Themen - Gute Nachbarschaft - Diakonie
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Themen Diakonische Information Nr. 195-3/20 Dei me ne, uns ine, ere Gute Nachbarschaft WORD RAP Michaela Moser: Word-Rap: Wohnkonzept: Initiative: Niemanden ausgrenzen Maria Vassilakou „Nah-barschaft“ Verbündete von nebenan Seite 10 Seite 14 Seite 20 Seite 22
EDITORIAL „Der Ort, wo dein Name wohnt“ Für das Zusammenleben braucht es Orte, an denen wir einander begegnen, miteinander in Beziehung treten und uns einander verbunden fühlen. A ls „der Ort, wo sein Name wohnt“, nicht auf die eigenen vier Wände. Wohnen ver- wird im Alten Testament der Tempel in Jerusalem bezeichnet. Wir finden im Alten Testament auch die Vorstellung, dass Gott im Himmel wohnt. Doch irgendwie scheint langt das achtsame und verantwortliche Gestal- ten des Wohnraums, in dem wir zusammenle- ben. Unser Leben verlagert sich zunehmend in dieser Gott im virtuellen Raum des Himmels zu den virtuellen Raum. Wir sind mit unseren weit weg, um mit ihm in Beziehung treten zu Freund*innen über Social Media in Kontakt. Wir können, um ihn anzusprechen als einen persön- „zoomen“ und skypen mit unseren Kolleg*innen. lichen Gott, der nahe ist. Dafür braucht es einen Aufgrund der Corona-Krise finden auch Bera- Ort. Einen konkreten Ort, wo Gott, wo sein tungen, Therapien und Gottesdienste digital Name wohnt. statt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Fra- Als „der Ort, wo dein Name wohnt“ könnte ge neu, was die Begegnung face to face, quasi man das Zitat als schönes Bild für das, worum mit Haut und Haar, für unser Menschsein und es beim abstrakten Begriff „Sozialraum“ geht, unser Wohlbefinden bedeutet und wie wir das abwandeln. Auch im zwischenmenschlichen Zu- gemeinsame Bewohnen des physischen Raums sammenleben braucht es konkrete Orte, an de- gestalten wollen. Überlegungen, Ideen, Ansätze nen wir einander begegnen, miteinander in Be- und Antworten dazu finden Sie in dieser Ausga- ziehung treten und uns einander be der Diakonie Themen. Ich wünsche Ihnen verbunden fühlen können. An eine interessante und bereichernde Lektüre! denen wir uns nicht nur in den „Wohnen beschränkt sich verschiedenen Rollen, die wir in nicht auf die eigenen vier der Gesellschaft haben – als Arbeitende, Konsument*innen, Wände.“ Wähler*innen – begegnen, son- dern als Personen. Wo wir uns mit Namen ansprechen. Dort nehmen wir einander als ganze Ihre Pfarrerin Maria Katharina Moser und einmalige, einzigartige Personen wahr. Direktorin der Diakonie Österreich Die konkreten Orte wollen auch bewohnt werden. Der Sozialraum, das Grätzl, die Nach- barschaft meint mehr und etwas anderes als Schlafburgen. Philosophisch ausgedrückt: Wohnen geht über „anwohnen“, also neben je- mandem wohnen, hinaus, es bedeutet vor allem „einwohnen“, also sich an einem Ort einleben. Wohnen ist nichts Passives und beschränkt sich AN DIESEM HEFT ✏ Christoph Riedl, Martin Schenk, Sara Scheiflinger, Christina Siegert, MITGEARBEITET HABEN Andrea Obermühlner, Stefanie Meier, Corinna Unterkofler, Lukas Plank 2 Themen
INHALT Inhalt 4 16 Ich und meine Nachbarn Fremdenfeindlichkeit ist nicht Was ich für ein gutes Zusammenleben brauche. mit Fakten zu kurieren Stimmt’s? Mythen, Märchen und Pauschalansichten. 6 17 Der Einsamkeit entgegentreten Schule mitten in der Nachbarschaft Die Corona-Krise hat die Einsamkeit Fachkommentar von Nadja Madlener. vieler Menschen noch erhöht. 18 9 Die Welt in Zahlen Wissen Sozialraumorientierung, 19 Gemeinwesenarbeit, Community Organizing. Buchtipps | Best of EUrope 10 20 „Alle ansprechen, ohne auszugrenzen“ Wie aus Nachbarschaft „Nah-barschaft“ wird Interview mit Michaela Moser. Die unmittelbare Nachbarschaft wird wieder stärker wertgeschätzt. 13 Projekte 21 Nachbarschaftsservice, Plaudertischerl, Kurz gemeldet Macondo. 22 14 Verbündete von nebenan „Zeit für ein Tratscherl“ Eine Initiative bringt in Berlin Alteingesessene Word-Rap mit Maria Vassilakou. und Flüchtlinge zusammen. 15 Was Nachbarschaft für Menschen bedeutet Vom Leiter des Seniorenheims bis Spendenkonto Diakonie: zur Kindergartenpädagogin. IBAN: AT07 2011 1800 8048 8500 BIC: GIBAATWWXXX IMPRESSUM: Medieninhaber, Herausgeber und Redaktion: Diakonie Österreich, ZVR-Zahl: 023242603. Redaktion: Dr.in Roberta Rastl-Kircher (Leitung), Mag.a Katharina Meichenitsch, Mag.a Sara Scheiflinger, Mag. Martin Schenk. Alle: 1090 Wien, Albert Schweitzer Haus, Schwarzspanierstraße 13. Tel.: (0)1 409 80 01, Fax: (01) 409 80 01-20, E-Mail: diakonie@diakonie.at, Internet: www.diakonie.at. Verlagsort: Wien. Geschäftsführung Diakonie Österreich: Pfr.in Dr.in Maria Katharina Moser. Mag. Martin Schenk. Schlussredaktion und Grafik-Design: Info-Media Verlag für Informationsmedien GmbH/Evelyn Felber-Weninger, Volksgartenstraße 5, 1010 Wien. Druckerei: Druckerei Paul Gerin GmbH & Co KG, Gerinstraße 1–3, 2120 Wolkersdorf. Fotos: Cover: Diakoniewerk/Erwin Enzlmüller; S. 2: Diakonie/Rainsborough; Seite 3: Nadja Meister, Diakoniewerk/Erwin Enzlmüller, Lukas Beck; S. 4–5: Diakonie, Stefanie Meier; S. 6–7: Diakoniewerk/Erwin Enzlmüller; S. 8: Nadja Meister; S. 9: Neue Nachbarschaft/Moabit e. V.; S. 10–12: Luiza Puiu; S. 13: Ulrike Rauch, Lukas Plank, Diakoniewerk; S. 14: Lukas Beck; S. 15: Diakoniewerk (4); S. 16: iStockphoto.com/ evergreentree; S. 17: iStockphoto.com/sturti, Michaela Moser; S. 18: iStockphoto.com/courtneyk, AdobeStock; S. 19: PIKSL; S. 20: Diakoniewerk/Erwin Enzlmüller (2); S. 21: Martina Sieder/Foto Siederei, Maxa/Heilsarmee Österreich, Maurer Gerhard (2); S. 22–23: Neue Nachbarschaft/Moabit e. V. Die Diakonische Information bringt Sachinformationen und Nachrichten zur Diakonie der Evangelischen Kirchen. Die gendersensible Schreibweise ist uns ein wichtiges Anliegen. Der Bezug ist kostenlos. DVR: 041 8056 (201). Gedruckt nach der Richtlinie „Schadstoffarme Druckerzeugnisse des Österreichischen Umweltzeichens“. Umweltzeichen (UWZ 756) Themen 3
PORTRÄTS Ich und meine Nachbarn Was ich für ein gutes Zusammenleben brauche. DAGMAR UNTERRAINER „Ich bin eine Person, die sehr viel Wert auf gute Nachbar- schaft legt. Das Miteinander macht eine gute Nachbarschaft aus. Ein Lächeln, ein ‚Guten Morgen! Guten Tag! Wie geht es dir?‘ sollte immer möglich sein. Kontakt auf Augenhöhe, Ver- ständnis, Rücksichtnahme, Toleranz, Ehrlichkeit und ein of- fenes Ohr für die Belange der Nachbar*innen – wer wünscht sich das nicht? Jeder kann einmal in die Lage kommen, je- manden um Hilfe bitten zu müssen. Etwa, weil er allein ist und die Kinder nicht erreichbar sind. Wenn man dann auch mitten in der Nacht die Möglichkeit hat, beim Nachbarn ge- genüber anzuläuten, weil man sich in einer Notsituation be- findet, ist das eine Erleichterung. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten. Wie wichtig es ist, wenn etwa die Nachbarin in Quarantäne jemanden hat, der ihre Einkäufe erledigt.“ Dagmar Unterrrainer betreibt einen Bewohner*innen-Gar- ten. Sie hat beim Magistrat der Stadt Salzburg eine Ausbil- dung als Vertrauensnachbarin gemacht und engagiert sich in ihrem Wohnumfeld für alle, die ihre Hilfe benötigen. ANEL ČOKIĆ „Heute kann man sich unter 100 Menschen einsam fühlen! Das möchte ich hier aufbrechen! Im Vox Libri sitzen Jung und Alt zusammen an einem Tisch, die Bewohner*innen des Hauses vertrauen den Mitarbeiter*innen des Cafés ihre Schlüssel an und viele Freundschaften wurden hier schon geschlossen. Für mich ist klar: Ehrliches Interesse an den Mitmen- schen und offenes Ansprechen der Nachbar*innen führt zu mehr Verständnis und zu einem guten Zusammenleben. Deshalb unterstütze ich auch mit Begeisterung das Plau- dertischerl – es ist ein Ort und eine Einladung, um einfach Anel Čokić hat 2017 das Café und Antiquariat Vox Libri im ins Gespräch zu kommen. Wir sollten unsere Nachbar*innen 17. Wiener Gemeindebezirk gegründet. Es hat sich fragen, wie es ihnen geht, und sie nicht erst dann anspre- schnell als beliebter Treffpunkt für Jung und Alt etabliert. chen, wenn es ein Problem gibt. Ich habe das Gefühl, wenn Seit 2020 ist das Café auch Teil des Plaudertischerl-Netz- ehrlich und offen kommuniziert wird, sind alle im Grätzl viel werks. Vor der Corona-Krise standen im Vox Libri fast nur entspannter!“ große, weiße Tische, die Platz für mehrere Gäste boten. 4 Themen
PORTRÄTS ALI MICHAEL ZWÖLFER „Unsere neue Wohnung ist „Ein gutes Zusammenleben viel schöner als unsere alte in der Nachbarschaft for- und auch das Zusammenle- dert ein gewisses Maß an ben mit den Nachbar*innen Feingefühl und Akzeptanz funktioniert besser. Wir ver- füreinander. Man sollte mit stehen uns gut und ich offenen Augen und Ohren kann mit den anderen Kin- durchs Leben gehen, um dern spielen. In der eigenen wahrzunehmen, wo Hilfe Wohnung haben wir Ruhe. benötigt wird, aber auch Früher hatten wir immer durch eine gesunde Selbst- Probleme mit dem Lärm, einschätzung erkennen, wo was für meinen beeinträch- die eigenen Stärken liegen. tigten Bruder schwierig war. Außerdem haben wir in dem Oftmals braucht es nicht viel, um ein gutes Miteinander zu Haus Betreuerinnen, die uns bei vielen Sachen helfen. fördern. Sich gegenseitig etwas Zeit zu schenken ist mehr Vieles ist schon besser geworden und in Zukunft werden als Gold wert und beugt in den meisten Fällen vielen Prob- wir fast keine Hilfe mehr brauchen. Ich gehe in die Mittel- lemen vor. Wenn man nicht aufeinander vergisst, steht ei- schule und möchte später Medikamente erfinden, damit nem guten Zusammenleben nichts im Weg.“ alle Menschen gesund werden.“ Der 39-jährige Linzer Michael Zwölfer ist verheiratet und Ali ist 11 Jahre alt. Seine Familie ist vor fast 5 Jahren hat zwei Kinder. Er ist seit dem Abschluss seiner Ausbil- nach Österreich geflüchtet. Ali hat einen Bruder und eine dung zum Altenbetreuer in der Sozialarbeit tätig, seit Schwester. Die Familie wohnt seit April in einer Wohnung Jänner 2016 im Haus für Senioren Bad Zell des Diakonie- des Diakonie Zentrums Spattstraße in Linz. werks. Dort leitet er seit 2019 den Bereich „Wohnen für Senioren“. Zudem koordiniert er das Projekt „Mehr Zeller Nachbarschaft“ und setzt sich für ein gutes Zusammen- leben in der Nachbarschaft ein. SIGRID THOR „Gute Nachbarschaft in gro- ßen, anonymen Siedlungen zu fördern ist eines unserer Hauptanliegen. Viele unse- HANNES SCHINDLER rer Angebote zielen darauf „Gute Nachbarschaft ab, dass sich die Menschen beginnt für mich mit in der Umgebung überhaupt freundlichem Grüßen einmal kennenlernen. Durch im Stiegenhaus, einem das Zusammenkommen Austausch über den entstehen Netzwerke, die gemeinsamen Lebens- auch in schwierigen Zeiten raum und Aushelfen im halten – das hat uns Corona Alltag. Damit so etwas deutlich gezeigt, als die Nachbar*innen füreinander einkau- wieder entstehen kann, fen gingen. Mich freut es immer besonders, zu sehen, wenn braucht es beim zwei- aus einer von uns initiierten Veranstaltung Beziehungen ent- ten Hinschauen einen stehen.“ Katalysator, der uns eine Begegnung ermöglicht und die Scheu nimmt, in Kon- Sigrid Thor ist Mitarbeiterin des Diakoniewerks und leitet takt zu treten. Das müssen meines Erachtens Konzepte das Bewohnerservice Itzling & Elisabeth-Vorstadt – ein sein, bei denen die Menschen zusammenarbeiten und mit- Stadtteilbüro der Stadt Salzburg. Sie und ihr Team sind gestalten können.“ Ansprechpersonen für rund 17.000 Menschen. Das Team vermittelt Hilfe für Senior*innen, organisiert Lernunter- Hannes Schindler hat Soziologie sowie Publizistik und stützung für Pflichtschüler*innen und Gesundheitsange- Kommunikationswissenschaften in Wien studiert. Seit bote für die Nachbarschaft, vernetzt verschiedene Part- 2019 leitet er die Stabsstelle Sozialraumorientierung und ner in den Stadtteilen und gibt Anliegen der Bevölkerung Quartiersentwicklung der Diakonie de La Tour. Arbeits- an den Magistrat weiter. schwerpunkte: Projektentwicklung für „Inklusive Lebens- räume“ und Digitalisierung in der Quartiersentwicklung. Themen 5
SCHWERPUNKT Der Einsamkeit entgegentreten 17 Prozent der in Österreich lebenden Menschen haben niemanden, auf den sie zählen können. Die Corona-Krise hat die Einsamkeit vieler Menschen noch verstärkt. VON MARTIN SCHENK S ie klopften an 5000 Türen und fragten: rundum. „Den meisten Menschen kann man Was läuft gut, was schlecht an Ihrem Wohnort? Was würden Sie gerne ändern? Die Gespräche fanden in jeweils drei vertrauen. Stimmt das?“, fragt die Statistik Aus- tria. Am wenigsten bejahen können das diejeni- gen, die schlechte Jobs haben, die unter der Regionen in Ost- und Westdeutschland sowie Armutsgrenze leben, die am Rand der Gesell- Nord- und Südfrankreich statt. Dabei beantwor- schaft stehen. Auch in Ländern, in denen die teten die Menschen allgemeine Fragen zu ihrer soziale Schere zwischen Arm und Reich aufgeht, persönlichen Lage sowie zur Sicht auf ihr ist die Zustimmung geringer – und zwar bei al- Lebensumfeld und ihr Land. Die Gespräche len. dauerten im Durchschnitt über 25 Minuten. Der Redebedarf war groß, die Erfahrung wahrge- Einsamkeit macht krank nommen zu werden tat gut. Das, was alle be- Unfreiwillige Einsamkeit (loneliness) belastet schäftigte und was alle zur Sprache brachten, Menschen. Wir sprechen hier nicht vom selbst war: Ich bin verlas- gewählten Alleinsein sen. Vergessen und (solitude), das uns im abgelegt. Einsam „In Österreich sagen 17 Prozent Fasten oder Schwei- und isoliert. Der letz- gen Kraft gibt. Jeder der Menschen, dass im Ernstfall te Greißler hat ge- Zehnte klagt über so- schlossen, die letzte niemand da ist, wenn sie ziale Isolation und Busverbindung ist Hilfe brauchen.“ Einsamkeit. Die Fol- eingestellt, das letzte gen wiegen schwer: Unternehmen ist ab- Vereinsamte werden gewandert. Es gibt eine Welt da draußen, aber anfälliger für Krankheiten, schlittern öfter in eine ich bin nicht mehr mittendrin. Die Welt mag laut Depression, verlieren den Mut. Einsamkeit ver- und bunt sein. Meine Welt ist es nicht (mehr). stärkt sich durch Armut, wird bedrohlicher in so- In Österreich sagen 17 Prozent der Men- zialen Krisen und belastender bei schlechter schen, dass sie im Ernstfall auf niemanden zäh- sozialer Infrastruktur. Sie trifft Alte wie Junge, len können. Dass niemand da ist, wenn sie Hilfe am meisten betroffen sind 15- bis 25-Jährige brauchen. Dass ihnen die Welt fremd geworden und Personen über 70 Jahre. ist. Wer sich von allen guten Geistern verlassen Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstren- fühlt, verliert auch das Vertrauen in die Welt gung in Bund, Ländern und Gemeinden, um 6 Themen
SCHWERPUNKT gute Nachbarschaft zu fördern und Einsamkeit nen Kontakt zu seiner Familie hat und auch zu verringern. Die Diakonie schlägt „ein vom sonst auf keine Unterstützung zurückgreifen kann, Bund koordiniertes Maßnahmenpaket vor, das ist er wohnungslos und ist deshalb zur JUNO ge- Grätzlinitiativen, sozialraumorientierte Projekte, kommen. „Im Rahmen unserer Wohnungsbetreu- Nachbarschaftshilfe und Community-Arbeit ge- ung haben wir Alexander bei Anträgen und vie- „Tu alles dafür, zielt fördert und finanziert“. Dabei geht es da- len anderen Dingen unterstützt. Durch unsere rum, Menschen zusammenzubringen, die sich Kooperation mit dem Magistrat und dem Sozial- dass Menschen tun gegenseitig unterstützen. Im Mittelpunkt müssen amt konnten wir schnell eine Wohnung für ihn können, was sie die Stärkung und Teilhabe der Bewohner*innen finden. Dank unserer Vernetzung mit anderen tun wollen.“ stehen, nach dem Motto: „Tu alles dafür, dass Institutionen hat er in der Zwischenzeit auch ei- Menschen tun können, was sie tun wollen.“ nen Ausbildungsplatz gefunden und wir unter- stützen ihn weiterhin, damit der Erhalt seiner Kleine Gesten – große Wirkung Wohnung nachhaltig gesichert ist“, freut sich Das Plaudertischerl der Diakonie in Wien bringt Marie Danko, Leiterin der JUNO, über diesen in Cafés Menschen zusammen, die sich gern Erfolg im Rahmen ihrer Netzwerkarbeit. mit anderen unterhalten oder jemandem ein of- fenes Ohr schenken wollen: unabhängig von Besiedelungsbegleitung und Alter, Herkunft, Interessen oder finanziellen ein offenes Ohr Möglichkeiten. Beim Nachbarschaftsservice „Die Besiedelungsbegleitung ist eine ganz wich- Moserhofgasse in Graz helfen Menschen mit tige Phase bei Wohnprojekten“, erklärt Michaela Behinderung Leuten in ihrer Umgebung – sie er- Moser, Professorin für Soziale Arbeit an der FH ledigen Einkäufe, machen Friedhofs- oder Apo- St. Pölten (siehe Interview ab Seite 10), die die thekenbesuche oder bringen Mittagessen. Ge- Diakonie bereits in Wohnfragen wissenschaft- dacht ist das Service für diejenigen, die tagsüber lich unterstützt hat. „Es ist ein zentraler Moment, aus verschiedenen Gründen Unterstützung im wenn Leute in die Wohnungen einziehen. Um- Alltag brauchen. Ein doppelt inklusives Angebot. zug ist sowieso eine herausfordernde Lebens- Junge Menschen, die von der Jugendhilfe phase, aber der Einzug ist der Zeitpunkt, um die nicht mehr unterstützt werden, unterstützt wie- Samen für die spätere Gemeinschaftsbildung zu derum die JUNO in Villach mit Wohnraum. Alex- streuen.“ ander lebte in einer Jugend-Wohngruppe, bis er Einen weiteren zentralen Aspekt sieht Moser diese mit 21 Jahren verlassen musste. Da er kei- im Zusammenwirken zwischen Bauträger und u Themen 7
SCHWERPUNKT Plaudertischerl www.plaudertischerl.at Nachbarschaftsservice Moserhofgasse, Graz. https://www.diakoniewerk. at/was-wir-tun/arbeiten/ arbeiten-werkstatten-des- diakoniewerks/arbeit-und- assistenz-graz JUNO Villach https://www.diakonie-delatour. at/juno-villach Wohnprojekt Viktring https://www.diakonie-delatour. at/bauprojekt-wohnanlage- viktring u Hausverwaltung. „Aus meiner Sicht müssen gefertigte Lösung von mir übergestülpt zu be- sich die Hausverwaltungen in ihrem Selbstver- kommen.“ ständnis ändern und enger mit Organisationen wie der Diakonie zusammenarbeiten“, so Moser. Fehlendes Gefühl der Stimmigkeit „Wenn die Menschen merken, dass ich da bin, Einsamkeit bedeutet sich von der Welt getrennt ein offenes Ohr für sie habe, ist ihnen schon sehrfühlen. Das Kohärenzgefühl beschrieb der Sozio- geholfen“, sagt Bettina Oschgan, Sozialraumko- loge Aaron Antonovsky als eine globale Orien- ordinatorin im „Wohnprojekt Viktring“ der Diako- tierung, die das Maß ausdrückt, in dem man ein nie in Kärnten. Manchmal geht es um Nachbar- durchdringendes, andauerndes, aber dynami- schaftskonflikte, meistens um persönliche sches Gefühl des Vertrauens hat, dass die eige- Themen in schwierigen Lebenssituationen, wie ne interne und externe Welt vorhersagbar ist jetzt in der Corona-Krise. „Da bin ich oft eine und dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, erste Kontaktperson, die bei Bedarf dann an die dass sich die Dinge so entwickeln werden, wie jeweiligen Beratungsstellen weitervermittelt.“ vernünftigerweise erwartet werden kann. Aus die- sen Gründen wird das Kohärenzgefühl auch als Hilfe zur Selbsthilfe „Weltsinn“ bezeichnet. Antonovsky betonte, dass Der Bau des Wohnprojekts Viktring ist teilweise der Kohärenzsinn auf gesellschaftliche Bedingun- abgeschlossen, einige Mieter*innen sind bereits gen bezogen sei. Keine Handlungsspielräume eingezogen, an manchen Häusern wird noch zu haben, weniger Anerkennung zu bekommen gearbeitet. „Aber ich bin nicht die Expertin, die und von Dingen ausgeschlossen zu sein, über sagt: Aha, du hast dieses Problem. Dann die andere sehr wohl verfügen, ist Ausdruck ei- brauchst du dies und das, und das erhältst du ner sozialen Krise, in der auf Dauer unsere von mir. Die Menschen wissen selbst, was sie Selbstwirksamkeit und unser Weltsinn leiden. brauchen. Von mir bekommen sie die Unterstüt- Was tun? Vieles. Siehe oben. Wie beginnen? zung, sich das zu organisieren – ohne eine vor- An 5000 Türen klopfen. 8 Themen
WISSEN I S S EN W Neue Nachbarschaft/Moabit e.V gWas ist Sozialraumorientierung? gGemeinwesenarbeit Prinzipien der Sozialraumorientierung sind: Die Gemeinwesenarbeit ist eng mit der Sozialraum- u Orientierung am Willen der Menschen orientierung verbunden. Sie zielt darauf ab, u aktivierende Arbeit vor betreuender Tätigkeit u die Menschen in einem Grätzl/Stadtteil zu ermutigen, u aus eigener Kraft erreichbare Ziele, unter Verwendung zu fördern und zu unterstützen, für ihre eigenen personeller und sozialräumlicher Ressourcen Interessen und Bedürfnisse aktiv zu werden und damit u zielgruppen- und bereichsübergreifend arbeiten ihre Lebensqualität zu erhöhen; u Vernetzung und Kooperation verschiedener Dienste u die materielle Situation im Stadtteil, also die öffentli- u Lebenswelten subjektzentriert und lebensraum- chen Räume, die Wohn- und Arbeitssituation, die bezogen verbessern Verkehrssituation, die Spielplätze, das kulturelle Angebot etc., zu verbessern; In leichter Sprache: u die immateriellen Faktoren zu stärken bzw. zu Sozialraum nennen wir die Umgebung, in der ein verbessern, also das soziale Klima, die räumliche Mensch lebt. Identität, das bürgerschaftliche Engagement, das u Wie ist der Stadtteil? Demokratieverständnis etc. u Was gibt es dort? Die Gemeinwesenarbeit trägt auf diese Weise zur u Welche Menschen leben dort? Stadt(teil)entwicklung bei. u Wo kann man dort einkaufen? u Was kann man dort noch machen? gCommunity Organizing Das alles ist der Sozialraum. Community Organizing ist historisch eng mit zivilgesellschaftlichen sozialen Bewegungen verknüpft. Bei der Sozialraumorientierung geht es nicht nur darum, Die Wurzeln reichen ins 19. Jahrhundert zurück. dem einzelnen Menschen zu helfen, sondern man schaut Insbesondere die Settlement-Bewegung und das in der Umgebung des Menschen, welche Hilfen und von Saul Alinsky in Chicago gegründete Community Möglichkeiten zur Unterstützung es gibt. Was ist dabei Organizing zählen zu ihren Vorläufern. Er appellierte an wichtig? Menschen, sich zu organisieren und die dadurch u Den Menschen zuhören. gewonnene Macht zu nutzen, ihre Lebenssituation zu u Den Menschen dabei helfen, etwas selbst zu tun. verbessern. Seine Arbeit hatte wesentlichen Einfluss auf u Die Fähigkeiten und Stärken erkennen. die schwarze Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther u Mit allen zusammenarbeiten. King. Themen 9
INTERVIEW „Alle ansprechen, ohne auszugrenzen“ Michaela Moser ist Professorin an der Fachhochschule für Soziale Arbeit in St. Pölten. In ihrem Arbeitsbereich gibt es jede Menge Anknüpfungspunkte an das Thema Sozialraum. DAS INTERVIEW FÜHRTE SARA SCHEIFLINGER. 10 Themen
INTERVIEW ? Gemeinwesen, Sozialraum und Nachbar- men. Soziale Arbeit hat hier eine Art Hebammen- schaft – wieso gibt es so viele Begriffe, was Rolle: Man stößt einen Prozess an, und wenn ist der Unterschied? der Unterstützungsbedarf abnimmt, geht es da- Michaela Moser: Im Grunde sind sowohl Sozial- rum, sich immer mehr zurückzuziehen und im- raum als auch Gemeinwesen Begriffe, die für mer weniger gebraucht zu werden. Ziel ist, dass Menschen, die nicht zum Fachpublikum gehö- letztlich die Selbstorganisation im Sozialraum ren, wenig aussagen. Für die direkte Arbeit finde und das gemeinsame Leben auch ohne Unter- ich Begriffe wie Nachbarschaft, Grätzl, Quartier stützung gut funktionieren. oder Siedlung besser. Gemeinwesen ist einfach „Verschiedene Ideen eine Bezeichnung für organisierte Formen des ? Es braucht also immer auch Fachkräfte, Zusammenlebens, die über die Familie hinaus- damit ein Sozialraum oder ein Gemeinwesen und Vorstellungen gehen, der Begriff Sozialraum benennt den Le- gut funktionieren? sollen zueinander bensraum, in dem wir unser Sozialleben pflegen, Jedenfalls ist es hilfreich, denn es geht um Kom- finden.“ uns miteinander auseinandersetzen und Dinge petenzen, die wir brauchen, um gut miteinander aushandeln. Dabei geht es darum, nicht nur leben zu können. Und das haben viele nie wirk- vom räumlichen Ort zu sprechen, sondern auch lich gelernt. Die meisten Menschen sind nicht das Soziale und Kommunikative im Blick zu ha- gut darauf vorbereitet, in Gruppen miteinander ben. Da gehören zum Beispiel auch Social Me- zu agieren. Meist werden wir in eher autoritären dia dazu. oder hierarchischen Strukturen sozialisiert, in de- nen Rollen und Entscheidungsabläufe vorgege- ? Worum geht es, wenn wir von Sozialraum- ben sind. Wie man sich gut als Gruppe organi- oder Gemeinwesenarbeit sprechen? siert, gleichberechtigt Entscheidungen trifft und Beim gemeinwesenorientierten Arbeiten stehen diese miteinander umsetzt – das sind alles Fä- Zusammenleben und Teilhabe im Mittelpunkt. higkeiten, die gelernt und geübt werden müssen. Alle Beteiligten sollen die Möglichkeit zur Mitge- staltung haben. Aber es soll keine Zwangsbe- ? Wie bringt man Menschen dazu, den Sozi- glückung sein. Es geht immer darum, Möglich- alraum und ihre Nachbarschaft zu nutzen? keiten zu schaffen, aber keinen Druck zu Im Prinzip ist das meist recht einfach, denn es erzeugen. Ziel ist es, dass sich alle willkommen gibt immer Menschen, die ein Interesse an ge- fühlen und das Gefühl haben, gleichberechtigt meinsamen Tätigkeiten haben. Wichtig ist es, miteinander leben zu können. Es gibt nieman- die Prozesse gut zu moderieren, damit die ver- den, der mehr oder weniger wert ist oder mehr schiedenen Ideen und Vorstellungen zueinander oder weniger zu sagen hat. finden. Nicht alle haben die gleichen Vorstellun- gen, zum Beispiel davon, wie man ein Fest ? Was macht soziale Arbeit im Sozialraum? macht. Viele leben normalerweise unter Gleich- In der sozialen Arbeit geht es meist um Einzel- gesinnten in diversen „Blasen“, bei Aktivitäten in fallhilfe zu speziellen Problemlagen, im Sozial- Nachbarschaften oder Grätzln muss man sich raum steht das Bemühen um gutes Zusammen- dann mit verschiedenen Vorstellungen ausei- leben aller Personen in einem bestimmten nandersetzen. Ein wichtiges Thema, das sich Lebensraum im Zentrum. Da geht es – aus mei- durchzieht, ist also: Wie gehen wir mit Unter- ner Sicht – vor allem darum, Menschen dabei zu schieden um? unterstützen, sich selbst gut zu organisieren. ? Soll sich sozialraumorientierte soziale ? Wie kann das gelingen? Arbeit auf bestimmte Zielgruppen einstellen Oft ist es zunächst schwierig. Sozialarbeite- oder sollten die Konzepte für alle funktionie- r*innen kommen mit dem Ziel in ein Grätzl oder ren? eine Nachbarschaft, dass dieser Raum von allen Alle Gruppen sollen angesprochen werden, vor gut genutzt werden kann. Da muss ich zunächst allem auch Mitglieder von Gruppen, die eher für alle sichtbar machen, was und wer schon da ausgegrenzt werden, jedoch ohne 100 Spezial- ist, wo Mitgestaltung gefragt und möglich ist, programme anbieten zu müssen. Das ist die He- und zu Beginn vielleicht auch etwas „anschie- rausforderung am zielgruppenübergreifenden ben“. Von „gelingen“ würde ich sprechen, wenn und diversitätsorientierten Arbeiten. Wie kann die Personen, mit denen man arbeitet, selber es gelingen, verschiedene Gruppen in ihrer Un- Dinge anstoßen und wichtige Aufgaben wie das terschiedlichkeit anzusprechen, ohne dabei Moderieren und Vermitteln in Gruppen überneh- auszugrenzen? u Themen 11
INTERVIEW Bezirk, die Bürgermeister*innen miteinbeziehen muss. Auf dem Land finden Projekte vor dem Auge einer breiteren Öffentlichkeit statt. ? Wo liegen die größten Erwartungen? Wo gibt es Grenzen? Eine häufige Erwartung lautet „alles für alle“, und das ist bei aller Anstrengung nie ganz zu erfüllen. Es sollen sich natürlich alle eingeladen fühlen. Dass dann vielleicht nicht alle mitma- chen, enttäuscht einige. Die Gratwanderung ist die, nicht vorschnell Leute zurückzulassen, aber sie auch nicht zu sehr zu bedrängen. In der Be- gleitarbeit heißt es, viele solcher Spagate zu schaffen. Die Ausbildung in der sozialen Arbeit sollte besser darauf vorbereiten, solche Prozes- se zu begleiten. ? Im Rahmen Ihrer Forschungsarbeit haben Sie auch Diakonie-Projekte untersucht. Was waren die Ergebnisse? Ein Projekt im ländlichen Raum hat gezeigt, dass der Einbezug der gesamten Nachbarschaft sehr wichtig ist. Die meisten Personen oder Fa- milien dort sind es gewohnt, allein oder für sich zu leben, da muss man sich erst an eine Wohn- hausanlage mit vielen Menschen gewöhnen. u ? Sind Sozialraumprojekte meistens Wohn- Außerdem ist uns aufgefallen, dass für Wohn- projekte? hausanlagen mit gemeinschaftlichen, inklusiven Die klassischen sozialräumlichen Projekte sind Elementen noch die Bezeichnung fehlt, da eher Nachbarschaftszentren, erst in letzter Zeit braucht es ein „Branding“. Das ist wichtig, da- sind wieder Wohnhausprojekte hinzugekom- mit zukünftige Bewohner*innen wissen, wo sie men. Die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens einziehen und worauf sie sich einlassen – vor und der Stärkung der Nachbarschaft hat wieder allem in Bezug auf die gemeinschaftlichen As- Einzug in die Wohnbaupolitik gefunden. pekte. Aus unterschiedlichen Erwartungshaltun- „Alles für alle ist bei gen entstehen sonst Schwierigkeiten! Gemein- aller Anstrengung ? Kann auch eine Schule ein Ort für sozial- schaftliches oder inklusives Wohnen sind nie ganz zu erfüllen.“ raumorientiertes Arbeiten sein? Begriffe, die nicht ausreichen – da müssen wir Michaela Moser Auch Schule kann so ein Ort sein. Die Grund- noch die Köpfe zusammenstecken. pfeiler in der Begleitung bleiben die gleichen: Es geht darum, gemeinsamen Raum auch gemein- sam zu nutzen und zu gestalten. Schule kann da ein Ort sein, der auch andere Aktivitäten als den üblichen Unterricht umsetzt und zum Beispiel am Nachmittag zum Nachbarschaftszentrum wird. Leider scheitert die allgemeine Nutzung von Schulräumen oft an bürokratischen Hürden, obwohl viele Räume nach dem Unterricht leer stehen. Eine verstärkte Kooperation von Schu- len und Schulerhaltern mit gemeinschaftsför- dernden Projekten wäre jedenfalls ein Wunsch Prof.in Mag.a Dr.in Michaela Moser für die Zukunft! ist Professorin an der FH für Soziale Arbeit in St. Pölten. Sie ist seit 1995 in Jugend-, Frauen- und sozialen Organisationen tätig und langjährige Aktivistin Thema Stadt – Land. Gibt es Unterschiede? in der Armutskonferenz. Ihre Themen sind Ein Unterschied ist, dass man in ländlichen Re- Sozialethik, Sozialpolitik, Armut, Lebensqualität gionen noch mehr die ganze Umgebung, den und Verteilungsfragen. 12 Themen
PROJEKTE Nachbarschaftsservice Inklusive Unterstützung für Menschen in Graz. I n der Einrichtung „Arbeit und Assistenz Graz“ in der Mo- serhofgasse unterstützen Menschen mit Behinderung ihre Mitmenschen und sorgen für ein soziales Miteinander. Gedacht ist das Service für Menschen in Graz, die tags- über aus verschiedenen Gründen Unterstützung im Alltag brauchen. Erledigt werden Einkäufe, Friedhofs- oder Apo- thekenbesuche. Es geht aber auch ums Zeit-Schenken, um ein kurzes Gespräch. Auch ein Urlaubsservice wie das Postausheben oder Blumengießen ist vorgesehen. Es ist ein individuelles und verlässliches Service, mit dem ein Beitrag für ein besseres Miteinander geleistet und ein Zei- chen für Inklusion gesetzt werden soll. Wir freuen uns über Unterstützung im Alltag Menschen, die sich freiwillig für das Nachbarschaftsser- vice engagieren und jemanden begleiten möchten. Informationen unter: 0664 827 33 06 Plaudertischerl Macondo Die Diakonie schafft einen Ort, an dem sich Gemeinwesenorientiertes Arbeiten in der Menschen ungezwungen unterhalten können. Zinnergasse. Einfach miteinander ins Gespräch kommen D ie „Basis Zinnergasse“ berät und unterstützt Asylbe- rechtigte und subsidiär Schutzberechtigte bei ihrer Integration in Österreich und organisiert Deutsch- und Ba- E in kurzer Plausch über das Wetter oder eine längere Unterhaltung – am Plaudertischerl in Wiener Kaffee- häusern und Nachbarschaftszentren kommen Menschen sisbildungskurse. Die Beratungsangebote richten sich in erster Linie an die Bewohner*innen der Wohnhausanlage Zinnergasse, auch Macondo* genannt. Die Macondo-Sied- auf einfachem Wege miteinander ins Gespräch. lung am Rande des 11. Wiener Gemeindebezirks ist die Viele Menschen haben niemanden, mit dem sie regelmä- älteste Flüchtlingssiedlung Wiens. Seit 1956 leben hier ge- ßig reden können. Mit dem Plaudertischerl kommen Men- flüchtete Menschen, aktuell rund 2500 Personen. schen in Lokalen oder Nachbarschaftszentren zusammen, Die begleitende Gemeinwesenarbeit soll neben den die sich gerne mit anderen austauschen oder jemandem Bewohner*innen auch jene Personen erreichen, die ein Na- ein offenes Ohr schenken möchten – unabhängig von ih- heverhältnis zu Macondo haben. Dazu zählen Schulen und rem Alter, ihrer Herkunft, ihren Interessen oder finanziellen soziale Initiativen ebenso wie lokale Wirtschaftstreibende Möglichkeiten. Wenn auch Sie mit kurzen Begegnungen und Vereine sowie Behörden. Gemeinwesenarbeit heißt, Großes bewirken wollen, freuen wir uns, beim nächsten dass jemand da ist, der gemeinsame Themen aufgreift und Plaudertischerl mit Ihnen zu plaudern! Während der Plau- mit den Bewohner*innen bearbeitet. So kann eine Verbes- derzeit besteht keine Konsumpflicht. serung der Lebenssituation erreicht werden. www.plaudertischerl.at http://bit.ly/diakonie_macondo *Macondo: Chilen*innen, die in den 1970er-Jahren vor dem Militärputsch nach Österreich flüchteten, benannten ihr neues Zuhause in Wien in der Zinnergasse nach der fiktiven Stadt Macondo aus dem Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ des Autors Gabriel García Márquez. Themen 13
WORD-RAP WORD RAP MIT MARIA VASSILAKOU Maria Vassilakou „Zeit für ein Tratscherl“ wuchs in Athen auf und emigrierte 1986 nach Wien, wo sie an der Universität Wien Sprachwissenschaft NACHBAR/NACHBARIN STADT/LAND studierte. Schon während Wie man/frau sich bettet, so Die Stadt gibt uns zu denken. des Studiums engagierte liegt man/frau. Das Land gibt uns zu essen. sie sich in der Sozial- und Menschenrechtspolitik in der ÖH, deren Generalsekretärin INNENHOF DIAKONIE sie 1995 wurde. 1996 wurde Lauschiges Grün und Grillparty statt Leben ermöglichen, Chancen geben, sie als erste Wienerin mit Zementwüste mit parkenden Autos Neubeginn stützen Migrationshintergrund in den Wiener Landtag gewählt. Von ZUHAUSE PRIVATSPHÄRE 2010 bis 2019 wirkte Maria Vassilakou als Wiener Vizebür- Mein Nest Im Spannungsfeld zwischen notwendigen germeisterin und Stadträtin Rückzugsräumen und dem Zulassen von für Stadtentwicklung, Verkehr, STIEGENHAUS Begegnungsräumen Klimaschutz, Energieplanung Zeit für ein Tratscherl und BürgerInnenbeteiligung. TÜR 2019 schloss sie ihr Master- studium in Urban Design und LEBENSRAUM Eine Gelegenheit, einen neuen Raum zu Urban Management an der Straße neu denken betreten London School of Econo- mics ab. Heute arbeitet sie WOHNGEMEINSCHAFT MOTTO international als Beraterin für Stadtentwicklung. Landen, teilen lernen, weiterziehen ... „The outside of the buildings is the inside of the city.“ (Jane Jacobs) SELBSTBESTIMMT Leben und leben lassen – Begegnung suchen – gemeinsam Neues gestalten 14 Themen
DIAKONIE WÖRTLICH Patricia Gratzl, Kindergartenpädagogin „Nachbarschaft ist ein harmonisches Nebeneinander, und manchmal auch ein gemütliches Miteinander.“ Anna Haider, Bewohnerin von LeNa „Nachbarschaft heißt, dass man da ist für die anderen. Ob jung oder alt, das ist ganz gleich. Dass man gleich hilft, wenn man gebraucht wird.“ Michael Zwölfer, Leiter des Hauses für Senioren der Diakonie in Bad Zell „Gute Nachbarschaft ist der wich- tigste Nährboden für ein soziales Zusammensein in allen Lebenslagen. Wenn es gut läuft, und auch, wenn es einmal nicht so gut läuft.“ Melanie Luftensteiner, Altenbetreuerin „Gute Nachbarschaft heißt einfach, dass man zusammenhilft, und auch, dass man gemeinsam Spaß hat, und dass man sich jederzeit melden kann, wenn man jemanden braucht.“ Dominik, Bewohner von StartUp Dominik lebt im Gemeinschaftswohnprojekt StartUp des Diakonie Zentrums Spattstraße in Linz. Dort wohnen junge Erwachsene und Familien gemeinsam und helfen einander. Wenn sie es wollen, bekommen sie Unterstützung durch Sozialpädagog*innen. „Ich bekomme mit StartUp Hilfe, weil ich in der Vergangen- heit einige Probleme gehabt habe. Ich will in ein normales Leben zurückkehren. Ich bekomme Unterstützung, damit ich auf die Füße komme, mir eine eigene Wohnung leisten kann und mir überlegen kann, wie ich das alles machen will. Es ist eine Hilfestellung, dass ich richtig ins Leben starten kann. sind. Man hat viel Spaß miteinander. Es geht drum, dass Die Betreuer*innen sind wie Freunde, mit denen ich über jeder erkennt, wie man sich gegenseitig helfen kann. Ne- alles reden kann. Sie hören mir zu und sagen mir, was sie ben mir wohnt etwa eine Familie mit sieben Kindern. Und davon halten. Und sie bieten mir Hilfe an. Man lernt hier die da krieg ich einiges von der Erziehung mit. Da kann ich ei- Leute kennen, mit denen man wohnt, die meine Nachbarn niges lernen, was ich noch nicht weiß.“ Themen 15
STIMMT’S? Fremdenfeindlichkeit ist nicht mit Fakten zu kurieren Der direkte Kontakt mit den „anderen“ macht die Herzen weit. VON CHRISTOPH RIEDL A usländerfeindlichkeit hat viel mit Angst zu tun. Nun scheint aber die Xenophobie, also die Angst vor dem Fremden, gerade dort am größten zu sein, wo es die wenigsten Fremden gibt. Warum ist das so? zu tun, man kümmert sich, geht Beziehungen ein, Freundschaften entstehen. Es sind gerade die kleineren Städte und Ge- meinden, die bei den Verfechtern einer restrikti- ven Asyl- und Migrationspolitik gefürchtet sind, Die Fremdenangst ist eine Urangst und steckt in weil dort die Menschen auf die Straße gehen jedem von uns. In der Evolutionsgeschichte war und im Notfall für „ihre“ Flüchtlinge auf die Bar- es überlebenswichtig, Furcht vor Fremden zu rikaden steigen. haben. Der Zusammenschluss zu Gruppen und Das Gegenteil ist in jenen ländlichen Gebieten Stämmen war notwendig, um der eigenen Grup- zu beobachten, in die noch nie ein fremdlän- pe das Überleben zu sichern. disch aussehendes Gesicht vorgedrungen ist. Dort ist die Ausländerfeindlichkeit hoch. Der Stadt vs. Land Rechtspopulismus feiert fröhliche Urständ. Der In der Großstadt sind Anonymität und Einander- Grund dafür liegt darin, dass es sinnlos ist, der Fremdsein normale Zustände. Zudem prägen Fremdenangst Fakten entgegenzusetzen. Menschen, denen die Abstammung aus entfern- Der Göttinger Angstforscher und Psychiater teren Ländern anzusehen ist, das Straßenbild. Borwin Bandelow erklärt das damit, dass das Die Ausländerfeindlichkeit fällt dort in Summe primitive Hirnareal mit statistischen Wahrschein- aber wesentlich geringer aus. Man lebt oft eher lichkeiten nichts anzufangen weiß. „Es reagiert nebeneinander her, bleibt im Freundeskreis oder nicht auf rationale Argumente. Wer Flugangst in der Familie. hat, dem nützt es nichts, zu wissen, dass ein In ländlichen Gebieten hingegen ist der sozia- Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel ist, und Wenn es um die Aufnahme le Druck dazuzugehören viel höher, das „Unter- jemandem, der Angst vor Fremden hat, hilft es von Flüchtlingen geht, sich-Bleiben“ schwierig. Wenn es um die Auf- nicht, dass Flüchtlingskriminalität statistisch ge- bilden sich in ländlichen nahme von Flüchtlingen geht, bilden sich sehen kaum relevant ist.“ Ihre Ratio hat gegen- Gemeinden fast immer allerdings in ländlichen Gemeinden fast immer über dem primitiven Angstsystem nicht die Unterstützungsgruppen. Unterstützungsgruppen. Dadurch blühen Orts- Oberhand. Beide Hirnareale befinden sich in ei- gemeinschaften, die durch Abwanderung und nem Widerstreit – und wenn Menschen sich be- Schließung von Gasthäusern und öffentlichen droht fühlen, gewinnt oft der Urangst-Teil des Treffpunkten zu „Schlafdörfern“ verkümmert Gehirns – auch bei gebildeten Menschen: „Intel- sind, oft wieder auf. Es gibt etwas gemeinsam ligenz schützt nicht vor Fremdenangst.“ Sich das Fremde vertraut machen hilft Gegen die Ausländerfeindlichkeit, die der Fremdenangst entspringt und von rechtspopu- listischen Politiker*innen ständig am Kochen gehalten wird, hilft daher nur eine Art Kon- frontationstherapie, ist Bandelow überzeugt: „Man sollte den Kontakt mit Migrant*innen su- chen, sich austauschen, sich das Fremde ver- traut machen. Die ständige Konfrontation hat einen Gewöhnungseffekt. Man wird irgendwann nicht mehr befürchten, dass Flüchtlinge Krimi- nelle sind. Sicher wird man sich dessen bewusst bleiben, dass es Probleme mit der Zuwanderung gibt, aber man wird gleichzeitig sagen: Das Pro- blem ist lösbar.“ 16 Themen
FACHKOMMENTAR Schule mitten in der Nachbarschaft E in ganz normaler Schultag in einer Volksschule im 20. Wiener Gemeinde- bezirk beginnt: Kinder drängen in ihre Klassenzimmer, plaudern fröhlich an ihren Plät- zen und warten auf ihre Lehrerin. Heute sind Schule nach außen öffnen Mit SESAM begleitet die Diakonie Wiener Schu- len dabei, sich nach außen zu öffnen – zu den Eltern, zum Umfeld und zur Nachbarschaft hin. Bildung findet an vielen Orten statt, weshalb aber nicht nur Kinder in der Schule – in einem eine sozialraumorientierte Schule sich nicht als Dr.in Nadja Madlener Klassenzimmer sitzen auch Eltern zusammen, Bildungsinsel verstehen will, sondern mit all je- ist Geschäftsführerin der trinken Kaffee und hören gespannt der Biblio- nen Gruppen zusammenarbeitet, die am Lernen Diakonie Bildung und hat thekarin aus der Bezirksbücherei zu, die aus ei- und am Alltag der Kinder beteiligt sind: Sport- das Programm SESAM nem spannenden Kinderbuch vorliest. Die Di- klubs, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Bü- mitentwickelt. rektorin der Schule erklärt ihnen anschließend, chereien, Nachbarschaftszentren u. v. m. weshalb es wichtig ist, Kindern Geschichten zu Sozialraumorientierung heißt, die Kraft und die erzählen, vorzulesen und gemeinsam mit ihnen Ressourcen von Communitys und Organisatio- zu lesen – auch mehrsprachig, denn jede Spra- nen im Sozialraum zu kennen und mitzuhelfen, che ist ein Schatz. dass alle Bildungspartner*innen gemeinsam an einem Strang ziehen – für den bestmöglichen Elternarbeit fördert Lernerfolg Bildungsweg der Kinder. Solche „SESAM-Cafés“ für Eltern finden regel- mäßig an der Schule statt. Wie wichtig Elternbil- Frühzeitige Kooperation dung ist, zeigen z. B. Elternprogramme an Schu- SESAM setzt bereits bei der Schuleinschrei- len in England, den Niederlanden oder Belgien. bung an. Denn der Übertritt vom Kindergarten in Intensive Elternarbeit fördert den Lernerfolg der das Schulsystem ist ein einschneidender Zeit- Kinder und wirkt somit der Ungleichheit im Bil- punkt, an dem viele Fragen auftauchen. Durch SESAM bedeutet „Schule, dungssystem entgegen. Eltern mit wenig Bezug die frühzeitige Kooperation zwischen Familie, Eltern, Sozialraum arbeiten zu den Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder kön- Schule und Sozialraum können Herausforderun- miteinander“ und ist ein Projekt der Diakonie Bildung nen ihren Nachwuchs beim Lernen nur schwer gen zeitgerecht erkannt, thematisiert und somit in Wien. unterstützen. Schulen können dieses Problem Probleme eher abgefangen werden. In der sozi- selten abfangen, weil sie zu wenig Ressourcen alräumlichen Bildungspartnerschaft geht es im- haben. Die jeweils an den Bedarf der Schule an- mer auch um Beziehungsarbeit. Eine Schule gepasste („chancenindexbasierte“) Förderung lebt mitten in einer bunten Nachbarschaft, alle fehlt. Und auch Strategien fehlen, um den viel- fühlen sich willkommen und der Bildungsweg fältigen Herausforderungen der unterschiedli- der Kinder ist die gemeinsame Aufgabe. chen sozialen Milieus der Schüler*innen gerecht https://bildung.diakonie.at/sesam zu werden. Themen 17
ZAHLEN Die Welt in Zahlen Österreich Im Ernstfall können 17 % der Menschen in Österreich auf niemanden zählen. Mindestens einmal in der Woche Kontakt Mindestens einmal in der Woche zu Verwandten, Freund*innen oder Kontakt zu Nachbar*innen Nachbar*innen haben 92 % (8,2 Mio.). haben 57 % (5 Mio.). 8 % (0,7 Mio.) haben demnach keine 43 % (3,9 Mio.) der Menschen Sozialkontakte! haben keinen. Gesundheitlicher Faktor Einsamkeit und unzureichende soziale Beziehungen sind für die Gesundheit genauso schädlich wie das Rauchen von 15 Zigaretten am Tag. Personen mit einem schlechten Gesundheitszustand haben ein um 10 % höheres Risiko, sich einsam zu fühlen. Arbeitslos zu sein erhöht das Risiko um 7 %. Quelle: Holt-Lunstad/Smith/Layton, 2010: Social Relationships and Einsamkeit = 15 Zigaretten Mortality Risk: A Meta-analytic Review Europaweit leben laut einer Studie die meisten Menschen über 50 Jahre allein in: Die wenigsten in: Schweden Portugal (37 %) (11,1 %) Estland Spanien (32,8 %) (19,3 %) den Niederlanden Israel Quelle: Europäische (30,7 %) (19,4 %) Kommission 2019 18 Themen
BÜCHER | EUROPA Buchtipps Best of EUrope Kompendium Sozialraumorientierung Geschichte, theoretische Grundlagen, Methoden und kritische Positionen von Michael Noack g Auf welchen Grundlagen das Konzept der Sozialraumorientierung basiert und welche kritischen Standpunkte gegenüber Sozialraumorientierung einge- nommen werden, wird in diesem Buch am Beispiel der Jugendhilfe dargestellt. Menschen mit und ohne Behinderungen verwirklichen innovative Ideen Das Einsamkeits-Buch von Thomas Hax-Schoppenhorst (Hrsg.) ONLINE- UND OFFLINE-GESELLSCHAFT g Das interdisziplinäre Buch des erfah- Digitale Teilhabe renen Herausgebers fächert das Thema Einsamkeit in all seinen Facetten auf. Es gibt umfassend Einblick in ein bedeuten- für alle Menschen des Phänomen, sensibilisiert für nötige Reaktionen und zeigt Wege auf, damit umzugehen. W ir leben in einer digitalen Welt, die aber nicht alle gleichermaßen nutzen können. Viele Menschen sto- ßen beispielsweise beim Bedienen von Geld- oder Fahr- kartenautomaten oft auf unüberwindbare Hindernisse. So erhält eine blinde Person keine auditiven Informationen, für Wir denken Gesundheit neu ältere Menschen ist die Schrift zu klein, und Rollstuhl- Corona als Chance für eine fahrer*innen haben Probleme, überhaupt die Tastatur zu Zeitenwende im Gesundheits- erreichen. system PIKSL (Personenzentrierte Interaktion und Kommunika- von Martin Rümmele und Martin tion für mehr Selbstbestimmung im Leben) ist ein „Labor“ Sprenger (Hrsg.) für soziale Innovation, das Menschen mit und ohne Behin- g Die Corona-Krise stellt alle Bereiche derungen zusammenbringt, um innovative Ideen zu ver- unseres Gesundheitssystems vor große Herausforde- wirklichen. Es wird versucht die Spaltung in eine Online- rungen. In diesem Buch sammeln Expert*innen und Offline-Gesellschaft zu verringern. Digitale Barrieren Vorschläge und entwickeln Konzepte, um aus der Krise sollen abgebaut und die Komplexität im Alltag soll verrin- eine Chance für eine bessere Zukunft zu machen. Selten gert werden. Zudem werden Unternehmen für die Gestal- zuvor wurde das System von einer so breiten Gruppe von tung inklusiver und barrierefreier Produkte und Dienstleis- renommierten Fachleuten so tiefgehend analysiert. tungen sensibilisiert. Wie arbeitet PIKSL? Im Zentrum der PIKSL-Arbeit stehen innovative Orte, an Atelier de La Tour denen der Umgang mit digitalen Medien erlernt werden Kunstband zum 40-Jahre-Jubiläum kann. In Deutschland gibt es bereits viele PIKSL-Labore, g Im Zentrum des Bildbandes stehen die die mit diversen Partner*innen aus Wissenschaft, Lehre, 13 „de La Tour“-Künstler*innen mit ihren Bildung und Kommunikation zusammenarbeiten. PIKSL Werken. Textbeiträge stellen die Arbeiten nutzt die Fähigkeiten von Menschen mit und ohne Behin- sowie die Geschichte des Ateliers vor. Zu derung, um (digitale) Produkte und Dienstleistungen zu Wort kommen darüber hinaus renommierte Autor*innen entwickeln. Menschen mit Behinderung sind dabei aktiv an der Art brut und der „Outsider Art“. Forschungs- und Entwicklungsprozessen beteiligt. Sie wissen, wie man Barrieren abbaut und einfachere (digitale) Lösungen entwickelt. https://piksl.net Themen 19
DIAKONIE HAUTNAH LeNa – die Wohnanlage, in der sich Menschen gegenseitig unterstützen Wie aus Nachbarschaft „Nah-barschaft“ wird VON ROBERTA RASTL Aufgrund der Corona-Krise wird die unmittelbare Nachbarschaft wieder stärker wertgeschätzt. A Die Lebendige Nachbarschaft (LeNa) Engerwitzdorf, Ober- uf den ersten Blick sieht LeNa aus Aigner-Reitbauer. „Wo sonst sehe ich, wenn je- österreich, beruht auf einem wie ein ganz normales Wohnprojekt – mand Hilfe braucht? Wo sonst ergibt sich spon- Konzept des Diakoniewerks für eine moderne Wohnanlage in schö- tan ein Gespräch oder das gemeinsame Spielen 45 Mietwohnungen. ner Umgebung. Der entscheidende Unterschied von Kindern – ohne Termin und lange Autofahrt? 17 davon sind für ältere liegt im Detail, denn in dieser Wohnanlage wird Wo sonst ist die gegenseitige Unterstützung Menschen bzw. Menschen mit nicht nur gewohnt, sondern dank der „Lebendi- aufgrund der Nähe unkompliziert möglich und Behinderung vorgesehen. gen Nachbarschaft“ (LeNa) gelebt. geht ganz nebenbei?“ Wohnkoordinatorin Barbara „Wir wollen die Mieter*innen aus der Anonymi- Wichtig in einem Wohnquartier wie LeNa ist Aigner-Reitbauer bemüht sich tät der Wohnanlage holen und sie miteinander es, dass alle zum Gemeinsamen beitragen kön- darum, eine gelebte Nachbar- schaft und sozialen Zusam- vernetzen. Das bedeutet, die Bedürfnisse und nen. Dann gelingt die Entwicklung von einer gut menhalt zu fördern. Wünsche der Bewohner*innen zu kennen und versorgten zu einer mitsorgenden Nachbar- gemeinsam Lösungen für ihre Anliegen zu fin- schaft, in der Menschen aller Altersgruppen ihr den“, erklärt die Wohnkoordinatorin im Wohn- Leben gut gestalten können. Dann kann aus ei- quartier LeNa, Barbara ner Nachbarschaft eine „Nah-barschaft“ entste- Aigner-Reitbauer. hen. Wenn das gelingt, kann viel entstehen: von einem Hilfe von der Wahlverwandtschaft Botendienst und einer Mit- Diese „Nah-barschaft“ war während der Coro- fahrbörse über die Gestal- na-Krise im Frühling 2020 besonders stark tung gemeinsamer Freizeit- spürbar, denn in dieser Zeit haben Menschen aktivitäten bis zu einer immer wieder Hilfe auch aus der „Wahlver- Verleihbörse für selten ge- wandtschaft“ zugelassen. Hilfe war plötzlich brauchte Haushaltsgegen- dort möglich, wo sie gebraucht wurde, anstatt stände. Das kann aber nur sie wie bisher von „Hilfssystemen“ wie Essen funktionieren, wenn sich auf Rädern oder den Kindern, die weiter entfernt die Bewohner*innen ken- wohnen, zu erhalten. Während der Corona-Kri- nen und einander vertrau- se wurden der Wert der Nachbarschaft und die en. „Die räumliche Nähe Menschen in unmittelbarer Nähe bewusster kann eine große Ressour- wahrgenommen. Und die Hilfsbereitschaft war ce sein“, betont Barbara sehr groß. 20 Themen
KURZ GEMELDET Sozialraum Ramsau Selbstständig wohnen und arbeiten. I n Ramsau am Dachstein entsteht derzeit eine Wohnanla- ge, in der Menschen mit Behinderungen weitgehend selbstständig wohnen sollen. Zehn Menschen, die vom Dia- koniewerk begleitet werden, werden hier ab dem Sommer 2021 einziehen. Es liegen bereits mehrere Anmeldungen vor. Im Haus wird es einen Begegnungsraum geben, der einen Rahmen für inklusive Nachbarschafts- und Vereins- Künftige Bewohner*innen beim aktivitäten bieten soll. Planen Die Wohnanlage liegt in Gehdistanz zur Ortsmitte, so- dass die künftigen Bewohner*innen möglichst einfach am etc. Auch für die Teilnahme am Vereinsleben und an sport- Leben in der Gemeinde teilhaben können. Eine mobile lichen Aktivitäten bekommen sie die Begleitung, die sie stundenweise Begleitung im eigenen Wohnraum ist vorge- benötigen. Zudem sollen die Bewohner*innen von den sehen. Die Bewohner*innen bekommen nach ihren Bedürf- Mitarbeiter*innen des Diakoniewerks mit künftigen Arbeits- nissen Unterstützung beim Einkaufen, bei Arztbesuchen und Praktikumsstellen vernetzt werden. FahrradFreundeFloridsdorf Pflege Re- und Upcycling-Werkstatt bietet ausbildung sinnstiftende Beschäftigung. mit Matura Für Absolvent*innen F ahrradFreundeFloridsdorf ist die Fahrrad-Werk- statt des „Hauses Erna“ der stehen alle Türen offen. Heilsarmee in Wien. Die Bewohner*innen reparieren hier unter Anleitung eines Mechanikers Fahrräder und D ie Diakonie hat im September in Villach eine neue Aus- bildung für Schüler*innen nach der achten Schulstufe gestartet. Voraussetzung für den Schulbesuch ist Interes- machen sie straßentauglich. Die Secondhand-Räder kön- se an einer Tätigkeit im Sozial- und Gesundheitsbereich. nen in der Werkstatt und auf den Flohmärkten des Korps Wien günstig erworben werden. Die Sozialwerkstatt bietet ehemaligen Wohnungslosen eine sinnstiftende Beschäftigung und fördert nachhaltige Mobilität. Darüber hinaus eröffnet sie den Bewohner*innen des Hauses und der Nachbarschaft in Floridsdorf neue Perspektiven. Fahrradfans und einkommensschwache Menschen können ihr Rad günstig servicieren lassen, es selbst unter Anleitung reparieren oder ein Secondhand- Fahrrad für wenig Geld kaufen. Die Fahrrad-Werkstatt hat viele Vorteile: 1. Bezahlbare Reparaturen Die Möglichkeiten nach der fünfjährigen Ausbildung sind 2. Man kann das Reparieren lernen. vielfältig: Mit dem Abschluss der neuen HLSP (Höhere 3. Verkauf von sicheren Fahrrädern schon ab 50 Euro Lehranstalt für Sozialbetreuung und Pflege) kann man als 4. Kaffee und Kuchen beim Schrauben und Polieren Pflegefachassistenz mit Matura sofort in den Pflegeberuf 5. Treffpunkt für gemeinsame Radtouren und neue einstiegen. Man kann danach aber auch eine weiterführen- Bekanntschaften de fachspezifische Ausbildung für verwandte Berufe an 6. Radspenden: Wir helfen, Platz zu schaffen. Räder Fachhochschulen oder Universitäten beginnen oder bei- und Ersatzteile sind herzlich willkommen. spielsweise auch Medizin studieren. https://www.heilsarmee.at/fff https://www.diakonie-delatour.at/HLSP Themen 21
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