG wegen der Wahrung überragender Gemeinschafts- interessen bestand, könnte jedoch dahinstehen, wenn selbst eine rechtswidrigerweise nicht Nachholung der Anhörung erfolgte Anhörung des Z noch heilbar wäre. Da die fehlende Anhörung keinen Nichtigkeits- grund i.S.d. § 44 I VwVfG darstellt, könnte die Anhörung gem. § 45 I Nr. 3 VwVfG noch im Widerspruchsverfahren geheilt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwal- ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN tungsgerichts ist die ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens gem. §§ 68 ff. VwGO als Nachholung der behördlichen Anhörung anzusehen (vgl. BVerwGE 54, 276 [280]; 66, 111 [114]; BVerwG NJW 1987, 143; 1989, 1873 [1874 m.w.N.]; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs a.a.O. § 45 Fn. 193). Hinweis: Die Auffassung der Rechtsprechung wird von vielen mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass dann § 45 I Nr. 3 VwVfG weitgehend leer liefe. Zu einer Heilung komme es nur, wenn der Betroffene nicht nur Gelegenheit zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs erhält, sondern sich die Widerspruchs- behörde auch mit seinem Vorbringen auseinandersetzt; vgl. hierzu Hufen a.a.O. § 8 Rn. 32; Stelkens/ Bonk/Sachs/Sachs a.a.O. § 45 Rn. 76, 79 f. Durch die Widerspruchseinlegung gem. § 69 VwGO hat Z die Möglichkeit wahrgenommen, sich zu den Verwaltungsakten und den ihm im Bescheid mitgeteilten behördlichen Erwägun- gen zu äußern. Damit ist mit der Rechtsprechung jedenfalls eine Heilung erfolgt. Der Bescheid ist insoweit formell rechtmäßig ergangen. Die nach § 39 I 1 VwVfG erforderliche Begründung des Bescheids liegt ausweislich des Sachverhalts vor. Auch wurde der Bescheid dem Z ordnungsgemäß bekannt gegeben gem. § 41 II VwVfG. 3. Form Formfehler sind nicht ersichtlich. Spezielle Formvorschriften existieren vorliegend nicht, wes- halb die allgemeinen Formvorschriften des § 37 II – V VwVfG greifen. Die Behörde durfte sich der Schriftform bedienen, wobei mangels gegenteiliger Sachverhaltsangaben davon aus- zugehen ist, dass der Bescheid auch unter Beachtung der Voraussetzungen des § 37 III VwVfG erlassen wurde. III. Materielle Rechtmäßigkeit des Bescheids Der Bescheid ist materiell rechtmäßig, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Er- mächtigungsgrundlage für die angeordneten Maßnahmen (das berufliche Tätigkeitsverbot und die Untersuchungspflicht) erfüllt sind und die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat. 1. Materielle Rechtmäßigkeit des beruflichen Tätigkeitsverbots a) Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 IfSG § 31 IfSG setzt u.a. voraus, dass eine Person an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist (sog. Kranker gem. § 2 Nr. 4 IfSG). Die Schweinegrippe ist eine übertragbare Krankheit, mit der sich Z, wie von seinem Vertrauensarzt bestätigt, infiziert hat. Somit sind die tatbestandli- chen Voraussetzungen des § 31 IfSG erfüllt. b) Ermessen Ermessensausübung i.R.d. § § 31 IfSG schreibt das berufliche Tätigkeitsverbot nicht zwingend vor, sondern stellt es in das 31 IfSG Ermessen („kann“) der zuständigen Behörde. Zu prüfen ist daher, ob der Präsident der FH Bund ermessensfehlerfrei gehandelt hat. Mögliche Ermessensfehler stellen die Ermessensüber- schreitung, der Ermessensnichtgebrauch und der Ermessensfehlgebrauch dar (vgl. Sachs a.a.O. § 40 Rn. 62 ff.). Insbesondere ist ein Grundrechtsverstoß regelmäßig als Ermessensfehler zu bewerten (vgl. Maurer a.a.O. § 7 Rn. 23; Peine Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2008, Rn. 222). Der Präsident hat sich unmittelbar und umfassend mit den Erwägungen des lediglich beratende Funktion ausübenden Schweinegrippeausschusses befasst und in der Begründung 2/2011 125
ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN · BASICS KLAUSUR ÖFFENTLICHES RECHT · „TÄTIGKEITSVERBOT WEGEN...” seines Schreibens auf die Übertragbarkeit des Schweinegrippevirus und die damit bestehende erhebliche Infektionsgefahr abgestellt. Somit hat er Ermessensüberlegungen angestellt und sich dabei vom Zweck des IfSG, mit dem u.a. die Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten verhindert werden soll, leiten lassen. Wie oben bereits festgestellt, liegt auch kein nicht gerecht- fertigter Grundrechtseingriff durch das berufliche Tätigkeitsverbot vor. Wahrung des Das berufliche Tätigkeitsverbot wäre allerdings unzulässig, wenn es sich als unverhältnis- Verhältnismäßigkeitsgrund- mäßig darstellen würde. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat drei Regelungsgehalte: die satzes Maßnahme muss zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein (vgl. Maurer a.a.O. § 10 Rn. 17). Das berufliche Tätigkeitsverbot für Z ist geeignet, das Ziel, die Weiterverbreitung der Krank- heit zu verhindern, durchzusetzen. Fraglich ist, ob das Tätigkeitsverbot auch erforderlich gewesen ist. Erforderlich ist eine Maßnahme nur, wenn das Ziel nicht auf andere, weniger belastende Art ebenso gut erreicht werden kann. Ein milderes Mittel als das Tätigkeitsverbot an der Hochschule bis zur vollständigen Genesung des Z (s. insoweit auch § 28 IfSG „solange“) ist vorliegend angesichts der Gefährlichkeit des Virus und dem nicht auszuschließenden Umstand, ÜBUNGSBLÄTTER STUDENTEN dass bei einer Infizierung mit dem Schweinegrippevirus auch Menschen sterben können, nicht ersichtlich. Fraglich ist noch, ob das Tätigkeitsverbot auch verhältnismäßig ist. Zu beachten ist hier, dass die Behörde dem Z die berufliche Tätigkeit nicht vollständig untersagt, sondern nur insoweit, als es um die Tätigkeit an der Hochschule geht (vgl. insoweit auch § 28 IfSG „soweit“). Damit Z seinen nicht lehrbezogenen Verpflichtungen auch weiterhin nachgehen kann, wird dem Z im Bescheid sogar die Möglichkeit eines Telearbeitsplatzes zu Hause angeboten. So hat Z u.a. weiterhin die Möglichkeit, mit den Studierenden in Kontakt zu bleiben. Sein Interesse an einer eigenen Unterrichtung des Laufbahnprüfungs-Kurses kann das Interesse an einer Ver- hinderung der Verbreitung der Schweinegrippe nicht überwiegen. Insgesamt gesehen ergibt sich, dass das Ausmaß der Belastung für Z nicht außer Verhältnis zu dem mit der Maßnahme verfolgten Zweck steht. Vielmehr wiegt das öffentliche Interesse an einer Verhinderung der Infizierung wesentlich schwerer als das Interesse von Z an einer weiteren Lehrtätigkeit. Damit ist auch die Zumutbarkeit für Z gegeben. Das Tätigkeitsverbot an der Hochschule bis zur vollständigen Genesung des Z ist mithin auch nicht unverhältnismäßig. Die Behörde hat bei Gebrauch des ihr gem. § 31 i.V.m. § 28 IfSG eingeräumten Ermessens somit ermessensfehlerfrei und damit rechtmäßig gehandelt. Dass das zur Bekämpfung der Schweinegrippe angeordnete berufliche Tätigkeitsverbot nicht zweckmäßig ist bzw. dass andere Maßnahmen zweckmäßiger wären, ist nicht zu erken- nen. Das berufliche Tätigkeitsverbot ist daher auch unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. 2. Materielle Rechtmäßigkeit der wöchentlichen Untersuchungspflicht beim Amtsarzt Ermächtigungsgrundlage für Die Anordnung der wöchentlichen Untersuchungspflicht beim zuständigen Amtsarzt wird von die Untersuchungspflicht der Ermächtigungsgrundlage des § 28 IfSG möglicherweise nicht gedeckt. Die danach von der zuständigen Behörde zu treffenden Schutzmaßnahmen haben solche zu sein, die zur Verhin- derung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich sind. Allein mit der regelmäßi- gen Untersuchungspflicht aber wird die Verbreitung der Krankheit noch nicht verhindert. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass mit einer wöchentlichen Untersuchung im Fall der Genesung eine wiederholte Infizierung schnell entdeckt und bekämpft werden kann und man zumindest insoweit eine Verhinderung der Verbreitung der Krankheit annehmen wollte, könnte jedoch nicht von einer rechtmäßigen Anordnung ausgegangen werden. Denn es ist nicht ersicht- lich, inwiefern die Verhinderung durch eine wöchentliche Untersuchung beim zuständigen Amtsarzt besser gelingen sollte als durch eine Untersuchung des Vertrauensarztes; insoweit trägt auch die Behörde nichts vor. Der Prüfungsmaßstab der Erforderlichkeit als Regelungs- gehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bedeutet, dass es kein weniger belastendes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckerreichung geben darf. Z hat die Hochschule bereits darüber informiert, dass er von seinem Vertrauensarzt von nun an wöchentlich untersucht wird und ohne Aufforderung durch seinen Arzt die Hochschule regelmäßig über den Verlauf seiner Krankheit unterrichten wird. Die ergänzende Untersuchungspflicht durch den zuständigen Amtsarzt stellt daher keine weniger belastende, notwendige Schutzmaßnahme dar, die zur Ver- hinderung der Verbreitung der Schweinegrippe erforderlich wäre. Die angeordnete Unter- suchungspflicht ist mithin jedenfalls unverhältnismäßig und damit materiell rechtswidrig. Somit lässt sich festhalten, dass der Bescheid vom 28.01.2010 hinsichtlich der angeordneten Untersuchungspflicht materiell rechtswidrig ist. Insoweit verletzt er den Z auch zumindest in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG. ENDERGEBNIS: Der Widerspruch des Z ist damit zwar zulässig, aber nur teilweise – mit Blick auf die angeordnete Untersuchungspflicht – begründet. 126 2/2011
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