Teilhabe - nur ein Wort? - Erwachsene und alternde Menschen mit Komplexer Behinderung wollen teilnehmen! - Fachschule für Sozialwesen

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Teilhabe - nur ein Wort? - Erwachsene und alternde Menschen mit Komplexer Behinderung wollen teilnehmen! - Fachschule für Sozialwesen
Teilhabe – nur ein Wort?
Erwachsene und alternde Menschen mit Komplexer
        Behinderung wollen teilnehmen!
                Prof.‘ in Dr. Barbara Fornefeld

             Vortrag im Rahmen der 23. Fachtagung der
     Fachschule für Sozialwesen des Johannes-Diakonie Mosbach
                           am 10.06.2021
Teilhabe - nur ein Wort? - Erwachsene und alternde Menschen mit Komplexer Behinderung wollen teilnehmen! - Fachschule für Sozialwesen
Inhalt:
¬ Um wen geht es?
  Wer sind die Menschen mit Komplexer Behinderung?

¬ Teilhabe – nur ein Wort?
  Kooperativ – kommunikatives Teilhabe-Verständnis

¬ Was wollen Menschen mit Komplexer Behinderung?
  Bedürfnisse und Bedarfe der Personengruppe

¬ Wie kann Teilhabe mit ihnen realisiert werden?
  Kooperation in der Teilhabewerkstatt©
I. Menschen mit Komplexer Behinderung
Menschen mit

¬ geistiger Behinderung und hohem Unterstützungsbedarf, mit kognitiven,
  körperlich-motorischen und /oder Sinnesbeeinträchtigungen;
¬ geistiger Behinderung und schwierigem Verhalten;
¬ schwerer Autismus-Spektrum-Störung;
¬ mit geistiger Behinderung und psychischen Störungen;
¬ mit geistiger Behinderung und Multimorbidität (Mehrfacherkrankung);
¬ alternde und alte Menschen mit geistiger Behinderung (vgl. Fornefeld et al 2019)
Menschen mit Komplexer Behinderung
¬ Der Name Menschen mit Komplexer Behinderung umfasst verschiedene
 Personengruppen mit ähnlichen Exklusionserfahrungen;

¬ Sie stellen vergleichbare Anforderungen an das Unterstützungssystem;

¬ Der Name verbindet eine heterogene Gruppe, damit ihre Rechte eingefordert
 und die Ansprüche Einzelner leichter durchgesetzt werden können.(vgl. Fornefeld
 2021)

 Menschen mit Komplexer Behinderung werden zur Bewährungsprobe
                    für das Teilhabe – Gebot!
Mehrdimensionales Verständnis von Teilhabe
¬ Teil-Sein als Ausdruck der ungeteilten bürger- und sozialrechtlichen Zugehörigkeit
  zum ‚Ganzen‘ der Gesellschaft und das Gefühl, in einer lokalen Gemeinschaft
  respektiert zu sein und gebraucht zu werden.

¬ Teilhabe als Einbeziehung in gesellschaftliche Aktivitäten und Entscheidungen,
   aber auch die Teilhabe an gesellschaftlichen Gütern wie Sicherheit, Wohnung,
   Arbeit und Soziale Leistungen.

¬ Teilnahme als aktiver Aspekt, der eine Aufforderung und die Chance enthält, die
   Bürgerrolle engagiert wahrzunehmen, Gestaltungsmacht und Möglichkeiten zu
   nutzen, die Lebensbedingungen im eigenen lokalen Lebensumfeld
   mitzubestimmen und durch eigene Ideen und Handeln zu bereichern.“
  (nach Kardorff 2010 in DHG 2021, 17)
Menschen mit Komplexer Behinderung verdienen Respekt
und Anerkennung für ihre Lebensleistung!

Diese Forderung entspricht den heutigen Vorstellungen von
Selbstbestimmung, Freiheit und Leistung nicht.
(vgl. Fornefeld 2021)
II. Teilhabe ist mehr als nur ein Wort!

¬ Teil einer Gemeinschaft zu sein und an ihr Teil zu haben
  sind existentielle Bedürfnisse des Menschen.

¬ Sie gehören zum Menschsein und verlangen immer
  wieder aufs Neue nach Bestätigung. (vgl. Fornefeld et al 2019)
Kooperativ-kommunikatives Verständnis von Teilhabe

¬ Der kommunizierende Mensch ist zur Kooperation mit Anderen fähig.

¬ Im Kommunizieren und Kooperieren mit Anderen zeigt sich sein
  prosoziales, helfendes und sorgendes Verhalten.

¬ Auf Kooperation angelegtes menschliches Handeln wird durch
  Erziehung und Kultur geformt.

¬ Es ist aber weniger Folge von Kultur, als vielmehr eine ihrer
  Voraussetzungen. (vgl. Fornefeld 2021)
„Wenn wir dasselbe Gefühl im Hinblick auf eine bestimmte
gemeinsame Erfahrung haben, trägt das dazu bei, dass wir uns
psychologisch einander näher fühlen.“
(Tomasello 2009, 227)

Mit dem Menschen mit Komplexer Behinderung verbindet uns die
Fähigkeit zu kooperieren, ebenso einander intentional, absichtsvoll
und verstehend zu begegnen.
(vgl. Fornefeld 2021)
III. Was wollen Menschen mit Komplexer Behinderung?

Definition - Bedürfnis:

¬ Bedürfnis beschreibt ein subjektiv empfundenes Verlangen, das
  menschliches Handeln beeinflusst. (vgl. Dins et al 2021)

¬ Jeder Mensch ist sein Leben lang bestrebt, seine vielfältigen
  Bedürfnisse zu verwirklichen. (vgl. ebd.)
III. Erwachsene mit Komplexer Behinderung wollen:
¬ angesprochen, gehört und verstanden werden;
¬ als Erwachsene mit eigener (institutionsunabhängiger) Lebensgeschichte
  und Lebenserfahrung wahr- und ernstgenommen werden;
¬ ihre privaten Kontakte pflegen und entwickeln;
¬ ihre eigene Identität im Kontakt mit der sozialen und dinglichen Umwelt
  ausleben;
¬ sich selbst entscheiden und tätig sein können;
¬ im Gruppenleben ihre Privatsphäre gewahrt wissen und (mit-)gestalten
  können; (vgl. Fornefeld et al 2019)
III. Erwachsene mit Komplexer Behinderung wollen:

¬ wechselnde kulturelle und arbeitsbezogene Angebote bekommen;
¬ wissen, dass ihre physische und psychische Verfassung wahrgenommen
  und in der gesundheitlichen Versorgung unterstützt wird;
¬ in einer Atmosphäre leben, die von Beständigkeit und Verlässlichkeit
  sozialer Beziehungen geprägt ist und Aufmerksamkeit, Geborgenheit
  und Nähe vermittelt;
¬ an einem Ort leben, der Schutz, Sicherheit und Orientierung bietet.
 (vgl. Fornefeld et.al 2019)
Bedürfnisspektrum®

(in: Fornefeld et al 2019)
Von Bedürfnissen zu Bedarfen

Professionelle Handlungsbedarfe entstehen immer dann,
wenn sich eine Person bei der Verwirklichung ihrer
Bedürfnisse nicht mehr selbst behelfen kann und darum die
Unterstützung durch andere braucht.
(vgl. Dins et al. 2021)
Teilhabeorientierte Lebensbegleitung ¬ Anforderungen
an Fachkräfte:
¬ Direkte Zuwendung, die Beziehung zum Menschen mit Komplexer
  Behinderung;
¬ Akzeptanz und Wertschätzung als Person;
¬ Wahr- und Annehmen der individuellen Zeichen der Person;
¬ Bereitschaft zum Erwidern, d.h. zum Austausch mit der Person über
  das Gezeigte mit dem Ziel, ihre Bedürfnisse und Wünsche zu
  verstehen;
¬ Ist keine für beide zufriedenstellende Antwort zu finden, ist die
  Fachkraft aufgefordert im Team Unterstützung zu suchen. (vgl. Fornefeld
 2021)
IV. Wie kann Teilhabe mit den Menschen mit
Komplexer Behinderung realisiert werden?

               Erkennen und Verstehen
               der sich ändernden
               Bedürfnisse und Bedarfe
               der Menschen!
IV. Erwachsene mit Komplexer Behinderung wollen
  erwachsenengerechte Bildungs- und Arbeitsangebote:

 ¬ Bewegungs- und    Sportangebote;
 ¬ Kreatives Arbeiten und Spielen;
 ¬ Musik und Tanz;
 ¬ Literatur und Film;
 ¬ Arbeitsweltbezogene Tätigkeiten;
 ¬ Natur u. v. a. m.
Grenzen der
                               sozialen und
                                kulturellen
                               Teilhabe von
                               Menschen mit
                                Komplexer     § Grundrecht
                               Behinderung
                                              auf Teilhabe

widersprüchliche
Erwartungen
ausbalancieren
                           fachliche,
                         institutionelle
                        und persönliche
                        Erwartungen an
                        Professionalität

vgl. Fornefeld 2021 a
¬ Die Lebenslagen der Menschen mit gravierenden Beeinträchtigungen
  sind überaus komplex.
¬ Je komplexer die Lebenslage eines Menschen, desto mehr müssen die
  begleitenden Fachkräfte wissen.
¬ Niemand kann alles wissen!

                    Teilhabe braucht die interdisziplinäre,
                    institutionsübergreifende Kooperation
                    der Fachkräfte miteinander!
 vgl. Fornefeld 2021, 2021a
IV.   Teilhabewerkstatt©

¬ Die Teilhabewerkstatt© ist zentrales Element der Teilhabeorientierten
  Lebensbegleitung von Menschen mit Komplexer Behinderung.

¬ Ihre Aufgabe ist die Analyse der Bedürfnisse einer Person und die sich
  hieraus ergebenden teilhabeorientierten Handlungsbedarfe.

¬ Mit der Teilhabewerkstatt © wird eine Methode zur gemeinsamen
  Gestaltung interdisziplinärer und institutionsübergreifender Analyse-,
  Planungs-, und Entwicklungsprozesse vorgestellt. (vgl. Fornefeld 2021)
Arbeiten nach dem Modell der Teilhabewerkstatt©
I. Erfassen der individuellen Bedürfnisse im
Austausch zwischen einem Menschen mit
Komplexer Behinderung und
professioneller Begleitperson                    Bedürfnis - Ebene
II. Analyse der Bedürfnisse und Bedarfe im
interdisziplinären,
institutionsübergreifenden Kontext

III. Planung und Entwicklung
institutionsübergreifender Maßnahmen,           Bedarfs- &
Methoden, Kommunikations- und                   Entwicklungsebene
Hilfsmittel zur Erweiterung der
Teilhabemöglichkeiten des Menschen mit
Komplexer Behinderung
                                               Umsetzungs- und Strukturebene
  (vgl. Fornefeld 2021a)
IV.   Teilhabewerkstatt©

Die Teilhabewerkstatt geht mit ihrer Ausrichtung auf die
unmittelbaren interaktionalen Prozesse zwischen dem
Menschen mit Komplexer Behinderung und Fachkräften
den standardisierten Bedarfsermittlungsinstrumenten
der Eingliederungshilfe voraus.
Idee: Prof‘in Dr. Barbara Fornefeld
Design: Prof‘in Katja Becker
Druck: Bonner Werkstätten – Lebenshilfe Bonn
Quellen:
¬ Deutsche Heilpädagogische Gesellschaft (DHG) (2021): Standards zur Teilhabe von Menschen mit kognitiver
  Beeinträchtigung und komplexen Unterstützungsbedarf. Stuttgart
¬ Dins, Timo; Keeley, Caren; Smeets, Stefanie (2021): Bedürfnisse im Leben von Menschen mit Komplexer
  Behinderung. In: Tiesmeyer, Karin; Koch, Friederike (Hrsg.): Wahlmöglichkeiten sicher! Wohnwünsche von
  Menschen mit Komplexer Behinderung. Stuttgart
¬ Fornefeld, Barbara; Keeley, Caren; Dins, Timo, Smeets, Stefanie; Schaad, Alexandra (2019 & 2020):
  Abschlussbericht des Modellprojektes "Teil ¬ sein & Teil ¬ haben"®. Verfügbar unter: https://kups.ub.uni-
  koeln.de/11815/1/Projektbericht_teilsein-teilhaben_2019.pdf (DOI 10.18716/kups.11815)
¬ Fornefeld, B. (Hrsg.) (2021): Teil ¬ sein & Teil ¬ haben®. Wünschen – Gestalten – Leben. Wissenswertes zur
  teilhabeorientierten Lebensgestaltung Erwachsener mit Komplexer Behinderung. Düsseldorf
¬ Fornefeld, B. (2021a): Interdisziplinäres ¬ Teilhabe ¬ Instrument. Bedürfnisse erkennen ¬ Teilhabe gestalten.
  Handbuch zum Instrument. Kubus e.V. Köln
¬ Tomasello, Michael (2009): Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Frankfurt/M.

¬ und viele andere mehr – nachzulesen in den o.a. Quellen
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