Tennis mal anders: Erhalt, Bewahrung und Vermittlung - des vfm
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Tennis mal anders FACHBEITRÄGE 39 Tennis mal anders: Erhalt, Bewahrung und Vermittlung Oder: Was Schüler heute von Computerspielen aus dem Jahr 1958 lernen können (Eine Fallstudie) Von Canan Hastik KURZFASSUNG Seit Ende der 90er gilt der Zuse Z3 (1941) mit 600 Noch vor der ersten kommerziellen Vermarktung gab Relais im Rechenwerk und 2400 Relais im Speicher- es Erfindungen mit Pioniercharakter, die den heuti- werk [Rojas, 1998] als erster voll funktionsfähiger, gen Computer- und Videospielen vorausgingen. Be- frei programmierbarer und programmgesteuerter bi- reits 1958 standen hunderte von Besuchern an, um närer Rechenautomat und wird ferner als erster das erste elektronische Tennisspiel, eine zweidimen- Computer bezeichnet. In den darauf folgenden Jahren sionale Tennis-Simulation, auf dem nur 12,7 cm klei- kam eine technologische Neuerung nach der ande- Canan Hastik nen Bildschirm eines Kathodenstrahlröhren-Oszil- ren hinzu. Von der Verwendung der Lochkarte als er- Hochschule Darmstadt loskops zu spielen. Im Rahmen des Promotionspro- sten Programm-Datenträger (EDVAC, 1944), der Grund- IKuM - Institut für jektes zum Erhalt und der Bewahrung komplexer lage der ersten grafischen Schnittstelle zur Visuali- Kommunikation und Medien multimedialer interaktiver Medien am Beispiel von sierung von Daten (Whirlwind, 1945-52) und einer Mediencampus elektronischen Spielen wurde in einer ersten Fallstu- neuen Interaktion mit dem sog. Lichtgriffel (1949), Max-Planck-Straße 2 D-64807 Dieburg die, auf Basis des verfügbaren Dokumentations- dem ersten Festplattensystem RAMAC mit der Ka- Fon +49.6151.16-9431 materials, dieses Werk wieder ins Leben gerufen. pazität von fünf Megabyte (1955), der Erfindung der Fax +49.6151.16-9281 canan.hastik@h-da.de Zusammen mit der Aufarbeitung der Dokumentation Transistortechnologie für die J. Bardeen, W. H. Brat- werden Kriterien, Probleme und Potentiale darge- tain und W. B. Shockley 1956 mit dem Nobelpreis stellt, die sich im Zusammenhang mit der Überlie- ausgezeichnet wurden bis hin zur Entwicklung des ferung von audiovisuellen Medienwerken ergeben. integrierten Schaltkreises (1958), für die Jack Kilby 2000 ebenfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. 1. OBJEKTE DER Elektronische Analogrechner wurden seit 1940 bis in TECHNOLOGIEGESCHICHTE die 80er Jahre hinein in einer Vielzahl von Bereichen Die Geschichtsschreibung rund um die Computer- der Technik- und Ingenieurwissenschaften einge- und Videospieltechnologie ist nicht nur lückenhaft, setzt [Ulmann, 2010]. Man nutzte die Maschinen, um sondern leider oft auch parteiisch gepflegt [Stöcker, komplexe mathematische Verfahren zu berechnen 2011]. Informationen sind inkonsistent und zudem und Steuerungs- und Regelungssysteme zu entwik- häufig nur schwer zugänglich. keln, die vor allem in der Rüstungsindustrie und Raumfahrt Verwendung fanden. In diesem Zusam- Am Anfang steht die Maschine menhang stellt der Computer ein Hilfsmittel und Während sich Computer-Historiker erstmals 1998 Werkzeug dar, um Prozesse zu erleichtern und zu auf einer internationalen Konferenz zur Geschichte verbessern. Die schnellen Fortschritte auf dem der Informatik in Paderborn (International Confe- Gebiet der Digitalrechner jedoch sowie die zuneh- rence on the History of Computing, ICHC) darüber mende Miniaturisierung und der anhaltende Gigan- verständigten, welche Merkmale eine Rechenma- tismus heute führen nicht nur zu einer noch effizien- *Vortragsmanus- schine haben muss, um Computer genannt zu wer- teren und leistungsfähigeren Nutzung, sondern auch kript (gehalten auf der Frühjahrsta- den, beschäftigen sich inzwischen immer mehr wis- zu einem Vergessen der Analogtechnik und ihrer gung des vfm am senschaftliche Disziplinen damit, welchen Einfluss Methoden, die prägend für die Technikentwicklung 17. April 2012) Computersysteme auf die Kultur oder die Kreativität waren. haben [Montfort, 2009] und welche Rolle dabei die Interaktivität spielt [Grodal, 2000; Krotz, 2008].
40 FACHBEITRÄGE info 7 2|2012 Der Computerbegriff in der deutschen mit 50.001-100.000 Mal am häufigsten belegt. Gegenwartssprache Daraus wird eine allgemeine Tendenz deutlich, in welchem Sinnzusammenhang heute in der deut- In der Wortherkunft bedeutet das lateinische Wort schen Gegenwartssprache der Begriff „Computer“ „computare“ so viel wie „rechnen“ und „berechnen“. steht und in welchem Kontext die Oberbegriffe häu- Noch heute ist der Begriff „Computer“ vor allem fig Verwendung finden. So scheint der Computer ge- durch die Interpretations- oder Bedeutungsvariante genwärtig viel mehr als ein Medium und weniger als „Rechner“ in seiner Leseart geprägt. Schon längst hat eine Maschine, ein Werkzeug, ein Arbeitsmittel oder der Begriff jedoch eine Bedeutungserweiterung er- ein Arbeitsgerät wahrgenommen zu werden. Laut fahren und repräsentiert nicht mehr nur eine reine Duden Online repräsentiert der Begriff „Medium“ Rechenmaschine. ein vermittelndes Element, einen Apparat zur Ver- mittlung von Information und Kulturgütern und ein Kommunikationsmittel. In diesem Zusammenhang Abb 1: Der wird der Computer jedoch nicht als Massenmedium Computerbegriff in der deutschen definiert [Duden, 2012]. Gegenwarts- Dennoch hat die Computertechnik die breite sprache Masse längst erreicht, ist ein massenhaft genutztes und massenhaft nutzbares multimediales und inter- aktives Medium, das alle schriftlichen, optischen und elektrischen Medien zu einem Medium zum Verschmelzen bringt [Coy, 1994]. Exkurs in die Computer- und Videospielgeschichte Zugang zur neuen Technik, die schon damals eine unglaubliche Faszination besaß, hatten anfangs nur hochspezialisierte Mathematiker und Wissenschaft- ler, die im Auftrag des zahlungskräftigen amerikani- schen Militärs Rechenprogramme entwarfen und steckten, Daten vorbereiteten, den Rechenprozess über- wachten und Ergebnisse auswerteten. Bereits in die- ser Zeit entstanden die ersten elektronischen Spiele. Im Online-Wortschatzinformationssystem (OWID), ei- Als das erste funktionierende Spiel überhaupt nem stets aktuell gehaltenen Portal des Instituts für gilt OXO, ein Tic-Tac-Toe-Spiel aus dem Jahre 1952, Deutsche Sprache in Mannheim für wissenschaftli- welches im Rahmen der Doktorarbeit zum Thema che, korpusbasierte Lexikografie der deutschen Ge- Mensch-Maschine-Interaktion von A.S. Douglas an genwartssprache mit über 300.000 Einträgen, wird der Cambridge University in England entstand. Der von dem sprachlichen Ausdruck „Rechner“ auf Be- Vollständigkeit halber wird an dieser Stelle auf die ziehungen der Überordnung verwiesen. Im Vergleich, erste patentrechtliche Sicherung einer technischen der Wortschatz der deutschen Standardsprache um- Spielidee eingegangen, die wohl nie umgesetzt fasst ca. 75.000 Wörter, die Gesamtgröße des deut- wurde: 1948 wurde von Thomas Goldsmith, Cedar schen Wortschatzes wird je nach Quelle und Zähl- Grove und Estle Ray Mann das erste US Patent weise auf 300.000 bis 500.000 Wörter bzw. Lexeme „Cathode-Ray Tube Amusement Device“ beantragt. geschätzt [Wikipedia, 2012]. Die Oberbegriffe lassen Inspiriert von Radarbildschirmen aus dem zweiten sich basierend auf die Verteilung und Belegung im Weltkrieg wurde ein Raketen-Spiel mit Bildschirm- elexiko-Korpus [elexio, 2012] nach ihrer Häufigkeit folien konzipiert. Das Konzept der Folien wurde Ende sortieren. Die entsprechenden Wortbildungsprodukte, der 60er von Ralph Baer erneut aufgegriffen und mit also Komposita und Derivate, die zur Wortschatzer- der ersten Videospielkonsole kommerziell vermark- weiterung durch Bedeutungs- und Bezeichnungswan- tet. Der Deutschamerikaner gilt bis heute als Vater del dienen, werden dann für jeden Oberbegriff auto- der Videospiele. matisch ermittelt und ebenfalls nach Häufigkeit sor- 1958 wurde für einen Tag der offenen Tür am tiert gelistet. Brookhaven National Laboratory in New York, eine Die Grafik veranschaulicht die Häufigkeitsver- gemeinnützige Bildungseinrichtung der Atomener- teilung der Oberbegriffe in Relation zu dem Begriff giebehörde in den USA, das erste Computerspiel ge- „Computer“. Während der Oberbegriff „Arbeitsmittel“ zielt zur Unterhaltung der Öffentlichkeit entwickelt. 101-500 mal belegt ist, ist der Oberbegriff „Medium“ Es war das erste Spiel, bei dem die Spielgrafik voll- ständig in Echtzeit auf einem Bildschirm veran-
Tennis mal anders FACHBEITRÄGE 41 schaulicht wurde. Zudem war es das erste Sportspiel zu unterhalten und zu begeistern. Heute sind und das erste Spiel, das zwei Steuereinheiten für Computer- und Videospiele ein wichtiger Bestandteil zwei Spieler besaß. Die Rede ist von „Tennis for Two“, der gegenwärtigen Unterhaltungselektronik und einer zweidimensionalen Tennis-Simulation (Vgl. Technikkultur. Abb.2). Bei der Umsetzung verwendete man An- wendungs- und Programmierbeispiele des vorhande- nen „portablen“ analogen Tischcomputers (Systron Donner), wie das Springen eines Balls oder die Flugbahn von ballistischen Raketen und simulierte so die Tennisregeln, Netzball, Rückschlag, Schmet- terball und Gewinnerschlag. Die Simulationser- gebnisse und somit auch die Spielgrafik wurden an einem Oszilloskop dargestellt. Das Spiel war ein Hit. Am Tag der offenen Tür, dem 18. Oktober 1958, stan- den erstmals hunderte von Besuchern stundenlang an, um dieses interaktive elektronische Tennisspiel zu spielen. Simuliert wurde die seitliche Ansicht ei- nes Tennisplatzes mit einer horizontalen Bodenlinie und einer senkrechten Linie, die das Netz repräsen- tierte. Mit zwei Steuerboxen konnte der Ball abge- schlagen und seine Flugkurve variiert werden. Die Elektronik bestand aus Widerständen, Kondensatoren und Relais. Für schnelle Schaltvorgänge wurden Transistorschaltungen verwendet. W. Higinbotham verbesserte im darauf folgen- den Jahr seine Simulation und bot den Besuchern weitere Spielvarianten an, in denen die Gravitati- onskräfte von Mond oder Jupiter simuliert wurden, und ließ sie an einem Oszilloskop mit einer größeren Bildschirmdiagonale von fast 40 cm spielen. Als der Analogcomputer schließlich für neue Anwendungen eingesetzt werden sollte, wurde die Installation de- montiert und die entstandene Dokumentation im Archiv untergebracht. Abb 2: Tennis for Two 2. FORSCHUNGSFOKUS Aufbau, 1958 [BNL, 1960 entstand am Massachusetts Institute of 2012] Technology (MIT) das bekannteste Freizeit-Compu- Die wachsende Popularität und Bedeutung der Tech- terspiel aus der Pionierzeit: „Spacewar!“. Aus Forsch- nikkultur und die damit verbundene Flüchtigkeit un- ergeist und Begeisterung am kreativen Umgang mit serer Technikgeschichte lässt innovative und zu- der neuen Technologie schlossen sich diverse Com- kunftsweisende Forschungsprojekte und Partner- puterenthusiasten unter den Studenten zusammen. schaften auf dem Gebiet der archäologischen Die „Hacker“ programmierten und arbeiteten ge- Medienforschung entstehen. meinsam und erfanden mit Begeisterung Spiele, die man auf den damaligen Maschinen spielen konnte. Museen und Sammlungen als Laboratorien Bei „Spacewar!“ ging es in seiner Grundform darum, der interdisziplinären Zusammenarbeit feindliche Raumschiffe mit Raketen zu vernichten, Eines der größten Computerspiele-Archive betreibt während die Schiffe mit realistischen Ausweich-, die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Schub-, und Kippbewegungen gesteuert werden Seit 1994 beherbergt sie mehr als 17.000 Titel [USK, konnten und von dem Schwerkraftsog eines nahen 2012]. In Kooperation mit dem Computerspiele Mu- Planeten beeinflusst wurden [Hanson, 1982]. seum in Berlin setzen sie sich für den Erhalt und die Die Institutionen versuchten anfangs das hobby- Bewahrung von Computer- und Videospielen ein. Um und spaßorientierte Treiben zu unterbinden, doch den Forschungsfokus auch auf ältere Spiele der die Hacker suchten nach immer einfallsreicheren 1980er Jahre auszuweiten, kooperiert das Com- Wegen, um Spiele zu entwickeln und zu spielen. Die puterspiele Museum mit der Gamer-Community und Variabilität der Transistortechnologie und die Tat- Underground-Emulatoren-Szene [Janssen, 2012]. sache, dass ihre Komponenten zunehmend im freien Trotz rechtlicher Grauzone widmet sich die Handel verfügbar waren, hat in den 70ern schließ- „Gamer-Community“ schon seit Ende der 80er Jahre lich eine Revolution angestoßen, die darauf gründete, dem Erhalt und der Bewahrung von Computer- und
42 FACHBEITRÄGE info 7 2|2012 Videospielen und erstellt digitale Archive, die über Fokus des Promotionsprojektes ist zunächst die das Internet verfügbar sind. Dabei liegt der Fokus wissenschaftliche Erschließung, Bewahrung und vorrangig auf „Abandonware“, also Spielen, die kom- Zugänglichkeit eines umfassenden Sammlungsbe- merziell nicht mehr erhältlich sind oder als verschol- standes von Spiele-Hardware und entsprechender len gelten. Allein für den Commodore C64 wird in Peripherie. Dabei werden diese Apparaturen auf ihre speziellen Netzwerken ein Archiv mit weit über Spezifikationen hin untersucht und der Einfluss der 10.000 Titeln zum Download bereitgestellt. Parallel Technik auf die Nutzung einer informations- und kul- hierzu bietet die Emulatoren-Szene seit Mitte der turwissenschaftlichen Analyse unterzogen. Im 90er Jahre verschiedene Hardware-Emulatoren an Zentrum der Betrachtung stehen die Interdisziplinäre und ermöglicht somit die Spielbarkeit der in virtuel- Verwendung der Technik und der experimentelle len Archiven gesammelten Artefakte. Ein erwähnens- Umgang zur Entwicklung ästhetischer Ausdrucks- wertes Projekt ist MAME, Multiple Arcade Machine formen, wie Computer- und Videospielen. Emulator [MAME, 2012]. Zusammen mit einem um- Die gewonnenen Erkenntnisse über einen wis- fangreichen Spiel-ROM-Archiv von mehreren tau- senschaftlich erfassten und analysierten Fundus an send klassischen Arcade-Spielen wird eine Windows- Apparaturen unterschiedlicher Technikären liefert basierte Emulationsumgebung angeboten, die Spiele die Basis für einen Transfer von Technologie- und so originalgetreu wie möglich wiedergibt. Eingebaut Methodenwissen. Insbesondere sollen Erkenntnisse in ein Originalgehäuse eines Arcade-Automaten er- darüber gewonnen werden, was und in welcher Form reicht man so ein Box-System, das mit einer entspre- Kulturgüter der Technikgeschichte bewahrt, tradiert chenden Peripherie, wie einem Joystick, Trackball und erinnert werden sollten. oder einer Lichtpistole, die Spiele mit spieltypischen Interaktionsmöglichkeiten spielbar macht und somit 3. ERHALT UND BEWAHRUNG IM auch einen Ansatz der Erhaltung des sonst zu oft ver- KONTEXT DER FORSCHUNG nachlässigten sogenannten „Look & Feel“ ermöglicht. Physisch vorhandene und bedeutende Schätze Die UNESCO definiert allgemein das digitale techno- schlummern jedoch meist in privaten und gemein- logische Erbe als bedeutende Ressource der mensch- nützigen Sammlungen. Der Retrogames e.V. in Karls- lichen Erkenntnis und des Ausdrucks mit einem blei- ruhe beispielsweise beherbergt einer der größten benden Wert, den es zu erhalten und zu bewahren Sammlung an originalen Arcade-Spielautomaten gilt [UNESCO, 2003]. Im Brockhaus wird das Kultur- [RetroGames, 2012]. Die meisten sind bespielbar und erbe als überlieferte kulturelle Werte der geistigen ein Teil dient als Ersatzteillager. Eine große Auswahl und materiellen Art bezeichnet und das Kulturgut an Spiele-Hardware und Peripherie wird unter ande- als ein Gegenstand von kulturellem Wert, der Be- rem jährlich auf dem Retrostand der Messe „Games- stand hat und bewahrt wird [Bambach-Horst, 2005]. com“ in Köln einer breiten Öffentlichkeit zugänglich Dieser Auftrag richtet sich gezielt an Bibliotheken, gemacht. Hier stellen verschiedene Sammler und Archive und Museen. Sie bewahren das wissen- Vereine mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf schaftliche, administrative und kulturelle Gedächtnis einer Ausstellungsfläche von bis zu 600 m² mehrere einer Gesellschaft. hundert Exponate aus vierzig Jahren Computer- und Videospielgeschichte aus [RetroGaming, 2012]. Von der Daten- zur Medienarchäologie Bibliotheken sind traditionell die tragenden Säulen Wissenschaftliche Erschließung, der konventionellen Informationsvermittlung und Bewahrung und Zugänglichkeit nehmen auch in diesem Kontext eine Führungsrolle Auf diesem zunehmend wachsenden Interesse am ein. Als spezialisierte Institutionen im Bereich der „Da- Kulturgut Computer- und Videospiele ist am Medien- tenarchäologie“ prägen sie die Bildung von Experten, campus der Hochschule Darmstadt das Promotions- wie den „Digital Curator“ oder den „Digital Preser va- projekt gegründet, in dessen Rahmen mittels Fall- tion Specialist“, der dafür sorgt, dass nicht mehr les- studien gezielt Objekte medienarchäologisch gebor- bare Daten wieder hergestellt und nutzbar gemacht gen und erforscht werden. In Kooperation mit dem werden oder bereits bei der Entstehung von Digita- Museum of Electronic Games & Art e.V. besteht im lisaten ihre langfristige Erhaltung berücksichtigt wird Rahmen dieser Forschungsaktivität uneingeschränk- [Neuroth, 2009]. Archive und Museen hingegen hü- ter Zugang zu einem umfassenden Sammlungsbestand ten vor allem Kulturgüter, welchen ein bleibender ge- portabler und stationärer Spielkonsolen sowie Heim- sellschaftlicher Wert zukommt. Deshalb müssen ne- computern von den 70er Jahren bis heute, einem Ar- ben der dauerhaften Aufbewahrung und Bestands- chiv an Spielen und computergenerierten Kunstwer- erhaltung nicht selten spezifische restauratorische ken sowie Fachzeitschriften und Magazinen. Auch und konservatorische Maßnahmen durchgeführt wer- kann hier auf das Wissen und die Kompetenz einzel- den, um eine Vermittlung, Präsentation und Zu- ner Experten zurück gegriffen werden. gänglichkeit des kulturellen Erbes zu gewährleisten.
Tennis mal anders FACHBEITRÄGE 43 Abb 3: Daten- und medienarchäologische Erhaltungsstrategien Allerdings haben sich nur wenige Forschungs- geht zudem mit Verlusten bei der Interaktion und aktivitäten zum Ziel gesetzt, die Funktionalität Rezeption einher. Bereits Walter Benjamin hat in sei- von Apparaturen in den Fokus der Betrachtung zu nem berühmten Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter rücken und konservatorische Methoden und Tech- seiner technischen Reproduzierbarkeit“ konstatiert, niken zu untersuchen, um Sammlungen für die dass sich der Gegenstand aus seiner Hülle schält, Zukunft nahezu in ihrer Originalität zu erhalten. seine Aura und Einmaligkeit verliert [Benjamin, Beispielhaft genannt sei an dieser Stelle der original- 1979]. Charakteristisch für alle dynamischen Me- getreue und funktionsfähige Nachbau des Zuse Z3, dienwerke ist, dass diese außerhalb ihres festgeleg- der gezielt zu Ausstellungszwecken vom Sohn des ten Kontextes heraus nicht mehr sinnvoll interpre- Pioniers rekonstruiert wurde, oder das „PDP-1 Res- tiert und genutzt werden können [Suchodoletz, taurationsprojekt“ des Computer History Museums 2009]. Das gilt auch für Computer- und Videospiele. in den USA [CHM, 2012]. Auf dem PDP-1, einem Zudem gestalten sich die Emulation beispielsweise Transistoren-Computer von 1962, wurde einst am von analogen Schaltkreisen oder nicht dokumentier- MIT das berühmte Spiel „Spacewar!“ entwickelt. ten integrierten Schaltungen sowie die exakte Nach einer intensiven sieben-monatigen Restaura- Synchronisation von mehreren Prozessoren für Bild- tionsphase gelang es den Mitarbeitern des Museums, und Tonausgabe als schwierig. die 45 Jahre alte Maschine wieder zum Leben zu er- Die zunehmende Verbreitung von interaktiven wecken. Seit 2005 steht das Exponat bespielbar mit audiovisuellen Medien stellt somit besondere An- dem Spiel „Spacewar!“ in der Dauerausstellung des forderungen an die langfristige Bewahrung und Museums. Benutzbarkeit. Die Vielfalt dieser Werke macht die Wesentlich häufiger beschäftigen sich zahlrei- Entwicklung einer allgemeingültigen Erhaltungs- che Forschungsprojekte im Rahmen der digitalen und Konservierungsstrategie kaum möglich. In Langzeitarchivierung damit, standardisierte Metho- Anbetracht der Erkenntnis, dass computerbasierte den und Strategien zu entwickeln (Vgl. Abb.3), um Werke fragiler sind als analoge, erleben wir heute zu- homogene Speichersysteme aufzubauen und digitale dem einen Beginn der Archäologie der Medien und Archivalien und Digitalisate dauerhaft plattform- eine „Kultur des Reparierens“ [Laforet, 2011]. übergreifend zugänglich zu machen [Keep, 2012]. Zusammen mit der Dokumentation des Entstehungs- Dabei wurde deutlich, dass sich komplexe interak- und Verwendungskontextes kann darüber hinaus tive audiovisuelle Medienwerke, wie Computer- und die kulturhistorische und wissenschaftliche Bedeu- Videospiele, schlecht mit traditionellen Archivie- tung gesichert und ein Wissenstransfer ermöglicht rungstrategien bewahren lassen [Suchodoletz, 2009] werden. und die Konservierungspraxis dabei weit hinter den Zielsetzung dabei ist es ein Verständnis für die traditionell geschulten Erwartungen zurück bleibt Technik als kulturelle Wirkungsmacht auf den [Serexhe, 2011]. Rezipienten zu etablieren und keine Beschnei Die Rekonstruktion der Nutzungsumgebung dung durch die reine Beschäftigung mit den Inhal- durch Emulation beispielsweise gewährleistet nur ten getrennt von dem jeweiligen Darstellungskon- für einen bestimmten Zeitraum die Verfügbarkeit text und technologischen Voraussetzung vorzuneh- und Benutzbarkeit von digitalen Ressourcen und men.
44 FACHBEITRÄGE info 7 2|2012 Abb 4: T42 („Tea for Two“) 4. FALLBEISPIEL T42 („TEA FOR TWO“) Nun ging es darum, die vorhandenen Artefakte zu- sammenzuführen und das Spiel mittels einer Re- Dies stellt die Ausgangssituation der im Folgenden konstruktion, die dem Original so nah wie möglich dargestellte Fallstudie dar, womit sich Kriterien, sein sollte, wieder sinnlich erfahrbar zu machen. Probleme und Potentiale ermitteln ließen, die sich im Spiele funktionieren nach einer definierten Zusammenhang mit dem Erhalt von interaktiven au- Anzahl von Spielregeln, die Nutzer befolgen müssen, diovisuellen Medienwerken, am Beispiel von Tennis wenn sie erfolgreich spielen wollen. Für Tennis for for Two, einem der ersten historischen Meilensteine Two galt es, die Tennisregeln Aufschlag, Schmetter- der Computer- und Videospielentwicklung, in mög- ball, Netzball, Aus und Spielerwechsel zu erhalten. lichst funktionsfähigem Zustand ergeben. Im Prinzip können diese Ereignisse relativ simpel Bereits 1997 wurde Tennis for Two das erste Mal physikalisch beschrieben werden und sollten sich in nachgebaut. Diese Nachbildung basierte auf den über- der Spiellogik, das heißt im Schaltplan wiederfinden. lieferten Schaltplänen, einem Konzeptpapier und ei- Leider war dieser teilweise fehler- und lückenhaft ner Fotografie der Installation von damals. Zwar war und eine akribische Fehlersuche und Logikanalyse man bemüht, epochen-typische Bauteile zu verwen- begann. Nur die Videoplatine, die zuständig für die den, konnte jedoch nicht auf den ursprünglich ver- Bildausgabe ist, konnte nahezu unverändert über- wendeten Analogcomputer zurückgreifen. Leider nommen werden, lediglich eine Reihe Transistoren existiert dieses Replikat heute nicht mehr und man war verkehrt herum eingezeichnet. Dies lässt sich versäumte es bis auf einen Film, der den Spielablauf darin begründen, dass hierfür ein Patent angemel- zeigt, die Dokumentation zu aktualisieren. det wurde, was eine valide Dokumentation voraus- setzt. Konservatorische Praxis Die Rekonstruktion erforderte eine systemati- Bei der Bestandsermittlung fanden sich Fotographien sche Durchdringung der Technik und setzte Wissen der Installation von 1958, die beiden Schaltpläne, ein im Bereich der Elektrotechnik und Physik voraus. Konzeptpapier und eine Patentanmeldung sowie Die elektronische Schaltung besteht aus vielen ein- Bilder und Videoaufnahmen von 1997 [BNL, 2012]. zelnen Bauelementen, deren Eigenschaften und das Darüber hinaus ist Tennis ein bekanntes Spiel mit ei- Zusammenspiel untereinander sehr komplex sind. nem definierten Regelwerk aus der realen Welt. Zwar Das Wissen um Bauelemente wie Transistor, Wider- konnte auch dieses Mal kein Modell des damals ver- stand und Kondensator ist dabei elementar. wendeten Analogcomputers aufgetrieben werden, Es dauerte etwa vier Monate bis das Team die aber eines umfassenden Handbuches mit Beispielen originalgetreue Rekonstruktion „T42“ fertigstellen und Funktionsbeschreibungen wurde man fündig. konnte (Vgl. Abb.4).
Tennis mal anders FACHBEITRÄGE 45 Präsentation und Vermittlung gen Zeitpunkt einzige Möglichkeit gewesen, diesen Meilenstein wieder zum Leben zu erwecken. Dabei Das Ergebnis dieser ersten Fallstudie hat von Natur musste festgestellt werden, dass Dokumentationen aus einen starken Öffentlichkeitsbezug und eignet immer fehlerbehaftet sein können und nicht nur sich bestens zur kontextualisierten Vermittlung des enormes Knowhow, sondern an vielen Stellen auch Gegenstands. Auf zahlreichen öffentlichen Veranstal- Reverse Engineering notwendig und unumgänglich tungen wurde T42 schon von über 2000 Menschen ist. Nicht selten kommt es dabei zu Überschneidungen bespielt. Das Spiel ist schnell intuitiv zu verstehen unterschiedlicher Erhaltungsstrategien. 1 Johannes Maibaum, und fesselt die Spieler nach nur wenigen Ballwech- Das Fallbeispiel macht auch deutlich, dass ge- Matthias Rech & Dr. seln. Von besonderem Interesse dabei ist laut Um- rade Computer- und Videospiele nur als Gesamtsys- Stefan Höltgen von der Humboldt Uni- fragen, die Verschaltung sehen und den Sound der tem funktionieren und dieser Medientypus eine versität zu Berlin Relais hören zu können. Das große Interesse an tech- Emergenz aus Interaktion, Grafik und Sound entste- haben 2012 einen Versuch unternom- nischen Details und umfassender Erklärung lies die hen lässt, welche in Präsentationen und Ausstellungen men, Tennis for Two Idee entstehen, ein Konstruktionsbaukastensystem deutlich wird. Die Portierung des Spielkonzeptes auf auf dem Telefunken RA 742 Analogcom- zu entwickeln, das vertiefend auf kontextspezifische andere Medientechnik, wie iPad oder Kinect, lässt puter zu verwirkli- Fragestellungen zum Thema Elektro- und Analog- jeweils ein neues Werk entstehen und kann höch- chen. Leider reichten die Kapazitäten der technik sowie Ballistik eingeht. Auf diese Weise ist stens als Zitat gelten, nicht aber als archivierungs- RA 742 nicht aus, um es möglich physikalische Ereignisse, wie die Berech- strategische Maßnahme im Rahmen zuverlässiger die für das Spiel rele- vanten Bestandteile nung von ballistischen Flugkurven, durch Modellbil- konservatorischer Praxis. wie Bodenlinie und dung unter Beeinflussung von Koeffizienten in In Ausstellungen konnte zudem festgestellt wer- Netz darzustellen. Echtzeit nachzuvollziehen. Der erste Prototyp befin- den, dass vergessene Technik keinesfalls auf Ableh- det sich gerade in der Fertigstellung. Parallel dazu nung und Desinteresse stößt, sondern ganz im Ge- entsteht eine Anleitung basierend auf spezifischen genteil große Neugier weckt. Aus diesem Grund wird Fragen wie „Was ist ein Transistor?“, „Was ist ein an der Idee, einen Konstruktionsbaukasten zu ent- Kondensator?“, „Was ist ein Operationsverstärker und wickeln, weiter gearbeitet, wenngleich dies ein hoch wo wird dieser heute noch eingesetzt?“ und „Warum aufwendiges Unterfangen ist. springt der Ball?“. Inhaltlich liefert die archäologische Medienfor- Darüber hinaus ist das „T42“-Spielkonzept auch schung Erkenntnisse und eröffnet neue interdis- als Applikation auf dem iPhone und iPad spielbar. ziplinäre Forschungsfelder auf dem Gebiet der Auch für die Xbox wurde eine T42kinect-Version ent- Technikgeschichte und der Medientheorieforschung, wickelt. sowie dem kreativen Einsatz von Technologie, aber auch der Bewahrung und Zugänglichmachung. Eine umfassende medienarchäologische Restauration von 5. ZUSAMMENFASSUNG interaktiven Medienobjekten und der langfristige Der Erhalt, die Bewahrung und die Zugänglichma- Erhalt ermöglichen nicht nur die Entwicklung von chung von interaktiven audiovisuellen Werken set- Maßnahmen, Methoden und Techniken der Wieder- zen eine gründliche Analyse der verwendeten instandsetzung, sondern machen die Geschichte Materialen sowie eine umfassende Dokumentation auch für spätere Generationen greifbar und liefern voraus. Zudem erfordern Wiederinstandsetzung, Re- ein Verständnis darüber, wie Medienaparaturen ar- konstruktion und Re-Interpretation spezifisches beiteten, wie die Entwickler diese Medien entworfen Fachwissen und interdisziplinäre Zusammenarbeit. und entwickelt haben. Daraus ergeben sich Potentiale für einen nachhalti- gen Wissenstransfer, bezogen auf die Bewahrung, Erhaltung und Zugänglichkeit sowie die Technikge- schichtsforschung und Medientheorieforschung im Zusammenhang mit der Nutzung und Wahrnehmung medialer Welten. Das geschilderte Fallbeispiel zeigt, dass Appa- raturen verloren gehen und nicht wieder beschafft oder rekonstruiert werden können. Es ist dem Team bis heute nicht gelungen, einen damals für das Ten- nis for Two verwendeten Röhren-Analogcomputer zu beschaffen. Ansätze, das Spielkonzept mit anderen Analogcomputern nachzubilden, sind kläglich ge- scheitert1. Die Entscheidung eine originalgetreue Rekonstruktion nach dem Vorbild des Brookhaven National Labratories umzusetzen, ist die zum jetzti-
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