Theoretische Reflexionen und Konturen einer relational orientierten Wissens-kommunikation. Überlegungen für eine künftige Forschungsagenda
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Theoretische Reflexionen und Konturen einer relational orientierten Wissens- kommunikation. Überlegungen für eine künftige Forschungsagenda Theoretical reflections and contours of a relationally oriented knowledge communication. Thoughts for a future research agenda Alexandra Stang Abstract (Deutsch) Doktorandin im Bereich Inter- Wenn sich Kommunikation immer in einem bestimmten Setting und Rahmen ereignet, kulturelle Wirtschaftskommu- dann gilt dies zweifelsohne auch für die Wissenskommunikation, die heute immer mehr nikation an der Universität Jena im Kontext netzwerkförmiger Strukturen stattfindet und durch die beteiligten Akteure und Lehrbeauftragte im Rahmen und ihre kulturellen Mehrfachzugehörigkeiten mitgestaltet wird. Ein zentrales Ziel von des Hochschulzertifikats „Cer- Wissenskommunikation ist es, vorhandene Expertisen transparent werden zu lassen, tificate of International and In- Austauschprozesse von Erfahrungswissen unter den beteiligten Netzwerkakteuren zu tercultural Competence“ (CIIC) ermöglichen und vorhandenes Wissen weiterzuentwickeln. Die Konzeption ist maßgeb- an der Hochschule Karlsruhe ab lich davon beeinflusst, wie das Konstrukt Wissenskommunikation im jeweiligen Kontext Wintersemester 2021/22. definiert wird und welche Methoden eingesetzt werden, um gemeinsames Wissen entste- hen zu lassen, das im Anschluss für alle Beteiligten einen Mehrwert bieten kann. Der Artikel geht von der Annahme aus, dass die Wissenskommunikation verbessert werden kann, wenn die damit verbundenen Kommunikationsprozesse und zugrunde liegenden Beziehungen stärker berücksichtigt und reflektiert werden. Eine in diesem Sinne ver- standene relational orientierte Wissenskommunikation kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um ein „sustainable glocal relationship building“ (Bolten 2020a:101) auch für den Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung voranzubringen. Abschließend werden relevante Perspektiven skizziert, die erste Anregungen diesbezüglich enthalten. Schlagwörter: Wissenskommunikation, Netzwerke, Kultur als Beziehungsnetzwerk, Relationalität, Personal- und Organisationsentwicklung Abstract (English) If communication always takes place in a specific setting and framework, then this un- doubtedly also applies to knowledge communication, which today increasingly happens in the context of network-like structures and is shaped by the actors involved and their multiple cultural affiliations. A central goal of knowledge communication is therefore to make existing expertise transparent, to enable exchange processes of experiential knowl- edge among the network actors involved, and to further develop existing knowledge. The conception is in turn decisively influenced by how the construct of knowledge commu- nication is defined in the respective context, and which methods are used to create shared knowledge that can subsequently offer added value for all participants. Keywords: Knowledge communication, networks, culture as a network of relationships, relationality, human resource and organisational development 47
1. Einleitung / Beavin / Jackson 2003:50ff.). Daher stellt eine „nachhaltig konstruktive und Dieser Beitrag1 skizziert erste Kontu- kooperative interkulturelle Zusam- ren, wie Wissenskommunikation aus menarbeit“ (Bolten 2018:10) in einer einer multidisziplinären theoretischen komplexen Umwelt, wie sie sich in Perspektive vor dem Hintergrund un- einem durch Heterogenität geprägten terschiedlicher Netzwerkverständnisse Netzwerkkontext zeigt, neue Anforde- theoretisch konzipiert werden kann und rungen an die kommunikative Bezie- zeigt Anschlussmöglichkeiten für pra- hungsgestaltung der beteiligten Akteure xisbezogene Akteursfelder auf. - insbesondere, wenn diese nachhaltig Obgleich netzwerkähnliche Organisa- sein sollen (Störmer 2020). Keinert / tionsgebilde und Kooperationen kein Sayman / Maier (2021:87ff.) sprechen gänzlich neues Phänomen darstellen, da sich daher für eine stärkere Berück- es sie bereits im 19. und 20. Jahrhun- sichtigung einer relationalen Logik im dert gab (Pardon 2006:99), konnten Zusammenhang mit Kommunikations- diese Formationen in jüngerer Zeit prozessen aus. weiter an Relevanz gewinnen (Laloux 2015, Lung 2018:354). Vielfach han- Eine relationale Kommunikation, die delt es sich dabei um Wissensnetzwerke sich darüber hinaus an strukturprozes- (vgl. Graggober / Ortner / Sammer sualen Perspektiven orientiert, kann 2003, Howaldt / Klatt / Kopp 2005, als eine verbindende oder konnektive Muralt-Müller 2007, Baeuerle 2010b: Kommunikation verstanden werden, 77ff.). Meist bieten sie eine entspre- die einerseits in der Lage ist, strukturel- chende Infrastruktur an, über die die le Löcher zu überbrücken (Burt 2004). beteiligten Akteure mit anderen Ak- Auf der anderen Seite ist diese auch sen- teuren kommunizieren und ihr Wissen sibel für mögliche Dis:konnektivitäten untereinander austauschen können und sogenannte „Gap-Factors“, wie sie ganz im Sinne bezogen auf die „etymo- Balasubramanian (2021) beschrieben logische Herkunft des Begriffs von la- hat. Überdies prägt die skizzierte rela- teinisch ‚communicare‘: etwas gemein- tionale Kommunikation eine Haltung, schaftlich machen.“ (Bolten 2018:20) die Abwertungen vermeidet und vom Aus dieser Perspektive entsteht Wissen Grundsatz wertschätzend argumentiert, auf der Grundlage von Zusammen- auch wenn es andere Perspektiven zu arbeit zwischen Akteuren mit unter- einem bestimmten Sachverhalt gibt. schiedlichen Wissenshintergründen In jedem Fall gilt dabei „people’s sense (Caspers / Bickhoff / Bieger 2004:4, of worth, dignity, honour, reputation, Paetau 2004:119ff). competence“ (Spencer-Oatey 2008:14) nicht aus Blick zu verlieren. Als solche Zusammengefasst geht es darum, einen kann eine relational verstandene Kom- Mehrwert für alle beteiligten Akteure munikation auch zur Überwindung von zu generieren, der durch Kooperation Unbestimmtheit und Unsicherheit im und Kommunikation im Netzwerkkon- Umgang mit Anderen beitragen. Mit text entstehen kann. anderen Worten: Als Impulsgeberin „Netzwerke basieren auf dem Prinzip der für Vernetzungen leistet sie aus diesem Kooperation. Kooperation heißt Interakti- Blickwinkel heraus einen zentralen on; Interaktion erzeugt kommunikativen Beitrag zur nachhaltigen Beziehungsge- Bedarf. [...] In den meisten Formen der staltung in einem zunehmend glokalen Kooperation sind kommunikative Fähig- Umfeld, in dem sich auch die Wis- keiten gefragt.“ (Jakobs 2002:315) senskommunikation bewegt (Spiegel 2007:737ff). Ohne kommunikative Interaktion kann Wissen nicht entstehen und jede Form Netzwerkkonzepte fokussieren jeweils der Kommunikation führt zu einer Re- unterschiedliche Aspekte und formulie- aktion und bewirkt etwas (Watzlawick ren voneinander abweichende Prämis- 48 interculture j our na l 21/35 (2 0 2 2 )
sen, die auf das Handeln der Akteure wie sie im Kontext der Transkulturali- Einfluss nehmen. Es handelt sich dabei tät (Welsch 2020:3ff) dargestellt wird, um keine fest umrissenen Netzwerkbe- ist aus heutiger Sicht zu hinterfragen. griffe, sondern vielmehr um ein Spek- So kommt Stäheli (2021:29f ) zu dem trum verschiedener Netzwerkverständ- nachvollziehbaren Schluss, dass „die nisse, die sich in einem Spannungsfeld Netzwerksemantik […] dann zu einer bewegen, welche zum Teil von kontro- Krisendiagnose (wird), die auf ein ›Zu- versen Diskursen gekennzeichnet sind. viel‹ hinweist sowie darauf, dass dieses Aus der Perspektive einer mehrwertigen ›Zuviel‹ neue Probleme erzeugt: dass Logik heraus wird gezeigt, wie damit Vernetzung zur Übervernetzung wird.“ verbundene Widersprüche konstruktiv Eine einseitige Orientierung an Öff- überwunden werden können. In diesem nungsprozessen und damit verbundene Sinne können Wissenskommunikati- Komplexität, die durch eine solche Ent- onsprozesse in Netzwerken als Chance wicklung hervorgerufen werden kann, verstanden werden „gemeinsam neue, kritisiert auch Bolten (2020:85ff). Im weiteführende Ideen zu entwickeln, Rahmen seiner Überlegungen Inter- was in der Begrenzung auf die eigene, kulturalität neu zu denken, plädiert er vertraute Erfahrungswelt vielleicht dafür, sich stattdessen stärker an struk- nicht denkbar gewesen wäre.“ (Bolten turprozessualen Perspektiven auszurich- 2018:9) ten. Er schlägt vor, je nach Kontext neu zu entscheiden, welche Position dem 2. Der Netzwerkgedan- jeweiligen Sachverhalt gegenüber ange- ke als Ausgangsrahmen im messen erscheint und in diesem Sinne Kontext gesellschaftlicher perspektivenreflexiv zu agieren (Bolten Paradigmenverschiebungen 2016:80). und Paradoxien Netzwerkformationen können auch Im Zusammenhang mit einer soziologi- als Interaktionsstrukturen verstanden schen Zeitdiagnose hat Manuel Castells werden (Wilkesmann 2004:311). Vor (1996) nach dem Ende des Ost-West- diesem Hintergrund sind im deutsch- Konflikts und im Zuge der voranschrei- sprachigen Raum im weiteren Verlauf tenden Globalisierung, beziehungsweise Handbücher zur Netzwerkforschung medien- und kommunikationstechno- entstanden, die Möglichkeiten aufzei- logischer Entwicklungen den Begriff gen, wie allen voran soziale Netzwerke der Network Society geprägt. Im An- theoretisch betrachtet und empirisch schluss folgten weitere Publikationen, analysiert werden können (u.a. Stegbau- die sich jedoch ausschließlich auf einer er 2010, Stegbauer & Häußling 2010). metaphorischen Ebene mit unterschied- Diese Entwicklung ist plausibel, denn lichen Aspekten des zunehmenden die stärkere Orientierung an Mikro- Netzwerkcharakters der Gesellschaft und Mesoanalysen von Netzwerkstruk- auseinandersetzten (Castells 2001, turen und der darin stattfindenden Pro- Castells 2004, Castells 2005, Böhme zesse lenkt den Blick auf die beteiligten 2004, Emden 2008). Die Netzwerkori- Akteure und ihre Beziehungen bzw. entierung stieß zunächst auf Zuspruch Akteure, die durch solche Beziehungen (Gendolla / Schäfer 2004:16, Scholl erst entstehen. Im Mittelpunkt stehen 2007:15, Strauss 2010:11). Vor diesem dabei die Knoten und ihre Kanten- Hintergrund ist es wenig verwunder- dynamiken, die in den jeweiligen Ak- lich, dass Zenk / Behrend (2010:211) teursfeldern wechselseitig aufeinander zu dem Schluss kommen, dass die einwirken. Aus dieser Perspektive Netzwerkgesellschaft das „bestimmende heraus geht es um eine Neuausrich- Denkbild der Gegenwart“ beschreibt. tung der Soziologie im Rahmen der Eine starke Verflüssigung, konsequente sogenannten relationalen Wende, die die Flow-Orientierung und im Kern auf essentialistischen oder substanzbasier- Vernetzung abzielende Ausrichtung, so ten Theorie-Positionen der klassischen 49
Sozialtheorien hinterfragt, indem sie diesen Ansatz auf den Netzwerkkontext die beteiligten Netzwerkakteure nicht zu überbetragen, da die reine Kritik an als vorab festgesetzt betrachtet, sondern dualistischen Positionen, wie sie die von ihren Beziehungsdynamiken (Kan- Moderne hervorgebracht hat und die ten) heraus ihr Handeln zu verstehen unter anderem Bruno Latour kritisiert, versucht. Ein solcher Zugriff ermög- nicht weiterführt. Dazu wird überlegt, licht es, die bisweilen als vernachlässigt inwieweit eine Orientierung an mehr- geltenden kulturellen Perspektiven als wertigen Logiken einen sinnvollen Ergebnis von Aushandlungsprozessen Beitrag zur Überwindung gegensätzlich zu integrieren (Fuhse & Mützel 2010, orientierte Netzwerkpositionen leisten Stegbauer 2016). kann. Auch für Netzwerkbegriffe gilt, dass diese „‚unscharf‘“ und in diesem Somit bietet der Netzwerkbegriff ne- Sinne „‚fuzzy‘“ (ebenda) sind. Sie soll- ben der Orientierung als Metapher ten nicht ausschließlich auf rein soziale darüber hinaus auch eine theoretische Praktiken begrenzt bleiben, sondern und empirische Perspektive, die die es bedürfen vielmehr einer angemessenen ermöglicht, Mikro- und Makrostruktu- Berücksichtigung in immer komplexer ren über Meso-Praktiken in den Blick werdenden Mensch-Umweltbeziehun- zu bekommen und Interaktionen vor gen, so wie es unter anderem Bruno dem Hintergrund entstandener Zu- Latour im Zusammenhang mit der sammenschlüsse zu analysieren (Bucher Akteur-Netzwerk Theorie thematisiert 2009:142). In diesem Zusammenhang hat (vgl. Bolten 2018:53). Akteurs- verweist Leschke (2017:9ff) auf die netzwerke bestehen unter der Prämisse Polysemie des Netzwerkbegriffs hin. eines „Sowohl ‚Entweder-oder‘ als auch Empirische Netzwerkforscher und ‚Sowohl-als auch‘“ (ebenda) sowohl aus Theoretiker, wie zum Beispiel Christian menschlichen, als auch nicht menschli- Stegbauer und Harrison White be- chen Akteursknoten. Zu den unbeleb- trachten dabei ausschließlich mensch- ten Akteuren zählen jegliche Formen liche Akteure. Diese Blickrichtung auf von Materialisierungen, wie Diskurse, das Soziale hinterfragt Bruno Latour oder auch Nonverbales, wie z.B. Bil- (2008). Die von ihm maßgeblich der, oder auch Videos. Diese sind aus mitentwickelte und zwischenzeitlich der Perspektive der Akteur-Netzwerk- überarbeitete Akteur-Netzwerk Theorie Theorie in der Lage etwas zu bewirken zeichnet eine Haltung aus, die sowohl und Netzwerkzusammenschlüsse posi- offen für menschliche als auch nicht- tiv wie negativ zu beeinflussen. Diese menschliche Akteure ist (Latour 2010, Erkenntnis lohnt auch im Zusam- Latour 2014). Dazu arbeitet sie unter menhang mit Wissenskommunikation anderem mit der Figur des Aktanten, künftig stärker im Blick zu behalten. die der Unbestimmtheit. Heterogeni- tät und Hybridität in Netzwerken aus 3. Wissenskommunika- seiner Sicht am besten gerecht werden tion – ein Stiefkind des kann. Wissensmanagements oder ein eigenständig entstehen- Jeder Versuch, näher zu bestimmen, der Forschungs- und Praxis- woraus Netzwerke bestehen und was bereich? sie beinhalten, kann als ein Ergebnis von selektiven Beobachterpositio- Das Interesse an der Wissenskommu- nen verstanden werden, das je nach nikation hat in den vergangenen zwei Erkenntnisinteresse situations- und Jahrzehnten deutlich zugenommen, kontextabhängig unterschiedlich aus- und es haben sich dabei unterschied- fällt (Karafillidis 2015:17ff). Analog liche definitorische Annäherungen zur Kulturbegriffsbestimmung, wie sie entwickelt. In diesem Zusammenhang Jürgen Bolten (2018:53) entwickelt werden drei relevante Definitionen kurz hat, wird der Versuch unternommen, vorgestellt: 50 interculture j our na l 21/35 (2 0 2 2 )
Reinmann-Rothermeier (2001:24) ver- Im weiteren Verlauf entwickelten sich steht darunter „Wissen auszutauschen nicht zuletzt aufgrund der disziplinären und untereinander zu teilen, Wissen zu Heterogenität der beteiligten Akteu- verteilen und zu vernetzen sowie Wis- re analog zu den Netzwerkdiskursen sen letztlich in beobachtbare Bewegung auch in diesem Feld unterschiedliche zu bringen“. Für Eppler (2004:15) ist Zugänge (Reinhardt / Eppler 2004). es „die absichtsvolle, verbale und nicht- Diese haben dazu beigetragen, dass die verbale Vermittlung von Erkenntnissen Wissenskommunikation in der Folge- oder Fertigkeiten“, während Hassler zeit erstmals explizit als ein eigener The- Rumois (2013:171) die „interaktive menschwerpunkt in Studienhandbü- Wissenskonstruktion durch den Aus- chern zum Wissensmanagement aufge- tausch von Ergebnissen der Reflexion“ nommen wurde (Hasler Rumois 2007: hervorhebt. Die drei Aussagen nähern 134ff). Ergänzt und erweitert wurde das sich untereinander an und zeigen viele bisherige Publikationsspektrum durch Schnittmengen und Anschlussmöglich- eine Reihe meist multidisziplinärer Ver- keiten für ein kommunikatives Wis- öffentlichungen, die sich diversen Fra- sensmanagement auf. Nicht zuletzt ver- gen der Umsetzung von Wissenskom- dankt die Wissenskommunikation den munikation zuwenden (exemplarisch: skizzierten Perspektiven ihren Bedeu- Kastberg 2007, Beckers 2012, Muc- tungszuwachs, als auch dem Unbehagen kenhaupt / Grehl / Lange et al. 2012, und der Kritik gegenüber klassischen Wohlwender 2015, Blenn 2020). Neu- Wissensmanagementansätzen2 am Ende ere Arbeiten greifen auch die aktuellen des 20. Jahrhunderts, die die kom- Medien- und Internetentwicklungen munikativen Aspekte weitestgehend im Zusammenhang des Web 2.0 auf, ausblendeten. Darüber hinaus kritisiert oder setzen sich anderweitig aus einer Niehaus (2004:12), dass Wissensma- Interaktionsperspektive mit sprachlich- nagement bislang nicht selten als reines kommunikativen Fragestellungen der Datenmanagement verstanden wurde. Wissenskommunikation auch vor dem Hintergrund der Experten-Laien-Kom- Die Ausarbeitungen zu Beginn der munikation auseinander (Wassermann Jahrtausendwende von Reinmann- / Beckers 2019, Kastberg 2019, Antos Rothmeier / Erlach / Neubauer (2000), 2020, Eppler 2021:583ff). Reinmann-Rothmeier / Mandel / Er- lach et al. (2001) gelten als wegweisend Zusammenfassend lässt sich festhalten, für eine stärkere Ausrichtung an kom- dass sich der Bereich der Wissenskom- munikativen Fragestellungen. Maßgeb- munikation trotz oder vielleicht auch lich dazu beigetragen hat Reinmann- wegen seiner „‚theoretischen Hetero- Rothmeier (2001:24f ), indem sie die genität‘“ (Reinhardt 2004:408) in den Frage aufgeworfen hatte, wie Prozesse vergangenen zwei Jahrzehnten sukzessi- der Wissenskommunikation im or- ve von einem reinen Nischenthema hin ganisationalen Kontext ablaufen und zu einem jungen, multidisziplinären welche Rolle dabei der Austausch und Gegenstandsbereich mit unterschied- das Teilen von Wissen spielen. Pardon lichen Herangehensweisen entwickeln (2003:143ff) orientiert sich ebenfalls konnte, der zwischenzeitlich auch an Fragen der kommunikativen Ausge- eine Reihe von Forschungsarbeiten, staltung von Wissensmanagementsyste- Aufsätzen und empirischen Studienbe- men, wohingegen Stieler-Lorenz / Paar- funden hervorgebracht hat. Die damit mann / Keindl et al. (2004:46ff.) die zusammenhängenden Fragestellungen Potenziale von Wissenskommunikation schließen sowohl die Sprach- und Kul- im Zusammenhang mit dialogischen turwissenschaften als auch die Sozial- Methoden für das organisationale Ler- und Verhaltenswissenschaften, sowie nen insbesondere in Wirtschaftskontex- die Wirtschaftswissenschaften dezidiert ten in den Mittelpunkt ihrer Betrach- mit ein. Beschäftigt man sich hingegen tungen stellen. ausschließlich mit Veröffentlichungen, 51
die den klassischen Handlungsfeldern zeigt Bolten (2014:497ff, 2019) am des Wissensmanagements zugeordnet Beispiel von Praktiken des Masterstu- werden können, so gilt weiterhin, dass diengangs „Interkulturelle Personalent- der Bereich der Wissenskommunika- wicklung und Kommunikationsma- tion – wenn überhaupt – nur als ein nagement“ an der Universität Jena auf. Randthema im Zusammenhang mit In diesem Zusammenhang merkt er an, Wissenstransfer oder organisationa- „dass alle Organisationsmitglieder als lem Lernen erwähnt wird (Lehner Experten ihrer beruflichen/kulturellen 2021:137ff). Insofern ist die Kritik Sozialisationsgeschichte ernst zu neh- von Huber (2017:3) berechtigt, die men sind, wenn Wissensmanagement das weitgehende Ausblenden kommu- effektiv sein soll“ (Bolten 2018:222). nikativer Zusammenhänge moniert. Um die Expertisentransparenz und den Zusätzlich haben Widersprüche der Erfahrungsaustausch unter den beteilig- jüngsten Globalisierungsprozesse und ten Akteuren konkret zu fördern, sind damit verbundene Migrationsbewe- in jüngerer Zeit mehrere Praxisinitia- gungen, sowie die voranschreitende tiven auf dem Glocal Campus“ (www. Digitalisierung gesellschaftliche Verän- glocal-campus.org) entstanden. Dazu derungen herbeigeführt, die auch auf zählen die internetbasierte Plattform auf Wissenskommunikationsprozesse „Experience Map“ (www.experience- einwirken. Die damit zusammenhän- map.org), die das Erfahrungswissen der gende Heterogenität, Hybridität und beteiligten Akteure im Rahmen von in- Kontroversen werden im Zusammen- ternationalen Auslandsaufenthalten för- hang mit Wissenskommunikation bis- dern möchte, als auch das Kommunika- weilen noch zu wenig thematisiert. Dies tionssystem „GLOCOM“, eine eigens gilt insbesondere für Fragestellungen im entwickelte Software zur Optimierung Zusammenhang mit Interkulturalität der Wissenskommunikation im Orga- und der damit verbundenen Komple- nisationskontext (WOM 2020:32). Bis- xität. Dazu zählen beispielsweise die lang zu wenig berücksichtigt wurde in gestiegenen Unvertrautheitssituationen diesem Zusammenhang die zunehmen- und Fremdheitserfahren in zunehmend de Orientierung am Netzwerkkontext glokalen Kontexten, die eine detaillier- und dessen Ausgestaltung in Hinblick tere Betrachtung lohnen. auf kommunikative Nachhaltigkeit und Bisherige Ausarbeitungen konzentrieren Beziehungspflege in einer von Hetero- sich in diesem Zusammenhang bislang genität und Hybridität gezeichneten, auf Fragestellungen, wie Wissenskom- postdigitalen Gesellschaft3. Diese ist munikation im Rahmen von Entsen- zunehmend von Spannungen und dungsprozessen umgesetzt wird (Piéch Widersprüchen gekennzeichnet und 2009, Piéch 2010:79ff), oder wie sie als dieser Sachverhalt im Rahmen von Wis- Schnittstellenbereich zwischen Perso- senskommunikationsprozessen weder nal- und Organisationsentwicklung zur theoretisch noch empirisch hinreichend Förderung interkultureller Kompetenz untersucht. aus einer ganzheitlichen Perspektive 3.1 Vom Wissen als beitragen kann (Bolten 2010:91ff). Repräsentation hin zu Baeuerle (2010b:115ff) erweitert die Wissen als kommunikative Fragestellung um die Perspektive der Konstruktion Netzwerkkommunikation und Netz- werkkompetenz seitens der beteiligten Das Verständnis von Wissen ist ab- Akteure. Eine Schlüsselrolle spielen in hängig von der jeweiligen Perspektive, diesem Zusammenhang Promotoren die dabei eingenommen wird4. Eine (Baeuerle 2010a:100ff.) Wie das Erfah- einheitliche Sichtweise gibt es jedoch rungswissen- und die Expertisenvielfalt nicht, daher spricht sich Gottschalk- im tertiären Bildungssektor konstruktiv Mazouz (2007:24) für einen „Kom- genutzt und umgesetzt werden kann, plexbegriff“ aus. Wissen lässt sich 52 interculture j our na l 21/35 (2 0 2 2 )
jedoch von Daten und Informationen Mit anderen Worten: Es geht um eine abgrenzen und als eine lebensweltlich dem Kontext gegenüber angemessen individuelle Konstruktion verstehen, Berücksichtigung von Menschen und die wiederum das Ergebnis von Inter- ihren lebensweltlichen Kontexten. Dies aktionsprozessen mit der jeweiligen schließt auch ihre medialen Umwel- Umwelt ist (Bolten 2010:106, Hasler ten, in denen sie interagieren und die Rumois 2013:45). Während die Wis- den Rahmen für ihre jeweiligen Kon- sensrepräsentation die Identifikation struktionen bilden, mit ein. Kastberg und Dokumentation und Speicherung (2019:51) versteht unter Wissen als des vorhandenen Wissens in einem Konstruktion ein relationales Konzept, bestimmten Akteursbereich in den das als solches abhängig von dem je- Blick nimmt (Reinmann-Rothmeier weiligen Akteur ist, der Beziehungen zu 2001:22f, Dragusanu 2006, Kastberg anderen Akteuren herstellt. 2019:47), orientiert sich die radikal- Die Akteur-Netzwerktheorie versteht konstruktivistische Denkweise an ei- Wissen ebenfalls nicht als eine absolu- nem anderen erkenntnistheoretischen te, objektive Wahrheit. Aus der Sicht Anspruch (von Glasersfeld 1987:222). der ANT besteht die Wirklichkeit aus So stellt der Philosoph, Psychologe komplexen Netzwerken von mensch- und Kommunikationswissenschaftler lichen und nichtmenschlichen Akteu- Ernst von Glaserfeld fest, dass Wissen ren, die in wechselnden Beziehungen kein objektives Abbild der Realität ist zueinanderstehen und dabei spezifische und merkt an, dass „[…] das, was wir Formen des Wissens und des Handelns Wissen nennen […] eine menschliche und somit auch der Wirklichkeit her- Konstruktion (ist)“ (von Glasersfeld vorbringen.“ (Rosa / Strecker / Kott- 1992:136). Wenn Wissen aus dieser mann 2018:235) Wissen in solchen konstruktivistischen Sicht kein 1-1- Akteursnetzwerken „ist also immer als Abbild der Welt darstellt (a.a.O:187), eine Ko-Produktion von Menschen und lässt ein solches Realitätsverständnis im Nichtmenschen zu verstehen“ (ebenda). Umkehrschluss zahlreiche Wirklich- Durch die Berücksichtigung der Dinge, keiten zu. Dieser Ansatz unterstützt sieht man etwas anders und jeweils et- im Zusammenhang mit heterogenen was anderes dabei wahr. Die Materiali- Akteurskontexten das dafür benötigte tät, die Dinge, wie Bilder, Blogbeiträge Toleranzspektrum, das von unterschied- und anderweitig Artefakte, verändern lichen Positionen und Blickrichtungen die Art und Weise wie wir Wirklichkeit herausgefordert werden kann, weil diese beschrieben werden kann. gegenüber dem jeweiligen Sachverhalt mehr oder minder angemessen erschei- 3.2 Überlegungen zu nen können. Perspektiven des Relationa- len und damit verbundenen Bergmann (2007:8) schlägt vor, den Implikationen Kontext und die Beziehungsstruktur der Akteure zu berücksichtigen, die Donati (2021:8) spricht von einem an diesen Konstruktionsprozessen von „need to empower our ‚culture of rela- Realität beteiligt sind. Kraus (2019:31) tionships‘“. Im Folgenden soll exempla- erweitert dieses Verständnis und plä- risch dargestellt werden, wie diese Ori- diert für eine erkenntnistheoretische entierung an Beziehungen verstanden Perspektive eines relationalen Kon- werden können. Im Zusammenhang struktivismus, dessen Relationalität sich mit der Entstehung eines relationa- darin ausdrückt, dass der Fokus weder len Menschenbilds hat Cornelia Veil alleine auf dem erkennenden und han- (1992:9) „ein ‚In-Beziehung-Sein‘ als delnden Subjekt, noch auf den sozialen existentielle Voraussetzung des Mensch- und materiellen Strukturen und Um- seins“ auch im Zusammenhang mit weltbedingungen liegt, sondern gerade Kommunikationsprozessen hervorge- auf den Beziehungen zwischen beiden. hoben. Ergänzt wird diese Aussage von 53
Jörg Manella, der feststellt, „dass alles in co-create and coordinate movement to- wechselwirkender Beziehung zueinan- ward the desired achivement.“ (ebenda) der steht“ und „es nicht mehr möglich In diesem Sinn kann eine Orientierung (ist), auf komplexe Fragen viele einfa- an Relationalem zunächst einmal als ein che, doch leider auch falsche Antworten wichtiger Baustein betrachtet werden, zu finden.“ (Manella 2003:13) Reflexionsprozesse in Gang zu setzen, Damit einher geht die Erkenntnis, dass sich für neue Beziehungen zu öffnen der menschliche Akteur immer auch und – wenn erforderlich – bereit zu „ein Teil in einem zirkulär und sich sein, vorhandenen Denkmuster zu ver- wechselseitig bedingenden Beziehungs- ändern und gegebenenfalls umzuden- gefüge“ (ebenda) ist, mit dem sich ken. Dieses Verständnis schließt auch letztlich auch Forschungsperspektiven Beziehungen zu nicht menschlichen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Akteuren und Unbelebtem bewusst mit Veränderungen verschieben können. ein. Eine stärkere Orientierung an relationa- len Fragestellungen erfordert vor diesem 3.3 Wissenskommunika- Hintergrund eine gewisse Umstruktu- tion relational denken – rierung bislang dominanter Narrative, Zukunftsvisionen für neue indem der Fokus auf das Ich durch ein Wege jenseits bekannter Wir ergänzt wird. Mit anderen Worten: Pfade „Relational awareness starts by con- Relationsontologisch und in diesem didering the self not as an individual Sinne beziehungsorientiert zu denken subject, but rather as an interrelated und beziehungsreflexiv zu handeln, er- being.“ (Subirana Vilanova (2021:231) öffnet neue und bisher nicht betrachtete Sichtweisen auf die eigenen lebenswelt- Relational nachhaltiges Denken knüpft lichen Zusammenhänge aber auch auf auch an die vier etymologischen Be- die Welt insgesamt. Für den Austausch deutungsbereiche von cultum im Sinne mit anderen Akteuren bedeutet dies ne- von „etwas ist gepflegt worden“ an, ben der inhaltlichen Darstellung auch die Kultur als ein Beziehungsnetzwerk eine der jeweiligen Zielgruppen ange- verstehen (Bolten 2018:38ff.). Werden messene Präsentation zu wählen (Kade Beziehungen gepflegt, spielen dabei die 2007:214), die es im Anschluss ermög- Reziproztität und Vertrauen eine wich- lichen mit den betroffenen Akteuren tige Rolle, die zugleich auch zentrale in den Austausch und Diskurs über die Grundpfeiler für nachhaltiges Handeln Inhalte zu treten. Bergmann (2007:16) bilden. spricht in diesem Zusammenhang da- Orientierungen an relationalem Han- von, dass es darum geht Beziehungen deln kann auch als Baustein betrachtet und Verbindungen untereinander her- werden, Reflexionsprozesse in Gang zustellen, in dem die entsprechenden zu setzen bezüglich der Beziehungen, Informationen in einer Art und Weise die man eingeht, sich zu öffnen und ausgetauscht werden, dass sich neben gegebenenfalls vorhandene Denkmu- dem Mehrwert, der durch die Experti- ster zu verändern und möglicherweise sentransparenz entsteht, auch ein Flow auch umzudenken. In diesem Sinne entwickeln kann, der zu gemeinsamem besteht Relational Awareness zunächst Lernen von und miteinander anregt. In einmal wie bereits erwähnt aus dem „To diesem Sinne geht es um eine sensible be Aware: Step One to Any Change“ Diskursfähigkeit, die möglichst viele (Subirana Vilanova 2021: 227) und Perspektiven der beteiligten Akteure ergänzt: „Only by being aware of the mit ihrem Erfahrungswissen aus an- need for participative and coordinated deren Lebenswelten in einem ersten action can one take the steps necessary Schritt wahrzunehmen und zu berück- to be inclusive, to foster dialogue, and sichtigen, um es anschließend vernetzen to be open to the participation that will zu können. Wissenskommunikation 54 interculture j our na l 21/35 (2 0 2 2 )
beziehungsorientiert zu praktizieren, im Rahmen von spezifischen Akteurs- heißt auch achtsamkeitsorientiert zu feldkontexten anregen und nicht in handeln, um Machtasymmetrien und Form fertiger Lösungskonzepte im Zu- Dis:Konnektivitäten nicht aus dem sammenhang mit dieser Ausarbeitung Blick zu verlieren, wie sie zum Beispiel verstanden werden möchte. auch für den Kontext der Experten- Laien-Kommunikation relevant sind 4.1 Perspektive 1: (Eppler 2021). Eine solche an relationa- Sensibilisierung für Hetero- len Praktiken orientierte Vorgehenswei- genität und Akzeptanz von se ermöglicht es auch Grenzziehungen, Erfahrungsvielfalt auf der die sich nicht zuletzt durch Prozesse kognitiv-individuellen Ebene des Othering und der Exklusion er- In Netzwerken geht es zunehmend geben haben, neu zu justieren und vielstimmig zu, da die Akteure vor dem an Prinzipien der Inclusion und des Hintergrund unterschiedlicher mentaler Miteinanders und Gemeinsamkeiten Modelle interagieren. „Mentale Modelle auszurichten. In diesem Sinne ist Jürgen können bewusst konstruiert werden, Bolten (2018:20) zuzustimmen, wenn sie können aber auch implizit sein und er argumentiert, dass insbesondere auf unreflektierten Annahmen beru- „reziprokes kommunikatives Handeln“ hen.“ (Strohschneider 2010:134) Diese dazu führen kann, dass kommunika- Heterogenität kann einerseits Potenzial tive Netzwerke und in diesem Sinne bieten Neues zu entdecken und inno- Relationen entstehen können (ebenda). vative Ideen gemeinsam zu entwickeln, Wird dies zu wenig berücksichtigt, hat sie kann andererseits auch als Heraus- dies mitunter zur Folge, dass die in forderung betrachtet werden, wenn die Wissenskommunikation gesetzten kein gemeinsames mentales Modell Erwartungen zurückbleiben und Wis- bzw. ein fehlender Common Ground senskommunikationsprozesse ins Leere (Johnson-Laird 1980, Clark / Schaefer laufen, beziehungsweise entsprechende 1989, Clark / Brennan 1991, Busch / dafür entwickelte Wissensmanagement- Lorenz 2010:277ff) vorhanden ist. Dies systeme ungenutzt bleiben. kann sich in Form von unzureichen- den gemeinsamen Wissensgrundlagen 4. Anschlussstellen für praxis- zwischen den beteiligten Akteuren an- orientierte Überlegungen schließend auf die Kooperationsbereit- Um sich abschließend praxisorientier- schaft und -fähigkeit im Rahmen des ten Überlegungen zu nähern, sei noch Wissensaustauschs auswirken. Sie bil- einmal darauf verwiesen, dass es sich den auch die Grundlage für die Entste- bei den nachfolgenden Perspektiven hung von Vertrauen. Das Thematisieren notwendigerweise um allgemeine Anre- einer gemeinsamen Basis kann die gungen handelt, die in dem skizzierten Kohäsion untereinander stärken, indem Zusammenhang eine wichtige Rolle sich die verschiedenen Akteure auf einer spielen. Sie möchten zum Nachdenken höheren Ebene als einen gemeinsamen, und zur Ideenentwicklung für Umset- übergeordneten Zusammenschluss ver- zungsszenarien in konkreten Akteurs- stehen (Rathje 2010:20ff.) feldern betragen. Sie können jedoch 4.2 Perspektive 2: keine ausgefeilten Empfehlungen und Bewusstwerden der eigenen Lösungsansätze bieten und bleiben Haltung und der persönli- in diesem Sinne notwendigerweise chen Einstellungen auf der unbestimmt – nicht zuletzt, weil sich affektiv-individuellen Ebene die Aussagen auf kein klar umrissenes Netzwerkareal beziehen, das diesen Bolten (2016:80) verweist in diesem Überlegungen zu Grunde liegt. Sie ver- Zusammenhang auf den Einfluss, den stehen sich vielmehr als ein Ideenpool, das relationale Denken und Handeln der zu weiterführenden Überlegungen auf das eigene Identitätsverständnis 55
nimmt und damit auch die eigenen (vgl. Canagarajah 2013:40ff.), Stang Einstellungen beeinflusst, in interkultu- / Zhao 2020:30ff.). Dies kann sich rellen Settings konstruktiv mit anderen auch auf die Bereitschaft zur vernetzten Akteuren zu interagieren und Wissen Zusammenarbeit und den Wissensaus- zu wollen, die als fremd und anders tausch auswirken (Balasubramanian wahrgenommen werden. Förderlich ist 2020:15ff.) Hilfreich ist es für Ak- darüber hinaus auch ein Bewusstsein teursfelder, die durch Heterogenität für die Multikollektivität der beteiligten gekennzeichnet sind, die unterschied- Akteure (Rathje 2014:40ff.), das im lichen Rahmen und Frames im Blick Anschluss dazu führen kann, neben Un- zu haben, in denen interagiert wird terschieden auch Gemeinsamkeiten zu und für die Beziehungsgestaltung und entdecken, die Synergiebildungsprozes- Zusammenarbeit im Zusammenhang se fördern können, indem Selbst- und mit der Wissenskommunikation und Fremdbilder relativiert werden (Bolten Austauschprozessen zu reflektieren und 2018:102ff.) und die Bereitschaft zum zu berücksichtigen. Dazu gehört zum Teilen von Wissen positiv beeinflusst Bespiel Formulierungen und Handlun- werden kann (Akhavan / Hosseini gen so auszuwählen, das dysfunktionale 2015). Entwicklungen weitestgehend vermie- den können, bzw. falls nötig konstruk- 4.3 Perspektive 3: tiv-wertschätzend zu intervenieren und Sensibilisierung für unter- metakommunikativ zu agieren. schiedliche Praktiken kom- munikativer Interaktionen 4.4 Perspektive 4: im Rahmen von Wissens- Orientierung an struktur- austauschprozessen auf der prozessualen Perspektiven auf konativ-individuellen Ebene der organisationalen Ebene Zu den unterschiedlichen Praktiken ge- Netzwerkstrukturen und -dynami- hören auch als voneinander abweichen- ken beeinflussen das Gesamtsystem. de und unterschiedlich kommunikative Sie „stellen dementsprechend nicht und in diesem Sinne kulturelle Stile Ausgangs- und Endpunkt einer Ent- (Bolten 2018:77). Je nach Kommunika- wicklung dar, sondern verhalten sich tionssituation und -rahmen (Goffman wie Zentripetal und Zentrifugalkräfte 1971, Goffman 1980, Bolten 2020b) zueinander. Sie wirken interdependent können kommunikative Praktiken und konstituieren damit ein Kräfte- auch voneinander abweichen, da in den feld mit situationsbedingt größerer unterschiedlichen Kontexten und Le- Struktur- oder Prozessorientierung.“ benswelten jeweils andere Vorstellungen (Bolten 2018:110). Aus einer Organi- von Plausibilität und Routinehandlun- sationsperspektive bietet es sich an, zu gen (Schütz / Luckmann 1979, Schütz überlegen, in wieweit es sinnvoll ist, / Luckmann 2003) existieren und es einen strukturellen Handlungsrahmen empfehlenswert ist, die jeweils eigenen vorzugeben, der auf der anderen Seite Normalitätserwartungen an Kommu- genug Spielräume und Interpretations- nikation entsprechend zu reflektieren. möglichkeiten für die Ausgestaltung des Diese nehmen auch Einfluss auf Prozes- jeweiligen kulturellen Handlungsfeldes se der Wissenskommunikation und auf lässt, so dass neue Ideen und Inno- die Bereitschaft zum Wissensaustausch. vationen in Form von Kollaboration In interkulturellen Kontexten sind mit unterschiedlichen Akteuren durch darüber hinaus Machtasymmetrien Wissenskommunikation möglich sind. und daraus gegebenenfalls entstehende In jedem Fall gilt es, den Aktionsra- Irritationen zu berücksichtigen, wie dius nicht „in Prozessperspektiven so sie unter anderem im Zusammenhang zu verflüssigen, dass er als kulturelles mit Mehrsprachigkeit und translin- Akteursfeld nicht mehr konturierbar gualen Praktiken entstehen können ist“ (Bolten 2020:93). Wenn diese 56 interculture j our na l 21/35 (2 0 2 2 )
Veränderungsprozesse nicht zuletzt keiten verständlich machen, wie sie durch Kommunikation permanent Isaac Newton in seinen Grundlagen stattfinden und sich auch in Form von entwickelt hat, die dem klassischen invsible-hand-Prozessen vollziehen mechanischen Weltbild zu Grunde (Bolten 2018:27ff), kann es hilfreich liegen. Nichtlineare Abläufe hingegen sein, sich für Umsetzungsüberlegungen orientieren sich bei der Entstehung an der Sandbergmetapher mit ihren von Strukturen vielmehr an Musterbil- Regelungstypen auf der Muss- Soll dungsprozessen, wie sie in natürlichen und Kann-Ebene zu orientieren (a.a.O: Umweltprozessen zu finden sind. 2018:86f ). Dies lässt sich auch auf Netzwerkformationen übertragen, die 5. Schlussbetrachtung als kulturelle Akteursfelder verstanden Richard Münch (1995:11) kam zu werden. der Erkenntnis, dass es ohne Kommu- nikationsprozesse kein gegenseitiges 4.5 Perspektive 5: Verständnis für die Positionen der Orientierung an Prinzipien jeweiligen anderen geben kann und der Selbstorganisation aus erst recht keine Veränderungen hin zu dem Blickwinkel allgemeiner einer besseren Gesellschaft. Wenn dem Komplexitätsbetrachtungen so ist, dann bietet es sich an, dass die Selbstorganisierte Netzwerkaktivitäten Wissenskommunikation künftig einen in komplexen, dynamischen Systemen Beitrag für ein Miteinander leistet, in- können durch ihre Interaktionen und dem relationale Räume und Infrastruk- hervorgerufene Reaktionen vorhandene turen entstehen, die einen Rahmen Strukturen spontan verändern, die sich schaffen, tolerant und respektvoll mit im Nachhinein als neue Situationen in anderen Wissensgrundlagen und damit der Regel nicht vorab antizipieren las- verbundenen Denk- und Handlungs- sen. Da sie aus vielen sich wechselseitig weisen umzugehen. Dies scheint mehr beeinflussenden Elementen in Form denn je in einer Zeit dringlich, wo menschlicher als auch nicht menschli- Polarisierungen den gesellschaftlichen cher Akteure bestehen, generieren sie Zusammenhalt im Sinne eines Wir auf neue emergente Merkmale des Gesamt- die Probe stellen und die Bereitschaft systems, die sich nicht mehr auf einen zur Kontaktaufnahme mit Akteuren aus einzelnen Akteur zurückführen lassen anderen Akteursfeldern und die damit (Mainzer 2020:37ff.). Bei den veränder- verbundene Zusammenarbeit als her- ten Systemeigenschaften handelt es sich ausfordernd wahrgenommen wird. dabei um das Ergebnis synergetischer Im weitesten Sinne können kommuni- Prozesse in Form von Vernetzungen, die kative Handlungen einen Beitrag dazu durch Emergenz entsprechender Im- leisten, die Welt ein stückweit zu verän- pulsgeber hervorgebracht werden. dern (Bergmann 2007:12) Wie gezeigt Akteure, die als Impulsgeber agieren werden konnte, bewegt sich relationale und durch Wissensaustausch Brücken Wissenskommunikation ergo zwischen in andere Netzwerkareale schlagen im einem großen Spektrum unterschiedli- Rahmen von Reziprozitätsbeziehungen, cher Perspektiven, die von der Sensibi- üben wichtige Schnittstellenfunktionen lisierung für Heterogenität und Akzep- aus. Sie werden auch als Promotoren tanz von Erfahrungsvielfalt, über das bezeichnet (Bolten 2010:100, Baeuerle Bewusstwerden der eigenen Haltung 2010b:118). Aus diesem Verständnis und persönlichen Einstellungen bis hin heraus ist die damit verbundene Dy- zur Sensibilisierung für unterschiedliche namik nicht linear und ihre Ursachen- Praktiken kommunikativer Interaktion und Wirkungszusammenhangen sind im Rahmen von Wissensaustauschpro- nicht kausal erklär- und beschreibbar. zessen reichen. Darüber hinaus ist für Sie lassen sich von daher auch nicht eine erfolgreiche Implementierung eine mehr mit den gleichen Gesetzmäßig- Orientierung an strukturprozessualen 57
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